Emilie Verhaeren - Nachdichtungen

Emile Verhaeren – Ausgewählte Gedichte

Bei der Erstellung dieser Seite halte ich mich streng an die vorliegende 1913
im Insel-Verlag zu Leipzig erschienene zweite, vermehrte Auflage.

 

Inhalt

Der mich dereinst spät abends liest in fernen Jahren

Aus den frühen Gedichten

Die Gäste
Tanz der Greise und Greisinnen
Das Brotbacken
An die Mönche
Frommer Abend
Die sanften Mönche
Ein Klosterbild
Träumerisch
Helle Landschaft
Eines Morgens
Im Norden
Legenden
Die Bahnen
Die Uhren
Die Barke

Trilogie der Qual
Müdigkeit
Die klagenden Lieder
Die Mühle
Die Bäume
Das Schwert
Gebet
Die Dornenkrone
Dialog
Fernab

Traumlandschaften
Der Regen
Der Fährmann
Der Schnee
Der Glöckner
Novemberwind
Der Müller

Die Verführung der Städte
Die Auswanderer
Die Fabriken
Die Singspielhallen
Die Revolte
An die Zukunft

Trilogie der Liebe
Der nächtige Himmel hat sich entfaltet
Der Frühling, der hell und gütig erschienen
Die Stunde, da man die Lampe erhellt
So Wundervolles sagtest du in jener Abendneige
Dämmer und Frühe, Licht und Sterne in den Räumen
Nun die Flimmer von Schnee auf unser Dach
Dich nur zu geben, will dir nie genügen
Vielleicht

Die Antlitze des Lebens
Die Menge
Die Forschung
Vorwärts
Die Tat
Die Eroberung
In der Frühe
Die Reise
Zum Meere hin

Der vielfältige Glanz
Das Wort
Rings um mein Haus
Hymnus an den Wind
Der Baum
Die Träume
Die Begeisterung
Die Arbeit
Die Freude

Die königlichen Rhythmen
Der irdische Rhythmus
Das Gebet
An meine Augen

 

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Der mich dereinst spät Abends
liest in fernen Jahren,


Mein Werk aus seinem Schutt und Schlafe störend
Und gierig meiner Seele stummen Sinn beschwörend,
Mit welcher Hoffnung Wir von einst gewappnet waren:

Er wisse, wie durch Tränen, Schreie und Revolten
Mit wilder Inbrunst erst sich mein Frohlocken mühte,
Wie es im herben Manneskampf der Schmerzen glühte,
Bis es die Liebe fand, der seine Brunst gegolten.

Ich Hebe meinen Fieberblick, mein Hirn, die Nerven,
Im Herzen und im Leib des Blutes warmes Raunen,
Ich liebe Mensch und Welt und will die Kraft bestaunen,
Die meine Kräfte spendend in das Weltall werfen.

Denn Leben heißt allein: Empfangen und Verschwenden,
Und nur die Sehnsuchtswilden haben mich begeistert,
Die auch so gierig standen, keuchend und bemeistert
Vom Leben und von seiner Weisheit roten Bränden.

Stunden der Größe und des Sinkens! - in dem Tiegel
Des Schicksals schmilzt und schwistert sich das Ungewohnte,
Wenn nur bis in den Tod, lachend der Horizonte,
Die Sehnsucht ewig reist mit ausgespanntem Flügel.

Und Große sind nur, die sich an die unzählbaren
Massen der Menschheit, tiefer Inbrunst voll, verschenken,
Nur in Unendlichkeit wiegt trunken sich das Denken;
Ein Schöpfer braucht die Liebe, um zu offenbaren!

Unfaßbar schlummert Wollust auf des Wissens Grunde,
Sie löst der dunklen Dinge feingewebte Schleier,
Sie klärt der Welten Kraft in milder Schönheitsfeier. -
O ihr, die einst mich lest in einer Abendstunde,

Wißt ihr, warum sich meine Verse an euch wenden?
Weil dann, in eurer Zeit, ein Kühner schon das Wissen
Der Welt aus der Notwendigkeiten Brust entrissen,
Um in sich selbst der Dinge Eintracht zu vollenden.


AUS DEN FRÜHEN GEDICHTEN

 

Die Gäste

»Macht auf, ihr Leut, tut auf geschwind,
Ich poch an Schloß und Schwelle an,
Tut auf, ihr Leut, ich bin der Wind,
Mit falbem Blattwerk angetan!«

- Tretet ein zu uns, tretet ein, Herr Wind,
Setzt Euch hier traulich am Kamin
In den gepichten Winkel hin,
Tretet ein zu uns, tretet ein, Herr Wind! -

»Macht auf, ihr Leut, der Regenfrau,
Ich bin ein Wittib im Trauergewand,
Mein Schlepp zieht schlapp und seidengrau
Durch Naß und Nebel hin ins Land!«

- Tretet ein, Frau Wittib, tretet ein allhier,
Ihr Kalte und Alte, wollt niedersitzen!
Die Moderwand mit Rinn und Ritzen
Beut gerne Euch ein gut Quartier! -

»Tut auf, ihr Leut, den Riegel am Pfost,
Tut auf, ihr Leut, der Schnee pocht an,
Mein weiß Kleid hab ich umgetan,
Das krümelt hin am Wegesfrost!«

- Tritt ein, du Blanker, tritt herein
Mit deinem Geblätter von Lilienschein.
Streu sie auf Dach und Dielen dort
Bis hin zum Herd, wo die Flamme schmort! -

Denn ein seltsam Volk sind wir, die die stillen
Heiden des Nordens zur Heimat erwählt:
Wir lieben euch um des Ungemachs willen,
Mit dem ihr uns seit Jahrtausenden quält.


Tanz der Greise und Greisinnen

»Ihr Pfründnersleut, frisch auf zum Tanz!
Der alte Tod ging überlands.

Nun kommt die reiche Sommerszeit,
Die golden euch das Herz erneut.

Die Fieberfröste, dumpf und trag,
Küßt sie euch von den Lippen weg,

Und blank, im Schweigen feierlich,
Neigt über euch der Himmel sich.

Der alte Tod ging überlands,
Ihr Pfründnersleut, frisch auf zum Tanz!«

- Ach! Ach! Wir sind zu ungeschickt,
Die Beine steif und gichtgezwickt,

Es tut uns weh, wenn grell das Licht
In die entwöhnten Augen sticht.

O! Stirn und Arme, sie sind schon
Den langen Jammer so gewohnt,

Daß unser Herz, müd und verbraucht,
Schon längst nicht mehr zu Freude taugt.

Ach! Ach! Wir sind zu ungeschickt,
Die Beine steif und gichtgezwickt. -

»Vor eurem Haus, im Gartel, seht,
Wie warm der Wind durchs Blattwerk geht!

Selbst dort im Schatten spinnt noch grün
Der Efeu auf die Mauern hin.

Am hundertjährigen Rosenstrauch
Brachen drei späte Rosen auf.

Und dort vom Wegkreuz winkt das Blühn
Wie Hände freundlich zu euch hin.

Vor eurem Haus, im Gartel, seht,
Wie warm der Wind durchs Blattwerk geht!«

- Gern wir uns ein paar Rosen pflückten,
Daß sie uns die Erinnerung schmückten,

Und war's nur eine, jung und schlicht,
Die man sich selbst vom Aste bricht.

Und - ach! - wie gerne, Schritt vor Schritt
Schleppt einer sich den andern mit,

Daß selbst man jeden Morgen sieht,
Wieviel der Phlox neu aufgeblüht.

Gern wir uns ein paar Rosen pflückten,
Daß sie uns die Erinnerung schmückten. -

»Doch seid ihr bei den Buchen dort,
Tut auf das Tor, geht weiter fort,

Geht querfeldein; dort ist kein Pfad,
Der für euch nicht Erinnern hat.

Der nahen Türme Glockenspiel
Sagt euch, den alten Freunden, viel,

Und einer klingt (er ist nicht weit)
Von dort, wo ihr geboren seid.

Drum, seid ihr bei den Buchen dort,
Tut auf das Tor, geht weiter fort.«

- Ach, sehn wir Hügel und Heim nur mal»
Ist schon vergangen unsre Qual.

Mit jedem Stein an unserm Haus
Tauschen wir Rede und Antwort aus,

Mit Aschenspreu, im Herd verweht,
Dem Wandschrank, der seit einstens steht,

Mit Bett und Stuhl, schief und geflickt,
Mit der Jungfrau, die vom Schreine blickt.

Ach, sehn wir Hügel und Heim nur mal,
Ist schon vorüber alle Qual. -

»So horcht denn auf: 's ist Kermesfest,
Das Kopf und Beine springen läßt.

Mit Hall und Schall im Schwünge stapft
Dort Tochter, Sohn und Schwiegerschaft.

Der Felder goldne Gerste quillt
Als Bier in Krüge hochgefüllt,

Und daß man trinke, wie's einst Schwung,
Erharrn sie, Alte, euern Trunk.

So horcht denn auf: 's ist Kermesfest,
Das Kopf und Beine springen läßt.«

- O sagt, wie tanzten wir, ohn'dem,
Daß man uns all für Narren nahm?

Ja, einst! Wie toll war da der Spaß,
Wie wild die Lust, wie groß ein Glas!

Von Geig und Klarinett, ach, wie
So anders klang die Melodie!

Das waren Lieder, schön und süß,
Als ob das Herz sie klingen ließ.

Ach sagt, wie tanzten wir, ohn'dem,
Daß man uns all für Narren nähm? -

»Ihr Pfründnersleut, frisch auf zum Tanz
Der alte Tod ist Überlands. -

Was tut's, daß heut der Fiedelbauch
Ein andres brummt, als einstens Brauch?

Die alte Lust, die Leben heißt,
Entflammt uns allzeit Kraft und Geist.

Glüht nur ein Funke Hoffnung wo,
Das Herz flammt auf und macht uns froh.

Der alte Tod ging Überlands,
Drum Pfründnersleut, frisch auf zum Tanz!«


Das Brotbacken

Zum Sonntag gab es frisches Feierbrot zu backen:
Am Backtrog, drin sich feinstes Mehl mit Milch vermischte,
Standen die Mägde keuchend, mit gesenktem Nacken,
Von dem der Schweiß ins Brot heißtropfend niederzischte.

Finger und Hand und Leib durchschütterte ein Feuer,
Es war, als ob die Brust das Mieder sprengen müßte.
Und aus dem Teige walkten, stark und ungeheuer,
Die derben Fäuste Laibe, rund wie ihre Brüste.

Und nun, da ringsum schon die schwarzen Schorne rauchten,
Faßten die Mägde je zu zweit das Brett und tauchten
Rasch in des Ofens Bauch das teigig-weiche Brot.

Jäh schlugen aus der Lohe da die lechzendheißen
Glutzungen hoch - wie Hunde tollgehetzt und rot
Aufspringend, um ihr Antlitz wütend zu zerbeißen.


An die Mönche

Ihr Mönche, aus der Gotik fromm gekommen,
Ihr Zukunftslosen in der neuen Zeit,
Die ihr die Liebe in den mystisch frommen
Quellen vom Hochmut löst und sanft erneut,
Wie schön, wie stark ist euer irdisch Schreiten,
Die ihr, den Blick der Hölle zugewandt,
Von jenen Fernen her zu unsern Zeiten
Durch der Jahrhunderte Legendenband
Stolz aufsteigt bis zu unsern Wirklichkeiten!
Der letzte Rest der toten Christenheiten,
Tragt ungebeugt ihr dieses Schatten Schwere
Wie einen Königssarg auf eurem Rücken.
Ihr Mönche - Sucher edelster Schimären -
Mit Träumen, die den Tod hoch überbrücken,
Und Himmelsglanz in euren ernsten Blicken,
Ihr seid die Fackelschwinger und Begleiter
Des Gottesideals, das man begräbt,
Die stumm und wundervollen Streiter,
Seid Riesen, die ihr euch stolz im Lärm erhebt,
Von Sternenglanz umspülte Lichtgestalten!
Wenn auch die Menge drohend euch umschreit,
Nie wird Erschrecken eure Stirne falten,
Kein Wind von Furcht umschüttert euer Kleid.
Ihr Mönche, ihr Verbannte und Verwaiste,
Die ihr im Unglück nur gewachsen seid,
Die erst Vergangenheiten rühmen werden,
Ihr, die ihr rein mit leuchtenden Gewanden
Zum Himmel steigt aus unsern dunkeln Landen -
Wir Dichter wollen uns für euch begeistern,
Weil keine Größe heut mehr gilt auf Erden,
Der Lorbeer und die Palme welk verblüht!
Ihr Mönche, große Einsame der Seele,
Eh noch das letzte klare Herz verglüht,
Will ich aus Versen euch Altäre bauen
Und sie mit Weihrauchwolken weiß umschwelen,
Damit das letzte Herz in frommen Schauern
Von eurer Glut noch ein verflackernd Glosen
Erblicke und sie neu entflammen läßt,
Wenn dann schon das Blasphem der Glaubenslosen
Gott wie ein ungeheurer Dolch durchstößt.


Frommer Abend

Das stille Land, vom Abend friedevoll umkleidet,
Ruhte mit seinen Dörfern, als noch traurig-süße
Ein Seufzer hauchte, sanft, wie wenn ein Mädchen scheidet,
Das bleich vergeht, im Blicke ungesagte Grüße,

Und schon entgegeneilt den himmlischen Palästen. -
Im leeren Land, darin die Winde endlich schliefen,
Raunte nur eine Kirchenglocke fern im Westen,
Die andern Antwort sagte, die sie mahnend riefen,

Und die in ihrem kuttenschwarzen Bronzeschleier
Den Schmerz der Welt, der tief im Abendgrunde brannte,
Mit düsterm Ruf, als wie zu eines Heimgangs Feier,
In fahle Fernen und in Sterbestille sandte.

So müde ging das Klingen und so voll Gebreste,
Daß, als es trauervoll und florumschleiert klagte,
Ein Vöglein irgendwo im ärmlichen Geäste
Ganz leise wiederum sein Lied zu singen wagte,

Und daß die Saaten ihr Gewoge jählings stauten,
Indes die finstern Wälder, die voll Träumen hingen,
Nachdenklich auf die frommen Wanderwege schauten,
Die durch das Land dem Angelus entgegengingen . . .


Die sanften Mönche

Und Mönche gibt es, also milde und beglückte,
Daß man die Hände ihnen gern mit Palmen schmückte,

Und zur Erhöhung sie mit rauschenden Altanen
Umkrönte, die ans zarte Blau des Himmels mahnen,

Und allen Schmuck ersehnte, ihrem Erdenschreiten
Gleißende Teppiche und goldnen Pfad zu breiten.

Und also zögen sie entlang dem Glanz der Seen,
Gleich Lilien, die in weißer Reihe leuchtend gehen.

Und diese Mönche, die wie Weihekerzen glühen,
Sinds, die sich um der Gottesjungfrau Liebe mühen,

Sie sind Entflammte, die sie als das Sternenkreisen,
Der Meere Glut und Glanz der Firmamente preisen,

Die wie ein Engelchor vor Gottes Herrscherstufen
Ruhm ihres Namens stolz in alle Winde rufen,

Und die sie mit so brennendem Gelöbnis baten,
Daß ihrer Blicke Aufglanz alle Glut verraten,

Und denen solche Wonnen ihre Dienste süßen,
Daß sie im Fegefeuer nicht die Treue ließen,

Und daß dem Frömmsten sie, von solcher Glut erweicht,
Wohl einst ihr Jesuskind zum Kuß herniederreicht.


Ein Klosterbild

Aus rotem Dämmer schwerster Mittagschwüle
Starren die Bänke mit verblichnem Stamme,
Und durch der Fenster Feuer schlägt die Flamme
Der Sonnensträhnen bis ins Chorgestühle.

Die Mönche, gleich in dem Gewand der Weihen,
Mit gleichen Zeichen, gleichen Ordensfalten
Und gleicher Starrheit in den Felsgestalten,
Stehn aufrecht in zwei stummen fahlen Reihen.

Und man erbangt, erhofft, mit einem Male
Werde die Starre brechen und Chorale
Aufdonnernd in die schwere Stille steigen.

Allein nichts regt sich längs der matten Mauern;
Ob auch die Stunden flüchten mit Erschauern -
Die hagern Mönche schweigen . . . schweigen . . .
   schweigen . . .


Träumerisch

Jetzt eine Blüte, unbesorgt und zart
In ihrem Schlaf besehn, wie sie sich sanft
Gewiegt an ihrem hellen Stengel schaukelt,
Und dann den Abend, unbesorgt und zart
In seinem Schlummer sehn, - und plötzlich flink
Wie einen Stein hinfunkelnd ein Insekt,
Den Augenblick von tanzendem Perlmutter
Auf eines Sonnenstreifens goldner Brücke.
Und dann ein Schiff am Horizonte sehn,
Das an den Ankern hüpft, die Segel bläht
Und schon die Unruh des Verlangens hat,
Ein fernes Schiff, das zu den Fernen will,
Zu Inseln, Häfen, zu Begegnen und
Zu Abschiednehmen . . . Und dann allen diesen
So fernen und so abendlichen Dingen
Ein Schicksal träumen: daß die Blüte fällt
Zu fürchten, oder das Insekt verfliege
Und jenes Schiff die Horizonte schon
Erreiche hin zu bunten Fernen, die
Ihm dunklen Tod mit ihren Wogen läuten...
Und dann dein Angedenken, auch noch dies
Mit diesen vagen Träumen zu vermengen,
Dein Angedenken, das mit sachtem Fluge
Über das gold- und schattenhafte Dämmern
Des Schmerzes blaß wie eine Wolke streift.


Helle Landschaft

Morgensonne huscht mit goldnen Glitzerlichtern,
Rinnt in leisen Wellen über dunklen Zweigen
Und küßt wach den Purpurglanz in den Gesichtern
Bunter Blumen, die sich farbenglühend neigen.

Und in die Fontänen tropft die goldne Glut
Durch den dichten Wall von schwer belaub ten Bäumen,
Macht der kraftdurchrollten Reben heißes Blut
Schwer wie Purpurlippen, die von Küssen träumen.

Kaum noch hört man Rieseln und den Lichterglanz
Hellen Wassers an die Marmorstufen klingen,
Und wie dunkelfrohe Käfer blind im Tanz
Blaue Scheiben streifen mit verirrten Schwingen.

Leiser Blättersang . . . Durch schmale Ritzen geht
Glitzern breiter Lichterbänder aus von ferne,
Und die Stunden kreisen, wie ein Rad sich dreht
Um der Sonnenblumen dunkle Augensterne.


Eines Morgens

Im Wiesenplan, der schimmernd wie ein Lächeln war,
Lugte ein stiller Ort aus den erstaunten Landen,
Wo in zwei blauen Weihern, die ins Ferne klar
Verglänzten, Land und Himmel sich im Kusse fanden.

Über des Mooses grauen Schaum, im goldnen Kies
Spielte der Morgentränen Glanz in tausend Tropfen,
Und sanftgewiegter Zweige Auf und Nieder ließ
Sie ihres Liedes Tanztakt rhythmisch niederklopfen.

Die Lärchen reihten sich, die Arme ausgestreckt,
Wie Priester hingewandt zur wundersamen Helle.
Bei ihnen schlief die Dämmrung, tief ins Laub versteckt,
Und neigte sich zum Spiegelschein der Silberquelle.

Rings glühten Taukristalle in den lichten Tag,
Und alles schien der Dinge Stille zu behüten,
Und wie das Beben eines Schöpfungswortes lag
Es duftend auf den Lippen der erschloßnen Blüten.


Im Norden

Zwei alte Matrosen, die heimwärts eilten
Nach Nordland, das herbstlich umhangen war,
Brachten sich von den märchenhaft schönen
Sizilischen Inseln, wo sie verweilten,
Eine lichte Sirenenschar.

Und hochgemut erreichten sie den Nord
In seiner Nebel zauberischer Trübe,
Und hochgemut erreichten sie den Fjord
An einem Abend, dessen Herbstestrauer
Der Wind durchschrie mit fröstelnd-kaltem Schauer.

Am Strande starrten die Leute und standen
Ohne ein Zeichen von Rede und Regung.
Hoch aber zwischen den hangenden Tauen
Glühten wie Gold die Sirenenfrauen
Und wanden
Wie Rebengirlanden
Ihrer blühenden Leiber süßseliges Grauen
In zärtlichen Linien und sanfter Bewegung. -
Die Leute staunten und wußten nicht recht,
Was ihnen da nahte auf rauschenden Pfaden.
Wie ein silbern Geflecht,
Das die Welle aufschäumenden Schwingen rollte,
Glomm das Schiff durch die Nebelschwaden,
Mit Früchten von Fleische und Golde
Verschwendrisch beladen.

Die Sirenen sangen
Wie klingende Lyren,
Die Arme verstrickt in die Taue und Spieren.
Die Sirenen sangen
Zur Nacht, die schon mit fauchenden Lauten
Die Lichter verlöschte, die einsam glänzend
Am Meere wogten, dem mondlichtklaren;
Die Sirenen sangen,
Die Mäste mit ihren Leibern kränzend, -
Allein die Leute, schweigsam und dicht,
Hörten am Strande die wunderbaren
Gesänge der blühenden Frauen nicht.

Sie kannten die Freunde nicht, die vor Jahren
Mit diesem Schiff in die Ferne gefahren,
Sie kannten nicht wieder mehr Steuer und Bug
Und das selbstgesponnene Segeltuch.
Den holden Traum verstanden sie so nie,
Der überreich mit seiner Fahrt das Meer beschenkte,
Weil er nicht gleiche Lüge war, wie die
Man ihnen heimwärts in die Herzen zwängte.
Und weiter zog das rebenglutgeschmückte
Und stolze Schiff, das aller Blick beglückte,
Von diesem Strand.
Und keiner fand sich, dessen Hand
Die Frucht der Frauenleiber und des Goldes pflückte.


Legenden

Die großen Sonnen, die sonst in den Herbstestagen
Wie Kupfer leuchten, flammen blutigrot.
Mein Herz, wo sind die Helden aus den deutschen Sagen,
Die durch die Wälder bliesen, bliesen nach dem Tod?

Durch Stadt und Land und Fels stürmten sie hochgemutet,
Bis sie zerbrachen, und der heiße Bronnen
Der roten Tage und des wunden Leibs verblutet.
Doch in den Sagen glühten sie wie große Sonnen.

Wie weise waren sie: als Abenteurergaul
Ritten das Leben sie in Ungestüm zuschanden,
Ihr Eisenzaum zerbrach sein hartes Maul,
Und heißer Schenkeldruck hielt es in Banden.

So hetzten sie ihr Roß in zornig-blindem Feuer
Zu Tod und gaben dem Geschicke selbst Gebot.
O Helden ihr der längst verblichnen Abenteuer,
Die durch die Wälder bliesen, bliesen nach dem Tod!


Die Bahnen

Die roten Wagen rollten durch die Ural-Eise,
Ein schwindlig schneller, wahnsinnswilder Zug.
Das Eis knackte im überlasteten Geleise,
Und Löcher biß dem Schnee ihr Funkenflug.

Mit dieser Raserei entflohen sie Gefahren:
Alles war Schauer, Gier und Hast und Schrei.
Über die Wasser, die im Frost versteinert waren,
Schnob gell der Wind und riß den Raum entzwei.

Und in die Berge klommen von dem Fluß die Züge,
- O, welche fremde, dunkle Macht hob sie dahin! -
Empor, nur immer auf, daß schon der Feuerflügel
Ihrer Signale an den Wolken schien.

Doch immer weiter rollten sie ins Himmelhohe,
Die Schlünde fliehend, drin Vernichtung gor,
Bis sich - Triumph! - jäh ihre rote Lohe
Zu Sternen schwang und dort im Glanz verlor.


Die Uhren

In der Nacht, im Schacht unsrer Zimmer schleppen
Sich trappende, klappernde Krücken entlang
Der Stunden steile, steinerne Treppen -
Die Uhren, die Uhren mit ihrem Gang;

Einfältiger Glanz aus gläsernem Schreine,
Farblose Zeichen zu Fernem zurück,
Einsamer Gänge mondlichte Scheine -
Die Uhren, die Uhren mit ihrem Blick;

Tückischer Worte feilendes Fallen,
Ersterbende Töne wie klangloses Blei,
Der kleinen Minuten törichtes Lallen -
Die Uhren, die Uhren mit ihrem Schrei;

Versiegelte Särge, in Wände gehämmert,
Versteinerte Knochen der knausernden Zeit,
Eichene Grenzen der Nacht, die verdämmert -
Die Uhren mit ihrer Furchtbarkeit;

Die Uhren,
Die nicht rasten und ruhen,
Ein Wille, der alles wägt und weiß, -
Mit polterndem Gang und mit schleichenden Schuhen,
Wie Mägde der frühesten Kindertage,
Die Uhren, die Uhren, die ich befrage,
Pressen mein Bangen in ihren Kreis.


Die Barke

Es friert. Die Bäume, ganz mit Rauhreif überkleidet,
Wandern ins Land wie lose Stücke Mondenschein.
Am lautern Himmel keine Wolke. Stumm und rein
Sind die Unendlichkeiten ringsum ausgebreitet.

Der Fluß, in dem das Sternenspiel sich bricht und spiegelt,
Scheint wie ein ungeheurer Block von Silberguß.
Nur eine Barke trägt er, die dort trauern muß,
Weil ihr ein Ring von Eis das Ruderpaar versiegelt.

O, kommt kein Held, kein Engel, der mit einem Schlage
Der Ruder diesen weiten Winter kühn zerschlägt,
Um diese Barke, sacht von goldner Flut bewegt,
Zu flammenfernen Paradiesen hinzutragen ?

Oder soll ewig sie so stehn in Eis gekettet,
Und ihres Meisters harren in der Mittnacht Arm,
Indes hoch oben über Wind und Welt ein Schwarm
Jauchzender Vögel sich zu neuem Frühling rettet?


 

TRILOGIE DER QUAL

Müdigkeit

Endlos die Ebene im Nebelmeer verlischt
Und langsam auch der Eschen herbstlich heller Glanz,
Und weit, o weit verliert sich in den Wiesen ganz
Das Netz der Bäche und ihr perlenbunter Gischt.

Aus fernen Abendtiefen klagen arme Melodien,
Manch mattes Liederwort von einem müden Mund;
Landstreicher wandern singend durch die Tale und
Ziehn weiter ihren Weg - wer weiß, wer weiß, wohin?

Und Ruderschläge zucken auf und ab - müd
Hinkend und verklingend - dann noch schwerbeschwingt
Ein Vogelflug, der schwebt und schwebt und fern versinkt
Ins hohe Himmelsgrau, wo fahl der Mond verblüht.


Die klagenden Lieder

Die alten traurig-süßen Lieder von der Straße
Mit ihrem schalen Reim und abgebrauchten Leid,
Mit ihrem Holpern falschgesetzter Silbenmaße
Sind noch viel düstrer Sonntags und zur Abendzeit,
Wenn Licht und Laute sanft sich lösen in die Stille. -
Dann schläft die Stadt. Die bangen Abendglocken rufen
Wehmütig ihre Klage, und wie menschlich schrille
Aufschreie stöhnt das Kreischen alter Angelstufen,
Der Riegel und der Scheunen, die geschlossen werden. -
Aus fernem Feld manchmal, aus Hof und Stall erwacht
Ein leiser, leiser Laut, der dumpfe Ruf der Herden,
Dann sinkt auf alles Bangen und die tiefe Nacht.
Kein Mensch! Im Feld die Einsamkeit, hoch aufgerichtet,
Und Nebelwallen, das sich dämmernd bodenwärts
Zu weißen Traumgestalten unzählbar verdichtet.
Und durch der müden Felder dunkelschweren Schmerz
Verklingen sacht die alten Lieder von der Straße
Mit ihrem schalen Reim und abgebrauchten Leid,
Mit ihrem Holpern falschgesetzter Silbenmaße,
Und sterben wie der Sonntag und die Abendzeit.


Die Mühle

Die Mühle schwingt ganz langsam auf des bleichen
Und trauervollen Abends düsterm Grund.
Sie schwingt und schwingt. Doch ihre fahlen Speichen
Tun krank den Kreis und sind wie todeswund.

Schon seit der Frühe hoben oder senkten
Sie klagend ihren Arm. Und immer fällt
Ihr müdes Paar noch mahlend die verhängten
Gelände nieder in die tote Welt.

Der Wintertag geht auf den Hügeln schlafen,
Die Wolken haben ihres Schweifens schon genug.
Die Hecken lang, die Schatten an sich raffen,
Wandert ins tote Licht der Eschen Zug.

Nur drunten in der schwarzen Mulde kauern
Paar jammervolle Hütten torfgepicht,
Die Kupferlampe an der schwanken Mauer
Wirft auf die Flur und Fenster grünes Licht.

Und sie allein, mit ihrem Blick, dem stummen,
Der matt aus blinden Fensterhöhlen dringt,
Betrachten aus der Heiden namenlosem Schlummer,
Wie müd die Mühle schwingt und schwächer schwingt
                                                                        und sinkt.


Die Bäume

Wenn die schon rostgebräunten Ackerschollen
Vom Herbstrot wie in Todesflammen sprühn,
Sieht man vom Kreuzweg, dem so trauervollen,
Der Bäume Pilgerung ins Ferne ziehn.

Die Pilger wandern auf des Abends Straßen
Sehr feierlich und fromm, gekrönt von Leid,
Schwer gehn sie her, und niedersinken lassen
Sie trist das Tränenlaub der Traurigkeit.

Die Pilger schreiten mit den altgewohnten,
O, so viel Jahre gleichen Doppelreihn
In den Magnetenzwang der Horizonte
Noch immer, immer wie gebannt hinein!

Die Pilger, deren Mantel von dem Rande
Des Himmels hell das Abendglühn ergreift,
Sie gleichen selber einem Goldgewande,
Das staubig durch der Straße Weihrauch schleift.

Die Pilger, die, Sturm in den Kronen, schreiten -
Mystische Hügel blicken fromm auf sie,
Und Dörfer, die den ernsten Zug begleiten,
Sinken vor ihnen betend in die Knie.


Das Schwert

Mir sagte einer, der - ein blinkend Schwert in Händen -
Auf meinen eitlen Stolz hernieder sah, voll Höhnen:
»Nichts wirst du sein! Mit ewig reuevollem Sehnen
Wird deine Zukunft stets sich zum Vergangnen wenden.

Dein Körper, drin von edlen Ahnen Blut erkaltet,
Wird matt an jeder Anstrengung zerknicken,
Am Fenster wirst du lehnen und mit Fieberblicken
Drunten das Leben sehn, wie es Triumph entfaltet.

Die Nerven werden nur in saftlosen Gerinnsen
Sich in dir paaren, deine Nägel weich zerfallen,
Und deine Stirne wird, wie düstre Grabeshallen
Um ihren Traum gewölbt,
nachts aus dem Spiegel grinsen.

Dich fliehn! - O, wenn du's könntest!
          Doch die Mattigkeiten
In dir und in den andern brechen deinen Rücken;
Vernagelt ist dein Fuß.
          Dein Haupt beugt dumpfes Drücken
Zum Rumpf hinab, an dem die Glieder längst verbleiten.

Die Kriegsstandarten, mit den Wimpeln hoch in Lüften,
Nie werden sie vom Bisse deiner Zähne bluten,
Dein Herz, verbraucht in literarischen Disputen,
Sargt sich lebendig ein in der Scharteken Grüften.

Allein wirst du und abseits stehn auf deinen Pfaden,
Der Jugend kühne Träume rufen sich vergebens
Für deinen Blick zurück.
          Und der Gewittersturm des Lebens,
Stets wird er seinen Jubel fern von dir entladen.«


Gebet

Die Nacht hebt zum Himmel empor ihren silbernen Kelch.

Und auch ich hebe mein Herz,
          mein Herz, das nächtig umhüllte,
Herr, o mein Herz, in deine blasse, unendliche Leere,
Und weiß doch, daß nichts ihre dunkle Urne erfüllte
Und nichts, das noch Wunsch
         meines sterbenden Herzens wäre.
Und ich weiß dich Lüge, und meine Lippen flehen
Doch auf zu dir! Ich weiß deine Hände verschlossen,
Deine Augen verächtlich, verzweifelten Jammer zu sehen,
Und weiß, daß nur ich meinen Traum
          in die Dinge ergossen.
Und doch sei gnädig, o Herr,
          dem Törichtesten der Deinen
Und laß mich mein brennendes Leid
          in deine Stille weinen! . . .

Die Nacht hebt zum Himmel empor ihren silbernen Kelch


Die Dornenkrone

Auch ich will meine rote Dornenkrone tragen;
Ein Dorn für jeglichen Gedanken in der Stirne,
Bis zu den zarten Wurzelnerven, wo im Hirne
In mir die bösen selbstgeschweißten Träume nagen, i
Und diese Krone träum ich mir dem Lodern gleich,
Den Flammenmähnen, die die tollen Winde strähnen,
Sie sei das Elfenbein umglutende Gesträuch!
Sie soll mir marternd mein geheimniswirres Sehnen
In seiner Öde und die jäh geknickten Zärtlichkeiten,
Der Reue Geißelgier, den Kitzel des Entsetzens,
Den Haß und Mörderwahnsinn mit den gierbereiten
Stachligen Dornenkrallen packen und zerfetzen.
Und tiefer soll sie sich noch in das Röcheln bohren,
Das zitternd nach der Leiber goldnen Vliesen schreit,
Soll Frevelfinger foltern, die in Klostertoren
Gesündigt, und der Qualen tiefste Brünstigkeit.
Und alles... alles! O du rote Krone meiner Schmerzen
Und meiner Lüste, die so herrlich herrschend prangt
Ob meinem Haupte, meiner Stime, meinem Herzen,
Traumkrone du, die meine irre Stirn verlangt,
Laß deinen somnambulen Irrglanz farbentönig
Mich krönen, deinen tollen und verlachten König.


Dialog

. . . . . . Sei selbst dein Henker! Gib
An niemanden die Lust, dich zu mißhandeln,
An keinen, nie und nimmer! Nur Verzweiflung
Sei dein Gemahl! Beschütte dich mit Flüchen,
Quäle dein Herz und stähl es gegen alles!
Des Herzens Qualen bändigt, der sie schafft,
Denn Leben wird erträglich, wertvoll nur,
Wenn es ein Wille hochmütig bezwingt.
Sein Sinn ist Schmerz. Weh dem, der sich ihm läßt!

- »Ja, ich will meine Qualen in mir nähren,
Wie einst Anachoreten glaubenswütig
In unheilvoller Inbrunst sich verzehrten.
Die Qualen will ich trinken wie ein Gift
Und trunken sein davon; mit Schrecken will ich
Die Tage mir umgürten, gleichsam wie
Ein Kirchturm sich begeistert, seine Trauer
Den fremden Horizonten hinzuwerfen.
Ein seltsam und geheimes Heldentum
Verlockt mich, selbst den Schmerz mir zu bereiten
Und so das Tier des Schreckens und der Leiden,
Das in uns haust, zu zwingen; ja, ich will
Mich grausam in mich bohren, Sieger sein,
Endlich ein Sieger, nicht mehr matter Träumer,
Nicht mehr Ekstatiker banaler Öde!« -

- Ja, sei dein Herrscher, deine Qual, dein Schrecken!
Schlachtfelder gibt es, die verlockend sind,
Die Männer wie aus Stein mit harten Händen
Erst pflügen müssen; schreckerfüllte Wege,
Wo dumpfe Schritte, dumpfe Tritte dröhnen;
Dort, auf den Felsen, die zinnobern funkeln,
Entflammt der Abend weithin Blut und Mord,
Dort glänzen, zwischen den verwelkten Blüten,
Die Schwerter des Verbrechens in der Sonne.