Franz Werfel - Der Weltfreund

Axel Juncker Verlag
Berlin
1911


Inhalt

Kindheit, Liebesgefühl
Das leichte und das schwere Herz
Wie nach dem Regen
Der Kinderanzug
Der Kinderfreund
Erster Frühling
Kindersonntagsausflug
An den guten Kameraden
Ich bin ein erwachsener Mensch
Wo ist
Der dicke Mann im Spiegel
Schlafengehn
Verliebte Frühe
Ich spreche einen Namen aus
Die Schöne und das peinliche Wort
Im winterlichen Hospital
Sterben im Walde
Der tote Freund
Armer Student, süße vornehme Frauen anbetend
Junge Bettlerin an der Krücke
Kronprinzenlied
Das Grab der Bürgerin
Die Freundlichen
Gottvater am Abend
Das schüchterne Lied
Das Abendlied
Das fromme Lied
Spaziergangs-Lied
Das Lied vom himmlischen Wort
 
Bewegungen
Die vielen Dinge
Die Instanz
Selbstgespräch
Große Oper
Sylvia
Katharina
Konzert einer Klavierlehrerin
Pompe funèbre
Das Gespräch
Variation
Der Getreue
Das Malheur
Erzherzogin und Bürgermeister
Nächtliche Kahnfahrt
Der Patriarch
 
Erweiterung, der Weltfreund
Der Wanderer wirft sich ins Gras
Des Wanderers Heimweh in die Welt
Der Wanderer kniet
Verwandlungen
Ode
Solo des zarten Lumpen
Die Sterbliche
Dampferfahrt im Vorfrühling
Der schöne strahlende Mensch
Der Weltfreund singt
Der Weltfreund, hoher Vollendung zuschreitend
Der Dichter
Triumph-Ode
Mein Mittelpunkt hat keine Kraft
Hundertfaches Dasein
Wanderlied
Des Menschen Bett
An mein Pathos
Bitte an den Dämon
Mitleid mit manchen Worten
Du braver Mensch!
Der kriegerische Weltfreund 
Ich habe eine gute Tat getan
Der alte Weltfreund
An den Leser
 
Nachtrag
Der dicke Mann im Spiegel (Erste Fassung)
An den Leser in der Nacht
Tropfen
Ewige Bestimmung
Schulgang
Achtzehnjährig
Das Alter
Der Kandidat
Aufschwung
Mittag in Chioggia

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Kindheit, Liebesgefühl

 

Das leichte und das schwere Herz

Das leichte Herz

Heute ist der Sonntag wirklich fein.
Daß ich mich unter hübsche Mädchen mische,
Steige ich schnell in die Elektrische ein.
Neuangestrichene Wagen! Das frische,
Das feuchte Rot! O kann es schöner sein!

Und draußen! Da werden Herrschaften reiten
Auf weichem Boden, o dumpfer tönende Hufe!
Ich will die schlanken Gestalten mit Blicken begleiten. -
- Dann auf den Wegen das Kinderspiel, o lustige Rufe,

O gute Zeiten, o sorglose Zeiten!

Das schwere Herz

Liebes leichtes Herz, an deiner Seiten
Darf ich ein Stückchen Weges schreiten?
Mein Sonntag ist arm, bist du nicht da. -
Erlaubst du es! - Ja?

Zu all deinen fröhlichen Sachen
Liebstes, leichtes Herz, will ich lachen,
Ach, zu all deinen Worten und Witzen.
Neben dir will ich niedersitzen.
In Himmelsblau und Militärmusik versinken,

Mit dir grüßen, sprechen und trinken,
Gehorchen deinen hüpfenden Launen,
Will mich stygischen schweren
Schatten von deinem rollenden Blute nähren,

Und dich nur bewundern und bestaunen. -


Wie nach dem Regen

Ich bin wie nach dem Regen
Der Stadtpark vor dem Haus.
Der Wind hat ausgekeucht,
Doch Bäum' und Beete sind noch feucht
Und wiegen mir und hegen
Die schönsten Tropfen Regentaus. -

Ich bin so ganz voll Feuchtigkeit,
Voll nassem Grün und Regenglück,
Weil ich dich heut' gesehn.
Darum möcht' ich auch nah und weit
Und wohl ein gutes Gartenstück
In mir spazieren gehn.


Der Kinderanzug

Mein alter Matrosenanzug! In dem ich noch farbige
   Spielkugeln fand.
Wie erinnert sich in deinen kindlichen Taschen meine Hand!

Bröseln von Frühstücksbroten, ein kleiner Hufeisenmagnet,
Ein Notizbuch, in dem »Verzeichnis von Lehrern
   und Mitschülern« steht.

Ich weiß: im Vorderhof stand eine Pumpe ganz in Stroh,
Da waren wir in der Zehnuhrpause froh.

Kruzifix, Kaiserbild, Tafel, Schwamm, Kreide und Stab,
Und die liebe grüne Bank, in die ich ein Loch geschnitten hab'.

Nachmittag um vier Uhr, wie liefen wir aus dem
   freundlichen Haus
Mit dem Fußball in die braunen zertretenen Wiesen hinaus.

Und es war stark und roh und reißend und toll,
Niemals mehr atmete ich so lange und voll.

Eins fällt mir ein: oft schaut' ich gebückt durch die Beine,
   wie durch ein Tor,
Und Sonne, Erde und Himmel kamen mir anders
   und fremder vor. 


Der Kinderfreund

Der Herr Professor griff heute mürrisch dankend an den Hut,
Und seine Brillengläser glänzten nicht mehr freundlich und gut.

Und doch weiß ich: Als man mich noch im Kinderwagen durch
   den Stadtpark fuhr,
Wartete er auf mich nachmittags täglich um zwei Uhr.

Man erzählt mir auch: Dieser so gelehrte Mann
Stand vor dem weißen Wagen, trieb allerlei Unsinn und
   strengte sich an,

Mich zum Lachen zu bringen, machte Duziduziduz,
   neigte sich auf und ab,
Kaufte mir Zuckerstangen, sprach komische Worte und lief
   nebenher im Trab.

O wie vergaß ich das! Nur manchmal zart und kaum
Denke ich an einen letzten weiten Traum.

An Augenbrauen, an Bart und Brille, ganz verwischt und weit,
An Himmel, Baumkronen und an eine unbekannte Bangigkeit.

Sie sagen auch: Ich hatte Furcht; kam er, weinte ich schon.
Und da ging er oft betrübt und bedächtigen Schrittes davon.

Heute sah ich den Professor. O Brille, Bart und altes Gesicht!
Aber es regnete. Er war verdrießlich und erkannte
   den Liebling nicht!


Erster Frühling

Geht man heut' durch den Stadtpark, ist das Stroh von den
   Beeten weg,
Und schon schwillt stellenweise aus dem Braun des Rasens
   ein grüner Fleck

Auf dem noch unüberkieselten Weg liegt Laub, Spreu und
   anderes Zeug verstreut.
Ihr starken Luftgeräusche! Woran erinnere ich mich heut'?

An mein Kinderzimmer, wenn jemand an der Nähmachine saß.
Vergessenes Duett: Nähmaschine und fistelndes Gas!

Lagen da nicht auch, wie heute, Laub, Spreu und anderes mehr, -
Bunte Streifen, Flicken, Bänder, Volants und Seidenreste umher?


Kindersonntagsausflug

Vom Quai steigt eine Treppe zu Dampfschiff und Booten.
Oh, Kindersonntagsausflug! Wie abenteuerlich kam mir das
   alles vor.
Strahlender Fluß, Frühlingshimmel, Regattakähne,
   Eisenbahnbrücke, Gerüste und Piloten,
Blauer Rauch in der Luft. O dünnes Gewebe, o schwacher Flor!

Ein enges Brett - schaukelnder Boden - ich dachte an meine
   Seegeschichten.
Worte wie Backbord, zwei Glas, Wanten, Lee, Marssegel
   fielen mir ein.
An einen kleinen Schiffsjungen dachte ich, an
   Matrosengesang und Ankerlichten,
An gieblige Hafenhäuser und Schenken, in denen betrunkene
   Holländer und Malayen schrein.

Auf schmalem Platz saß ich in meine ganz exotischen Phantasien
   eingefangen.
Meine Mutter löste beim Kassier eine Kinderkarte für mich.
Ich sehe noch, wie einige Nickelstücke wieder in ihr silbernes
   Täschchen sprangen,
Dann riß ein Mann an der Glocke - die Maschinen unter uns
   stampften und rührten sich.

Was ich alles auf dem rotweißen Dampfer erlebte:
   Wasserhosen, Zyklone,
Am Äquator riß uns Champagner, Heimweh und Stern-Nacht
   zu lautem Wahnsinn fort,
Am südlichen Wendekreis aber warf man ohne
Gebete und Tränen einen steinbeschwerten Leichnam über Bord. -

Oft sahn wir Land, Vulkane, weiß zugetürmte.
Insulaner schössen um unser Schiff und krächzten zu uns empor.
Und wenn das Meer glatt war, keine Wolke, kein Windvogel
   stürmte,
Warf man Geldstücke in die Tiefe, und Kinder tauchten danach
   und holten sie hervor.

Und als die Räder langsamer schlugen und wir zum
   Landungsplatz glitten,
Da erkannte kaum den einfachen Hügel mein Blick.
Ich ging ans Ufer mit kleinen, ganz unsicheren Schritten,
Und hörte wie im Traume vom Restaurationsgarten her die
   donnernde Militärmusik.


An den guten Kameraden

Guter Kamerad, den ich unter alten illustrierten Büchern aufgespürt,
Dein herrlicher Titel hat mich heute so gerührt!

Guter Kamerad! — Ich schlug dich auf — was ich da alles sah:
Bilder, wie Schlacht bei Waterloo; dann wieder nützliche
   Ratschläge: »Wie baue ich mir eine Kamera?«

Geschichten: Die Buren, Ferienreise, Onkel Fritz, Kaiser Julian,
Und vor allem von Franz Treller der trefflichste Seeroman.

Kleiner Schiffsjunge! Erich (hieß er nicht so?)
   mutig, gescheit, treu und sonnengebräunt.
   Edler Lebensretter, tapferer Knabe, Kamerad
   und erster Freund!

Wir beide, wir wußten damals, in jener guten Zeit,
In Schiffstakelung, Windnamen und Matrosenliedern wohl
   Bescheid.

Auch ich sprach plattdeutsch, als ich noch am kleinen Flußhafen
   stand,
Einen Dreimaster erträumend in diesem engen,braunen Wasserband.

Und erst die Stelle! - Ich weiß noch die Seite -
   o Tränen, die ich hier niemals überwand,
Wo Erich auf Lombok im dichtesten Feindesgewühl den alten
   gemütlichen Sachsen wiederfand.

Guter Kamerad! ich war dir dankbar für all die Gaben, die ich
   von dir empfing,
Und du wußtest es auch, denn mir war's, als ob eine leichte Brise
   von Kindheit und Seeluft durch die bewegten
   Blätter ging.


Ich bin ein erwachsener Mensch

Ich hab' so ein Verlangen
Nach Mitleid und nach Zärtlichtun.
Ich möchte nun
Im Bette liegen stundenlang,
So kindergut, so fieberkrank
Und liebe Hände langen.
     Ich hab' so ein Verlangen.

Kein Mensch will mich bewachen,
Und niemand hätschelt mich und summt.
Ach, alle Freundlichkeit verstummt,
Und keine kleine Lampe brennt,
Und niemand, der mich Bubi nennt,
Kein Spielzeug und kein Lachen.

Wer streichelt meine Wangen?
     Ich hab' so ein Verlangen.


Wo ist . . .

Ich trage viel in mir.
Vergangenheit früherer Leben,
Verschüttete Gegenden,
Mit leichten Spuren von Sternenstrahlen.
Oft bin ich nicht an der Oberfläche,
Hinabgetaucht in die fremdeigenen Gegenden bin ich.

     Ich habe Heimweh.
O Reste, Überbleibsel! o vergangene Vergangenheit!
Wie nach der Kindheit Heimweh,
Wie nach dem hohen Kindersessel Heimweh.
Wie nach vergessenen Personen Heimweh.
     Heimweh,
Wie nach verlorener Zärtlichkeit von Menschen,
Die mich kalt ansehn
Und nicht mehr in die Wangen kneifen.


Der dicke Mann im Spiegel

Ach Gott, ich bin das nicht, der aus dem Spiegel stiert,
Der Mensch mit wildbewachsner Brust und unrasiert.
     Tag war heut so blau,
     Mit der Kinderfrau
Wurde ja im Stadtpark promeniert.

Noch kein Matrosenanzug flatterte mir fort
Zu jenes strengverschlossenen Kastens Totenort.
     Eben abgelegt
     Hängt er unbewegt,
Klein und müde an der Türe dort.

Und ward nicht in die Küche nachmittags geblickt,
Kaffee roch winterlich, und Uhr hat laut getickt. -
Lieblich stand verwundert,
Der vorher getschundert,
Übers Glatteis mit den Brüderchen geschickt.

Auch hat die Frau mir heut wie immer Angst gemacht
Vor jenem Wächter Kakitz, der den Park bewacht.
     Oft zu schnöder Zeit
     Hör' im Traum ich weit
Diesen Teufel säbelschleppen in der Nacht.

Die treue Alte, warum kommt sie denn noch nicht?
Von Schlafensnähe allzuschwer ist mein Gesicht.
     Wenn sie doch schon käme
     Und es mit sich nähme,
Das dort oben leise singt, das Licht!

Ach, abendlich besänftigt tönt kein stiller Schritt.
Und Babi dreht das Licht nicht aus und nimmt es mit.
     Nur der dicke Mann
     Schaut mich hilflos an,
Bis er tieferschrocken aus dem Spiegel tritt.


Schlafengehn

Das Buch nun eilig zugeklappt!
Die Lampe ausgedreht!
Es schlägt schon zwölf, - so spät, so spät . . .
Im Nebenzimmer tappt und schlappt
Die Dunkelheit und knackt und schnappt
In Tisch und Kasten, Stuhl und Schrank;
Vielleicht geht ein Gespenst und spukt
Bedächtig über Flur und Gang.
Ein schwarzer Affe, der sich duckt . . .
     Was tut's?
     Bin guten Muts.

Meine Gefühle sickern durch Siebe,
Rinnen langsam und brav.
Nur im letzten haftet geheimste Liebe
Und Sehnsucht, die Sehnsucht nach Schlaf.
Ein paar verspätete Gedanken
Schlurfen aus der Finsternis vor,
Sie stehen noch zusammen und zanken,
Wie alte Weiber vor einem Tor.


Verliebte Frühe

Das Gehölz wirft sich im Wind
Wie ein Schläfer in erster Frühe.
Schon schmolz die eiserne Nacht.

Mein erwachtes Blut,
Flüssiger rinnt es
In den durchsichtigen Morgen hinein.

Ach, mein neues Gefühl!
Gestern legt' ich's neben mich,
Nun richtet sich's blinzelnd empor.

An den Mittag denkt meine Verliebtheit,
An ein Pflaster mit breiten Sonnenpfützen
Und an eine Gestalt. . .

Viele Stunden sind es bis Mittag,
Viel Zeit noch zur Vorfreude.


Ich spreche einen Namen aus

Von Fahrt und Wanderungen,
Die mich in Wiesen und Ortschaft luden,
Kehr ich zurück in mein Zimmer.
Alles ist wie immer.

Nun hole ich wieder deinen Namen hervor,
Mädchen, das ich nur aus Gesprächen und Worten kenne,
Nun lege ich wieder mein überströmtes Antlitz
In den Schoß deines Namens.


Die Schöne und das peinliche Wort

Du gabst mir ein böses, böses Wort.
Nicht bösen Herzens - doch mich traf das böse Wort.

Ich war ganz verlegen, rot und stumm,
Und die andern stießen sich und lachten um uns herum.
Die andern haben alle gelacht,
Aber mein Herz hat es schon ziemlich weit gebracht.

Da erkanntest du mein leidend-feuriges Herz und es tat dir leid.
Du wurdest rot - und ich schämte mich deiner Verlegenheit.

Und habe aus deinem bösen Wort ein lustiges Wort gemacht,
Gleich hat alles über meine feine Wendung gelacht.

Erstaunt und dankbar hat dein Blick in meinem geruht.
Ich war ein wenig stolz und gar nicht mehr unscheinbar,
Du aber wolltest mir Freude machen, warst lieb und wunderbar,
Und du, du, - (Herz, schüchternes Herz) - du warst mir eine
   Stunde lang gut.


Im winterlichen Hospital

Himmel wird sich bald entblättern,
Aber Licht ist noch genug.
Ach und kleine Stimmen, die ans Fenster klettern,
Von Winterwind ein Flug.
Und dunkle Sonne im Wasserkrug.

Draußen gibt es noch Blumen zu kaufen,
Da sind Kinder vorübergelaufen.
Doch der Hof tönt von behutsamen Schritten.
Die Erwachsenen haben zärtliche Sitten . . .

O Verband, der erlöst! - Nicht regen, nicht rühren!
Doch kann ich noch spüren,
Wie Bewußtsein mit Ruderschlägen
Vom Lande stößt.

Vorbei - vorbei
An Wildnis und Fläche!
Dort stürzen Bäche,
Schon atmet die Steppe,
Die ewige, frei. . .

Was tönt im Haus,
Gedämpft über die Treppe?
Ist die Besuchsstunde schon aus?

Jetzt liegen die kranken Brüder da,
Einen lieben Gegenstand in der Hand,
(Von Eau de Cologne ein frischer Flacon
Und rot ein neuer Engelhornband.)

Ich will nicht klagen, daß niemand
Im fremden Land
Meine Türe aufgetan,
Freundlich mir zugewandt,

Wer trat herein?
So leicht und unbefangen,
Mit einem lila Schal
Und tanzerregten Wangen,
Wie bei der Damenwahl?

Nun hat es sich doch erfüllt!
O Erinnerung! O Schlacht auf den katalaunischen Gefilden!
O Geschichtsstunden, wo wir uns einbilden,
Erschlagene Krieger zu sein!

Da kamst du immer, dem treuen,
Dem Knaben Blumen zu streuen.
So ist es wieder geschehn?
Schon stürzten die Speere und Schilde,
Nun darf auch mein armes Gefilde
In Abend und Tränen stehn.

»Schwester, so spät ist es schon?«
»Ja, ich bringe die Abendbouillon.«

Treibe - Treibe
Im Strome von dannen.
Rings breitet die Scheibe
Sich weiter Savannen.
An sandigen Stellen,
Im Dunkeln, im Hellen,
An niedrigen Feuern
Nach Abenteuern
Gelagerte Männer
Bereiten ein Mahl.


Sterben im Walde

Im Himmel, Grün, Wind und Baumdunkel verfangen,
Von Farren und Gräsern umwachsen Glieder und Wangen,
Bin ich im Walde melodisch zu Grunde gegangen.

Nun beginnt die süße Verwesung mich zu verzehren.
Ameisen und Raupen kriechen über meine Augen.
Und kein Wimperzucken will ihnen wehren.

Unten auf der Promenade spaziert ein internationales Publikum.
Entfernter Klang von Sand, Damenkleidern und Kinderstimmen.
Ich weiß: Viele elegante Leute gehen da herum.

Nadeln, Laub, Zweige und Tannenzapfen fallen auf mein Gesicht,
Und Fliegen, doch auch Bienen und Schmetterlinge verschmähen
meine Lippen nicht.

Oh, jetzt! Leise und dennoch mächtig angeschwellt
Beginnt sich das unvergleichliche Rigolettoquartett auszubreiten.

     Und meine Seele fällt ein:
     Du bist auf der Welt!
Und verteilt sich jauchzend nach allen Seiten.


Der tote Freund

Von Haß und bösen Tagen,
Die mich entzweigeschlagen,
Von Schicksal und von Schaden
Kam ich zu schönster Ruh.
Nun bin ich wie ein Laden
An Feiertagen zu.

Nichts unterbricht und stört
Meinen ewigen Gedanken,
Der dir alleine zugehört.
O nun, o Glück, bin ich doch, bin ich noch zu dir
gedrungen,
Du trägst mich ja um deinen Hals geschlungen,
Wie einen Schal an fröstelnden Abenden.
Oft zerreißt ein fremder Arm
Mein zartes Gewebe, das dich umgibt.
Sie wollen dich alle haben.
     Wer liebt?

Oh, ich wehender Geist!
Keinen Raum kenne ich mehr
Und muß dich wie ein Morgenlicht umhüllen.
Und mein letheischer Stoff ist da,
Die süßen Poren deiner Haut, Geliebte, auszufüllen.


Armer Student, süsse vornehme Frauen anbetend

Wenn ihr vorüberzieht
Leicht und erhaben,
Senkt sich das Augenlid
Schüchternem Knaben.

Wenn ihr zu Wagen steigt
Freundlich gelassen,
Wenn ihr im Gruß euch neigt,
Kann ich's nicht fassen.

Haus und Konditorei
Warten bescheiden.
Park läßt euch nicht vorbei,
Ohne zu leiden.

Kaufhaus, wie ihr gebeut,
Dient euch in Scharen,
Loge ist hocherfreut,
Euch zu bewahren.

Alle sind mehr als ich,
Sofa und Steine,
Ach, so verbleibt für mich
Sehnsucht alleine.

Abendlich angeschwellt,
Will ich enteilen.
In naher Villenwelt
Hügelwärts weilen.

Stampfend und schüttelnd g'nug
Reizenden Wegen
Trägt mich der Vorortzug
Dröhnend entgegen.

Scheinenden Pavillon
Will ich ersteigen.
Nacht, sie empfängt mich schon,
Wirtlich zu schweigen.

Will ohne Liebesdank
Talhin mich spülen.
Will nichts, als stundenlang
Fühlen und fühlen.


Junge Bettlerin an der Krücke

An deiner Krücke, liebliche Bettlerin,
Halte im Torbild weiße Narzissen feil!
In den Korb, den reizend dein Arm umschließt,
     Sinken Worte des Mitleids,
     Sinkt klapperndes Kupfergeld.

Und ich sah dich. Jauchzend faßt' ich mein Herz,
Pries und sang dich, schöne Gebrechlichkeit.
Auf in Tränen bäumte der Gott sich mir.
     Raffen wollt' ich den Flor,
     Überschütten mit Blumenware das Kind.

Wie da wüßt' ich! Was krank dem Menschensinn
Dünkt und gebrechlich, schön ist's im Weltenplan.
Jegliche Form entfacht, ergänzend, ein Herz.
     Armut, Gebrest und schwerer Gang,
     Dies auch, siehe auch dies ist Harmonie.


Kronprinzenlied

Ich mag nicht die vielen Zimmer,
Sie sind so erfroren und traurig,
Wie die schönen, schlanken Gesichter
Der lieben Eltern es sind.

Ich mag nicht die vielen Menschen
Hofmeister und Informatoren.
Sie zittern so viel und erschrecken,
- Ich rede doch gut mit ihnen -
Darum bin ich immer verlegen
Und schüchtern und weiß nichts zu sagen.

Ich mag nicht die vielen Wagen,
Ich habe Angst, mir will's scheinen,
Als wären die seidenen Polster
Mit roter Farbe getupft.

Ich mag nicht die vielen Pferde,
Ich glaube, sie sind keine Freunde,
Sie folgen nicht meinen Sporen,
Als hätten sie heimlichen Auftrag.

Ich mag nicht die vielen Zimmer.
Ich mag nicht die vielen Menschen.
Ich mag nicht die vielen Wagen.
Ich mag nicht die vielen Pferde.
Ich möchte, ich möchte sterben.

Oh, meine Eltern wären traurig!
Vielleicht würde meiner Mutter
Die niemals zerstörte Frisur aufgehn.
Vielleicht würde Ihr ruhiges Anlitz
Unordentlich werden.
Vielleicht würde meines Vaters
Glatter Anzug
Faltig sein.
Vielleicht würden beide
Über meinem Bette
Weinen.


Das Grab der Bürgerin

An Max Brod

Gegrüßt ihr Vöglein auf gebrochener Säule Schaft,
Gegrüßt, Symbole, beliebt und alt,
Gegrüßt, ihr mürben Schleifen, verlebtes Drahtgeflecht,
Gegrüßt, mein Eisenengel, betender!

Und nicht vergessen dich, geistiges Weidengevölk,
Euch Birken, dich Zitterpappel und den dunkleren Baum,
Umwachsenes Gitter, dich helle Bank, und nicht
Vergessen die hangende Zierlaterne.

Sonntags kommen die Lieben, die Kinder
Bringen die Blumentöpfe, die fleißig vergoldeten,
Und es opfert die herzige Tochter
Geheim und schamvoll die seidene Handarbeit.

Mutter, zarte Figur des Windes,
Kehre am Abend hier ein, betrachte
Deine Photographie im Rahmen und
Das Wachstum der gepflegten Hyazinthen.


Die Freundlichen

Liebender:

Nichts beklemmt mehr
Und nichts hemmt mehr,
Umgewandelt
Ist Charakter, Herz und Art,
Und mein ganzes Wesen handelt
Nur von deiner Gegenwart.
Und es war' nicht allezeit
Freundlichkeit und Freundlichkeit!

Alter Herr:

Kinderlein spielen gern
Vor meiner grünen Bank.
Blinkt mir ein Augenstern,
Bin nicht mehr schwach und krank.
Halbnackte Beinchen schlank,
Laufen von nah und fern,
Sehn sie den alten Herrn
Auf seiner grünen Bank.

Plappern mir sehr gescheit,
Wissen im Mantel weit
Tüten voll Süßigkeit.
Zuckerwerk teil' ich aus,
Mach' mich dann still nach Haus.
Ganz ohne Altersleid
Weiß ich die Abendzeit
Voll Freundlichkeit.

Die schöne junge Dame:

So viele Tänzer drängen
Und drängen sich an mich,
Mit all den jungen Herzen
Sprech' und scherze ich.
Niemand soll sich empfehlen,
Der mir nicht etwas dankt,
Wohl Handdruck und ein kleines Wort,
Daß er dran denkt in einem fort,
Und oft an träumerischem Ort
Nach meinem Bilde langt.

Blickt einer viel nach meinem Schuh,
Ich streife mir das Kleid nicht glatt,
Und laß ihm eine gute Ruh,
Daß er zu schauen Muße hat.
Ach, wer von meiner Seite tritt,
Geht mit verschöntem, edlem Schritt.
Ich freu' mich dann die ganze Zeit
Und zeige doppelt Freundlichkeit.

Ein alter Dichter:

Eh ihr in die starre Kühle
Losgelösten Daseins steigt,
Fördert eure Selbstgefühle,
Gegenseitig euch geneigt!
Seid ihr eignen Werts bewußt,
Müßt ihr richtig überfließen,
Denn ihr könnt die ganze Lust
Euch durchwandelnd erst genießen.

Der gute Geist beschließt:

Daß den Busen du erweiterst
     Mußt du freundlich sein,
     Mußt du liebend sein,
     Mußt du gut sein!
Wunder! Wie du durch den andern
   nur dich selbst erheiterst.


Gottvater am Abend

Wann habe ich angefangen,
Wann schuf ich, ihr Kinder, und wann
Werd' ich zu Ende gelangen,
Daß ich mich ausruhen kann?

Wenn ihr im Bette bescheiden
Mit plapperndem Stimmchen fleht,
Muß ich euch Kinder beneiden
Um euer Abendgebet.

Ihr wißt euch an einen zu wenden,
Und andre sind freundlich euch nah,
Und schlaft ihr, mit glättenden Händen
Streichelt euch eure Mama.

Und seid ihr erwachsene Leute,
Wohl streckt ihr die Arme aus
Nach Kindheit - o schmerzliches Heute!
Nach Garten und Straße und Haus.

Ich bin nie durch Zimmer gesprungen,
Trieb niemals am Spielplatz herum,
Und meine Erinnerungen
Sind ewig und alt und stumm.

Bin niemals hinausgetreten
In Schicksals empfangenden Pfad,
Zu wem soll ich Einziger beten?
Umringt von tausend Planeten
Weiß ich mir keinen Rat.

Nun sind die Lichtlein vergangen,
Nun schlaft ihr auf Erden geschart,
Nun wein ich in meinen langen,
Langen weißen Bart.


Das schüchterne Lied

Ach, von Ball und Tee
Möcht' ich ferne sein.
Herrin, deine Näh'
Läßt mich Armen doppelt erst allein.

Und wie lief ich gern
Zum Flußhafen dann,
Wo der Handelsherrn
Reiche Zillen liegen uferan.

Oder, wo in Reihn
Stockt der Wagen Lauf
Und mit Fluch und Schrei'n
Starke Männer Lasten laden auf.

Im Foyer herum
Ging ich gern gedrängt,
Wo das Publikum
Sich bewundernd eitle Blicke schenkt.

Gerne im Kontor
Saß' ich duldsam, still,
Und mit willigem Ohr
Hört' ich, was der Chef für Arbeit will.

Aber nahe dir
Bin ich ja so weit,
Und ich sitze hier,
Ein Verstorbener zur Erscheinungszeit.

Weinend an dem Ort,
Wo dein Bild nicht scheint,
Bin ich dennoch dort
Unauslöschlich erst mit dir vereint.


Das Abendlied

Die lieben Freunde haben's gut,
Sie reden mit dir frohgemut.
Sie treiben Unsinn, lachen meist,
Gefallen dir mit Witz und Geist.

Von deiner Nähe hingerafft,
Hab' ich zu keinem Scherze Kraft.
Mein Mund, der unterhalten soll,
Ist ja ganz andrer Worte voll.

Der Tor, der dem Gespräche schweigt,
Das zwischen allen sich verzweigt,
Am Abend, wenn er schlafen geht,
Spricht er sein trostloses Gebet:
     Wär' ich der Lahme, den
     Du heute angesehn
     Mitleidigen Gesichts!
     Du gabst ihm Blick und Gabe,
     Ich aber habe
     Von dir nichts.

War' ich dein kleiner Cousin - zehn Jahre alt,
Du führst ihn an der Hand - er wehrt sich mit Gewalt!
     Ich wollt' an deiner Seiten
     Nicht wild sein, nicht mich rühren.
     Ich ließ' mich süße Zeiten
     Von deinen Fingern führen.
     Wie wenn ich es schon wüßte,
     Daß ich im späten Schmerz
     Mich dran erinnern müßte.

O käme eine Weile
In diesem Sommerlauf,
Daß ich vor dir mich könnte
In Tränen lösen auf!

Ich wollte als ein Flüßlein
An dir vorübergehn.
O möchtest du mit Weid' und Wolke
Dich in mir besehn!


Das fromme Lied

Du sammelst mich in diesen Stunden.
Am Tag bin ich verstreut.
Nun hast du mich zu schönem Strauß gebunden . . .
Fromm bin ich heut.

Jetzt kenne ich die Frömmigkeit von alten Damen,
JDie viel in Kirchen gehn,
Ich nenne einen heiligen Namen . . .
Mir kann nichts mehr geschehn.

Wenn ich die Bitternis erwäge
Und Ärger, Schmerz und Wut -
Da ich mich nun zu Bette lege,
Bin ich in deiner Hut.

Nie dürft' ich mit dir Zwiesprach halten,
Bist ja so göttlich weit,
Doch fühl' ich sterblicher dein Walten
Zu jeder Zeit.

Ich werde morgen dich vielleicht beim Rennen
In leisen Farben schweben sehn,
Und von der Ferne noch einmal erkennen . . . :
Mir kann nichts mehr geschehn.


Spaziergangs-Lied

Gärtner schieben auf den Wegen in Schubkarren
Weiche Schollen und gehäuftes Laub daher.
Wie ein Wasserfall mit winterstarren
Strahlenarmen fließt der Trauerbaum zur Erde schwer.

Auf den Rasen schleudern, lange wird es nicht mehr dauern,
Starke Jungen ihren Lederball.
Nun zur Stadt gewandt! Auch schon um ihre Mauern
Schweifen Nebel überall.

Und beim Neubau: Schön und zur Genüge
Steht das Haus mit Erkern und dem Tor,
Aber Krahne ziehn und Flaschenzüge
In die fast schon dunkle Höhe immer neue Last empor.

An des großen Hafens dunkelbunten Fluten
Weilt mein Weg, der über Brücken führt.
Ringsum seh' ich selbstbewußte Luxusdampfer, Segler,
   Schlepper, doch auch kleine Kohlenschuten,
Die ein unbegreiflich starrer Wille durcheinanderführt.

Aber an dies alles bin ich kaum verloren.
Nicht an Hafen, Neubau, Stadt und Rasen, Gärtner, Baum;
Nein, es schwingt vorbei an Aug und Ohren,
Wie ein letzter, grenzentrüber Morgentraum.

Denn ich bin so ganz in dich versunken,
Daß kein Sinn den Trank der Welt genießt,
Bin in deinem Namen schon ertrunken,
Der mir unaufhörlich wie ein Bach vom Munde fließt.


Das Lied vom himmlischen Wort

All diese Gegenwart umspült
Das Inselchen von schmalen Tagen.
Die fünf kleinen Freuden, die ich gefühlt,
Schweben wie fünf Bäume auf, von leichtem Grün getragen.

Nun werd' ich nimmermehr verlassen sein.
Wie soll ich mich bei dir bedanken?
Kein Lied ist mir ja rein,
Kein Sinn wohl ohne Schranken.

Der liebste Reim scheint leer,
Will mir zum Gruß nicht passen.
Und doch gibt es ein Wort, so hoch vom Himmel her . . .
Allein, wer darf es fassen?

Ein Wort — und frei vom Gegenstand.
Nicht Birke, Villa, Kahn, Frühjahrskostüm, Aprilenbläue.
Doch auch nicht eines, fern von Aug und Hand,
Nicht Sehnsucht, Schüchternheit und Treue.

Ein Wort - und so von ganzer Welt durchtönt!
Von Sonnenfinsternis und kleinstem Spiel durchflutet;
Ein Wort, das jedes Todesröcheln stöhnt,
Sieg dröhnt und schüchtern sich verblutet.

Ein Wort - und nur für dich -, das zartbewußt
Den Schlüssel führt zu abgesperrten Zügen,
Daß, wenn sie's hört, wohl jede liebe Brust
Entschluchzt vor Wehmut, göttlichem Vergnügen!


Bewegungen

 

Die vielen Dinge

Umflatternd die belustigten Personen,
Schwirrte dein Lied den Lampenkranz entlang.
Ich sah dich an und weinte. Mich bezwang
Dein Dasein. Könnt' ich's irgend doch belohnen.

In Tränen blickend! Bühne, Lusterkronen,
Ein alter Herr, der weise sich betrank . . .
Da rief ich aus in weichem Überschwang:
Wie schön ist es, daß wir in Formen wohnen!

Was in und über mir ist, sprach verschmitzt:
»Du bist es selbst, was nimmer du besitzt,
Und nennst es: Wein, Greis, Mitzi, Rosen!

Bist eins mit ihm und wirst es nie verstehn,
Du liebst, und liebst dich selbst als Irgendwen.
O du Gestalt des ewig Wesenlosen!«


Die Instanz

Ich fühle stets in mir ein hohes Wissen,
Das richtend über aller Handlung schwebt,
Das unbewegt sich ewig überhebt,
Und nicht Verstand ist, Seele, noch Gewissen.

Aus meinem Menschlichen emporgerissen,
Das dumpfzweieinig aneinanderklebt,
Schlichtet und ordnet es, was ich erlebt;
Fühllos, doch klug und reinlichkeitsbeflissen.

Dennoch ist dieses Wissen mir kein Schild
Vor sünd'gem Tun und sündigen Geschicken.
Nein, es betrachtet nur mein Lebensbild
Zuschauerhaft mit gönnerischem Nicken,
Doch nicht begreifend, daß mein Leben schwillt
Und es verschlingt in vollen Augenblicken.


Selbstgespräch
Leib und Geist

Inhalt aller Tage!
Ausgang alles Tuns!
Leichtestes, o sage,
Was verschmähst du uns ?
Warten doch und weinen
Leid und lebelang,
Willst dich nicht vereinen
Unserm Doppelklang.

Loben von oben,
Wenn wir erhoben,
Doch sind wir zerstampft
Zu Boden gekrampft -
Bedauern, betrauern,
Und immer nur lauern,
Von ganz anderswoher lauern.

Das ist von dir häßlich,
Nicht geschwisterlich.
Und wir ersehnen doch so unermeßlich
Dich, unser Ich!

Die Instanz

Ihr könnt nur inkommodieren
Mit eurem Jammern und Beten.
Was? Ihr seid doch engagierte Akteure!
Also auftreten! Auftreten!
Ich mach mir's bequem und höre.
Nur schnell will ich noch den Bleistift spitzen,
Leis, daß ich nicht störe;
So! jetzt mache ich mir Notizen . . .
Was heult ihr? Geht mich nichts an! Woher?
Ich schau euch zu. Nichts mehr;
Los! Spielen!

Schicksal und Leidenschaft laß durcheinanderrollen!
Ich will euch sagen, ob mir die Szenen gefielen.
Am Ende sollen
Katastrophe und Untergang alles in schönen Brand
   versetzen!
Hört ihr! Ich will mich ergötzen.
Geschlachtete Blumen mögen mit euerm Blute fließen,
Sturm und Gewitter zusammen sich ballen!
Wohl! Viel Aufwand wird mir gefallen.
Ich will ein grandioses Finale genießen.

Was springt ihr von der Bühne? Zurück!
Keine Freundschaft!
Ich! will! mein! Stück!


Große Oper

O stünde ich am Dirigentenpult,
Die nun gelaßnen Arme zu entketten!
Die Leidenschaft in Rhythmen hinzubetten!
Hah! alla breve Takt voll Ungeduld!

Nein, mehr, verfolgt von Weiberzorn und Huld,
O könnt' ich mich in Bühnenecken retten,
Und flammend in Duetten und in Stretten
Aufstrahlen: »Rache, Liebe, Tod und Schuld!«

Wie wunderbar! Mein weicher Sitz entschwand.
Emporgehoben leicht verließ ich ihn,
Und jetzo, wie durchschauert's meine Nerven . . .,

Steh' ich aufschaukelnd, Arme ausgespannt,
Bereit, von himmelhohem Trampolin
In das Finale mich hinabzuwerfen.


Sylvia

Vom Cakewalk der Musik emporgetragen
Entschwebt sie unschuldsreich zu den Soffitten,
Und weiß nicht - o bescheidne, liebe Sitten -,
Daß Lichteffekte Mäntel um sie schlagen.

Die Truppe darf den Blick nicht von ihr wagen.
Und links und rechts gedrängt. . . Sie schwebt inmitten,
Die vielen aufgehobnen Hände bitten;
Sie hält. Schon wirbelt alles, Glieder jagen.

Im Nu stehn beiderseits die Pyramiden.
Zwei Knirpse haben oben toll begonnen,
Sie kreisen waagrecht auf der Brüder Sohlen,

So wie beim Feuerwerk im Kurparkfrieden
Ums Mittelstück die strahlenkalten Sonnen
Sich rasend drehn und noch im Drehn verkohlen.


Katharina

Ja, selbst die grüne Lampe im Kontor,
Die sorgsam über ihrem Scheitel hängt,
Ist ihr ergeben. Ach, die treue schenkt
Den leichten Schultern einen Abendflor.

Und Ziffern staunen großen Augs empor,
Die ihre Hand in die Rubriken lenkt.
Sie schwärmen aus der Feder dichtgedrängt,
Um ihr zu dienen, schmeichlerisch hervor.

Wie hochgestimmt ist erst das Personal,
Bis zu dem Burschen, der die Briefe reicht;
- Als wär's ein Ausflugstag mit einem Mal. -

Und, wenn sie schüchtern bittend ihm ausweicht,
Ist der sonst ach so dunkle Prinzipal
Gemütlicher, zartfühlend und erweicht.


Konzert einer Klavierlehrerin

Die dicke Dame mit den Sommersprossen,
Die tief sich in die Dekolletage wagen
-Ich wünsche Bluse ihr und steifen Kragen -,
Sitzt schon am Flügel, fett und hingegossen.

Die Noten ziehn gleich Pompefunèbre-Rossen.
Chopin, der Trauermarsch . . . und so getragen . . .
Ich fühle nur ein leeres Mißbehagen,
Von dieses Weibes Übermaß verdrossen.

Die Schülerinnen sitzen in der Runde
Und tun entzückt und hassen sie im stillen.
Zehn Rosenkörbe glühn wie milde Fackeln

Aufleuchtend lieblich aus dem Hintergrunde,
Und schauen aus geängstigten Pupillen
Auf ihre Brüste, die im Takte wackeln.


Pompe funèbre

Schwindsüchtige Rappen mit durchnäßten Decken.
Die Deichseln biegen sich vor Rost und Frost.
Asthmatisch keucht die schwarze Himmelspost
Und weckt ringsum Beängstigung und Schrecken.

Der Himmel flennt aus schweren Tränensäcken,
Am Boden rinselt's bräunlich dick wie Most,
Und die Allee, bergauf führt sie nach Ost
An hagern Stämmen, die sich frierend recken.

Zwölf Kerzen humpeln qualmend um den Wagen.
Was sperrt den Weg? Ein Pfluggespann, zwei Rinder.
Der Bauer will sie fluchend seitwärts jagen.

Den Zug eröffnen zwanzig Waisenkinder,
Die in den Händen lose Rosen tragen.
Und hinten schwimmen Schirme und Zylinder.


Das Gespräch

Emporgestreckt ins gotisch Grandiose,
Gesicht und Körper höhnisch zugespitzt,
Von überlegnem Perisprit umblitzt,
Wächst fuchtelnd er beinah ins Grenzenlose.

Der Andre eingequetscht, mit Dulderpose,
In seine eigene Feigheit ganz verfitzt,
Die bleich im Auge und im Anzug sitzt
- Besonders in der Demut seiner Hose!

Ein Wort. Die ganze Situation,
Gesetz des Wachstums plötzlich aufgehoben . . .
O räumlich Wunder! Neue Proportion!

Der Lange wie ins Fernrohr eingeschoben,
Allein der Kleine in Triumph und Hohn
Blüht fett und breit und selbstbewußt nach oben.


Variation

In seine ungeheuere Statur
Des Gegners schmale Kränklichkeit verschluckend,
Wirft er den Bauch heraus, daß plötzlich zuckend
Der Hirschzahn aufschrickt an der Silberuhr.

Unlogisch, aber jedes Wort ein Schwur,
Begeisterungsentflammt und reichlich spuckend:
Der zweite wagt kaum schüchtern einmal muckend,
Ein - »ach Pardon« - und ein »Verzeihn Sie nur«.

Praeoccupatio und Rednerfrage!
In diesem feinen Kopfe unerlöst
Steigt ein Gebäu, notwendig, Stein bei Stein.

Tritt es zu Tag, o welche Niederlage!
Das prasselnde Organ des Feindes stößt
Und stürzt es um, mit einem einzigen Nein!


Der Getreue

So viele mit dir spielen,
Du spielst mit all den Vielen,
Mich aber merkst du nicht.
Ich bin im Hintergrunde
Dir nahe jede Stunde
Mit zugefrornem Munde
Und eisernem Gesicht.

Die dich gern unterhalten,
Sie mögen ruhig walten,
Sie sind kein Hindernis.
Es kommen immer neue
Und keiner, den ich scheue,
Denn ich bin der Getreue,
Und du bist mir gewiß.

Einst bist du abgedroschen,
Verblichen und erloschen,
Und keiner um dich her.
Dann werde ich mich wenden,
Zu ernten und zu enden,
Auf meinen festen Händen
Trage ich dich über mein finsteres Meer.


Das Malheur

Als das Mädchen die Schüssel fallen ließ, blieben alle
   Gäste anfangs stumm,
Nur die Hausfrau sagte etwas und drehte sich nicht um.

Das Mädchen aber stand regungslos, wie in unnatürlichen
   Schlaf gesenkt,
Krampfhaft die Arme zu einer rettenden Geste verrenkt.

Dem verlegenen Mitleid der Gäste hatte sich scheues
   Erstaunen zugesellt,
Denn sie sahen plötzlich Eine mitten in ein Schicksal
   gestellt.

Kamen schon die Stubenmädchen mit Tüchern und Besen,
   der Diener und selbst der Herr vom Haus.
Sie aber ging ganz wunderschön von Kindheit und
   Heimweh hinaus.

In der Küche setzte sie sich auf die Kohlenkiste,
   legte die Hände in den Schoß,
Und weinte vielfach, in allen Lagen, nach aller Kunst,
   voll Genuß, laut und grenzenlos.

Als man dann spät und geräuschvoll Abschied nahm,
War sie es, die wie aus Ehrfurcht das reichste Trinkgeld
   bekam.


Erzherzogin und Bürgermeister

Die Erzherzogin hatte eine wunderschöne, hohe und
   gerade Gestalt,
Aber ihr Gesicht, wie war das schon enttäuscht,
   schüchtern und alt.

Und der dicke Herr, der sie mit wehmütiger Verbeugung
   empfing,
War so aufgeregt, daß ihm manche Träne in den
   Wimpern hing.

Die beiden schauten vorbei und konnten einander nicht
   ins Auge sehn.
Nein! Als wären sie Kinder, die vor Erwachsenen stehn.

Die hohe Frau sagte etwas auf, wie einen
   Geburtstagswunsch, leise und verzagt.
Und er antwortete darauf, als würde er in der Schule
   Vokabeln gefragt.

Und während sie manches sprach, was dachte sie?
Gott, Gott, Gott! Wie gemütlich ist doch abends meine
   Bridgepartie!

Und er dachte traurig und gebückt daß er sogar einmal
»Hoheit« zu sagen vergaß,
Wie schön sich's sommermittags in Hemdärmeln bei
Tische saß.

Da wußten sie, daß sie einander müßten quälen, und
   erkannten ihr böses Los,
Und in diesen beiden Seelen wurde echte Einsicht groß.

Und als der Empfang zu Ende, sagte ich mir:
   Gott sei Dank,
Daß es zu keinem Skandal kam und das Paar nicht auf
   die Kniee sank,

Die Hände hob, abbittend Müh und Trübsal, die eins
   dem andern schuf,
Da doch Einanderfreudemachen schönster Menschenberuf.


Nächtliche Kahnfahrt

Tschibuktürke überm Ladenschild,
Was verbeugt sich dein verstorbnes Bild?

Mit dem Nacht- und Wassergang im Bund
Grüßt dein pfiffig zugespitzter Mund.

Während Boot und Welle steigt und taucht,
Zum gemalten Blau dein Pfeif lein schmaucht.

Und es spricht, der längst zerspalten ward:
Nimm mich mit auf deine Ruderfahrt!

Ach, wie Wasser drängend sich nicht läßt,
Halt ich dich mit leichten Farben fest.

Kind, vernimm zu nächtlichem Geleit:
Ewig sind wir. - Wahn ist alle Zeit!

Dieser Turban, der dich einst gerührt,
Wird von dir unendlich fortgeführt.

Dich und ihn gibst du im Wechsel preis,
Bis ihr wieder euch berührt im Kreis.

Den zur Kinderstund dein Auge sah,
Trauter Bruder, schmauchend ist er da.

Tschibuktürke überm Ladenschild,
Was verbeugt sich dein verstorbnes Bild?


Der Patriarch

Die Hütte, Schiffsgebälk, Öllampen, Fisch- und Trangeruch.
O könnt' ich hier - ein Patriarch - die atmende Gemeinde
   lehren!
Die harten Greise, hohen Bursche, all die Dirnen und die
   schweren
Schwieligen Schiffspatrone, kauend Priem und Fluch.

Woher und wann ich kam, o Bardenlied, doch mein Besuch
Heilt Kranke, meine Stimme schallt, die Seenot abzuwehren,
Göttlich erglänzt mir Stirn und Bart. Das Volk wird beide
   ehren,
In fernem Angedenken segnend Tat und Spruch.

Und wenn ich einst auf meinem Steinsitz, wie im Sinnen,
   stürbe,
Sie sollten mich begraben in der frostgeprüften Erde,
Wo über meinem Hügel Rentierherden weiden!

Nicht Kinderlust, nicht Kräuter würden auf der Böschung
   mürbe,
Wehmütter pflückten hier Salbei, zu nahender Beschwerde
Sich einen kräftig-heiligen Teetrank zu bereiten.


Erweiterung
- Der Weltfreund -

 

Der Wanderer wirft sich ins Gras

Ich bin müde, so marschmüd,
Ich bin schwer, so schön schwer.
Nicht müd bin ich, nicht schwer,
Nur marschmüd und so schön schwer.
Ich weiß, das kommt daher:
Die Erde liebt mich Reinen inniglich
Und reißt mich fest und fest an sich.


Des Wanderers Heimweh in die Welt

O erster Tag, in dieser frischen Zeit!
Mir ist so krank, mich nun zu lösen weit,
Mir ist so krank, zu ungemeßnem Ruhn
Mich ganz in dein durchwalltes Grün zu tun.
Steigt nicht der Lüfte brüderlicher Lauf
Mit Geisterwallen in das Rund hinauf?
Wär' ich der Hauch, der treulich mich umwellt,
Das goldene Flirren unterm bleichen Zelt!
Was bin ich in die Welt voll List gestellt,
Die Welt, die schnödes Wirken aufrecht hält?
Ihr grünen Seufzer hügelwärts geschwellt,
Ihr Schatten, die ihr über Flüsse fällt,
Was hält mich denn die böse Menschenwelt?
Ich möchte fort, ich möchte in die Welt!


Der Wanderer kniet

Gib nur, daß ich weinen kann . . .
Daß mich die Empfindung hinschmilzt,
Daß ich wie ein klares Wasser
Über deine Felsen tropfe
Und durch deine Wiesen laufe,
     Liebe Erde!


Verwandlungen

Schmerz, Erzeuger du der Gefühle und Urgott,
Stürz herab, Erzengel mit eisernem Antlitz,
Und dein Flug zerballe des kleinern Denkens
     Gleichmut und Ärger!

Wie Papier zerknittre die friedliche Ortschaft
Meiner Seelenruh, daß Dachfirst und Schornstein
Im Gewitter und Dampf des plötzlichen Bebens
     Prasselt und einbricht!

Oh, dann wirf dich in die eigene Flamme!
Nochmals schäumt sie empor und senkt ihre Köpfe.
Rauch und Ruinen verläßt du, verwandelte Gottheit,
     Wonnigste Rührung!
Deinem Aug entspringen zarte Gewässer,
Und schon läubt sich und lacht das schwarze Gemäuer.
     . . . . . . . . . . .


Ode

Schon naht die schmerzliche Stunde der Geburt
Da er sich selbst gebiert, der hinfällige Mensch.
Es zeuget der zuckende Körper
Den leuchtenden Engel der Seele,
Die süßeste Frucht
Irdischer Schwangerschaft.

Laß mich dich singen, Gewichtzerbrecher!
Laß mich dich singen, dunkler Gast!
Laß mich dich singen, schwere Stunde
Schönster Verwandlung!

Heiße die Uhren schweigen,
Daß in ihnen die Zeit, das Ungeheuer erstickt!
öffne verschwiegenste Tore,
Daß mir der unendliche Raum
Durchsichtig sei!

Schon klärt sich Zeichen und Wunder,
Denn die Fessel des Verstandes fiel,
Und mein Geist ist eine einzige
Riesenempfindung.

Über den Türmen trillern die Lerchen,
Über den Hügeln wandern die Falken,
Über den Gebirgen kreisen die Geier,
Über den weißen Adlern des Himalaja
Ruhe ich.

Meinem seraphischen Gleichmut
Entrollt sich, nimmer getrübt,
Das leidenschaftliche Bild
Der wechselnden Welt.

Ich stürze mit den dröhnenden Kometen,
Und bin nicht gebunden an ihre Bahn.
Ich hocke in einem dunklen Hausflur,
Und bin nicht gefangen von Tag und Nacht;
Ich wohne in einem liebenden Herzen,
Und bin nicht gezügelt vom Andrang des Bluts.

Eine Wandlung trennt mich vom Höchsten nur:
Noch bin ich Wesen,
Noch bin ich Person!

Schon naht die schmerzliche Stunde.


Solo des zarten Lumpen

Nun wieder eine Nacht durchjohlt,
Ist rings der Stadtpark aufgewacht.
Allee, der Wasserfall, ein Vogelzwitschern ohne Mühe.
In der durchsichtigen Frühe,
Nach falschbekränzter Nacht
Hast du mich eingeholt.

Wie ich dich gestern sah . . .
Bewegte Straße glitt
Dein Gang. Wer dürfte frevelnd sagen,
Daß unter Röcken und Jackett so leicht getragen
Sich mehr verbarg als Atemzug und Schritt,
Du Schlanke fern und nah!

Gefühl, geheimer Sinn Und ein Gedanke kam.
Elysisch aufgeregt blick' ich zum leichten Himmel hin,
   zur leichten Erden.
Heiraten wirst du, du wirst Mutter werden! -
Warum zerschmilzt mich Scham?
Was reißt mich Wonne hin?

Noch höher bist du bald
Und weiter mir entrückt.
Denn was vergöttlicht? Leiden! Du wirst leiden.
Im Erker sitzen seh' ich dich verständig und bescheiden,
Von Schmerz und Glück bedrückt,
Nun mildere Gestalt!

In die Natur und Pflicht Wächst lieblich du hinein.
Ich aber treibe mich herum in parfümierten Vestibülen,
In überheizten Zimmern schwelge ich auf Pfühlen;
Du denkst an Dinge rein,
An Windeln, Kindgewicht.

Drum soll es so geschehn!
Von Wolken lieb umdrängt,
Zieh mir vorbei in Wind und solchem Morgen oben!
Ich will dich bebend hochbeloben,
Und Blick und Bart gesenkt
Vor dir in Andacht stehn.


Die Sterbliche

Ich bin so aufgeregt,
Hand an die Brust gepreßt,
Fühl' ich mein Herz, wie's schlägt
Und sich nicht sagen läßt.

Seh' ich dich irgendwo,
Löst sich mir Wunsch und Sinn,
Muß mich dann halten so,
Daß ich nicht stürze hin.

Aber ich staune nur,
Schließe die Augen zu,
Teilst du doch Menschnatur,
Eins sind wir: Ich und du.

Und ich vergehe fast,
Kann's nicht und nicht verstehn,
Daß Arm und Hand du hast,
Füße und schlanke Zehn,

Daß du von Erden bist
Oft Menschen übelwillst,
Daß du schläfst, trinkst und ißt,
Badest und Notdurft stillst.

Herrgott, der lebt und wacht,
Sag mir ein Herze an,
Daran ich Tag und Nacht
Weinen und weinen kann!


Dampferfahrt im Vorfrühling

In das wallende Gold schäumt der Kiel,
   aufspritzen Möwen und Gischt.
Erschreckte Wolken laufen davon und manche erlischt.
O heldischer Kampf am Himmel! Schmale Wolken
   sanken schwer,
Nun treiben skamandrische Leichen den Fluß daher.
Ans matte Ufer, ins nackte Gebüsch, in Bäume zerfetzt,
Auf Mühlen und Barken hat sich die Sonne gesetzt.
Wer vermag zu schaun und all die Wunder zu sehn,
Die an Leichtern, Fähren, Hütten und Netzwerk geschehn?
Die Seemannsschule, das hölzerne Schiffsmodell,
Noch mild belebt, wie blenden sie übergrell!
An Rahen und Masten, Barren, Reck, Ring und Tau
Turnen brennend Matrosen ins ratlose Blau.
Boote, emporgezogen ans Ufergleis,
Erstrahlen wild wie im plötzlichen Rampen weiß.
Fischerschaluppen, gestürzte Karren, Ruderzeug, Segel
   und Zelt
Sind wie Kulissen gerückt und zusammengestellt. . .

Die Triumphfahrt, von Flaggen und Wimpelflackern
   beschwingt,
Ist von rufenden Häuschen begleitet, von fliegenden
   Chören umringt.
Volksgesang und Dampfpfeife wetteiferten auf blankem
   Verdeck,
Mädchen lachen in Gruppen und helle Kommis stolzieren
   keck.
Und an Landungsstellen, wo das Wasser klatscht
   und die Planken stößt,
Wie sich die Sonntagswelle lachender Leute löst!
O Tanzlokale am Ufer, o Brüder, o Dampfer, Fährhaus,
   Erd und Himmelsgeleit!
Ich bin ein Geschöpf! - Ich bin ein Geschöpf!
   Und breite die Arme weit. . .


Der schöne strahlende Mensch

Die Freunde, die mit mir sich unterhalten,
Sonst oft mißmutig, leuchten vor Vergnügen,
Lustwandeln sie in meinen schönen Zügen
Wohl Arm in Arm, veredelte Gestalten.

Ach, mein Gesicht kann niemals Würde halten,
Und Ernst und Gleichmut will ihm nicht genügen,
Weil tausend Lächeln in erneuten Flügen
Sich ewig seinem Himmelsbild entfalten.

Ich bin ein Korso auf besonnten Plätzen,
Ein Sommerfest mit Frauen und Bazaren,
Mein Auge bricht von allzuviel Erhelltsein.

Ich will mich auf den Rasen niedersetzen,
Und mit der Erde in den Abend fahren.
O Erde, Abend, Glück, o auf der Welt sein!!


Der Weltfreund singt

Wer schmäht den Schmerz, der dich so schön verklärt,
Daß deine lieben Augen untergehn?
Du kannst nicht von der Welt! - Willst du's verstehn?
O Lust ist schön, und Schmerz sei hochverehrt!

Du kannst nicht von der Welt! Wie dieser Herd,
Wie jene Bürger, die spazieren gehn,
Wie Tote (selbst!), die nachts durch Stuben wehn.
Und nur was nicht ist, heißt bedauernswert.

Bedauernswert war noch dies Wort: Gluthränz!
Nun hab' ich es erschaffen. So erscheint's
Als Welterscheinung, nicht mehr zu beklagen.

Es schwingt und lebt im Konsonantenglanz;
Wenn ihr mißgünstig drüber lacht, so weint's,
Und wenn ihr freundlich seid, zeigt es Behagen.


Der Weltfreund, hoher Vollendung zusschreitend

Wie spannt sich heut' der ungetrübte Bogen,
Wie farbig wandeln all die Sonntagstrachten!
Zu Flaggenkranz, zu Strandkaffees und Yachten
Fühlt neuerstaunt mein Herz sich hingezogen.

Ich konnte einst, gedankenwärts betrogen,
Dies Prangen unbeteiligt kalt betrachten?
Wo nebenher doch Kies und Kleider lachten:
»Wir lieben dich, doch sei uns auch gewogen.«

Das Ding, das nun vorbeiläuft, wird gestreichelt!
Und weltbeliebt und dankbar so im Schauen,
Ruf ich anbetend: Mädchen, Schiff und Flut!

Geliebtsein hat mich reich emporgeschmeichelt.
Hinschwebend fast im Grünen und im Blauen,
Bin ich in Freude, bin in Rührung gut.


Der Dichter

Ich, nur ich bin wie Glas,
Durch mich schleudert die Welt ihr schäumendes Übermaß.

Die Andern sind, wie Eisen und Holz,
Auf ihren festen Charakter, die Undurchstrahlbarkeit stolz.

Manchmal schaun sie zu mir hin,
Und sehn mich nur, wenn ich vom durchdringenden
   Strom blind und qualmig bin.


Triumph-Ode

Gott mit dem zurückgebogenen Haupt,
Gott der verachtet Verachtenden,
     Heil!

Wie schreite ich mit erhabenen Schritten
Durch das Spalier der Lachenden.
     O kommt mir nah!
     Kommt mir nah!

Ich bin eine heiße, rotglühende Platte,
Rollt euch und zerfallt
     Wie dünne Blätter!

     Oder folgt mir!
     Folgt mir!
Meine Tiraden lauern in Hinterhälten
     Wie Armeen.
Sie stampfen euch nieder
Mit Pferd und Geschütz!

Lärmt und rast!
Rast und lärmt!
Meine Stimme ist gewaltig,
Edel und hoch!
Wie steigt sie schon

Über eure schmutzige Mittellage.
Wie weiße Raubvögel
Über krächzendem Dachvolk
Leuchten meine hohen Cs und Ds.


Mein Mittelpunkt hat keine Kraft

Mein Mittelpunkt hat keine Kraft.
Nichts reißt er mehr in mich herein.
Von allem bin ich hingerafft
Zu tausendfach zerstäubten Sein.

Alles, was mein Sinn erfaßt,
Jedes Haus und jedes Tier
Trägt zu seiner eignen Last
Noch ein Stück von mir.

So bin ich wohl in aller Welt,
Weil sie mich plündert und behält.

Ein windiges Gerüste ist mein Wesen,
Dadurch das räuberische Leben fährt.
Wo ist, wo ist der Besen,
Der mich zusammenkehrt?


Hundertfaches Dasein

Wie Horenkinder tanzgereiht der Uhr,
Entschlüpft Gestalt sekündlich der Gestalt,
Und ich betrachte alternd, endlich alt
Den Gänsemarsch der eigenen Figur.

Doch nicht die Letzte lebt im Wandel nur,
Das Kindlein blinkt noch her mit Lichtgewalt.
So trifft uns wohl in Nächten ätherkalt
Erloschener Gestirne Strahlenspur.

Und leb' ich nicht, wie mich ein Herz erkannt,
Als Schwächling, Trottel, Dichter und Brigant?
Und noch im Echo dieses Widerhalles?

Bin ich nicht, wo mein Name fällt, schon nah,
Wo ich gefühlt bin doppelt waltend da?
Denn Existenz ist Mittel, Wirkung alles.


Wanderlied

Glaubst du, deine Schritte sind vergangen,
Die einst kies- und straßenüber klangen?
Deine schwergesenkten, deine leichtgelenkten,
Deine volksvermengten, deine kindgedrängten,
Deine Schritte laufen oder schleppen
Ewig weiter über Weg und Treppen.

Glaubst du, deine Worte sind verloren,
Die dein wallendes Gemüt geboren?
Hangend in den Häusern, unter Toren,
Sinken sie in vorbestimmte Ohren,
Bilden sich zu wunderlicher Stunde
Und entflattern neu dem Enkelmunde.

Glaubst du, Sohn, du könntest dein sie heißen,
Schritt und Worte, die ins Weite reisen?
Oder wähnst du, daß der graue, alte
Ahnherr diese sprach und jene wallte!
Und ist gar aus diesem Lied zu lesen,
Daß du selbst der Bärtige gewesen?


Des Menschen Bett

Mein Bett, du ankerloses Schiff
In aller Nächte Ozean,
Du süßer Friedensinbegriff,
Hinschwebend ungeahnte Bahn!

Du bist das stille Futteral
Der Schwerkraft, die sich von mir trennt,
In dir fühl' ich mich jedesmal
Natur und Geist und Element.

Die Welt, die schüchtern sich versteckt
Und doch in meiner Seele ruht,
Hier hab' ich jauchzend sie entdeckt,
Mich hingegeben ihrer Glut.

Auf Gottes schöner, zarter Spur
Hinschwillt mein kleiner Spiritus,
Denn aller Erdenkreatur
Geheimste Sehnsucht ist Erguß.

Erguß in Ströme stärkrer Art,
- - Der Weg zu Gott ist nicht so weit -
Mein Bett, du Fahrzeug großer Fahrt,
Sei tausendmal gebenedeit!


An mein Pathos

Besser so: als daß mein Leid sich verkröche,
Und das Reptil meines Hasses zutiefst mir im Innern
Jedes Gefühl hinraffte. Ja, so ist es besser,
Daß vor dem Spiegel ich Worte und Gesten türme.

Schwäche und Feigheit, die alles verschluckt und
hinnimmt,
Kleinmütige Derbheit, die allem breitspurig entgegnet.
Darum lobe ich selbstgefällige Würde,
Meine erhabene, abendsgeübte Rhetorik.

Nach Perioden aufrichtigster Leidenschaften
Schlichtet mich diese äußerlich große Stunde.
Und mich feit vor Selbstmord und üblen Gedanken
Faltenwurf und Kothurn und tragisches Sprechen!


Bitte an den Dämon

Langausbleibender,
Beschwinge wieder den erstorbnen Busen!
Wie viele Wochen schon
Wandle ich ohne Gnade!

Langausbleibender
Regne mich ein mit Weisheit,
Denn ich kann nicht schlau sein
Und bin hilflos in den Ränken,
Die sie Arbeit nennen.
Regne mich ein mit Weisheit,
Mit Weisheit, die weinend versteht!

Laß mich wieder verstehn
Die unirdischen Augen der Hunde,
Den beseelten Rauch
Und die melodisch schweifenden Dampfer.
Laß mich wieder verstehn
Das Antlitz der geplagten Diener
Und den Streit der Sängerinnen!

Wecke wieder in mir
Wolken der jungen Bäume
Und das jubelnde Hyazinthenbeet!
Wieder angle der Denkende am Bache!

Führe über den weichen Plan
Die leichtgeschürzten, die Kinder,
Mit Reifenspiel, Croquet, mit Federbällen
Und den Spielzeugen ihres Mutes.


Mitleid mit manchen Worten

Ihr armen Worte, abgeschabt und glatt,
Die Sprache und die Mode hat euch satt,
Von zuviel Ausgesprochensein verheert
Seid ihr schon schal und doch wie sehr bedauernswert.

So abgegriffen seid ihr und poliert,
Daß jeder Konsonant an Stoß verliert.
Und was euch einst beschwingtes Leben gab,
Begriff, Gefühl, sie gleiten von euch ab.

Klingt ihr wo auf, gleich kommt mir in den Sinn,
Wie oft! eine alte schlechtgeschminkte Schauspielerin,
Die auf der Bühne routinierte, doch arg verblühte
Schritte macht,
Während im Parterre die erbarmungslose Roheit
zischt und lacht.

Oh, dann von Mitleid durchschüttert, schuf ich aus
euerm mißachteten Klang
Am liebsten den hehrsten, heißesten Gesang!


Du braver Mensch!

Wie soll ich vergelten?
O gutes Wort! O braver Mensch!
So heiter und gerührt bin ich!
O treues Wort, das mir dies Jahr
Bewahrt und aufhebt!
O du braver Mensch!

Wärst du bedürftig doch,
Daß ich dir helfen könnt'!
Wärst du krank doch,
Daß ich dich trösten könnt'!
Wärst du müde doch,
Daß ich dich betten könnt'!
Du braver Mensch!

O so laß mich wenigstens
Deine verstreuten Bücher einräumen!
O so laß mich wenigstens
Wasser in dein wartendes Glas gießen!
O so laß mich wenigstens
Deine kleine Lampe anzünden,
Du braver Mensch!

Ich bin so froh, seh' ich deine
Treuen Augengläser zwinkern.
Komm! Verschmähe mich nicht!
Freundschaft biet' ich dir an
Du braver Mensch!


Der kriegerische Weltfreund

Schon bin ich voll und klar,
Dem noch so arg zu Mut,
Der bös und bitter war,
Nun ist er gut.

Bosheit, die mich zerwirrt,
Rache und falscher Stoß,
Ach, meine Güte wird
An ihnen groß!

Schäumst du noch, dunkles Blut,
Wenn Hohn sich feig vermummt,
Sternaufgebäumte Wut,
Bist du verstummt?

Der sich zu Boden schmiß,
Keuchend und krankgehetzt,
Nachts in die Polster biß
Wie tönt er jetzt?

Bosheit und feigen Hohn,
Alles, was falsch mich haßt
- O wie stark bin ich schon -,
Lad' ich zu Gast.

Dämonen in Erz und Stahl
Wandeln sich, werden rein,
Stürzen mit einem Mal
In mich herein.


Ich habe eine gute Tat getan

Herz frohlocke!
Eine gute Tat habe ich getan.
Nun bin ich nicht mehr einsam.
Ein Mensch lebt,
Es lebt ein Mensch,
Dem die Augen sich feuchten,
Denkt er an mich.
Herz, frohlocke:
Es lebt ein Mensch!
Nicht mehr, nein, nicht mehr bin ich einsam,
Denn ich habe eine gute Tat getan,
Frohlocke, Herz!

Nun haben die seufzenden Tage ein Ende.

Tausend gute Taten will ich tun!
Ich fühle schon,
Wie mich alles liebt,
Weil ich alles liebe!
Hinström ich voll Erkenntniswonne!
Du mein letztes, süßestes,
Klarstes, reinstes, schlichtestes Gefühl!
Wohlwollen!
Tausend gute Taten will ich tun.

Schönste Befriedigung
Wird mir zu teil:
Dankbarkeit!

Dankbarkeit der Welt.
Stille Gegenstände,
Werfen sich mir in die Arme.
Stille Gegenstände,
Die ich in einer erfüllten Stunde
Wie brave Tiere streichelte.

Mein Schreibtisch knarrt,
Ich weiß, er will mich umarmen.
Das Klavier versucht mein Lieblingsstück zu tönen,
Geheimnisvoll und ungeschickt
Klingen alle Saiten zusammen.
Das Buch, das ich lese,
Blättert von selbst sich auf.

Ich habe eine gute Tat getan!

Einst will ich durch die grüne Natur wandern,
Da werden mich die Bäume
Und Schlingpflanzen verfolgen,
Die Kräuter und Blumen
Holen mich ein,
Tastende Wurzeln umfassen mich schon,
Zärtliche Zweige
Binden mich fest,
Blätter überrieseln mich,
Sanft wie ein dünner,
Schütterer Wassersturz.

Viele Hände greifen nach mir,
Viele grüne Hände,
Ganz umnistet
Von Liebe und Lieblichkeit
Steh ich gefangen.

Ich habe eine gute Tat getan,
Voll Freude und Wohlwollens bin ich
Und nicht mehr einsam,
Nein, nicht mehr einsam.
Frohlocke, mein Herz!


Der alte Weltfreund

Ach, in dieses Sonntags langen Stunden
Traurig fühl' ich mich der Welt verbunden,
Möchte gütig sein und bin gelähmt.
Und, wie könnte ich in allen Stücken
Diese ganze Außenwelt beglücken!
Aber Gott, warum bin ich verschämt?

Wenn ich in den Park hinüberginge,
Höflich grüßend ein Gespräch anfinge
Dort mit dem ergrauten Biedermann,
Würde sicher er sich nicht empören,
Nein, geschmeichelt und bereit zu hören,
Hielt er freundlich seine Schritte an.

Und was müht es, wenn wir beim Spazieren
Herzlich fühlend einen Baum berühren?
Seiner Seele sind wir überzeugt. -
Freude!! Wenn gehorsam einem Winde,
Der ihn faßt, er dankbar und geschwinde
Unserm Schritte sich entgegenbeugt.

Statt uns, nützlich allen, auszugießen,
Heißt es gut, sich tapfer zu verschließen.
Ängstlich ziehn wir tausend Panzer an.
Und wir halten uns, dadurch verbittert,
Ganz wie einen wichtigen Brief zerknittert,
Daß uns ja kein andrer lesen kann!

Und so leicht ist's, gute Blicke geben,
Hilfreich, selbst uns helfend zu erheben,
Kellner, Hund und Wohnung bleiben gut!
Ja, ich habe mich dazu entschlossen:
Liebreich sein und warm und unverdrossen
Sei mein künftiger Wahlspruch. - Also Mut!


An den Leser

Mein einziger Wunsch ist, Dir, o Mensch, verwandt zu sein!
Bist du Neger, Akrobat, oder ruhst Du noch in tiefer
   Mutterhut,
Klingt Dein Mädchenlied über den Hof, lenkst Du Dein Floß
   im Abendschein,
Bist Du Soldat oder Aviatiker voll Ausdauer und Mut.

Trugst Du als Kind auch ein Gewehr in grüner Armschlinge?
Wenn es losging, entflog ein angebundener Stöpsel dem Lauf.
Mein Mensch, wenn ich Erinnerung singe,
Sei nicht hart, und löse Dich mit mir in Tränen auf!

Denn ich habe alle Schicksale durchgemacht. Ich weiß
Das Gefühl von einsamen Harfenistinnen in Kurkapellen,
Das Gefühl von schüchternen Gouvernanten im fremden
   Familienkreis,
Das Gefühl von Debütanten, die sich zitternd vor den
   Souffleurkasten stellen.

Ich lebte im Walde, hatte ein Bahnhofsamt,
Saß gebeugt über Kassabücher und bediente ungeduldige
   Gäste.
Als Heizer stand ich vor Kesseln, das Antlitz grell
   überflammt,
Und als Kuli aß ich Abfall und Küchenreste.

So gehöre ich Dir und allen!
Wolle mir, bitte, nicht widerstehn!
Oh, könnte es einmal geschehn,
Daß wir uns, Bruder, in die Arme fallen!


NACHTRAG ZU >DER WELTFREUND<

 

Der dicke Mann im Spiegel
(Erste Fassung)

Der Mensch der aus dem Spiegel stiert
Mit wilder Brust und unrasiert
Das bin ich nicht

Ich geh im Grünen ja umher
Mit meiner Kinderfrau und schwer
Vom Schlaf ist mein Gesicht.

Wir gehn herum und dann und wann
Begegnet uns der Brezelmann
Und nickt mir zu.

Ist der Spaziergang abends aus
Dann mit der Straßenbahn nachhaus
Geht es in Ruh.

Zur Nacht gewaschen und gekämmt
Bin ich wohl schon im langen Hemd
Und zugedeckt.

Ach jene Frau geht mit dem Licht
Ganz leis heraus, daß sie mich nicht
Vielleicht aufweckt.

Doch bei des Lichtes letztem Schein
Schau ich mich in den Spiegel ein
Und schreie jäh

Drin steht ein Räuber dick und groß
Geht unerbittlich auf mich los
Und tut mir weh.


An den Leser in der Nacht

Ich nahe Dir von weitem
Und ziehe meinen Hut.
Beschließt Du diese Seiten,
Soll Dich mein Spruch begleiten:
O Mensch, ich bin Dir gut!

Du willst Dich schlafen legen?
Bist Du doch müde, nicht?
O horch, was allerwegen -
Es ist vielleicht zum Segen -
Dein Freund Dir wünscht und spricht:

Ich wünsche Dir, dem Guten,
Ein Herz, so treu und fest,
An dessen sanften Gluten
Sich's herrliche Minuten
Erhaben weinen läßt.

Dann wünsch ich Dir: Bisweilen,
Bist Du von Not entstellt,
Ein liebliches Enteilen
Durch neuergrünte Meilen
In Deine Kindheitswelt.

O sei im übervollen
Gelingen gut und mehr!
Wenn Deine Sterne rollen,
Veredle Dein Wohlwollen,
Dich und Dein Umdichher!

Dem Freunde zu gefallen
Sei, Liebling, treu und brav!
Die Worte sie verhallen,
Ich wünsche Dir vor allem
Den schönsten, tiefsten Schlaf.


Tropfen

Noch im Halbschlaf hör ich träge Tropfen
Aus der Wasserleitung niederklopfen.

Ich verstehe was sie sich erzählen,
Fadgeschwätzig. Es sind feige Seelen.

Wär's zu schwer nicht aus dem Bett zu steigen,
Hieß' ich gleich die Schwätzerinnen schweigen.

Doch warum verfinstern sich die Stimmen
Und beginnen plötzlich zu ergrimmen?

Träum ich schon? Das sind nicht mehr die alten
Tropfenweiber, die sich unterhalten.

In den Schlaf mir hohle Glocken schlagen,
Die vom Vater Regen öde Kunde klagen.


Ewige Bestimmung

Da plötzlich steh ich wie vor offnen Toren
Und seh mich gehen, hör mich Sätze sagen,
Ich weiß mich wagen und in allen Lagen
Des Lebens zag sein oder unverfroren.

Warum hört nie das Heimweh auf, zu nagen?
Ich frage mich, in seinem Traum verloren:
Wieviele Mütter haben mich geboren,
Wie oft noch wird man mich zu Grabe tragen?

Dann weiß ich Nachts, warum die Sterne klagen,
Die um ein Zentrum ihre Bahnen schlagen
Wie Sträflinge den Hof im Trab umjagen.

Doch bald begreift mein weltliches Behagen:
Es ist am Besten, wo die Wesen trubeln,
Sich durchzuleiden und sich durchzujubeln.


Schulgang

Oh, wie sehnt er sich nach seinem Bette,
Nach der süßen, kaum verlaßnen Wärme!
Ausgestoßen unter Menschenschwärme
Läuft er, rennt er durch die Gassenkette.

Uhren schlagen grausam um die Wette,
Stürzend sich auf ihn mit kaltem Lärme,
Und es brennen Magen und Gedärme.
Ach, daß er nur nicht verschlafen hätte!

Wie er springt! Er keucht und weint beim Laufen,
Bis im Schulhaus er, im Gange steht,
Und im Zimmer sieht das staubige Raufen.

Er faßt langsam: Es ist nicht zu spät...
Und er läßt sich nieder, zu verschnaufen.
Doch sein erster Laut ist ein Gebet.


Achtzehnjährig

Die Mutter weint. Papa spricht harte Worte.
Ich sitze still, im Tiefsten ungerührt,
Mein Herz, das sonst so rasch Zerknirschung spürt,
Fühlt sich so wohl an diesem Frühlingsorte.

Verfolgend an der Mutter Kleid die Borte,
Hör ich den Mann, den Haß und Ärger schürt.
Ach, bald werd' ich vom Schicksal abgeführt,
Und Elternseufzer bilden die Eskorte.

Ich und mein Schicksal laufen wohl zusammen,
Doch ist mir's fremd und nie und nimmer mein.
Ich fühle anders stärkeren Verein.

Hier, dieser Baum! Er steht in Mittagsflammen.
Wir finden uns an greller Sonnenstätte
Zu einem unbegreiflichen Duette.


Das Alter

»Franz ist seit einem Jahr definitiv« . . .
»Und Anna kann, gottlob, vor allen Dingen
Die Ferien im Badeort verbringen,
Denn ihre Galle« . . . »Gestern kam ein Brief« . . .

»Was schreibt sie nur?« . . . »Daß sie vorzüglich schlief« . . .
»Und Rindfleisch kostet« . . . »Was?« . . . »Marie lernt
singen«. . .
Die Alte sitzt. Matt ihre Finger wringen
Die fleckige Luft. Ihr Kopf schwebt leer und schief.

Das Zimmer dehnt sich wie ein Steppenreich,
Der Nacht Hochwasser tritt aus allen Falten,
Es wäre Zeit, die Lampe auf zuschalten.

Doch ist der Weg so weit, der Sitz so weich!
Schon wächst ringsum Gesträuch, sie festzuhalten
Mit Dorn und Zweig . . . Gott . . . Wo man schläft, ist gleich.


Der Kandidat

Nicola Dancic heißt der Kandidat,
Der auf der Insel Curzzola zu Hause.
Er trägt im Ohr der Bora Nachtgebrause,
Sein Fischerleib steckt steif im Prüfungsstaat.

Die alten Eltern leben von Salat,
Damit in Wien er einst als Doktor hause.
Nun starrt er auf des Prüfers Bartgekrause,
Das grau die Antwort sperrt wie Stacheldraht.

Die Pause dröhnt. Zwei Fragen sind versunken.
Der Prüfer trägt zum drittenmal vergebens
Die eigne Schweigenslast, als schliefe er.

Dann steht er auf und schließt das Buch des Lebens.
Doch Dancic sieht ihn nicht. Er schaukelt trunken
In greller Barke übers dunkle Meer.


Aufschwung

O Du mein Gott, was hast Du mich gebunden
An die Erscheinung, an die Form gekettet,
Daß ich, in trübes Siechtum eingebettet,
Mich müde schleppe durch die müden Stunden?!

O wäre ich durch alle Sternen-Runden
Als Äther, Stillstand, selbstlos hingeglättet,
Statt dem vererbten Körper angeklettet
Und seiner Lust und seinen lauten Wunden!

Nun Du ein Ich mir gabst und mich erschufst
Zur Schwäche-Qual und daseinsdumpfer Engnis
Und zu entwürdigender Selbstkasteiung,

Wie hör ich Deine Stimme, wenn Du rufst!
Ich fühle ganz mein herrliches Verhängnis.
Du rufst, Du rufst! - Ich bebe vor Befreiung!


Mittag in Chioggia

Mein Dampfer geht erst um 3 Uhr 30.
Ich sing vor mich hin diesen stolpernden Satz.
Die Peitsche der Sonne knallt über den Platz:
Der räkelt von Tauben beflattert und weiß sich.

Ein Pfaff treibt vorbei seine Schule bärbeißig.
In schlotternden Hosen schlurft Fratz neben Fratz.
Da plötzlich erhebt aus dem Bubengeschwatz
Die Stimme der eigenen Freunde so leis sich.

Mein Schulhaus ist längst verwandelt. Auch weiß ich,
Die Freunde treiben in fruchtloser Hatz
Ihr fremdes Wesen, gealtert und fleißig.

Hinschattende Tauben jagen im Kreis sich.
Von Morgenlicht gellt noch mein Mittagsplatz.
Und der Abend ist fern, auch um 3 Uhr 30.


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