Gedichte aus der Prosa - Franz Werfel

Franz Werfel

Gedichte aus der Prosa

 


Inhalt

Ich bin nicht, der ich war und bin
Die Schiffe ziehen dem Meere zu
Lied der Zyklamen
So voll war ich von innerem Gesange
Die Avenue ihr Luxus-Licht verschwendet
Eine Gotteshandvoll Licht
Gesang vom Kommen und Gehn
Sie kam aus ihrem Garten
Tiefes Geheimnis, unbegreiflich anfangloses
Die armenische Wiege
Der du deine Schöpferarme gegen die Sterne streckst
Mein Gatte mein Liebster dort oben
Unser Vater unser König
 

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Aus >Der Dschin<

Ich bin nicht, der ich war und bin.
   Wohin wohin
Ist, der ich war und bin?
Ich habe sein vergessen,
Ich habe ich nie besessen
Dies lehrte mich im Sturm der Feind, der Dschin.

Ein Heimweh ist entflammt.
   Woher es stammt,
Ich weiß es nicht. Doch bin auch ich verdammt,
Wie Hund im fremden Leib zu wohnen.
Das zeigen uns zweiköpfige Dämonen:
Verzaubert sind wir alle – allesamt!

Ich hinterlasse Tod.
   Das heilige Brot,
Genossen wird's zu Kot.
Wir selber sind einst ausgespiene Brocken
Mit unsern Brüsten, Fingern, Füßen, Locken -
So will's des Zaubers Bann-Gebot.

Wo ist er, der ich war und bin?
   Wo ist er hin?
Es zeigt ihn mir im Sturm kein Dschin.
Ach, mich verwunschenen Hund erlöst kein Löser.
Und ungeboren flieht die Welt der Äser
Mein reiner Leib, mein wahrer Sinn!


Aus >Verdi<

Die Schiffe ziehen dem Meere zu.
Ich lasse sie ziehen, die Barken der Inseln.
Ist die Geliebte dort, ist sie hier?
Die Freude gebe ich ihnen mit,
Aber die Rache behalt ich bei mir.
Ahime*!
Die Schiffe, sie ziehen dem Meere zu.
Die Rache behalt ich bei mir!

Ich habe sie alle geliebt mit meinen Küssen.
Mit meiner Stimme hab ich sie alle geliebt.
Nun schlagen die Glocken der Türme.
Der Tod knackt in Kasten und Tisch.
Ich aber rufe: Freude, Jubel, Freude!
Ahime!
Die Glocken des Todes schlagen,
Mit meiner Stimme habe ich die Schönen geliebt.

* Italienischer Ausruf. Entspricht ungefähr: o weh!


Aus >Die Entfremdung<

Wir sind ein Geschlecht der Berge,
Die herrlichste Sippschaft unter allen Veilchen.
Darum sind wir stolz auf uns.
Und grüßen einander,
Wenn unsere Nähe erklingt
Zwischen Moos, zwischen Wurzeln, Latschen und Steinen.
Allstündlich erzittern wir vor Freude,
Und die Freude allein
Macht stark den Duft und das Lied der Geschöpfe.
O so stark, o so ruhig ist unsre Freude!
Wie die witternden horchenden Tiere ihre Ohren
                                              zurücklegen,
So legen wir unsere Blütenblätter zurück
In anbetender Aufmerksamkeit,
Und öffnen unsren großen runden Mund,
Licht und Wasser zu empfangen.
Wir segnen die Elemente der Ernährung:
Licht und Wasser!
Wir fluchen nicht den Kräften der Zerstörung:
Nacht, Sturm und Frost!
Denn auch der Tod ist wohltätig,
Weil er nicht lange dauert . . .


Aus >Die Geschwister von Neapel<

So voll war ich von innerem Gesange,
Als mich der Morgen aus der Finsternis
Ins Leben und zum offnen Fenster riß,
Daß ich im Blau mir Aug wusch, Haar und Wange.

Kaum könnt ich wehren meinem Überschwange,
Wie sehr ich auch verständig mich befliß.
Das Werk des Tages tat ich ungewiß,
Weil ich so reich war und vor Reichtum bange.

Doch als die Stunde kam, die Frucht zu sammeln,
Da wehte ein Befehl von oben her,
Um alle meine Türen zu verrammeln.

So leer wie ich war keine Wüste leer.
Aus meinem Munde drang ein schweres Stammeln,
Und dieses auch verstummt nun mehr und mehr.


Aus >Die Geschwister von Neapel<

Die Avenue ihr Luxus-Licht verschwendet.
Doch setz ich in die Armenstadt den Fuß,
Empfängt Verfall mich, Schmutz und Spülicht-Guß.
Dort liegt ein Maultier, tot, noch kaum verendet.

Vom Urwald aber, witternd hergewendet,
Ein Volk von Geiern schwelgt, von Urubus,
Und hackt und prackt das Mahl zu rotem Mus,
Stets rückwärts hüpfend, wie vom Werk geblendet.

Ein Bild des heißen Alltags nur! Wer las es?
Und welcher Sinn ist dunkel eingestiftet
In dieses Vorgangs grausige Charade?

Ich weiß nicht. Doch, vom Leichengift vergiftet,
Ergreift den Geist aus dieser Welt des Aases
Ein großes Heimweh nach der Welt der Gnade.


Aus >Bekenntnis und Erinnerung<

Eine Gotteshandvoll Licht
Ward in einen schönen Mann gesenkt.
Er kann's nicht halten, er bezwingt es nicht.
Es wallt aus ihm, es drängt
Das herrliche Geschenk
Und wird sogleich Leib und Gesicht,
Und immer wieder Mensch-Blick-Bild und -Wort.
Wachsend fort
Von Licht-Geschaffnem zieht die Schar.
Sie leiden alle wunderbar,
Was auch mit armen Lauten jedes spricht.
Ach, was sie weinen, ist des Lichts Ermatten
Ach, was sie fluchen, ist des Lichtes Schatten
Ach, was sie bluten, finstres Licht.

Die Liebe war von Anbeginn
In dieser Seele tief gehalten.
Auf die entlaßnen Licht-Gestalten
Blickt sie so zart, so süß, so innig hin,
Daß die in Tod, in Streit, in Schwung und Trunk
In ihrer dumpfen Wanderung
Einhalten mit gebannten Gliedern
Und dieser Liebe Blick erwidern
Mit offnen Lippen, hehrstem Herz-Entzücken,
Mit Lächeln ewiglich gelösten
Auch uns entrücken,
Daß wir des eignen Lebens uns getrösten.

Wir beten drum: Lieb, daß du lang noch bleibest!
Wir beten so: Licht, daß du fürder leibest!


Aus >Die vierzig Tage des Musa Dagh<

Die Unglückstage ziehen vorbei
Gleich den Tagen des Winters, sie kommen und gehn.
Die Schmerzen der Menschen bleiben nicht lang,
Wie die Kunden im Laden, sie kommen und gehn.

Verfolgungen, blutige, peitschen das Volk.
Die Karawanen, sie kommen und gehn.
Die Menschen entkeimen dem Garten der Welt.
Ob Bilskraut, ob Balsam, sie kommen und gehn.

Nicht stolz sei der Starke, der Schwache nicht bleich!
Das Leben vertauscht sie, sie kommen und gehn.
Die Sonne strahlt furchtlos ihr ewiges Licht,
Die Wolken am Altar, sie kommen und gehn.

Die Welt ist ein Herbergshaus, Sänger, am Weg.
Die Gäste, die Völker, sie kommen und gehn.
Mutter Erde umherzt das gebildete Kind,
Unwissende Rassen verkommen, vergehn.


Aus >Die vierzig Tage des Musa Dagh<

Sie kam aus ihrem Garten
Und hielt an ihre Brust gepreßt
Zwei Früchte des Granatbaums,
Zwei glänzend große Äpfel.
Sie gab sie mir, ich nahm sie nicht.
Da schlug sie mit der Hand,
Da schlug sie mit der Hand sich an ihr Brustbein,
Schlug dreimal, sechsmal, zwölfmal,
Schlug, bis der Knochen brach.


Aus >Die vierzig Tage des Musa Dagh<

Tiefes Geheimnis, unbegreiflich anfangloses!
Du schmücktest die oberen Reiche als Vorhang
   des unnahbaren Lichts
Du schmücktest mit ruhmreicher Herrlichkeit
Die Heere der Feuerwesen.


Die armenische Wiege

In einer fernen Stube schaukelt
Ein Weib die Wiege hin und her.
Von grauer Dämmerung umgaukelt,
Sinkt ihr Haupt, von Sorgen schwer.

Die alte Frau hält einsam Wache
Und wärmt sich an des Herdes Glut.
Sie wiegt ihr Kind, das Kind heißt Rache,
Das lautlos in der Wiege ruht.

Ihm tönen keine Zärtlichkeiten,
Kein Lied, das süße Namen nennt.
In seinen Augen, die sich weiten,
Ein ungeheures Feuer brennt.

So grausam flammen diese Brände,
Und dennoch lautlos weint das Kind
Und ballt zur Faust die kleinen Hände,
Zu warten, bis sie größer sind.

Kein Ton der festversperrten Lippe
Verrät des Säuglings Todesmut,
Der hier in seiner Zedernkrippe,
Ein neuer Herr und Heiland, ruht.


Aus >Die vierzig Tage des Musa Dagh<

Der Du Deine Schöpferarme gegen die Sterne streckst,
Gib Stärke unsern Armen,
Damit sie, ausgestreckt, zu Dir gelangen!

Durch die Krone des Hauptes kröne den Geist,
Bekleide die Sinne mit dem Orarion,
Mit Arons blühendem goldenem Kleid!

Gleich allen Engeln, den theokratischen, herrlichen,
Sind wir angetan mit Deiner ummantelnden Liebe,
Dem Geheimnis, dem heil'gen, zu dienen.


Aus >Höret die Stimme<

Mein Gatte, mein Liebster dort oben, genieße,
Genieße die Feste, solange du lebst.
Geh abend zu Bett mit anderen Frauen
Und diene mit Eifrigkeit jeder Begier,
Dem Wein und der Jagd und dem Spiel und der Liebe.
Genieße die Liebe, solange du lebst.

Wir unten, wir schwanken in trauriger Wohnung.
Wir taumeln in mattem, in leiblosem Leib.
Wer denkt noch des Vaters, der Mutter, der Brüder?
Gleichgültig erkennt das Herz nicht sein Kind.
Vollkommener Tod! So nenn ich den Kummer.
Daß unsre Liebe in uns nicht mehr liebt.

Wer lebt, der trinkt das Wasser des Lebens.
Ich aber verschmachte im ewigen Durst.
Der Fluß fließt so nah, und ich dürste, ich dürste,
Und weiß nicht mehr, wer ich und wo ich hier bin.
Dann wein ich nach einem Luftzug vom Ufer,
Der mich an liebende Liebe gemahnt.


Aus >Stern der Ungeborenen<

Unser Vater, unser König!
Ich gehe voran, und ich folge der Bahre aller Zeitgenossenschaften.
Denn ewig währt Deine Gnade, die mich absondert.

Unser Vater, unser König!
Sie hassen und verachten mich von Abraham bis auf diesen Tag,
Sie schauen zur Seite und möchten mich los sein,
Denn ewig währt Deine Gnade, die mich absondert.

Unser Vater, unser König!
Und trotzdem bin ich ihr Arzt, und mein Sohn müht sich für ihre
Gerechtigkeit von Abraham bis auf diesen Tag.
Denn ewig währt Deine Gnade, die mich absondert.

Unser Vater, unser König!
Du wirst ihre Unruhe enden und ihnen Frieden geben, am Tage aller
Tage. Und dann, als Letzten nimm auch mich in Deinen Frieden auf,
Denn ewig währt Deine Gnade, die mich absondert.


 

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