Karl Kraus - Worte in Versen II



- Alle Texte sind orthografisch unverändert übernommen.
Die Anordung der Texte entspricht der Anordnung im vorliegenden Buch -


DEM PARK VON JANOWITZ

 

 

Zuflucht

Hab' ich dein Ohr nur, find' ich schon mein Wort:
wie sollte mir's dann an Gedanken fehlen?
Von zwei einander zugewandten Seelen
ist meine flüchtig, deine ist der Hort.

Ich komme aus dem Leben, jenem Ort,
wo sie mit Leidenschaft das Leben quälen
und sich die Menschen zu der Menschheit zählen,
und technisch meistern sie den Tag zum Tort.

So zwischen Schmach und Schönheit eingesetzt,
rückwärts die Welt und vorwärts einen Garten
ersehend, bleibt die Seele unverletzt.

Fern zeigt das Leben seine blutigen Scharten,
an mir hat es sich selber wundgehetzt.
Öffne dein Ohr, um meines Worts zu warten!

*

 

Abenteuer der Arbeit

Was leicht mir in den Schoß fiel,
wie schwer muß ich's erwerben,
bang vor des Worts Verderben.
O daß mir dieses Los fiel!

Zuerst war's in der Hand mir,
dann wollt' es sich entfernen,
da mußt' ich suchen lernen;
es schwindelt der Verstand mir.

Das Wort hier ist ein Zunder
für das an jener Stelle.
Gleich brennt die ganze Hölle.
Das Wort ist mir ein Wunder.

Wie öffnet es die Lider,
die sonst geschlossen waren.
Hier gibt es nur Gefahren.
Ich kenn' das Wort nicht wieder.

Tausch' ich es, wird's mich täuschen.
Wie es sich an mich klettet,
seitdem ich es gerettet
aus vielfachen Geräuschen.

Das was mir einfiel, hat mich,
der ich's nie haben werde,
ich steh' auf schwanker Erde
und setze selber matt mich.

Ich wähl' im Zweifelsfalle
von zweien Wegen beide.
Ich röste mich am Leide,
bin in der Teufelsfalle.

Ein unerschrockner Tadler
will ich mir nichts erlauben,
als aus dem reinsten Glauben
zu spielen Kopf und Adler.

Und wenn der Kopf aufs Wort kam
der Adler fällt getroffen —
so blieb der Zweifel offen,
ich weiß nicht, wie ich fortkam.

Wer mit dem Geist verwandt ist,
in Bildern und in Schemen
die Welt beim Wort zu nehmen —
beim Himmel kein Pedant ist!

In sprachzerfallnen Zeiten
im sichern Satzbau wohnen:
dies letzte Glück bestreiten
noch Interpunktionen.

Wie sie zu rasch sich rühren,
wie sie ins Wort mir zanken —
ein Strich durch den Gedanken
wird mich ins Chaos führen ;

obgleich ein Strichpunkt riefe ,
dem Komma nicht zu trauen :
ein Doppelpunkt läßt schauen
in eines Abgrunds Tiefe !

Dort droht ein Ausrufzeichen
wie von dem jüngsten Tage.
Und vor ihm kniet die Frage:
Läßt es sich nicht erweichen ?

Wie ich es nimmer wage,
und wie ich's immer wende,
ein Werk ist nie zu Ende —
am Ausgang steht die Frage.

Und eh' mein Herz verzage,
den Ausgang zu erreichen,
setz' heimlich ich ein Zeichen —
dem Zeichen folgt die Frage.

Es zündet immer weiter der Blitz,
der mich zerrissen.
Mein eignes besseres Wissen
will Antwort vom Begleiter.

Mit angstverbrannter Miene
stock' ich vor jeder Wendung,
entreiß' mich der Vollendung
durch eine Druckmaschine.

Wie schön ist es gewesen,
am Wege waren Wonnen.
Was heimlich süß begonnen,
nun werden's Leute lesen,

O Glück im Wortverstecke
des unerlösten Denkens,
Versagens und sich Schenkens —
was bog dort um die Ecke?

Noch nicht ersehn, ersehn' ich's.
Vorweltlich Anverwandtes,
eh' ich's gesetzt hab', stand es,
und nun mir selbst entlehn' ich's.

Entzückung fand dar Gaffer
am tausendmal Geschauten.
Aus tagverlornen Lauten
erlöst er die Metapher.

Im Hin- und Wiederfluten
der holden Sprachfiguren
folgt er verbotnen Spuren
posthumer Liebesgluten.

In Hasses Welterbarmung
verschränkt sich Geist und Sache
zu weltverhurter Sprache
chiastischer Umarmung.

Wer sprechen kann, der lache
und spreche von den Dingen.
Mir wird es nie gelingen,
sie bringen mich zur Sprache.

Das Wort trieb mit den Winden
und spielt mit Wahngestalten.
Im Wortspiel sind enthalten
Gedanken, die mich finden.

Wenn ich so weiter fortspiel',
vor solchem kühnen Zaudern
wird es die Nachwelt schaudern.
Denn alles war im Wortspiel.

Dem ewigen Erneuern,
zum Urbild zu gelangen,
entrinn' ich nur, gefangen
in neuen Abenteuern.

Durch jedes Tonfalls Fessel
gehemmt aus freien Stücken,
erlebt sich das Entrücken
auf einem Schreibtischsessel.

Was leicht mir in den Schoß fiel,
wie schwer muß ich's erwerben,
bang vor des Worts Verderben.
O daß mir dieses Los fiel!

*

Fahrt ins Fextal

Als deine Sonne meinen Schnee beschien,
ein Sonntag wars im blauen Engadin.

Der Winter glühte und der Frost war heiß,
unendlich sprühten Funken aus dem Eis.

Knirschend ergab sich alle Gegenwart,
Licht tanzte zur Musik der Schlittenfahrt.

Wir fuhren jenseits aller Jahreszeit
irgendwohin in die Vergangenheit.

Was rauh begonnen war, verlief uns hold,
ein Tag von Silber dankt dem Strahl von Gold.

Der Zauber führt in ein versunknes Reich.
Wie bettet Kindertraum das Leben weich!

Voll alter Spiele ist das weiße Tal;
die Berge sammeln wir wie Bergkristall.

Trennt heut die Elemente keine Kluft?
Ein Feuerfluß verbindet Erd' und Luft.

Wir leben anders. Wenns so weiter geht,
ist dies hier schon der andere Planet!

Ins Helle schwebend schwindet aller Raum.
So schwerlos gleitet nach dem Tod der Traum.

Nicht birgt die Zeit im Vorrat uns ein Weh.
Bleicht sich das Haar, so gibt es guten Schnee.

Uns wärmt der Winter. Leben ist ein Tag,
da Silvaplanas Wind selbst ruhen mag.

Nicht Ziel, nur Rast ist's, die das Glück sich gab,
hält einmal dieser Schlitten vor dem Grab.

*

An einen alten Lehrer

(Henricus Stephanus Sedlmayer)

Da neulich sah ich wie in der Jugendzeit
Dich weißen Hauptes, irgendwohin den Blick
   Gerichtet nach einer Vokabel,
      Welche ein Schüler verloren hatte.

Ein andrer mußte, nicht auf den Ruf gefaßt,
Eh er sich fassen konnte, sie fassen schon,
   Und war auch er es nicht imstande,
      Nanntest du es eine Seelenroheit.

Von strenger Milde war dieser Unterricht.
Du guter Lehrer hattest den Schüler gern.
   Doch näher deinem reinen Herzen
      Lag wohl das Wohl eines armen Wortes.

Latein und Deutsch: du hast sie mir beigebracht.
Doch dank ich Deutsch dir, weil ich Latein gelernt.
   Wie wurde deutsch mir, als ich deinen
      Lieben Ovidius lesen konnte!

Denn jenes wahrlich machte mir Schwierigkeit.
Mir fehlten Worte, und es gelang mir nicht,
   Den Frühling, den ich erst erlebte,
      In einem Aufsatz auch zu beschreiben.

Ovid ja selber hätte es nicht vermocht,
Und Goethe länger als eine Stund gebraucht —
   Wie sollte es ein Schulbub treffen,
      Wenn er nicht grade ein Journalist war?

Du guter Lehrer wußtest das nur zu gut.
Du übtest Nachsicht und weil ich in Latein
   Vorzüglich doch bestanden hatte,
      Gabst du in Deutsch mir nicht nichtgenügend.

So kam ich durch und besserte später mich,
Weil ich es fühlte, daß ich dir schuldig war,
   Im deutschen Aufsatz nach der Schule
      Deinen Erwartungen zu entsprechen.

Hätt' ich schon damals gleich zwischen acht und neun
So Deutsch geschrieben, wie zwischen zehn und elf
   Latein ich las, war' diese Ode,
      Diese horazische, nicht entstanden.

Nimm diese Fleißaufgabe als Jugendgruß.
Denn du stehst milde heute wie einst vor mir.
   In Bild und Wort bist du mir nahe,
      Als ob ich heute noch vor dir säße.

Ich sehe dich, wie du mit der feinen Hand
Die Stirn dir streichst, die sorgende, als ob du
   Ein krankes Wort betreuen müßtest —
      Heilige Pflicht vor profanen Zeugen.

Schneeweiß wie damals, neigend den Kopf, doch hoch
Den Sinn wie damals, traf ich dich auf dem Weg
   Zur Schule neulich und es war mir,
      Daß ich mit dir in die Schule ginge.

Wohin verlor sich, sag mir, dein Altersblick,
Mir unverloren? Lehrest du immer noch
   Verlorner Gegenwart die Sprache?
      Folg mir und lasse die Klasse fallen!

*

»Alle Vögel sind schon da«

Das Zimmer schweigt und vor dem Fenster
brütet der Sonntag seinen Plan,
führt auf dies stumme Ab und An,
die Pantomime der Gespenster.

Und rechts und links in meinem Zimmer
hängt was gewesen an der Wand,
ein toter Freund reicht seine Hand
und was gewesen ist, bleibt immer.

Es schweigt mich an wie eine Sage,
ein jedes Ding von seinem Ort.
Die heimgegangne Göttin dort
ruft des Geschlechtes heilige Klage.

Wie laut wird alles, was da schweigt.
Nun bin ich schon im frühsten Alter.
Da wird die Stille rings zum Psalter,
zu dem des Nachbars Junge geigt.

Des ersten Frühlings Glückerleben
wird wieder mir so greifbar nah.
Ach, »alle Vögel sind schon da«!
Ich seh' sie durch das Zimmer schweben.

*

Memoiren

Bang war das Herz- Mit ahnendem Gemüte
sah ich ins Land, als mir der Frühling blühte.

Vor jedem Schritte stand als Schicksalswende,
ob morgen in der Schule ich bestände.

Soweit die Rätsel von zehn Jahren reichen,
ward alles da von allem mir zum Zeichen.

Als sie zum erstenmal die Liebe nannten,
löst' ich die Gleichung mit der Unbekannten.

Erfüllt von Lust war's, auf die Lust zu warten.
Durch alle Gitter sah ich in den Garten.

Von allen Seiten sah ich in die Stunde:
um ein Geheimnis ging ihr Gang die Runde.

Nachts sitzt ein Ding, das fiebrig mich befühlt,
auf meiner Brust, die sich ins Chaos wühlt.

Was ist es nur, das so mit Zentnerlast
mir alle Sinne gleich zusammenfaßt,

daß ein Geräusch mir ein Gesicht erschließt,
Geschmack und Tastsinn mir zusammenfließt?

Das war die Botschaft aus dem neuen Land;
der Teufel war vom Leben vorgesandt.

Will heute ich, daß ich ein Kind noch sei,
schnell, eh' ich einschlaf', ruf ich ihn herbei.

Doch aller Ängste heiliges Wunder du —
ich schloß die Hölle mir von innen zu.

Ich schmeckte aller Zweifel Süßigkeit,
ich schuf die Hemmung, wenn das Ziel noch weit.

Daß ich zu ihm mein Leblang nicht gelange,
lud zum Verweilen eine Kletterstange.

Schon vor dem Kuß der Seligkeit entbunden,
hab' nie zur kahlen Endlichkeit gefunden.

Zu eurem Schein, der nur was ist begreift,
ist nie mein Glück der Scheinbarkeit gereift.

Ihr habt nur, was ihr habt, kurz ist die Weile,
dieweil ich mir die Ewigkeit verteile.

Ihr zehrt von des Geschlechtes Proviant.
Verflucht zum Mannsein, seid ihr gleich entmannt.

Verwesung weist mir eures Samens Spur,
verbraucht im Kreuzzug gegen die Natur.

Entweibtes, das im Schlaf ich schauen mußt',
ein Zug von Leichen folgte eurer Lust.

Jetzt tönt die Glocke zu dem Hochgericht,
jetzt blitzt ein Blitz aus tragischem Gesicht.

Im Wolterton unendlich ruft von hinnen
die Klage Shakespearischer Königinnen.

Nicht länger zögernd, Zeuge muß ich sein!
Laßt mich durch dieses Tor zum Richter ein,

daß ich für Gottes Absicht mich verbürge
und endlich doch einmal den Teufel würge!

Viel totes Leben drängt sich an der Pforte,
hier wimmern Weiber und hier weinen Worte.

Wer wehrt mir? Weh, wer stellt mir Hindernisse,
Natur zu heilen von dem blutigen Risse?

Da hat es mich und sitzt mir auf der Brust!
Und macht der armen Kindheit mich bewußt,
im Lohn der Last und in dem Leid der Lust.

*

Vor dem Einschlafen

Wovor ist mir denn bang?
Was soll mir denn geschehen?
Ich werde Neues sehen.
Und bis dahin ist's lang.

Was das nur heute ist.
Es kommt doch immer näher.
Entging' ich doch dem Späher!
Täuscht' ich ihn nur mit List!

Oh das verlorne Glück!
O stände doch die Stunde!
O ging' es in der Runde
zum Anfang doch zurück!

Nehmt alle Uhren fort!
Die Zeit klopft mir im Herzen.
Wie flackern schon die Kerzen.
Wie dunkel wird der Ort.

O gäb's doch Aufenthalt!
Geheimnis, brich dein Siegel.
Zerbrecht mir dort den Spiegel!
Ich trotze der Gewalt!

Schlaf, rett mich vor dem Tod.
Laß mich vom Leben borgen.
Bring wieder mir den Morgen.
Beende diese Not.

Hier neigt sich mir ein Bild,
und durch ein weises Walten
verwandeln sich Gestalten,
es fließt um mich so mild.

Dies alles war einmal.
Jetzt wird die Last mir linder.
Wir waren einmal Kinder.
Ich sinke in mein Tal.

Schon weicht mir das Gesicht.
Es kommen die Gesichter.
Verlösch' ich noch die Lichter,
so wird es wieder licht.

Nun fühle ich schon Mut.
Es schwindet das Bewußtsein.
Ah, es wird eine Lust sein.
Nun wird mir wieder gut.

*

Der Ratgeber

Was immer sich in meinen Traum gedrängt,
hat stets mit meinem Tage sich vermengt.

Doch nimmt der Traum das Leben leicht in Schutz.
An seinem Dunkel klärt sich aller Schmutz.

Wie sich im Wechsel da die Dinge drehn,
wird Schönes häßlich, Häßliches wird schön.

Schon manche Freundschaft plötzlich mir entschwand,
weil ich durch einen Traum den Freund erkannt.

Schon manche Feindschaft habe ich versäumt,
weil mir einmal vom Feinde hat geträumt.

Der Todfeind, den ich auf der Straße traf,
das war der Freund von meinem letzten Schlaf.

Der freundlich meinem Tage sich genaht,
an meiner Nacht übt heimlich er Verrat.

Tagsüber wüßt' ich nicht, wie mir geschah,
wenn ich den andern andern Augs besah.

Es narrt mich etwas, doch ich weiß nicht was,
da ich des Winks der letzten Nacht vergaß.

Zur nächsten erst hängt wieder an dem Flaum
des Bettes der am Tag vergeßne Traum.

*

Den Zwiespältigen

Künstler sein, das bedeute: sich selbst in Gestalten zu tragen.
Doch diese Wirklichkeit trägt in den Künstler sich selbst.
Nicht vor ihm zu erschrecken, vermißt sie sich, nach ihrem Maße
Ihn zu zeichnen; erschrickt dennoch nicht vor sich selbst.
Macht ein Bild sich von mir und trifft sich so gut, daß sie fürder
Wie einem Schatten vermag nicht zu entrinnen dem Bild,
Seht, diese Ähnlichkeit, wie ist sie zurück doch geworfen!
Nie hätte ähnlich ich selbst es an euch selber gekonnt!
Wenn ich euch meinte, nie vermochte das Bild zu gelingen
Wie ihr euch selber traft, da ihr mich treffen gewollt.
Plötzlich erkannte die Zeit ihr häßliches Antlitz im Spiegel,
Warf ihn wütend nach mir, hoffend, nun sei es mein Bild.
Denn der Splitter bewies, daß mich der Spiegel getroffen.
Fürcht' ich nicht die Gewalt, furcht' ich die Schwäche der Zeit!
Zwist ist immer in ihr; so wird sie dem Einen gefährlich
Und Historie macht heute allein Hysterie.
Wo ein Licht ich ersah, erwächst mir solches Gelichter,
Meine Flamme verbrennt mir dieser elende Schein.
Ach, von wie hartem Stoff ist die Zeit, die nur aus Papier ist!
Und mein Stoff ist ja nur Notwehr, ach, gegen den Stoff.
Könnte der Geist ihm entfliehn, um zu sich selber zu kommen!
Ginge der Stoff mir doch aus! Ginge der Atem nicht aus!
Fieber macht dieser Stoff, von Krankheit bin ich umgeben.
Ich zitiere die Zeit, sie aber wirft sich mir vor.
Schritte Christus vorbei, sie riefen: »Händler und Wechsler!«
Nie ein Echo mir tönt, nur dieser Schrei aus dem Nichts.

*

Elysisches

Melancholie an Kurt Wolff

Dort in Prag, wo neukatholsche Christen
heimisch sind, teils aber Pantheisten,
hingeschwellt am Tag,
dort ertönt manch morgendlicher Triller
aus der Jugendbrust des andern Schiller;
ausgerechnet das geschieht in Prag.

Aus dem Orkus in das Grenzenlose
wird gewendet eine alte Hose,
was Ergetzung schafft.
Der dort schaukelt auf der Morgenröte,
der hier hat den Ton des alten Goethe;
denn Gewure heißt auf deutsch die Kraft.

Aber besser noch sind zwo Gewuren,
denn das zeucht dann hin wie Dioskuren,
was nur mich nicht freut,
unterscheid' ich unbeirrter Mahner
junge Prager, alte Weimaraner;
doch Talent hat schließlich jeder heut.

Wer im Himmel oder unberufen
gar an des Olympus heiligen Stufen
wie das Kind im Haus,
morgen hat er wieder andre Sorgen,
etwa zwischen Hölty und Laforgen
kennt er sich mit jeder Note aus.

Wer entzückt im Flügelkleide wandelt
oder andrer Art mit Büchern handelt,
Gott gefallen mag.
Die hier gehn nur — merkt auf das Exempel -
nebst der Kirche in den Sonnentempel
und erscheinen auch im »Jüngsten Tag«.

Reingebadet in entlieh'nen Lenzen,
läßt der Seele Überschwang nicht Grenzen
fremdem Element.
Heute ist sie ä la Rimbaud tropisch,
morgen schlicht kopiert sie schon den Kopisch,
hat ein ausgesprochenes Formtalent.

Solchem Wesenswandel wehrt kein Veto,
hin zu Goethen geht es aus dem Ghetto
in der Zeilen Lauf,
aus dem Orkus in das Cafe Arco,
dorten, Freunde, liegt der Nachruhm, stark o
liegt er dort am jüngsten Tage auf.

Wer in altem oder Neugetöne,
jedenfalls in ausgeborgter Schöne
sich dahin ergeußt,
pochend mit der Jugend Nervenmarke
letzt sich noch mit seinem letzten Quarke
an der Quelle, die da für ihn fleußt.

Denn vom schönen Einfluß der Kamönen
können sie sich nun mal nicht entwöhnen,
und kein Hindernis
ist es für der Phantasei Erfindung
und die literarische Verbindung.
Diesen Faden keine Parze riß!

Und geklagt sei es dem ewigen Gotte,
daß der Literaten heutige Rotte
ihr Elysium
findet, denn wer nur am Worte reibt sich,
wird gedruckt bei Drugulin in Leipzich.
Edler Jüngling Wolff, ich klage drum.

*

Bekenntnis

Ich bin nur einer von den Epigonen,
die in dem alten Haus der Sprache wohnen.

Doch hab' ich drin mein eigenes Erleben,
ich breche aus und ich zerstöre Theben.

Komm' ich auch nach den alten Meistern, später,
so räch' ich blutig das Geschick der Väter.

Von Rache sprech' ich, will die Sprache rächen
an allen jenen, die die Sprache sprechen.

Bin Epigone, Ahnenwertes Ahner.
Ihr aber seid die kundigen Thebaner!

*

Der Reim

Der Reim ist nur der Sprache Gunst,
nicht nebenher noch eine Kunst.

Geboren wird er, wo sein Platz,
aus einem Satz mit einem Satz,

Er ist kein eigenwillig Ding,
das in der Form spazieren ging.

Er ist ein Inhalt, ist kein Kleid,
das heute eng und morgen weit.

Er ist nicht Ornament der Leere,
des toten Wortes letzte Ehre,

Nicht Würze ist er, sondern Nahrung,
er ist nicht Reiz, er ist die Paarung.

Er ist das Ufer, wo sie landen,
sind zwei Gedanken einverstanden.

Er ist so seicht und ist so tief
wie jede Sehnsucht, die ihn rief.

Er ist so einfach oder schal
wie der Empfindung Material.

Er ist so neu und ist so alt wie
des Gedichtes Vollgestalt,

Orphischen Liedes Reim, ich wette,
er steht auch in der Operette.

Wenn Worte ihren Wert behalten,
kann nie ein alter Reim veralten.

Fühlt sich am Vers ein Puls, ein Herz,
so fühlt es auch den Reim auf Schmerz.

Aus allgemeinrer Sachlichkeit
glückt neu der Reim von Leid auf Zeit.

Weist mich das Wort in weitere Fernen -
o staunend Wiedersehn mit Sternen!

Der erdensichern Schmach Verbreitung
bedingt dafür die Tageszeitung

und leicht trifft einem irdnen Tropf
der Reim den Nagel auf den Kopf.

Dem Wortbekenner ist das Wort
ein Wunder und ein Gnadenort.

Der Reim, oft nur der Verse Leim,
ist der Gedanken Honigseim.

Hier bietet die Natur den Schatz,
dort Technik süßeren Ersatz.

Ein Wort, das nie am Ursprung lügt,
zugleich auch den Geschmack betrügt.

Dort ist's ein eingemischter Klang,
hier eingeboren in den Drang.

Sei es der Unbedeutung Schall:
ein Schöpfer ruft es aus dem All.

Dort deckt der Reim die innre Lücke
und dient als eine Versfußkrücke.

Hier nimmt er teil am ganzen Muß,
die Fessel eines Genius,

Gebundnes tiefer noch zu binden.
Was sich nicht suchen läßt, nur finden,

was in des Wortglücks Augenblick,
nicht aus Geschick, nur durch Geschick

da ist und was von selbst gelingt,
aus Mutterschaft der Sprache springt:
das ist der Reim. Nicht, was euch singt!

*

Der Irrgarten

Die Sprache ist, dies glaubt mir auf mein Wort,
ein Zwist, bei dem ein Wort das andre gibt.
Es leben Lust und Zweifel immerfort
im Zwiespalt und es neckt sich, was sich liebt.
Was treibt es nur? Geburt zugleich und Mord?
Ich steh' dabei und habe nichts verübt.
Wie kam ich an den zauberischen Ort?
Die Welt ist durch das Sieb des Worts gesiebt.

*

Epigramm aufs Hochgebirge
 

Text einer Ansichtskarte:
»Wenn diese Berge dem größten
Dichter neue Kräfte geben könnten —
wie viel schöner wären sie!«


Es ist der schönsten Berge Eigenschaft:
sie geben nicht dem Geist, sie nehmen Kraft.

Der Bürger fühlt sich im Gebirg erhoben;
talwärts ist meine Phantasie zerstoben.

Am Alpenglühn entflammen keine Lichter.
Vor höherm Berg gibts nur geringem Dichter.

Die Luft der Alpe schafft des Alpdrucks Qual.
Um hoch zu steigen, bleibe ich im Tal.

Den Höhenrausch trink' ich nicht von den Höhn.
Um Sturm zu haben, brauch' ich nicht den Föhn.

Zu andrer Freiheit bin ich aufgerafft;
die hier bringt meine Sinne in Verhaft.

Den Gletschern dank' ich keine Geistesfrische;
mir liegt nicht allzusehr das Malerische.

Oft wirkt Natur der Leere nur das Kleid.
Mich lockte nie die Sehenswürdigkeit.

Wo so viel fertige Schönheit gegenwärtig,
ist keine Dichtung, nur der Dichter fertig.

Und keine Lyrik, Epos oder Drama
schenkt sich dem sogenannten Panorama.

Umsonst ist's, daß ich auf den Genius warte.
Natur ist häufig eine Ansichtskarte.

Der schönste Schnee wird schließlich doch zum Schlamm.
Es ist die Landschaft für ein Epigramm!

*

 

Inschriften

 

Verzicht

Man sagt, zu sauer seien uns die Trauben.
Sie hängen höher, als man glaubt.
Begehre jeder, was er raubt!
Wir glauben nicht mehr an die Welt. Wir glauben.

 

Der Besiegte

Streit' ich vergebens gegen allen Schmutz der Gosse,
entschädigt mich die Ohnmacht vor dem Licht,
Das Leben, meistens greller als die Glosse,
ist manchmal schöner doch als ein Gedicht.

 

Der Unähnliche

Wenn ich mich so in eurem Spiegel sehe,
so seh' ich ein: ich habe oft geirrt.
Doch wäre ich's darum noch immer.
Ein andres ist es, was mein Bild verwirrt,
und die Entstellung ist weit schlimmer.
Daß ich es nur gestehe:
Der Spiegel hat sich oft in mir geirrt.

 

Zum Namenstag

Sag, hat nicht jeder Tag, an dem du lebst
In meinem Leben, deinen Namen?
Dankt meine Saat nicht deinem guten Samen,
Ob heute, ob du morgen zu mir strebst?
Noch spür' ich, wie du hebst
Ins Namenlose, Taglose den Lahmen.
Es glaubt ja Gott an dich. So sag' ich Amen!

 

*

 

Drei

So nehmt zum Abschied dieses Liedes Lohn,
Ich schenk' euch gerne ein Akrostichon.
Die Namen zweier sind nicht zu verkennen,
In Lied und Leben sind sie nicht zu trennen.

Doch bitt' ich euch, nehmt mich in euern Bund.
Ob Sidis Ohr, ob Doras Liedermund —
Ruf ich »Verwandlung« ihnen beiden zu,
Antwortet beides, Stimme mir und Ruh'.

Kaum glaubt' ich je, ich ahnt' es selber kaum,
An eurem Maß blieb' mir noch Reim und Raum,
Reicht mir die Hand, so schließen wir die Reih'
Leicht finden sich zusammen alle drei.

 

*

 

Das Buch und die Frau

Sprach einem Buch sie zu, so sprach's ihr zu.
Es machte nicht viel Kopfzerbrechen,
und ließ das Herz in Ruh.

Sprach sie von einem Buch, so sprach sie gut.
Sie haben beide mit sich sprechen lassen,
und waren leicht zu fassen.

Doch einmal nahmen beide es genau:
die Sprache selbst und selbst die Frau.
Sie zeigten höhern Mut
und konnten zueinander sprechen.

 

*

 

Den Neubildnern

Wer seinen Durst am Sprachquell stillet,
dem winken ungeahnte Wonnen.
Wem sich das alte Wort erfüllet,
der hat es wahrlich neu begonnen.

Es schwelgen mißgeborne Knaben
in adjektivischen Gefilden.
Sie müssen eine Krankheit haben:
der Krebs nur neigt zu Neugebilden.

 

*

 

Gespräche

Die beiden ließen sich durch mein Gespräch nicht stören.
Sie horchte auf, wenn er dazwischen sprach.
Es war so wichtig ihr, mir zuzuhören,
daß sie mich, sagt sie, unterbrach.

 

*

 

Selbstlose Gesellschaft

Mit jenen schlimmen Schwindlern Vorsicht übe,
die sich in deine Sachen mischen.
Sie machen dir das Wasser trübe,
ohne darin zu fischen.

Sie mengen sich in deine Interessen
zu einem ganz selbstlosen Zwecke.
Sie möchten nicht von deinem Tische essen,
nur: daß es dir nicht schmecke.

 

*

 

Gerüchte

Der Mann war das leibhaftige Gerücht.
Lief er auf leisen Sohlen durch den Saal,
so war es ein Skandal,
und man erfuhr die Quelle nicht.

Wie gleich und gleich sich gleich verflicht,
die Gattin, die er nahm, sah aus wie Fama.
Das gab ein Ehedrama,
das Kind war ein Gerücht.

Und eh die Ehe, die nicht ehern, bricht,
gesellt sich einer zu dem Pärchen,
erzählte ihr ein Märchen.
Was war die Folge? Ein Gerücht.

 

*

 

Dem Schönfärber

Der beste Teil ist noch das Eingeweide.
Wie rosig malt Kokoschka manchen Wicht!
Ihn zu entlarven, das gelingt ihm nicht.
Wie anders Schattenstein! Der malt am Kleide.

 

*

 

Wiener Mode

Helfen wir uns aus der Not,
schlagen wir die Fremden tot!
Doch zu heben hilft uns mehr
mit den Fremden den Verkehr.

Heiter auch in ernster Zeit,
durch und durch voll Süßigkeit,
untergehen tun wir nie.
's Herz ist unsere Industrie.

Der Geschmack muß gschmackig sein,
Unsre Mode zu befrein,
mangels anderer Idee
gründen wir ein Komitee,

Harn mr nix, so mach' mr was,
San mr traurig, gibts an Gspaß.
Nicht zu waschen ist die Wäsch' —
aber heimisch! San mr fesch!

 

*

 

Wiener Mahlzeit

Die Nahrungsfrage abzuwickeln,
findet der Dialekt Verwendung,
Er hat es schwer mit den Artikeln
und leugnet doch der Speisen Endung-

Ach Gott, es fehlt uns an der Fetten,
wir müssen fleischlos uns bequemen.
Wenn wir nur einen Butter hätten,
wir würden auch die Schinke nehmen.

 

*

 

Der Wiener spricht

Wir brauchen keinen Richter nicht.
Uns protegiert das Weltgericht,
daß unsereins kein Unrecht g'schicht.
Und wenn die Welt zusammenbricht,
wir richten's bei der Weltgeschicht'.

Das Hochquellwasser ist gesund.
Drum ist das Ausland auf dem Hund.
Und richtet sich die Welt zugrund,
mir san ja mir bekanntlich und
so richten wir's uns selbst — zugrund!

 

*

 

Merkwort

Dreifachem Reim entziehe sich die Welt:
Dem Reim auf Feld und Geld und Held.
Ein Anfangsreim beendet alle Not:
Technik und Tinte führt in Tod.

 

*

 

Ich und die Zensur

Nie wird bis auf den Grund meiner Erscheinung
der kühnste Rotstift eines Zensors dringen.
Verzichtend auf die Freiheit einer Meinung,
will ich die Dinge nur zur Sprache bringen.

 

*

 

Einem schwerhörigen Freunde

Glaubst du noch jetzt, es geh' zu Gott empor?
Mißtrau dem Aug, hat dich getäuscht dein Ohr.
Hätt'st du so gut gesehn, wie schlecht gehört,
du wüßtest, daß sich's gegen Gott empört!

 

*

An den Schnittlauch

O gutes Grün, wie sprichst du mich zärtlich an,
Wie heilig schweigst du von dem Geheimnisse.
   Du letzter Schmuck der armen Mutter,
      Die ihren Schoß mit der Söhne Blut färbt.

Daß du zugleich bist und daß mit dir zugleich
Der Wille lebt, an dem eine Menschheit stirbt —
   Ach, irdisch Unmaß! und dir wird nicht
      Fahler die Farbe, du grüne Hoffnung.

O letztes Leben und wie das Leben auch
Verkannt, du Anbot wahrster Bescheidenheit,
   Du selbstgenügsam stille Pflanze,
      Die nur wie Schnittlauch schmeckt und duftet.

Nach etwas suchend, welches kein andres ist,
Im Kreis des Lebens, das im Ersatz sich lebt,
   Bloß deine gute Gabe sah ich,
      Chemischem Zauber unerreichbar.

Daß gleichwohl, grüne Freundschaft, du eßbar seist,
Wenn auf dem Teller treu du dich hingestreut —
   Es rührt noch von dem alten Hunger.
      Stets hat der Mensch von der Seele gegessen.

*

Grabschrift für ein Hündchen

(Woodie, gestorben 22. Mai 1913.)

Ein kleiner Hund mit langem Haar, den ich persönlich kannte,
er lachte, wenn man zu ihm sprach, er weinte, weil er stumm war,
sein Blick war Dank der Kreatur, für sich und für die andern.
Da kam ein Wagen ohne Pferd und tötete das Hündchen.
Wer hatte es so eilig, ach, wer hatte es so eilig.
Wie wenig Raum hat der Passant für sich gebraucht im Leben.
Wie eine Schlange konnte er, wenn du ihm pfiffst, erscheinen.
Wer füllt die schmale Stelle aus? Unwürdige sind am Leben,
sie brauchen mehr und dennoch bleibt der Würdige unersetzlich.
Und auch sein Beispiel bessert nicht, sein Opfer nicht die andern,
die immer allzu übrig sind. Der dort ging seines Weges
und starb daran. Die kleine Frau, sie sah sich um und rief ihn,
sie rief und rief und sah ihn nicht, da lag er in der Sonne.
So wenig Stelle nahm er ein. Und so viel Stille bleibet,
                  wo Leben keine Worte hat.

*

Die Fundverheimlichung

Es war ein Hund, der glaubte sich am Ziel,
er sah den fremden Mann, dem lief er zu
und ließ ihn nicht und folgt' ihm in die Wohnung.
Am nächsten Tag erschlägt der Mann den Hund
mit einem Beil, zerlegt ihn kunstgerecht
und Stück für Stück bestattet er im Ofen.
Doch hieß es auch, er habe ihn tranchiert,
gekocht und dann mit einem Anverwandten
gemeinsam Stück für Stück den Hund verzehrt.
Deshalb steht wegen Fundverheimlichung
der Mann vor seinem Richter. Doch er leugnet,
den Hund verzehrt zu haben, gibt nur zu,
aus Mitleid habe er ihn aufgenommen
und dann erschlagen, weil er ihm die Wohnung
unsauber machte, also ordnungshalber,
doch auch aus Angst; dann hab' er ihn zerlegt
und dann verbrannt, jedoch nicht aufgegessen,
er werde doch das Fleisch von einem Köter,
der nur ein hundsgemeiner Hund gewesen,
nicht essen, denn das sei nicht appetitlich,
was auch der anverwandte Zeuge meint.
Der Neffe, sagt er, habe wohl den Hund
betäubt durch Schläge erst mit einem Pracker,
dann mit dem Beil erschlagen und hierauf
tranchiert und endlich Stück für Stück im Ofen
verbrannt, und dies in seiner Gegenwart,
jedoch gegessen — da sei Gott davor.
Er hätt' es doch gesehn; allein auch er
hab' von dem toten Hunde nicht gegessen,
der Neffe, der ein Tramwaykondukteur,
er selbst, ein Offizial, sie seien doch
gefeit durch ihre soziale Stellung
vor dem Verdachte, Appetit zu haben
auf Hundefleisch. Das sei Geschmacksache,
versetzt der Richter. Überhaupt jedoch,
ergänzt der Zeuge, dieser tote Hund
war nur ein schäbiger Hund, ganz ohne Rasse,
schon dies allein entkräfte den Verdacht.
Er war ganz abgemagert, sagt der Zeuge.
Die Zeugin schildert, wie der Hund gestöhnt;
dann habe sie durch's Gangfenster gesehn,
wie sie die Haut ihm abgezogen haben.
Ob sie den Hund gegessen haben, wisse
sie leider nicht, doch hab' sie es gehört
und sich gewundert, daß Gebildeten
so was erlaubt sei. Einen andern Zeugen
befragt der Richter, wie der Hund denn lebend
beschaffen war, wie er denn ausgesehn hat.
Hierauf wird aus dem Akte konstatiert,
daß sich der Eigentümer des Kadavers
bis heute nicht gemeldet hat. Hierauf
erhebt der Richter sich und fällt das Urteil,
der Angeklagte werde freigesprochen,
denn dieser Hund, der ihm da ohne Beißkorb
und ohne Marke zugelaufen war,
sei anzusehn als eine herrenlose,
vom Eigentümer preisgegebne Sache. —
Ist's eine Greuellüge unsrer Feinde?
Nein, es geschah. Der Zeuge bin ich selbst!
Und nun erhebt, da so der Fall beendet,
Stummheit des Tiers sich und sie schreit zum Himmel.
Ruft Rache, Pest und Sintflut von dem Himmel
herab auf eine ganz entartete
Abart von Tier, die nur zwei Beine hat,
jedoch zwei Arme nur zum Morden hat.
Den Menschen, unter dessen blutiger Hand
auch Kalb und Huhn und Hase nicht verscheiden
dankbaren Blicks, ihn trieb die Fleischnot nicht,
und daß es Sache des Geschmackes sei,
der Witz des Richters ist der Ruhepunkt,
von dem man dieses Wirrsal des Gefühls
schaudernd betrachtet, und dann denken wir,
auf diesem menschbevölkerten Planeten
sei's mit dem Standesvorurteil vereinbar,
den Hund zu schlachten, dessen Fleisch nicht eßbar.
Nahm' Hunger so vorlieb, so hätte nur
tierisch der Mensch gehandelt, und das wäre
entschuldbar in der Zeit, wo Menschen nichts ,
zu essen haben, weil ja eben Menschen
geschlachtet werden, damit eben Menschen
zu essen haben. Da es nicht der Fall ist, ,
so hat der Mensch nicht tierisch nur gehandelt,
nein menschlich. Menschlich ist die Anklage
auf Fundverheimlichung. Menschlich die Laune
des Richters, der den Wert des Lebensmittels
abschätzt. Das Urteil menschlich und die Gründe.
Menschlich ist auch der sachliche Bericht,
der subjektiv nur in der Wendung ist,
die Klage wegen Fundverheimlichung
sei merkwürdig durch die Begleitumstände.
An der Tragödie war alles menschlich.
Tierisch allein war nur der Opfertod
der Treue, war der Heldentod des Tiers,
um die zum Tier geflohne Eigenschaft,
die Schutz noch einmal bei dem Menschen suchte,
die Treue, die sich preisgegeben fand,
so unbetreut vom menschlichen Verstand,
ganz ohne Arg, ohn' Wissen, ohne Wittrung,
daß eben er der Mörder könnte sein.
Wie die bewußtlose Natur des Weibs,
wie letzte Lust sich zu dem Mörder rettet,
verendet hier die Treue so des Tiers.
Der Treue treu, treu noch im letzten Atem
einer Idee, fällt so das Tier im Tod,
der tragischer als jener Heldentod ist,
welchen der Mensch vor der von ihm erfundnen,
von ihm verschuldeten Maschine leidet.
Im wahrhaften Konflikt, zwischen der Lust
zu leben und der Pflicht, das letzte Pfand
des Schöpfers aus der menschverratnen Schöpfung
zu retten, sinkt die arme Kreatur,
die wahre, die im Mund der Menschenlüge
zum Schimpf gewordene stolze Kreatur.
Schwein, Esel, Ochs und Hund — Schimpfworte hat
der Mensch daraus gemacht, um seinesgleichen,
die sittlich tief stehn unter all der Gattung,
zu unterscheiden. Will er aber Ruhm,
so ruft er Hund und Pferd als Helfer an,
gibt sie Maschinen preis, wie er sich preisgibt,
gibt die Unwissenden dem Menschen preis.
Und nur das Tier, das Menschlichem erliegt,
ist Held des Lebens. Oh, daß diese Menschheit
in einen Traum verfiel', worin sie selbst
vor Lastwagen gespannt, von klugen Pferden,
die schon ihr Hü und Hott erlernt haben,
vorwärts getrieben würde mit der Peitsche!
Worin der räudige, schlechtrassige
Mensch einem Hund zuläuft, weil sein verkommner
Instinkt in ihm den letzten Retter sieht,
und von ihm kunstgerecht dafür tranchiert wird.
Wann tötete der Hund den Menschen je?
In einen dunkeln Schacht gestürzt, vom Hunger
in Wut gejagt, wenn ein Verunglückter
ihm dorthin nachfiel, biß er ihn und ließ
dann von dem Fund, dem herrenlosen. Der hier
springt, suchend den verlornen Herrn in jeder
Gestalt, auf die Maschine, und er muß
am Biß des tollen Menschen sterben. Seht,
er glaubte sich am Ziel, o seht, er sprang,
wie Hunde selten tun, auf eine Bahn.
Er wird verjagt, springt dennoch wieder auf,
verläßt den Mann nicht mehr und folgt ihm nach.
Der Ordnung halb und halb aus Angst erschlägt
ihn jener mit dem Beil. Aus Mitleid tat er's,
dazu kam Furcht, das gibt ein Trauerspiel.
Und Stück für Stück bestattet er im Ofen,
der Ordnung halb und halb aus Lust. Ei seht —
ich sah ihn oft — ei seht doch nur, solch einer,
der keiner Fliege je ein Haar gekrümmt,
sitzt einem gegenüber im Coupe
und schlägt, damit die Fahrt schneller vergeht,
mit seiner Schlächterpratze eine tot.
Totschlag der Zeit, die nicht vorüberfliegt,
nur kriecht und justament am Fenster sitzt,
bloß für ein Weilchen, das den Tod ihr bringt.
Patsch — aus ist es. Und lacht. Denn es ist aus.
Trifft ihn der Schlag, so jammern die Verwandten.
Er fragte artig, ob die Zeitung frei,
er fragte nicht, ob es erlaubt denn sei,
die Fliege mir zu töten. Hätte ich
die Wahl gehabt, ihm oder dieser Fliege
Schicksal zu sein, ich hätte gern gewählt!
Wie es da auf dem Fenster lief, so war es
ein Mechanismus, den er nicht erfand.
Sein Stolz verträgt es nicht, es kränkt ihn immer,
wenngleich er es nicht weiß. Wozu sind Fliegen?
Auch er kann fliegen, fliegen kann er auch!
Wir schaffen es; allein das Unnütze,
das stört ihn und gar überlegen ist er
den Tieren, denn er hört vor seiner Stummheit
nicht ihre Sprache, vor all seiner Stummheit.
O hätte man mir nur die Wahl gelassen,
den Hund oder den Schlächter zu tranchieren,
ich hätt' gewählt! Doch in dem großen Schlachthaus,
in das wir eingeboren, ist der Hund,
der seinen Herrn sucht, nur der Fund des andern;
und gönnt das Recht die Folterung von Kindern,
erlaubt's die Massakrierung auch des Hunds.
Er war sehr groß, doch war er dunkler Herkunft
und schlecht genährt. Was war er weiter denn
als eine preisgegebene Sache. — Hört!
Ihr, die ihr richtet über Mensch und Hund,
hört, was ich weiß! Hört zu: Solch eine Sache
kann vieles, was ein Mensch nicht kann. Hört zu!
Solch eine Sache kann ihm all das sagen,
was niemals er zur Sache sprechen könnte.
Unsäglich leidet sie, sucht ihn ihr Auge,
durch das allein sie es ihm sagen kann,
der es versagt ist, es ihm anzusagen,
der Gott, zu schweigen, was sie leidet, gab;
unwissend, ob sie preisgegeben ist,
stets preisgegeben ihrem Menschenglauben,
traut sie uns auf ihr ehrliches Gesicht!
Und jede Bürde des Gefühles trägt sie,
die das Bewußtsein uns erleichtern hilft.
Man sieht sie sitzen, aber niemand ahnt,
daß in der Sache eine Seele sitzt,
daß ein Gefühl jetzt schmerzt, daß eine Hoffnung
in ihr jetzt treibt, ihr aufgetragen hat,
just an der Stelle hier zu warten. Seht,
so sitzt sie wartend hier am Bahnhof, wo
die Herrin — denn die Sache war ein Hund —
davongefahren ist vor ein paar Stunden.
Denn als man Abschied nahm, da schritt die Sache,
der Hund, groß, traurig und ergeben, schritt er
den Hang hinauf und dem Begleiter nach,
blieb immer wieder stehn und sah zurück.
Seht hin — nicht anders geht ein schweres Herz.
Noch sieht man ihn, noch grüßt ein stummer Blick.
Und bald ist er entschwunden unserm Blick.
Und bald ist er entschwunden seinem Hüter.
Er wird gesucht, gefunden: an der Bahn —
denn jetzt, ja doch, ist ungefähr die Stunde,
daß einst die Herrin angekommen war.
Nun kommt sie nicht. Enttäuscht verschmäht die Sache
jedwede Nahrung, selbst die Leckerbissen,
die sonst geliebten. Wendet sich von allem,
was tierisch sie ihr Lebtag hat begehrt,
gibt sich dem Hunger preis«; verzehrt sich selbst.
Noch ein paar Tage, da begibt sich etwas.
Man führt den Hund zur Bahn, denn eine Freundin,
die mit der Herrin abgereist war, kommt.
Sie selbst kommt nicht. Nun wird der Hund es sehn.
Er aber rührt sich nicht vom Fleck, er hofft noch,
blickt auf den Wagen nur und sucht und sucht.
Nun geht's nachhaus. Er ißt noch immer nichts,
nimmt etwas Milch nur an, so viel grad nötig,
um nicht am Leid zu sterben. Und das geht so
die Woche lang. Der Hund verschmäht das Essen.
Er war ganz abgemagert, sagt der Zeuge.
Dann hilft Arsen, dazu wohl noch die Einsicht
ins Unabänderliche und Gewöhnung
der stellvertretenden Barmherzigkeit,
dies alles bringt ihn endlich doch hinauf . . .
Seid ihr so weit hinunter, daß ihr nicht mehr
wie Kinder seid, hört es doch wie ein Märchen,
Kindern erzählt, die ihr Beginnen noch nicht
im Schützengrabenspiel verschüttet haben
und noch aufhorchen können, wenn ein Beispiel
sittlicher Haltung ihnen dicht ans Herz
gerückt wird. Tretet ehrfurchtsvoll zur Seite.
Seht doch nur hin. O du erhabnes Vorbild
in dieser Zeit profaner Hungersnot!
Von deinem Hunger trenn' ich mich nicht mehr.
Es risse einen von der Menschheit weg,
war' man nicht längst schon über alle Berge.
Dort lebt ein Hund. Dort lebt ein wahrer Hund.
Gott hör's: Der Menschenehre ersten Preis,
der Ehre, die sich preisgegeben hat,
sich selber preisgegebener Menschheit Preis
geb' ich dem Hund! Und nimmer will die Andacht
fort von der Stelle, wo das Tier da wartet,
für eine halbe Stunde herrenlos,
länger verlassen, wartet, und in Treue
halt' ich die rechte Hand über der Sache,
dem Fund, dem Hund, damit ihn nicht der Mensch,
der Schinder, finde und verheimliche,
er, der noch nie aus Sehnsucht hat gehungert
und der mir dieses Fleisch hier nur verschmäht,
weil gramverzehrt es ist und dem Geschmack
und Stand des Mörders widrig ist, und der
Gottes Geschöpf mir dennoch töten würde,
weil es ein Tier ist, er aber ein Mensch!

*

Als Bobby starb

(22. Februar 1917)

Der große Hund ist tot. O Herz steh still,
das diese Trauerbotschaft fassen will!

Das stolze Aug, der stummen Gottheit Pfand,
das Licht der Liebe ist nun ausgebrannt.

Wie lautlos lebte er vorbei dem Streit.
Würdig und weise schritt er durch die Zeit.

Wir andern leben auf des Glaubens Grab.
Sein Auge dankte, daß es andre gab.

Die Not des Tages lehrt' ihn keine List
und nur im Traum bestand er unsern Zwist.

Oh Freude, wenn ihn seine Herrin rief!
Oh Wirrsal, wenn er ihr zu Füßen schlief.

Doch eh' er schlief, des Hundes Majestät
sich um sich selbst herum im Kreise dreht.

Wenn er die Stelle fand, hier auszuruhn,
so hatt' er es mit manchem Feind zu tun.

Mag wacher Haß die Hundeseele schelten:
im Schlaf nur lebt der Hund in unsern Welten.

Im Wachen wendet Wahn die Menschenseele,
daß sie sich um den eignen Vorteil quäle.

Kein Wort, kein Handschlag waren zu Gebote
dem Glauben je wie diese gute Pfote.

Verlorner Einfalt letztes Lebenszeichen
war dieses greisen Hunds beflißnes Keuchen.

Nie hat der Hund die Ansicht uns verhehlt.
Er zeigt sich eifrig, hat er was verfehlt.

Was er verfehlt hat, tat ihm ehrlich leid.
Wedelnd bewährt sich Ehrenhaftigkeit.

Ein Tanz vor uns war seines Eifers Dank.
Aus Sehnsucht wird die Hundeseele krank.

Das Menschenherz kennt Hunger nur aus Haß.
Verlaß den Hund und er verläßt den Fraß.

Dem hier ruf nach ich's in die Ewigkeit:
Er hungerte aus einer Trennung Leid!

Nun aber, da das Schicksal sich verkehrte,
er selber uns die Sehnsucht kennen lehrte.

In Thränenschrift sei's darum aufgeschrieben:
Er ist dahin und wir sind hinterblieben!

Und abschiedsvoller schlägt mir jede Stund',
nun du noch stummer bist, du großer Hund.

*

Mythologie

Was? Es kann sprechen? Dieser Schlauch hier ist ein Mensch?
Und dieser Bauch hier, jener Blasebalg ist einer?
Und hier der Leguan, der Hamster dort sind's auch?
Der links am Fenster, einem Schlafsack gleich,
der rechts, einer Matratze gleich, auch der?
Dort öffnet sich ein Maul wie ein Lavoir,
hier naht ein Walroß und bestellt die Zeitung,
und dieses, meint man, habe Blut wie wir?
Selbst dieser, der so aufgeregt sehderanda
sich herkommt, als ob er, noch ganz in Schaum,
persönlich jener Kreuzigung beigewohnt
und nun erzählen wollte, wie's gewesen,
und wer dabei gewesen unter andern,
und was er angehabt, den sie nun los sind?
Hier röchelt etwas und es ruft: Ich nehm!
Was ist das? Wär's ein Tier, so hätt's Fasson.
Es ist eins und doch keines, doch kein Mensch.
Was? Es kann sprechen? Atmen kann es auch?
Dies ward geboren? Mitgeborne sinds?
Ein Weib trug Schmerzen, viele freuten sich,
als es zur Welt kam? Heute offeriert es
freihändig, hat per Zufall tausend Kilo
von dem und jenem, und noch vier Waggons
von Prima-Seife und ein Aquarell.
Und vieles gibt es, während dies da ist.
Und Amethyste gibts und in den Pampas
schaukelt — oh sieh — ein blauer Schmetterling.
Da reißt sich einer los und brüllt: Auf Ihnen
hat man gewartet, Kleinigkeit, wer sind Sie?
Und Zähne hat das Ding dem Eber gleich,
die hacken sich ins Fleisch und mahlen alles
mit wilder Wut zu hunderten Prozenten.
Der Apparat dort kommt nicht leicht zu sich.
Doch tippt man an, so sagt er: Ausgerechnet!
Hat das auch Milz und Nieren so wie wir?
Es kam wie wir aus dem Geheimnisse
und wird wie wir in das Geheimnis eingehn?
Ist dieses nicht ein größeres Geheimnis?
Die Luft ist voll von Ziffern und Miasmen.
Ich sitze da und bin narkotisiert,
ich fühle, diese sind nicht, doch wie lange
wohl dieser Übergang noch dauern mag.
Und ob er glaube, frag ich meinen Nachbarn,
daß es noch Hoffnung gibt oder schon jetzt
dem Bottich dort, der eben ein Getränk
einschlürft, Verständnis zuzutrauen sei
für mein Problem, nämlich ob hier ein Beistrich
statt eines Strichpunkts wohl am Platze wäre
und wie das Wort »chiastische Umarmung«
in Sinn und Form und Klang erfüllt erscheint,
und ob nicht, wenn ich ihm die Stelle zeige,
dies auch vielleicht die Zauberformel war
und ob das Chaos war, wenn ich ihn weckte.
Mein Nachbar schweigt erschrocken und er blickt
starr wie ich selbst auf diesen Kreis von Formen,
die durch den rätselhaften Ratschluß Eines
doch sprechen und sich leicht verständigen können,
nur nicht mit uns. Da wird es lebhafter,
weil sie, im Vielerlei des Gelderwerbes
ein Ideales fest im Aug behaltend,
auf Pferde setzen und von Pferden wissen,
daß sie geschaffen sind, um zu gewinnen
für sie, da umgekehrt ja doch die Pferde
auf sie zu setzen nicht imstande sind.
So sitzen wir im Schlaf und hören zu.
Da würgt mich etwas und es ist ein Wort,
und jenes Maul, auf das wir beide starren,
hat jetzt ein wunderbares Wort gesagt,
obschon gesagt im Dialekt der Hölle:
Glaukopis! — und was er verdienen wird.

*

Mit der Uhr in der Hand
 

Berlin, 22. September 1916:
Eines unserer Unterseeboote
hat am 17. September im
Mittelmeer einen vollbesetzten
feindlichen Truppentransport­-
dampfer versenkt. Das Schiff
sank innerhalb 43 Sekunden.


Dies ist das Aug in Aug der Technik mit dem Tod.
Will Tapferkeit noch Anteil an der Macht?
Hier läuft die Uhr ab, aller Tag wird Nacht.
Du mutiger Schlachtengott, errett uns aus der Not!

Nicht dir, der du da dumpf aus der Maschine kamst,
ein Opfer war es, sondern der Maschine!
Hier stand mit unbewegter Siegermiene
ein stolzer Apparat, dem du die Seele nahmst.

Dort ist ein Mörser. Ihm entrinnt der arme Mann,
der ihn erfand. Er schützt sich in dem Graben.
Weil Zwerge Riesen überwältigt haben,
seht her, die Uhr die Zeit zum Stehen bringen kann!

Geht schlafen, überschlaft's. Gebt Gnade euch und Ruh.
Sonst sitzt euch einst ein Krüppel im Büro,
drückt auf den Taster, hebt das Agio,
denn grad flog London in die Luft, wie geht das zu!

Wie viel war's an der Zeit, als jenes jetzt geschah?
Schlecht sieht das Aug, das giftige Gase beizen.
Doch hört das Ohr, die Uhr schlug eben dreizehn.
Unsichtig Wetter kommt, der Untergang ist nah.

Entwickelt es sich so mit kunterbunten Scherzen —
behüte Gott den Gott, daß er es lese!
Der Fortschritt geht auf Zinsfuß und Prothese,
das Uhrwerk in der Hand, die Glorie im Herzen.

*

Gebet

Du großer Gott, laß mich nicht Zeuge sein!
Hilf mir hinab ins Unbewußte.
Daß ich nicht sehen muß, wie sie mit Wein
zur Not ersetzen ihre Blutverluste.

Du großer Gott, vertreib mir diese Zeit!
Hilf mir zurück in meine Kindheit.
Der Weg zum Ende ist ja doch so weit,
und wie die Sieger schlage mich mit Blindheit.

Du großer Gott, so mach den Mund mir stumm!
Nicht sprechen will ich ihre Sprache.
Erst machen sie sich tot und dann noch dumm,
es lügt ihr Haß, nimmt an der Wahrheit Rache.

Du großer Gott, der den Gedanken gab,
ihr Wort hat ihm den Rest gegeben.
Ihr Wort ist allem Werte nur ein Grab,
selbst Tat und Tod kam durch das Wort ums Leben.

Du großer Gott, verschließ dem Graus mein Ohr,
die Weltmusik ist ungeheuer!
Dem armen Teufel in der Hölle fror,
er fühlt sich wohl in diesem Trommelfeuer.

Du großer Gott, der die Erfinder schuf
und Odem haucht' in ihre Nasen,
schufst du die Kreatur zu dem Beruf,
daß sie dir dankt mit ihren giftigen Gasen?

Du großer Gott, warum beriefst du mich
in diese gottverlassene Qualzeit?
Strafst du mit Hunger, straflos setzte sich
der Wucher zu der fetten Totenmahlzeit.

Du großer Gott, warum in dieser Frist,
wozu ward ich im blutigen Hause,
wo jeder, der noch nicht getötet ist,
sich fröhlich setzt zu seinem Leichenschmause?

Du großer Gott, dies Land ist ein Plakat,
auf dem sie ihre Feste malen
mit Blut. Ihr Lied übt an dem Leid Verrat,
der Mord muß für die Hetz' die Zeche zahlen.

Du großer Gott, hast du denn aus Gemüt
Vampire dieser Welt erschaffen?
Befrei mich aus der Zeit, aus dem Geblüt,
unseligem Volk von Henkern und Schlaraffen!

Du großer Gott, erobere mir ein Land,
wo Menschen nicht am Gelde sterben,
und wo im ewig irdischen Bestand
sie lachend nicht die reiche Schande erben!

Du großer Gott, kennst du die Mittel nicht,
die diese Automaten trennten,
wenn sie sich trotz dem letzten Kriegsgericht
bedrohen mit Granaten und Prozenten?

Du großer Gott, raff mich aus dem Gewühl!
Führ mich durch diese blutigen Räume.
Verwandle mir die Nacht zu dem Gefühl,
daß ich von deinem jüngsten Tage träume.

*

Ein Shakespearescher König spricht
 

nachdem der Botschaftsrat Haymerle,
zurzeit im Felde, in der Zeitung er­-
zählt hat, wie zu Tränen gerührt er
am Tage der Kriegserklärung war, als
er noch um neun Uhr abends durch
den Jubel des Volkes von ihr erfahren
hatte.
 

O Haymerle, zu viel der Tränen flössen,
Seitdem geschehen, was dir Tränen schuf,
Und eh du es berichtet. Spar die Tränen,
Daß künftig sie der Menschheit nicht mehr fließen.
Du Bote blutig tränenvoller Tat,
Ich dank' dir nicht! Zieh wieder ab ins Feld,
Bring bessre Botschaft; bring auch bessre Zeitung!
Du Haymerle des Unheils, mach dich fort,
Ermüde nicht das Ohr mit dem Bericht,
Der Jovis Donner macht zum Schwatz des Pöbels.
Was malst du Pinsel uns den grauen Himmel
Zum Sonnentag, das Elend zur Idylle?
Harmloser Bote du des Schaudervollen,
Zu lang' hat Trauer unter uns geweilt:
Du bannst sie nimmermehr durch Langeweile!
Und merk, vielfältig greuliches Erlebnis
Wird durch die Einfalt kindischer Erzählung
Nicht ausgetilgt. Wer hat dich hergesandt
Zum Spott auf uns und dieses heil'ge Land?
Unhaymerle, ich geb' dir diesen Rat:
Die Rede spare, spare auch die Tat.
Hättst noch nach neun du nichts von ihr erfahren,
So käme all dies Unglück nicht zu Jahren.
O war', was nachher, heute noch zuvor!
Botschaft und Zeitung lähmten Aug und Ohr.
Nimm meinen Zorn, es sei dir nicht verhehlt:
Man liest, hört, glaubt euch, weil d e r G l a u b e fehlt!

*

Landschaft

(Thierfehd am Tödi, 1916)

Thierfehd ist hier: das sagt dem Menschsein ab, daß er es werde —
wie an der Wand empor zum Himmel reicht
die Erde.
Was hinter uns, war schwer. Hier ist es leicht.
Die Welt verläuft in einem grünen Grab.

Ein Stern riß mich aus jenes Daseins Nacht in neue Tage.
Fern webt von blutiger Erinnerung die Sage.
Der weltbefreite Geist ist wieder jung,
nichts über uns vermag die Menschenmacht.

Du Tal des Tödi bist vom Tod der Traum.
Hier ist das Ende.
Die Berge stehen vor der Ewigkeit
wie Wände.
Das Leben löst sich von dem Fluch der Zeit
und hat nur Raum, nur diesen letzten Raum.

*

Gebet an die Sonne von Gibeon

Sonne, immer du noch purpurnen Abschied nimmst,
immer doch unbeirrt, immer den Erdentag
segnend, der ins Gesicht dir in Finsternis prahlt —
wieder vorbei dem Menschenkreis.

Keines irrenden Sterns zitternder Funke war
je verborgener den vom Dunkel Verblendeten
als dein flammendes Meer, das den Abend umarmt
wie ein brennendes Gottesherz.

Sonne, dankloser dir, dunkler sich selbst verbleibt
alles Lebendige, das nicht Athem der Pflanze hat,
nicht die Weisheit des Thiers — wahllose Geberin,
nur du, Sonne du, weißt es nicht!

Sieh diese Kugel aus Kot, die einst der Teufel warf
in die Planetenbahn, wie sie sich um sich dreht,
und nur um dich, daß sie in gutem Lichte sei,
Spielball eigener Eitelkeit.

Oder aus Raum und Zeit sprang dieser Wechselbalg,
wähnt sich selbst eine Welt, wähnt, daß die Welten nur
seine Trabanten sind — doch für den Sternenlauf
lebt er ein ewiges Hindernis.

Daß du noch Farben hast, Sonne, ob solchem Grab
aller Liebe, die je kosmischer Geist vergab!
Daß du noch prangen kannst vor der Armseligkeit —
Wunder dieser Entgötterung!

Nicht das Gold deines Strahls hält ihren Blick gebannt,
für einen Silberling ist eine Andacht feil.
Daß vor höchstem Gericht du ihres dunkeln Sinns
zeugtest, fürchtet die Erde nicht.

Liehe die ewige Nacht ihr eine Aussicht nur
auf noch besseres Gold als sie dem Tage stahl,
gingst du auf immer dahin, keine Thräne dir nach
flöß' aus erloschenem Menschenaug.

Welcher Sinn denn befiehlt irdischen Lebens Gang?
Nicht in Athem und Dank an Gott, daß er Athem gab,
lebt der Mensch seine Zeit, sondern er zahlt damit,
endlich schuldig nur an sich selbst.

Gibt es der Götter noch, denen das All sich beugt:
blieb der Bezirk, worin Wahn mit der Gier regiert,
blieb die Stätte, worauf Menschliches irregeht,
unvermindert Jehovahs Reich.

Heil dir, o Israel! wer ist wie du, vor ihm,
der deiner Hilfe Schild und deines Sieges Schwert?
Siehe, es schmeicheln dir deine Feinde, o Volk,
aber du trittst auf ihre Höhn!

Keiner von ihnen soll vor dir bestehn, und du,
fürchtest du Gott allein, aber sonst nichts in der Welt:
durch alle Wässer gehst trockenen Fußes durch,
immer den Kopf zum Ziel gewandt.

Durch die Schärfe des Schwerts schlugst du sie, immer sind
gottverschworner Vertilgung alle sie ausgesetzt.
Und es fielen vom Himmel große Steine auf sie.
Denn der Herr stritt für Israel.

Sie zu vertilgen gab er sie in Israels Hand,
daß es setzte den Fuß auf der Könige Hals;
alles Lebendige gab, alle Seelen der Gott
gottverschworener Rache preis.

Und so wird es der Herr all ihren Feinden thun,
denn er stritt wider sie, stritt nur für Israel.
Denn ihr Herz war verstockt, daß sie sich weigerten,
Zins zu geben dem Gottesvolk.

Nicht Weib noch Mann entrann, nicht Kind und Greis
dem Schwert,
verschont nur ward und geehrt, wer den Verrath ersann,
und alles Silber und Gold und alles Geräth aus Erz
legten sie zu dem Schatz des Herrn.

Doch die zu Gibeon hielten zu Israel.
Denn sie fürchteten sich. Nicht erwürgt wurden sie,
nur verflucht wurden sie, ewig Sklaven zu sein
für die Gemeine Israels.

Weil sie schlössen den Bund, wurden sie nur bestimmt,
Holz zu hauen und auch Wasserträger zu sein
für die Gemeine und auch für den Altar des Herrn,
desselbigen Tags bis auf diesen Tag.

Doch der Geschlechter Geschlacht nichts Lebendiges ließ,
und so plünderten sie alle Beute für sich.
Und es war auch kein Tag diesem erwählten gleich,
vor ihm keiner und nach ihm nicht.

Denn zur Feier des Siegs am Himmel ein Wunder war
und die Sonne blieb stehn, die Sonne zu Gibeon,
und auch der Mond im Thal stand stille zu Ajalon.
Denn es geschah für Israel.

Mitten am Himmel stand, wie es geboten war,
beinah sie den ganzen Tag, nicht eilte sie unterzugehn,
bis das Volk sich gerächt an seinen Feinden.
Dies im Buch des Frommen geschrieben steht.

Und der eifrige Gott, welcher am siebenten Tag
der Zerstörung nicht ruht, hieß sie vollenden, bis
sie der besiegten Welt den Fuß auf den Nacken gesetzt
und ein Geschrei erheben gedurft.

Denn es ward ihnen gesagt, nicht zu erheben so lang
Geschrei, bis ihnen gesagt, daß sie erheben Geschrei,
dieses hielten sie ein, dann aber gingen sie hin,
Geschrei zu erheben wie ihnen gesagt.

Wie das Geschrei nun erscholl, da fiel die Mauer ein,
und wie das Volk es sah, daß da die Mauer fiel
auf das Geschrei, das Volk ein großes Geschrei erhob,
herzufallen über die Stadt sogleich.

Völker, die es gehört, wurden hörig dem Volk;
alle schrieen wie es, alles ward Israel.
Alle Sprachen durchdrang einzig die Melodie,
deren Schalmei das Geld anlockt.

Und sein Wechsel verlangt anderen Wechsel auch —
Schwarz von Tinte der Tag, rot vom Blute die Nacht!
Aber welche es sei: Fluth, die im Wechsel wuchs:
Israel ging trocken durch.

Ist die Erde ein Meer, so braucht die Erde mehr,
mischt das Blut mit dem Meer, immer noch mehr und mehr —
Rache, der Raubfisch, steigt, Drache, hoch in die Luft,
daß sie Freistatt des Mordes sei!

Näher, mein Gott, zu dir! Näher der Sonne zu!
Sonne, dir angethan bleibt es in Ewigkeit!
Leuchtest wieder und lachst? Hingang und Wiederkehr
bleibt die Uhr dieses Menschentags?

Wirft diese Erdenschmach keinen Schatten auf dich?
Sonne, quält es dich nicht, wenn du im Mittag stehst,
daß der Strahl deines Augs fällt auf das Leichenfeld,
wo die Hyäne Mahlzeit hält ?

Lasse stehen die Zeit! Sonne, vollende du!
Mache das Ende groß ! Künde die Ewigkeit!
Recke dich drohend auf, Donner dröhne dein Licht,
daß unser schallender Tod verstummt!

Goldene Glocke du, schmilz in eigener Gluth,
werde Kanone du gegen den kosmischen Feind!
Schieß ihm den Brand ins Gesicht! Wäre mir Josuas Macht,
wisse, wieder war' Gibeon!

Richte dich auf zum Gericht! Eile nicht unterzugehn,
bis sich das Licht gerächt an dem dunkeln Geschlecht,
und deine blutige Pracht trockne sein elendes Blut
gottverschworener Rache gemäß!

Keiner von ihnen soll vor dir bestehn, und du
auf ihre Höhen tritt, zum dunkeln Untergang
brenne, leuchte herab, lache Sonne, daß du
es nun doch an den Tag gebracht!

Aber ein Wunder hier thu auch an Pflanze und Thier.
Flamme des Menschentods sei ihnen Wärme nur.
Rufe Frühling zurück allem, was unterthan
rauchgeborenem Leben war.

Allem Erschöpften gib Farbe und Lust zurück.
Laß den Menschen jedoch, Henker an allem was
mit der Natur verwandt, laß die Maschingeburt
sterbend sehn, wie das Gras gedeiht!

Und das Thier, das er trieb, seine Ware zu ziehn
und in den Kampf zu ziehn um seiner Ware Heil —
labe es, wenn du statt Strahlen doch Blitze hast,
zu vertilgen den Seelenfeind.

Wenn du ein Ende gemacht hochmüthiger Niedertracht
und du dem Blutgeschäft unendlichen Sieg entreißt —
von deiner Glorie schweigt irdischer Lobgesang
weil sie den Schmeichler hinweggerafft.

Aber es rauschen dir erwachende Sphären. Dank
tönet im Äther, wo Harfen der Liebe sind.
Welch einen Wandel führst du den Sternen herauf!
Staunend erkennt die Schönheit sich.

Es wird ein Sonntag sein. Götter kommen zum Fest.
Ursprungs eilen herbei Geister, ledig der Zeit.
Ohne den Menschen ist Freude. Am neuen Tag
sonnt sich, der dich geschaffen hat.

Und die Liebe um dich höret nun nimmer auf,
und die Musik im All schallt deiner Herrlichkeit,
und dein erhabener Glanz ist ohnegleichen heut,
weil ihm das Menschenauge brach!