Karl Kraus - Worte in Versen III




- Alle Texte sind orthografisch unverändert übernommen.
Die Anordung der Texte entspricht der Anordnung im vorliegenden Buch -


D E R   H Ö R E R I N

 

Vergelt's Gott!

Ich steh' als Bettler hinter meiner Tür
und mein Begehr:
Nimm's an!
So ist's mir wohlgetan.
Dein Dank gibt mehr.
Hab Dank dafür!

*

Der Siebenschläfer

Lieg' ich im Bett, so deck' ich mich
bis an die Ohren zu.
So habe ich doch sicherlich
von euren Plagen Ruh.

Dann aber bricht der Tag herein,
ich hab's ihm nicht geschafft.
So früh schon ihm gewachsen sein,
dazu fehlt mir die Kraft.

Der Teufel weckte mich und war
bei mir mit einem Brief.
Nur wachen Augen droht Gefahr,
wie gut war's, als ich schlief.

Zu meiner Nacht hin wend' ich mich,
leg' mich aufs andre Ohr.
Das ist ein wahres Glück, daß ich
den Traum noch nicht verlor.

Das hätt' mich allzu früh verbraucht,
was ich für euch gemußt.
So bleibt's in halben Schlaf getaucht
und halb wird es bewußt.

Bleibt auch das Glück nur halb gespürt,
das damals ich erfuhr,
so hat durch rauhen Tag geführt
des Traumes weiche Spur.

Und endet niemals eure Qual
und schafft der Tod erst Ruh,
und lieg' ich auf dem Bett einmal,
so deckt mich tüchtig zu!

*

Wiedersehn mit Schmetterlingen

Wie nach den Lebensnächten
es prangt in neuen Prächten,
vom Morgentau benetzt!
Was hebet aus den Grüften
und letzt mit linden Lüften
auch mich zuguterletzt ?

Es heilt das Herz vom Hirne
und kühlt die kranke Stirne
am jungen Tag gesund.
Das strömt von andern Sternen
und läßt die Liebe lernen
auf einem grünen Grund.

Der Welt war ich ein Riese.
Ein Kind bin ich der Wiese.
Nun ist's wie dazumal.
Dort drüben hinterm Berge,
dort kämpfen feige Zwerge.
Ich spiele in dem Tal.

Hier, fern von Trug und Tadel,
leiht Rittersporn den Adel,
mein Mut ist Löwenzahn!
Die Zeit mir zu begleiten,
erzählt der Bach von Zeiten,
die hat die Zeit vertan.

Und daß ich wieder singe,
erscheinen Schmetterlinge,
o grenzenloses Glück!
Auf einem Sonnenstrahle
die stolzen Admirale,
sie kehren mir zurück!

War's schwer, ihr Papilionen,
auf dieser Welt zu wohnen?
Verlort ihr diese Spur?
Zusammen hier zu rasten,
lockt uns ein Leierkasten,
der spielt »Nur für Natur«.

Wir junggewohnten Schwärmer,
wir wurden arm und ärmer
in der papiernen Pein.
So sagt, ihr losen Lieben,
wo wart ihr denn geblieben,
und ließet mich allein?

Der Walzer ist verflossen,
wir waren Zeitgenossen,
bleibt doch ein Weilchen stehn!
Die Zukunft ist begraben,
die fressen schon die Raben.
Wann werden wir uns wiedersehn?

*

Verlöbnis

Unendliche, laß dich unsterblich ermessen
und es sei mir dein Fühlen bewußt.
Meines entschwand mir zu höllischer Lust.
Denn der Gedanke bricht ins Vergessen.

Wie dein Gefühl auf steilenden Stufen
immer verweilend den Himmel erzielt —
wissend, hab' ich es nachgefühlt,
und ich will es ins Ohr dir rufen!

Laß es mich denken, wie einer ermattet
an deiner Kraft, in dein schwellendes All
begehrte der irdische Einzelfall,
der das ewige Licht beschattet.

Und die zufriedene Gier läßt die Lüge
dort zurück, wo die Lust vertan.
Und er sah dein Gesicht nicht an,
als sich dir heimlich verklärten die Züge.

Ach, den Verlust am liebenden Leben
hast du ihm, sehnende Nymphe, vertraut.
Aber die Stunde hört nicht den Laut,
wenn vom Leid die Äonen beben.

Und seine Armut flieht von dem Feste,
daß sie nicht an der Fülle vergeh'.
Weibsein beruht in Wonne und Weh.
Mann zu sein rettet er seine Reste.

Fällt auch die heilige Welt zusammen
in dem unseligen Unterschied —
ich setze fort dein verlassenes Lied!
Ich will entstehen aus deinen Flammen!

Was immer dir fehle, von dir empfangend,
schöpfend aus deinem lebendigen Quell,
so wird dem Teufel der Himmel hell,
immer doch deine Lust verlangend!

Muß sich der Geist in dir versenken,
reißt ihn aus der Höh' keine irdische Macht.
Verbuhlen wir so diese Lebensnacht!
Unsterblich küssen, unendlich denken!

*

Der Anlaß

Was ist mein Anlaß? Nichts, ein Schein,
wie es sich anläßt insgemein.
Ich lass' es leicht an mich heran,
doch lass' ich es an mir nicht an.
Hart lass' ich's an, wenn's nicht will weichen,
dringt mir ins Leben so ein Zeichen.
Doch jeder Tonfall, jede Miene,
es läßt mich an, mich, die Maschine
und meine Kraft erliegt dem Reize
des Irgendwas, womit ich heize.
Und wie den Stahl zu seiner Hitze
läßt es mich an zu Wut und Witze.
Am Staubgefäß fass' ich die Pflanze
und setze kühn den Teil fürs Ganze —
kein Anteil an dem Werk gebührt
dem Anlaß, der's herbeigeführt.
So jedem Anstoß ausgesetzt,
stoß' ich von innen doch zuletzt.
Wie wehrlos schein' ich, wenn ich meine,
daß mir die Welt im Schein erscheine.
Deckt diesen sie mir endlich zu
und hab' ich vor dem Anlaß Ruh,
so steht zu ihrem, meinem Heil
das Ganze wieder für den Teil.
Viel leichter wird's, die Welt zu fassen,
will sie mich an mich selber lassen!

*

Aufforderung

»Wie dein Versmaß jenem von Goethe gleicht!
Schien da sein Vorbild nicht vorzuschweben?«
Kann sein, denn was ich mit der Sprache erreicht,
dran hab' ich mir nie die Schuld gegeben.

Ich schreib' es nicht mir zu, ich schreibe durch Glück
und halt' es mit Geistern, die über mir walten.
Doch liegt wohl mein Ursprung noch weiter zurück,
und ich muß nur treffen, was vorbehalten.

Denn wißt, das Wort, das am Anfang war,
das sind meine biblischen Siebensachen.
Wer's nicht glaubt, dem biet' ich die Forderung dar,
ein Gedicht von Goethe mir nachzumachen!

*

 

Inschriften

 

Bitte an Verehrer

Nicht Ruhm, nur Ruh!
Müßt' ich alle, die über mich schreiben,
auch hören,
so würde nichts bleiben,
was sie verehren.
Und meine Tür blieb' von selber zu.

*

Sonderbare Gäste

Daß mancher Fant bei mir gesessen,
sollte mir hinterdrein übel bekommen.
Er hat die Weisheit mit dem Löffel gegessen,
den er von meinem Tische genommen.

*

Die Zwangslage

Wie rächen sich die Zwerge
an den Riesen?
Sie machen sich über die Berge
oder Psychoanalysen.

*

Den Psychoanalytikern

Was mir vergangen ist,
euch ist es gegenwärtig.
Was mir im Traum befangen ist,
damit werdet ihr fertig.
Mir aber soll's eine Lust sein,
allein zu träumen,
und nachher in eurem Bewußtsein
aufzuräumen!

*

Die Satire ist wehrlos

Das Ungereimte aus Zeit und Ort
es drängt sich in den Löwenrachen.
Unendlich erliegt dem Reiz das Wort,
sich zu der Welt einen Reim zu machen.

*

Instanz des Reimes

Zwei Sphären und zwei
beginnen zu zanken,
der Reim ist Gericht.
Zum Klang wird der Schrei,
der Klang zum Gedanken,
der Zank zum Gedicht.

*

Wie man's anpackt

Durch die treulose Welt zu Schaden zu kommen,
das wird von den meisten Menschen beklagt.
Ich hab' jedes Ding noch beim Wort genommen,
und nie hat es mir seine Hilfe versagt.

*

Höllenangst

Die Freiheit trug ein teuflisches Verlangen,
der Autor werde nach dem Tode frei.
Er werde sonach von Verlegern gefangen
und mißhandelt in jeder Druckerei.
Lieber die Hölle mit glühenden Zangen
als des Druckfehlerteufels Barbarei!
Zwar die Andern, deren Namen klangen,
hörten nie des verstümmelten Wortes Schrei.
Was mit ihrem Geiste vorgegangen,
war ihnen bei Lebzeit schon einerlei.
Wie werde ich armer Teufel bangen,
sind erst die dreißig Jahr' vorbei!

*

Warnung des Lesers

Wenn an eurem Horizont mein Wort erscheint —
ahnt ihr denn, was vorhergegangen?
Euch würde nach andrem Klima verlangen.
Ihr meint, der Himmel sei heiter gemeint?
Blitz, Hagel und Wetter!
Titanenkampf mit einer Letter!

*

Deutsche Literaturgeschichte

In keiner Literaturgeschichte
wirst du meinen Namen finden.
Wie ich die Geschichte mir richte?
Ich lasse sie drucken und binden,
und bringe die Literaturgeschichte
in die Literaturgeschichte.

*

Dienst der Kunst

Die Kunst, sie diene mir zum Schutz
vor dieses Lebens Qualen.
Da ist die Malerei nicht nutz,
den Leuten was zu malen.
Auch die Musik geht nicht drauf aus,
es ist ihr nicht zu eigen,
um einem gutbesuchten Haus
gehörig heimzugeigen.
Nur mit der Wortkunst halt' ich's drum,
die ist für mich und jeden,
sie hilft, um mit dem Publikum
doch einmal deutsch zu reden,

*

Der Vorleser

Ich muß sie alle vereinen,
die ich einzeln nicht gelten lasse.
Aus tausend, die jeder was meinen,
mach' ich eine fühlende Masse.
Ob der oder jener mich lobe,
ist für die Wirkung egal.
Schimpft alle in der Gardrobe,
ihr wart mir doch wehrlos im Saal!

*

Das abgeschaffte Orchester

Musik ist der allgemeine Dunst,
damit die Leute zusammengelangen:
es ist die allerschwerste Kunst,
gleich mit dem Anfang anzufangen.

Damit der mannigfache Verstand
sich zu der Wirkung versammelt spüre,
hat man ihn mit Musik übermannt
und fällt in das Haus mit der Ouvertüre.

Jenen oben war es darum
immer mit solchen Geräuschen lieber.
Fehlt es, hat doch das Publikum
mehr als sie selber Lampenfieber.

Deutscher Stil, dem die Wahrheit beliebt,
will den Erfolg ohne Schwindel gewinnen.
Und seitdem's keine Schauspieler gibt,
ist's eine Kunst, das Spiel zu beginnen.

*

Die Claque

Die Theaterclaque dient dem guten Zwecke,
daß sie den geweckten Beifall wecke.
Doch kann sie den Beifall auch selber geben,
denn ohne sein Stichwort kann die Bühne nicht leben.
Die Vernunft, die nicht fühlt dieses Wechsels Gewalten,
mag den Wunsch nach Akustik für Eitelkeit halten.
Darum liebt das Berliner Reformerpack
den Kaffee nur als Kaffe und das Theater ohne Claque.

*

Einem Polyhistor

Zu wenig Verstand muß unterm Fluch
des vielen Wissens wanken.
Ich sehe dich stets mit einem Buch
und nie mit einem Gedanken.

*

Das Originalgenie

Nie nahm er etwas aus zweiter Hand
und hielt sich bloß an die Originale,
und wo er nur etwas Gutes fand,
dort stahl er es stets zum ersten Male.

Als Knabe, sagt man, war weltvergessen
versunken er gern im Waldesweben.
Da sei er oft an der Quelle gesessen,
und habe sie niemals angegeben.

*

Der Erotiker

So manche Mutter entließ mit Bangen
— und dem Verführer galten ihre Flüche —
ihre Tochter, die sie lieber versteckte,
in seine erotische Teufelsküche.
Und jede noch ist als perfekte
Köchin daraus hervorgegangen.

*

Klassiker-Ausgaben

Der neue Glanz im Geistesleben
vermag selbst Klassiker zu retten:
sie werden von jenen herausgegeben,
die sie sonst verklopft hätten.

*

Die neue Generation

Welcher Empfindungen buntes Gedränge,
sie hören Farben, sie sehen Klänge.
Wo ist denn die Rasse auferzogen,
kein Satz ist gebildet, jeder gebogen.
Sie sind imstand, nach Belieben zu schalten
mit totgeborenen Lebensinhalten.
Das ist ein sonderbares Geschlecht,
sie schmecken falsch, sie riechen nicht recht.
Sie denken nicht und wollen doch nicht lesen.
Das Schreiben ist Selbstbefriedigung.
Sie sind noch jung.
Sie sind noch nicht bei der Zeitung gewesen.

*

Täuschung

Immer in hellen Haufen,
über Stock und Stein,
sind sie mir nachgelaufen,
ließen mich nicht allein.
Schon glaubt' ich, es wären Weiber,
sie waren es von Natur,
doch vom Berufe Schreiber
und leider auch von Statur.

*

Der Übermannenden

Ein Weib war sie in allen Banden,
in die der Mann die Weiber schlug,
weil ihm die Klugheit kam abhanden.
Sie war ein Weib und dennoch klug.
Da fühlte sie sich Manns genug
und machte die Gewalt zuschanden
mit ihrem Witz und Weltbetrug.
So hat sie ihren Mann gestanden
und noch ein Schock in einem Zug.

*

Eifersucht ist immer unberechtigt

finden die Fraun.
Ei, lasset uns schaun.
Entweder ist sie berechtigt oder unberechtigt.
Ist sie unberechtigt,
so ist sie doch nicht berechtigt.
Ist sie aber berechtigt,
so ist sie, ei verflucht, nicht berechtigt.
Traun!
Drum, hätt' ich doch Glück
und erwischte einmal den Augenblick,
wo schon und noch,
ach erwischt' ich ihn doch,
wo sie eben noch grad ist berechtigt!

*

Der Anstoß

Wenn man die Natur nur ließe,
die sich am Menschen nicht wetzt!
Wenn sich die Moral nicht stieße,
würde sie nicht verletzt.

*

Die Geschlechter

Ich muß sie erst, wie sie ist, vergessen,
daß ich mich ganz in sie versenke.
Dann stehe ich unter dem Eindruck dessen,
was ich von ihr denke.

*

Kompliment

Nein, das kann sie nicht verletzen,
ich will sie nach ihrem Verdienst überschätzen!

*

Begehrlichkeit

Das schafft ein ewiges Bangen,
macht immer wieder betrübt:
so viel von ihr zu verlangen,
als sie von sich selber gibt.

*

Dank

Nicht viele gibt es, die geben,
gab's einmal solche, die gaben.
Leicht, ohne Frau zu leben.
Schwer, ohne Frau gelebt zu haben.

*

Grabschrift
für Elisabeth R.

Dein Erdentag war ein Ermatten,
Dein Erdenglück war der Verzicht.
Dein armes Herz erkor den Schatten,
Dein reiches Herz, uns gab es Licht.

*

Der Mann und das Wort

Ein Mann ein Wort: .
so ist die Sprache denn der Ehre Hort.
Doch diese, die verspricht, kann sich versprechen.
Oft haben Worte einen Mann ersetzt.
Doch kann ein Mann ein Wort ersetzen?
Ich möcht' es so gering nicht schätzen.
Die Ehre bloß, das Wort wird nicht verletzt
und jene kann man, dieses nimmer brechen,
da wohl der Mann, das Wort nicht anders kann.
Das meine ist: Ein Wort ein Mann!

*

Kompetenz vor der Sprache

Ja, die Sprache beherrscht unser Herr, der Kommis.
Ihm ist sie zur Hand und mich zwingt sie aufs Knie.
Sie ist seine Magd und er geht mit ihr um,
und ich bin ihr Diener und mich macht sie stumm.

Was hör' ich? Wer vor einem Bild sich nicht traut
zu sprechen, wird vor dem Gedichte laut?
Das macht, er selbst kann nicht malen, doch sprechen,
drum kann er sich gleich an dem Sprachwerk rächen.

Wenn einer vor Symphonieen zwar schweigt,
so weiß er doch, wie so ein Dichter geigt!
Das macht, er kann selber sprechen, nicht geigen,
drum wird er einmal es dem Dichter zeigen.

Man sollte die Kompetenzen vermehren,
die sprechenden Esel auch singen lehren,
und die Umgangsmusik durch die Kunst noch ergänzen,
die Kleider mit Farben anzutrenzen.

Die Frage »Wie gehts?« sei gemalt, sei gesungen,
zur Not sei sie gar in Gips noch gelungen.
Daß vor keiner der Künste verstumme, nein nie,
der die Sprache beherrscht, unser Herr, der Kommis!

*

Der Satiriker geißelt die Schwächen

Was so der Pöbel Satire heißt,
ist: wenn an des stärkern Geistes Schwächen
die Schwäche sich will mit der Frechheit rächen,
sich entschädigt der inferiore Geist.

Und doch besteht die Schwäche der Stärke
vor aller machtlosen Stärke der Schwachen,
und vergeht ihnen niemals auch das Lachen,
so vergeht doch der Lacher vor dem Werke.

*

Inschriften

 

Beschwörung des bösen Geistes

Wer sind sie, die mein Dasein peinigt?
Bekreuzen sich die frommen Christen?
Ich habe die Hölle ein wenig gereinigt,
da wird der Teufel zum Exorzisten!

*

Glossen werden Symbole

Nur jenen, die fern in Zeit oder Land,
wird der Inhalt meiner Satiren bekannt.
Nachbar Meier mich einen Kleingeist nennt,
weil er den Müller persönlich kennt.

*

Gerhart Hauptmann

Drei Engel redeten einst aus dir,
ich liebte dich, verzeihe.
Doch Hannele träumt, so träumte mir,
von der sechsten Kriegsanleihe.
Und Pippa tanzt im Hauptquartier
und freut sich, daß jene gedeihe.

*

Richard Dehmel

Du hast die deutschen Pferde gepriesen,
daß sie sich deutsch und treu erwiesen
und hielten fest die Wacht am Rhein.
Stolz stampften sie die deutsche Erde!
Sie waren stolz, nur deutsche Pferde,
doch deutsche Dichter nicht zu sein.

*

An denselben

Du hast das Geräusch der Maschinengewehre
mit Mut eine Sphärenmusik genannt.
Das war verdrießlich.
Doch schließlich,
ein guter Sphärenmusikant
ist noch kein Dichter der höheren Sphäre.

*

Hugo v. Hofmannsthal

Daß du in Warschau eingezogen,
das hat dir der Bahr nur vorgelogen.
Denn als du dann nach Warschau gekommen,
war Warschau längst von andern genommen.
Um Warschaus Widerstand wieder zu brechen,
beschlössest du Schulter an Schulter zu sprechen.
Und als dann erschien, was du Warschau gesagt,
hat sich Warschau über den Druck beklagt.

*

Derselbe

Schwarzgelblicher Haltung blutlosen Trophä'n
galt, als es galt, seine tapfere Wahl.
Es schlug eine Brucken zum Prinz Eugen
der edle Ritter von Hofmannsthal.

*

Artur Schnitzler

Sein Wort vom Sterben wog nicht schwer.
Doch wo viel Feinde, ist viel Ehr:
er hat in Schlachten und Siegen
geschwiegen.

*

Bahrs Himmelfahrt

Wie der Vater der »Mutter« als frommer Christ
sich zum Vaterunser gewendet,
da hat, wie die Welt nun einmal ist,
die Sache mit Zweifel geendet.

Er hat als Sohn seinen Geist bereut
und zum heiligen Vater gefunden.
Er hat sich im Wiener Journal kasteit
und sich dort zu Gott überwunden.

Er hat jeden Sonntag den Glauben geprobt
und ließ das Gehabte gut sein.
Da hat die Welt seinen Eifer gelobt
und sagte: Das muß ein Jud sein!

*

Prager Klassiker

Literatur, das ist ein Katzensprung
von der Fürstengruft zum Prager Graben,
und von Moriz Schiller dürfte mancher Jung
Goethes ellenhohe Socken haben.

*

Berichtigung

Leider, herich, fehlt bei Schillern dorten
ein Artikel, der nicht Frauen kleidet.
Fehlt die Sache zu den rechten Worten,
das Gedicht nicht, das Geschäft nur leidet.
Dieser Mangel läßt sich leicht vermeiden,
da, an Prager Schick sich zu gewöhnen,
sich in Schillers Flügelkleider kleiden
dorten, herich, Weimarer Kamönen.

*

»Die Kunst sich zu freuen«

Er freut sich, wenn die Sonne scheint,
er freut sich, wenn es regnet.
Nie hat er noch ein Ding verneint,
stets hat er es gesegnet.

Ein Freund von allem was da ist,
von Fauna wie von Flora,
er fühlt als Türke, fühlt als Christ,
nicht abgeneigt der Thora.

Ihn freut, ob Krieg, ob Frieden sei,
ob's billig oder teuer,
er bleibt der guten Sache
treu als Nibelungentreuer.

Ob's nur ein Mensch, ob es ein Hund:
der Liebe ein Erfüller;
er ist am Werkeltage und
am Sonntag der Hans Müller.

Wie findet sich die Welt zurecht
bei so viel Sonnenscheine?
Erglänzt des Geistes Gold wie echt,
so bleibt man nicht alleine.

Vor solchen Schätzen stehn allhier
Bewunderer und Diebe.
Die Leser freut's. Das dumme Tier zeigt
keine Gegenliebe.

*

P. A.

Klarer als jene wohlerzognen Dichter
hast du im Nachtlokal und bei der Flasche
die halbe und die ganze Welt erfaßt.
Du steckst das ganze Taggelichter
von Dichtern und Bürgern in die Tasche,
wiewohl du andres drin noch lieber hast.

*

Marmor-Chronik

Der gute L. baut einer schlechten Welt
aus guten Materialen.
Wenn sie trotzdem zusammenfällt,
wird sie noch prahlen.
Weil sich der Marmor doch erhält.
In den Annalen
von Luxuswüsten wird erzählt,
von den Schakalen,
hier raubten sie das schlechte Geld;
wir mußten's zahlen.
Unter Opalen,
von wo des Lichtes Gnade fällt
in Qualm und Qualen,
saß alles was da unbeseelt
vor den Journalen
und ließ von jenen, die's nicht quält,
den Tod sich malen
und schlug ihn aus dem Feld,
die Schalen vor den Schalen,
wie gleich und gleich sich gern gesellt.
O seht die Pracht in den Lokalen,
gebaut für die Vandalen,
der gute L. hat's hergestellt!

*

Luxusdrucke

Die Kultur, die ihr Bett nicht auf Rosen hat,
wird auf Büttenpapier erledigt.
Wer in Berlin nur zerfranste Hosen hat,
wird durch Luxusdrucke entschädigt.

Tipptopp sei es im Bücherschrank,
Denn die auf der Börse spielen,
sind neben dem Hauptbuch durch die Bank
mit die feinsten Bibliophilen,

Der Schieber, mit Blute dick gesaugt,
will schnell von dem Schwindler geschröpft sein.
Ach, 's ist ja zum Schießen, ein Buch sogar taugt,
doch muß Bütten handjeschöpft sein.

Der geistige Bankert sei ausstaffiert
mit dem protzigsten Sonntagskleide.
Der Vater hat ihn persönlich signiert.
Und dafür gab der Wurm seine Seide!

Auf den Inhalt kommt es weniger an,
wo die Aufmachung der Ruhm ist.
Man wickelt in Kaiserliches Japan
den ungeformtesten Kuhmist.

Der Dreck auf Velin sei numeriert,
und sie tun's auch nicht unter Zanders.
Denn wenn sich der Dichter nicht geniert,
sie lesen nu mal nich anders.

An van Geldern lassen die Jobber nicht,
nicht mal an Old Stratford rütteln!
Und so wird ein handgeschöpftes Gedicht
selbst mundgerecht den Bütteln.

*

Der neue Wiener

Ein buntes Rassen- und Klassengemisch,
der Bastard von allen Stilen,
Kostgänger an der Kulturen Tisch,
Parasit an Wetten und Spielen.

Und in der Fremde, die ihn nicht rief,
seines Daseins beflissener Bote,
propagiert er sich schlau und dennoch naiv,
und zahlt drauf mit der Wiener Note.

Nach unten und oben gleich konnivent,
kommt er seinem Schicksal entgegen.
Er hofft, da er sich's ja doch richten könnt',
es werde sich's noch überlegen.

Gefeit, daß in seiner Librettoluft
die Tragik ihn überrasche.
Er kennt sich aus in der Kapuzinergruft,
wie in Rothschilds Westentasche.

*

Der triftige Grund

Um heute zu verreisen,
braucht man einen triftigen Grund.
Ich kann ihn nicht beweisen,
ich werde verlegen und
ich bitte, mich zu vertreiben.
Ich dachte, man braucht ihn, um hier zu bleiben.

*

Für Nichtraucher

Noch liest man oft: »Das Rauchen ist verboten«,
ein Warnruf für die Tauben,
für die er schließlich nicht erlassen.
Man sollte neuerdings durch neue Noten
es endlich doch erlauben:
Nichtraucher fänden sich in Massen.

*

Die kranke Valuta

Nein, da dürft ihr, liebe Leut, nicht hoffen.
Gold kriegt ihr nicht mehr zurück für Eisen.
Nach dem Kriege könnt ihr erst nicht reisen.
Auch die offne Welt steht euch nicht offen.

Wartet nur und sitzet wie auf Kohlen
— denn den Kohlen müsset ihr entsagen —,
und vom Krieg soll in den Friedenstagen
einzig die Valuta sich erholen.

*

Czernins Rede

Der Ort, wo er sprach, war doch am Platz.
Wo sind seine Hörer denn gesessen?
Ein Mittagessen ist
heut nur Delegationsersatz.

*

Der neue Pair

Im Krieg ward er, ja wer? ja der, woher, berufen.
Die Nachbarplätze blieben leer daher, auf Ehr!
Denn es versteckt sich jeder Pair,
den mehr Geburt und Air dazu erschufen.

Das ist der Krieg, la guerre, so dachte der, der Pair,
Malheur, gab sich ein Air, und stieg die exklusiven Stufen,
das Feld der Ehre unberufen
ist heutzutage auch bekanntlich leer.

Da sie zur Wehr den Schützengraben sich erschufen,
so sieht man keine Leute mehr, kein Militär.
Und sehr versteckt sich jeder Pair,
seit jenen man im Krieg hieher berufen.

*

Auszeichnung eines Überlebenden

Er hat den Graben mit kühnem Handstreich genommen,
doch zerfetzt ist er auf dem Platze geblieben.
Der Siegfried, der es gehört und geschrieben,
hat dafür das Verdienstkreuz bekommen.

*

Die Kriegsberichterstatterin

Ein Weib an der Front?
Ich muß mich verlesen haben!
Was kann die nutzen?
Oh, sie ist es gewohnt.
Sie schaut zu, wie sie den Graben
ausputzen.

*

Ehrendoktorate

Er wurde Doktor der Philosophie.
»Wie?
Ei, da hat er wohl während der Schlacht
ein Philosophem gar ausgedacht?
So sagt doch, welches Werk er schuf!
Oder wollte er just durch Schweigen
der Welt sich als Philosophen zeigen?«
Er sprach, und zwar das Wort: »Nur feste druff!«

*

Der Bericht vom Tag

»Durch welche Schlacht traf Sie der harte Schlag?
War es ein Sturm, wo ihn das Glück verließ?
Erschlug das Trommelfeuer Ihren Helden?
Wie lautet der Bericht von jenem Tag?«
»Es war der Tag, von dem es hieß:
Nichts Wichtiges zu melden.«

*

Der Bauer, der Hund und der Soldat

(Wolhynien)

»Der Hund ist krank! Was fehlt dem armen Hunde?«
»Er ist verwundet, Herr. Das ist der Krieg,
und davon eben hat er seine Wunde.«
Der Bauer sprach's und streichelt' ihn und schwieg.

»Wie aber, wann und wo empfing die Wunde
der arme Hund? Er kann ja gar nicht gehn!«
»Herr, es ist Krieg und da ist es dem Hunde,
er stand so da, da ist es ihm geschehn.

Der Hund stand da und da kam ein Soldat,
der ging vorbei und stach nach meinem Hunde,
der keinem Menschen was zu leide tat,
nie biß er wen, nun hat er seine Wunde.

Seht ihn nur an, es war ein gutes Tier,
er dient mir lang', und in der weiten Runde
der beste Schäferhund, er führte mir
das Vieh allein, nun hat er seine Wunde.

Seht, wie er hinkt. Das tut er seit der Stunde,
da der Soldat vorbeikam, der Soldat,
der stach nach meinem alten Schäferhunde,
der keinen Menschen noch gebissen hat.«

»Und warum, glaubt ihr, bracht' er ihm die Wunde,
der Mann dem Hund die schwere Wunde bei?
Der Hund ist stumm, sein Blick befiehlt dem Munde
für ihn zu sprechen, sprecht nur frank und frei.«

»Wir wissen's nicht. Doch wißt ihr's selbst wie wir,
daß Krieg ist. Mir und meinem armen Hunde
und Gott und jedem Kind und auch dem Tier
ist es bekannt, und Krieg schlägt jede Wunde.

Ich sagt's euch Herr, der Mann war ein Soldat
und wer die Waffe hat, der schlägt die Wunde.
Wißt ihr denn nicht, wie viel's geschlagen hat
in dieser gottgesandten Zeit und Stunde?«

»So solltet ihr, daß er vom Schmerz gesunde,
das arme Tier sogleich mit Gift vergeben.
Erschießt ihr ihn, wißt ihr, daß eine Wunde
auch Wohltat sei, und helft ihm aus dem Leben!«

»Ach Herr, ich ließ' es nimmermehr geschehn,
ich kann nur leiden mit dem armen Hunde,
's ist Krieg, ich kann ein Huhn nicht sterben sehn,
's ist Krieg, da, wißt ihr, gibt es manche Wunde.

Der Hund war gut, vorbei ist's mit dem Hunde,
seit der Soldat vorbeiging, 's ist der Krieg.
Man muß es nehmen, was sie bringt die Stunde.
« Der Bauer sprach's und streichelt' ihn und schwieg.

*

Vision des Erblindeten

So, Mutter, Dank! So fühl' ich deine Hand.
Oh, sie befreit von Nacht und Vaterland!
Ich atme Wald und heimatliches Glück.
Wie führst du mich in deinen Schoß zurück.

Nun ist der Donner dieser Nacht verrollt.
Ich weiß es nicht, was sie von mir gewollt.
O Mutter, wie dein guter Morgen taut!
Schon bin ich da, wo Gottes Auge blaut.

*

Meinem Franz Grüner

(getötet am 19. Juni 1917)

Wo bleibst du denn? Andacht und Wissenschaft
will ich von deiner reinen Stirne lesen.
Welch öder Zufall hat dich mir entrafft?
Was triebst du dort, wo du zuletzt gewesen?

Lebhafter Hörer — sprachst du mir vom Geist,
wie ward dem unruhvollen Herzen stille.
Du frommer Forscher. Sprich, da du es weißt:
Wohin wies dich der unerforschte Wille?

 

*

 

Die letzte Nacht

(Aus dem Epilog zu der Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit«.)

Der Horizont ist eine Flammenwand. Nachdem Gasmasken, sterbende Soldaten, ein General, Kriegskorrespondenten,
ein Totenkopfhusar, der Doktor-Ing. Abendroth aus Berlin und andere Erscheinungen gesprochen haben,
setzen die folgenden Auftritte ein.

(An diese schließen sich die Wechselreden von drei gelegentlichen Mitarbeitern an,
hierauf Rufe von Kriegern, Ordonnanzen und Kinooperateuren, Stimmen aus dem Kosmos und die Stimme Gottes.)

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Es wird dunkel. Es erscheinen Hyänen, die Menschengesichter tragen.
Als Sprecher die Hyänen F r e s s a c k und N a s c h k a t z.
Sie kauern vor den Leichen und sprechen, rechts und links, in ihr Ohr.


Fressack

Wenn Sie vielleicht was bedarfen, wenn Sie vielleicht was bedarfen,
wir sind da, wir tragen Gesichter als Larven.
Doch erschrecken Sie nicht vor Barten und Mähnen:
wir sind doch keine Menschen, wir sind nur Hyänen!
Nur daß Ihr Opfer umsonst nicht wäre,
sind wir hier am Platz, auf dem Felde der Ehre.
Bedarfen Sie nichts, nehmen wir Ihnen was ab,
was solln Sie mit Schmuck und Barschaft ins Grab!

Naschkatz

Ihr seid nebbich froh, daß alles erledigt.
Für eure Verluste haben wir uns entschädigt.
Auf unseren Rat gingt ihr frisch in das Feld,
gabt ihr euer Blut, nahmen wir euer Geld.
Damit wir gewinnen, mußtet ihr wagen,
jetzt gilt's noch ein Scherflein beizutragen.
Wenn ihr auch besiegt seid, wir werden doch siegen.
Das Blut ist gesunken, das Fleisch ist gestiegen.

Fressack

Ihr könnt euch in dem Punkt auf uns verlassen:
bald wird euch des Kaisers Rock nicht mehr passen.
Mit euren Granaten und Bomben und Minen
fahrt weiter so fort und laßt uns verdienen.
Das ist ein Vergnügen, herum hier zu lungern,
ihr braucht nicht zu frieren, ihr braucht nicht zu hungern!
Wir wissen es doch, unser Ehrenwort, heuer
sind Kohle und Fett noch dreimal so teuer!

Naschkatz

Wir sagen es ins Ohr euch, ihr solltet uns danken:
dadurch, daß ihr hier liegt, gehts besser den Banken.
Durch die Bank konnten sie das Kapital sich vermehren,
die Fusion mit der Schlachtbank kann man ihnen nicht wehren.
Ihr könnt noch von Glück sagen, so ruhig zu Hegen,
wenn zugleich mit den Kugeln die Tausender fliegen.
Doch ihr seid entschädigt: ein jeder ein Held!
Ihr schwimmt ja in Blut, und wir nur in Geld.

Fressack

Ihr werdet doch fortleben in den Annalen!
Umsonst ist der Tod, doch dafür muß man zahlen.
Wir haben den Krieg ja nicht angefangen.
Wir haben ihn nur gewünscht, aber ihr seid gegangen!
Von unsern Verdiensten wird niemand singen,
euch müssen doch schon die Ohren klingen!
Von euch werden euere Enkel noch sagen.
So solln sich die unsern über uns nicht beklagen.

Naschkatz

Meine Kinder warn auf ein Haar an die Front gekommen.
Zum Glück aber hat man sie nicht genommen.
Der eine is für Hintertürin zu ehrlich,
er is im Geschäft einfach unentbehrlich.
Der andere ist zu stolz, so war ich für ihn oben,
a conto dessen is er heute enthoben.
Aufs Jahr lass' ich meinen Jüngsten entheben.
Ihr wart auch einmal jung — da soll man erleben!

Fressack

Mein Bub hat ka Protektion, doch er hat sichs gerichtet,
der andere hat Talent, er hat über Siege gedichtet.
In demselben Moment, wie ihn das Vaterland rief,
macht der Jung ein Gedicht und kommt ins Archiv.
Er will aber hinaus — statt dort is ihm lieber
er geht, und wird gleich Dramaturg bei Ben Tiber.
Bittsie drin muß er schreiben, was sich draußen ereignet!
Der Jüngste is nebbich ungeeignet.

Naschkatz

Ihr könnt nicht genug die Mezzie euch preisen,
ihr starbt doch für Wolle, wir leben für Eisen.
Und wir müssen gestern und heute und morgen
uns noch für Leder und Seife und Tafelöl sorgen.
Freihändig offeriert man und erlebt noch die Schand,
ein Dutzend Waggons bleibt einem in der Hand!
Jetzt gehts noch, doch im Frieden — da sag ich von Glück,
wenn, Gott geb, entsteht eine Waffenfabrik.

Fressack

Gott verhüte das Unglück, wer redt heut von Frieden,
wir haben uns zur Not mit der Kriegsnot beschieden.
Wir liefern und leisten, und geben auch was her —
dann warn wir geliefert, und das war ein Malheur.
Was heißt Waffenfabrik, ich bin zufrieden mit Skoda,
die Wirkung wie treffend beschreibt Roda Roda.
Wenn ihr schon genug habt, so laßt nackt euch begraben,
meine Frau will einen neuen Pelzmantel haben.

Naschkatz

Ihr könnt es uns glauben, das Leben ist sauer,
ihr Toten, ihr solltet für uns tragen Trauer.
Wenn sich einmal herausstellt, man hat umsonst sich geplagt,
das Friedensrisiko — Ihnen gesagt!
Wie wenig bleibt einem, denn für meinen Sohn
kauf ich jetzt ein Gut, und mein Freund wird Baron.
Einem jeden das Seine. Dem Helden das Grab.
Wir sind die Hyänen. Uns bleibt nur der Schab!

 

Chor der Hyänen

So sei's! so sei's!
Doch nur leis! Nur leis!
Die Schlacht war heiß
und durch eueren Schweiß
und durch unseren Fleiß
ist gestiegen der Preis.
Gott weiß, Gott weiß.
Noch drei Waggon Reis
und noch drei Waggon Mais
stehn auf dem Geleis.
Steh auf, geh leis!
Wir schließen den Kreis.
So sei's! So sei's! .

 

Tango der Hyänen um die Leichen. Die Flammenwand im Hintergrund ist inzwischen verschwunden.
Ein schwefelgelber Schein bedeckt den Horizont. Es erscheint die riesenhafte Silhouette des Herrn der Hyänen.
In diesem Augenblick stehn die Hyänen still und bilden Gruppen.


Der Herr der Hyänen
 

Schwarzer, graumelierter, wolliger, ganz kurzer Backen- und Kinnbart, der das Gesicht wie ein Fell umgibt
und mit ebensolcher Haarhaube verwachsen scheint; energisch gebogene Nase; große gewölbte Augen
mit vielem Weiß und kleiner stechender Pupille. Die Gestalt ist gedrungen und hat etwas Tapirartiges.
Jackettanzug mit Piqueweste. Der rechte Fuß in ausschreitender Haltung. Die linke Hand, zur Faust geballt,
ruht an der Hosentasche, die rechte weist mit gestrecktem Zeigefinger, auf dem ein Brillant funkelt, auf die Hyänen.


Habt acht! Und steht mir grade!
Ich komme zur Parade,
und es gefällt mir gut.
Ihr habt die Schlacht gewonnen!
Nun ist die Zeit begonnen!
Nun zeiget euren Mut!

Müßt nicht mit leisen Tritten
den Tod um Beute bitten.
Weh dem, der jetzt noch schleicht!
Nein, sollt mit freiem Fuße
ihn treten, Gott zum Gruße!
Denn jetzt ist es erreicht!

Und der es einst vollbrachte,
an seinem Kreuz verschmachte,
wert, daß man ihn vergißt.
Ich tret' an seine Stelle,
die Hölle ist die Helle!
Ich bin der Antichrist.

Dank steigt von allen Dächern,
daß jener zwischen Schächern
nun auch sein Spiel vollbracht.
Sein bißchen Blut, verronnen
ist's kläglich an den Tonnen
der unverbrauchten Macht!

Die Liebe ist gelindert!
Sie hat es nicht verhindert,
was nun zum Glück geschah.
So hört, ihr wahrhaft Frommen,
das Heil ist doch gekommen,
der Antichrist ist nah!

Die nie besiegte Rache
half der gerechten Sache,
ich war ihr gutes Schwert!
Sie zogen blank vom Leder
dank meiner guten Feder.
Die Macht nur ist der Wert!

Aus diesem großen Ringen
mit vielen Silberlingen
gehn siegreich wir hervor.
So schließen sich zum Ringe
die altgedachten Dinge.
Das Kreuz den Krieg verlor!

Und die gekreuzigt hatten,
wir treten aus dem Schatten
mit gutem Judaslohn!
Mich schickt ein andrer Vater!
Von seinem Schmerztheater
tritt ab der Menschensohn.

Er weicht dem guten Bösen.
Er wollt' die Welt erlösen;
sie ist von ihm erlöst.
Damit sie ohne Reue,
was sie erlöst hat, freue
und für den Himmel tröst'!

Der Haß mußt' sich empören.
Um nimmer aufzuhören,
war Liebe nicht gemacht.
Dank dieser Weltverheerung
gilt eine ewige Währung,
zu der der Teufel lacht!

Geht auch die Welt auf Krücken,
der Fortschritt mußte glücken,
ging aufs Geschäft er aus.
Was Gott nicht will, gelingt doch,
der Teufel selber hinkt doch
und macht sich nichts daraus.

Mit invalider Ferse
geht dennoch er zur Börse
und treibt den Preis hinauf.
Dort ist's gottlob nicht heilig,
der Teufel hat's nicht eilig
und läßt der Welt den Lauf.

Ich bin sein erster Faktor,
ich bin des Worts Redaktor,
das an dem Ende steht.
Ich kann die Seelen packen
und trete auf den Nacken
von aller Majestät!

Ich züchtige die Geister.
Drum zollet eurem Meister
den schuldigen Tribut.
Nach diesen großen Taten
auf größern Inseraten
die neue Macht beruht.

Das Leben abzutasten
mit unbeirrtem Hasten,
seid, Brüder, mir bereit.
Versteht der Zukunft Zeichen,
tastet noch ab die Leichen,
in Ziffern spricht die Zeit!

Laßt keine Werte liegen,
die dann die andern kriegen,
macht eure Sache ganz!
Tragt ein in die Annalen
die intressantern Zahlen
und macht mir Blutbilanz!

Der alte Pakt zerreiße!
So wahr ich Moriz heiße,
der Wurf ist uns geglückt!
Weil jener andre Hirte
sich ganz gewaltig irrte!
Ich heiße Benedikt!

Ich bin gottlob verwandt nicht,
die andere Welt sie ahnt nicht,
daß ich ein andrer Papst.
Denn alle an mich glauben,
die wuchern und die rauben
und die im Krieg gegrapst.

Die Frechen und die Feigen
vor meinem Thron sich neigen,
denn nun erst gilt das Geld.
Daß nie der Zauber weiche
von diesem meinem Reiche!
Es ist von dieser Welt!

Ging' es nicht über Leichen,
die dicken, schweren Reichen
das Reich erreichten nie.
Steht auch die Welt in Flammen,
wir finden uns zusammen
durch schwärzliche Magie!

Durch die geheime Finte
zum Treubund rief die Tinte
die Technik und den Tod.
Mögt nie den Dank vergessen
den Blut- und Druckerpressen.
Ihr habt es schwarz auf rot!

Ich traf mit Druckerschwärze
den Erzfeind in das Herze!
Und weil es ihm geschah,
sollt ihr den Nächsten hassen,
um Judaslohn verlassen —
der Antichrist ist da!

 

Walzer der Hyänen um die Leichen.


Die Hyänen

So sei's! So sei's!
Wir treten mit Mut.
Wir treten nicht leis.
Wir trinken das Blut!

Wir treten mit Mut.
Wir trinken es heiß.
Wir treiben das Blut.
Wir treiben den Preis!

Vergossen, vergessen,
genossen, gegessen,
wir prassen und pressen,
wir treiben den Preis!

So sei's! So sei's!
Wir treiben es mit Mut.
Die Schlacht war heiß.
Wir pressen das Blut!

Nicht sinke der Mut.
Wir bleiben im Kreis.
Wir treiben das Blut.
Nicht sinke der Preis!

Vergossen, vergessen,
genossen, gegessen,
wir fressen und pressen,
wir treiben den Preis!

Wir treten und treiben
und trinken das Blut.
Wir pressen es gut!

Wir treten und treiben
und trinken es heiß.
Wir treiben den Preis!

Schlaft gut, schlaft gut!
Wir treten nicht leis.
Eia popeia!
So sei's! So sei's!


Die Hyänen lagern sich über die Leichen.
Drei gelegentliche Mitarbeiter erscheinen.


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Meinem Franz Janowitz

(getötet am 4. November 1917)

Ein Landsknecht du? Vier Jahre deines Seins
hast du dein frühlinghaftes Herz getragen
durch Blut und Kot und alle Pein und Plagen
und wurdest der Millionen Opfer eins?

Und durftest, was du mußtest, uns nichts sagen
Und fühltest Vogelsang des grünen Rains
und lebtest stumm am Rande dieses Scheins
und fromm genug, um ferner nicht zu fragen.

Und da dein reines Herz erstickt in Kot,
das Mitgefühl der Zeit mußt du entbehren.
Ein treuer Bursch nur stand bei deinem Tod.

Doch seine Tränen wird die Welt vermehren,
färbt einst nicht Blut mehr, färbt die Scham sie rot.
Bis dahin mag sie ihre Henker ehren!

*

Zwei Soldatenlieder

In einem totenstillen Lied
vom Weh zum Wort die Frage zieht:
Wer weiß wo.

Wer weiß, wo dieses stille Leid
begraben liegt, es lärmt die Zeit
vorüber so.

Sie schweigt nicht vor der Ewigkeit
und stirbt und ist doch nicht bereit
zur letzten Ruh.

In einem lebenslauten Lied
vom Wahn zum Wort die Frage zieht:
Wer weiß, wozu!

*

Krieg

Der Bauer bat:
»Herr, dies hier ist mein letzter Rock
und all mein Gut ist dieser Bienenstock.
Bewach' ihn Gott und ein Soldat,
daß die Soldaten ihn nicht nehmen!«
»Ein braver Mann hat so was nicht vonnöten!«
Der stiehlt nicht Bienen. Der kann Bienen töten.
Denn Krieg ist Krieg, da hilft kein Grämen.
Bei Nacht geschah's, die Nacht schwieg still —
im Garten Lärm, und jener eilt zu retten
und er begegnet ihren Bajonetten,
da er es ihnen wehren will.
Denn Krieg ist Krieg, der Herrgott mag's bedauern,
und was da ist, das ist gewesen
und ohne Furcht und Federlesen
zerschlugen sie den Bienenstock dem Bauern.
Es tagt, 'nen Bettel bietet man ihm an.
»Behaltet's Herr!« »Ist's dir zu wenig, Schuft?«
die Stimme des Gewissens ruft.
»Ich will kein Geld! Nur sehn, wer es getan!«
Sie stehen mit erwartungsvollen Mienen,
da führt man jenen Führer her
der Rotte, die den Stock zerbrochen.
»Ich bin entschädigt! Dies ist mehr!
Sie haben ihm die Stirn zerstochen!
Denn Krieg ist Krieg. O meine braven Bienen!«

*

 

Inschriften


Kinematographischer Heldentod

Das Weltgericht macht uns nicht bang,
doch wird uns gerne weltgeschichtlich.
Kein Epos, ein Kino die Zeit besang:
»Sämtliche Heldentaten ersichtlich!«

*

Tradition

Wie? Herder schon war dem U-Boot gewogen?
Die Kunde wurde in Preußen laut.
Auch die älteren deutschen Theologen
hätten somit auf die Waffe vertraut.

*

Bomben auf den Ölberg

Laßt Hosianna erschallen, laßt Hosianna erschallen:
Bomben sind auf den Ölberg gefallen!
Das gläubige Ohr kein Zweifel belästigt:
Der Ölberg war längst militärisch befestigt!

Lob sei von euch dem Kühnen gesungen,
und preiset mir auch den Weisen laut:
dem endlich der große Wurf gelungen,
und jenen, der rechtzeitig vorgebaut.

Jenen und diesen, die's endlich vollbrachten,
laßt sie auf Lorbeern, auf Dornen nicht ruhn.
Denn wenn sie sich auch etwas anderes dachten,
ach, sie wußten doch, was sie tun.

Wenn statt der Kanone das Kreuz getroffen,
bei verfehltem Ziel ist die Absicht löblich.
Nicht splitterrichtend, wollen wir hoffen:
Der militärische Schade ist unerheblich.

*

Der Flieger

Arsenale zu treffen, wäre nicht ohne,
doch werden nur Kinderzimmer ruiniert.
Vielleicht, wer auf einen Säugling visiert,
zerstört endlich doch einmal eine Kanone!

*

Der neue Krieg

Am schwersten in diesem Krieg wird mir:
Gasmaske zu einen und Panier.
Wie ist das? Die vor dem Feind nicht weichen,
den Tod ihm mit chemischen Mitteln reichen,
die chlorreich bei der Waffe geblieben,
ob auch die Sonne über uns scheint —
sie wurden nicht aus der Armee getrieben
für rühmliche Feigheit vor dem Feind?

*

Siegesfeier

Sieg entflammt die Bürgerherzen,
das Gemüt erstrahlt im Trugschein.
Anzuzünden auch die Kerzen,
braucht man leider den Bezugschein.
Auch das Holz für Freudenfeuer
sollte füglich man bestellen.
Doch der Umstand, daß es teuer,
reicht, die Siege zu erhellen.

*

Zwischen den Schlachten

»Er strebt nach Lorbeer. Unter welchem Titel?
Durch welche Tat will er hervor sich tun,
auf daß sie seinen Namen nicht vergessen?
Bloß der Erkorne darf auf Lorbeer ruhn!«
»Die andern aber wollen ihn nur essen.
Er strebt nach Lorbeer, der ein Lebensmittel.«

*

Vorräte

Wir hoffen doch, es wird erklecken,
wenn wir das Mehl und den Zucker strecken.
Noch weniger Müh' aber würde es schaffen,
mit weiser Voraussicht zu strecken die Waffen.

*

Ausgleich

Daß dich dein Schuster jetzt beraubt,
das schaffe dir kein Grämen.
Hast je du an deinen Schneider geglaubt,
sollst du dich selber schämen.
Ich habe mein Mütchen daran gekühlt,
wie jetzt der Schneider den Schuster bestiehlt.

*

Knappes Leben

Ich wollte in einem Kaffeehaus Kaffee;
da sagte der Kellner: »Gar ka Idee!«
So bat ich ihn um zwei Zigarren:
da sah er mich an wie einen Narren.
Ich hatte zum Glück noch eine bei mir:
da sah er mich an wie ein Wundertier.
Nun wollt' ich sie rauchen, da brauchte ich Feuer:
da schien ich ihm vollends nicht geheuer,
er sprach: »Ja was fallt Ihnen ein, lieber Herr,
wo nehmen denn mir ein Strafhölzl her?«
Ich hatte noch eines bei mir zum Glück:
ihn faßte das Staunen, er prallte zurück.
Ich rief ihn wieder, da stand er stumm,
mein Wesen ging ihm im Kopf herum.
»Was ist noch zu haben?« Da brachte er bloß
von Zeitungen einen ganzen Stoß.

*

Kriegsküche

In einem Gasthaus gab's noch eine Speise
und einen Kellner, der nicht eingerückt;
die letzten Gäste hatten Kummermienen.
Daß er den Notstand vollends mir beweise
— ich hoffte schon, es sei geglückt —
der Kellner kam und sprach: »Kann nicht mehr dienen!«

*

Die Redensart

Ja beim Backen!, sagt von je der Wiener,
wenn er meint, daß etwas nicht zu haben,
neckend die Verneinung zu verstecken.
Will er heut an einem Brot sich laben,
ist's zu haben doch, korschamer Diener,
wohl beim Backen, nicht wahr? Ja, beim Backen!

*

Propaganda

Die Gunst der Neutralen uns zuzuwenden,
ist's verkehrt, unsre Künstler hinauszusenden.
Ich freilich bin wieder nicht zu gewinnen,
läßt man unsre Künstler bei uns herinnen.
Ich denke, es wäre zu Gunsten des Staats,
und hätte für mich einen eigenen Reiz:
man gibt ihnen einen Paß in die Schweiz
und behält unsre Künstler in Kontumaz.

*

Burgtheater-Tradition

Der Zustand macht uns nicht wenig stolz:
unsre Kunst war aus Marmor, jetzt ist sie von Holz.
Ich hatte stets das beste Kleid:
spricht ein Parvenü der Vergangenheit.
Wenn wir so mit dem Gehabten protzen,
hat der Gast nichts zu essen, aber reichlich zu kotzen.

*

Girardi im Burgtheater

Hat man deiner Kunst den Palast erschlossen,
o fliehe den Fluch der unseligen Erben!
Es glückt ihnen, deine Natur zu verderben.
Spiel ihnen, ebendort, einen Possen!

*

Der Ruf der Wienerstadt

Wie anders als sonst eine Frau, die gefallen,
steht diese Stadt da in schlechten Tagen.
Es darf als ihr guter Ruf erschallen,
ihr eine Vergangenheit nachzusagen!

*

Der Fremdenverkehr

Die Vindobona ergab ihre Ehre
einem geregelten Fremdenverkehre.
Sie wollte es immer am liebsten erleben,
er sollte sich womöglich noch heben.
Sie lockte sie, die sich ließen verführen:
Komm Kleiner, wir werden sich gut amüsieren.
Und jetzt im Krieg steht sie auf der Gassen
und fühlt sich von jedem Verkehr verlassen.
Die Fremden ließen sie schnöde im Stich —
nur durch die Hoffnung allein geht der Strich.
Doch jene bleibt: wird es Frieden geben,
so werde der Fremdenverkehr sich heben.

*

Die Instrumente

Ich habe es nie so recht vertragen,
daß ein Fleischer sich füllt seinen eigenen Magen.
Es hat mich besonders aufgeregt,
daß ein Schneider selbst einen Anzug trägt.
Der peinliche Anblick gab mir den Rest,
wie ein Friseur sich einmal die Haar' schneiden läßt.
Nur eine Betrachtung schien mir zu frommen:
ein Beamter hat eine Grobheit bekommen.

*

Unsere Post

Das ist nun hierzuland der Brauch:
die Post ist findig, doch verliert sie auch.
Du beklagst den Verlust von einem Brief?
Du wußtest doch selber, es gehe schief!
Was immer dir widerfährt durch die Post,
ein jeder Verlust hat in sich schon den Trost.
Du gabst einen Brief auf die Post — nun eben:
da hattest du ihn doch aufgegeben.

*

Repressalien

Konnte kein Fremdenverkehr sich entfalten,
so fühlte sich unsere Ehre verletzt.
Wie mochten wir's dennoch zum Vorteil wenden?
Die Fremdwörter waren in unseren Händen.
So haben wir sie zurückbehalten und
schlecht übersetzt.

*

Etymologie

Sehr wahr, der Söldner kommt von Sold.
Soldat wird man aus Pflicht.
Was so ein Händler frei gewollt,
ein Held kriegt so was nicht.

*

Sprachgebrauch

Was komisch ist, in deutschem Land
sehr häufig »gottvoll« wird genannt,
und als 'ne Moschee ein Berliner betrat,
er sie deshalb gottvoll gefunden hat.

*

Vergnügungsanzeiger

Schulter an Schulter zusammen zu wandern,
so kommen wir bis in den Wurstelprater.
Was ist dort los? Nun, unter andern
das Bundestheater.

*

Ersatz

Das ist ein sonderbarer Fall:
es braust ein Ruf w i e Donnerhall.

*

Zeichen und Wunder

Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch kann ein Umschwung geschehen.
Der Opposition fiel das Drohwort ein,
in die Opposition zu gehen.

*

Revolution in Deutschland

Genossen Schliefke aus Teltow fiel es bei,
einmal auch zu Hof zu spazieren:
Wir sind eine revolutionäre Partei,
wir müssen uns revolutionieren!

*

In eigener Regie

Die Deutschen sind das Volk der Dichter und
Denker.
Drum eben nannt' ich sie das Volk der Richter und
Henker.
Stante pede aber köpfte mir ab dies Wort
ein deutscher Denker.
Und gnädig machte dann den Russen sofort es
zum Geschenk er.
Wahr wahr, die Barbaren waren ohne Recht,
da Zaren die Lenker.
Der Deutsche aber ist sein eigener Knecht,
sein eigener Henker!

*

Revolution

Die Zeit hat sich männiglich aufgerafft
und hat den Tyrannen vertrieben.
Ein Selbstherrscher wurde dort abgeschafft,
die Selbstknechte hier sind geblieben.

*

Die Balten und die Letten

Dem Freund der Freiheit ist es nicht leid:
die Deutschen haben die Balten befreit.
Nun haben also endlich die Balten
ihre Freiheit von den Letten erhalten.
Erfreulich war's nur, wenn bald auch die Letten
durch die Deutschen schon ihre Freiheit hätten.
Und wenn beide befreit sind, so wär's an der Zeit,
daß man die Balten und die Letten von den Deutschen befreit!

*

Die deutsche Schuldfrage

Nichts ist schwerer zu erraten:
Haben deutsche Diplomaten
erst das Volk durch ihre Taten
auf dem Hassesherd gebraten?
Oder — wer zerteilt die Wolke —
schulden sie den Haß dem Volke?

*

Wie es kam

Wie sie traten in Erscheinung,
machten sie die fremde Meinung.
Wollet ihr den Fall ermessen,
so begleitet nur ihr Wandeln,
sehet ihnen zu beim Essen,
höret ihnen zu beim Handeln.
Trat hinaus der Platzagent,
macht er, daß die Erde brennt.

*

Expansion

'nen Platz an der Sonne erlangen?
Nicht leicht.
Denn wenn er erreicht,
ist sie untergegangen.

*

Made in Germany

Den Handel hat uns eingerührt
die kommerzielle Gilde.
Denn das, was sie im Schild geführt,
das führte sie im Schilde.
Eh' sie die Herkunft deklariert,
hat sie die Warenbilder
dem Feinde aus- und eingeführt.
Nun Schilde gibt's für Schilder.

*

Verkehrte Götterwelt

Das ist ja ein mythologischer Spott,
man staunt nicht genug des Wandels:
Seit wann ist Merkur denn des Krieges Gott
und Mars der Gott des Handels?

*

Mit Gott

Vor solchem Saldo, solchem Siege
bleibt keine Allmacht ungerührt.
Geschäftsbücher und Kriege
werden mit Gott geführt.

*

 

Kunterbunt

Das mag dem lieben Wotan gefallen:
Die Warenhäuser sind Walhallen.
Da macht sich auch der Jehova nichts draus:
Walhalla* ist ein Warenhaus.

Wenn man so germanisch den Zeitgeist würzt,
so klingt auch die Edda wie abgekürzt,
die gar jene Bugra noch übertrifft,
als die Erste Deutsche Draht-Anschrift.

Bei diesen Götter- und Heldensachen
haben die Feinde bei Gott nichts zu lachen,
denn die Welt ist längst eine wabernde Loh'
dank einem Fenriswolff-Büro.

Drin lassen die Deutschen sich nicht stören;
zu hörig sind sie, um aufzuhören.
Denn was sie mit frischem Mut mal begannen,
das braucht keine Männer, das braucht nur Mannen.

Schwer industriell ist das Leben gerichtet,
da wird so leicht kein Weltkrieg geschlichtet.
Wie sollten sich die Maschinen empören?
Das Herzblut rinnt durch Mannesmannröhren.

*

Wahnschaffe

Ja, wenn es die wahren Junker doch wären!
Liehn Schaffern und Schleppern sie Wappen und Waffen?
Dies bunte Gemisch hat der Wahn erschaffen.
Der neue Plan lebt von alten Chimären.

Da ist uns die nüchterne Wirtschaft doch lieber
als ihre Verbindung mit heiligem Geist,
deren Regierungsvertreter Wahnschaffe heißt,
als dieser Treubund von Junker und Schieber!

Wir fliehn nicht die Farbe, wir fliehn das Geflunker,
Romantik der Börsen, Geschäft mit Basalten,
wahnschaffnen Bastard des Neuen und Alten.
Das sind nicht die wahren — sind Warenjunker!

*

Der Heldensarg

Treu bin ich dir bis an und übers Grab!
So sprach ein treuer Mann zum Österreicher.
Dem schmolz das Herz und auch das Hirn ward weich'
er sprach: So habe alles, was ich hab'!

Der Bruder nahm, und füllte seinen Speicher;
der Bruder leerte seinen, gab und gab.
Der dort gedieh und der hier kam herab.
Blutrot ward jener, dieser bleich und bleicher.

Da schickt' er, sich 'mal doch zu revanchieren,
dem toten Bruder einen Heldensarg,
treu dessen idealem Lebenszweck.

Grenzüber in sein Land wollt' er ihn führen.
Schwer wog die ird'sche Last. Der Sarg, der barg —
den Toten? Nein, nur seinen letzten Speck.

*

 

Inschriften

 

Bunte Welt

Der Unterschied war einst die Norm,
das war im Frieden.
Jetzt ist jeder durch eine Uniform
vom andern unterschieden.

Und Feld und Wald ist nur ein Feld
in dunkler Stund'.
O Gott, wie farblos wird die Welt,
treibt sie's so bunt!

*

Die Werte

Ein weiser Wechsel herrscht im Land,
der Wesen und der Dinge.
Denn Blut und Geld sind blutsverwandt;
es rollt im gleichen Ringe.

Geld: nichts es uns und alles gilt;
und Blut, so viel man wolle.
Was jetzt die größte Rolle spielt,
das spielt jetzt keine Rolle!

*

Das Lebensmittel

Hungernd die Familie lungert,
»Vater, Brot!«, so rief sie aus,
als derselbe kam nachhaus.
»Kinder!«, rief er, »Rußland hungert!«

*

So lesen wir alle Tage

Der Feind, er leidet, uns geht's gut,
nur er hat unsere Sorgen,
was er schon jetzt entbehren tut,
entbehren wir erst morgen.

Der Feind, er lügt, wir sprechen wahr,
er soll uns nicht verlästern,
er lügt so grob, er lügt so klar,
wir lügen schon seit gestern.

*

Zusammenhänge

Die Butter fehlt, das Obst ist teuer,
Kartoffeln noch schwerer zu kriegen heuer,
mit den Eiern hat's seine liebe Not,
Brot braucht man wie einen Bissen Brot,
es ist verboten, das Zimmer zu lichten,
mit der Kohle kann man vielleicht es sich richten,
man setzt sich bei manchem Klachel in Huld,
denn Vorräte hat man nur an Geduld,
das Rauchen verbieten sie zu erlauben,
ein Wahn ist's an ein Stück Seife zu glauben,
dem Wucher öffnet man weit alle Taschen,
die Hand wird nur noch in Unschuld gewaschen,
ein Schuhband vermiss' ich schon lange schier,
der Kaffee ist aus Eicheln und der Spagat aus Papier
Papier ist knapp, möcht' unter Siegel es geben,
daß dieses immer schon schöne Leben
mit jedem weiteren Siegestag
wird schöner — es stinkt der Siegellack.
Da möchte man fort, doch weil sie doch siegen,
ist auch kein Wagen zur Bahn zu kriegen.
Das alles tut mir vom Herzen leid.
Wie immer jedoch sie den Notstand benennen,
was immer uns fehlt, es läßt doch erkennen
unsre artilleristische Überlegenheit.

*

Der Geschäftskrieg

»Der Krieg ist am Kommerz entbrannt!«
Zur unfrommen Meinung der Teufel lacht.
Er hätte ihn Religionskrieg genannt,
denn ein Geschäft hat ja keiner gemacht.

*

Der allgemeine Verteidigungskrieg

Da zehn Millionen Menschen begraben,
so bleib' ich der Menschheit weiter gewogen.
Nur möcht' ich das gute Gewissen nicht haben,
mit dem sie in jenen Krieg gezogen!

*

Die Schuldfrage

Wer diesen Krieg hat angefangen:
die endlose Frage den Schlaf mir stört.
Doch soll ich wieder zur Ruhe gelangen,
beginnet: Wer hat damit aufgehört!

*

Einem Strategen

Dem wahren Ruhm tut keine Herkunft leid;
er ist durch allerlei erwerblich.
Du wirst dank massenhafter Sterblichkeit
ganz sicher einmal unsterblich.

*

Aschermittwoch

Was ist von der Menschheit geblieben?
Kein Menschenmaterial!
Wir haben es toll getrieben
im tragischen Karneval!

*

Linguistik

»Einrückend«: ist's nicht auch schon hart,
dies Partizip der Gegenwart?
Nun setzt man zu dem Massenleid
ein Partizip der Vergangenheit.
Das hat dem Herrgott Zweifel gebracht.
Seine Menschheit wurde »einrückend gemacht«.
Er wandte sich von dem Haufen weg:
Zwei Mittelworte für keinen Zweck!
Den Handel machte erst abnorm
des Zeitworts wahre Leideform.

*

Vor dem Heldentod

Ja, beim gefährlichen Ungefähr
muß jeder seinen Mann stellen.
Jedoch die Plackerei vorher?
Auch zum Sterben muß man sich anstellen!

*

Jahreszeit

Das Leben geht weiter — ins Variete
und in die Theatersäle.
Man macht sich warm, schon fällt der Schnee
auf dem Monte Gabriele.

*

Die Tauglichen und die Untauglichen

Der Baum der Menschheit ist ein eignes Holz
und es gefällt den strengen Gärtnern allen,
daß er verkehrt muß treiben,
und solches Wachstum macht ihn selber stolz:
Die grünen Blätter fallen,
die welken bleiben.

*

Wahlspruch

Nur immer heiter,
den Tod übertollt!
Das Leben geht weiter —
als Gott es gewollt.

*

Sinn und Gedanke

Die Sprache ist ein umständliches Wesen,
dem man nicht beikommt mit geschäft'ger Hast,
und was geschrieben, dreimal sei's gelesen,
auch wenn aufs erste man den Sinn erfaßt.

*

Ein leicht verständliches Epigramm

So mancher manches Wort verschmäht,
weil er es einfach nicht versteht.
Was kann der Leser denn erfahren
aus dem Gedichte »Memoiren«?
Doch merk' er sich: Das Wort ist gut,
weil er es nicht verstehen tut.

Was kann an manchem Worte sein,
sagt mancher, denn ihm leuchtet's ein.
Geh, sagt er, bring uns schwerere Kost
als dieses Witzwort von der »Post«!
Doch merk' er sich: Das Wort ist gut,
wiewohl er es verstehen tut.

Er kann an diesem Merkwort sehn:
es ist zwar gut, doch zu verstehn.
Geht leichten Reims der Sinn hervor —
die Seele ist der Sprache Ohr.
Denn was da Wort und Welt verband,
das trennt das Rätsel vom Verstand.

*

Unterricht

Mein eigner Zweifel ist mein Wesen,
ich weiß nur sicher, daß der eure nicht weit her ist,
nie wird von ihm mein Wort erreicht sein.
Ich rate jedem, dem's zu schwer ist,
es noch einmal zu lesen —
dann wird es ihm vielleicht schon leicht sein.

Doch wenn's zuvor schon leicht gewesen,
und wenn es unschwer vom Verstand erreicht ist,
auch da muß ich zum Lehrer werden.
Ich rate jedem, dem's zu leicht ist,
es noch einmal zu lesen —
dann wird's am Ende schwerer werden.

*

Es klingt anders

Weil euch der Reim nur ein Klang ist,
mag eure Ohren er immer erfreuen.
Wie würden sie allen Genuß bereuen,
wüßte das Herz, daß er ein Zwang ist!

*

Die Schwärmer

Als ich in der Nacht mein Werk geschrieben,
sind an meinem Licht
viele Mücken hängen geblieben.
Und ihr Summen stört mein Gedicht.
So müssen, will ich weiter schreiben,
fortan meine Fenster geschlossen bleiben.
            ______________
      Nun sitzen sie an den Fenstern
      und sehen mir zu.
      Nun ist keine Ruh
      vor den Nachtgespenstern.

*

Der Hörerin

Daß mir die letzte Freude niemand stört!
Die Freude, ihr es vorzulesen? Nein.
Doch will sie größer als, mir zuzuhören, sein.
Nur eine Freude habe ich allein:
ihr zuzusehn, wie sie mich lesen hört!

*

 

Goethe-Ähnlichkeit

»Erstaunlich, wie manches an Goethe gemahnt!
erkannte einer, der es gelesen.
Die Beziehung hab' ich nicht angebahnt,
doch vielleicht ist er wirklich bei mir gewesen.

Gedanklichen Reimspruchs engeres Bett
hat ein für allemal er bereitet.
Nur wie sich die Sprache zu strecken hätt',
sie sich neu die inneren Grenzen erweitet.

Was offen vom eigenen Ursprung kommt,
das führt nicht den fremden Plan im Schilde.
Doch einem lebendigen Ding es frommt,
ist's geschaffen nach Goethes Ebenbilde.

Und wie sich Wesen und Form verzahnt,
und wenn die Sprache des Worts will genesen —
da hat es der Ähnlichkeit selber geahnt,
und ich bin bei Gott bei Goethe gewesen!

*

Ich und der Stoff

Mir fehle es an Stoff, so höhnt ein Stoffel;
gern gab' ich ihm von meinem Stoffe ab.
Was ist mein Stoff? Nichts andres als ihr selbst
und drum der eure! Doch, den ihr nicht seht,
der meine ist nur die unendliche
Notwehr und Flucht und Rettung aus dem Stoff.
Wie brächt' ich, daß es so, dem Stoffe bei!
Die Müh' ist größer noch als jene Not;
hier geht der Atem aus und nie der Stoff.
Der Stoff macht Fieber, und ich denke nach,
von welcher Krankheit ich umgeben bin.
Und von wie hartem Stoff die Zeit muß sein,
die aus Papier ist, Stein und doch Papier,
und nicht zerfällt bei solchem Widerspruch.
Not an dem Stoff? War' nicht die Not mein Stoff,
so wäre Not, Not ist nur durch den Stoff!

*

Phantasie an eine Entrückte

Wie kam's, daß deine Räusche mich berauschen
und deine süße Ohnmacht mich belebt,
die Kraft sich mir an deiner Schwäche hebt —
ich möcht mit keinem deiner Sieger tauschen!

Mit Allen bleibt mir meine Lust verwebt
und Aller Liebesschwüren laß mich lauschen,
und wie die Brunnen deiner Gnade rauschen,
zu deiner Allmacht mein Gedanke strebt.

Nie wird die Zeit mir diese Gluten kühlen,
an fernen Feuern will ich dir erwarmen,
mit dir zu wissen und in dir zu fühlen.

Nun bin ich du, und du bist das Erbarmen,
und läßt mich in gewesenen Wonnen wühlen.
Und Alle halte ich in deinen Armen!

*

Jugend

Da schon die Blätter falb,
will ich nicht säumen,
innen und außerhalb
Frühling zu träumen.

Eh mich umfaßt die Qual
dunkler Gewalten —
o holdes Dazumal,
lasse dich halten!

Wie es von mildem Weh
weht durch die Zeiten!
Will, wenn ich schulwärts geh',
gern mich begleiten.

Hab' vor dem Ziele bang,
nie mich erdreistet.
Wenn es mir auch gelang,
war's doch geleistet.

Länger davor verweilt,
wird es mir lieber —
ach, wie die Zeit enteilt,
ich habe Fieber.

Wie es mich trieb mit Hast
zu Hindernissen,
drückte wie Zentnerlast
gutes Gewissen.

Nicht ohne Lust ich litt
vieles Versäumnis,
nie ohne Furcht ich
schritt in das Geheimns.

Glück war es und Beruf,
Glück zu entbehren;
was mir Verehrung schuf,
scheu zu verehren.

Mut aber und Gewalt
vor der Gemeinde,
Sturm ohne Aufenthalt
faßte die Feinde.

Herz, wie du wieder bangst
im weitern Raume,
weckte dich Kinderangst
aus deinem Traume.

Pocht es von altersher,
öffn' ich die Sinne,
daß es wie damals wär',
wo ich beginne.

In trüber Lebensluft
voller Gefahren
ahn' ich den Gartenduft
aus frühen Jahren.

Ruf ich's, so ist es da,
daß ich es hege.
Grün, wie ich's nie mehr sah,
wuchs mir am Wege.

Liegt mir die Zeit im Ohr,
um mich zu täuschen,
dringt doch ein Kinderchor
aus den Geräuschen.

Heuer geht's früh aufs Land,
auf blasser Wange
fühle ich deine Hand.
Fort bist du lange.

Fern als ein Leierklang
klingt's in das Leben,
will's einem Leid entlang
spielen und schweben.

Ja dort in Weidlingau,
in jenem Alter,
war mir der Himmel blau,
rot war der Falter.

Bin schon im Herrenbad,
Schwimmeisterstimme,
welch eine Wundertat,
daß ich schon schwimme!

Dann in der Bildung Frohn,
bessrer Berater,
spielt mir der Lebenston
Sommertheater.

Da ward mir frei und froh
vor bunter Szene.
Liebte Madame Angot,
schöne Helene.

Blaubarts Boulotte und,
nicht zu vergessen,
Gerolstein, Trapezunt,
alle Prinzessen.

Und bis zum letzten Lohn
schwebender Wonne
tanzte und schlug den Ton
Gilette von Narbonne.

Leben kein Sündenplatz,
Ktinst keine Sühne.
Schwerlosen Wissens Schatz
bot mir die Bühne.

Gern den gebührlichen
Dank will bewahren
jenen figürlichen
Achtziger Jahren!

Was ich vereine,
dort schien's gefunden,
und ihrem Scheine
Wesen entbunden.

Wer bliebe ungerührt
von ihren Künsten?
Doch keine Brücke führt
zu euren Dünsten!

Kunst war nicht Nebenbei,
konnte noch gelten,
rief als ein Wolterschrei
tieferen Welten.

Was nun in Dunkelheit
leide und sehne,
weiht jenem bessern Leid
Sonnenthals Träne.

Jünger bin ich als jung,
leb' ich im Alten.
Welche Erneuerung!
Welches Erhalten!

Zieht in der Zeiten Kluft —
ich wohne besser,
bau' ich mir in die Luft
brüchige Schlösser!

Blick' ich nur aus von dort
in eure Fenster,
ruft euch mein Zauberwort:
seid ihr Gespenster!

Neuer ist meine Art,
freier ich wohne.
Es brach die Gegenwart
ein Epigone!

Rückwärts mein Zeitvertreib!
Jugend erst werde!
Länger als ihr verbleib'
ich auf der Erde!

Und weil die Blätter falb,
soll es mich laben,
innen und außerhalb
Frühling zu haben!

*

Es werde Licht

Bin so viel Jahre schon und Nacht für Nacht
in einem Unterstand gesessen.
Und habe dennoch nicht vergessen,
daß Gott der Herr den Tag gemacht.

Ihr aber habt geschlafen unterdessen.
Ich aber habe nur gewacht,
und hab' darüber nachgedacht,
daß ihr geschaffen wurdet, um zu essen.

Wir werden niemals mehr zusammenkommen,
ich unten, ihr am sichern Herde.
Ich bin verdammt und ihr, ihr seid die Frommen.

Und steig' ich auf, und ihr seid auf der Erde,
so bleibt uns die Verständigung genommen.
Ihr lobet Gott; ich weiß, wie Licht es werde.

*

Vallorbe

Mai 1917

Du himmlisches Geflecht, du Glockenblumenkorb,
Ursprung der Orbe, der Welt, du unversehrtes Ziel,
du Wonnewort Vallorbe, das in den Mai mir fiel,
du Tal der Täler du, traumtiefes Tal der Orbe!

Du Sonntag der Natur, hier seitab war die Ruh.
Ursprung der Zeit! So hat, da alles war geglückt,
der Schöpfer diesen Kuß der Schöpfung aufgedrückt,
hier saß der Gott am Weg zum guten Lac de Joux.

Du Gnade, die verweht den niebesiegten Wahn,
wie anders war es da, und da entstand die Zeit,
dieweil sie staunend still stand vor der Ewigkeit.
Wie blau ist doch die Welt vom Schöpfer auf getan!