Stefan Zweig - Auswahl der Gedichte

Gedichtauswahl mit Videorezitationen

Sinkender Himmel

Du Herz, das immer die Sterne begehrte,
Für jeden Wunsch verschenkt sich ein Traum.
Sieh, schon neigt sich der abendverklärte
Himmel zu dir, und du faßt es kaum.

Neigt sich und neigt sich. Und in sein Sinken
Hebt die Erde verschreckt ihr Gesicht,
Und wie mit purpurnen Lippen trinken
Die Höhen das letzte löschende Licht.

Alle Bäume schon müssen ihn fühlen,
Steil greift ihr Schmerz in den Abend empor,
Und mit den zitternden Armen wühlen
Sie sich in den samtenen Sternenflor.

Und tiefer rauschen die Wolkenfernen.
Schon streifen sie dich, wie ein Kuß, wie ein Kleid,
Und wiegen nun sanft mit den silbernen Sternen
Dein Herz in die nahe Unendlichkeit.

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Sehnsüchtige Melodie

Wie eine windgewiegte Blüte
So ist mein Herz der Unrast voll
Und sehnt sich sehr nach Frauengüte,
Die seinen Schmerz verklären soll.

Nach Händen, die wie Lilien leuchten
Und kühl wie goldne Schalen sind,
In die das Leid mit tränenfeuchten
Verbangten Tropfen niederrinnt.

Es träumt von einer Dämmerstunde,
Da Büßernot in Worten brennt,
Und träumt von einem milden Munde,
Der nur das Wort Vergebung kennt.

Wie eine windgewiegte Blüte
So ist mein Herz der Unrast voll
Und sehnt sich sehr nach Frauengüte,
Die seinen Schmerz verklären soll.

Mein Herz träumt von den sanften Frauen,
Wie Fremde von der fernen Stadt,
Weil es viel Schweres zu vertrauen,
Viel Sünden zu verkünden hat.

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Die Zärtlichkeiten

Ich liebe jene ersten bangen Zärtlichkeiten,
Die halb noch Frage sind und halb schon Anvertraun,
Weil hinter ihnen schon die wilden Stunden schreiten,
Die sich wie Pfeiler wuchtend in das Leben baun.

Ein Duft sind sie; des Blutes flüchtigste Berührung,
Ein rascher Blick, ein Lächeln, eine leise Hand –
Sie knistern schon wie rote Funken der Verführung
Und stürzen Feuergarben in der Nächte Brand.

Und sind doch seltsam süß, weil sie im Spiel gegeben
Noch sanft und absichtslos und leise nur verwirrt,
Wie Bäume, die dem Frühlingswind entgegenbeben,
Der sie in seiner harten Faust zerbrechen wird.

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Die Frage

Der Abend, der sich in die Nacht verblutet,
Rührt deine Seele stets mit gleicher Frage,
Denn täglich wehst du mit dem toten Tage
Ins Dunkel weiter, das die Welt umflutet,

Bist eingefangen in dem stummen Ringe,
Ein flackernd Licht im kalten Sternenraume,
Und spürst nur, horchend aus verwirrtem Traume
Die nahe Flut der unnennbaren Dinge.

Nimmst du ein einzeln Ding aus deinem Leben
Und wiegst es prüfend in der hohlen Hand,
Du fühlst darin das große Dunkel beben,

Und jedes ist zu neuen Wundern Welle,
Und fast schon nahe jenem letzten Strand,
Doch Weg ist alles: keines ist die Schwelle.

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Fahrten

Ein Wandrer, der zwei Fremden
Und keine Heimat hat.
                                  Grillparzer

Noch immer hat kein liebes Band
Mich angeschmiegt an stillen Sinn,
Noch wird mir Heimat jedes Land
Dem ich gerad zu Gaste bin.

Den hellen Straßen geh ich nach
Wie Staub, der nach den Rädern rennt,
Gern rastend unter einem Dach,
Wo nicht ein Herz das meine kennt.

Landfahrer ward ich mit dem Wind
Und des Gedenkens ganz entwöhnt,
Daß mir daheim noch Freunde sind,
Die ich mir einst als Glück ersehnt.

Ein Träumer in die runde Welt,
Der wegwärtswandernd schon vergißt,
Wohin der eigne Sinn ihn schnellt
Und wo sein Herz zu Hause ist.

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