Auswahl der Gedichte von Else Lasker Schüler

Gedichtauswahl (willkürlich)
mit Videorezitationen


Ein Lied an Gott
 

Es schneien weiße Rosen auf die Erde,
Warmer Schnee schmückt milde unsere Welt;
Die weiß es, ob ich wieder lieben werde,
Wenn Frühling sonnenseiden niederfällt.
 
Zwischen Winternächten liegen meine Träume
Aufbewahrt im Mond, der mich betreut -
Und mir gut ist, wenn ich hier versäume
Dieses Leben, das mich nur verstreut.
 
Ich suchte Gott auf unbeschienenen Wegen
Und kräuselte die Lippe nie zum Spott.
In meinem Herzen fällt ein Tränenregen.
Wie soll ich dich erkennen lieber Gott . . . .
 
Da ich dein Kind bin, schäme ich mich nicht
Dir ganz mein Herz vertrauend zu entfalten.
Schenk mir ein Lichtchen von dem ewigen Licht! - - -
Zwei Hände, die mich lieben, sollen es mir halten.
 
So dunkel ist es fern von deinem Reich
O Gott, wie kann ich weiter hier bestehen.
Ich weiß, du formtest Menschen, hart und weich
Und weintetest gotteigen, wolltest du wie Menschen sehen.
 
Mein Angesicht barg ich so oft in deinem Schoß
Ganz unverhüllt: du möchtest es erkennen.
Ich und die Erde wurden wie zwei Spielgefährten groß
Und dürfen »du« dich beide, Gott der Welten, nennen.
 
So trübe aber scheint mir gerade heut die Zeit
Von meines Herzens Warte aus gesehen;
Es trägt die Spuren einer Meereseinsamkeit

 

Und aller Stürme sterbendes Verwehn.
 


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Ein alter Tibetteppich
 
Deine Seele, die die meine liebet
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet
 
Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.
 
Unsere Füsse ruhen auf der Kostbarkeit
Maschentausendabertausendweit.
 
Süsser Lamasohn auf Moschuspflanzentron
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.



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Gebet

Ich suche allerlanden eine Stadt,
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen großen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt
Und in der Stirne seinen Stern als Siegel.
 
Und wandle immer in die Nacht ...
Ich habe Liebe in die Welt gebracht, -
Daß blau zu blühen jedes Herz vermag,
Und hab ein Leben müde mich gewacht,
In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag.
 
O Gott, schließ um mich deinen Mantel fest;
Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest,
Und wenn der letzte Mensch die Welt vergießt,
Du mich nicht wieder aus der Allmacht läßt
Und sich ein neuer Erdball um mich schließt.


 

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Ich liebe dich

Ich liebe dich
Und finde dich
Wenn auch der Tag ganz dunkel wird.
 
Mein Lebelang
Und immer noch
Bin suchend ich umhergeirrt.
 
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!
Ich liebe dich!
 
Es öffnen deine Lippen sich .....
Die Welt ist taub,
Die Welt ist blind
 
Und auch die Wolke
Und das Laub -
- Nur wir, der goldene Staub
Aus dem wir zwei bereitet:

 

- Sind!

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Orgie
 

Der Abend küsste geheimnisvoll
Die knospenden Oleander. 
Wir spielten und bauten Tempel Apoll 
Und taumelten sehnsuchtsübervoll
Ineinander.
Und der Nachthimmel goss seinen schwarzen Duft
In die schwellenden Wellen der brütenden Luft,
Und Jahrhunderte sanken 
Und reckten sich 
Und reihten sich wieder golden empor 
Zu sternenverschmiedeten Ranken. 
Wir spielten mit dem glücklichsten Glück, 
Mit den Früchten des Paradiesmai,
Und im wilden Gold Deines wirren Haars 
Sang meine tiefe Sehnsucht
Geschrei, 
Wie ein schwarzer Urwaldvogel. 
Und junge Himmel fielen herab, 
Unersehnbare, wildsüße Düfte; 
Wir rissen uns die Hüllen ab
Und schrieen! 
Berauscht vom Most der Lüfte. 
Ich knüpfte mich an Dein Leben an, 
Bis dass es ganz in ihm zerrann, 
Und immer wieder Gestalt nahm 
Und immer wieder zerrann. 
Und unsere Liebe jauchzte Gesang, 
Zwei wilde Symphonieen!


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Meine Mutter
 

War sie der grosse Engel
Der neben mir ging?
 
Oder liegt meine Mutter begraben
Unter dem Himmel von Rauch -
Nie blüht es blau über ihrem Tode.
 
Wenn meine Augen doch hell schienen
Und ihr Licht brächten!
 
Wäre mein Lächeln nicht versunken im Antlitz
Ich würde es über ihr Grab hängen.
 
Aber ich weiss einen Stern,
Auf dem immer Tag ist
Den will ich über ihre Erde tragen.
 
Ich werde jetzt immer ganz allein sein
Wie der grosse Engel,
Der neben mir ging.
 
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Weltende

Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wär,
Und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Lastet grabesschwer.
 
Komm, wir wollen uns näher verbergen... 
Das Leben liegt in aller Herzen 
Wie in Särgen.
 
Du! wir wollen uns tief küssen --
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt. 
An der wir sterben müssen.



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Klein Sterbelied

So still ich bin,
All Blut rinnt hin.
 
Wie weich umher.
Nichts weiß ich mehr.
 
Mein Herz noch klein;
Starb leis an Pein.
 
War blau und fromm!
O Himmel, komm.
 
Ein tiefer Schall -
Nacht überall.


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Mein Liebeslied

Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut,
Immer von dir, immer von mir.
 
Unter dem taumelnden Mond
Tanzen meine nackten, suchenden Träume;
Nachtwandelnde Kinder,
Leise über düstere Hecken.
 
O, deine Lippen sind sonnig...
Diese Rauschedüfte deiner Lippen...
Und aus blauen Dolden silberumringt
Lächelst du ... du, du.
 
Immer das schlängelnde Geriesel
Auf meiner Haut
Über die Schulter hinweg -
Ich lausche...
 
Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut..



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Ein Trauerlied

Eine schwarze Taube ist die Nacht ... 
 
Du denkst so sanft an mich. 
Ich weiß, dein Herz ist still, 
Mein Name steht auf seinem Saum. 
 
Die Leiden, die dir gehören, 
Kommen zu mir. 
Die Seligkeiten, die dich suchen, 
Sammele ich unberührt. 
 
So trage ich die Blüten deines Lebens Weiter fort. 
Und möchte doch mit dir stille stehn, 
Zwei Zeiger auf dem Zifferblatt. 
O, alle Küsse sollen schweigen 
Auf beschienenen Lippen liebentlang.
 
Niemehr soll es früh werden,
Da man deine Jugend brach. 
In deiner Schläfe Starb ein Paradies. 
Mögen sich die Traurigen 
Die Sonne in den Tag malen. 
Und die Trauernden Schimmer auf ihre Wangen legen. 
Im schwarzen Wolkenkelche Steht die Mondknospe. 
 
... Du denkst so sanft an mich.


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An mein Kind
 
Immer wieder wirst du mir
Im scheidenden Jahre sterben, mein Kind,
 
Wenn das Laub zerfließt
Und die Zweige schmal werden.
 
Mit den roten Rose
Hast du den Tod bitter gekostet,
 
Nicht ein einziges welkendes Pochen
Blieb dir erspart.
 
Darum weine ich sehr, ewiglich.....
In der Nacht meines Herzens.
 
Noch seufzen aus mir die Schlummerlieder,
Die dich in den Todesschlaf schluchzten,
 
Und meine Augen wenden sich nicht mehr
Der Welt zu;
 
Das Grün des Laubes tut ihnen weh.
— Aber der Ewige wohnt in mir.
 
Die Liebe zu dir ist das Bildnis,
Das man sich von Gott machen darf.
 
Ich sah auch die Engel im Weinen,
Im Wind und im Schneeregen.



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Giselheer dem Heiden

Ich weine -
Meine Träume fallen in die Welt.
 
In meine Dunkelheit
Wagt sich kein Hirte.
 
Meine Augen zeigen nicht den Weg
Wie die Sterne.
 
Immer bettle ich vor deiner Seele;
Weißt du das?
 
Wär ich doch blind -
Dächte dann, ich lag in deinem Leib.
 
Alle Blüten täte ich
Zu deinem Blut.
 
Ich bin vielreich
Niemand kann mich pflücken;
 
Oder meine Gabeln tragen
Heim.
 
Ich will dich ganz zart mich lehren;
Schon weißt du mich zu nennen.
 
Sieh meine Farben,
Schwarz und stern
 
Und mag den kühlen Tag nicht,
Der hat ein Glasauge.
 
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