Bild der Rose - Gertrud Kolmar

 

B I L D    D E R    R O S E

Ein Beet Sonette

wahrscheinlich 1928 / 1929 geschrieben

Posthum erschienen


 

Inhalt

 

Die schönen Wunder aus den sieben Reichen

Tanz der Rose

Mulattenrose

Traumsee. Captain Harvey-Cant

Kanarienrose. Ville de Paris

Die Rose in der Nacht. Hadley

Ägyptische Rose. Madame Ravary

Orangegesicht. Angele Pernet

Die Rose des Kondors. Wilhelm Kordes

Chinesische Rose. Souvenir de Claudius Pernet

Rose in Trauer. Etoile de Hollande

Kirschrose. Ulrich Brunner

Marzipanrose. Madame Butterfly

Bürgerrose. Madame Caroline Testout

Rose Chiffon. Hugh Dickson

Uneingestandene Liebe. General Superior Arnold Janssen

Stein. Mrs. Henry Morse

Schauspielerin. Madame Edouard Herriot

Milch. Frau Karl Druschki

Liebe. Captain Harvey-Cant

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Die schönen Wunder aus den sieben Reichen,
Die bald Zitronenfalter, groß an Stielen,
Bald Zwergflamingos, die in Büsche fielen,
Bald Muscheln sind aus zauberstillen Teichen,

O meine Rosen. Herzen. Mögt ihr bleichen,
Erschlafft, erschöpft von weißen Sonnenspielen,
Verzehrt vom Überschwang, dem Allzuvielen;
Tragt singend euch zu Grabe, süße Leichen!

Ich will euch doch vom lieben Zweig nicht trennen,
Euch nicht im engen, lauen Glase wissen,
Die kurze Spanne Blühn euch kunstreich dehnen.

O gut: an unermeßnem Glanz verbrennen,
Statt, von der heißen Erde fortgerissen,
Ein langes schales Leben hinzusehnen.


 

Tanz der Rose


So geschwätzig schweigend,
Bist du Rauschrock einer Tänzerin;
Mit den Flatterfalbeln reigend,
Schwebt sie über grünen Teppich hin,
Blond sind ihre Düfte,
Du bist sanfte Schale, die sie hält,
Das Geheimnis ihrer Hüfte
Ist das zärtlichste der Welt.

Rosa Atlas rieselt,
Und ein goldner Schleier schweift und irrt,
Leises Lachen nieselt,
Wenn das Silberküglein tropft und klirrt,
Morgenrotes Schäumen
Glitzert im Vergehn,
Frühlingsnächte träumen,
Die so jung wie ihre Augen wehn.

Ihrer Ringellocke,
Ihrem Wiegefuß und weißem Knie
Summst du, seidne Glocke,
Selbst die süße Walzermelodie:
Wie Geläut der Bienen
Als ein braun und bronzner Sammet singt,
Und die Scherbe Himmel über ihnen
Blau an deine Wandung klingt!

Sieh, du willst kein Alter
Mit verschlißnem Siechtum, Fadenschein;
Taumeln Küsse, taumeln Falter
Schlaff zu deinen Buchten ein,
Schmilzt du wie die Flocke,
Die ihr Leben reulos streift und läßt.
Eine aschenblonde Locke
Flicht der Kirschpirol ins Nest.


 

Mulattenrose


Mulattenrose. Mischling. Sinnt dein Blut
Bemalte Götzen noch, geschnitzte Waffen,
Das Rosabraun der starken Mantelaffen
In silbriggrau geschwellter Mähnenflut ?

Du schattest nicht dein Antlitz vor der Glut
Mit grünen Händen. Weil dich Glut geschaffen.
Du hältst dich auf, den Sonnentrank zu raffen,
Die schöne Mulde, drin er schwebend ruht.

Dann steigt ein anders zarteres Erröten
Dir scheu, ganz leise unter wilde Brau'n.
Am Abendrain verflockt das Spiel der Lämmer,

Tönt letzter Amsel dunkelsamtnes Flöten.
Ein blonder Schopf durchschlüpft den Heckenzaun
Und ferne lischt sein Knabenschritt im Dämmer.


 

Traumsee
Captain Harvey-Cant


O Stille. O dies Schweigen, dies: Ich blühe.
Wie Seide. Blies dich rosenroter Wind
Aus Hirtenengels Flöte um sein Rind,
Die milchig weißen goldgehörnten Kühe ?

Dein Antlitz badet Tau der Schöpfungsfrühe;
Aus ihren Armen strahlst du, wie ein Kind
Mit Augen, die voll kleiner Falter sind,
So schwebend lächelt unsrer Macht und Müh«

Du lauschst. Der Vögel glitzernd Tirili
Springt nur für dich aus seiner güldnen Dose,
Du Morgenwolkenspiegel. Melodie

Vom Wangenschein gereifter Aprikose.
Du Schimmer. Traumsee einem Kolibri.
Du Duft. Du Niezunennendes. Du: Rose.


 

Kanarienrose
Ville de Paris


Des Mädchens Taubenhände gurrten zahm
Aus licht zitronenfarb und grüner Seide;
Ihr Haar hing schwarz und still und gleich der Weide,
Und ihre Blicke sanken als ein Gram

Auf jenen Vogel, der von Inseln kam,
Dem zaubernd sie aus weichem Fiederkleide
Die Rose träumte. Blühendes Geschmeide.
Ein Duft, wie Wein so gilbend, süß wie Rahm,

Sang aus dem Käfigglase, blauem Becher,
Mit feinem Tönen, hauchte zitternd nieder
Und lag an ihrem märchenbunten Schuh

Gefaltet, blaß, wie ein verlorner Fächer.
Sie neigte sich. Da ward er Vogel wieder
Und schwirrte den Kanarienwäldern zu.


 

Die Rose in der Nacht
Hadley


Sie glüht. Und ihre Haare kriechen groß
Auf blutrot dumpfen Sammet, schwarze Schlangen.
Sie neigt sich müd in duftendem Verlangen,
Die reife Frau. Und ist ein Herz doch bloß,

Ein heißes, sanftes Herz. Und birst, ein Schoß,
Der Liebe auf, den Himmel zu empfangen.
Und wird ein Antlitz mit gemalten Wangen.
Wenn Abend meerwärts fährt auf braunem Floß,

Ein Totenkauz im Düster greinend lacht,
Dann schlägt es tiefe Augen auf und wacht
Und fängt den Männertraum auf seinem Fluge.

Und sinkt schon morgen welk, am Strauch, im Kruge,
Und stand als eine Rose in der Nacht.
Die dunkelrote Rose in der Nacht.


 

Ägyptische Rose
Madame Ravary


Die Königstochter floß zum Gartensaum
Wie eine blaue nilentrißne Welle,
Und als sie sprang von roter Porphyrschwelle,
Da beugten alle Wesen sich: der Baum,

Die Palme senkte ihren grünen Schaum,
Das falbe Haupt die liebliche Gazelle,
Der Ibis schwamm herab aus Sonnenhelle,
Und nur die Rose blühte als ein Traum

Ganz still, ganz achtlos, ohne sich zu neigen.
Da sahn und zischelten die Dienerinnen,
Da lächelte das Kind: »Wie ist sie hold!«

Und warf den Reif und ließ ihn an den Zweigen
Und wandte sich. Die Blume sank im Spinnen
Der leisen Röte und in gelbem Gold.


 

Orangegesicht
Angèle Pernet


Ein Süden. Schwere Seiden um die Lende
Wie Glanzgefieder wilder Papageien
Mit scharlachroten, safrangelben Schreien.
Weib. Braun und golden tasten ihre Brände.

Ihr Scheitel trägt das Kosen glühnder Hände
Wie Bürde durch der Palmen Fächelreihen
Zu Brunnen, die kristallnes Wasser speien,
In kleine Säle, deren kühle Wände

Doch still von großen Nächten überrinnen,
Da, Ströme, ihre schwarzen Haare blauen,
Der goldgebogne Ring in ihrem Ohre

An fremder Lippe klingt, aus ihren Sinnen
Sich lautlos heben die entzückten Klauen
Und trägen Schwingen riesiger Kondore.


 

Die Rose des Kondors
Wilhelm Kordes


Nein, das ist keine Rose: ist der Fetzen,
Der Gurgellappen, feurig, wüst und nackt,
Des wunderbaren Vogels, der gezackt
Herniederplumpt mit schwarzmetallnen Schätzen

Und vor der Gaffer Neugier und Entsetzen
Verruchtes Aas, der Geier, kröpft und hackt,
Dann unbehilflich schwer den Felsen packt,
Das Kunstgebirg, das zwischen Gitternetzen

Ihm Menschen hingebrockt und eingestopft.
O, könnt' er seinen großen Mantel breiten,
Er würde sich von euch mit Ekel kehren

Und wortelos verschweben durch die Zeiten.
Von seinen müden Flügelsäumen tropft
Ergraut, verwelkt der Schnee der Kordilleren.


 

Chinesische Rose
Souvenir de Claudius Pernet
(Im Gedenken an Siao Wan Ping)


Ein Beet: ein Schatz von köstlichen Gewändern,
Da jedes leise seine Heimat rauscht,
Und dies, das Grün mit mattem Golde tauscht,
Ist deine Jacke aus den gelben Ländern

Mit weiten Ärmeln und bestickten Rändern:
Ein roter Zweig, ein Blumenantlitz lauscht,
Wenn großer Seidenrock sich knisternd bauscht
In Falten, die Jahrhunderte nicht ändern.

Und abends sang das Holz an deinen Lippen,
Die braune Flöte, dumpfen Marsch ins Fahle,
Und dies dein Liebeslied vom Weidenblatt

Glitt, wie verirrter Schwalbenflug um Klippen,
Um fremde Türme grauer Kathedrale
In fremder alter eingenickter Stadt.


 

Rose in Trauer
Etoile de Hollande


Die Trauernde. Auf wundervollem Samt,
Dem Purpur, trägt sie schwarzen Schleierflor,
Den silbern alten Sichelmond im Ohr,
Der von Granaten blutig düster flammt.

Sie sucht in Schnitzwerkkästen, mürb, zerschrammt,
Und zieht ein kleines welkes Bild hervor
Und schreitet abends durch das graue Tor,
Verhüllt und scheu und einsam, wie verdammt.

Doch wenn sie geht in dunkelndem Ermatten,
Dann gleitet immer, nur als Duft, als Schatten,
Ihr das Erinnern einer Freude nach,

Dann wächst ein Flüsterwort aus ihrem Schweigen,
Doch eh' es Lauscher pflückten von den Zweigen,
Ist schon der Mund verschollen, der es sprach.


 

Kirschrose
Ulrich Brunner

 

Wenn du nun still bist, sieh, nicht ganz zerfallen,
Doch ohne deine Leuchtenworte mehr,
Wenn deine Schläfe ausgeglüht und schwer
Und deine Lippen nur verdämmernd lallen,

Dann fang' ich deiner Blätter mattes Wallen
Und trachte auf zum jungen Monde, der
Als edle Schüssel, kühl und blank und leer
Aus grauen Armen steigt, aus Wolkenkrallen.

Ich nehm' ihn hin. Und da ich ihn ergreife,
Bleicht silbern schon sein sterbend goldner Schein
Ich koste träumend die gelöste Reife,

Die duftender als Mirabell und Pfirsche
Den Grund ihm füllt, berauschender als Wein,
Die große volle dunkelrote Kirsche.


 

Marzipanrose
Madame Butterfly


Gefüllter Kelch mit dicken Bröckelzacken:
Das Spiel von einer Frauenhand. Sie wählt
Die braunen süßen Kerne, wäscht und schält
Und läßt sie hart in blanker Mühle knacken,

Hat bald des Puderzuckers weiße Schlacken
Dem fein geriebnen Staube anvermählt,
Die Rosenwassertropfen eingezählt,
Und rasche Finger kneten, formen, backen

Nur so wie Kinder Küchelchen aus Sand
Und suchen Farbenrestchen in der Tüte.
Ein schwaches Gelb wird hingewischt; ein Rotes,

Dem Herzen eingetupft, verbleicht am Rand.
Die Knospe schwillt und prangt. Aus schwerer Blüte
Haucht Wohlgeruch des feuchten Mandelbrotes.


 

Bürgerrose
Madame Caroline Testout


Sie ist die schwere, satte Bürgersfrau,
Die üppig reife. Ausgeschmückt aufs beste,
Den breiten Spitzenwurf an seidner Weste,
Im blonden Haar der Perle matten Tau,

So trägt sie sich durch räumig festen Bau,
Bewirtet mit gediegnem Mahl die Gäste
Und ziert voll sanfter Hoffart ihre Feste,
Ein großer, stolzer rosafarbner Pfau.

So unbedenklich kraftvoll wie ein Sieg,
Vom Erdensafte schwellend und erfüllt,
In feuchter Frische steht sie, läßt sich strahlen

Helene Fourment, die dem Bad entstieg
Und, schimmernd reiche Brüste unverhüllt,
Auf ihren Rubens wartet, sie zu malen.


 

Rose Chiffon
Hugh Dickson


Ein junges Mädchen aus verklungner Zeit.
Mit Augen, die in Gärten immer schweifen
Wie zahme Rehe. Mit Karminsamtschleifen
An einem losen, sanften Schleierkleid

Von altem Rosa wie verschwommnes Leid.
Sie steigt zum Haus. Treppauf. Die Falbeln streifen
In mildem Gruß den Prankenhieb des Greifen,
Der steinern die Veranda überschreit.

Sie zieht ihr Ringlein ab mit roten Steinen,
Rückt silbern-grüner Damaststühle einen
Und setzt sich an das dämmernde Spinett,

Daß in den Park und Zwiegesang der Merlen
Durchs offne Fenster dünne Tropfen perlen
Aus einem kühlen, alten Menuett.


 

Uneingestandene Liebe
General Superior Arnold Janssen


Dies ist das Herz: die Knospe, halb erschlossen,
So zag, so rot, sich schämend, Glut zu sein,
So voller Angst verhaltend schmalen Schein,
Der schon sie netzt und bald sie ganz durchflössen.

Sie fühlt ein fremdes Glück, noch nie genossen,
Das, ihrem Kelch entboren matt und klein,
Nun über seine Ränder stürzt wie Wein,
Von ungezähmter Hand ihm eingegossen.

Was ist das ? Kind ? Sie kann es nicht mehr töten,
Und ist es Frucht, sie kann es nicht mehr sammeln,
Doch wie es heiße, Zauber, Flamme, Fluß:

Das blüht auf einer Wange als Erröten,
Und findet's eine Kehle, wird es Stammeln,
Und eine Lippe rührt es an als Kuß.


 

Stein
Mrs. Henry Morse


Und wenn du kämest - o geliebter Schritte
So tief erbangtes, so unendlich Nahn! -
Ja, wenn du kämest, war' ich aufgetan,
Und diese Rose wär' es, die ich schnitte,

Die leicht aus meinem Händebeben glitte
In schlanker Vase feines Porzellan,
Das ohne Bild und schneeig wie der Schwan,
Und wüßte nichts von diesem, was ich litte.

Denn wo die blauen Berge groß sich wälzen,
Da brach ihn starke Hand aus Felsens Brust,
Den edlen Stein, und gab ihm Blumenzüge.

Hellrosa, kühl und spröde: sie ertrüge
Als einzige die Flamme unsrer Lust
In starrem Herzen, ohne hinzuschmelzen.


 

Schauspielerin
Madame Edouard Herriot


Wie eine Frau, die leidenschaftlich kühne,
Doch zittert, ahnend, daß sie jung vergeht,
Und wild sich aufreißt, eh' sie hinverweht,
Das arme Gras in ungeheurer Düne:

So tritt die Rose flackernd schön ins Grüne,
Spreizt den Korallenmantel stumm beredt
Und wirft ihn ab, prahlt tangofarb im Beet
Und buhlt und wirbt auf ihrer Sommerbühne.

Sie spielt: verschwendet und verdirbt sich ganz,
Entbrennt mit Fieberröte der Garneelen
Und füttert glastend, lodernd nach dem Retter

In immer heißerm flehentlichen Tanz.
Und fällt zu Asche. Letzte Flämmchen schwelen
Am blassen Schutt versengter Blumenblätter.


 

Milch
Frau Karl Druschki


Die großen Wolken fahren droben,
Ein Traumgebirg der Karawanken,
Mit wehend aufgerißnen Flanken,
Mit Gipfeln, wülstig und zerstoben.

Die großen Sphinxe lagern oben
Mit schlagend schwarzen Fluggedanken,
Die zottigen, bekrallten Pranken
Dem Abgrundsrande hingeschoben.

Und drunten weint in dumpfer Stunde
Das Kind, die Erde, zuckt und wittert
Nach ihrer Brüste dunklen Inseln.

Sie spalten auf; ein Tropfen splittert
Und knospt auf seinem durst'gen Munde
Und blättert ab in weißem Rinnsein.


 

Liebe
Captain Harvey-Cant
(Im Gedenken an K. ].)


Ja, neige, neige dich, du Rosenrot,
Du kleine Ampel, Alabasterstern!
Dir will ich dienen, meinem Ruhm und Herrn,
Dir Opfer bieten, Wein und süßes Brot.

O nimm mich ein. Ich führe, sanftes Boot,
Mit deinem Wind in tiefen Abend gern;
Er wiegt dich sacht, und du bist doch schon fern
Und gleitest scheinend nieder in den Tod.

So ohne Flackern schwindest du, o Licht,
So sinkst du, Nachen, ohne Hilfeschrei.
Ich hör' dein Schweigen: hör' den Jammer nicht,

Ich seh' dich an: die Erde rollt vorbei.
Du bist gestorben, Sommertagsgesicht;
Ich lebe, daß ich trauern mag: verzeih.


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