Einzelne Gedichte - Gertrud Kolmar

 

E I N Z E L N E   G E D I C H T E

ZWISCHEN 1927 UND 1932 GESCHRIEBEN
zu Lebzeiten nicht veröffentlicht


 

Inhalt

Erschaffung

Wiege

Der Schwimmer

Der Sohn

Du gehst

 

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Erschaffung


O, du bist schön. Weil nicht ich unbewußt
Den klaren Leib aus meinem Blut erbaut,
Nein, weil ich seine Glieder, Haupt und Brust
Mit Willen schuf, erschaffend angeschaut,

Sie nicht entrissen einem harten Stein,
Dem Holz entschnitzt, aus Irdenem geballt,
Wie Bildner tun. Du wurdest seltsam mein.
Ich wehte diese lieblichste Gestalt

Aus Sehnsucht nieder, zog ein glühes »Komm!«,
Ein herzversengendes, auf meine Statt
Zu langem Kuß. Und meine Lippe glomm,
Sich runzelnd. Deine blühte sanft und glatt.

Aus Träumen wob ich dies dein stilles Haar,
Ich hob in Sommergärten all mein Lied,
Die Harfe, die dich singend mitgebar.
Gedanken, Krüge wie aus Malachit

Von schwärzlich starrem Grün verneigten sich,
Entschöpften dunklem tiefen Seegeleucht
Dein Wesen, Schweigen. Lockt' ich denn um dich
Die Unke nicht, die regenabends feucht

Am Mondglast spinnend in der Mulde saß ?
Sie hat ein zartes Weinen mir vertraut,
Für dich gekunkelt, ganz aus dünnem Glas,
Aus reinem Strahl und wehem Glockenlaut.

Der gelben Rose stumme Melodie
Gab dir ein Lächeln, Blumenangesicht.
Und Berges früchtig schwere Druse lieh
Der Seele flimmerndes, kristallnes Licht

Und amethystnen Schein. - Du läßt mich nie,
Mein lieber Sohn. Du bleibst. Ich trug dich nicht


 

Wiege


Der Halbmond stand im finstren Blau,
Von dünnen Wolken überflogen,
Ein goldner Wiegenkorb der Frau,
Und hat mich hergezogen
Weit über Feld und Föhrensaum
Und Herbergsdach und Totengrube;
Ich saß in himmlisch tiefem Raum
Allein in meiner dunklen Stube.

Das Weinen rief. Der plumpe Schuh
Griff zögernd um den Wiegebalken,
Und leise sang mein Mund dazu
Das Lied von einem weißen Falken,
Das Lied von einem schwarzen Hahn
Mit Purpurkamm und Glitzersporen -
O Vogel du! O Kind! O Wahn!
Mein. Weil ich nie geboren.

Du Niemals. Könntest so du sein,
So blumensüß, umsummt von Sternen,
Im Früchtekorb die Traube Wein,
Der Apfel mit den braunen Kernen ?
Du arme Lust, du reiches Leid,
Du Rabenschopf, ihr blonden Locken,
Du, fern der trüben Wirklichkeit
Mit kargen Alltagsbrocken.

Und meine Arme glitten auf
Und schlössen weich wie Stromgerinnsel
Das Wiegenbett in ihren Lauf,
Die kleine, sanfte Insel,
Und meine Seele wuchs im Hauch,
Die atmend schlummernde zu hüten,
Erzitternd als ein Rosenstrauch
Mit tausend silberweißen Blüten.


 

Der Schwimmer


Auf der umplätscherten Brücke, jenseits behütender Schranke,
Ganz am Ende, gereckt, die Arme aufwärts gebreitet,
Ernst am weißlichen Himmel, erschauernder Vogelgedanke,
Standest du, schon zum Flug, zum Wurf in Leere gespreitet.

Denn du hattest ja Flügel! Ein bläulichgraues Gefieder
War erneut deinen nackten bräunlichen Schultern entsprossen.
Hart zu den hölzernen Bohlen stachen die Schwingspitzen
     nieder.
Drüben taumelten Möwen, stürzten nach zitternden Flossen.

Du, ihr Bruder, weitetest dich, als ob du mit Händen
Diese Meeresbucht ganz heranziehen wolltest, verengen,
An deine Rechte locken das Felsgesicht düstrer Legenden,
An deine Linke den Strand unter buchenbewaldeten Hängen.

Aber dann schlafften die Finger, lässig hinunter zu streifen
Wipfel, stäubenden Sand, die glatter gewaschenen Steine;
Denn die Welt ist schön zu begehren und schal zu begreifen.
Und es sanken die Klippen in Ferne, es wichen die Haine.

Jüngling. Du wärest so klar, so einsam am Horizonte. -
Ah! Deine Fittiche hatten sich jählings brausend erhoben
In das fahle Gefild, das ein bleicheres Scheinen besonnte;
Unheimlich, adlerhaft, riesig schwanktest du droben:

Suchtest du tastend um, Gestirne hinter dem Tage,
Quellen des Lichts zu erspähn, die mit eisigem Sternwasser
     blitzen,
Ewige ? Sieh, der Fittich warf dich mit fegendem Schlage
In das erschütterte Meer! Ein Schäumen, ein Spritzen

Und du tauchtest empor mit der Stirn, mit dem Blick, mit
     dem Munde;
Schwingen bäumten sich groß, weicher und wellig geworden,
Mit den Fluten vereint. Sie hielten dich über dem Grunde
Bebend und wuchsen aus dir und reichten von Süden nach
     Norden.


 

Der Sohn


Nein, ich bin nicht zu alt, von Dämonen zu wissen,
Schlangenflämmchen, die tuscheln, höllrot und blau,
Die dich stechend, umzüngelnd jagen aus nächtlichen
Kissen,
Zischend dich peitschen in Arme erwartender Frau,
Brust und Schulter dir narben mit brennenden Bissen.

Nein, ich bin nicht zu alt, ein Geheimnis zu greifen,
Das deine Hand mir verdeckt, dein Mund mir versagt,
Südenvogel, der manchmal in ängstlichem Schweifen
Aus deinen Blicken entflieht, die ich schüchtern befragt,
Heimgelockt, wieder sich schwingt in goldenen Reifen.

Nein, ich bin nicht zu alt... Ich weiß, daß die schwarzblaue
Traube
Reif in mondstillem Garten vom Rebstock sich drängt.
Nein, ich bin nicht zu alt... Ich weiß, daß ein lechzender
Glaube
Anderen Leib verzückt mit süßen Namen behängt,
Vor dem geschmückten kniet, seiner Gottheit und seinem
Raube.

Meinst du, ich spürte nicht auch dein tiefes Erbeben
In der Wonnen glühender Qual, die du littst,
Spürte nicht auch, daß die Füße geflügelt sich heben,
Daß du nicht Pflasterstraßen noch Diele mehr trittst,
Morgenwolke dein Weg, dein Schreiten ein Schweben ?

Abends brichst du das Brot und füllst dir den Teller,
Läßt deiner Mutter zuweilen achtlos die Hand.
Zärtlich rühr' ich sie an, und schon wanderst du schneller
Durch verschlossene Tür in beglückteres Land,
Neigst dich dem hauchenden Meere; dein Antlitz wird heller.

O, dich ganz in die weiche, blinkende Welle zu wühlen,
Die mit der Küsse Schaum sich unter dir bäumt,
Wiegend dich seligem Ufer entgegenzuspülen,
Das vom Nachtigallbusch, von Granatäpfeln träumt:
Zitternd nimmt sie dich auf, versinkst du im Kühlen.

Atmend gleitest du hin, verschlungen, umbrandet,
Spiele, glänzende Fische, wimmeln im Tau,
Bis du endlich, an karger, trüberer Küste gestrandet,
Ferne siehst das Verglitzern umarmender Frau
Und in Dämmerung scheidest, grau und täglich gewandet.

War' unterm Jahressand all mein Erinnern vergangen
An dies Meeresgemurmel, Rauschen im Blut,
Da ich ein heißes Gesicht, ein stürzend Verlangen
Liebend barg in meiner umschmiegenden Flut
Und in der Tiefe dich, du weiße Muschel, empfangen ?


 

Du gehst


Du gehst die Treppen, gehst hinab, mein Knabe,
Durch Holz und Stein und Kalk.
Ich bleibe tief in Nächten, meinem Grabe,
Und möchte wie der dumpfe Schwalk
Verschwimmend fern im Schattenmeer ertrinken,
Ein fahler Vogelgeist,
Daß über dich die großen Flügel sinken,
Von denen du nichts weißt.

Doch spür' ich, meine Füße sind gekettet,
Weil du entfliehen mußt,
Kein wehes Wort, kein armer Blick dich rettet
Vor jenes Weibes nackter Brust,
Die Sphinx dich hält mit blutgefärbten Krallen,
Der Tierleib, dem du kniest,
Weil deine Augen vor mir zugefallen,
Daß du mich nicht mehr siehst.

Ich hab' dir meine weiße Milch gegeben;
Du wärest schwach und klein.
Nun bin ich falb. Gemalte Lippen schweben
Wie Falter um den bunten Wein,
Nun ward dein junger Schlaf mir fortgetragen
Und meiner Hand dein Haar,
Weil stumm die Flamme in dir aufgeschlagen,
Die dich aus mir gebar.

Ich kann ins Dunkel schweigen diese Wunde:
Kein Schelten noch Geklag.
Und nur die weiche Schwärze später Stunde
Will ich hinnehmen an den Tag,
Mit Trauer zu verhüllen meine Herbe
Und weil ich ohne Schrei
Zuweilen, wenn du schwärmtest, einsam sterbe,
Auf daß dein Leben fröhlich sei . . .


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