Erich Mühsam - Die Sammlung - I. Dichter und Vagabund

Ich bin ein Pilger …

Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
das küßt und fortschwemmt - weint und froh genießt.

Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.


Heimat

Die hohen Türme haben mich gegrüßt,
die über meinen Kinderträumen ragten,
und ihre unbewegten Mienen fragten,
wie ich des Lebens wachen Ernst verbüßt.

Des Waldes Blätter haben mir gerauscht,
wo meine Schmerzen erste Reime fanden.
Ich habe ihre Frage wohl verstanden:
ob ich beglücktes Dichten eingetauscht.

Doch, als ich kam zu meines Meeres Flut,
da stürmten alle Wellen, mich zu grüßen,
und drängten zärtlich sich zu meinen Füßen
und fragten nichts. - Da war mir frei und gut.


Das Trinklied

Stimmt eure Seelen zu festlichen Klängen,
füllt eure Herzen mit jauchzendem Wein! -
Denn die Jahre der Jugend drängen,
und das Alter bricht polternd herein. -
Noch strahlen uns Sonnen, noch blinken uns Gläser
noch lachen uns Lippen und Brüste heiß -
noch blühen die Blumen, noch grünen die Gräser -
aber eilt euch: was rot ist wird weiß!

Rasch ziehen vorüber die glücklichen Stunden. -
Hält uns nicht die Jugend - wir halten sie nicht!
Wehrt euch der Würde! - Der ist überwunden,
den fromme Sitten plagen und Pflicht!
Nieder mit dem, den Sorgen bedrücken -
denn der weiß nicht, was Leben heißt:
Lebend genießen, lebend beglücken -
aufs Leben trinken, bis es zerreißt!

Trinken! Trinken! Auf Leben und Sterben!
Leben! Leben! Auf Blut und Kuß!
Leert den Pokal, dann keilt ihn in Scherben!
Lebt euer Leben - und dann ein Schuß!
Trinken ist Leben, und Leben ist Trinken!
Nieder der Schwächling, der trunken fällt!
Wein her! - Wir wollen im Leben versinken!
Das Leben her! - Es lebe die Welt!


Lumpenlied

Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack.
Wir sind ein schäbiges Lumpenpack,
auf das der Bürger speit.
Der Bürger blank von Stiebellack,
mit Ordenszacken auf dem Frack,
der Bürger mit dem Chapeau claque,
fromm und voll Redlichkeit.

Der Bürger speit und hat auch recht.
Er hat Geschmeide gold und echt. -
Wir haben Schnaps im Bauch.
Wer Schnaps im Bauch hat, ist bezecht,
und wer bezecht ist, der erfrecht
zu Dingen sich, die jener schlecht
und niedrig findet auch.

Der Bürger kann gesittet sein,
er lernte Bibel und Latein. -
Wir lernen nur den Neid.
Wer Porter trinkt und Schampus-Wein,
lustwandelt fein im Sonnenschein,
der bürstet sich, wenn unserein
ihn anrührt mit dem Kleid.

Wo hat der Bürger alles her:
den Geldsack und das Schießgewehr?
Er stiehlt es grad wie wir.
Bloß macht man uns das Stehlen schwer.
Doch er kriegt mehr als sein Begehr.
Er schröpft dazu die Taschen leer
von allem Arbeitstier.

Oh, war ich doch ein reicher Mann,
der ohne Mühe stehlen kann,
gepriesen und geehrt.
Traf ich euch auf der Straße dann,
ihr Strohkumpane, Fritz, Johann,
ihr Lumpenvolk, ich spie euch an. -
Das seid ihr Hunde wert!


Im Bruch

Fest zugeschnürt der Hosengurt.
Der Darm ist leer, der Magen knurrt.
Auf morschem Rock glänzt Fleck bei Fleck.
Darunter starrt das Hemd von Dreck.
Aus Pfützen schlürft das Sohlenloch.
Wer pumt mir noch? Wer pumpt mir noch?
Wer pumpt mir einen Taler noch?

Kein Geld, kein Schnaps, kein Fraß,
kein Weib.In mürben Knochen kracht der Leib.
Die Nacht ist kalt. Es kratzt das Stroh.
Die Laus marschiert, es hupft der Floh.
Die Welt ist groß, der Himmel hoch.
Wer pumpt mir noch? Wer pumpt mir noch?
Wer pumpt mir einen Taler noch?

Noch einen einzigen Taler nur:
für einen Schnaps! Für eine Hur!
Für eine Hur, für eine Braut!
Das Leben ist versaut! Versaut!
Nur einen Taler! Helft mir doch!
Wer pumpt mir noch? Wer pumpt mir noch?
Wer pumpt mir einen Taler noch?


 

Aufforderung zum Tanz

Hopla, hopla, hop – juhö!
Um die Wette mit die Flöh!
Um die Wette mit die Wanzen!
Hopla, Schickse, laß uns tanzen!

Hopla, hopla, hop – juhei!
Flöh und Wanzen in die Reih!
Und die Beine in die Luft!
Hopla, Schickse, das ist duft!

Hopla, hopla, hop – juhu!
Hopla, komm doch, Rindvieh du!
Kunde, Schickse, Floh und Wanz!
Hopla, hop – das ist ein Tanz!


 

Immer noch die dürftigen Nöte


Immer noch die dürftigen Nöte!
War mir doch das Geld vergönnt,
daß ich eine neue Flöte
meinen Liedern kaufen könnt!
Eine Flöte, drauf ich bliese
kummerfreie Melodein.
Die mich heut begleitet, diese
Knarre sargt ich sorglich ein.
Schön von Holz, doch nicht von Pappe
sei mein Instrument gebaut,
und aus edler Silberklappe
ströme meines Atems Laut.
Sammelt für den Dichter,
sammelt, daß aus Gelde Freude sprießt!
Haltet nicht das Tor verrammelt,
das des Dichters Lied verschließt!
Hätt ich erst die neue Flöte,
Denkmal eures Opfersinns –
der Gesang, den ich euch böte,
wäre mehr als Dank und Zins.
Und ihr alle ohne Zweifel
sängt nach meinem Notenblatt,
von der Weichsel bis zur Eifel,
von der Alp zum Kattegatt.


 

Versnot


Der gute Saft ist im Gehirn erfroren,
der sich in Verse zu ergießen pflegt.
So Blei wie Feder stecken unbewegt,
von Haaren überflutet, an den Ohren.
Heiz mir die Seele, liebe Sonne du!
Blaublümlein, weh mir Düfte in die Nase!
Umsäusle mich, o Zephirwind, und blase
mir Jamben oder Anapaeste zu!
Warum, ihr Tränendrüsen, wahrt in steifer
Verstocktheit ihr das Naß in den Gehäusen?
Die Wimper klappt. Nun öffnet eure Schleusen,
und spritzt mir salzige Fluten an den Kneifer!
Sehnsucht und Liebe, himmlische Geschwister,
packt mich beim Schopf! Ergreift mich, Todesschauer! …
Doch weh, das süße Ahnen all ward sauer,
geschlossen bleibt das Leidenschaftsregister.
Oh, teure Muse, stimme mich ekstatisch:
Enthülle deine Reize mir verführerisch,
und laß mich dichten – episch oder lyrerisch,
und, wenn's nicht anders sein kann, auch dramatisch!
Du hast mir, Muse, manches Kind geboren:
Dein Leib schwoll oft von meiner Dichterkraft,
der es vermocht, der warme Herzenssaft,
der gute Saft ist im Gehirn erfroren.


 

Heimweg


Mein Heimweg ist nicht lang.
Er läßt mir grade Zeit
zu einem Lobgesang
auf meine Tüchtigkeit.
Ich saß beim Alkohol
und schwatzte angenehm
von Kunst und Menschenwohl:
ich weiß nicht mehr zu wem.
Jetzt aber geh ich heim
und lobe meinen Fleiß,
der stets mit einem Reim
sich zu bestätigen weiß.


 

Wenn Gott mich so verstände


Wenn Gott mich so verstände,
wie ich sein Werk versteh,
er gab in meine Hände
den Segen für das Weh.

Ich seh auf Feld und Weide
das Glück der Welt gedeihn.
Für mich wächst kein Getreide,
am Rebenstock kein Wein.

Ich möcht die Menschen lehren,
wie man das Leben lebt;
kann selbst mich nicht erwehren
des Leids, das an mir klebt.

Ich bete zu den Frauen:
seid schön, seid stark, seid frei!
An meiner Liebe schauen
die Herrlichsten vorbei.

Wär mir der Blick verschlossen
und kennt die Schönheit nicht –
ich stände hell umflossen
von Sonne und von Licht.

Gott ist gerecht und weise.
Stimmt an: Halleluja!
Zu Gottes Ehr und Preise
bin ich, der Dichter, da.


 

Weiter, weiter – unermüdlich


Weiter, weiter – unermüdlich!
Westlich, östlich; nördlich, südlich.
Suche, Seele, suche!
Suche nur, kannst doch nichts finden!
Sonnen strahlen, Sonnen schwinden.
Fluche, Seele, fluche!

Nördlich, südlich; westlich, östlich.
Such das Glück. Das Glück ist köstlich.
Suche, Seele, suche!
Suche, daß die Sterne stieben!
Wird dich doch die Welt nicht lieben.
Fluche, Seele, fluche!

Südlich, nördlich; östlich, westlich,
Himmel, Erde, schmuck und festlich.
Suche, Seele, suche!
Schönheit, Freuden, Räusche, Frieden
sind dir, Seele, nicht beschieden.
Fluche, Seele, fluche!

Mit dem Fahrschein bahnbehördlich
westlich, östlich; südlich, nördlich.
Suche, Seele, suche!
Siehst dein Glück vorübertreiben
hinter Schnellzugsfensterscheiben.
Fluche, Seele, fluche!


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