Erich Mühsam - Die Sammlung II. Weltschmerz und Liebe

Inhalt

 

Das Nichts

Das sind die Nächte, die mir Furcht erregen

Meine Seele ist so fremd

Dämmerung

Die Ratte

Wollte nicht der Frühling kommen

Mein Gemüt brennt heiß wie Kohle

Ich möchte wieder vom Glücke gesunden

Dumpf sengt die Mittagssommersonnenglut

Die Kirchenuhr schlägt Mitternacht

An dem kleinen Himmel meiner Liebe

Folg mir in mein Domizil

Gebt mir Schnaps

Mädchen mit den krummen Beinen

Rendezvous

Weihnachten

Liebesweisheit

Warum faltest du die Hände

Frühlingserwachen

Füllet Wein in goldne Schalen

Du gingst mit mir ...

Du hast mich fortgeschickt ...

Die uns scheiden, miß nicht die Meilen

Spiel nur, lustiger Musikante

Und wieder tritt das Leben mir

Hinter den Häusern heult ein Hund

Was ist der Mensch

 

 

 


Das Nichts


Ich sah durch ein hohes, großes Loch.
Ist nichts darin? – Doch! scholl es. – Doch!
Und ich suchte und suchte und grub nach dem Nichts.
Da quoll aus dem Loch eine Garbe Lichts. –
Ich habe das Nichts gefunden –
und mir um die Stirn gewunden.


 

Das sind die Nächte, die mir Furcht erregen


Das sind die Nächte, die mir Furcht erregen,
wo sich der Mond an meine Seite schmiegt
und kranke Schatten führt an meinen Wegen,
entschleiernd, was am Grund des Grauens liegt.

Oh, hassenswert sind diese hellen Nächte.
Ich will im Dunkeln meine Straße gehn.
Ich dulde nicht, daß unbekannte Mächte
mit scheelem Blick in meine Seele sehn.

Verhaßter Mond, der feil und unverschwiegen
mir in mein innerstes Geheimnis bricht!
Ich wollt, ich dürft erst tot im Grabe liegen,
gefeit vor Furcht und unerbetnem Licht.


 

Meine Seele ist so fremd


Meine Seele ist so fremd
allem, was als Welt sich preist,
allem, was das Leben heißt.
Meine Seele ist so rein –
keine Scham ist ihr zu eigen. –
Nackend steht sie, ohne Hemd
abseits eurem Lebensreigen. –
Darum nennt ihr sie gemein.
Meine Seele weiß es kaum,
daß ihr schmähend sie verflucht; –
sie tut keiner andern wehe; –
ihren fernen, fremden Traum
stört nicht einmal eure Nähe! – –
Meine Seele sucht. – Sie sucht.


 

Dämmerung


Traurig ist's und jämmerlicht,
wenn der Mensch im Dämmerlicht
früh den Weg nach Hause sucht
und dabei die Welt verflucht.

Aus dem grauen Pflasterstein
grinst Verzweiflung, Laster, Pein,
und vom schwanken Lampenpfahl
flackert Aberwitz und Qual.

In des Menschen bangem Leid
stöbert die Vergangenheit –
und er steigt voll Scham und Schmach
einer späten Hure nach.


 

Die Ratte


Eine dicke dunkelbraune Ratte
nagt des Nachts an meinem Rückenmark,
und an meine Glieder hängt sich eine matte
dumpfe Schwere.
Wüßt ich nur, wie ich der Ratte wehre!
Wären meine schlaffen Sehnen stark!
Doch umsonst: all meine beste Habe,
alles, was ich war und was ich hatte,
nagt sie, knabbert sie in sich hinein. –
Trägt man mich dereinst zu Grabe,
senkt mich kraftlos, saftlos in das Erdreich ein,
folgt, ich wett, als erste dem Gebein
trauervoll und dankbar eine satte
dicke dunkelbraune Ratte.


 

Wollte nicht der Frühling kommen?


Wollte nicht der Frühling kommen?
War nicht schon die weiße Decke
von dem Rasenplatz genommen
gegenüber an der Ecke?
Nebenan die schwarze Linde
ließ sogar schon (sollt ich denken)
von besonntem Märzenwinde
kleine, grüne Knospen schwenken.
In die Herzen kam ein Hoffen,
in die Augen kam ein Flüstern –
und man ließ den Mantel offen,
und man blähte weit die Nüstern …

Ja, es waren schöne Tage.
Doch sie haben uns betrogen.
Frost und Sturm und Schnupfenplage
sind schon wieder eingezogen.
Zugeknöpft bis an den Kiefer
flieht der Mensch die Gottesfluren,
wo ein gelblichweißer, tiefer
Schnee versteckt die Frühlingsspuren.
Sturmwind pfeift um nackte Zweige,
und der Rasenplatz ist schlammig.
In mein Los ergeben neige
ich das Auge. Gottverdammich!


 

Mein Gemüt brennt heiß wie Kohle


Mein Gemüt brennt heiß wie Kohle.
Könnt ich's doch durch Verse kühlen!
Ach, ich berst fast von Gefühlen,
doch mir fehlen die Symbole.

Weltschmerz, banne meine Nöte!
Weltschmerz, den so oft ich reimte.
Tückisch greint die abgefeimte,
schleimig-weinerliche Kröte.

Laster, die mich erdwärts leiten,
gebt mir Verse, zeigt mir Bilder!
Satan lacht und läßt nur wilder
Höllen mir vorüberreiten.

Helft denn ihr, soziale Tücken!
Mußt durch euch ich viel verzichten – –
seid auch Spender! Laßt mich dichten!
Doch sie stechen nur wie Mücken.

In des Monds verfluchtem Scheine
such ich und im Alkohole; – –
alles quält mich; doch Symbole,
ach, Symbole find ich keine.

Aus. Vorbei. – – Ich war ein Dichter. – –
All mein Sehnen, all mein Hassen
ist vom Genius verlassen. – –
Leben, zeig mir neue Lichter! …

Mag mich denn die Liebe trösten,
Mutter meiner besten Schmerzen.
Strahlend stehn in tausend Kerzen
die Symbole, die erlösten.


 

Ich möchte wieder vom Glücke gesunden


Ich möchte wieder vom Glücke gesunden.
Die Seele sehnt sich nach harten Streichen.
Die Seele sehnt sich nach frischen Wunden,
nach Kämpfen und Bängnissen ohnegleichen.

Stürzt von den Bergen, Lawinen des Leides!
Schlagt aus den Gründen, Quellen der Klagen! – –
Liebe und Lust, zerfließen soll beides,
wo die Freuden verrecken und das Behagen …

Grauen, steigt aus den blutigen Seen – –
zerrt mich hinein in das wilde Entsetzen!
Auf die Fahnenstangen der Höllenmoscheen
zieht der lustigen Seele traurige Fetzen!


 

Dumpf sengt die Mittagssommersonnenglut


Dumpf sengt die Mittagssommersonnenglut.
Schwer ächzt das Hirn im Druck der Schädelschale.
Der Hals staut unterm Adamsapfel Blut,
und auf der Stirn stehn schmutzige Schweißesmale.

Der Himmel gähnt in schattenlosem Blau;
der See schnappt faul nach grellen Strahlenbrocken;
der Berge schläfrig regungsloser Bau
glotzt in den Tag – gelangweilt, träg und trocken.

Und all in dieser peinvoll heißen Not
kein Geld, um mich im Wirtshaus zu erfrischen.
Denn ach, wo Gottes Gnade uns umloht,
steckt meistens auch des Teufels Hand dazwischen.


 

Die Kirchenuhr schlägt Mitternacht


Die Kirchenuhr schlägt Mitternacht.
Da unten schäumt der Fluß und keucht.
Die Eisenbrücke ächzt und kracht,
und meine Stirn ist kalt und feucht.
Und meine Finger stehn gespreizt,
es zittert im Gelenk das Knie,
und hinter meinen Augen heizt
der Mondschein brandige Phantasie.
Was will das lüsterne Gestirn? – –
Ein Baum greift aus. Ein Vogel krächzt.
Ein Peitschenschlag durchreißt mein Hirn …
Es keucht der Fluß. – Die Brücke ächzt.


 

An dem kleinen Himmel meiner Liebe


An dem kleinen Himmel meiner Liebe
will – mich dünkt – ein neuer Stern erscheinen.
Werden nun die andern Sterne weinen
an dem kleinen Himmel meiner Liebe?

Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller!
Strahlend steht am Himmel, unverrücklich
eures jeden Glanz und macht mich glücklich.
Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller!

Kommt ein neuer Stern in eure Mitte,
sollt ihr ihn das rechte Leuchten lehren.
Junge Glut wird euer Licht vermehren,
kommt ein neuer Stern in eure Mitte.

An dem kleinen Himmel meiner Liebe
ist ein Funkeln, Glitzern, Leuchten, Sprühen.
Denn ein neuer Stern beginnt zu glühen
an dem kleinen Himmel meiner Liebe.


 

Folg mir in mein Domizil


Folg mir in mein Domizil,
liebes Kind, und frag nicht viel.
Wirst schon alles lernen,
wirst schon alles sehn,
liest nicht in den Sternen,
was dir heut noch alles kann für Heil geschehn.

Stehst herum in Nacht und Wind.
Komm! Bei mir ist's warm, mein Kind.
Geb dir einen Taler,
koch dir ein Glas Tee.
Einen Emmentaler
essen wir selbander auf dem Kanapee.

Bleibst bei mir bis früh am Tag.
Geht dann jeder, wo er mag.
Ich zum Redaktöre,
du, wohin dich's treib.
Morgen küßt, ich schwöre,
dich mein guter Nachbar, mich des Nachbars Weib.


 

Gebt mir Schnaps


Gebt mir Schnaps, nach dem meine Seele lechzt!
Gebt mir Schnaps, nach dem meine Kehle krächzt!
Daß sich Friede an meine Schuhe binde!
Daß die verfluchte Qual endlich Ruhe finde! …
Wie es mir durch die Kehle gluckt!
Wie es mir in der Seele juckt!
Ich will kein Bier; – ich will keinen Wein!
Schnaps will ich! Schnaps will meine Pein! – –
Verliebter Igel, sauf! sauf! Sauf! –
Morgen wacht alle Qual wieder auf …
Gebt mir Schnaps!


 

Mädchen mit den krummen Beinen


Mädchen mit den krummen Beinen,
wie dein Dackel schief im Gang,
glätte mir dein weißes Leinen.
Grade will dein Wuchs mir scheinen,
liegst du lang.

Deine Haut, die fleckig, kreidig,
dir verunziert Stirn und Wang,
rötet sich und wird geschmeidig
und dein Borstenhaar wird seidig,
liegst du lang.

Dein Organ ist wie der Spatzen
kreischend krächzender Gesang.
Komm auf schwellende Matratzen!
Wohllaut wird dein heisres Kratzen,
liegst du lang.

Armes Kind, nie kam ein Freier,
der dich auf sein Lager dang.
Komm zu mir zur Liebesfeier!
Mir schwillt Mut und Blut und Leier,
liegst du lang.


 

Rendezvous


Ich bin verdammt zu warten
in einem Bürgergarten
auf das geliebte Weib.
Nun sitz ich hier als Beute
gewissenloser Leute
mit breitem Unterleib.
Sie sind so froh beim Biere,
bald zwei, bald drei, bald viere –
und reden vom Geschäft.
Die Gattin spricht vom Hause,
die Töchter trinken Brause,
und Flock, das Hündchen, kläfft.
Die Kellnerinnen schwirren.
Die Tischgeschirre klirren.
Der Himmel scheint so blau.
Wie süß ist's doch, zu warten
in einem Bürgergarten
auf die geliebte Frau.