Erich Mühsam - Gedichtauswahl

Eine Auswahl von Erich Mühsam Gedichten
(teilweise mit Videorezitationen)

 

 

An die Dichter

Wir Dichter haben viel zu lang
mit kleinem Schicksal uns gebrüstet.
Wenn uns im Wald ein Vogel sang,
wenn Sehnsucht unser Herz umschlang,
wem's wohl nach einem Weib gelüstet, -
dann hielt die Welt den Atem ein,
zu lauschen unsern sanften Liedern,
wärmt sich an unserm Sonnenschein
und ließ die Mädchen herzlos sein,
die unsre Liebe nicht erwidern.

Genug geschwärmt! Genug geträumt!
Genug auf Weidenrohr geflötet!
Steht euer Dichtroß nicht gebäumt,
da rings das Blut in Meeren schäumt
und Brand die Horizonte rötet?
Die Menschheit schluchzt in Tod und Gram. -
Zerreißt der Lauten Saiten, Dichter,
von denen nie ein Weckruf kam!
Verhüllt in Reue und in Scham
vor Gott und Welt die Angesichter!

Doch spürt ihr je die alte Glut
von neuem, - laßt das zage Stöhnen!
Kein Jammern macht Versäumtes gut.
Ruft auf die Welt zum besten Mut,
zur Liebe ruft sie, zum Versöhnen!
Schwört aller Menschheit euern Eid,
der Menschheit, die ihr stets gemieden, -
mit ihr zu sein in Not und Leid!
Nicht Sternenwandler, - Menschen seid!
Und eure Lieder singt dem Frieden! 
 

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Endlos gereckt

Endlos gereckt, von Lampen bleich bewacht,
Die gilbenden gepfählten Schädeln gleichen,
Wächst einsam eine Straße in die Nacht.
Es stelzen Schatten. Meine Angst sieht Leichen,
Wie sie geräuschlos von den Dächern schrecken
Und hinter Riesenbäuchen sich verstecken,
Aus Hausfassaden wächsern aufgebläht.
Das Licht spritzt auf den Asphalt weiße Lachen.
Der Himmel gähnt mit bleiern grauem Rachen,
Aus dem ein Zahn bedrohlich niederspäht...
Die Füße fliehen ihrem eigenen Stampfen
Das Haar steigt auf. Die kalten Augen dampfen. 
 
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Der Gefangene

Ich hab's mein Lebtag nicht gelernt, 
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!
 
Ich soll? Ich muß? - Doch will ich nicht
nach jener Herrn Vergnügen.
Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht.
Rebellen kennen beßre Pflicht,
als sich ins Joch zu fügen. Sich fügen heißt lügen!
 
Der Staat, der mir die Freiheit nahm,
der folgt, mich zu betrügen,
mir in den Kerker ohne Scham.
Ich soll dem Paragraphenkram
mich noch in Fesseln fügen. Sich fügen heißt lügen!
 
Stellt doch den Frevler an die Wand!
So kann's euch wohl genügen.
Denn eher dorre meine Hand,
eh ich in Sklavenunverstand
der Geißel mich sollt fügen. Sich fügen heißt lügen!
 
Doch bricht die Kette einst entzwei,
darf ich in vollen Zügen
die Sonne atmen - Tyrannei!
Dann ruf ich's in das Volk: Sei frei!
Verlern es, dich zu fügen! Sich fügen heißt lügen
 
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Ich bin ein Pilger
 
Ich bin ein Pilger...
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.
 
Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
der das Erwachen flieht, auf das er harrt.
 
Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
der einst in fahle Ewigkeiten fällt.
 
Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
das küßt und fortschwemmt weint und froh genießt.
 
Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.
 
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Wollte nicht der Frühling kommen?

Wollte nicht der Frühling kommen?
War nicht schon die weiße Decke
von dem Rasenplatz genommen
gegenüber an der Ecke?
Nebenan die schwarze Linde
ließ sogar schon (sollt ich denken)
von besonntem Märzenwinde
kleine, grüne Knospen schwenken.
In die Herzen kam ein Hoffen,
in die Augen kam ein Flüstern --
und man ließ den Mantel offen,
und man blähte weit die Nüstern ...
 
Ja, es waren schöne Tage.
Doch sie haben uns betrogen.
Frost und Sturm und Schnupfenplage
sind schon wieder eingezogen.
Zugeknöpft bis an den Kiefer
flieht der Mensch die Gottesfluren,
wo ein gelblichweißer, tiefer
Schnee versteckt die Frühlingsspuren.
Sturmwind pfeift um nackte Zweige,
und der Rasenplatz ist schlammig.
In mein Los ergeben neige
ich das Auge. Gottverdammich!


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Mein Gefängnis

Auf dem Meere tanzt die Welle
nach der Freiheit Windmusik.
Raum zum Tanz hat meine Zelle
siebzehn Meter im Kubik.
 
Aus den blauen Himmeln zittert
Sehnsucht, die die Herzen stillt.
Meine Luke ist vergittert
und ihr dickes Glas gerillt.
 
Liebe tupft mit bleichen leisen
Fingern an ein Bett ihr Mal.
Meine Pforte ist aus Eisen,
meine Pritsche hart und schmal.
 
Tausend Rätsel, tausend Fragen
machen manchen Menschen dumm.
Ich hab eine nur zu tragen:
Warum sitz ich hier? Warum?
 
Hinterm Auge wohnt die Träne,
und sie weint zu ihrer Zeit.
Eingesperrt sind meine Pläne
namens der Gerechtigkeit.
 
Wie ein Flaggstock sind Entwürfe,
den ein Wind vom Dache warf.
Denn man meint oft, daß man dürfe,
was man schließlich doch nicht darf.

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An dem kleinen Himmel meiner Liebe

An dem kleinen Himmel meiner Liebe
will -- mich dünkt -- ein neuer Stern erscheinen.
Werden nun die andern Sterne weinen
an dem kleinen Himmel meiner Liebe?

Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller!
Strahlend steht am Himmel, unverrücklich
eures jeden Glanz und macht mich glücklich.
Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller!

Kommt ein neuer Stern in eure Mitte,
sollt ihr ihn das rechte Leuchten lehren.
Junge Glut wird euer Licht vermehren,
kommt ein neuer Stern in eure Mitte.

An dem kleinen Himmel meiner Liebe
ist ein Funkeln, Glitzern, Leuchten, Sprühen.
Denn ein neuer Stern beginnt zu glühen
an dem kleinen Himmel meiner Liebe.

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Gebt mir Schnaps

Gebt mir Schnaps, nach dem meine Seele lechzt!
Gebt mir Schnaps, nach dem meine Kehle krächzt!
Daß sich Friede an meine Schuhe binde!
Daß die verfluchte Qual endlich Ruhe finde! …
Wie es mir durch die Kehle gluckt!
Wie es mir in der Seele juckt!
Ich will kein Bier; -- ich will keinen Wein!
Schnaps will ich! Schnaps will meine Pein! -- –
Verliebter Igel, sauf! sauf! Sauf! –
Morgen wacht alle Qual wieder auf …
Gebt mir Schnaps!

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Rendezvous

Ich bin verdammt zu warten
in einem Bürgergarten
auf das geliebte Weib.
Nun sitz ich hier als Beute
gewissenloser Leute
mit breitem Unterleib.

Sie sind so froh beim Biere,
bald zwei, bald drei, bald viere -
und reden vom Geschäft.
Die Gattin spricht vom Hause,
die Töchter trinken Brause,
und Flock, das Hündchen, kläfft.

Die Kellnerinnen schwirren.
Die Tischgeschirre klirren.
Der Himmel scheint so blau.
Wie süß ist's doch, zu warten
in einem Bürgergarten
auf die geliebte Frau.

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Meine Seele ist so fremd

 

Meine Seele ist so fremd
Allem was als Welt sich preist,
Allem was das Leben heißt.
Meine Seele ist so rein -
Keine Scham ist ihr zu eigen -.
Nackend steht sie, ohne Hemd
Abseits euerm Lebensreigen. -
Darum nennt ihr sie gemein.
Meine Seele weiß es kaum,
Daß ihr schmähend sie verflucht;
Sie tut keiner ändern wehe; -
Ihren fernen, fremden Traum
Stört nicht einmal eure Nähe! - -
Meine Seele sucht. - Sie sucht. 

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Ich wollt das Lied des Herzens

Ich wollt das Lied des Herzens nicht verschweigen.
Ich wollt es jubelnd zu den Menschen schmettern,
die bleich am Baume der Erkenntnis klettern,
das Glück vermutend in den kahlen Zweigen.

Ich wollt sie rufen zu den breiten Küsten,
an die des Meeres Wellen silbern schlagen.
Ich wollt sie lehren leichte Schultern tragen
und freien Sinn in übermüt'gen Brüsten.

Ich stoß ins Horn. Noch einmal. – Doch ich staune:
die Menschen lachen, die ich wecken wollte,
als ob ein Mißton in die Lüfte rollte. –
Es muß ein Sandkorn sein in der Posaune.

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An die Soldaten

Der friedliche Michel

Sauft, Soldaten!
Daß das Blut
heißer durch die Adern rinnt.
Saufen macht zum Sterben Mut.
Sauft! Die Zeit der Heldentaten
fordert saftige Teufelsbraten.
Sauft! Der heilige Krieg beginnt.

Sauft und betet!
Gott erhört
liebevoll der Gläubigen Ruf.
Wünscht, daß er den Feind zerstört!
Wenn ihr über Leichen tretet,
dankt dem Herrn, zu dem ihr flehtet,
daß er euch zu Mördern schuf.

Feindeskissen
bettet weich.
Wo des Feindes Witwe weint,
ist des Siegers Himmelreich.
Fremde Weiber – Leckerbissen –
Schnaps, Gebet und kein Gewissen –.
Krieg ist Krieg, und Feind ist Feind!

Tapfrer Krieger,
der vergißt,
daß ein Herz im Leibe schlägt,
daß er Mensch gewesen ist,
eh er Kämpfer war und Sieger.
Edler Held, der gleich dem Tiger
blutige Beute heimwärts trägt!

Heldenscharen,
kehrt ihr heim,
fielt ihr nicht von Feindeshand.
In der Brust den Todeskeim,
Krüppel mit gebleichten Haaren,
sucht, wo eure Stätten waren,
im zerwühlten Vaterland.

Qual und Lasten
sind der Dank.
Weib und Kind in bittrer Not.
Euer Heldentum versank.
Darben lernt ihr nun und fasten.
Bettelnd mit dem Leierkasten
winselt ihr ums Gnadenbrot.

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