Franz Werfel - Einander



Kurt Wolff Verlag
Leipzig - München
1915


Inhalt

Lächeln Atmen Schreiten
Hohe Gemeinschaft
Die Träne 
Der Held
Der gute Mensch
Das Jenseits
Näher mein Gott
Warum mein Gott
Frühling
Ein Sonntag
Ein Liebeslied
Unsterblichkeit
Bessere Menschen
Die Tugend
De Profundis
Anrufung
Veni creator Spiritus
Die Menschheit Gottes Musikantin
Adam
Litanei eines Kranken
Abschied
Der Erkennende
Auch dir
Nur Flucht
Aufschrift
Der Krieg
Die Wortemacher des Krieges
Revolutions-Aufruf
Stunde der Inspiration
Der Weise an seine Feinde
Fluch des Werkes
Elegie des poetischen Ichs
Spruch eines gestürzten Saturnus
Ziel des Bewußtseins
Fremde sind wir auf der Erde Alle
Tempel-Traum
Ein Abendgesang
Nacht
Mitternachtsspruch
Eines alten Lehrers Stimme im Traum
Malcesine
Die Prozession
Regenbogen und Hoffnung
Mondlied eines Mädchens
Sterbender im Verbrecherlazarett
Luzifers Abendlied
Romanze einer Schlange
Held und Heiliger, Prophezeiung an Alexander
Alte Dienstboten
Hekuba
Aus Dantes Neuem Leben I
Aus Dantes Neuem Leben II
Beatrice
Jesus und der Äser-Weg
Sarastro
Zwiegespräch an der Mauer des Paradieses
 
Nachtrag
Die heilige Elisabeth
Menschenblick
Hymnus
Nächtliche Heimkehr
 

zurück zu allen Gedichten


Oden - Lieder - Gestalten

 

Das Allerweichste auf Erden überwindet
das Allerhärteste auf Erden
                                                      Laotse

 

Lächeln   Atmen   Schreiten

Schöpfe du, trage du, halte
Tausend Gewässer des Lächelns in deiner Hand!
Lächeln, selige Feuchte ist ausgespannt
All übers Antlitz.
Lächeln ist keine Falte,
Lächeln ist Wesen vom Licht.
Durch die Räume bricht Licht, doch ist es noch nicht.
Nicht die Sonne ist Licht,
Erst im Menschengesicht
Wird das Licht als Lächeln geboren.
Aus den tönenden, leicht unsterblichen Toren,
Aus den Toren der Augen wallte
Frühling zum erstenmal, Himmelsgischt,
Lächelns nieglühender Brand.
Im Regenbrand des Lächelns spüle die alte Hand,
Schöpfe du, trage du, halte!

Lausche du, horche du, höre!
In der Nacht ist der Einklang des Atems los,
Der Atem, die Eintracht des Busens groß.
Atem schwebt
Über Feindschaft finsterer Chöre.
Atem ist Wesen vom höchsten Hauch.
Nicht der Wind, der sich taucht
In Weid, Wald und Strauch,
Nicht das Wehn, vor dem die Blätter sich drehn . . .
Gottes Hauch wird im Atem der Menschen geboren.
Aus den Lippen, den schweren,
Verhangen, dunkel, unsterblichen Toren
Fährt Gottes Hauch, die Welt zu bekehren.
Auf dem Windmeer des Atems hebt an
Die Segel zu brüsten im Rausche,
Der unendlichen Worte nächtlich beladener Kahn.
Horche du, höre du, lausche!

Sinke hin, kniee hin, weine!
Sieh der Geliebten erdenlos schwindenden Schritt!
Schwinge dich hin, schwinde ins Schreiten mit!
Schreiten entführt
Alles ins Reine, alles ins Allgemeine.
Schreiten ist mehr als Lauf und Gang,
Der sternenden Sphäre Hinauf und Entlang,
Mehr als des Raumes tanzender Überschwang.
Im Schreiten der Menschen wird die Bahn der Freiheit geboren.
Mit dem Schreiten der Menschen tritt
Gottes Anmut und Wandel aus allen Herzen und Toren.
Lächeln, Atem und Schritt
Sind mehr als des Lichtes, des Windes, der Sterne Bahn.
Die Welt fängt im Menschen an.
Im Lächeln, im Atem, im Schritt der Geliebten ertrinke!
Weine hin, kniee hin, sinke!


Hohe Gemeinschaft

Nimmer, nimmer vergiß, wenn leicht
Du in vielen Gelächtern weilst,
Wie doch jedes Leben zuletzt
Weh wird, und mühsam ein jeder stirbt.

Mehr als Gemeinschaft von Worten und Werk
Bindet uns alle der brechende Blick,
Bindet uns alle das letzte Bett,
Und die Not, und die Not, wenn das Herz ausgeht.

Beugst du dich tief vor des Mächtigen Schritt,
Bebst du dahin vor der süßen Gestalt,
Spähst du dem Feind ins eiserne Aug,
Kniest du vor unerreichbarem Bild,

Ahne du, ahne doch schwindenden Blick,
Schrecklichen Atem und trockenen Mund,
Die Hand, die sich krampft, und das letzte Allein,
Und die Stirn, wie sie feucht wird von Elend und Schweiß.

Und daß dir gebührt, was Allen gebührt,
Und du verwandt bist zum endlichen Tag!
Du bist nicht verkürzt um den Adel des Leids.
Und schon weil du bist, bist du gleich. So sei stolz!

Nimmer vergiß, und fühle, wie groß
Zärtlichkeit, Güte, dein Antlitz ertränkt.
Zartsein ist Weisheit und Milde ist Sinn.
Stets deinem Mund ist ein Zauber vergönnt.


Die Träne

Unter dem vogellosen Himmel wilder Cafes
Sitzen wir oft, wenn die Stunde der Schwermut schwebt,
Wenn der Schwärm der Musik mit raschen Schlägen
Möwenhaft
Dicht uns am Ohr vorüberstreicht.

Nirgend, wo sich der Raum in Mauern drängt,
Tiefer blühet die Pflanze der Fremde auf.
Schließt du die Augen, so fahren zusammen
Eise des Pols,
Und es schluchzt der alte Fjord.

öffne dich nun! Was geschieht? Schlage die Augen auf!
Was zerbricht den Tumult? Was ruft dem Wirbel Halt?
Dort an dem Tisch die schwarze Dame,
Plötzlich erklingend
Weint sich das Fräulein in seine Hände hin.

Was noch Alleinheit war, wirft sich einander zu.
Und die weinende Stimm bindend wird zum Gesetz.
Die Menschen stehen alle und weinen,
Strömen heilig!
Selbst das Tablett in der Hand des Kellners bebt.

Scherben wir alle, werden im Weinen Gefäß.
Wer die Träne erkennt, weiß der Gemeinschaft Stoff.
Ozean sind wir, Brüder, und fahren,
Ewig fahren
Barken wir auf dem Weltmeer des Herzens hin.

Schmerz des Einsamen, du der Unsterblichkeit Kind!
Der Gottheit liebliches Blut, unsere Träne, rinnt.
Ach wir begießen mit unseren Tränen
Edens Beete,
Fruchtbar, Geschwister, wird uns das Paradies.


Der Held

Da kommt er mit ruhigen Augen.
Im Haar den Strohkranz der Vernichtung,
Und um den Mund gefaltet
Lächelnd den Unsinn des Endes.

Seht, wie er in der Feuersbrunst
Steht auf der Leiter und rettet!
Wie er aus den schwarzen Wassern
Die süße Ertrunkene trägt!

Ewig fährt er ohne Schwere
Hoch durch den dichten Novemberabend.
Und seine zornigen Zähne blitzen
Wild die Verwesung an.

Und er stößt sich ab und ist leicht
Und wärmt die vergehenden Herzen
An seinem Herzen und jubelt
Dem maßlosen Tod ins Gesicht.

Und schon gleicht er Gott, dem Jüngling,
Der gewölbten Busens sich schleudert,
Von Trapez zu Trapez
Himmlisch durchs furchtbare Blau.


Der gute Mensch

Sein ist die Kraft, das Regiment der Sterne,
Er hält die Welt wie eine Nuß in Fäusten,
Unsterblich schlingt sich Lachen um sein Antlitz,
Krieg ist sein Wesen und Triumph sein Schritt.

Und wo er ist und seine Hände breitet,
Und wo sein Ruf tyrannisch niederdonnert,
Zerbricht das Ungerechte aller Schöpfung,
Und alle Dinge werden Gott und eins.

Unüberwindlich sind des Guten Tränen,
Baustoff der Welt und Wasser der Gebilde.
Wo seine guten Tränen niedersinken,
Verzehrt sich jede Form und kommt zu sich.

Gar keine Wut ist seiner zu vergleichen.
Er steht im Scheiterhaufen seines Lebens,
Und ihm zu Füßen ringelt sich verloren
Der Teufel, ein zertretener Feuerwurm.

Und fährt er hin, dann bleiben ihm zur Seite
Zwei Engel, die das Haupt in Sphären tauchen,
Und brüllen jubelnd unter Gold und Feuer,
Und schlagen donnernd ihre Schilde an.


Das Jenseits

Wir kommen wieder, wir kehren heim
In dich, du gute Mutter unser.
Schon hängt uns, hängt uns über die Stirn,
Mild über die Stirne des Todes Flieder.

Wo fahren die feurigen Wolken hin,
Wo tanzen die mutigen Flüsse her,
Was will der Meere Spiel,
Das Laub an der Wand des Himmels gerankt?

Nun kehren wir heim, nun kehren wir ein,
Mehr ist als Dasein, Gewesensein,
Stark ist der Tod, doch siehe das stärkste,
Stärker als Tod ist Musik.

In unsere Mutter kehren wir ein.
Gott fährt über uns, der gute Mann,
Da heben wir an, und heben uns auf,
Arien selige schweben wir hin,

Und hängen im Herzen der Sterblichen,
Und locken die ewigen Tränen.
Träne, klarer Planet! Hier leben wir,
Leben in Gnade, sind nichts als Lied.


Näher mein Gott

Wie sang ich die kleinen Wege im April!
Die Kinderplätze und Reiter im Park!
Wie sang ich die schwarze Allee,
Und die versunkene Brunnenkolonnade
Im Eichenwald!

Wie sang ich die Angst des Kinderballs!
Wie sang ich Glück der unermeßlichen Oper!
Wie sang ich die Sängerin Farrar,
Wie das Knabenherz, das dunkle,
Verschwebend an ihr dahin!

Wie sang ich Mühsal des alten Esleins am Abend!
Wie den moosgrauen Tod des Vetranen im Gras!
Der Schweiß der Heizer und der Schweiß des greisen Gauklers,
Der unter Sternen nachts auf armen Plätzen turnt,
War meine Träne.

Wie sang ich dieses! Und nun sing ich Schlaf,
Den süßen Stoff, in den noch kein Gedanke fuhr,
Der Aufruhr nicht der Berge, Zypressen, Seen und Bilder!
Den Schlaf sing ich auf allen Dingen! - Der das All sang,
Singt nun das Nichts!

Nein, nicht den Schlaf und Tod! Nun sing ich hinter Schlaf
Die große Bundesschaft, die nachts uns oft auf beide Knie reißt!
Die Bucht der Treue, unser Jenseits, Vaterland, Kanaan,
Jetzt sing ich dich, mein Vater,
Mein Vater, dich sing ich jetzt!


Warum mein Gott

Was schufst du mich, mein Herr und Gott,
Der ich aufging, unwissend Kerzenlicht,
Und da bin jetzt im Winde meiner Schuld,
Was schufst du mich, mein Herr und Gott,
Zur Eitelkeit des Worts,
Und daß ich dies füge,
Und trage vermessenen Stolz,
Und in der Ferne meiner selbst
Die Einsamkeit?!
Was schufst du mich zu dem, mein Herr und Gott?

Warum, warum nicht gabst du mir
Zwei Hände voll Hilfe,
Und Augen, waltend Doppelgestirn des Trostes?
Und eine Stimm' aprilen, regnend Musik der Güte,
Und Stirne überhangen
Von süßer Lampe der Demut?
Und einen Schritt durch tausend Straßen,
Am Abend zu tragen alle
Glocken der Erde
Ins Herz, ins Herz des Leidens ewiglich?!

Siehe es fiebern
So viele Kindlein jetzt im Abendbett,
Und Niobe ist Stein und kann nicht weinen.
Und dunkler Sünder starrt
In seines Himmels Ausgemessenheit.
Und jede Seele fällt zur Nacht
Vom Baum, ein Blatt im Herbst des Traumes.
Und alle drängen sich um eine Wärme,
Weil Winter ist
Und warme Schmerzenszeit.

Warum, mein Herr und Gott, schufst du mich nicht
Zu deinem Seraph, goldigen, willkommenen,
Der Hände Kristall auf Fieber zu legen,
Zu gehn durch Türenseufzer ein und aus?!
Gegrüßet und geheißen:
Schlaf, Träne, Stube, Kuß, Gemeinschaft, Kindheit,
   mütterlich?!

Und daß ich raste auf den Ofenbänken,
Und Zuspruch bin, und Balsam deines Hauses,
Nur Flug und Botengang, und mein nichts weiß,
Und im Gelock den Frühtau deines Angesichts!


Frühling

Nun ist sie da, nun ist sie wieder da,
Die Wildnis der Kindheit wieder!
Nun stehst du am Fluß,
Wie ewig in Wind und Vorbei. . .
Nun tanzet das greise Haar dir.

Es hängen die Brücken unter dem Adlerflug.
Kriegrisch die Bäume reißen sich Wolken ab.
Menschen entflattert
An tausend Ufern, Türme,
Und schluchzender Odem hebt die Brust des Gebirgs.

Hier stehst du gespiegelt, getragen hin.
Nicht weißt du mehr, ob Erd, ob Stern!
Dein fernes Du sinkt weg . . .
So schütte denn am Abend
Den Becher Leben in den Himmel aus.


Ein Sonntag

Winken von Türmen und lodernden Terrassen
Überfüllt, überfüllt uns die Brust.
Blaues Gerolle und goldene Massen.
Und unsere Augenweiden
Überschwemmen die schwebenden Weiten.
Im Tal der Damen seelenvolles Schreiten
Gießt sich in unser Herz, und einer Wiese Lust
Dehnt sich zu Tränen, nicht mehr zu vermeiden.

Früh stand ein armes Mädchen auf und wusch sich das Gesicht.
Nun lebt es überschüttet vom Wogenfall
Des Nachmittags in ungeheurem Licht.
Warum kann ich nicht sagen, wie nah ich in ihm bin,
Und wie geschwisterlich?
O großes Hand-in-Hand! Geeintes Schweben hin!
Weg, Stern und Kinderspiel sind da, und Mütter überall,
Und alles Überall ist mütterlich.

Wer sagt noch: Eins!
Eins ist das Nichts!
Es sprang aus ihm die Liebe strömenden Gesichts,
Sprang aus dem Wesenlosen, nicht zu halten!
Ich geht zur Ruh,
Das Nichts zerbricht in seine Tausendfalten,
Im Übermaße der Gestalten
Lösch ich mich zu mir selber aus im Du!


Ein Liebeslied

Alles, was von uns kommt,
Wandelt schon andern Raum.
Tat ich dir Liebe an,
Liebt' ich die Welt darum!

Bist du durch mich erhöht.
Lächelt und glänzt dein Schritt.
Wenn mich mein Weh verspült,
Bin ich im höchsten Sinn!

Ach, was man Schicksal nennt,
Raffe mich wolkenwärts!
Trifft mich am Tor der Pfeil . . .
Wenn du nur glücklich bist.

Daß du zur Flöte tönst,
Roste mein Tag im Nu!
Sieh, wir auf Erden sind
Ebenbild Gottes so!


Unsterblichkeit

Viel ist es, schon weil Tod ist,
Mensch zu sein!
Doch aller süßen Worte
Süßestes
Ist die Unsterblichkeit!

Daß erschüttert sind
Die rasenden Himmel oben,
Und ewig die Sterne all',
Von einem Kindertag,
Und den Fahnen im Sand
Und den Burgen . . .

Daß späteste Tränen knospen,
Weil einst vor einem
Unendlichen Antlitz
Ein Herz
Zusammenstürzte zum Lied!


Bessere Menschen

Vollkommenheit, Vollendung!
Deinetwillen grüße ich
Die Sünde, grüße ich
Das Arme, Endliche in mir!

Ist es nicht gut,
Daß immer Himmel ist, daß
Wer niedrig
Und tief im tiefsten Brunnen steht,
Die Sterne sieht,
Die edlen Stern sieht über sich bei Tag?

Und daß ich weinen kann,
Und bin zerrissen ganz
Unter den süßen Bäumen hier!

Empfindung des Entfernten,
Gutes, nie erreichbar mir!
Und greifbar dennoch,
Faßlich, wie der Kinderhand
Ein naher
Himmel des Nachmittags.

Und daß ich blühen darf
Die Blüte der Bewunderung
Zu besseren Menschen,
Daß ich fühlen darf,
Den guten Gang von immerguten Fraun!


Die Tugend

Die Lüge ist das Weib des Potiphar,
Mit schleppenträgem Kleide angetan,
Das ist bemalt mit allem, was da war,
Und ist, und sein wird: Mond und Sternenbahn,
Mit Frucht und Jahreszeit und Hof und Hahn
Und Stadt und Meer und Schiff und Berg und Schar.
Und alles das, auf dem Gewände kreisend,
Hältst du für wahr und für dich unterweisend!

Die Welt ist Abfall. Und der Satan legt
Den Himmelsmantel an, mit Stern und Zeit.
Was durcheinander Ding an Ding bewegt
Ist Todesangst und letzte Eitelkeit.
Des Bösen Rechnung, Welt, ist stoßgefeit,
Sie scheint zu sein, weil sie kein Sein zerschlägt,
Wo Gottes Wahrheit weicht vor einem Kinde,
Und in die Knie bricht im geringsten Winde.

Doch ist Gesetz dadurch, daß man es bricht!
Die Welt ist Bruch und Schuld auf immerdar.
Allein darin verbürgt sie uns das Licht,
Und in der Sünde wird es offenbar.
Durch unser Leiden werden wir gewahr,
Wie Gott in uns durch eitles Tun zerbricht.
Und Sehnsucht wächst aus überströmten Tagen:
Zu opfern uns, uns selbst ans Kreuz zu schlagen.

So ist nur eins, das Opfer, was uns bleibt,
Im Sturm der Räume und im Tanz der Uhr!
Die Stunde grinst herbei, die uns entleibt,
Und wir sind ohne Lohn und ohne Spur.
O Liebe, Opfer! Tötend was uns treibt,
Sind wir erst, sind wir gegen' die Natur.
Und ich bin Mensch, in meinem Menschenleben
Dem Schein ein Sein, dem Unsinn Sinn zu geben.


De Profundis

Aus meinem Abgrund zu dir aufgedreht,
Aus dieser Tiefe höre mein Gebet!
Es ruft der Mensch, der auf den Straßentagen
An deinem Stand langsam vorübergeht.

Laß deine Welt, mein Gott, mich nicht ertragen!
Vergönne mir das fürchterliche Schlagen,
Des Lebens Schauder, deines Werkes Graun,
Wenn die Gestalten durcheinanderzagen.

Gieß furchtbar Einsicht in mein leeres Schaun,
Daß die Geschöpfe schmelzen ab und taun,
Und daß ich selbst in meinem Blick vergehe,
Um aus dem Tod mich reiner aufzubaun!

Schreckliche Gnade, Einsehn, wenn ich sehe
Des Himmels Eisgang, eines Vogels Nähe, -
Laß mir die Angst vor allem, was geschieht,
Das Aufwärts-Staunen vor des Waltens Wehe!

Lösch mich nicht aus, eh' ich dahingeriet,
Daß ich noch schaudre, wenn der Flor verzieht,
Und Luzifer mit Morgenflügeln flieht!
Aus meinen Tiefen hör ich mich zu dir rufen:
Laß, was ich bin, mich sein und bleiben, Lied!


Anrufung

Komm, reiner, klarer, winterlicher Geist,
Mit deinen eisigen Feuern niederfahrend!
So wenig Zeit noch! - Immer weiter jährend
Von unserm Ausgang sind wir eingekreist.

Wie eitel doch das Wort sich in uns fügt!
Weh Lächeln, das in Hinterhalten lauert!
Du harte Stirne tückisch zugemauert!
O Schritt bei Tag und Nacht, der lügt!

Komm, Geist, und überrenne diesen Fluch,
Daß wir uns spülen über alle Dämme!
Aus allen Schleusen stürze uns dein Spruch,
Daß Eins das Andre selig überschwemme!

Wähl uns zum Horn aus, Herr, in das du stößt
- Schon beben wie Gebärende die Erden -
Gib, in dein letztes Antlitz aufgelöst,
Daß alle wir einander Mütter werden!


Veni creator Spiritus

Komm heiliger Geist du, schöpferisch!
Den Marmor unsrer Form zerbrich!
Daß nicht mehr Mauer krank und hart
Den Brunnen dieser Welt umstarrt,
Daß wir gemeinsam und nach oben
Wie Flammen in einander toben!

Tauch auf aus unsern Flächen wund
Delphin von aller Wesen Grund,
Alt allgemein und heiliger Fisch!
Komm reiner Geist du, schöpferisch,
Nach dem wir ewig uns entfalten,
Kristallgesetz der Weltgestalten!

Wie sind wir alle Fremde doch!
Wie unterm letzten Hemde noch
Die Schattengreise im Spital
Sich hassen bis zum letzten Mal,
Und jeder, eh' er ostwärts mündet,
Allein sein Abendlicht entzündet,

So sind wir eitel eingespannt,
Und hocken bös an unserm Rand,
Und morden uns an jedem Tisch.
Komm heiliger Geist du, schöpferisch
Aus uns empor mit tausend Flügen!
Zerbrich das Eis in unsern Zügen!

Daß tränenhaft und gut und gut
Aufsiede die entzückte Flut,
Daß nicht mehr fern und unerreicht
Ein Wesen um das andre schleicht,
Daß jauchzend wir in Blick, Hand, Mund und Haaren,
Und in uns selbst dein Attribut erfahren!

Daß, wer dem Bruder in die Arme fällt,
Dein tiefes Schlagen süß am Herzen hält,
Daß, wer des armen Hundes Schaun empfängt,
Von deinem weisen Blicke wird beschenkt,
Daß alle wir in Küssens Überflüssen
Nur deine reine heilige Lippe küssen!


Die Menscheit Gottes Musikantin

Die Menschheit Gottes Musikantin ist.
Doch Gottes Musik ist die Barmherzigkeit!
Hört es, ihr Herzen, stürzt und seid bereit:
Musik ist Gang der Sphäre, Himmels-Ordnung,
Erkenntnis, Maß des Maßes, das uns mißt.

O Menschheit, höchste und geschwungene Welle,
Sopran in Gottes ganz unendlicher Kapelle!
Drum, Brüder, preist
Den Dreiklang aller Güte,
Wenn süß die Fremde einen Kranken speist!
O preist
Der Sehnsucht keusche Quint, und preist die Geigenblüte
Auf einem Antlitz, das Verehrung heißt!

Horn der Versöhnung schwebt
Über den milden Bässen der Vergebung,
Jauchzt auf, wenn in zerschmetternder Erhebung
Der Demut Erz in der Trompete lebt!
O weint, wenn wiederkehrt der Kindheit Flötenpart,
Und rauschet, Brüder, wenn im Marsch sich die
Empörung findet,
Sinkt hin, wenn sich die Welt zur Fuge bindet
In einer Mutter Allgegenwart!

Die Menschheit Gottes Musikantin ist.
O fühlt den Meister,
Und seinen Stab, der in euch schlägt und schwebt!
Sein Takt ist die Gerechtigkeit,
Sein Ton ist die Barmherzigkeit.
Ach, wenn der Stoff nur als Bewegung lebt,
So lebt der Geist als Liebe nur, geliebte Geister!


Meine Väter und Lehrer, was ist die Hölle?
Ich glaube, sie ist der Schmerz darüber, daß man
nicht mehr zu lieben vermag.
                                               Dostojewski

Adam

An diesem Kreuzweg, abendlich umlauert,
Gewahr ich plötzlich, wie mein Leben dauert.
Ich hör in mir die Zeit, die schafft und mauert,
Gleichgültig innen Schlag an Schlag erschallen.
Das Tier des Daseins hat mich überfallen,
Ein Atem geht, der groß mich überstreicht,
Auf meiner Schulter, riesenhaft und leicht,
Sitzt es mir vogelfern und endlos eingekauert.

Und um mich Sternensturz und Fels und Baum
Gehn ihres Wegs und wandeln Traum in Traum.
Ich Überträumter, wie ich steh und stehe,
Fühl ich mich an, und weiß, daß ich mich drehe.
Gedreht mit andern fahr ich hin,
Und weiß nur eins: Es ist kein Sinn
In dem Ichbin!

Ichbin ist um mich. Ich bin eingeschlossen,
Und Unentrinnbar ist der zweite Name der Welt!
Zerbrach' ich mich, war' ich nicht ausgegossen,
Nur neu in den verruchten Tanz gestellt!
Denn All ist alles,
Kein Loch in der Zeit,
Kein Raum hinter der Unendlichkeit.

Ach, wie unsäglich unverknüpft
Mir jedes Ding vorüberhüpft!
Der eitle Sturm, der eitle Wald,
Der eitle Ich vorüberwallt!

Niemals ein Mein,
Immer nur Sein!
Will ich was halten,
Löst sich und bricht's.

Von den Gestalten
Nichts kann ich halten,
Nicht einmal Nichts.

Flucht ist mir nicht gegeben,
Wohin ich mich wende, Leben!
So will ich mich denn verweben
Ins Ewige, ins Allein!
Auf dieser Erde eben
Sitzen und sein und schrein!!


Litanei eines Kranken

O Leib und Leid
So überein!
Gar nichts entzweit
Schmerz und Gebein.

Nenn ich euch: Zwei,
Spalt ich das Bin.
Trenn ich euch zwei,
Bin ich dahin.

Schmerz, der sich staut.
Wächst zur Gestalt.
Also gebaut
Werden wir alt.

Rühr dich nur an,
Nerve und Herz,
Spür dich nur an,
Was bist du? Schmerz!

Wohlsein und Ruh
Fälscht dein Gesicht,
Gleiches Gewicht
Sperrt dich nur zu!

Doch wem es brennt
Innen und zehrt,
Der erst erkennt,
Der erst erfährt,

Der erst erfährt,
Der erst erkennt,
Zeit, daß sie brennt,
Ort, daß er schwärt!

Wesen der Zeit,
Wesen vom Ort,
Zeit, daß sie leiht,
Ort, daß er dorrt!

Wem nicht gelingt,
Nächtlich zu ruhn,
Der erst durchdringt
Ruhen und Tun.

Wer schlaflos starrt
In Nähe und Nacht,
Dem wird sie hart,
Der nur gibt acht.

Wen Leere umbraust,
Stille umstellt,
Hält sich und haust
Inmitten der Welt.

Wen groß sein A=
tem, ein Mörder, umgeht,
Wer daliegt und nah
Doch zu Häupten sich steht,

Wer sich versenkt
In den Puls, der rennt,
Der ist beschenkt,
Der nur erkennt!

Gott ist das Licht-
Meer von reißendem Geist,
Ist und ist nicht,
Ruhet und reist.

Doch in der Spur
Von Leid, das ihm bleibt,
Nur in der Spur
Hat er sich verleibt.

Er kam in die Zeit
Und in Todes Gewalt,
Da nahm er das Leid
Und das Kreuz zur Gestalt!

Und mag ich nun schmähn,
Und hab ich geflucht,
Ich bin so geschehn,
So bin ich gebucht!


Abschied
Ein Fragment

Stimme

War dein Gang in großer Sonne verschwebend,
War dein windiges Kleid, mir vorüberlebend,
War der tiefe Atemzug dein Gesicht,
War das alles ein Letztesmal,
Und ich ahnte den Abschied nicht?
Die Straße hat deinen Fuß vergessen,
Erde und Ätherstrahl gaben dein verschüttetes Lachen aus.
Die boshafte Treppe im Haus,
Wo aufwärts das Letztemal dein Antlitz durch mich brach,
Wie das dunkelselige Licht
Durch erhabene Fenster der Tempel bricht,
Wissend höhnt mir die Treppe nach:
Denn ich atmete nicht,
Daß dein ferner Atem sich nicht mehr in meinen flicht.

Antwort

Es gibt nicht eine Stelle,
Die du durch dich nicht abgestellt.
Es gibt nicht eine Helle,
Die von dir nicht ins Finster fällt.
Alle Welt ist Letztesmal
Abschied heißt jedes Tal.
Mit müden Straßenbäumen bin ich weggeglitten,
Aus vielen Träumen bin ich abgeschritten.
Und doch, es eint,
Daß wir uns vorbeigeweint,
Und daß wir arm sind, ohne Gleichen,
Niemals zu uns hinüberreichen!
O Abschied, Brunnen aller Worte!


Der Erkennende

Menschen lieben uns, und unbeglückt
Stehn sie auf vom Tisch, um uns zu weinen.
Doch wir sitzen übers Tuch gebückt,
Und sind kalt und können sie verneinen.

Was uns liebt, wie stoßen wir es fort!
Und uns Kalte will kein Gram erweichen.
Was wir lieben, das entrafft ein Ort,
Es wird hart und nicht mehr zu erreichen.

Und das Wort, das waltet, heißt: Allein!,
Wenn wir machtlos zueinanderbrennen.
Eines weiß ich: Nie und nichts wird mein.
Mein Besitz allein: Das zu erkennen.

Sieh den Freund, der deine Speise teilt,
Hinter Stirn und Antlitz sich versammeln.
Wo dein Blick ihm auch entgegeneilt,
Weilt ein Fels, den Eingang zu verrammeln.

Wenn ich walle durch den Lampenbann,
Meine Schritte höre, böse Wandrer,
Dann erwach ich und bin nebenan,
Und mir selbst ein Grinsender und Andrer!

Ja, wer niederfährt zu diesem Stand,
Wo das Einsame sich teilt und spaltet,
Der zerrinnt sich selbst in seiner Hand,
Und nichts lebt, was ihn zusammenfaltet.

Keinem Schlaf mehr ist er einverleibt,
Immer fühlt er, wie wir selbst uns tragen.
Und die Nacht, die ihm, des Lebens bleibt,
Unabwendlich ist ein Wald zum Klagen.


Auch dir

Auch dir bewegt sich süß im Schuh ein Fuß,
Und unser Müdewerden ist das Gleiche.
Wenn sich dir leicht die Wimper hebt beim Gruß,
Dein Auge trägt mein Erdenbild im Teiche.

Und doch, als ich dich nah und mein empfand,
Und überaus mich ans Geschaffne weinte,
Ans Lachen, und ans Atmen, das uns einte,
Da wüßt' ich jäh von jenem Widerstand,

Von Brand und Wald und Stepp und Sturmesstoß,
Und von den Ewigkeiten, die uns trennen.
Daß nichts mein ist! Daß selbst, was Ich wir nennen,
Ein fremdes bleibt, und höchst erbarmungslos!!


Nur Flucht

Es bebt der Schnee vor Sehnsucht abzuschmelzen,
Unruhig tappt der März auf nackten Stelzen.
In alle Dinge ist nur ein Besinnen,
Ein Wort gesenkt, ein ewiges: Vonhinnen!
Sahst du in sich ein Antlitz je verweilen?
In allen Augen ist ein Eilen Eilen.
Wo ist die Weile, die wir könnten tragen,
Da wir wie Wellen Wellen weiterschlagen?
Wo ist das gute Gut für uns zu ruhen,
Die wir uns ewig von uns selbst abtuen?
Wo ist der Ort gebannt, uns zu erquicken?
Wir selbst sind die Verfolger ja im Rücken!
Nicht eine Stunde, die wir Stunde heißen,
Wir keuchen fort, und als ein Grünes reißen
Wir uns vom Wegrand, werfen das zur Seite,
Ein Halt erhoffend in der nahen Weite.
- Und wie der Zauber einer schweren Mühle
Dreht uns der alte Schaumfall der Gefühle.
Das Jetzt, der Ekel würgt, nicht abzuwenden!
Stoß ab vom Ufer, sagt das edle Sehnen,
Und die Vollendung endlich zu vollenden,
Vergebens und beflügelt wachsen Tränen.
Doch reißt nach unbegreiflich hartem Schöpferwort
Uns noch die Sehnsucht aus der Sehnsucht fort.


Aufschrift

Niemals im Andern, nie im Ich zu Hause!
Bestand und Zeit zugleich wie Nichts und Pause!
Nimmer ein Jetzt und stets Erinnerung.
Und nur der Wille: Ewig sich zu teilen,
In jeder Form vertausendfacht zu weilen,
Und wieder Heimweh auf der Wanderung,
Sich aus Verlorensein zurückzuretten,
Und Sehnsucht, die sich selbst zerfrißt,
Dem Namen, den man trägt sich anzuketten,
Und dem Gestelle, das nicht ist.


Der Krieg

Auf einem Sturm von falschen Worten,
Umkränzt von leerem Donner das Haupt,
Schlaflos vor Lüge,
Mit Taten, die sich selbst nur tun, gegürtet,
Prahlend von Opfern,
Ungefällig scheußlich für den Himmel, -
So fährst du hin,
Zeit,
In den lärmenden Traum,
Den Gott mit schrecklichen Händen,
Aus seinem Schlaf reißt
Und verwirft.

Höhnisch, erbarmungslos,
Gnadenlos starren die Wände der Welt!
Und deine Trompeten,
Und trostlosen Trommeln,
Und Wut deiner Märsche,
Und Brut deines Grauens,
Branden kindisch und tonlos
Ans unerbittliche Blau,
Das den Panzer schlägt,
Ehern und leicht sich legt
Um das ewige Herz.

Mild wurden im furchtbaren Abend
Geborgen schiffbrüchige Männer.
Sein goldenes Kettlein legte das Kind
Dem toten Vogel ins Grab.
Die ewige unwissende,
Die Heldentat der Mutter noch regt sie sich.
Der Heilige, der Mann,
Hingab er sich mit Jauchzen und vergoß sich.
Der Weise brausend, mächtig.
Siehe,
Erkannte sich im Feind und küßte ihn.
Da war der Himmel los,
Und konnte sich vor Wundern nicht halten,
Und stürzte durcheinander.
Und auf die Dächer der Menschen,
Begeistert, goldig, schwebend,
Der Adlerschwarm der Gottheit
Senkte sich herab.

Vor jeder kleinen Güte
Gehn Gottes Augen über,
Und jede kleine Liebe
Rollt durch die ganze Ordnung.

Dir aber wehe,
Stampfende Zeit!
Wehe dem scheußlichen Gewitter
Der eitlen Rede!
Ungerührt ist das Wesen vor deinem Anreiten,
Und den zerbrechenden Gebirgen,
Den keuchenden Straßen,
Und den Toten, tausendfach, nebenbei, ohne Wert.

Und deine Wahrheit ist
Des Drachen Gebrüll nicht,
Nicht der geschwätzigen Gemeinschaft
Vergiftetes, eitles Recht!
Deine Wahrheit allein,
Der Unsinn und sein Leid,
Der Wundrand und das ausgehende Herz,
Der Durst und die schlammige Tränke,
Gebleckte Zähne,
Und die mutige Wut
Des tückischen Ungetüms.
Der arme Brief von zu Hause,
Das durch die Straße Laufen
Der Mutter, die weise
Das alles nicht einsieht.

Nun da wir uns ließen,
Und unser Jenseits verschmissen,
Und uns verschwuren,
Zu Elend, besessen von Flüchen . . .
Wer weiß von uns,
Wer von dem endlosen Engel,
Der weh über unsern Nächten,
Zwischen den Fingern der Hände,
Gewichtlos, unerträglich, niederfallend,
Die ungeheuren Tränen weint.

Geschrieben August 1914


Die Wortemacher des Krieges

Erhabene Zeit! Des Geistes Haus zerschossen
Mit spitzem Jammer in die Lüfte sticht.
Doch aus den Rinnen, Ritzen, Kellern, Gossen,
Befreit und jauchzend das Geziefer bricht.

Das Einzige, wofür wir einig lebten,
Des Brudertums in uns das tiefe Fest,
Wenn wir vor tausend Himmeln niederbebten,
Ist nun der Raub für eine Rattenpest.

Die Tröpfe lallen, und die Streber krächzen,
Und nennen Mannheit ihren alten Kot.
Daß nur die fetten Weiber ihnen lechzen,
Wölbt sich die Ordensbrust ins Morgenrot.

Die Dummheit hat sich der Gewalt geliehen,
Die Bestie darf hassen, und sie singt.
Ach, der Geruch der Lüge ist gediehen,
Daß er den Duft des Blutes überstinkt.

Das alte Lied! Die Unschuld muß verbluten,
Indes die Frechheit einen Sinn erschwitzt.
Und eh nicht die Gerichts-Posaunen tuten,
Ist nur Verzweiflung, was der Mensch besitzt.

Geschrieben August 1914


Revolutions-Aufruf

Komm, Sintflut der Seele, Schmerz, endloser Strahl!
Zertrümmre die Pfähle, den Damm und das Tal!
Brich aus Eisenkehle! Dröhne du Stimme von Stahl!

Blödes Verschweinen! Behaglicher Sinn,
Geh mir mit deinem toten Ich bin!
Ach, nur das Weinen reißt uns zum Reinen hin.

Laß nur die Mächte treten den Nacken dir,
Stemmt auch das Schlechte zahllose Zacken dir,
Sieh das Gerechte feurig fährt aus den Schlacken dir.

Wachsend erkenne das Vermaledeit!
Brüllend verbrenne im Wasser und Feuer-Leid!
Renne renne renne gegen die alte, die elende Zeit!!


Stunde der Inspiration

Der Himmel stumpf wie eine Zimmerdecke,
Daran die Vögel ihre Flügel streichen,
Das Nord-Gebirge kann mein Arm erreichen,
Und wo ich atme, weicht die Welt vom Flecke.

An alles rühre ich, wie ich mich strecke.
Mein Auge löscht den Mond in Abend-Teichen,
Von Stolz und Zorn und Freiheit ohne Gleichen
Erstrahlt die Brust mir, daß ich auf erwecke!

In meinen Beinen zittert ein Galopp!
Der letzte Horizont ist bald durchsprungen,
Verratene Unendlichkeit ruft Stopp!

Aus mir ist solcher Macht ein Sturm gedrungen,
Daß er mich umwirft und erwürgt am Boden,
Und ringsum spaltet alte Wald-Wojwoden.


Der Weise an seine Feinde

Ihr bäumt euch durch das Feuer aller Tage,
Von List und Haß gebläht fühlt ihr euch Herren,
Aus euren Blicken tausend Wölfe plärren:
Herbei! Beiß dich in uns! Wir schlagen! Schlage!

Fahrt über mich mit Blitzen! Seht, ich trage
Kein Erz, mein Herz vor eurem Hieb zu sperren.
Euch wird mein Lächeln bis zum Tod verzerren,
Euch bluten meine Wunden Niederlage!

Es ist der Haß, der siegend stets Zerhaute!
Die Liebe überwindbar jederweise,
Zerrissen wird den Sieger sie zerreißen.

Der Strömende allein, der sich nicht staute,
Mit süßer Hand, für jeden Stahl zu leise,
Er wird am Ende diese Welt zerschmeißen.


Fluch des Werkes

Wie fleht der Sinn, den wir zu tragen haben
Uns um sein Wort!
Das Lied doch, das wir ihm zu sagen gaben,
Schon rafft ihn fort.

Wenn traumwärts süße die Gestalten walten,
Ruf sie nicht her!
Du wirst in Armen bald die Kalten halten,
Verzerrt und leer.

Als Gottes Werk aus Gottes Jahr gefahren,
Und Welt brach an,
Um die Gedanken, die die wahren waren,
War es getan.

Aus tausend Grüften grün die Toten drohten,
Wo Fäulnis brennt.
Die Kranken keuchten, und Despoten lohten
Zum Firmament.

Und Mord allein geschähe fern und nahe,
Und war im Recht.
Und Gott sprang auf, und sähe hin und sähe:
So ist es schlecht!

Er kann das Werk nicht mehr mit Händen wenden,
Es rollt und glüht.
Und bis es rasend wird in Bränden enden,
Weint er sich müd.

Drum glücklich Brüder, wenn dir Schweigen eigen,
Zerbrich es nicht!
Aus Traum und Teichen laß die Reigen steigen,
Klang und Gesicht.

Weh dir, willst du dem Schweben Leben geben,
Das in dir sann.
Dein Werk wird an des Käfigs Stäben kleben,
Und klagt dich an.

Es wird mit den geschaffnen Dingen ringen
Die Hände wirr.
Du wirst ein Ding in Todesschlingen bringen,
Und machen irr.

Wenn sündig all auf ihren Pfaden traben,
Betäubt und blind,
Wird Gott die tiefste Schuld auf sich zu laden haben,
Weil alle sind!


Elegie des poetischen Ichs

Glaubt nicht, daß ihr mich erkennt, und aus dem Gedichte
entdecket,
Bin ich erst da und gebannt, heb ich mich auf und davon.
Süße Sphäre, wo ich im Unaussprechlichen walle,
Glühend Erkenntnis bin, weil nicht Gestalt mich verschließt.
Doch auch mich reißt hinab der alte Drang nach der Sünde,
Und eine plumpere Hand hascht nach dem leichten Geschöpf.
Reine Empfängnis! Weh mir! Der heilige Geist wird geboren,
Doch ihn bringt eine Hur, euere Sprache zur Welt.


Spruch eines gestürzten Saturnus

Auf einmal warst du da mit deinem Walten,
Und mit dem ersten Atem wieder fort,
Und eh dein Mund sich klang zu deinem Wort,
Schon wurde er dir fremdlings zugehalten.
Und wie beim Tanz im Vorstadt-Lampenhaufen,
Eh du begonnen, bist du abgelaufen.

Kehrst du dich um nach deinen Trümmertaten,
Es wächst wie Flut in dir das böse Gift.
Auf deinen Steinen steht emporgeraten
Ein andrer, der dich schrecklich übertrifft.
Und du erkennst im Antlitz deines Erben:
Ich sterbe nicht, denn dieser wird mich sterben.

Erhabener Fluch, der Schöpfung eingeflochten,
Wer um die Macht wirbt, wird von ihr zerstört.
Die Herrscher sind die endlich Unterjochten,
Und heut ist Herr, wer gestern sich empört.
Und ob die Welt versöhnend sich verschöne,
Es bleibt der Krieg der Väter und der Söhne.

Ich, grüner Greis und Gott, der's ausgefressen,
Mit hundert Mark längst in Pension geschickt,
Ich flicke meine Wäsche unterdessen,
Weil's schließlich keinem besser geht, beglückt.
Weil keinem Gott die letzte Tat vergönnt ist,
Und die Unendlichkeit selbst ein Fragment ist.


Ziel des Bewusstseins

Werden treten wir einst aus unserm Haus,
Fremd sind uns nicht mehr Himmelslauf und Baum.
Finsternis des Tags, bunte Fülle reißt,
Und die Sonne hängt ratlos, ohne Kleid.

Unserm Gange nicht birgt sich eine Zeit,
Und die Schlange nicht, die im Auge weilt.
Keines mehr entweicht traurig ins Geklüft,
Und kein Schauder schleicht neben unserm Schritt.

Des Gewässers Lauf unser Blick löst auf,
Des Gefüge Leim schwindet unserm Schaun.
Das Geheimnis ab wie ein Zunder brennt,
Selbst den Särgen sehn wir ins morsche Herz.

Und das Wallen nicht einer Frau bestürzt.
In uns allen nicht sind die Tränen kühn.
Fern von Liebe und fern von Sünd und Leid
Letzter Gleichmut nur unsre Tugend heißt.

In Gestrüpp und Teich unsrer Träume selbst
Steigen wir zugleich, sehn uns selber sehn,
Und es ist kein Sinn, der sich selbst nicht sinnt,
Und kein Maß beginnt, das sich selbst nicht mißt.

Keine Sprache schwebt unsern Worten nach,
Wahrer als das Ding ist ihr leichter Klang.
Höchstes Wissen ist mit Gewissen eins.
Eine Krankheit nur, Lüge, stürzt uns ein.

Aber Gott der Herr, in den Tod erschreckt,
Flieht und sich versteckt in sein fernstes Meer.
Fürchterlich und stolz finden wir ihn und
Starren, wenn er weint, daß er uns erschuf.


Fremde sind wir auf der Erde alle

Tötet euch mit Dämpfen und mit Messern,
Schleudert Schrecken, hohe Heimatworte,
Werft dahin um Erde euer Leben!
Die Geliebte ist euch nicht gegeben.
Alle Lande werden zu Gewässern,
Unterm Fuß zerrinnen euch die Orte.

Mögen Städte aufwärts sich gestalten,
Niniveh, ein Gottestrotz von Steinen!
Ach es ist ein Fluch in unserm Wallen:
Flüchtig muß vor uns das Feste fallen,
Was wir halten, ist nicht mehr zu halten,
Und am Ende bleibt uns nichts als Weinen.

Berge sind und Flächen sind geduldig,
Staunen, wie wir auf- und niederweichen.
Fluß wird alles, wo wir eingezogen.
Wer zum Sein noch Mein sagt, ist betrogen.
Schuldvoll sind wir, und uns selber schuldig,
Unser Teil ist: Schuld, sie zu begleichen!

Mütter leben, daß sie uns entschwinden.
Und das Haus ist, daß es uns zerfalle.
Selige Blicke, daß sie uns entfliehen.
Selbst der Schlag des Herzens ist geliehen,
Fremde sind wir auf der Erde Alle,
Und es stirbt, womit wir uns verbinden.


Wo gehen wir denn hin?
Immer nach Hause.
                            Novalis

Tempel-Traum

Wenn die Stunde saust,
Und die Frühe säumt,
Wacht der Schläfer schwer
Wie Ertrunkner auf.

Schlamm weilt auf der Stirn,
Und ins Haargewirr
Flechten Tang und Gras
Braunen Bettelkranz.

Und es ist ein Haus
Voll von Sang und Hall.
Lampe lebt in Rauch
Über Treppen hin.

Eine Mutter geht,
Und er weiß nicht wo,
Duft und Stimme wird
In der Höhe süß.

Doch ein Priester ernst
Schreitet in die Fern'
Seinem Stabe nach,
Goldnem Vogelknauf.

Und Vestalin sitzt
Bei dem Flammentier,
Springt ein Wind herein,
Hütet sie den Schoß.

Wo der Tempelbau
Oben offen ist,
Schwebt ein Adler groß
Unterm Morgenmeer.

Und die Schläferstirn
Löset ein Gesang,
Und das Herze wächst
Mit der Flut des Nils.


Ein Abendgesang

Nun uns zu Häupten die Fledermäuse und graue Adler streichen,
Und wir im Dunste einer vergehenden Wiese stehn,
Geschieht's, daß atemeins wir uns flüchtige Hände reichen,
Eh wir ins Gestrüpp und das Licht des Schlafes eingehn.

Das ist die Stunde, wo alles erwacht, und letztes Erstaunen
In unsere wirr überwachsenen Herzen fällt,
Daß wir sind, und daß gute und böse Launen
Des Unverständlichen uns in die Welt gestellt!

Wer hat mich gewollt, daß ich Bosheit im Busen wälze,
Wer hat es gefügt, daß mich Güte süß überschwemmt,
Wer gab mir die Demut und wer mir den Stolz und die Stelze,
Wer hat es vermocht, daß ich wandle mir selber so fremd?

Und wie uns zu Häupten verderbliche Vögel jagen,
Wir trüben uns alle und werden leichter und klein.
Und sinken wir hin, so regnen von ziehenden Tagen
Ferne Gefühle unseren Odem ein.

Da schwebt das Schiff im Schaume der Schrauben wieder,
Eh unser Auge ins Leere hinüberreift.
Seligkeit naht, wie wenn schon erlöschende Lider
Süß die unmenschliche Lippe des Dichters streift.


Nacht

O die ihr geht am Abend in eure Zimmer ein,
Mit Atem sanftem bleibend und einem Licht allein!
Weh euch, ihr traut
Dem Spiegelblick, der höhnisch schaut,
Und bergt euch hinter Wänden,
Als könnten Wände wenden,
Und halten ab das Walten, vor ihnen angestaut.
Die Türen gehn von unsichtbaren Händen,
Und euer Haus
Ist ein und aus
Und in die Welt gebaut.

Ihr, die in Mitternächten kehrt spät in eure Betten ein, -
O Bett, du letzte Heimat, du tiefes altes Allgemein!
Wenn ihr durchs Grün des Schlafes hüpft,
Ihr seid nicht fern, ihr seid verknüpft.
Durch eure Herzen schleiert leis
Der Wasserfall der Wendekreis,
Die Venus leicht um eure Schläfe schlüpft.
Von Pol und Strahl und Schuld seid ihr dahingerafft,
Der harte Eisenengel geht,
Der mit der Lamp euch übers Auge weht,
Und fordert ewig, fordert Rechenschaft.


Mitternachtsspruch

Fühle du zur Stunde dieser Nacht
Dich zur Achse aller Welt gemacht.
Pocht nicht Hekuba in deinem Blut,
Ist die Träne, die dein Auge tut,
Nicht der Trank der Tränen, je geweint?
Fühl dein Herz als Mühle aller Zeit,
Mühlrad schäumt im Strom mit Riesigkeit,
Strom, der strömt und doch zu strömen scheint!
Fremdes fühl, das ewig aus dir bricht,
Fernsten Sterns auf deinem Nachtgesicht.


Eines alten Lehrers Stimme im Traum

Durch einen Traum der Straße oder gar
Durch eine Straße im Traum . . .
Von fern kam deine Stimme wunderbar.
Ich hörte kaum, groß zogen durch den Raum
Die goldenen Begräbnisse. Turm und Baum
Traten im Himmel ein, und tiefer Schaum
Von Winter, Blum' und Damen regnete mich ein.
In einem Traum der Straße hörte ich dich sein,
Im Straßentraum die Stimme aus begrabnem Jahr,
Die Stimme, die einmal in einer alten Wohnung war.

Ich hörte deine Stimm und wie du heißt,
Und dachte an des Vaters Gestalt,
Der mit dir sprach, und dachte an der Ahnen Geist,
Die unter Sternen reisen, mild und kalt,
Und daß auch mich der Wind in Kreise reißt
Im Traum der Straße, die mein Vater vor mir wallt.
Im Straßentraum dacht' ich an einen Bart,
An eine Hand, vereist und brauner Art.
An ungeheure Worte dacht' ich: war und alt.

Im Straßentraum, da Gold vorüberfuhr,
Und liebend ein Sonntagswind,
Von fern erfuhr ich deine Spur,
Und drehte mich nicht um, vom Träumen blind.
Ich weiß nicht, wo du wandelst, weiß und nicht geschwind,
Und ob du bist, oder im Traume nur,
Doch von den Kerzen lind, die in mir sind,
Hub eine in der Kirche an und ist entbrannt,
Und ein Gefühl, verloren und noch unbenannt,
Begann, o Straßentraum, im Wind unterm Azur.


Malcesine

Viele Augen, ja viele,
Schauten in Treuen uns an.
Oft waren wir so beisammen,
Und lachten bewußtlos im Spiele,
Und unverzehrende Flammen
Stiegen wir uns heran.

Leise oft saßen wir, leise,
An Tischen mit einer Frau
Mild in Konfettischlachten.
Und es durchzogen im Kreise,
Augen, die uns bedachten,
Tief unser Herzens-Blau.

Oliven im Silber, Oliven,
Verschwebten um einen Pfad.
Ein Maultier wankte auf Steinen.
Gott warf sich aus seinen, zum Weinen,
Unendlich göffneten tiefen
Augen auf uns herab.

Oft sind wir, ja sind auf der Suche,
Das uns Entwallte zu wahren,
Die Berge und Zimmer zu halten,
Was ist uns auf einmal bereit,
Die Sehnsucht nach dem Geruche
Von sanft gewaschenen Haaren
Der Schwestern, aus unserer alten,
Aus unserer Kinderzeit?


Die Prozession

Aus dem eisern aufgebauten Blauen
Bricht ein Taumel ausgespannter Fahnen.
Winde schmachten und die Kerzen tauen,
Doch die Fenster, die das Wunder ahnen,
Sind verhangen von Herzen und Tüchern.

Ja voran wird uns der Herr getragen,
Seine Wunden hat er längst verwunden,
Und er lacht verrückt durch diese Stunden.
Bauern singen hoch, - doch aufgeschlagen
Ungeheuern Blicks der Priester schreitet,
   in den Händen die Monstranz.

Über Stiegen in die Kirche tauchen
Tausend Betende und knieen wild.
Kerzenwirrwarr bricht aus blauen Rauchen,
Und es klingelt unter einem Bild.
Da - Und Horn und Orgel brüllen unter Bögen.

Und es ist geschehn. Ein letztes Weinen
Wirft sich über abgemühte Brüste,
Und der Chor von seiner kleinen Küste
Schmeißt sich in des Himmels Diadem.
Die Tenöre rasen durch die Runde,
Weiß im Hängekleidchen knien die Kleinen.
Und es sinken aus dem Kindermunde
Süß Narzissen und Jerusalem.


Regenbogen und Hoffnung

Die Stadt in Wetter und Gewölk geschlagen,
Von niedrer Schwalben Schmerzensflug durchtobt.
Doch jenseits leichter Berg, emporgetragen,
Aus Graus und Pfuhl dem Himmel anverlobt.

Den einen Fuß in Heiterkeit verloren,
Der andre stampft in Donner, Zorn und Krampf,
Bäumt sich der Bogen, seelenvoll geboren
Aus Schwanenlicht und fürchterlichem Dampf.

Die ungeheure Zwieheit ist begonnen.
Gott stößt sich ab, und spricht mit neuem Mund.
Und ist das Bunte tränenhaft zerronnen,
Gestiftet steht der alte erste Bund.

Das Hüben noch von Pest und Strahl vergiftet,
Das Drüben schon in maßlos weißem Bad.
Wer weint mit mir? Gelichtet und gelüftet,
Steht in uns auf der alte Ararat.


Mondlied eines Mädchens
Für meine Schwester Hanna

Ich liege in gläsernem Wachen,
Gelöst mein Haar und Gesicht.
Am Boden in langsamen Lachen
Schwebt Mond, das unselige Licht.

Und wie mir die tödliche Helle
Die Stirn und das Auge befühlt,
Zerrinn ich und bin eine Welle,
Gekräuselt, entführt und gespült.

Die Mutter atmet daneben,
Der Vater schläft auf und ab.
Ich habe Angst um das Leben
Von allen, die ich lieb hab.

Jetzt gehn durch verwachsene Zimmer
Erzengel mit schrecklichem Schwert.
Ins Ohr weint mir immer, mir immer
Ein Kind, das mir nicht gehört.

Nachtlampe von tausend Betten
Des Leidens, der Mond mir scheint.
Ich möchte viel Schluchzendes retten,
Und bin es doch selbst, die weint.

All Ding im Zimmer verlassen,
Der Schuh, und der Tisch, und die Wand.
Ich möchte das Ferne anfassen,
Nur sein eine streichelnde Hand!

Ich möchte mit Fröstelnden spielen,
Und halten die Kalten im Arm!
Ich fühle, die Reichen und Vielen
Sind Kinder vor mir und so arm!

Für alle muß ich mich sorgen,
Mein Schlaf ist gläsern und schwebt . . .
Ich horche, wie in den Morgen
Der Atem von Allen sich hebt.

Im Fenster wehn Bäume zerrissen,
Viel Himmel sind windig in Ruh.
Ich decke mit meinen Kissen
Die frierenden Welten zu.


Sterbender im Verbrecherlazarett

Hier lieg ich eingestürzt und fürchterlich,
Gerüst des Greuels, braun von Blut und Eiter.
Der Tod sieht mich nicht an und ekelt sich . . .
Mit seinen Blumen schwebt er morgens weiter.
Hier lieg ich eingestürzt und fürchterlich.

Doch gönn ich keine Klage meinem Mund.
Die Schmerzen reiße ich in mich und büße.
Nichts was nicht brennt in mir und wäre wund,
Und jedes Weh wird Seligkeit und Süße.
Ich gönne keine Klage meinem Mund.

War alles Bosheit, was die Lippe sprach,
Gedanke: Geilheit, was ich fühlte: Hassen,
Schlich ich als krummes Tier durch alle Gassen,
So bad ich jetzt in tiefster letzter Schmach,
War es auch Bosheit, was die Lippe sprach.

Doch will ich jauchzen, weil ich stürze ein!
Das Haus mit seinem Dunkel fällt zusammen,
Der Himmel aber mit den Abendflammen
Hebt an in dem verwehrten Raum zu sein.
Ja, ich will jauchzen, weil ich stürze ein.

Und bin ich nichts als Fäulnis und Gestank,
Der Menschlichkeit die letzte ärmste Stufe,
Bin ich doch Echo nur von einem Rufe,
Und wie zerborsten vom Trompetendrang.
Bin ich auch nichts als Fäulnis und Gestank.

Im Fenster Baum, Brandmauer, Dächer kahl,
Und hier im Bett ein brenzelndes Verbrennen, -
Ich aber weiß: Verbrennen ist Erkennen!
Aus meinem Brand bäumt sich das Ideal
Dort über Mauer, Dächer, kalt und kahl.

Es schwebt das seelenvolle Pentagramm,
Das Wort, o Mensch, hebt an, sich zu bedeuten,
Die Seelen wachsen, es beginnt ein Läuten,
Ein Kind küßt eine Blüte wundersam.
Es steigt, es schwebt das reine Pentagramm.

Wie jetzt die Schwester mit der Lampe naht,
In weißer Güte schreitend mit der Haube.
Ich bin so außer mir, und nichts als Glaube,
Und fast der Schein auf ihrem Lampenpfad,
Wie jetzt die Schwester mit der Lampe naht.

Ich sag, o Mensch, weil sie das Bett mir streicht,
Und sich vor dem Verwesenden nicht ekelt,
Nein, Karten mit mir spielt und Sonntags häkelt,
Und mancher Stunde meiner Mutter gleicht.
Ich sag, o Mensch, weil sie das Bett mir streicht.

Und ordnet ihre Hand mein Trümmertal,
Hat Gott in dieser Hand die Wahl getroffen.
Wer kann es sagen? - Doch der Sinn wird offen,
So offen, daß mein Geist im Jubelstrahl
Sich niederregnet auf das Trümmertal.


Luzifers Abendlied

Wenn ich über die nächtlichen Städte fahre,
Flatternder Mantel auf Nebel und Wind, der mich trägt,
Unter mir ist ein Abend der Tage und Jahre,
Stuben sind hell und Fenster von Schatten bewegt.

Und den Fluch im Genick muß ich all die Leidenden schauen,
Wie das lebt, wie das schlägt, und Worte bildet und glaubt,
Weinen und Sehnsucht zu all diesen Männern und Frauen
Faßt mich und beugt mein schwarzes, mein ewiges Haupt

Und dem furchtbaren Blick erscheint in der alternden Kammer:
Lehrerin, bitter und steif, die sich elend zu Ende führt.
Mutter, das Schwert im Herzen, die all ihren Jammer
Heilig ertragend im Hause die Hände rührt.

Jugend geht in den Krieg und schweigt. Geizige Knochen
Schrecklicher Greise klappern von Haß verzehrt.
Selbst die Unschuld, geboren aus blutigen Wochen
Hat den Leib einer lieblichen Frau verheert.

Und sie tragen sich selbst mit Worten. Elend ist Glaube!
Manche ahnen die Lüge, Gefährten von meinem Fluch.
Doch eine süße Schwester mit weißer, edelster Haube,
Hütet den Kranken, und ebnet das fiebrische Tuch.

Und sie nehmen es hin, daß sie sind, und zum Sterben geboren.
Manchmal lächeln sie gut, und tragen im Auge das Heil.
Und dann fühle ich weh: Ich bin verworfen, verloren,
Stolz und geflügelt und hart und unbeugsam und steil.

Ich bin der Geist ihrer Klage, der Gnadenlose und Klare,
Der sich gegen den Fluch despotischer Gnade bäumt!
Rein will ich sein und Geist, das ist Schmerz. Und heiße der
   Wahre,
Der umsonst an das Tor der Versöhnung und Liebe schäumt.

Aber seh ich am Abend die so geliebten Gestalten,
Reißt mich Schluchzen dahin, und es sinket und schwebt
Aller Tränen die reinste, und ruht als Stern in den Falten
Kalten Himmels, Stern, der meinen unseligen Namen lebt.


Romanze einer Schlange

Wo von den aufwärtsatmenden Vulkanen
Erhaben stürzet Gold um Gold,
Unter dem Blau, das in Orkanen
Tiefdröhnend durcheinander rollt,
Roll ich mich im Gerolle,
In meiner Quader Hölle,
Und starre stolz nach den Alleen,
Wo Bäume wehn, und weiße Füße Wehn,
Und Sonne, Strom und Sommer toben hold.

Weh euch! Ich wurde wach als Schlange,
Und Feindschaft, Stolz und Haß sind mein Gebot.
Die Nachtigall zerbricht sich im Gesänge,
Und stürzet ab in ihren Tod,
Wenn ich mit meinem Blicke
Sie banne und bestricke.
Das Liebliche entgeht mir nicht.
Ich bin im Licht der Bösewicht,
Vernichtung und Gericht, das euch bedroht.

Unendlich singen Amseln in den Kronen,
Und an den Quellen tönt die Kreatur.
Es ist mein Teil in Stein und Stolz zu wohnen,
Und die Gestalt zu sein, in die ich fuhr.
Sind alle guten Wesen
Zu Müttern auserlesen,
So haßt mit Wut mich meine Brut,
Und krümmt sich fort in dumpfem Mut,
Und ich gewunden auf dem Grunde starre nur.

Ich frage nicht, warum bin ich erschaffen
Zum Wurm in dem umblauten Reich?!
Denn keine Sehnsucht lebt, mich hinzuraffen,
Und ich allein will sein mir selber gleich.
Der Hölle neunmal tiefste Flammen
Sie quälen nicht, den sie verdammen!
Mich schmerzt mein Kriechen nicht, wenn durch Alleen
Sich Bäume wehn und weiße Füße wehn. -
Ich kann nicht weinen, liebe keinen, Wehe euch!


Held und Heiliger
Prophezeiung an Alexander

Held

Du Entfachter auf dem Scheiterhaufen,
Dem die Feuer um die Stirne laufen,
Sprich, was drückst du die gepechten Drachen
An dein Antlitz, überschwemmt von Lachen?

Heiliger

Reiter du auf dem bebuschten Pferde,
Sieh mich an. Ich bin die Schuld der Erde!
Und ich zahl mich! Wie die Aschen sinken,
Brüllt schon Gott vor Lust, mich auszutrinken.

Held

Nennst du Trank dich und zerbrichst den Becher,
Sieh mich an! So nenne ich mich Zecher.
Dieses Da ist da, daß ich es saufe,
Und wer mich säuft, meiner überlaufe!

Heiliger

Eitelster, der auf dem Rosse reitet,
Deinem Pferd ist mehr die Welt bereitet!
Ohne Opfer soll dir Gott gehören?
Wen Gott will, den muß er sich zerstören!

Held

Kann dies Jetzt denn ohne mich geraten?
Gibt es Leben außer meinen Taten?
Du und Er und alle sieben Reiche
Sind, wenn ich sie in die Tasche streiche.

Heiliger

Nennst du Leben die verruchten Stunden?
Erst die Stunde, die dich überwunden,
Erst das Weh, zu dem Er dich erkoren,
Hebt in Gnad dich an. Du wirst geboren!

Held

Schon verbrennst du, Mann, in deinem Brennen.
Brand, der nicht verbrennt, will ich mich nennen.
Wer nicht liebt, kann nicht zugrunde gehen.
Sterben alle, bleib ich doch bestehen.

Heiliger
(schon als Asche zusammensinkend)

Alexander über tausend Meeren,
Hör die Flammen an, die sich verzehren!
Hör den Staub, zu dem ich mich vermische!
Liegt ein Freund bei dir an deinem Tische,
Ist sein Blut bestimmt, dich zu bespritzen.
Du vergißt, auch du kannst nur besitzen.
Schwer in Händen bleibt, was du errungen,
Im Besitz schon hat dich Gott bezwungen!
Daß er furchtbar seine Gnade wähle,
Rüste die noch nicht verdammte Seele!


Alte Dienstboten

In dem sanften Wallen der alten Frühlinge
Stehn die alten Dienerinnen von Haus zu Haus.
Der augebrannte Himmel schwebt dem Mond entgegen,
Der Sonntag füllt mit seinem zarten Tod die Straße aus.
Sein letzter Odem trägt den Schall von Ruderschlägen,
Von Ufer Hügelton und Klang von Weggesprächen her.
Die alten Mägde haben gütige Hüte auf,
Mild von Vergangenheit und kaum entlächelnd mehr.
Nur manche Masche oder kühne Rose schlägt zum Flug
   die Flügel auf.
Gestrickten Handschuh tun sie ab mit treuem Gruß und altem
   Nicken,
Eh sie sich in das Dunkel ihrer Tore schicken.

Ach diese alten Frauen tragen ewig auf den alten Händen
Das erdenlose schluchzende Traumlicht vom frühen Tag.
Wohin sie auch ihr Gehen wenden,
Klirrt ein Geschirr, ist Küche um sie, Stiege, alter Uhrenschlag,
Im Hof ist Lärm, im Herd die ewige Kohle.
Sie hören auf dem Gang das Schlurfen ihrer Sohle,
Sie haben keinen Sohn und kein Geschick,
Kein Bett zum Sterben breit. Nur kleinen Klatsch im Flur.
Schon keift die Herrin auf, die aus der Türe fuhr . . .
Unwandelbar in Ehrfurcht, so mit scheu gebeugtem Rücken
Sind die bereit sich neu zu ewigem Dienst zu bücken.

Doch ich Verworfener der Lust und Eitler in der Zeit,
Ich weiß, daß diese alten geisterhaften Leben
Sich ohne Ende über meins erheben,
Das voll von Hoff art Worte machen mag.
Nur uns zu prüfen gab uns Gott den Tag,
Allein des Tages Sinn heißt Heiligkeit.
O heiliger Dienst, o Dienst, der niemals schließt,
O Einfalt, die nichts weiß und nichts genießt,
O Licht am Abend übern Tisch gebückt!
Gepriesenes Leben, Dienst! Mit abgeschundenen Händen,
Sich irdisch tilgend, himmlisch zu vollenden!


Hekuba

Manchmal geht sie durch die Nacht der Erde.
Sie, das schwerste ärmste Herz der Erde.
Wehet langsam unter Laub und Sternen,
Weht durch Weg und Tür und Atemwandern,
Alte Mutter, elendste der Mütter.

So viel Milch war einst in diesen Brüsten,
So viel Söhne gab es zu betreuen, -
Weh dahin! - Nun weht sie nachts auf Erden,
Alte Mutter, Kern der Welt, erloschen,
Wie ein kalter Stern sich weiterwälzet.

Unter Stern und Laub weht sie auf Erden
Nachts durch tausend ausgelöschte Zimmer,
Wo die Mütter schlafen, junge Weiber,
Weht vorüber an den Gitterbetten
Und dem hellen runden Schlaf der Kinder.

Manchmal hält am Haupt sie eines Bettes,
Und sie sieht sich um mit solchem Wehe,
Sie, ein dürftiger Wind von Schmerz gestaltet,
Daß der Schmerz in ihr Gestalt erst findet,
Und das Licht in toten Lampen weinet.

Und die Frauen steigen aus den Betten,
Wie sie fortweht, - nackten schweren Schrittes,
Sitzen lange an dem Schlaf der Kinder,
Schauen langsam in die Zimmertrübe,
Tränen habend unbegriffnen Wehes.


Aus Dantes neuem Leben

I

So fein und züchtig ist die Herrin mein,
Wenn sie im Gruß sich an Bekannte wendet,
Daß Lippen beben und die Sprache endet,
Und sie zu schaun kein Auge hebt den Schein.

Sie hört im Weitergehn ihr Lob gedeihn.
Gütig in Demut ganz, scheint sie gesendet,
Ein Ding vom Himmel her, der Erd' gespendet,
Um Wunder wirkend, Wunder selbst zu sein.

Dem zeigt sie solche Huld, der sie erschaut,
Daß sie durchs Aug mit Süße schüttet zu
Sein Herz. - Nur der versteht's, der es erlebt.

Und ach, es scheint, daß ihr von Lippen hebt
Ein holder Geist der Liebe an, der traut
Zur trauten Seele saget: Seufze du!

II

Die ihr dahin den Weg der Liebe weht,
Verweilt und seht,
Ob sich ein Schmerz darf messen mit dem meinen?!
O seid um kleine Duldung angefleht, Bis ihr versteht,
Wie sehr ich Ort und Zuflucht bin von Peinen!

Nicht, weil mein kleines Herz vor ihr besteht,
Die Liebe, die mich lädt,
Ihr Großmut ließ mein Geben leicht im Reinen,
Daß hinter mir sich Flüstern oft verrät:
Seht, wie er geht!
Von welcher Würde mag er selig scheinen?

Jetzt aber flieht die Kühnheit, mich zu meiden,
Mir aus dem Schatz der Liebe zugeschworen.
Zu solcher Armut bin ich eingefroren,
Daß selbst die Worte meine Lippen meiden.

Ich gleiche jenem Bettelvolk von Toren,
Verschämten, scheu verschließend ihre Leiden,
Nach außen schmückt mein Blick sich mit Geschmeiden,
Der innen ist im Tränensturz verloren.


Beatrice

Wenn ich hier auf diesen leichten Wegen
Mit den Freundinnen gesellig bin, -
- Ach sie lachen viel und laufen durch süßen Regen -
Traurig pocht mein Seliges mit Schlägen
Dir von meinem Kreis entgegen,
Meiner Schuld ein zart vergessener Sinn
Richtet mich nach deinen Gassen hin.

Ja, ich habe dich mit liebem Gruß gemessen,
Der dich niederschlug und überwand.
In der Kirche bin ich dagesessen,
Und dein Herz war abgebrannt.
Mußte dir mit meinem eitlen Inmirschreiten
Einen Schmerz bereiten,
Daß du nichts als Träne warst,
Und noch immer aus den roten Augen starrst. -
Hast du heute wieder nichts gegessen,
Und mein Teil ist Seligkeit indessen?

Nennen sie mich fernes Mädchenfeuer,
Dran du Flamme wirst und aufwärts fährst,
Weiß ich weinend, daß du ungeheuer
Dich an meinem schönen Bild verzehrst.
Kann noch nicht den hohen Sinn erkennen,
Fühle nur dein leidendes Verbrennen.
Und ich weiß, daß dir in tausend Nächten
Bices Namen keinen Schlaf erlaubt,
Und kein Kranz geschieht, der dich belaubt,
Und in keinen Tanz willst du dich flechten.
Und in meiner ausgespannten Lust
Denk ich manchmal, daß du husten mußt,
Zu dem klaren Wandel hier erkoren,
Reißt es mich, wie in der alten Brust, -
Und als wärst du, Sohn, aus mir geboren,
Bin in eine Trauer ich verloren.


Jesus und der Äser-Weg

Und als wir gingen von dem toten Hund,
Von dessen Zähnen mild der Herr gesprochen,
Entführte er uns diesem Meeres-Sund
Den Berg empor, auf dem wir keuchend krochen.

Und wie der Herr zuerst den Gipfel trat,
Und wir schon standen auf den letzten Sprossen,
Verwies er uns zu Füßen Pfad an Pfad,
Und Wege, die im Sturm zur Fläche schössen.

Doch einer war, den jeder sanft erfand,
Und leiser jeder sah zu Tale fließen.
Und wie der Heiland süß sich umgewandt,
Da riefen wir und schrieen: Wähle diesen!

Er neigte nur das Haupt und ging voran,
Indes wir uns verzückten, daß wir lebten,
Von Luft berührt, die Grün in Grün zerrann,
Von Öl und Mandel, die vorüberschwebten.

Doch plötzlich bäumte sich vor unserem Lauf
Zerfreßne Mauer und ein Tor inmitten.
Der Heiland stieß die dunkle Pforte auf,
Und wartete bis wir hindurchgeschritten.

Und da geschah, was uns die Augen schloß,
Was uns wie Stämme auf die Stelle pflanzte,
Denn greulich vor uns, wildverschlungen floß
Ein Strom von Aas, auf dem die Sonne tanzte.

Verbissene Ratten schwammen im Gezücht
Von Schlangen, halb von Schärfe aufgefressen,
Verweste Reh' und Esel und ein Licht
Von Pest und Fliegen drüber unermessen.

Ein schweflig Stinken und so ohne Maß
Aufbrodelte aus den verruchten Lachen,
Daß wir uns beugten übers gelbe Gras
Und uns vor uferloser Angst erbrachen.

Der Heiland aber hob sich auf und schrie
Und schrie zum Himmel, rasend ohne Ende:
»Mein Gott und Vater, höre mich und wende
Dies Grauen von mir und begnade die!

Ich nannt' mich Liebe und nun packt mich auch
Dies Würgen vor dem scheußlichsten Gesetze.
Ach, ich bin eitler als die kleinste Metze
Und schnöder bin ich als der letzte Gauch!

Mein Vater du, so du mein Vater bist,
Laß mich doch lieben dies verweste Wesen,
Laß mich im Aase dein Erbarmen lesen!
Ist das denn Liebe, wo noch Ekel ist?!«

Und siehe! Plötzlich brauste sein Gesicht
Von jenen Jagden, die wir alle kannten,
Und daß wir uns geblendet seitwärts wandten,
Verfing sich seinem Scheitel Licht um Licht!

Er neigte wild sich nieder und vergrub
Die Hände ins verderbliche Geziefer,
Und ach, von Rosen ein Geruch, ein tiefer,
Von seiner Weiße sich erhub.

Er aber füllte seine Haare aus
Mit kleinem Aas und kränzte sich mit Schleichen,
Aus seinem Gürtel hingen hundert Leichen,
Von seiner Schulter Ratt' und Fledermaus.

Und wie er so im dunkeln Tage stand,
Brachen die Berge auf und Löwen weinten
An seinem Knie, und die zum Flug vereinten
Wildgänse brausten nieder unverwandt.

Vier dunkle Sonnen tanzten lind,
Ein breiter Strahl war da, der nicht versiegte.
Der Himmel barst. - Und Gottes Taube wiegte
Begeistert sich im blauen Riesen-Wind.


Sarastro

Adept

Wie ferne noch das Gottesreich auf Erden?

Sarastro

Von dir durch Aug und Mund kann es begonnen werden.

Adept

Bin ich nicht einer, der des Heiles harrt?

Sarastro

Der Heiland kommt nicht. Er ist Gegenwart.

Adept

Wie soll ich seine Gegenwart beginnen?

Sarastro

Sei tausend Außen, und sei Eins nach innen!

Adept

So muß ich mich zersprühn im Tanz der Taten?

Sarastro

Ballst du dich innen, wird die Tat geraten.

Adept

Ist denn die Tat kein Tun und Welt-Berennen?

Sarastro

Niemals ein Tun, nur Einsehn und Erkennen!

Adept

Wie soll ich, Meister, dieses Wort verstehen?

Sarastro

Sahst du im Ballsaal je ein rötlich unbemerktes Mädchen
   gehen?

Adept

Arm sah ich manche wohl mit dünnen Flügeln schlagen.

Sarastro

Sahst einen niedern Schreiber du vor mächtiger Tür
   verzagen?

Adept

Wohl einen, der vor Angst sich selber fast verschwand.

Sarastro

Sahst auch des Herren dicke ringbewehrte Hand?

Adept

Mit Zorn im Herzen viel der funkelnden und glatten.

Sarastro

Und alter Abendgäule jämmerliche Straßenschatten?

Adept

Ich sah der knochigen Schatten spitz' und sanfte Härten.

Sarastro

Im Hof die Kinder, die um eine Pumpe plärrten?

Adept

Den schmutzigen Jungen auch, auf den die andern
   spuckten?

Sarastro

Und sahst die Sträflinge, die sich vor unsichtbarer
   Peitsche duckten?

Adept

Dies alles Ja! Erwiderst du mit Fragen?

Sarastro

Nichts andres kann ich dir von der Erkenntnis sagen!

Adept

Nichts mehr, als Dinge, daß sie sich begeben?!


Sarastro

Merk! Deine Pflicht geschieht in ihrem Leben!

Adept

Wie kann ich denn ihr fremdes Wesen wissen?

Sarastro

Sei, wie Gewässer, reißend mitgerissen,
Ein fremder Stoff, bereit die Welt zu halten,
Gestaltet selbst ein Spiegel der Gestalten!

Adept

Willst du mit diesem Rätsel mich entlassen?

Sarastro

Sei Tausendfalt, um dich in Eins zu fassen!
Zieh aus, mein Sohn, in deine erste Probe,
Dem rechten Reich und Tempel-Haus zulobe!


Zwiegespräch an der Mauer des Paradieses

Adam

Müde in den schmerzensreichen Schuhn,
Durch den Tag der Straßenqual gegangen . . .
Fang mich, Abend, auf, in dir zu ruhn,
Süßer Ort, aus dem ich angefangen!
Meinen Pack von alten Schultern nun
Werf ich ab mit einem langen, langen
Atem, um mich ganz in dich zu tun.

Ja ich tauche auf aus allem Staub,
Süße Mauer, traumwärts hergebaute,
Tiefer Wind, der sich ins Haar mir staute,
Als der Engel loderte im Laub!
Ja ich komme mit den schweren Rinnen,
Scharfen Tränenschluchten im Gesicht.
Gärtner mit dem Bart, verstoß mich nicht,
Höre auf, mich zu beginnen!
Laß zum Tor verstürzen das Gemäuer,
Schlage eine kleine Bresche ein,
Daß ich sanft in einem Weidenfeuer,
Oder kräuselnd mich am Bach ein scheuer
Windgefährte hebe an zu sein.

Stimme aus dem Garten

Ich darf dich nicht lassen ein,
Und darf mich nicht lassen aus,
Ich muß mich fassen ein,
Und gieße dich in Gassen aus.
Mein Haus ist wüst,
Meinen Garten hast du versandet,
Ich bin's, der für dich büßt.
Kein Schwan mehr landet
In meinem See, der hohlgeht und brandet.
Die alten Bäume sind verbrannt,
Die schönen Tiere starben in Gesträuchen.
Und ich vermag die Würmer nicht zu scheuchen
Aus meinem Beet und Rebenstand.
Im Herbst, wie eine alte Frau
Wall ich vorbei an eingesunkenen Malen,
So bettelhaft.
Dein ist die Kraft.
Mach, daß ich möge neu erstrahlen,
Aus dieser Wüste weggeworfener Schalen
Den guten Garten wieder auf erbau!

Adam

Durch tausend abgespannte Stunden
Hab ich zu dir mich hergefunden,
Du wirfst mich fort.

Stimme aus dem Garten

Wir sind, mein Sohn, so sehr verbunden,
Daß du dich triffst mit deinem eigenen Wort.

Adam

Erbarm dich mein!

Stimme aus dem Garten

Erbarm dich mein!

Adam

Mir Abgebücktem mit zerrissenen Füßen,
Willst du die Tür des Schlafengehens verschließen?
Ist Gnade nicht dein Gut zuhöchst erlaucht?

Stimme aus dem Garten

Ich habe meine Gnade ausgegeben,
Sie waltet unerschöpft in deinem Leben,
Für dich hab ich sie ganz,
Du nie für mich gebraucht.

Adam

So wird dies Altern nimmer enden,
Und keine Heimat macht mich wieder klein?

Stimme aus dem Garten

Bestelle mich mit deinen Händen,
Und Heimat werden wir uns beide sein,
Und kehren ein!

Adam

Weh, daß kein andres Wort mich tröste,
Und dies zurücke mich in Städte stößt!

Stimme aus dem Garten

Kind, wie ich dich mit meinem Blut erlöste,
So wart' ich weinend, daß du mich erlöst.


Nachtrag zu
"Einander"

 

Die heilige Elisabeth
Für Gertrud Spirk

Wie sie geht
Die Schwester der fünften Stund und der Lerchen,
Unter dem noch versagenden Himmel,
Dem atmenden Osten voraus!
Über Stufen Steigend nieder
Am Klirren vorbei des frühen Frühlings . . .

Aber es wehen noch, es fliegen
die wahrhaft gläubigen Träumer
Durch Träume auf schlagenden Fittichen,
Über den unzähligen Morgen,
Stürzen sich in die Meere,
Brust und Haar voll Auferstehungswind.

Ihre Füße lächeln
Über die Steine nieder
Doch in den harten
Gebeizten Händen
Hält sie, die Dienende,
Den gedeckten Korb.

Nun drängen schon
Hunde und räudige Krüppel,
Krähende Tolle
Sich an das Jenseits ihres Knies.
Bettler mit Näpfen
Heben sich auf
Gestreifte Kranke,
Lampe in Händen,
Hustende Kinder,
Betrunkene Greise,
Huren, Gelichter, sterbende Sünder,
Wanken geschlossenen Auges ihr nach.

Schon heult die Stadt auf
Und ächzt in ihren Morgen ein.
Durch den Nebel der Kaserne
Bricht die entsetzliche Trompete.
In den Asylen krächzt
Der Greis, gewälzt von der Bettstatt.
Flößerruf!
Die schweren unseligen Pferde
Neigen in Höfen ihr Haupt.

Sie geht noch,
Eh sie verfliegt,
Eh ihr Aufwärtslächeln
Sich einmischt in die Antwort des Himmels,
Sie geht noch die Magd,
Sie weht noch die hohe Deutsche . . .
O Dämmerung ihres Haars,
O Schritt, o Blick,
Wie sie geht, die Schwester der fünften Stunde!


Menschenblick

In der trägen Abendheimkehr der Gasse,
Die uns durch die Schläuche der Städte preßt,
Treiben wir ichlos in strudelnder Masse,
Leib mit Leibern, undurchscheinlich und fest.

Doch da weckt aus dem Schlaf des Massengeschickes
Jäh uns ein Antlitz, berückenden Sinnes schwer,
Und aus dem Wolkenriß eines träumenden Blickes
Starrt eine Ewigkeit, größer als Sonne und Meer.


Hymnus

Wo kommt meine Liebe her?
Wo denn wogt das unsichtbare Meer,
Draus sich alle Tränenquellen sammeln?
Wolken wandern. Erste Tropfen stammeln,
Hochgeheime Regen niederfahren,
Und das innre Fließen schwindet nie . . .
Kreislauf, heiliger, der Sympathie,
Sei gesegnet, der du Leben schänkst,
Die Vertrockneten mit Tränen tränkst,
Und den Durst uns stillst, den einzig unstillbaren !


Nächtliche Heimkehr

Wie das Wasser an der Kesselwand
Steigt in mir die Einsamkeit zum Rand.

Das verzerrt durch irre Fremde strich,
Gießt sich nun in mich zurück, mein Ich.

Eingeschlafen noch und krampfgestaut
Wie ein Arm, löst sich mein Mensch und taut.

Und aus unerreichlichem Verbleib
Tritt Gott selbst mir jetzt in Blut und Leib.


zurück zu allen Gedichten