Gedichte 1913

Gedichte

1913

Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.


Inhalt

Menelaus

Mittag

Spuk

Drama

Das Begräbnis

Eine Nacht

Jubiläum des Jahres 1913

Momente des Frühlingsabends

Frühlingsfahrt

Sommerhoffnung

Der Bilderbogen »Fronleichnam«

Gesichte im Sommer

An-Klage

Tragödie eines Literaten

Heißer Tag

Salomo der Königin von Saba

Abendlicher Fleischmarkt

Gastwirtsfest

Spruch der Versprengten

Kleines Geschick

Eines Kains stolze Epistel

Der Abend des Sonntags 3. August 1913

Es blüht in uns ein Singen, das erlöst!

Sonnabend in Neuland

Traum-Orgie des Bankbeamten A. K.

Spuk

Prolog zu einem Zyklus » Ohrfeigen «

Besuch des Oberlehrers

Diaboli utriusque iuris

Der Erbe

Sonntag in Leni

Spaziergang im Herbstabend

Ich bin dir immer Gast

Sonett eines himmlischen Spiels

Gott, warfst du über uns dein Netz ?

Terzinen von vergeblicher Gaukelei

Skandal

Ich bin in einer fremden Stadt. . .

Cafe Eispalast

Myrrha und Martin vor dem Käfig der sich begattenden Löwen

Treptow

Sehnsucht im Cafe »Luitpold«

Der Mann am Vortragspult denkt:

Berlin im Dauerregen

Bett-Angst

Der verkommene Künstler im » Cafe«

Das Kondom

Harmloser Mieter

Fahrt in den Grunewald

Der Hund, dessen Herr verreiste

Neunuhrfünfzig, abends

Der Chauffeur

Theater-Bar

Ein Mann im Publikum schimpft

Wurstessen

Passionsweg der Sehnsucht

Erlösung am Vortragsabend

Trilogie der »Malepartus-Bar«

An »die Fürstin, zweite Sorte«

Abreise von Berlin und Heimkehr zur einzigstgeliebten Herz-Leni

Das Mädchen, die im (S. Fischer-) Verlag am Telefon sitzt, denkt:

Die Bauernmagd

Die Frau Bürgermeister

Abgesang an Neiße

»Münchner Keller«, Neiße

zurück zu Max Herrmann-Neiße - Gedichte 1900 - 1923

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Februar 1913

Menelaus

Wie alles jetzt nach seiner Seele schlägt:
der Sonnenschein hetzt ihn wie breiter Hohn,
ihn schmerzt das Lied aus einem Grammophon
und irgendwer, der ein Monocle trägt.

Sein Hund, der ihn umbellt, höhnt seinen Gram,
von jedes Mädchen Lippen liest er Spott,
ihn ängstet eines Höflichen »Grüß Gott!«
Er zittert wie entblößt und friert vor Scham.

Er fühlt die ganze Welt als seinen Feind,
ihn schmerzen alle Nerven wund in wund,
er möchte sterben - schlägt nach seinem Hund,
stürzt reuvoll heim und klagt sich an und weint. . .


19. 02. 1913

Mittag

Ein Leichenwagen wird zurechtgemacht.
Zwei Rangen ärgern einen blöden Greis.
Vor allen Toren räkeln Schwangre sacht
und mittagsfaul den breitgeseßnen Steiß.

Arbeiter warten auf den Glockenschlag
und lümmeln schwer in Wiederkäuerruh,
die Hände tiefversenkt im Hosensack
sehn sie gespannt zwei geilen Hunden zu.

Aus einer Schenke klappert das Geschirr,
man hört, wie glucksend Flüssigkeit verrinnt.
Ein unsichtbares Wesen winselt irr,
und sachgemäß zerstört ein Weib ihr Kind.


21. 02. 1913

Spuk

Entfremdet friert ihn bei den leichten Worten,
die durch den Rauch der teuersten Importen
vergilbte Herrn gepflegt und sicher sprechen,
ihr laues Lächeln lastet wie Verbrechen
auf seinen Nerven, und die sparsam festen,
gleichmütig überlegnen Weltmannsgesten
erbittern ihn - er möchte Schnödes schrein!
Und stöhnt nur leis und nippt von seinem Wein,
und plötzlich fühlt er nichts als diesen Vers:

O daß mir alle Rosen jung verdorrten . . .


25. 02. 1913

Drama

Befriedigt streichelt er sein Manuskript
und er diktiert mit schwer verbrämtem Pathos
und der erhabnen Geste eines Catos
dem kleinen Mädchen, das ergeben tippt.

Die schielt mit Stolz und Scham in ihren Schoß
und birgt im Blick die Angst vor Schmerz und Schande -
der Dichter greift zu einem neuen Bande
und deklamiert und fühlt sich martyrgroß.


19. 03. 1913

Das Begräbnis

Ein gelinder Leichenzug wird sanft und tapsig
durch verschlungne Straßen weggeschaukelt,
vorneweg ein dicker Bengel gaukelt
mit dem Kreuze - liederlich und lapsig.

Ein Kaplan mit roten Bauernbacken
quillt im Würdegang und lächelt vage:
Zwei Begräbnisse an einem Tage!
Und er senkt gerührt den feisten Nacken.

Der verschrumpfte Kantor flötet zittrig,
monoton miaun die Singemädel.
Der Kaplan schielt auf die nackten Schädel
und um seinen Mund huscht Hochmut knittrig.


20. 03. 1913

Eine Nacht

Nachtwächter kleben an verschloßnen Kneipen,
aus denen Stimmgewirr und Leuchten lockt.
Ein mürber Mann hockt hoffnungslos, verstockt,
an einem Springbrunn. Sterne falln in Essen.
Ein Schwankender pocht peinlich, selbstvergessen
an eine Tür und ruft gereizt: »Marie!«
Ein Schlüssel schlägt auf einen fahlen Kopf.
Ein Eisenbahner muß zum Dienst, verdrossen
trägt er den Kaffee und den Kaffeetopf.
Auf Käufer pirscht ein Weib mit nacktem Kropf.
Aus einem Mutterleib wird ein Genie
und irgendwo hat sich ein Held erschossen . . .


20. 03. 1913

Jubiläum des Jahres 1913

Parademärsche protzen schroff und klirrend
an Fensterscheiben. Lichter stehn bereit
um Kaiserbilder. Weihrauch wogt verwirrend.
Mit Orden ist ein Gehrock-Feld beschneit.
Die Jugendwehren fluten über Schollen.
Denkmäler jubeln. Kirchen kriegen Luft.
Studenten trampeln protzig und geschwollen.
Bierreden werden in den Wind gepufft.
Die Bürger rudern mit gesalbten Flossen.
In Schulen werden Kinder zugespitzt.
Aus Hirtenflöten wird ganz scharf geschossen.
Jungfraun zerplatzen. Herz und Hose schwitzt.


28. 04. 1913

Momente des Frühlingsabends

Vor schlimrnen Schenken schaukeln sich Laternen
im Frühlingswind, der warm und duftend weht.
Ein Hut will sich von seinem Herrn entfernen,
der liebevoll bei einer Dame steht.

Ich schwebe vom Theater, hold ergriffen,
nach Haus im Menschenschwarm, der Fades schwatzt,
von irgendeinem wird ein Marsch gepfiffen,
und plötzlich ist es, daß ein Reifen platzt.

Ich schau empor zu der Geliebten Scheiben:
es ist schon dunkel — innigst »Gute Nacht!«
Ich werde jetzt recht lobend Kritik schreiben:
das ganze Stück hab ich an dich gedacht!

Du saßest unsichtbar an meiner Seite,
ich teilte meine ganze Lust mit dir,
und wie ich jetzt beschwingt nach Hause schreite,
sind deine Augen Sterne über mir.

Ob ich in deinem Traum jetzt irgend lachte . . .
Ob du, noch wach, jetzt meinen Namen hauchst. . .
O daß ich doch an deinem Bette wachte
und du vor keinem Arg dich ängsten brauchst.

An meinem Schreibtisch duck ich duftumschmeichelt:
die Blüten, die du brachtest, laben mich
wie deine Küsse, und es ist, als streichelt
dein Händchen meine Stirn. Jetzt schreibe ich!

Von Zeit zu Zeit blick ich zu deinem Bilde
empor, indes der Regen draußen tropft. . .
Ein später Liebling lallt bedrängt »Mathilde«,
bis ihm ein Schlüssel auf die Mütze klopft.


07. 05. 1913

Frühlingsfahrt

Vergnüglich pfeifend tanzt die Bahn
durch ein Gewog von Löwenzahn,
aus jedem Fenster glänzt beglückt
ein Kopf, den Kranz und Krone schmückt.

Am Schornstein kosen Tauben toll,
Vergißmeinnicht ziert einen Zoll.
Bahnwärterhäuschen reifen rot,
nach Flieder duftet Bier und Brot.

Aus Fahnenmasten grünt der Trieb,
besonnte Uhren lächeln lieb,
Signale singen sanft Tenor,
behaglich gähnt das Tunneltor.


15. 05. 1913

Sommerhoffnung

Wir wollen diese Wochen faul verschlendern
und träge sein. — Was könnten wir versäumen?
Wir wollen üppig leben gleich Verschwendern
und köstlich träumen!

Wir haben Zeit, das Schicksal abzuwarten
und langsam und gelinde zu verrauschen,
jetzt blühen alle Bäume uns im Garten,
die Lauben lauschen.

Komm, Kampf und Schmerz und Lockung sei versiegelt
und alles Böse, was wir draußen ließen,
des Parkes Tor von innen fest verriegelt,
und still genießen!


25. 05. 1913

Der Bilderbogen »Fronleichnam«

Auf schiefen Schultern schwanken Kirchenfahnen
wie Mast und Segel in zerwühltem Meer,
ein dicker Stadtrat treibt als Wrack umher,
Gesichter schwimmen, aufgedunsen, leer,
und Lehrer irrn bedrückt in Zickzackbahnen.

Zerbeulte Kinder machen immer Knixe.
Die Schützenbrüder paradieren steif.
Geballte Weiber wackeln überreif.
Chor jungen stieren blöd auf einen Schweif,
und Schweiß und Weihrauch schwelt um Kruzifixe.

Mißmutig trotten dösend die Soldaten.
Kirchväter krauchen würdevoll vertiert.
Vereinsproleten glänzen frisch rasiert.
Die Bauern liegen platt, wie hingeschmiert,
in allem Prunk von Seiden und Brokaten.

Trompeten zerren stier an falschen Tönen.
Aus Silberpsalmen ringelt süßer Rauch.
Und manchmal klingelt ein beleibter Gauch,
dann fallen alle Bürger auf den Bauch
und hold errötend neigen sich die Schönen.

Befrackte Typen schleppen einen Himmel.
Mit der Monstranz steigt prächtig ein Athlet.
Spitz flöten Jungfernbündler ihr Gebet.
Aus Bronze, mager, ein Kaplan-Asket
wird steile Flamme in dem Schaugewimmel.

Dann ebbt es ab und bietet nichts mehr Neues:
in ihre Klöster schlürft die Nonnenschar,
Betschwestern plündern zankend den Altar,
ein Saufaus fegt das Gras vom Trottoir
und Knaben werden reif vom Duft des Heues.


27. 07. 1913

Gesichte im Sommer

Im schwersten Sonnenscheine döst ein Dicker
und laust verlegen ächzend das Lokale,
des feisten Fleisches schlammiges Gesicker
rinnt durch den Sand in spärlichem Kanale.

Ein schreiendes Plakat verbellt die Gegend,
ein frisches Fräulein fuchtelt durch die Felder,
ein Bettler blinzelt, rüd der Ruhe pflegend,
ein kurzes Kind probiert den Feuermelder.

Ein Schuster kniet sich schnalzend in Gamaschen,
ein Denkmal schwitzt und möchte gern sich jucken,
Bierwagen musizieren matt mit Flaschen,
versengte Pferde fangen an zu spucken.

Zermürbte Klempner kleben an den Türmen,
aus Apotheken werden zahme Zellen,
Schmeerköpfe wollen stier den Himmel stürmen,
Barweiber kriseln, Tanten schlagen Wellen.


Juli 1913

An-Klage

Die Verse der andern sind Großstadt-Reklamen
und fallen knatternd in jedes Hirn -
Aber wer nennt meinen nüchternen Namen
und küßt mir Ruhm auf die einsame Stirn!

Die andern sind Völkern rächende Rufer,
gepanzert in Silber, mit schimmerndem Speer -
Ich bin ein Verbannter an ferne Ufer
ohne Heimat und ohne Heer!

Die andern sind Geißeln, Gefecht und Fanfaren,
Henker, Jahrmarkt, Notzucht und Sturm,
Pauken, Musik von Janitscharen,
Feuersbrunst, Pest, Trompete vom Turm!

Ich bin ein Sänger des Sanften und Süßen,
meine Gesten gehn still und streng,
Blüten blinken an ihren Füßen,
auf einer Insel entlegen und eng.

Nirgends ein Tor zu den weiten Wegen
und nach Olympias Heiligtum -
Aber wer sendet Sonne und Segen
und auf die einsame Stirn mir den Ruhm?


10. 07. 1913

Tragödie eines Literaten

Er las ein Buch: darin war eine Welt
mit Gipfeln, Leiden, Lügen, Katastrophen
von einem Dichter, Seher, Philosophen
wie eine ganze Schöpfung hingestellt.

Da ward er klein. Und fluchte seinen Strophen -
Dies war ein Dom, und seine Kunst ein Zelt,
das wie ein welkes Blatt im Sturmschlag fällt,
der war ein Held - und er saß feig am Ofen.

Der war ein Gott und hatte Götterkraft
und dessen Seele singt in allen Dingen.
Und siehe, es ist gut, was jener schafft.

Doch er ward seiner Lieder sich bewußt,
daß sie geschminkt auf fremden Krücken gingen -
Und schoß sich stumm die Kugel in die Brust.


14. 07. 1913

Heißer Tag

In rote Dächer tunkt die Sonne Pinsel.
Die Kupfertürme schmelzen plötzlich platt.
Ein tollwutnaher Hund verteilt Gewinsel.
Auf Höfen hocken Huren hilflos matt.

Die bunten Blusen schwitzen hin wie Tümpel,
in denen Brüste modern faul verschlammt.
An Stricken hängen schlapp die Wäschewimpel.
Den Schutzmann hat ein Hitzschlag festgerammt.

In fette Suppen sickern Wurstmamsellen.
Phlegmatisch plätschert ein beleibter Christ.
Es flüchten in die Kühle der Kapellen
die Konkubine und der Atheist.

Verdorrte Tanten prasseln und verbrennen
wie angesengtes Pergament zu Rauch.
Die Speisen fangen spaßhaft an zu rennen.
Und Biere bollern in den Bürgerbauch.


21. oder 22. 07. 1913

Salomo der Königin von Saba

Ich bette mich in dir: so werd ich reif.
Mein Phallus steigt als Stachel steil und steif.

Er sucht sein Nest: Du mußt ihn lind geleiten
und weich und warm ein Lager ihm bereiten.

Daß deine Hände auch mich lieben lernten
und meinen Schoß mit ihrer Huld besternten!

Denn meine Hände lieben deine Scham,
und meine Lippen sind ihr Bräutigam.

Mein Phallus lechzt nach deiner Brüste weichem,
zerwühltem Pfühl und deinem Mund, dem bleichen.

Küß' Balsam mir aus meinen Männlichkeiten
und laß den Zweig an deine Zunge gleiten!

Dein Simsons Same, dein des Hengstes Schweif!
Ich bette mich in dir: so werd ich reif.


22. 07. 1913

Abendlicher Fleischmarkt

Juchtne Jungfern jappen um den Platz,
wo ein Polizist gepolstert protzt.
Luis langen einer an den Latz.
Und ein Trauer-Trampel tränt und trotzt

Bei Chauffeuren feixt ein frischer Fratz
über einen Gent, der glühend glotzt.
Schäbige Schicksen schachern: »Schönster Schatz!. . .«
Grammelgreise stehn wie ausgekotzt.

Refrendare sind aus Ärger frech
und verzoten die und die als krank.
Pärchen plauschen abgefertigt Blech.

Kellnerinnen kitzeln kümmerlich
mit verschweintem Patschuligestank.
Und ein Strunk geht sachlich auf den Strich.


23. 07. 1913

Gastwirtsfest

Hängebäuche hopsen. Glatzen glühn.
Trubel-Töchter tunten aufgetakelt.
Mütter munkeln. Griebsche grinsen grün.
Jöhrenzeug belästigt und spektakelt.

Väter kippen hingegeben Korn.
Platte Pinsel plätschern und poussieren.
Tanten übertünchen Neid und Zorn
und betüttern sich an Gratisbieren.

Rote Hände fressen Weiberhaut
und gestielte Augen lecken Brüste.
Gehrock-Monster fließen aufgetaut
über eines Seidenmieders Küste.


26. 07. 1913

Spruch der Versprengten

Dies schwüle Durch-die-Nächte-Schwärmen,
vor Huren hungern und sich härmen,
Verdruß erdrosseln, welk, in Wein,
Versponnen- und Versunkensein,
nach Hause humpeln, schief, voll Scham,
im tiefsten Herzen Graus und Gram,
um Eltern leis die Türe sperrn,
am Tag im Hochmut eines Herrn:
so zwiefach Tun macht uns zu Narren,
die Freudenfracht und Kummer karren
ganz gleich als wie ein schwer Gewicht,
und Leid wie Liebe löst uns nicht!


Ende 07. 1913

Kleines Geschick

Plötzlich siehst du dich durch die Straßen straucheln
und an solche Gebärden verliert sich dein Leben:

Behaglich — und weißt nicht warum — eine Zigarette
                rauchen,
einem fremden Herren Feuer geben,
ein kleines Huhn wie etwas Bizarres betrachten,
wie verwirrt nach seiner Krawatte greifen,
furchtsam zu werden vor einem fernen Umnachten,
laut vor sich hinsprechen, den neusten Schlager pfeifen,
über Kinder blicken, die wichtig Schule spielen,
Gärtner reden hören, Rückenmärker hinken,
sich nach einem Großstadtsaale sehnen, mit vielen
gesunden Menschen, die herrlich kauen und trinken,
einen Bürger, der einen Hund ärgert, hassen,
vor Radfahrern zittern, Autoführer beneiden,
sich für Augenblicke auf eine Promenadenbank lassen,
an der Angst vor Gewittern herzlich leiden,
vor eines Frechen Blick wie ein Knabe erröten,
von einer Drehorgel drohend getroffen werden,
komische Kurven fühlen in eines Verspotteten Nöten -

und dein Leben und Tod ist in solchen Gebärden!


Ende 07. / Anfang 08. 1913

Eines Kains stolze Epistel

Unstet und flüchtig muß ich immer bleiben
und wie ein Trümmerteil bei Toten treiben.

So treib ich oder werde stets getrieben
und bin ein Wrack im Hassen und im Lieben.

Doch dies ist auch: daß mich kein Wort je band
und mich nicht hielt Gehöft und Heimatland.

Ich lasse mich durch alle Dinge fließen,
um alle Wunder flüchtig zu genießen.

Ein Taugenichts, ein Trottel, ein Schlemihl -
und doch vermag und weiß und will ich viel!

Denn aller Werte Nichtigkeit und Schwäche
wird klar vor mir und schmilzt in blasse Bäche,

die meine Sonne saugt. Und heilsam hart
bezwing ich Wirklichkeit und Gegenwart.


1913

Der Abend des Sonntages 3. August 1913

Der große Einmarsch wudelt: Väter schieben
schwipsselig schwankend Kinderwagen. Sanft
glühn Weiber heimwärts. Breit und übertrieben
kommt der und jener Lehrling angedampft.

Mit Lampions sind Jöhren nachgeblieben,
ein Krummbein krakelt eigensinnsverkrampft -
Töchterfilous verspäten sich beim Lieben,
und Väter gleiten in Destillen sanft.

Und welche wackeln festlich von Vereinen,
und welche schleppen bibbernd an Buketten,
und Hunde winseln bei verwirrten Leinen.

Die Jugendwehr trapst mit Klamauk zurück,
Hemdsärmel hängen an den Fensterbretten. -
Ein dunkles Zimmer birgt ein Menschenglück.


15. 08. 1913

Es blüht in uns ein Singen, das erlöst!
(Für Paul Zech)

Ihr Bäume, die ihr in Städten kahl
an Schneewüsten von Asphalt wie Krüppel kauert,
von Bogenlampen lüstern belauert,
daß ihr kalt und in Kargheit erschauert,
ihr trostlosen Heere, furchtsam und fahl,
wie auf einer Flucht ohne Waffen und Wehr,
eintöniger Bettler schlotternde Wiederkehr,
Zerlumpte, frierend und freudeleer,
von trüben Häusern umtrauert---

Gefangne, die blind in der Fremde verbluten,
Kranke, deren ganzes Dasein verspielt
in Spitälern welkt; die niemals ruhten,
weil immer schon Lügen-Lichter sich sputen,
noch das Nichts der Nacht zu befluten,
und Cafemusik nach ihren Zimmern zielt:
aus Königen wurdet ihr Karikaturen,
aus hellen Heiligen hungernde Huren,
ein Schattenvolk, das nach Schimmerndem schielt.

Ihr Bäume in Städten: auch euch winkt der Mond,
auch über euch steigen strahlend die Sterne,
aber ihr bleibt wie die Frucht der Zisterne
ewig ummauert dem Freien ferne,
wehe entwurzelt und traurig entthront:
Wolken wandern. Ihr dürft sie nicht schauen!
Ihr wißt nichts von dem Himmels-Blauen,
das euch Drähte und Schlote verbauen
und das Schwanken der nächsten Laterne!

Und ihr blühenden Beete im Walde von Stein,
ihr Gärten, in Höfe und Hütten gebannt,
ihr Linden, verloren dem Heimatland,
Wunder, verwelkend an grauer Wand,
Winde und Rosen und würgender Wein,
was warf euch aus eurem Geschick,
was band um eure Nacken den Strick,
und schlug euch den wehen Opferblick
ins Antlitz und Striemen der Hand?

Warum darf ich an euch vorüber wehn,
hinaus in die Felder, die euch suchten,
in die Fluren, die eurem Abtrünnigsein fluchten,
und bin doch auch ein Kind der verruchten,
gellenden Göttin - und darf doch gehen
zu euren Brüdern, die hoch sich heben
in helle Himmel wie schlanke Epheben
und baun sich ein thronendes Waldestheben
an wallenden Wiesen und bergenden Buchten?

Und bin ich euch nicht Bruder und Freund,
und ihr müßt mich doch fühlen, wie ich euch fühle
wie ich euch liebe, ihr Kelche der Kühle,
mir hat der Städte selbe Schwüle,
die euch beschwert, die Wangen gebräunt,
ich bin entwurzelt wie ihr und verschlagen,
ich muß wie ihr die Ketten tragen,
weil wir im selben Schöße einst lagen
und waren gebettet im gleichen Pfühl!

Auch ich bin ein Strauch, und der Himmel streute
im Zorn auch mich auf den Fels - denn hell
duftete ich vordem und erfreute,
aber da ward ich wie ihr die Beute
dieses zermürbenden hier und heute
zwischen Bergen aus Mörtel und Hundegebell
und rasenden Reitern und Rauch und Ratten
und Feuerkreisen und schlürfenden Schatten
und Kiel und Kirche und Karussell!

Und daß wir wie hinter Hecken gehetzt
uns nie mehr aufrichten und ringen,
verdammt zu dämmernden Dingen
und blüht in uns doch ein Singen
und hebt uns in Himmel zuletzt
und spielt mit der Sonne und pflückt
ihre strahlendsten Sterne und schmückt
unsre Stirn, die noch Bitternis bückt
und entführt uns auf englischen Schwingen . . .


August 1913

Sonnabend in Neuland

Ein Kolporteur umkreist ein Haus.
Er pfeift: Fabriken haben aus.
Mit blauen Kitteln und blauen Kannen
rasen Rauchschwarze auf Rädern von dannen.

Und plumpsen schwer und wohlgemut
in die Destillen. Oft spritzt Blut.
Die Weiber lauern in dumpfem Schrecken
verstockt und bitter an den Ecken.

Die Kinder kriechen kummervoll.
Hofhunde heulen dämmertoll.
Gelinde flackern verspielte Flocken
und eintönig sumsen die Abendglocken . . .


August 1913

Traum-Orgie des Bankbeamten A. K.

Kühl kehrt dein Leib in meinen Traum
und weich wie Pfirsich-Sammetflaum.

Du kommst wie ein Page in Höschen gehuscht,
deine Japan-Augen mit Bläue umtuscht.

Deine Beine dehnen und pressen sich prall,
gebauschte Seide zerspringt mit Geknall.

Dein Höschen atmet, liebäugelt und hüpft,
ein Feigenblättchen ist feucht ihm entschlüpft.

Aus einem offnen Matrosenkragen
ballen sich Brüste, die mich tragen . . .


August 1913

Spuk

Mäuse nagen in den Mauern,
und die Nacht verneigt sich oft,
wie ein Kellner, mit Bedauern,
schwarzen Fracks, der Geld erhofft.

Uhren murmeln ins Miauen
einer Katze. Schränke knacken.
Und in Träumen blühn der Frauen
weiß-entblößte Hinterbacken.

Hände holen aus den Hemden
bunte Blumen und Gesträuche . . .
und es frieren nackt mit fremden
Mienen alpbeschwerte Bäuche.

Krächzen, Kichern kommt aus Kissen,
Kuß-Rumoren und Skandal -
bei bewässerten Gebissen
tun Gespenster jovial.


August 1913

Prolog zu einem Zyklus »Ohrfeigen«

Was frommt mir noch Geduld, Girren, Gebete?
Ich panzre mich und werfe euch, Pamphlete,
ins Antlitz meiner Feinde - (und der »Freunde« auch),
nach einer Hure und eines Bürgers Bibelbauch.

Ich fechte schneidig, daß die Fetzen fliegen
und Würden wie erwürgte Hühner liegen,
ich krache meine Laute, die so sicher singt,
auf Schädel, daß Gehirn und Instrument zerspringt.

Dein Haß macht Hitze, Hitze schafft Genesen
von allem, was in mir noch dumpfer Druck gewesen -
und jeder Haß auch, der zurück mich wieder trifft,
sei mir gegrüßt, als ein geliebtes Gegengift!


Ende 08. 1913

Besuch des Oberlehrers

Er beißt in meine Bücher. Prüfend - kritisch.
Oft bebt die Nase eigensinnig, und
verkniffen schnörkelt sich sein dünner Mund -
und er doziert - bestimmt - antisemitisch.

Fortschrittlich, doch in christlich-strengem Sinne -
voll Uberhobenheit, doch gnädig, mild -
er zeigt ein Motto auf wie einen Schild
und krault sich kühl und würdevoll am Kinne.

Er nistet sich in einen sanften Satz
wobei er eine seiner Hände schlenkert
und leis die andre lenkt zum Hosenlatz.

Er korrigiert - nachsichtig - ganz Geduld -
und kaut an der Zigarre, dampft und stänkert
und ferkelt Asche auf mein neues Pult.


September 1913

Diaboli utriusque iuris
(Den Herren Max Lorenz und Wagner
zu gleichen Teilen zugedacht.)


Sie satteln sich Gesetze und vergessen,
daß jeder Mensch ein Ding mit Herz und Hoden:
sie hocken heil auf hartem Hosenboden,
Gemästete, die mit dem Maule messen.

Die, freventlich mit Argem Arg zu heilen,
und Unglück durch ein Unglück gut zu machen,
Lasten verleihn mit feistem Bürger-Lachen
und sich sadistisch suchen anzugeilen.

Und die Verbrecher sind, doch bös, besonnen
und grausam, tückisch, feierlich verbrämt
und ihrer Seele Rache feig entronnen,
und bettelhaft in Henker-Hut gebettet,
und wenn sich nachts für sie ihr Opfer schämt,
so schnarchen sie versoffen und verfettet.

                                      (Ecrasez les infames!)


September 1913

Der Erbe

Er fühlt des Vaters vorwurfsvolles
und stumm-verstocktes Durch-die-Stube-Kriechen,
der Mutter wie in heimlich-weher Schande Siechen
und seiner Schwester tückisch Männer-Tolles,

und seiner Bauern-Anverwandten wüstes,
verkniffnes Hassen - und dies liegt und lauert
in jedem Augenblick um ihn und mauert
ihm Kerkerhöfe für ein Längst-Gebüßtes.

Und bleibt noch fern der Heimat ihm im Sinn
und überwältigt ihn mit solchem Wissen:
Nie wird dem Vater Gang und Gut gedeihn,

nie blüht der Mutter und der Schwester Blut,
und seiner Bauern Sterben trotzt verbissen -
und dieses: so verkümmert auch sein Mut!


08. 09. 1913

Sonntag in Leni

Du hast mir auch den Sonntag noch gesegnet,
der sonst voll Schatten, Scham und Schalheit kam:
du bist mir auf dem Gang durchs Feld begegnet,
du gibst mir stille Stuben, wenn es regnet.
Und Abende ganz ohne Grimm und Gram.

Jetzt geh ich glücklich durch der Gassen Gellen,
und der Refrain: ein Mann, ein Weib, ein Kind,
der sonst mich hassen hieß, hält jetzt mit hellen,
gelobten Lichtern mich auf weißen Wellen
und weht mich wonnig in den lieben Wind.

Und Trommel selbst und Pfeifen, Pauken, Becken -
sie schlugen mich vordem - jetzt sind sie gut:
sie machen meine Lieder laut und wecken
mich schön zu einem neuen Süße-Schmecken,
wenn mir dein Sonntag herzlich Liebes tut!


Ende 09. / Anfang 10. 1913

Spaziergang im Herbstabend

Bleich vergeht die Stadt und weint.
Fenster starrn wie Feind auf Feind.
Über welke Laubengitter,
schielen Lampen hungerbitter.

Ausstellungen fangen schwer
an zu sterben. Fahnen frieren.
Nebel nippt an Obstspalieren.
Letzte Rosen lächeln leer . . .

Grauer Himmel deckt die Welt
wie ein fades Zirkuszelt.
Jäger hört man böse knallen.
Und die Blätter fallen . . . fallen . ..


05. 10. 1913

Ich bin dir immer Gast

Laß mich in deines Leibes braunem Laub
versinken ganz und untergehn,
mach mich zu einem Spiel und Raub
des Windes, welchen deine Haare wehn!

Wirf mich in Wipfel, streu mich aus
in jede Welle, jeden roten Wein
- den wundersamen um ein herbstlich Haus -
und in den letzten, blassen Sonnenschein!

Verström mich in dein Blut, das schwerer schwillt
und voller sich zu runden Früchten reiht!
Ich bin dir immer Gast, und dennoch ungestillt
und sehnsuchtstoll nach dir in alle Ewigkeit!


18. 10. 1913

Sonett eines himmlischen Spiels

Dann blühte uns aus Tragik und aus Tränen
ein Spiel, so lustig wie der junge Wind:
Wir schlugen Flammen, wurden wieder Kind
und ließen uns versprühen in Fontänen.

Und ganz voll Leichtigkeit, wie Engel sind,
auf Wolken schaukelnd in umkränzten Kähnen
und Blitze schnellt das Weiß von ihren Zähnen,
so machten wir uns schwebend und geschwind.

Und deiner Stimme leuchtende Musik
warf Wellen hoch und tanzte über Schwerter
und stürmte flackernd durch den Sternenfall.

Da wurde meine Lust ein bunter Ball,
den zaubertest du immer wunderwerter,
daß er mit dir in alle Himmel stieg . ..


24. 10. 1913

Gott, warfst du über uns dein Netz? - -

Gott, warfst du über uns dein schweres Netz?
Und mir blieb nichts, womit ich dich bestach
und einst beschenken konnte: Dein Gesetz
kam über mich, daß Herz und Hirn zerbrach. -

Soll unser Glück in Sterbeglocken münden?
Willst du mich wie an Gräbern beten lehren?
Willst du in Kleinlichkeit und Arg und Sünden
die süßen Lieder unsrer Lust verkehren?

- Wir wollten unsre Berge blauer baun
zu deinem Stuhl und Stern und Opferstein ... -
Du warst der Bräutigam der heil'gen Fraun,
und willst jetzt unsrer Liebe Henker sein?

- Ach, mir blieb nichts, womit ich dich bestach! -
Starb Mond und Sonne? Ward dein Wort Geschwätz?
Zerbrichst du uns, weil dir ein Spiel zerbrach?
Gott, - oder wirft dein Neid auf uns das Netz?


26. 10. 1913

Terzinen von vergeblicher Gaukelei

Denn wer sein Ich in tausend Masken spiegelt
und wie ein Schalk sich hinter Farben birgt,
trägt seine Seele stückweis auf den Markt:

die Welt weiß dennoch stets, was in ihm wirkt,
und hurt damit und wirft's in ihren Handel
und spottet seiner Scham, die sich umzirkt,

und webt sie sich in ihren Weg und Wandel
und treibt die Träume über ihren Trümmern
und Düfte, die in Myrrhe und in Mandel

gedeihn, und Künste, die beklagt verkümmern -
denn nie ist Zuflucht dem, der Großes gründet,
und welkt der Sonnenschein in letzten Schimmern,

so wandelt er, den Büßern tief verbündet,
ein Irrender, dem Blut und Blick verbleicht
und nie sein Reigen sich zui Ruhe ründet.

Und wenn er doch sein Sehnen noch erreicht,
so kommt nur Schatten über alles Schöne,
und es geschieht, daß Gott Gespenstern gleicht,

und Lichter, die ihm Labsal waren, höhnen
und schlagen Schlingen um die schlanken Füße
und machen traurig alle hellen Töne,

und daß er wie in Heimlichkeiten schleicht. . .


04. 11. 1913

Skandal

Das Mädchen, das - zur Schule noch gezwungen -
sich dennoch schon an jedem Unflat reift
und freut, wenn von den Alten oder Jungen
ihr einer lüstern an die Schenkel greift.

Der trunkne Vater, immer nachts vertrottelt
nach seiner Tochter tastend: »Minna-Schwein . . .«,
der blöden, der das Haar sehr schmutzig zottelt
um niedre Stirn und Augen grell, gemein.

Dann jener Dichter, der in seinem Buch
die stiere Stadt und ihre Menschen malte,
so daß sich jeder wiederfand fatal.

Und eines Pfarrers Abfall, und der Fluch
von Eltern auf ein Kind, und der Bezahlte,
der Richter bleibt: Fett wogt das Wort »Skandal«.


Mitte 11. 1913

Ich bin in einer fremden Stadt. . .

Ich bin in einer fremden Stadt, in einem fremden Haus,
und staune heimatlos in fremde Sterne hinaus:
eine fremde Brücke, ein Balkon blickt fremd
auf mein fröstelndes, wintergraues Hemd.

Fremde Bahnen rollen - von denen ich nichts weiß,
wohin sie gehn, woher. - Es holpert heiß
ein roter Regen von fremdem Großstadtlicht
über mein sehnsüchtig erstauntes Angesicht. . .

Durch dünne Wände wimmert ein fremdes Kind.
Uhren gurgeln fremd. Bilder sind
bange Gefährten, die sehr heimtückisch schaun.
Aus dunklen Schränken treten die fremden Fraun.


19. 11. 1913

Cafe Eispalast

Ein Rauchender rollt Ringe. Eine Frau
fällt fahl vom Tisch. Ein Menschenblock wird blau.
Verstohlen stacheln Reife mit dem Steiß.
Und wie ein Öldruck prangt ein Biedergreis.

Schröpfköpfen gleich glühn Lichterkugeln rot.
Ein Mädchenantlitz glänzt wie Butterbrot.
Ein schwarzer Geiger schwächt sich durch ein Lied.
Duft gleitet glibbrig über Glied zu Glied.

Auf Zungen werden Zoten hingestreut.
Aus wundersamen Kleidern klingt Geläut.
Schmal schmilzt ein Schmerzensjüngling im Gesang.
An einer Frau wird bald ein Fremdling krank.


20. 11. 1913

Myrrha und Martin vor dem Käfig
der sich begattenden Löwen

(für Rudolf Leonhard)

Myrrha
: Komm fort!. . . Du . . . Martin, komm!
Martin: O bleib!. . . O sieh!. .. Das Gitter singt!
            Flamme wird steil! Aus Augen steigen Sonnen!
            Und Wollust wächst zum Engel, der mich zwingt,
            und macht mich so in allen Tiefen fromm . . .

Myrrha: Ich flieh!---
Martin: Und bist dann doch nicht deinem Blut entronnen!
Myrrha:--Wie sehr verwüstet nur die Löwin liegt
            Und ganz in Notzucht wund und dumpf in Haß!
            Zerfleischen! Schwäre! Höllen! Sodom siegt!
            O kranker Krampf! O ekles Narben-Naß!

Martin: O sieh:
            Des Rückens Bogen! Wie der Rhythmus rauscht!
            Die edle Starre der verglühten Glieder!
            Im Takt wehn Wogen. Wuchten. Blutgebauscht.
            O Melodie des heißen Auf und Nieder.
            Blick saugt in Blick! Bann. Aufruhr. Fieber.
                 Drang.
            Giersteif gespannt im straffen Folter-Strang!
            Sturm! Wie er Herr wird! Lanzen-Rasen! Fühlst
                 du nicht
            Wie Feuerspringbrunn sich aus ihrem Fauchen
                 bricht
            Und in ein Sternen-Meer hin über Tod und Leben
                reißt! -
            Was zitterst du?- - -

Myrrha: - Süß trifft mich Prankenhieb um
                Prankenhieb! . . .
            Purpurne Blindheit! O, wenn deine Brunst mich
                beißt!---

Martin: O - - Myrrha - - Du!
Myrrha: O Martin . . . Tanz im Tau!---
            Ich hab dich lieb . . . .


23. 11. 1913

Treptow

Bettfertge harren an der Haltestelle.
Zugaben schmettert die Konzertkapelle.
Die Tante tut Diskretes hinterm Strauche,
das Bier macht sich's bequem in Onkels Bauche.

An der Gardrobe fürchterlich zerbrechen
Modistinnen an einem Seitenstechen.
Streit anzufangen, kann die Zeit vertreiben.
Ein Mann versucht durchaus sich zu beweiben.

Neugierge Autos durch den Nebel äugen.
Die formenreichen Sünderinnen säugen
vergreiste Babys an den weiten Blusen.
Ein Omnibus jongliert mit Gummibusen.


25. 11. 1913

Sehnsucht im Cafe »Luitpold«

Ein stachliger Student stört eine Stute,
die, nackt, bepudert, nach dem Geiger giert.
Ein stummer Stoffel, Stuben-Stockfisch, stiert.
Ein Mädchen, mickrig, muffig, animiert. . .
O Leni, Blühen du in meinem Blute,
wie stets mein Leben sich in dir verliert!

Zwei Nebbich-Fritzen nörgeln wie Hyänen
mit Kellnern, die sehr nett und nobel sind.
Ein Betthas bringt ein Blumen-Angebind,
und leuchtet alle Männeraugen blind - -
Doch jeder Strahl aus deines Haares Strähnen . . .
wie bin ich stets dein sehr verwöhntes Kind!

Wie scheint mir alles schal, das dich nicht faßte
und deines Duftes reinen Abglanz hielt!
Wie ist mir jede Stunde ganz verspielt,
die fern von dir zu fremden Zonen zielt!
- Und, eh ich euch noch recht von Herzen haßte,
geschah es schon, daß ihr ins Dunkel fielt -
Vor jedem Strahl aus deines Haares Strähnen!


29. 11. 1913

Der Mann am Vortragspult denkt:

Köpfe kugeln kahl und spitz wie Kerzen,
und die runden, rot wie Kinderluftballons,
um die Brüstung meines Sprechbalkons,
und viel Hände zielen schroff nach meinem Herzen.

Eine lüpft die Lippen - oh! die schwülen!
Eine zeigt kokett ein Stückchen Seidenbein . . .
Eine träumt wie sanfter Sonnenschein . . .
Schauten schaukeln stutzig auf den Stühlen.

Einer tut, als ob er lächeln müßte,
und ein Jude juckt sich überlegen.
Eine bringt mir üiren Mund entgegen,
und ich beiße mein Gedicht in ihre Brüste.


30. 11. 1913

Berlin im Dauerregen

Weiber zerweichen. Straßen strömen hin.
Villen faulen und Cafes zerfetzen.
Entfärbt fällt eine Zirkus-Negerin.
Tanzsäle fangen an, sich zu entsetzen.

In Schrebergärten rettet sich ein stiller Fisch.
Schornsteine schmelzen weich wie Zuckerstangen.
Aus offnen Stuben segelt Stuhl und Tisch.
Zu Meeren mürbt die Schminke von den Wangen.

Auf allen Pfützen rieseln Unterröcke,
Lackschuhe werden Tinte, Hosen Spreu.
Wie Archen schwimmen wacklig Straßenbahnen.

Die Mietskasernen stehn wie Wasserböcke.
Zu roten Bächen taut ein Messingboy.
Wie Frösche plumpsen Menschen aus Altanen.


30. 11. 1913

Bett-Angst

Fenster sind auf mich gezückt,
wo die fremden Lichter laufen
hin und her wie Spinnen und gebückt
irre Greise wie an Schnüren schnaufen.

Eine Nackte, mit dem Rosenkranz geschmückt,
lallt: »Wer will mein letztes Jungfraunlächeln kaufen? . . .«
Wankt und tanzt ganz plötzlich ein verzückt
hingegebnes Bangsein und beginnt ihr helles Haar
zu raufen.

Aus den Kronleuchtern kriecht Rabenkrächzen.
Eine Kerze glimmt gestielte Blicke.
Aus dem Rahmen würgt ein Akt sein Ächzen.

Leer beginnt mein Anzug mich zu höhnen,
über Dächer schreiten Weltgeschicke.
Nah und näher kommt ein tiefes Stöhnen . . .


01. & 02. 12. 1913

Der verkommene Künstler im »Cafe«

Verächtlich falten sich die Masken-Mienen
der Kellner, die den schlimmen Mann bedienen,
und alle Dirnen fransen ihre Fressen
nach deiner Hosen abgelumpten Essen.
Es lächeln läppisch alle doofen Damen,
wenn er erschrickt vor blitzenden Reklamen,
die Geiger gaffen wie nach einer Nummer
nach seiner Liebes-Sehnsucht Nervenkummer.
Und alle Lampen fallen in sein linkisch
verlottertes Gebaren. Und ein Trinktisch
verbotner Tabiker grölt zwischen Zoten
ein Pfui auf seine abgenagten Pfoten.
Backfische denken sich ein wüstgeheimes,
verhurtes Laster, Schluchten kranken Schleimes,
in denen seine Hasser-Gründe hausen,
und geilen sich mit wohlgefälligem Grausen,
ein breiter Bürger hält ihn für betrunken. -

Er aber hockt, ganz in sein Herz versunken,
der einen nach, die er verloren liebt,
die seiner Sehnsucht Silberflügel gibt;
Unsicherheit befällt ihn vor den vielen,
sehr lauten Lichtern, die in Spiegeln spielen,
dem Zigarettenrauch, dem Sturm der Stimmen,
den Händen, die auf Zeitungswellen schwimmen,
den Augen allen, Brüsten, Hälsen, Haaren,
vor fremder Kleider funkelnden Gefahren,
was ihn in dunkle Schicksalsdramen spinnt,
daß er geduckt liegt über dem Absinth,
und abgewandt in bunte Verse flieht,
und wie mit Götterblicken Fernen sieht,
und alles Kommens Herrlichkeit erblickt -

indes sein Leib mit schreckhaft ungeschickt
verwirrenden Gebärden eines Traumes
zum Spott wird allen Gästen dieses Raumes -

und plötzlich fällt er immer mehr in sich . . .

bis ihn ein Windstoß auf die Straße strich.


Anfang 12. 1913

Das Kondom

Erlösung von verwünschter Schwangerschaft!
Wie schmiegst du zärtlich dich an meine Eichel
und spinnst Zerflatterndes aus meinem Speichel
und wie zu einem Spiele meine Kraft!

Du bist Erretterin, wenn in Gestreichel
das letzte Auf-der-Lauer hingerafft,
in Schlaf gesungen, leichtgesinnt erschlafft
und jede Warnung schmilzt im Nachtgeschmeichel!

Du nimmst die Bitternis aus unserm Becher
und machst aus sehr verhaßtem Leben Tod,
der hold ist wie ein Rain im Abendrot -

Den eklen Nachgeschmack entzieht dem Zecher
dein Zauberkelch, und ohne Kett und Kleid
glühn wir beglückt, vom Zukunftsfluch befreit.


Anfang 12. 1913

Harmloser Mieter

Meiner Wirtin rotseidne Strumpfbänder fand ich
          nächtlich auf dem Flure,
jetzt weiß ich nicht, ist sie eine biedre Frau oder
          eine Hure . . .

Oft hör' ich plötzlich einen Herren kommen
und in meinem Schlaf Geräusche, schwül, verschwommen.

Jetzt weiß ich nicht: ist das ihr Gatte, der Eisenbahner,
          dem sie im Hemd
die Tür aufschließt, oder ist der Kerl ihr fremd .. .

Über Tag ist sie allein, aus der Küche riecht's nach
          gebratnem Fett,
geh' ich an ihrer offnen Stube vorbei, seh' ich immer
          ein ungemachtes Bett.

Früh bringt sie mir, sehr im Neglige, den Kaffee herein,
macht verwischte Augen, bleibt lange unter der Lampe
          stehen und grinst gemein.


04. 12. 1913

Fahrt in den Grunewald

Ich fahre mit fremden Fratzen ins Unbekannte
durch Straßen, straff, zwischen Häuserblöcke gespannte,
an offnen Haustoren vorüber, wo Treppen tropfen
aus flammenden Fluren, wo früh eine Lampe stets brannte
wenn der Herr trunken heimkam und barsch alle
     Türen berannte,
bis das verschlafene Mädchen sank in sein gräßliches
     Klopfen.

Vorbei an Kellerfenstern, hinter denen gebückte Frauen
Angst leiden; an Scheiben, hinter denen Verwöhnte
     verdauen,
an Rummelplätzen, wo ein Schutzmann den Taschendieb
     packte,
um dessen Stirn sich plötzlich viel Fäuste stauen,
daß er weiß, was die Menschen sind, und sich zitternd
     abkehrt voll Grauen -
an Sälen, wo Kellner kreisen, gesalbte, verspielte,
     befrackte . . .

Vorbei an Droschkengäulen, die flackernd zerfallen
auf fahlem Asphalt - durch dröhnende Bogenhallen,
durch dunkle Wipfel von Bäumen, die langsam
     hinsterben,
vorbei an Kränen, die sich in Sternkreise krallen,
an Kirchen, an Kähnen, und wo Bettler zu Klumpen
     sich ballen,
und Schrebergärten zersplittern wie klägliche Scherben.
Vorbei an Stuben von Kellnerinnen, blinddarmkranken,
die in Schmerzen hinschmelzen, an öder Badanstalten
     Planken. -
Und immer weiß ich, wie du in deinem Laden lächelst,
mit einem Gesicht, hinter dem Trauer und Ängste
     ertranken,
wie ein Schluchzen bebt hinter all deinen schlichten,
     schlanken
Gebärden, mit denen du dir die Worte eines Käufers
     aus den Augen fächelst.

Wie du dann liegst allein, röchelnd über deine Ringe
gebeugt - und mir ist mit einem Mal gräßlich, als ginge
dieser Zug in etwas Unabwendbares, das mit Ekel
     und Entsetzen endet,
jede große Eisenbahnlampe lauert auf mich wie eine
     Galgenschlinge,
geschlachtetes Pflaster saugt mich ein mit einem sehr
     sanften Gesinge -
und plötzlich muß ich auf einen Platz treten und werde von
     einer fremden Sonne wie ein Tier geblendet.


Anfang 12. 1913

Der Hund, dessen Herr verreiste

O, ich wüßt' es wohl: Er war so eigen,
so versonnen und voll Seltsamkeit,
als mein Herr in seinem Sonntagskleid
hin und her ging, fahrig, kampfbereit,
um ihn wuchs ein Dickicht ganz aus Schweigen,
und er sah auf mich mit einer trüben
Abschiedsmiene, die mich traf wie Schläge.
Aber ich blieb still und gab mich träge,
und noch einmal fiel der bittre, schräge
Vorwurfsblick auf mich - und plötzlich war er drüben.
Doch was half mein Toben dann und Zittern,
daß ich kläglich lag bei seinem Bette,
daß ich mich versteckt wie eine Klette
an sein Kissen hing und vor der Toilette
lange saß, ihn überall zu wittern?
Daß ich bettelnd hochsprang an dem Kleide
seiner Frau, die jetzt mich an der Leine
führt den Abendpfad am Wiesenraine,
wo ich froher trabte einst um seine
Mantelschöße, brüderlich wir beide.
Ist er so aus meiner Welt getrieben,
daß ihn nichts mehr zu mir führen kann?
Schmerzt auch ihn die Trennung dann und wann?
Wird er wieder diesen bösen Bann
lösen und mich als Gefährten lieben?

Ach, ich bin ihm immer treu geblieben!


06. 12. 1913

Neunuhrfünfzig, abends

Stadtbahnen stürzen über Straßenstränge.
Viel Mädchen gehn mit Hunden an der Leine,
bevor das Tor gesperrt wird. Klimperklänge,
fall'n aus Kaschemmen stöhnend auf die Steine.

Nun kriechen alle Faulenden und Kranken
aus ihren Höhlen mit erhellten Mienen.
Von den Plakaten an den schwarzen Planken
der Kohlenhöfe sickern Lustruinen.

Pennäler schwärmen aus. Bardamen dösen
in ihr Büffet. Ein Licht löscht nach dem andern.
Die Bettlerkrüppel stellen sich in bösen
Verrenkungen zur Schau. Wurstmänner wandern.


06. oder 07. 12. 1913

Der Chauffeur

Zu Haus hegt eine Frau mit heller Haut
blinzelnd im Bett und ein verweintes Gör -
aber er muß auf nächtlicher Straße bleiben, bis laut
ihn Stimmen wie Trompeten antreiben:
          »Halloh! Chauffeur!«

Dann steigt eine Dame ein in einem knisternden Kleid
mit einem heißen Herrn, und er muß langsam fahren,
          daß er an manches denkt...
oder ein Trunkner, der ihm die schönen Kissen bespeit,
oder eine Hure, die ihm herablassend ein Trinkgeld
          schenkt.

Kehrt er dann wieder zur Haltestelle zurück,
läßt er den Wagen oft viele Stunden allein,
geht mit den andern in eine Kaschemme hinein,
sauft, schreit, zotet oder kaut ein kaltes Bratenstück.

Viele Heimlichkeiten sind ihm bewußt, er kennt
Minister, Dichter, Mörder, Ehebrecherinnen,
          jedes Laster und jeden Schlich,
er weiß, für wen immer nachts jene Lampe am
          Fenster brennt,
und welcher Mann den andern liebt, und wer mit
          der Kasse entwich.

Eine vergaß Geschmeide, die doch nicht mehr wiederkam,
einen Schüchternen betrog er einmal um zehn Mark,
          einer gab ihm zu wenig und verschwand,
einem Knaben auf Rollschuhen fuhr er beide Beine lahm
und entraste - wenn er an all das denken muß, spuckt
          er verächtlich in den Sand.

. . . Kommt er dann früh nach Haus, müd und
          benzinumballt,
fällt er schwer in sein Bett und läßt alles Essen unberührt.
Sein Kind verkriecht sich, die Frau blickt auf ihn
          abweisend, kalt,
und er träumt von dem Paar, das er fuhr, und fühlt,
          wie ihm was die Kehle zuschnürt. . .


07. 12. 1913

Theater-Bar


I.

Einer »Frau« Claire, die zwei Kinder haben soll.

Deine Kavaliere mußten kotzen gehn,
und nun mußt du ganz allein mit einem stolzen Blick
          ins Leere sehn,
tun, als ob dir alles schnuppe wäre,
mußt die feinen Nasenflügel zucken lassen
und auf alle Männer schaun mit einem Hassen,
das die Zirkel einer Zarin trägt -
doch du fühlst, wie schwer das Herz dir schlägt,
und du denkst an deine beiden Kinder,
und du weißt, es lauern wo verschweinte Schinder
unbarmherzig nur auf deinen schimpflichen Bankrott -
weißt die andern Weiber schadenfroh,
und du machst dich steil und redest roh,
lächelst frech
(und lispelst lahm: »O Gott!«)


II.

Bei Japanern himmelt eine Luder-Sonja. Mit dem
          Teddybär
schwebt ein fadenscheinig Ferkelchen. Ein Schwankender
          verglüht in seinem Schwär.

Ein Pennäler protzt. Ein ganzes, großes Leben leuchtet
          mit Kokotte, Kellnern, Kavalier,
und ich, der bucklige Max Herrmann aus dem vergeßnen
          Neiße, bin wie durch ein Wunder hier.

Wer hat diesen weißen Windhund mitgebracht,
der so wie ein Stern strahlt, wie ein Gott, geruhig,
          über dieser schlimmen Nacht?

Plötzlich klemmt einer sein Glas ins Auge mit einer
          hilflos harten,
greisen Gebärde. Eine Grisette blüht plötzlich jung und
          rot wie ein Rosengarten.

Und dann tritt eine Heilsarmeehure höflich herein -
da blüht die ganze Bar, der Wirt ist ein Wipfel und
          Sonja der Sonnenschein!


10. 12. 1913

Ein Mann im Publikum schimpft

Ich wollte nur noch diese letzte intressante Zeile lesen
aus meiner Zeitung - da ist es plötzlich finster gewesen:
Da steht ein wüster Mann am Tisch und tut,
als wär er unser Herr - hab ich eine Wut!

Er sagt so Gereimtes, das ich nicht fassen kann,
aber die Gedichte in unsrer Sonntagsbeilage, die ich
          dann und wann
in Mußestunden las, hab ich doch stets verstanden! -
Er brüllt, fuchtelt, schwitzt und macht sich ganz zu
          Schanden.

Viel Fremdworte gibt er geckig, wie soll unsereins
          die wissen!
Er meint, das bringt uns um, und schmunzelt leis gerissen.
Als er endet, schielt er mit schüchternen Augen und macht
          sich ganz schlicht,
blickt auf mich: »Klatsche doch, Bruder!« Aber ich ziele
          ein sieghaftes Zischen mitten in sein Gesicht.


10. 12. 1913

Wurstessen

Unter Kaisern und Geweihen
hocken sie in roten Reihen,
manche sind schon beim Verdaun
und beginnen, Skat zu haun.

Manche schlingen noch mit dicken
Backen und beglückten Blicken.
Frauen streichen ihren Bauch.
Und die Männer lüften auch.

Und die Wirtin mit zwei Tanten
Laust am Stammtisch Lieferanten.
Eine rülpst und röchelt schwer,
eine sagt das Kochbuch her.


10. 12. 1913

Passionsweg der Sehnsucht
(für Herz-Leni)

Bis dies unsagbar schwermutsvolle Sehnen
mich trieb vom Tisch, (an dem ich lesend saß,)
ganz einsam, daß ich noch den Stock vergaß,
in dunkle Straßen, die sich schreckhaft dehnen.
Daß taumelnd ich auf unbekannten Wegen
vertränte wie im Traum, daß mancher Blick
mich staunender bestrich und ins Genick
mir schlimmer denn ein Schlachtbeil schlug der Regen.
Daß mich die Schritte an die Scheiben schleiften
und bettelnd zu den Fenstern einer Bar,
an der ich lauernd lang verloren war,
bis Kellnerinnen in der Türe keiften.
Und daß ich vor Theatern trieb versonnen,
und immer schwankte hinter einem Mann,
ob er mir anzubieten nicht begann
der Tochter oder Frau geheime Wonnen.
Daß ich den Huren an die Hüte faßte
und ihre harten Schmähungen genoß,
daß ich nach Flatterkleidern Flüche schoß,
und alle Laute dieser Leute haßte:
dies abgefeimte, feindliche Verstocktsein
und das Verbissne ihrer stieren Not,
und Kälte, Finsternis und Straßenkot,
Geschminktes, schalen Schmuck und Falschbelocktsein!
Daß ich durch Tore ging, von deren Zielen
ich nichts mehr wußte, daß ich scheu und schief
nach unbekannten Bahnen ewig lief
vor neuen Bauten auf den Bretterdielen.
Daß ich mich gern in Morden und in Raufen
gemischt und in der Säufer Irresein. -
Und plötzlich überfiel mit grellem Schein
ein Luftschiff mein verwaist unstetes Laufen.
Und Autos, die wie Flammenengel rannten,
begannen im Benzin ein tröstlich Lied,
da wußte ich, warum der Herr uns schied -
damit wir desto inniger uns erkannten!


13. 12. 1913

Erlösung am Vortragsabend
(für Rudolf Leonhard)


Ein düstrer Dichter liest verschlottert schlecht
und lispelt hingelümmelt wie ein Junge,
der lax gelernt hat, mit verzagter Zunge
und röchelt krumm und rülpst und radebrecht.

Und einer steht wie ein Kommis, verschlungen,
als ob er sich am Ladentisch erfrecht,
pomadisiert, ein doofer Dirnenknecht,
und hat sich Prosa vom Gesäß gerungen.

An einem Tisch trieft eine Dichterfrau,
wie eine Tschechin, die aus den Bordellen
nach langen Orgien hierher gehinkt,
mit einem steilen Stirnstrich, reizend grau,
der keine Schande fremd und kein Verstellen
und die so lieblich nach Erleben stinkt.


14. 12. 1913

Trilogie der »Malepartus-Bar«

1.

Bar-Gesang von dem Dichter und dem - - na ja! - - Verleger.

Die Dichter wären gern in bunten Baren:
sie möchten was erlauschen und erleben -
wer will für mich den Sekt heut abend geben?
Verleger stammeln: »Gott soll mich bewahren!«

Die Dichter möchten schwül in Träumen schweben,
im Duft von braunen Brüsten, hellen Haaren,
und daß sich Dirnen schalkhaft um sie scharen!
Verleger fangen an, ins Bett zu beben.

Sie sagen: »Morgen ist das Fest befreiter!«
Und: »Stimmung stirbt verstiert in diesen Träumen!«
Und:». . . Nachtruh . . . Pflichten . . . Kinder«
          . . . und so weiter.

Und wissen nichts, von bunter Bälle Leben,
und liegen schnarchend längst im Kahn und träumen
Prozent - wenn Dichter holde Himmel heben!



2.
Dem Rudolf Leonhard, weil er nie mit mir vordem ins
Malepartus ging.


Er dachte: Gott! Der Doofe macht so Verse
und stellt die Süße dieser Stätte hin -
viel besser bleibt, wenn ich der erste bin!
Und: dichtest du se nicht, macht blindlings er se!

Und: hold ist diese herbe Sünderin!
Und drum: gewöhnlich leer ist meine Börse!
Und: schmeichelt er ihr, so macht ein Geplärr se!
Und schickt mich (ob se's tut?) zum Satan hin!

Und also stand er stets an meinen Toren
und tat, als hätt' er auch etwas verloren -
und stieg vergnüglich lächelnd in sein Bett!
Und dachte: der macht wieder ein Gesinge,
wenn ich in diesen holden Ort ihn bringe,
so aber klebt er klagend im Klosett!


3.
Ende dieser Trilogie, das ist: Abgesang — für Frau Meyer.

Doch mit mir hungerte der holde Mund
der Frau, die gern ein Gast gewesen dieser Bar,
die doch bei ihrem Sohne wieder war
in Sehnsucht, daß sie zweifelnd stund . . .

Als wie Maria, Marter am Altar,
die roten Lichter liebten unsre Sehnsucht und
aus raschen Ringen tanzte Reigen rund,
in Heiligenscheinen hing dein Haar!

Bis ich in meine kleine Stadt zerstob
und aus Erinnern nur mir Dramen wob
und über allen du, als ein verlornes Ziel. -

Und Sterne stürzten sich in deinen Schoß,
und in die Ferne wuchst du riesengroß
und stiegst durch Klang und Kugelspiel .. .


13. 12. 1913

An »die Fürstin, zweite Sorte«
(Immer noch »Malepartus-Bar«)

Du bist so dick als wie ein Eichel-Daus,
dein Kavalier keucht wie ein Rechtsanwalt -
er gibt dir seinen ganzen Jahrsgehalt
und sinkt mit deinen Hüften froh nach Haus!

Du aber bist so unbarmherzig kalt
und lachst ihn lapsig aus
und stillst dich dann an einem blöden Klaus,
spärlich von Geist, doch sicher an Gestalt!

Und morgens murmelst du zur Wirtin, die
scheltend ihr Geld begehrt: »Er war so reich!
Ich konnte nur nicht wechseln - schweig Marie!

Der aber, der heut nacht mein Liebster war
wird mein Gemahl!« - Da blickt die Greisin bleich
und spricht voll Vorwurf nach gleich einem Star.


14. 12. 1913

Abreise von Berlin und Heimkehr zur
einzigstgeliebten Herz-Leni


So war der Abschied: Sonntagsöde. Regen.
Am Bahnhof ein verfrühtes langes Warten:
Studenten fröstelnd. Jugendwehr-Standarten.
Verlockend Stadtbahnzüge. - - (Dir entgegen!)- -

Dann durch die Schluchten all der Avenuen,
durch Hinterhäuser, über hellen Fenstern,
Hofwinkeln, Lampen, flackernden Gespenstern
die hinter gelben Stores phantastisch glühen.

Am Luftgewirr aus gläsernen Zisternen,
wo sehr viel Esser flimmern — über Kähnen,
Wagen von Warenhäusern, Filmfontänen,
Denkmälern, Straßenschildern und Kasernen.

Blitz von Plakaten, Speichern, mürben Mauern
von leeren Zügen, immer wieder Fenstern,
Hofwinkeln, Lampen, flackernden Gespenstern
die hinter gelben Stores phantastisch kauern.

Und immer noch die öden Bahnhofshallen . . .
und wieder über nassen Plätzen - runden,
sehr bunten Kirchenscheiben - Blechrotunden,
und Rampen von Asphalt voll Warenballen.

Eintönig triefen plötzlich Vorstadtorte:
ganz neue Häuser — eine junge Schänke,
Briefkästen, eben angebracht, und Bänke
an der und jener frischlackierten Pforte.

Und dann schon Wald und Viadukt und Seen,
und Ausflugsnester, wüst, - Bahnwärterhütten,
Rennplätze - Menschen, die den Damm aufschütten -
wie Gänseherden laufen schräg Alleen . . .

Und fremde Augen immer auf den Gängen -
ein Bierbauch schnarcht - ein Frauchen liest Romane -
im Flug brüllt eine Uhr und eine Fahne
und ein Perron, wo sich Vereine drängen.

Und wieder Wald und Sonnenuhr und Sennen
und fremde Namen, wenn die Wagen halten,
wo Kellner schrein und rätselhaft Gestalten
sich zu mir finden oder von mir gehen.

Scheunen verschaukeln und Windmühlen winken,
Theatertreppen fangen an zu tanzen,
Kirchtürme sind zerstäubt wie fremde Pflanzen,
Gärten verrinnen, Bahnhöfe ertrinken . . .

Und immer wieder über Wald und Wegen
und Städten, Lampen, Feldern und auf Flügeln . . .
mich aber grüßt hoch über allen Hügeln
ein Stern:. . . und gleite meinem Glück entgegen!


20. 12. 1913

Das Mädchen, das im (S. Fischer-)Verlag
am Telefon sitzt, denkt:


Ich kenne vieler Dichter Stimmen, aber nicht
die Geste ihrer Hände und ihr Angesicht:
manche lieb ich und denke sie mir mit schwarzem Haar,
          mit einer Miene
wie glückliche Liebhaber — wenn ich einsam sitze vor
          meiner Maschine.

Einer ist wie ein Wald voller Vögel. Einer flammt wie
          junges Licht.
Die ganze Welt wird still, wenn ein anderer spricht.
Einer macht meine Kniee zittern, wenn ich den bediene.
Über einen muß ich lachen: der trägt sicher immer
          eine Pelerine.

Einer lispelt sehr gemessen, wie ein Baron -
die Worte des einen blühn wie ein Rosengarten -
einer duftet nach Moschus - einer schmeckt nach Salz -

ein ganz junger Dichter aber hat noch kein Telefon:
der sitzt immer bei mir im Büro und muß stundenlang
         warten,
und seine verhungerten Augen küssen meinen
        nackten Hals.


20. 12. 1913

Die Bauernmagd

Hinter einem ganzen Wall von Röcken
hat sie sich auf unsern Markt gebaut:
Braun wie Zelttuch knittert ihre Haut,
ihre Beine gleichen Knotenstöcken.

Mürrisch starrn die Lippen und verschlossen.
Handfest sicher und voll nacktem Hohn
denkt sie rechnend an den Wochenlohn
und wieviel von ihrer Zeit verflossen.

Manchmal träumt ihr Diebstahl, Sterbenmüssen,
Krach, die neue Heirat ihrer Mutter,
oder wie auf Feldern zwei sich küssen -

Dann verhüllt sie sich mit ihrem Hasse
und erhöht den Preis von Milch und Butter
und bereichert ihre eigne Kasse.


20. 12. 1913

Die Frau Bürgermeister

Sie macht sich (o, die Zarte!) steil und streng
und ihr Gesicht (das liebe!) undurchdringlich,
wie das des Gatten - der ist unbezwinglich! -
(Und doch wird dieses Nest auch ihr zu eng!)

Sie sehnt sich oft nach ihrer Jugend Wunder,
nach jener Riesenstadt, wo weite Plätze
sie träumen ließen, und der Läden Schätze
sie lockten . . .! (Aber dieses Pfahlorts Plunder! - -)

Und welche Streiche spielte sie dem Paster,
ach, Gymnasiasten brachten ihr viel Blumen
und litten für sie Rügen, Spott und Keile. -

Gutmütig ist ihr Mann und hat kein Laster,
doch einen Bauch von friedlichem Volumen
und tödlich Zärtlichkeit und Langeweile.


21. 12. 1913

Abgesang an Neiße

Mädchenhaft benimmt sich der Matrose,
der auf Urlaub kam: er bebt und zittert
vor dem Geist, der diese Stadt umgittert,
die so eng wie eine Tabaksdose.

Diese Stadt!- - -Die Mädchen jäh zersplittert
vor dem ersten Blühen ihrer Rose,
die die Bürger bannt in eine Pose
würdevoll gebauscht (. . . im Herz verbittert!)

Welche Dichter macht zu herben Spöttern
und die Weiber würgt mit frommem Wahne -
daß der Seemann (wieder auf dem Meere)
den Gefährten schwört: Bei allen Göttern,
lieber preis' dem wildesten Orkane,
als der mörderischen Kleinstadt-Leere!


Ende 12. 1913

»Münchner Keller«, Neiße

Lichterschläuche schlenkern über Schloten.
Ein geschiedner Schaute würfelt Witze.
Die verzagte Zauchtel züngelt Zoten.
Papas popeln nach dem Kleiderschlitze.

Leutnants fangen an, auf Pump zu protzen.
Ingenieure grammein grinsend gratis.
Onkels kleben breit gleich Buddha-Klotzen.
Ein Student stülpt über: »Rest weg! — Satis!«

Bankbeamte paaren sich mit Lehrern,
und Dentisten zahm mit Maurermeistern.
Und das Mädchen läßt sich von Verehrern
ihren Magen mit Likörs verkleistern.


 

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