Gedichte 1924

Gedichte

1924

Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.


Inhalt

Liebeslied in den Straßen

Der Nächtige

Die Unglückssterne

Die Freunde

Der Abschied

Der Tragische

Tröstung

Nächtliches Stilleben

Meiner Katze

Ballade aus einer griechischen Weinstube

Traum vom fremden Flußufer

Maicouplet

Absage an ein ganzes Land

Erster Lenzsonntag

Die Erfahrung mit der Tante

Menschen

Liebeslied

Couplet macabre à la Walter Mehring

Lob der Trunkenheit

Der letzte Weg

Mein Golgatha

Kampf mit dem Schatten

Johannisnacht in der Fremde

Reue

Warnung

Berliner Freibad

Gang in Armut

Meine Liebesheimat

Schlimmes Lied

Künstlerkneipe

Sehnsucht nach einem Gefährten

Eitle Trauer

Der Überlegene

Kadettenkomödie

Arme Weihnacht

zurück zu Max Herrmann-Neiße - Gedichte 1900 - 1923

zurück zu den Gedichten von Max Herrmann-Neiße


15. 01. 1924

Liebeslied in den Straßen

Ich hab' an dich gedacht
in jedem Jammer des vergangnen Tages,
im stummen Kummer jedes Stundenschlages
der wachen Nacht.

Im Winde lief dein Lied
mit mir wie einer Hündin treue Schritte,
auf daß mein Fuß auf keinem Eis ausglitte
und jeden Stein vermied.

Kein Vorwurf mich verdammt,
wenn ich ein flüchtges Lächeln Mädchen schenke,
an die ich schon beim nächsten Blick nicht denke,
der dir zuflammt.

Entflammt stürz' ich nach Haus:
nie welk, siegreich wider des Todes Mächte,
weil ich im Glück der Tage und der Nächte
nur dein gedacht,
                           nur immer dein gedacht!


16. 01. 1924

Der Nächtige

Was blickt der Mond so bleich auf mein Papier,
als zwäng' er mich, mein Testament zu schreiben?
Ich bin gewohnt, mich zu verschließen hier!
Verhäng' ich vor dem Nachtreich meine Scheiben?

Er rührt sich nicht und bannt mir Krug und Glas
und macht den Schlaf vor seinem Starrblick weichen
und würgt das Licht, bei dem ich lesend saß:
gehst du zur Strafe grinsend über Leichen?

So kenn' ich dich noch nicht, so schreckst du mich -
ich betete dich an; soll ich dir fluchen?
Ich schlief so schlummerschlicht. Was weckst du mich?
Willst du zum Weg bergan mein Herz versuchen?

Mein Weg führt längst bergab ins schwarze Tal,
wo alle Vogellieder kläglich starben;
eh daß um Glück ich lüge noch einmal,
will sonnenlos ich wieder täglich darben!

Wo landet morgen früh mein schwerer Schlaf,
in den ich jetzt wie vergewaltigt sinke?
Der Chor der Sorgen, den mein Träumen traf,
hetzt mich ins Meer, in dem ich stumm ertrinke.

Nur meine Leiche spült der neue Tag
an seinen Strand zu geisternder Verführung.
Im Totenreiche fühlt, der einsam lag,
von deiner Hand die magische Berührung.

Und wartet auf den Mond der andern Nacht,
in seinem Schein das fahle Spiel zu treiben,
mit dir gewohnt, Schwester der Schattenwacht,
vor Gott und vor der Welt allein zu bleiben.


21. 01. 1924

Die Unglückssterne

Seit jenen Nächten, die wie Traum vergingen,
standen die Sterne über seinem Dach,
im Schlaf vernahm er noch ihr süßes Singen
und wurde früh von ihrem Schweigen wach.

Sein erster Blick durchs Fenster lief zu ihnen,
die schon verblassend schieden, wie ein Dieb,
sein letzter Blick will ihrem Aufgang dienen
und spricht verschimmernd noch: »Ich hab euch lieb!«

Sie aber leuchten ungerührt, verschlossen,
vielleicht als Drohung einer bösen Nacht;
die Tränen, die um deinetwillen flössen,
haben der Sterne Chor hervorgebracht.

Als Schwerter über deiner Nacht sie hingen
und machten dein Gewissen morgens wach.
Vergebens lügst du, daß sie Süßes singen
und Segen bringen deinem Dach.


22. 01. 1924

Die Freunde

Gesicht an Gesicht, Hand in Hand:
jedes Wort verlogen, jeder Blick ein Gedicht.
Als sie um die Ecke bogen, gestand
sich jeder, er liebe den anderen nicht.

Es zählte der eine voll Schreck,
der wievielte Radler eben fuhr.
Der andre bestieg das Omnibusverdeck,
machte abergläubisch hin und zurück die Tour.

Endlich zu Haus Beichte zur Frau,
welch tödliches Erlebnis man erlitt!
Die eine keifte, die andre schwieg schlau;
beiderseits schließlich ein Ehepaar stritt.

Andern Tags unterm Stadtbahnbogen fand
Mann und Mann wieder zur Freundespflicht:
Gesicht an Gesicht, Hand in Hand,
munter verlogen. Ein Lebensgedicht.


23. 01. 1924

Der Abschied

Schweig' ich vor dir, nur das Grammophon singt,
ich habe Angst; du merkst nicht die Todesschlingen,
mich hetzt das Leben lautlos, ich bin umringt
von Gespenstern, ich muß um mein Leben springen!

Ich springe lächelnd und lachhaft, du wendest dich ab,
du hast recht: ich habe mein Unheil selbst verschuldet.
Die Stube wird immer dunkler, mir ist sie das Grab,
ich ducke mich, mache mich klein wie nur noch geduldet.

Das Grammophon schweigt. Der Totenwurm klopft in der
          Wand,
du hörst ihn nicht, nur mir gelten seine Signale:
das Drohende steigt in mein Zimmer, die kalte Hand
berührt meinen Rücken. — Du blätterst im Alltags Journale.

Du liebst mich, ich liebe dich: das ist kein Trost,
wenn jedem sein Schicksal ein eignes Martyrium bereitet.
Du bleibst; ich werde zum Opfer ausgelost,
das zum Schafott allein im Morgengraun schreitet.

Das Grammophon klappert ein Tänzchen, du wiegst
          dich weich.
Mich reißen härtere Rhythmen zur Hölle hinunter.
Ich streichle dich noch als Geist. Ich lieb' dich, ganz gleich,
ob du in leichtem Vergessen dich tummelst schon munter.

Du liebst mich, ich weiß es, auch wenn du mir wehetust:
du bist leicht, ich bin schwer. O daß wir den Zauberkelch
          tranken!
Dies Bündnis, zerreiß es! Es war von Wehe und Lust
allzu reich für ein Leben:
ich habe dir stets noch zu danken.

Sei mir vergeben, daß mir kein Glück gelingt!
So nehme ich Abschied, den Todesengel umringen.
Doch du wirst leben, von Ewigkeit beschwingt.
Schweig' ich vor dir, laß das Grammophon singen!


29. 01. 1924

Der Tragische

Wenn andre froh sind, bin ich einsam tragisch,
fühl' ich, wie mich des Lebens Leid belastet.
Und während mein Gelüst nach Freuden hastet,
bannt mich des düstren Daseins Ahnung magisch.

Ich hocke wie ein Kobold glücksenterbt,
den alle Lust der Tanzenden verspottet,
um den der Wolken schwarze Schar sich rottet,
und plötzlich stockt das ganze Fest entfärbt.

Die Walzer klingen ihm wie Trauerweisen,
wie welkes Laub raschelt der Maskenflitter,
nackt frösteln wir im Toben der Gewitter,
die uns mit ihrer Todesjagd einkreisen.

Schon krächzt verstohlnes Liebesflüstern auch
wie letztes rauhes Röcheln der Gespenster.
Der Morgen als Erhängter an dem Fenster
schaukelt in kühler Frühe Schauderhauch.

Des Lebens Lust, des Lebens Spuk verschwanden.
Was wirklich wäre und Versöhnung hätte,
steht mir nicht zu, den auf der Schädelstätte
als einsam Tragischen die Tage fanden.


02. 02. 1924

Tröstung

Suchen sie uns zu entzwein:
die gleiche Wolke wird über uns beiden
Schutz oder Drohung sein.
(Wie gern wir eines am andern leiden!)

Was wissen sie von unsrer Not,
von deinem Opfer, daß ich das Leben ertrage,
wie du durch Schmutz und Kot
in Sicherheit bringst meine Tage!

Sie lästern, sie haben es leicht,
für sie ist so günstig das Gute, das Schlimme,
jede Wolke weicht
vor ihrer scheinheiligen Beterstimme.

Aber ich fühle die Sünde
und tue sie doch, weil mein Schicksal es will.
Ich verwunde mich selbst und zünde
das eigne Haus an und sterbe still.

(Und wollte doch nichts, als bei dir sein,
mit dir das Gleiche erleben und leiden.
Suchen sie uns zu entzwein,
der gleiche Stern steht über uns beiden!)


14. 02. 1924

Nächtliches Stilleben

Es geht kreuz und quer,
Buch und Flasche Bier,
diese aber leer,
und das Katzentier,
stubenrein, zu dritt,
Mönchslikör verkorkt,
und der Rumverschnitt,
heute erst besorgt,
vom geliebten Weib,
das daneben schnarcht.
Eil dich, Esel, schreib!
Eh du eingesargt
in der Erde faulst
und kein Wort mehr kannst,
vor dir selbst dich graulst:
Wurm zerfrißt den Wanst,
Würde und Gewand,
des Geschlechtes Stolz.
Schreibgewandte Hand
wird zum Klapperholz,
und in deiner Brust
nistet Ekeltier.
Nur Sekundenlust
bieten Buch und Bier,
was ich schreibend litt,
ist kein Hauch mehr schwer,
Weib und Rumverschnitt,
es geht kreuz und quer!


15. 02. 1924

Meiner Katze

Das gleiche Leid im Blicke meiner Katze
das gleiche Leid in meinen Blicken trifft.
Banausen lacht! Aus eurer Gleichmutsfratze
spritzt immer nur verstellter Mißgunst Gift!

Denn ihr erlebt das nie, wie alles schwindet,
vergänglich ist und in sein Sterben geht.
Mein Schmerz Geschwister mehr im Tiere findet,
als in dem Menschen, der mich mißversteht!

Die Katze schweigt. Wie streichelt mich ihr Schweigen
mehr als der liebsten Menschen falsches Wort!
Wir wollen uns die Todesangst nicht zeigen
diskret blickt sie von meinem Zittern fort.

Nie wird sie wie verrohte Menschen scherzen,
in ihrer Miene siecht Melancholie.
Der gleiche Jammer nagt an deinem Herzen,
der meins umkriecht, geschwisterliches Vieh!

Laß die Banausen lachen! Ihre Fratze
als Vollmond übern toten Teich aufsteigt.
Das gleiche Leid im Blick von dir, o Katze
dem gleichen Leid sich meines Lebens neigt!


07. 03. 1924

Ballade aus einer griechischen Weinstube

Sie zechten bei der bärtigen Matrone:
die gab sich jovial und neppte ernst.
Vielleicht saß sie einst auf dem Griechenthrone
als das wievielte Ekel mit der Krone,
von dem du, armes Kind, den Namen lernst.

Jetzt aber ging die Welt in wildren Wogen;
so seltsame Gefährten eint der Wein:
den wüsten Bolschewikendemagogen,
den schwerbebrillten Goethe-Philologen,
das radikale deutsche Dichterlein.

Warum kam da kein froher Skat zustande,
bei dem die Wirtin kluger Kiebitz bleibt?
Nein; jener spricht von Weißgardistenbande,
und dieser von der nationalen Schande;
indessen stumm der dritte Verse schreibt.

Dann stoßen alle wieder an und trinken.
Die Wirtin nickt. Die neue Flasche kreist.
Die Frau erwacht - wie ihre Augen blinken! -
und sie notiert. Dann wird ein Brot mit Schinken
von jedem Partner wonnesam verspeist.

Und wieder stürzen Wogen des Gewohnten,
und wieder schlägt sich der als Bolschewist
und der als Philologe; sie verschonten
nur den Poeten stets und der Entthronten
lädierten Stolz - bis Feierabend ist!

Und das ist allzu bald. Die Rechnung geistert.
Der Bolschewist wird aus Prinzip rabiat,
der Philologe sachlich. Alle meistert
der Wirtin Klugheit. Alkohol verkleistert
jetzt sowieso den Mut zum Attentat.

Die Würdige verdoppelt jetzt die Summe,
die ehrfurchtsvoll der Bolschewik bezahlt.
Nun grölt der Dichter, der so lange stumme,
staunt der Gelehrte: »Ich bin nicht der Dumme?«
Mit List, mit Geiz, mit Leichtsinn wird geprahlt.

Sie fahren heim im Auto: Vierte Zone.
Der Bolschewik bezahlt des Dichters Spaß.
Traum schaukelt: »Wer trägt morgen früh die Krone?«
- Sie zechten bei der bärtigen Matrone,
und jeder goß dem andern Gift ins Glas.


16. 03. 1924

Traum vom fremden Flußufer

Ich denke an das fremde Flußgestade,
das eines Abends war die ganze Welt
unendlich unterm ewgen Sternenzelt
mit Abschiedsbaum und Schicksalspromenade.

Der Wind riß an den Gräsern auf den Schanzen,
die Wasser schrien wie Kinder, die man schlägt.
Wenn morgen mich der Zug von dannen trägt,
wird mein Gedenken hier als Irrlicht tanzen.

Kann es von euch wen in die Seen locken,
die noch erfüllt von meiner Sehnsucht sind?
Noch immer schlägt der Wassergott sein Kind;
doch taub die Bürger in den Stuben hocken.

Sie helfen keinem Schmerz und keinem Traume:
sie schlafen, schwatzen oder spielen Skat,
sind wochentags kompakt und heißen Staat,
ihr Brennholz wird aus meinem Lebensbaume.

Aus meinen Versen wird ihr Judasgeld,
aus meiner Andacht ihre Kirchengnade.
Ich flüchte träumend an das Flußgestade,
und bin mir Einsamen die ganze Welt!


03. 1924

Maicouplet

Dieser Mai gibt wieder schöne,
echte deutsche Heldensöhne,
wenn der Bock gesoffen ist,
wenn die Reichswehr mit Auguste
einmal in den Garten mußte,
gute Frucht zu hoffen ist.

Ach, wie bald, indem wir hoffen,
ist der Bock zu End gesoffen,
merkt man ihr die Rundung an,
zieht die Reichswehr los mit Schaden,
schwören schon die Kameraden:
»Es lebe der Reservemann!«

Morgen ist's in Nummer Sieben
oder flußwärts abgetrieben,
lebend oder tot, vorbei.
Jenner wird den Fall besaufen
und ein neues Mensch sich kaufen:
»Nur einmal blüht im Jahr der Mai,
nur einmal im Leben das Lieben!«


25. 03. 1924

Absage an ein ganzes Land

Ich möchte doch den ersten Lenz begehen,
ich möchte irgendeine Orgie sehen!
O Land, in dem ich nie ein Laster traf:
was hat in deine Kargheit mich verschlagen?
Du ödest mich mit immer gleichen Tagen,
mit Nächten voller Mühsal, Stumpfsinn, Schlaf!

Gleich fremd bin ich in jeder Stadt geblieben
und hockte nur zu Haus und hab geschrieben,
trank einsam mich in wüster Träume Trug.
Hernach war jeder Morgen desto grauer.
Mein Maskenkleid auf Festen war die Trauer,
denn ihrer Feste tat mir keins genug.

Die Sprüche selbst in ihren Pißlokalen,
und was sie trunken an die Wände malen,
sind plumpe Zoten oder »Juden raus!«
Und ihre Weiber protzen mit Finessen,
die sie gehappig mit dem Messer fressen,
und sind gleich unbegabt für Bett wie Haus.

Warum bin ich nicht so wie andre Dichter
gelitten und geliebt bei dem Gelichter
und der Vertraute vieler Liebesfraun?
Geschätzt von Kritikern und Kunstmäzenen,
daß mich zu kennen, sich die Söhne sehnen
und daß die Töchter lüstern nach mir schaun?

In diesem Lande gelten nur die Dummen,
die ohne Widerpart nach Wunsch verstummen
ist alles abgekartet stramm und brav.
Die eigne Fratze mag ich nicht mehr sehen.
Ich möchte einen saftgen Mord begehen -
schon hat mich dieses Landes ewger Schlaf!


30. 03. 1924

Erster Lenzsonntag

Und wieder blühen die Abnormitäten
des Rummels aus dem Irrenhaus geholt,
wenn die Kleinbürger ihre Gärten jäten
und durch den Wald der Wandervogel johlt.

Dann schreit sich heiser, der mit den Azteken
vor seiner aufgefrischten Bude wirbt,
weil Boxer dort, dort Feuerfresser blöken,
preist der sein Wundertier, das heut noch stirbt.

Indessen Schülerin und Gymnasiasten
hinausradeln zum ersten Liebesglück,
verteilt aus dem halbfertgen Rohbaukasten
der Phonograph sein abgespieltes Stück.

Schon stürzte aus der Schaukel ein zu Kecker,
wirbelt ein Unterrock vom Karussell,
gewann beim Schießstand der Portier den Wecker
der Apfel flog vom Kopf dem jungen Teil.

Dressierte Flöhe ziehen ihren Wagen,
und auf der Avus läßt jetzt der Chauffeur
den Herrn Bankier im Auto blitzschnell jagen.
Des Pferderennens Tipp weiß der Friseur.

Die Mißgeburten kriegten manche Püffe
vom Impressario, bis die Bude schloß.
Dann sinkt die Leinwand um die bunten Schiffe
der Schaukel und des Karusselles Roß.

Die Schülerin bezog zu Hause Keile,
weil sie verspätet kam. Der Kecke stirbt,
der aus der Schaukel flog mit Windeseile.
Der Heisre jetzt für Nachtlokale wirbt.

Der Wandervogel schnarcht in einer Scheune.
Der Kleinbürger macht sich das elfte Kind.
Der Boxerkönig kegelt alle Neune
im Klub, wo auch die Feuerfresser sind.

Der Neubau ist verstummt. Portiers beim Biere
begehn festlich ihren Schießgewinst.
Der Schlaf erlöst jetzt die dressierten Tiere.
Der junge Teil aus Blech im Mondschein grinst.

Der Herr Bankier kommt endlich mal zur Ruhe
und der Chauffeur zu seinem Ullsteinbuch.
Tut der Friseur das Renngeld in die Truhe,
verdaut die Stadt des Sonntags Schweißgeruch.


04. 1924

Die Erfahrung mit der Tante

Ich hatte einmal einen Ohm,
der Großagrarier war - pfui Teixel!
Sein Riesengut lag an der Weichsel
berühmtem Strom.

Stromabwärts ging sein Lebenslauf:
Er nahm ein Weib, das alle liebte.
Den er erwischte, war der siebte!
Er hing sich auf.

Aufgrund besagten Unglücksfalls
lernt' ich die Witwe Tante kennen
und durfte trostweis bei ihr pennen. -
(Nehmt Biomalz!)

Malz war verloren - Hopfen kaum -
Am nächsten Morgen sprach sie: »Junge,
fahr wieder heim und hüt die Zunge!
Es war ein Traum!«

Traum, Schaum - und wem? - Beim Testament
war ich der allerseits Lackierte.
Weil ich mich damals so blamierte.
(O du Moment!)

Momente gibt's, wenn einer sterbt. . .
Wer weise wählt, wird Witwen meiden
und läßt das Amtsgericht entscheiden,
wieviel er erbt.

Erbt er des Onkels bares Geld,
wird er auf Onkels Frau verzichten,
das heißt, als Erbe erst verrichten,
was ihr gefällt.


15. 04. 1924

Menschen

Du sprichst ein Wort, du tust etwas,
du lächelst und Musik spielt leicht -
doch schon sind meine Augen naß:
ein Trauriger sich abseits schleicht.

Vielleicht sprach ich ein Wort auch einst,
tat etwas lächelnd, unbedacht,
und weiß nicht, daß du deshalb weinst
und schlaflos leidest Nacht um Nacht.

Du wolltest doch nur glücklich sein,
auch ich war gern ein wenig froh -
und plötzlich war ich ganz allein,
und plötzlich warst du herzlos roh.

Wo ist nun Schuld? Wo ist Verrat?
Ich weiß nur, daß ein Mensch, wie blind,
dem andern Menschen wehetat.
und daß wir alle Opfer sind.

Und über jedem Grab wächst Gras,
nur einer schläft in jeder Nacht.
Ich sprach ein Wort, du tust etwas,
wir weinen, und das Leben lacht.


14. 05. 1924

Liebeslied

Kommst und gehst, und mein Erleben
hat nichts, als dein Gehn und Kommen
Träume, die mich sanft umschweben,
werden bald von mir genommen.

Erster Blick, wenn ich erwache:
ob die Kissen dich noch hüten.
Sterne über unsrem Dache
deine Schlummerau umblühten.

Letzter Blick, eh ich entschlafe:
ob die Nachtengel dich schützen.
Dann wird, als gerechte Strafe,
mir kein Liebeswunsch mehr nützen.

Küßte gern jetzt deinen Rücken,
lieg' nach Liebe auf der Lauer.
Des vergangnen Tages Tücken
rächen sich an meiner Trauer.

Wie grausame Dornenhecken
Sternenbüsche dich umhegen,
wollt' ich dich zum Spiel erwecken,
traf mich ihrer Pfeile Regen.

Ach, nun büße ich in wehen,
wilden Sehnsüchten, zu lieben,
daß ein ewges Kommen, Gehen
meine Unrast dich getrieben!

Hat die wilde Jagd der Rache
alle Blüten totgeritten:
erster Blick, wenn ich erwache,
will dir alles Leid abbitten.


23. 05. 1924

Couplet macabre á la Walter Mehring

Wir setzen an den Altersspeck
und werden Tugendwächter.
Bald bleibt von uns nur noch ein Dreck,
verarbeitet zu höhrem Zweck
vom Tod, dem Konsumschlächter.
     Rin in de große Wurstmaschine
     daß ich auch mal zu etwas Gutem diene!
     Zwar die Werkstatt stinkt,
     doch der Laden blinkt,
     und wenn erst die Tageskasse in den Kasten
          springt,
     ist alles wieder gut,
     riechts auch nach Blut.
     Wer hat, der hat!
     Man hält de Neese zu,
     denn Arbeit schändet nicht,
     was reich macht, mufft nicht.
     Du frißt dich an mir satt,
     man drückt ein Auge zu,
     Scheinwerfer blendet nicht,
     Benzin verdirbt die Luft nicht,
     wenn es vom eignen Auto stammt, nu nee!
     Verdammt juchhe!

Wir haben kaum noch eine Wahl,
ob froh, ob trist zu Ende.
Sind wir auch Sünder allzumal,
man war gern Heilsarmeegenral
nachher in der Legende.
     Riitz, ist man Gleicher unter Gleichen,
     Nummer X von tausend Schauhausleichen,
     und wen reizt das schon?
     Selbst der kleine Kohn
     wendet sich von solcher faulen Chose ab voll Hohn.
     Nur in der Tot-Rubrik
     wird unser Fall publik:
     was liegt, das liegt!
     Man gähnt zur Mittagsruh,
     der Zeitungsquatsch spannt ab,
     was fremd ist, rührt nicht.
     Du bist von mir besiegt,
     man drückt ein Auge zu,
     man legt sein Gewand ab,
     der Fall interessiert nicht,
     man hat ja selbst noch Bauch und Kopp, nu nee!
     Gottlob, juchhe!

Wir liegen nur noch diese Nacht
als Lebende im Bette
und träumen von der Wannsee-Yacht,
doch morgen fault die ganze Pracht,
ein Sarg auf einem Brette.
     Schwupp, wird der Deckel zugenagelt,
     darfst du keinen Rülpser mehr riskieren,
     ist das Ding perfekt.
     »Vata is verreckt!«
     jubiliert mein Isidorchen ohne viel Respekt,
     »ich brauch zur Schule nicht.«
     Die Witwe spricht:
     »Was liegt, das liegt!«
     Kauft sich ein neues Kleid.
     Schwarz steht ihr wirklich gut,
     was kleidet, stinkt nicht,
     wie sich die Seide schmiegt!
     Zur Lust wird fast das Leid,
     ob man auch traurig tut,
     man selbst, man selbst versinkt nicht,
     man bleibt beim alten Bier und Korn, nu nee!
     Von vorn, juchheeh . . .!


05. 1924

Lob der Trunkenheit

Bier macht stolz, Schnaps macht verwegen,
Wort macht dumm, Liebkosung weich,
doch im Riesenrausche legen
unsre Sehnsüchte sich gleich.

Weil dort alle Worte schweigen,
und Liebkosung nicht mehr lohnt,
schon das Zueinanderneigen
Wonnen wirkt im trunknen Mond.

Monde leuchten schwankend heilig,
starre Sterne strahlen Trug.
Nüchtern Liebende trägt eilig
in ihr Nichts der Abendzug.

Züge stürzen von den Brücken,
lebenshungrig steigt die Braut
auf des toten Freiers Rücken
in den Tag, dem vor ihr graut.

Nüchtern ist der Tag voll roher
Eigensucht im Schattenreich.
Bier und Schnaps macht immer froher
als Liebkosung noch so weich!


26. 05. 1924

Der letzte Weg

Den ganzen Weg entlang stand in Gedenken
das glanzumfangne Feld vergangner Jahre.
Wenn ich ihn noch einmal, dereinst, befahre,
ob sie den gleichen weißen Klee mir schenken?

Ich sehe nicht die groben Bretterplanken
mit allem Haß zerfetzter Wahlplakate,
weiß nicht, daß ich in Gegenden gerate,
die unheilbar an Häßlichkeiten kranken.

Ich hörte nicht der Bahnen grelles Toben,
der Autos anmaßend brutales Lärmen -
Ich schwebte wie umharft von Lerchenschwärmen,
die auf zum Abendheiligtum sich hoben.

Und wenn ich dennoch aus dem Traum erwachte,
der engelhaft mich durch die Straßen führte, -
das Flugzeug, das den Himmel roh aufrührte,
blieb etwas, das ich mitleidslos verachte.

Sein Spielen mit dem Tod muß einmal stürzen,
sieht er die Sterne stumm den Reigen schreiten.
Das glanzumfangne Feld verweinter Zeiten
blüht ewig, mir den Leidensweg zu kürzen.


28. 05. 1924

Mein Golgatha

Wo sich die Wege trennen,
sieht jeder ein Kreuz errichtet:
keiner von uns darf nennen
den Namen, den es vernichtet.

Wer wäre kein Verräter
in deinen heimlichsten Stunden?
Die Schatten erschlagener Väter
weisen auf ihre Wunden.

Verlassener Mütter Schatten
ihr blutendes Haupt erheben.
Wenn wir einst Freunde hatten,
wir haben sie preisgegeben.

Noch die gefälligen Dirnen,
die Tröster gramvoller Umnachtung,
sie tragen an ihren Stirnen
das Brandmal unsrer Verachtung.

Der Liebesgefährtin Treue
wurde durch uns zur Ware. -
Was nützt die ehrlichste Reue,
wenn ich zur Hölle fahre?

Die Fürsprach der Ungebornen,
denen ich Leben ersparte,
mich für immer Verlornen
nicht vor dem Sterben bewahrte.

Ich darf sie nicht einmal nennen,
sonst sind sie mit mir vernichtet. -
Wo sich die Wege trennen,
hat man mein Kreuz mir errichtet.


29. 05. 1924

Kampf mit dem Schatten

Umschleicht mein Haus schon wieder der Verhüllte,
der einst mit seiner Todesdrohung kam?
Wie sie sich damals fürchterlich erfüllte
und mir das Liebste meines Lebens nahm!

Soll er noch einmal grausam Recht behalten,
noch einmal um das Liebste mich betrügen?
Sein Henkertum hat allzu viel Gestalten,
sein Spiel verwirrt mit lauter falschen Zügen.

Und mich schützt nichts als meiner Kindlichkeiten
leichtfertiges, sorgloses Falterschweben;
dich aber sah ich schon die Arme breiten,
dich kampflos demütig ihm hinzugeben.

Als ob nicht aller Frühlingsgründe Blüten
dir strahlend sängen: »Jeder Winter schwindet,
und wer sich nicht ergibt dem Schicksalswüten,
noch immer wieder selge Inseln findet.«

Hat einen je die dunkle Flut verschlungen,
der sich nicht selbst preisgab und rasch verzagte?
Ich habe damals mit dem Tod gerungen,
bis ich aus meinem Garten ihn verjagte.

Ich lachte weinend, und er mußte weichen.
Und heut hüllt meines Lachens Bann auch dich:
vergebens wird er unser Haus umschleichen.
Du bist gerettet, und so leb auch ich!


14. 06. 1924

Johannisnacht in der Fremde

Hier hilft kein Blick, der noch so lieb
will trösten und beglücken
und doch sich einstiehlt wie ein Dieb
hinter des andern Rücken.

Nur wer sich frei zu mir bekennt,
kann mir ein wenig helfen. -
Am Heimatberg das Feuer brennt
umtanzt von Faun und Elfen.

Johannisnacht. Wir gingen still
den Abendweg am Hange. -
Wenn ich wie damals singen will,
macht mich Vergangnes bange.

Im Rauch gefangen des Cafés
unter geschminkten Leichen,
träum ich im Spiegel fernen Sees
das Rot der Feuerzeichen.

Die Hand hält fest ein Zeitungsblatt,
als Maske dient ein Lachen,
die Stimme, frech und herzlos satt,
muß mich unsichtbar machen.

Weil sie den andern Stimmen gleicht,
die rings im Räume höhnen. -
Und nimmermehr von mir erreicht,
der Heimat Winde tönen.

In ihre Feste wie ein Dieb
schleich' ich mich stets aufs neue . . .
Vergebens: was mir morgen blieb,
war nur fruchtlose Reue!


21. 06. 1924

Reue

Wohin sehnt sich mein Entbehren,
womit hat es jetzt getauscht?
Ob noch an den Neißewehren
nächtlich Baum und Wasser rauscht?

Ob noch in des Schützenfestes
Trubel Mädchen froher sehn?
Meines Lebens Schönstes, Bestes
war ein seliges Verwehn.

Was mir fehlt im Rausch von Bällen,
welchen Glücks mein Weg gedenkt:
Laubengänge in den Wällen
keine Pracht der Großstadt schenkt!

Ob noch an dem Hügelwunder
blüht der Margeriten Reich?
Keines Warenhauses Plunder
kommt nur ihrem Welken gleich!

Was ich sah im Prunk der Plätze,
wenn ich, toll vor Lüsten, ging,
dieses Venusberges Schätze
sind im Lindenduft gering.

Linden ihr auf der Promnade,
wo ich abends harmlos saß
und durch eines Blickes Gnade
allen Gram des Tags vergaß.

Blick von einem Ladenmädchen
ahnungslos mit mir getauscht!
Daß mich doch mein Heimatstädtchen
jetzt mit Baum und Fluß umrauscht!


25. 06. 1924

Warnung

Wie dunkel wurde da der Wolkengrund,
als ohne dich er sollte Wiese sein:
du spieltest lächelnd Sterben, sargst dich ein
als Schmetterling in seinem Blütenmund.

Und ließest mich Hilflosen so allein,
als wäre dies mein Glück, daß fern ein Hund
tobsüchtig heult; als ob ein Bücherfund
mich selig machen könnte, Stein bei Stein.

Mir tobt ein wildes Herz weh in der Brust,
durch Zauberwälder jagt es atemlos,
die Hexe, die am Wege hockt, hat Macht.

So sollst du nicht, mit teuflisch böser Lust,
auch du, mich schrecken in des Todes Schoß
und in der Einsamkeit endlose Nacht!


28. 06. 1924

Berliner Freibad

Wie sie an des Tümpels Schmutzgestaden
wie an einem Meereshafen baden,
sich ein märkisches Misdroy vortäuschen,
den verbotnen Leib, den heilsam keuschen,
aus sintflutlich steifer Wäsche schälen,
lange zappeln auf den Uferpfählen
und grotesk ins dunkle Spülicht platschen,
neckisch sich die Rundlichkeiten klatschen
und ihr schweres Fett kopfüber kippen
oder lieblich auf und nieder wippen!

Harmlos sich die Voyeure lagern
in ergiebiger Nähe von den magern
Mädchenleibem und markiern gemessen
Zeitungslesen oder Stullenfressen.
Alte Weiber hocken dahingegen
dort, wo Jünglinge des Bades pflegen,
hocken hoffnungslos, weil diese Knaben
eine ganz bestimmte Richtung haben,
die sie zärtlich zirpend wie Kastraten
würstchenwarm und zweifellos verraten.

Angler stehn wie Statuen im Gewimmel,
Flieger knattern am Gewitterhimmel,
Sportler, von dem Wahn besessen, rennen
auf und nieder, Pärchen selig pennen,
um des Dunkels Gnade zu erwarten.
Badehosenstifte spielen Karten,
fühlen sich als Männer und mißbrauchen
als gelegnen Grund zum Kettenrauchen
die vor soviel Schweiß wehrlosen Mücken,
die sich ängstlich in die Büsche drücken.

An den Beinen braun wie Kinderkacke
klebt der Sand, und eine Hinterbacke
schwimmt wie ein Ballon im schmutzgen Schilfe.
Ein getauchtes Wesen wimmert » Hilfe!«
Händler spenden aus verdächtgem Kübel
trübe Limonade. Wem wird übel.
Andern mundet die vom Staub verdreckte
Kost der Apfelsinen und Konfekte,
und ein ganz Verrohter schnappt den Happen
der noch zappelnd moosbedeckten Quappen.

Zu der Frösche lyrischem Gequarre
spielt jetzt einer sinnig die Gitarre,
einer pfeift das Lied von den Bananen.
In der Ferne rattern dumpf die Bahnen,
knallt das Feuerwerk vom Lunaparke.
Und hier produziert sich »Karl, der Starke«
und begeistert durch diverse Flausen
Pupen sowie Puppchen zu Applausen,
bis zuletzt, wenn schon die Blitze schwirren,
Glieder so und so sich toll verwirren.

Und seltsam unfaßbar die Geisterstimme singt:
»Am Wasser, am Wasser, am Wasser bin ich zuhaus . . .«
Und jeder die Seine schließlich heimwärts bringt,
und in den Schlafstuben die Lichter löschen aus,
der Sipo stapft ums Karree- - -
Und prasselt der Regen aufs Fensterbrett,
dann liegt die Nixe geborgen im Bett,
und auch der kesse Wannseekadett,
und er sticht nur im Traum noch in See.


Zusatz:
das Gedicht hieß ursprünglich „Paulsbronner Freibad“ und die letzte Strophe lautete:


Und seltsam unfaßbar die Geisterstimme singt:
»Am Wasser, am Wasser, am Wasser bin ich zuhaus.«
Und einer den andern besoffen heimwärts bringt,
und in den Ehgelassen die Lichter gehen aus,
und wieder im Grunewald war Liebesauktion,
und wer etwas wagte, gewann einen Preis,
und es traf sich Student, Offizier und Konfektion,
und die Luft stinkt gleichweis, ja gleichweis!


05. 07. 1924

Gang in Armut

Die Fahnen hassen, aller Farben,
und immer einsam sein und an den Gärten
vorüberwandern und in Sehnsucht darben
und immer schroffer seinen Haß verhärten:

und Blumen lieben, unbeachtet schlichte,
wie sie in kleinen Dörfern nur gedeihen,
und Tiere lieben und sich im Gedichte
dem Grabenschmutz, dem Staub der Straße weihe

ist das Entsagung oder selbstgewählte
Art, die Enttäuschung stärker zu bestehn,
die tausendfache Lockung, die mich quälte
stumm in der Tracht der Armut zu umgehn?

Doch andre haben in dem Grün, dem kargen,
des Schrebergärtchens jenes Glück besessen,
das ich verleugnen möchte und einsargen
und anspruchsvoll verachten und vergessen.

Und lieber klagen, darben, rastlos wandern,
vertrieben aus des Paradieses Gärten
mich selber hassen und auch alle andern
und immer finstrer meinen Haß verhärten!


18. 08. 1924

Meine Liebesheimat

Sonst ist mir keine Heimat mehr beschieden
als dieser Traum von dir, der noch die Nacht
der freudelosen Fremde traulich macht
und einfügt in den süßen Abendfrieden.

Zu wissen, daß dein Herz mich stets erharrt,
und kam ich noch so spät von böser Fahrt,
und hätte dein Gedenken schlecht bewahrt
und unterwegs mich in ein Nichts vernarrt!

Zu wissen, daß mich deine Wünsche schützen,
wagt' ich mich auch auf dir verhaßte Pfade,
daß immer wieder deiner Sanftmut Gnade
mich aufhebt aus der wüsten Wirrung Pfützen

Sollte ich dir wie Kätzchen nicht gern fügsam
und nur in deiner Huld geborgen sein?
Ach, allzu oft begehrt ich fremden Wein
und schwärme aus, gierig und ungenügsam!

Um immer wieder reuig heimzufinden,
weil nirgends in der Welt mich jemand liebt
wie du; weil jede Lockung schon zerstiebt,
noch eh die Sterne einer Nacht entschwinden.

Da war Musik, ein Zufall, waren Frauen,
die, kaum erblickt, schon ihren Reiz verloren,
und alles schwieg so feindlich, daß wir froren
und fürchteten, dem Nachbar zu vertrauen.

Und wollten dennoch sprechen und vergaßen
das Wort, daß keiner seinen Freund verstand.
Nur dessen harrte noch ein Heimatland,
den jemand liebte über alle Maßen.

Doch ich kann stets nur im Gedicht dir sagen:
»Du bist als einzge Heimat mir beschieden!«
Sonst hab' ich jedes Liebeswort gemieden
aus Scham vor allzu viel verlornen Tagen.

Ist es zu spät schon, alles gutzumachen,
was ich aus Lässigkeit und Leid versäumte?
Weil ich nur stets von unsrer Liebe träumte,
ist es zu spät, zu ihr nun zu erwachen?

Magst du dem fast verlornen Sohn vergeben,
der allzuspät heimfand, verstört und müd?
Er weiß jetzt, wo allein ihm Heimat blüht.
Wenn du ihm winkst, darf er noch einmal leben


08. 1924

Schlimmes Lied

Mein Vater war ein armer Taps,
der nichts vom Leben hatte,
ging nie in Puffs, soff keinen Schnaps
und war ein treuer Gatte;
doch meine Mutter kam zu kurz:
er wusch sich vierteljährlich,
er ließ vor ihr nie einen Furz,
doch war der Beischlaf spärlich.

Das letztere hab' ich geerbt,
sonst nichts von seinen Gaben -
die Frau, die sich die Lippen färbt,
würde mich lieber haben.
Mein Ideal ist: Suff und Puff,
sind Bildchens, wüst und nackicht,
und gegen Reiche feste druff
und gegen Kronen zackicht.

Mein Vater war ein seiger Narr,
starb leicht und gottergeben.
Wenn ich in meinen Spiegel starr',
reut mich mein ganzes Leben!
Flieh' ich (eh mich der Morgen weckt),
mich selber nicht zu kennen
und hoffe, schmerzlos bald verreckt
als Höllengrog zu brennen.


Herbst 1924

Künstlerkneipe

Die Filmkomparserie spielt »Künstlerkneipe«,
das heißt: die Nebbichs lärmen wie zu Hause;
als Flimmergrößen sich die Nutten geben,
um bei den Schnöseln ihren Preis zu heben,
die hier den Wilhelmshallen-Bummel schließen,
das »heitre Bühnenvölkchen« zu genießen.
Schon prangen Hakenkreuze, kräftge Worte
bei den obszönen Sprüchen im Aborte,
das grelle Schnarren im Kasinotone
paßt gut zu dem Galizierjargone,
mit dem man kleine Kunstgeschäfte tätigt
und gegenseitig sich den Ruhm bestätigt.
Ein grüner Volontär vom Filmkuriere
(das heißt: er zahlte drauf für sein Geschmiere)
heimst als allmächtiger Kritiker devote
Liköre, Rendezvous und Abendbrote,
und einer, der ehrgeizger Dilettanten
Vermögen einstreicht, sie zu weltbekannten
Autoren stracks zu machen, darf im Mangeln
von Besserm hier sich neue Opfer angeln,
als zünftiger Verleger schon gewertet.
Die Fotos derer, die ihr einst verehrtet,
hängen von früher her noch an den Mauern,
daß kunstbeflissne Spießer mit Bedauern
sie neugierig sich zeigen und sich lüstern
wohlig erregt pikanten Tratsch zuflüstern.
Die Kellnerin benutzt die animiert
großzügige Stimmung, wenn sie einkassiert,
selbst der Jurist läßt hier sich menschlich frei
und dünkt sich Künstler, tatscht er sie dabei.
Und hin und wieder, halb besoffen schon,
in wilder Laune, Ironie und Hohn
kehrt hier sogar ein echter Künstler ein,
um am Büfett inkognito zu sein.
Dann wächst die Wirtin in die Zeit zurück,
wo wirklich ihr Lokal der Künstler Glück
und Trostoase war. Sie plauscht gemach
von altem Ruhm, und rechnet heimlich nach
am Nepp von heut die mehreren Prozente.
Und freigehalten wird der Prominente.


28. 10. 1924

Sehnsucht nach einem Gefährten

Bin ich nicht auch des Gefährten wert,
wie die andern ihn finden?
Eh er sich zärtlich nach mir umkehrt,
möchte sein Blick erblinden!
Jene hocken in den Cafés
und beschwatzen die Jahre,
wenn ich meines Gethsemanes
tragische Stunde erfahre,
und sie bleiben sich lästig und leer,
rascheln wie Laub durcheinander,
sind keine Freundschaft, - nur der und der,
fremdes Zufallsgewander.
Treffen sich trostlos und trennen sich kühl,
Schatten der gleichen Sekunde,
weisen als Zeichen im Alltagsgewühl
sich die prahlende Wunde,
die der eigne Stolz ihnen schlug,
sich damit tückisch zu brüsten,
jeder schmeichelt sich mit dem Trug
von verstiegnen Gelüsten,
jeder hört nur das eigne Wort
donnernd die Himmel durchgrollen,
und sie spielen als Mumien noch fort
ihre Größenwahnsrollen,
leben und sterben unbelehrt,
aber gleich tausenden andern!
Warum bin ich keines Freundes wert,
mit ihm zu Grabe zu wandern?


01. 11. 1924

Eitle Trauer

In meiner eignen Traurigkeit gefangen,
Leidseligkeit, die doch unselig lähmt,
sitz' ich nun einsam, kraftlos und beschämt,
und war' so gern zu einem Fest gegangen.

Das ich mir selber ohne Grund versagte,
nur weil ich mich in Bitterkeit verbiß,
die nutzlos, selbstgewollt und ungewiß
halb schadenfroh war, halb sich selbst beklagte.

Ich möchte jetzt die Nacht der Stadt durchjagen
in ganz verhangnem Wagen, daß kein Bild
von draußen mich berührt, nur trostlos wild
die Regenschauer an die Scheiben schlagen.

Und dann auf freiem Felde halten lassen
und ganz allein zurückgehn sonderbar,
durchnäßt, vom Sturm umheult, stets in Gefahr,
und mit ihr spielen und mich selber hassen.

Und würde doch nur wieder heimgelangen
in meine Einsamkeit, die mich so lähmt.
Und wieder war' ich, kraftlos und beschämt,
in dieser blassen Traurigkeit gefangen.


Ende 11. 1924

Der Überlegene

Schon bin ich zu wissend, um eitel zu sein,
und allzu leicht muß ich weinen.
Kehrt wirklich der Engel bei mir ein,
wird er mir der Teufel scheinen.

- Dem eitlen Dichter, der mehr als ich gilt,
ist nur das eigne Ich heilig,
kam' der Teufel zu ihm als sein Ebenbild,
hätte er's mit der Huldigung eilig. -

Die Pferde stampfen im Stall nebenan,
es kratzen die Katzen am Rasen,
vor dem Fenster gespenstert ein Lebemann
renommistisch mit seinen Ekstasen.

Ich halt' ihm nicht stand, ich bleibe zu Haus
und gefalle mir selbst als Philister.
Das Theater ist sowieso mitternachts aus,
der Betrieb wird trister und trister.

Die Omnibusse sind überfüllt,
Betrunkne reden vernünftig,
und wer sein Elend jammernd enthüllt,
ist als Bettlerklubmitglied zünftig.

Es schmückt sich der Wahn mit dem Edelstein,
der Stolz will Demut scheinen.
Ich bin zu wissend, um eitel zu sein,
und allzu leicht muß ich weinen . . .


04. 12. 1924

Kadettenkomödie

Auf der Flußpromenade spielen die letzten Kadetten,
die den Urlaub überschritten voll Galgenhumor,
Verstecken in den dunklen Bosketten,
in denen sich glücklicher oft ihr Lieben verlor.

Sie kichern sinnlos und halten die Seitengewehre,
unnötigen Lärm zu vermeiden, krampfhaft gefaßt.
Eben noch schnarrten sie in der Weiberkneipe: »Auf Ehre!«
»Kamerad, heil!« und werden morgen sicher geschaßt.

Der Gedanke ans Morgen läßt sie übertrieben
Abenteurer spielen und fessellos sein.
Wäre ein Mädchen hier, sie würden es lieben!
Und ihr Kaiser, wie scheint er jetzt bleich und klein!

Morgen wird sein Bild wieder drohend im Speisesaal blitzen
auf ihre gebückten Rücken, daß man sich schämt
der eignen Demut und zwingt sich, grade zu sitzen,
und wird doch im Stolz von des Leutnants Stimme gelähmt.

Leutnant zu werden, ist wohl vorbei. . . Man lächelt
mühsam über so törichten Wunsch und verbeißt
sich das Weinen, bricht einen Zweig ab und fächelt
nach imaginären Mücken, indem man nervös ihn zerreißt.

Wird mein Vater Major mit der Hundepeitsche
mich erniedrigen? Ob die Witwe Mutter klagt?
Ob unterm Geknall meiner Riesenpeitsche
bald die Virginiapost durch die Prärien jagt?

Bin ich im Burnus Räuberscheik, Menschenschrecken?
Hock ich verdrossen am Pult im Kleinstadtkontor?
Wurde Alice schwanger, wer wird mich entdecken?
Trifft mich jemals wieder mein Vater Major?

Plötzlich schlägt die Anstaltsuhr, schon der Stadttürme
          Uhren.
Es ist, als ob Mitternacht einen Geisterchor beschwor.
Die sich und andern eben noch Abenteurertreue schwuren,
kriechen nun vernichtet vor das Kasernentor.

Betteln, bestechen - verschwinden eingelassen
in ihre Betten und halten krampfhaft die Augen zu. -
Auf der Flußpromenade spielen die Schatten der Kadetten
höhnisch Blindekuh.


Weihnachten 1924

Arme Weihnacht

Ach, heute abend nah ich mich voll Scham,
und dich enttäuschen meine leeren Hände.
Der früher stets mit einer Spende kam,
blickt, selber arm, auf arme graue Wände.

Kein Bild, kein Lied, kein Hauch vorüberstreift
von einem Pilger draußen auf den Steinen,
nicht einmal eines Baumes Schatten greift
in dieser Stube dunkles Weihnachtsweinen.

Der Blinde mit dem Hund am Kaufhaus stand -
ich ging vorüber, und ich war verloren -
der Bettler mit dem Christkind an der Hand,
das ihm die Hure zum Verderb geboren.

Es mischte sich das prahlende Geläut
der Kirchenglocken mit dem Autolärme. -
Wie hat mich einst dein froher Blick erfreut,
indes ich heut vor deinem Leid mich härme.

Heut nah ich arm, der doch das ganze Jahr
sich sehnte, diesen Abend zu erleben.
Daß ich dir stets in Liebe nahe war,
nur dies Bekenntnis kann ich heut dir geben.


Gedichte 1924 - 1941