Gertrud Kolmar Napoleon und Marie

Napoleon und Marie

(Posthum erschienen im Wallstein Verlag, Göttingen 2010)

Maria Walewska von Francois Gérard
                           Quelle: Wikipedia


Inhalt
 

* * * (Die Alte hat das Kästchen heimlich hergestellt...)

Murat

Das Zeichen

Stolz

Im Morgen

Geschichte

Das Schwertlied

Die Sterne

Junot

Seine Heimat

Spuk

Lied

Rustan

Pastell

Vergib

Die kleine Flöte

Steig' auf!

Nichts

Irgendwo in Rußland

zurück zu Gertrud Kolmar die Gedichte


 

"Alle meine Gedanken kommen von ihm
Und kehren zu ihm zurück
Er ist mein alles, meine Zukunft
Und mein Leben"
                  Marie Walewska


*         *
     *

Die Alte hat das Kästchen heimlich hergestellt.
Sie schwatzte viel vom Fremden, der ihr's zugeschoben;
Nun hockt sie wohl am Bett und zählt vergnügt das Geld,
Ich hör' wie's hin und wieder leise klirrt und fällt
Und hab' den Deckel zögernd aufgehoben.

Auf samtnem Grund ein zartes zwiegeschlung'nes Band:
Ich liebe Perlen sehr. Ich lieb' ihr weiches Rinnen.
Sie flossen fein und leicht durch meine weiße Hand,
Sie rieselten herab wie köstlich kühler Sand
Und krochen träge hin wie kleine Spinnen.

Dann möcht' ich träumen, denn ich lächelte: »Despot!
Du sendest mir die Tränen, die dein Schwert vergossen.«
Das rote Sammetkissen schien mir blutig rot.
Ich lächelte im Traum; auch ich war ja bedroht:
»Glänzt so das Blut, das deiner Gier geflossen?«

Doch Graf Walewski harrte lange nebenan.
Da ging ich still und spielte Schach mit ihm und dachte
In Hohn und jähem Mitleid: »Müder alter Mann ...«
Und sah mich selbst den Tag nicht mehr im Spiegel an
Und bebte vor der Stimme, als ich lachte. -


 

Murat

Der König von Neapel ist sehr schön.
Der Marschall Duroc auch. Der König hat
Zigeunerlocken auf der nied'ren Stirne,
Die gelbbraun schimmert wie ein buntes Blatt.
Das Antlitz scharf - ein Falk stößt aus den Höhn!

Der König von Neapel blitzt und brennt,
Trägt Gold und Samt zu seinen stolzen Mienen,
Tief grünen Samt und Pelz von wildem Tier -
Und dient doch Ihm nur, wie sie alle dienen -
Er hat den Blick, der tausend Frauen kennt.

Der König von Neapel war mein Traum
Der letzten Nacht. Er stand am Schiffsmast da,
Ließ einen roten Mantel gierig lodern;
Sein Schwert war Silber, und er trat mir nah,
Lebendig, saftvoll, wie ein schlanker Baum.

Der König von Neapel war's doch nicht
In meinem Traum, denn dessen dichte Brauen,
Die sonst ein wirr Gespinst nur, schwanden hin
In meinem Traum. Und auch sein flackernd Schauen
Verblich zu ruhig-kühlem, grauem Licht.
Der König von Neapel war es nicht.


 

Das Zeichen

Dieses aber, sprach der Marschall Duroc,
Dieses sei dem Kaiser Wink und Zeichen,
Daß ich mich mit Seinen Perlen schmückte,
Seiner schönen Gabe, daß ich einmal
Meine rechte Hand zum Herzen legte:
Dieses sei das Zeichen, daß ich liebte.

Und der Marschall ging so hoch und trotzig,
Stark und fröhlich wie nach einem Siege.
Doch ich hörte, daß ich zornig lachte.
Und ich riß aus samt'nem Schrein die Kette,
Seine Kette, Seine schöne Gabe,
Warf sie wild, gleich gift'ger, ekler Natter
In den Winkel. »Mag ein Dieb sie finden!
Denn die Frauen Polens, edle Frauen
- Mag ihr Sinn auch tanzen - nein, sie gleichen
Nimmer noch den Dirnen Deiner Hauptstadt,
Die zu kaufen sind um Perlenschnüre!
Ob der Herr der Christenheit dich salbte,
Ob vor Deinem kleinen schwarzen Hute
Uralt gold'ner Kronen Glanz erblaßte,
Ob dir tausend gunstbegier'ge Schreiber
Tausend Reihen hoher Ahnen malen -
Als Napoleon bleibst du Bonaparte:
Erbe und Genoß der Königsschlächter,
Pöbelliebling, Held der Soldateska,
Roher Kriegsmann stets von nied'ren Sitten,
Ohne Maß und Feinheit, ohne Anstand:
Nein, dem stolzen Adel der Laczinski
Und dem alten Adel der Walewski
Darf dein neues Blut sich nie vermischen!«

Zornig blickt' ich in den breiten Spiegel,
Und der Spiegel lobte meine Schönheit.
Doch mich trieb's vom Leib die weiche Seide
Und vom Haar den Silberreif zu reißen,
Mich in fahlen Lumpen zu entstellen,
Daß mir nicht des Korsen Lust frohlockte.

Graf Walewski trat mit sachten Schritten
In mein Zimmer, küßte mir die Hände,
Und mein Herz ward seltsam kühl und ruhig,
Da der Greis nicht meine Lippen küßte. -

Regen klopfte an die Wagenscheiben.
»Meine Pferde, Isabellenpferde,
Eine makellose Krone tragt ihr
Dem Erobrer zu, und unzerbrochen
Sollt die stolzeste ihr heimwärtsführen« -
Ach, ich sah vor Seinem grauen Auge
Einer Silberkrone Glanz erblassen.

Flämmchen hüpften knisternd auf den Kerzen
Sterbekerzen überm Sarge.
Fremde Blumen blühten auf dem Damast -
Totenkränze auf dem Bahrtuch.
Und ich saß in Licht und Blumen schweigend
Saß an meinem Grabe!

Schwarzer Flor lag über meinem Herzen,
Schwarzer Flor war um mein Haupt gewunden
Und ich sah: An langer Tafel schmausten
Farb'ge Schemen, grinsende Gespenster.
Aber alle hatten seh'nde Augen,
Wahre, kühle, blasse, klare Augen
Dieses Menschen, der, mir gegenüber,
Auf mich blickte und der einzig lebte.

Und ihr Lachen ward mir hohles Klappern
Und das Reden ein geschwätzig Plätschern,
Und die leise Stimme mir zur Seite,
Marschall Durocs unablässig Raunen
War nur Windeswehn um eine Tanne.
Ihre Spitzen zittern; unberührbar,
Unerschüttert steht ihr Stamm.

»Dieses aber,« flüsterte der Marschall
»Dieses war das Zeichen, das Er wünschte,
Daß Ihr Euch mit seinen Perlen schmücktet.
Dieses war das Zeichen des Gewährens. -
Wollt Ihr, da die Gabe Ihr mißachtet,
Auch den Geber kränken und verhöhnen ?
Muß, der rings befiehlt, vergebens bitten ?
Dürft Ihr nur aus achtlos eitler Laune
Diesen, den zum Herrn der alten Erde
Nicht erst Papstspruch weihte, diesen Größten,
Den von Gott Berufenen verstoßen?
Wollt Ihr ja Euch selbstgefällig schmeicheln:
»Soviel tat ich einst um meiner Tugend,
Meines Gatten willen.« Euer Gatte!
O die dürre, ärmliche Berechnung!
Fühlt Ihr nicht ein Herz, seid Frau, seid Polin -
Und Er kommt, um Polen zu erlösen -
Doch, ich merk' es wohl, Ihr scheut sein Antlitz
Und habt recht: Ihr würdet auf ihn schauen
Und ihr sähet. Rings sind blinde Augen.«

So verglitt des Marschalls hastig Raunen
Wie ein Windhauch vor der hohen Tanne.
Nur die Krone rauschte leise: »... Feigheit...«
»Nein, ich will nicht ferner vor ihm flüchten!«
Offen, jäh, in einem kalten Hochmut
Ging mein Blick zum Angesicht des Kaisers.

Wut und Rachgrimm hätten mich gefestigt,
Gier und Glut den starren Stolz gehärtet,
Aber diese sonderbaren Augen,
Diese grauen Augen konnten glänzen,
Still, mit großem, freundlichem Erstaunen,
Mit dem sich'ren Lächeln eines Kindes,
Das nicht glauben mag, sein liebes Spielzeug
Bleib' noch lange ihm verwehrt. Ich sah es -
Ach, das Lächeln schlich in meine Seele,
Und was drin als Ehr' und Stolz genistet
Schien mir kleinlich törichte Verbitt'rung.
Ich gebot, die Diener mir zu rufen,
Ich gebot, die Kette mir zu holen.

Duroc schwieg. Von meinem bleichen Halse
Tropften Perlen weiß und eisig nieder.

Um mich neckten sich die flachen Schatten.
»Wißt ihr, daß der Abend nie mir endet ?
Denn Minuten hängen bei Minuten,
Glas'ge Tropfen, schwer von meinem Nacken,
Jäh erstarrt und können nie verrinnen.«

Drauf entgegnete der Marschall Duroc:
»Bald verwelkt sind diese frischen Blumen,
Bald verbrannt sind diese hellen Lichter,
Und die höchsten Stunden Eures Lebens
Gingen ohne Segen hin. Ihr habt sie
Nicht erkannt. Ihr konntet sie nicht halten.
Gebt das Zeichen, gebt den Wink der Liebe,
Daß Ihr Eure Hand zum Herzen hebet!
Kann Euch nichts verführen, Glück zu schenken,
Freude zu empfangen ? Nennt den Helden,
Der sich würd'ger Eurer Schönheit rühmte!«

Lauter zischelten die bunten Schemen,
Streckten Finger aus mit scharfen Nägeln,
Witterten mir nach mit spitzen Nasen,
Ließen Spott auf mich herniedersausen,
Fein, gleich dünnen Geißeln. Ich empfand sie.
»Ihm dient dieses Schwert,« schwur Marschall Duroc
»Und es sehnt sich sehr, auch Euch zu dienen;
Blank und fröhlich wie zu seiner Ehre,
Will's für Eure aus der Scheide hüpfen.«

Doch ich preßte nur die Lippen fester,
Dachte: »Will'ger Eifer eines Knechtes ...«
Und mein Ohr begehrte nicht zu hören,
Und mein müder Blick begehrte Ruhe.

Und mein Blick war auf dem gold'nen Leuchter,
Mit den matten Flämmchen einzuschlafen,
Doch die Flämmchen krochen zuckend weiter.
Und mein Blick fiel auf den kühlen Damast,
Aber kleine dunkle Lichterkringel
Spielten Haschen auf dem weißen Damast.
Und mein Blick glitt über die Gesichter,
Spähte suchend aus nach stillen Mienen,
Aber keins von allen hatte Stille.

Nein, ich kannte eine ernste Miene,
Doch ich wußte wohl ein tiefes Antlitz,
Und ich fand's und blieb ihm. Fremde Augen
Lehrten meine, wie das Schweigen redet.
Und ich sah - und konnte nicht erschrecken,
Eine Hand sich stetig sacht erheben,
Wie aus Marmor, groß, fast übermächtig -

Eine Ewigkeit in Augenblicken
Lag die Hand ganz still auf seinem Herzen …

»Denkt an Eure Heimat!« bat der Marschall
»Denkt an Polen! Denkt an Rußland, Gräfin!

Zögernd blickt ich auf mich selbst hernieder.
Und ich sah, und konnte nicht begreifen,
Leis am Tischtuch eine Hand sich heben,
Zart und zitternd und der meinen ähnlich,
Sah für ewig, ewig in Sekunden
Meine Hand auf meinem Herzen liegen--

Dieses ist das Zeichen, daß ich liebe.


 

Stolz

Worte möcht' ich, die so einfach sind
Wie ein Sonnenglanz, wie Wald und Wind.

Was nun ist, wird immer noch geschehn:
Daß zwei Menschen sich in Liebe sehn,

Oft noch preist Erinnerung der Welt
Einen Namen, der ihr bald entfällt.

Doch ich schwebe ob der Zeiten Schaum
Ewig, düst'ren Flügels blauer Saum.

Denn wenn Erde zuckt vor seinem Tritt,
Bebt mein Blut, mein glühend Ängsten mit.

Und dies Zucken, das den Namen spricht,
Das verzittert im Jahrtausend nicht!


 

Im Morgen

Die alte Silberuhr vorm Spiegel schwieg,
Als er hereintrat und rief fünfmal heiser
Und dürr und drohend, als er niederstieg.

Ich lag und fühlte flammend nach: der Kaiser!
Und hörte hastig hin und her ihn gehn.
Dann klirrten drunten seine Sporen leiser;

Er blieb am Fenster bei den Tischen stehn,
Drauf große Karten ausgebreitet liegen,
Ließ winzige papierne Fahnen wehn

Vor neuen, fernen, klingendhellen Siegen,
Die Namen tragen, eh' er sie gewann.
Die Generäle stampften auf den Stiegen. -

Ich wachte nicht, ich schlief nicht, lag und sann,
Bis aller Zweifel jäh verglomm in Zunder.
Ich sah sein Bild in meinem Herzen an

Und glaubte lächelnd an das große Wunder,
Daß er, der dort mit feinem Sporenklirr'n
Auf Kronen trat wie auf verstaubten Plunder,

Des Blick die Meere mißt, in dessen Hirn
Stets tausend Heere für den Weltkampf rüsten,
Sich bittend beugte über meine Stirn.

Daß Lippen, die vernichteten, mich küßten
Und daß dies Haupt, dem klein der Erdenraum
So sicher schlief an meinen kleinen Brüsten.

Das sah ich dankbar an; ich dacht' es kaum
Und lachte leise zwischen Traum und Traum.


 

Geschichte

Es ließ der Adel Polens zu mir senden
Und rief mich auf zum heiligsten Beruf:
Ich sollte, Flamme, gehn aus seinen Händen,
Den Stahl durchglühn, der Polens Freiheit schuf.

Es haben Männer mir den Brief geschrieben,
Und Männer schildern Ahasvers Gebot;
Wie dächten sie an stolzer Frauen Lieben,
Was wissen sie von scheuer Frauen Not ?

»Sie haßte ihn und schürte seine Triebe,
Sag': als sie schaudernd hinsank - war das Glück ?
Nein, ihres Volkes Qual galt ihre Liebe,
Und ihres Volkes Rettung war ihr Glück.«

Ich wusch wie Esther mein Gesicht in Tränen
Und lächelte dem Sieger schmerzlich zu.
Ach, meinem Herzen weint' ich meine Tränen,
Und meinem Lande lächelte ich zu.

Er war viel ärmer, denn er suchte Liebe,
Ich war viel reicher, denn ich hatte Glück,
Drum ward, was ich ihm schenkte, alles Liebe,
Und alles, was er raubte, ward mir Glück.

Und was mir Freude gab, das war sein Eigen,
Und wo er weilt, da soll mir Heimat sein,
Und wenn er redet, müssen Menschen schweigen,
Und wenn er schweigt - dann redet Gott allein.


 

Das Schwertlied
 

Es ist lange her, daß ich's in mir sang. Zwanzig Tage -
tausend Jahre.

 

Gießt mir Kugeln! Schleift den Degen!
O, ein Mann sein! Ja, ein Held!
Jubelnd einem Los entgegen,
Das ihn krönt, der trotzt und fällt.
Ach, was biegt statt bricht,
Kennt das Wehren nicht,
Nur sein Liebstes wirft es schutzlos in die Welt.

Laßt mich denn zur Lohe fliegen,
Die verbrennt, was sie begehrt,
Kann ich sinken, niemals siegen,
Schmelzt mich tief in euer Schwert!
Seinen ersten Schlag
Weiht dem bessern Tag,
Da ein neues Volk die junge Freiheit ehrt!

Laßt mich letzte Tränen weinen
In den Quell, der lange rann.
Meiner Seele Glut den Meinen!
Meines Leibes Blut dem Mann!
Komm', ich bin bereit,
Nun das Schwert geweiht:
Herr der Heere, sieh sein Ringen gnädig an!


 

Die Sterne

Zürne nicht! Ball' nicht die Hand zur Faust!
Tu sie auf, weit auf! Sieh, wenn du mich hörst,
Springen die hellen Sterne hinein.
Alle kenn' ich und nenne sie dir.
Ruhm ist der rote östliche Stern,
Der fallend kreist und kreisend wächst,
Bis er die Erde beschattet
Und dennoch Raum hat in deiner Hand,
Der Riese!
Das zackige, scharfe Gestirn heißt Macht,
Das hart herabsticht mit bläulichem Strahl,
Ehre hängt klar in der lautlosen Luft,
Ein großer, goldener Tropfen.
Sternenbrüder sind Sieg und Sang.
Welches ist deiner jetzt - meiner?
Folg' mir! Erkennst du unter dem Mond
Das scheue, schimmernd schwimmende Licht,
Rein wie ein Seelchen, leicht wie sein Hauch,
Stets überfunkelt von Ruhm und Macht,
Gottes kleinstes, sein liebstes Kind,
Das silberne Sternlein - Liebe ?


 

Junot

Wenig dacht' ich derer, die Ihm dienen,
Wenig kannt' ich sie. Von hohen Fenstern
Späh' ich gierig scheu wie nach Gespenstern,
Und ich suchte Ihn in Gang und Mienen.

Oft steht drunten Ney - aus Erz gegossen,
Kommt Berthier, der stets geschäftig gleitet,
Murat, der auf schwarzem Pferde reitet,
Und Davout, hart, finster und verschlossen.

Immer muß ich ihrer freundlich denken,
Denn der riß wie Er am Gartengitter,
Jener geht Ihm ähnlich. Und ein dritter
Weiß gleich Ihm sein prächtig Roß zu lenken.

Als ich gestern nacht von seinem Herzen
Zögernd ging in glücklichem Ermatten,
Dräute an der Stiege jäh ein Schatten;
Nur die Sterne waren meine Kerzen.

Junot stand und neigte sich. Mir graute,
Als der Dunkle zu mir trat im Dunkeln,
Denn er war ein einzig lech'zend Funkeln.
Ich begrüßte leise ihn und schaute

Und erblickte durch sein rotes Schweigen
Einen Dämon, dem auch Er zu eigen:
Ihm wird er der Kön'ge Häupter neigen,
Aber jenen in den Wahnsinn geigen. -


 

Seine Heimat

Und das Haus ward doch gebaut,
Und die Wiege ward gezimmert,
Drin er erste Worte suchte,
Lallend, stammelnd als ein Kind.
Und ein Vateraug' erlosch,
Doch ein Mutterherz steht offen
Für die Andern, für den Einen,
Bruder, dem sie Brüder sind.

Seine Schwestern schmücken reich
Ihre Schönheit, Königinnen,
Und die Mächtigen der Erde
Sind zu ihrem Dienst bestellt. -
Ach, wie Wunder scheint es mir,
Daß er eine Mutter krönte:
Sprang in harten Reiterstiefeln
Er nicht selbst in seine Welt ?

Und das Haus ward doch gebaut,
Und der Garten ward gesegnet,
Drin er erste Schritte übte,
Schwankend, strauchelnd als ein Kind.
Doch der Adler vom Gebirg
Griff ihn stark und riß ihn aufwärts;
In dem Nest am Felsenbusen
Küßten Sonne ihn und Wind.

Nackt entwuchs er seinem Kleid,
Seine Adlerbrüder kreischten,
Gierig schlang er blut'ge Beute,
Die des Alten Klau'n geraubt.
Darum ist sein Blick so fern,
Krallt sein Griff sich um die Erde,
Schatten zitternd Adlerschwingen
Über dem geliebten Haupt.


 

Spuk

Nachts nur wandl' ich oft weit durch den Park,
Manchmal gehen wir Hand in Hand,
Manchmal geh' ich allein; ich fürchte mich nicht.
Menschen, späte Wanderer, sind, die mich fürchten,
Wenn mein schwimmender Schatten
Durchs Gesträuche vorüberflieht.

Denn Er will, daß Sein Blick allein
Hingehn soll über meinen Leib,
Sein Blick allein
Hin über meine Seele.

»Es ist ein Nachtgespenst,« sagen die Bauern
»Es huscht durch den Garten, raschelt im Schloß;
Wer es sieht, soll sich hüten!
Denn keiner weiß, ob es ihm nicht
Jäh in den Rücken springen,
Nicht ihn mit Blindheit schlagen kann.«

»Es war früher nicht,« sagen die Bauern
»Es irrt durchs Schloß, seit der Kaiser einzog.
Wir fragen oft: Ist's ein Mahr, ein Vampir ?
Ist's eine sündige Seele ?
Vielleicht eines Abgeschiedenen Geist,
Ein toter Feind, der den Mörder
In zerfressenem Bahrtuche schreckt. -
Die Fremden erzählen uns gerne
Von blutigen Greueln, die Frankreich gesehn.

Es mag König Ludwig heißen
Oder höllischer Knecht, gesandt,
Des Kaisers Sinn zu verstören.
Nimmer wäre
Unwiderstehlich sein Heer,
Nimmer stückelte seine Faust
Alte Länder in Fetzen,
Wenn er nicht sein unsterbliches Teil
Längst dem Teufel ergeben.«

»Der hinkende Stacho, der Letzte im Dorf,
*Der Vieh verzaubern und Hexen beschwören kann,
Ist einmal nachts durch den Garten gekommen -
Er hat es selber erzählt -
Er ging an der Mauer entlang:
Alle Fenster schwarz, nur aus einem
Rieselte trübes Licht.
Der Vorhang war aufgerissen:
Tisch und Stühle und Bett
In einem kleinen Zimmer.
Und vor dem Bett in der Mitte
Stand eine seltsame fahle Gestalt,
Neigte sich über die Kissen,
Streckte die eiskalten Hände aus,
Schreckliche, spinnige Hände ...«

»Ja, so ist es gewiß,« sagen die Bauern
Den Großen der Erde schleichen
Verruchte heimliche Taten nach
Und ängstigen ihre Träume.« -
Nun aber will ich den Vorhang
Immer sehr sorgsam gebreitet sehn,
Soll nie der Späher erfahren,
Daß kein Spuk nur von Mord und Not,
Kein Gebilde aus Greu'l und Graun'n,
Daß ein Traum von Liebe sich neigt
Über des Weltherrschers Lider!


 

Lied

Es zog ein Klagen durch die Nacht,
Drin heiße Muttertränen rannen,
Es blies ein Horn von Wehr und Wacht
Und jauchzte mit dem Sturm von dannen.
Mir träumte von zerriss'ner Glut,
Von ehrner Schwerter scharfem Schein -
Da weckte klingend mich mein Blut
Und sang: »Ich bin nicht mehr allein.«

»Laß gehn, laß wehn das Wort im Wind
Von Schlacht und Macht und Heldentum;
In deinem Arm liegt's wie ein Kind
Und schläft: Das ist der Erde Ruhm.
Und leise schmiegt sich, während weit
Ein dunkelblauer Himmel fällt,
Dein Atem in den Hauch der Zeit
Und deine Brust ans Herz der Welt.«


 

Rustan

Auch ich werd' dir vorübergehn.
Ich weiß. Ich bin ein Tag, bin sonnenhell und heiß,

Ein Tag, der selig liebt und weint und lacht;
Du stehst, mir abgewandt, in kühler Nacht.

Der Mameluck in deinem Vorsaal stand
Bunt wie ein östlich Märchen an der Wand.

Ich lächle, wie er vor dem Schlichten gleißt,
Und bin ihm freundlich, weil er Rustan heißt.

Sein schönes, klares Auge schmeichelt mir
Gedankenlos, voll Fragen wie ein Tier.

Aus seinen weichen Sohlen kommt kein Klang,
Es schweigt von tausend Frau'n in seinem Gang,

Von armen Frau'n. Die ihm vorbeigestrebt
Zu dem, der packt und zwingt und zeugt - und lebt,

Der seine Seele lächelnd ihnen wehrt,
Der ihren Leib geworfen unters Schwert …

So purpurn ging ich wie die sünd'gen Frau'n
Zu dir, so warm und wild, in Glück und Grau'n.

Doch als vor deiner Tür ich Rustan fand,
Da ward mein Auge blind von eis'ger Hand.

So hat er viele, viele schon gesehn;
Ich weiß: auch ich werd' ihm vorübergehn.


 

Pastell

Ich weiß nicht, wer mir das Bild gesandt hat.
Es kam klein und schmal, in einem hellbraunen Rahmen,
Es kam ein Zettel voll Hohn dazu.
Überall sind neidische, hämische Menschen; sie wollen mich
   kränken,
Und mich kränkt doch nichts mehr! -
Das Bildchen ist schön.
Verwischte, verwehte Farben.
Es schimmert drüber hin wie ein Hauch von
   feinverstäubtem Mattsilber.
Das Mädchen ist ganz in Weiß und Rosa getaucht.
Auf ihrem jungen blassen Gesicht liegt zartes, zergehendes
   Lächeln.
Aber es ist ein Lächeln im Elend, und ihre Hand streckt sich
   aus nach Geld.
Sein Antlitz hat feinen, scharfen Riß wie der Kopf eines
   Vogels.
Ich find' seine Blicke nicht, er wendet sie zu ihr.
Sein Haar ist wenig gepudert, die Strähnen nachlässig
   geflochten.
Er trägt einen dunkelblauen, faltigen Rock, sieht mager und
   ärmlich aus.
Er neigt sich dem käuflichen Mädchen zu und berührt sie
   mit seinem Atem.
Und sie schmiegt sich eng an eine Gittertür des Palais
   Royal. -

Das ist ja nicht mehr.
Heute nacht wird er in meinen Armen schlafen
.


 

Vergib

Ich bin der flimmernde Kristall,
Der deinem Blute sich erschlossen,
Und unerschöpflich wie das All
Hat deine Kraft sich ihm ergossen.
Und unergründlich wie das Blau
Schien ganz mein Herz dich zu umfassen;
Ich ward die schamlos stolze Frau
Und fand mein Lob im Spott der Gassen.

Doch weh! Du hast nicht nur die Glut,
Du hast den Eishauch, der sie endigt,
Du bist die brausend laute Flut,
Die dumpfe Stille, die sie bändigt.
Du klangst in mir, ein Liebeslied;
O, mord' es nicht mit starrem Schweigen,
Mit düst'rem Blick, der tötlich sieht
Auf meinen lichten Träumereigen.

Vergib. Du mähst den Wiesenrain
Verächtlich mit den ehrnen Saaten;
Ich werd' ein flüchtig Randbild sein
Im ew'gen Buche deiner Taten,
Ich flatt're, zarter, bunter Fink,
Um eines Adlers Schwingenbreiten
Noch jauchzend, wenn ich sterbend sink'
Und seine Flüge sonnwärts gleiten!


 

Die kleine Flöte

Gern stürb' ich jung, doch Frühling müßt' es sein,
Die Erde duftend atmen, feucht und braun
Und leicht sich über meinem Herzen breiten.
Dies Herz voll Liebe, sinnendem Vertrau'n
Und rings durchblüht von frischen Zärtlichkeiten
Will bald aus seinem nied'ren Hügel schaun.
Mit Augen süßer Veilchen, die Er liebt.

Ich werde alt sein und den Winter sehn.
Mein blondes Haar wird mählich still verschnei'n;
Dann sitz' ich am Kamin im falben Kleide,
Ein krummgebeugt, zerknittert Mütterlein,
Dann bin ich in lavendelfarbner Seide
Ein Rohr von brüchigem, vergilbtem Bein,
Ein altes Flötenrohr, das nie mehr singt.

Es kannte nur ein kurzes Liebeslied.
Das ließ es klingen herzlich froh und schlicht,
Und ist's zerschellt an Kriegsgelärm und -dröhnen,
Es lächelt noch in alterAugen Licht
Mit einem zarten, zitt'rig wehnden Tönen
Und bittet, die ihm horchen: »Spottet nicht
Der kleinen Flöte, die dem Kaiser sang.«


 

Steig' auf!

Steig' auf! Steig' auf! Steig' auf!
Wirf deine gold'nen Flügel aus,
Und flieg in deinen Tag! Er steht dir weltweit offen.
Die Stadt ist Maulwurfsbau,
Dein Land ein zirpend Vogelhaus,
Drin Schwing' und Scheitel dir, du Wildling, blutig troffen.

Heb' auf die Brust ins Blau!
Die Sonne deine Kaiserpfalz!
Die Wolke schreck'! Sie kreißt. Laß krachend sie gebären!
Dein Fittich peitsch' die Flut
Und atme Duft von See und Salz;
Krall' Furchen in die Welt - Gott selber sä't die Ähren.

Steig' auf! - Mein Herz wird hell.
Aus seiner Enge wächst ein Traum;
Er dämmert rosenrot wie scheuer, süßer Morgen.
Das Leben küßt mein Herz
Als Hauch, als Glück, - als feinster Flaum.
Zwei Flüglein sprossen,
Halten es umschlossen
Und rauschen leis' schon deinen Flug: mein Herz ist ganz
   geborgen.


 

Nichts

»Du wirst dein Los in Gottes Wage sehn.«

Der Engel schwieg und zeigte himmelwärts.
Da sah ich wolk'ge Schalen wechselnd gehn.
Die eine zog herab mit schwerem Blinken,
Hoch blieb die andre, arm und farblos stehn.
Und in die arme, rechte glitt mein Herz.
Sie neigte sich und konnte doch nicht sinken;
Ein Hermelin lag schimmernd in der linken
Und Gold und Blei und blutbetropftes Erz.


 

Irgendwo in Rußland

Irgendwo in Rußland ist meine Seele.

Irgendwo in Rußland
Schickt der Sturm den Schnee in seinen Mantel,
Weint ein Glöckchen
Am Hals des Schlittenpferdes.
Das ist meine Seele.
Irgendwo in Rußland
Fliegt ein Rabe über weiße, weiße Felder,
Schleppt mein Adler
Mühsam die gebroch'ne Schwinge.
Hinter seinem Keuchen
Rieselt über weiße Felder
Eine lange Spur von Blut. -


zurück zu Gertrud Kolmar die Gedichte