Inhalt
zurück zu Gertrud Komar - Gedichte um 1920
FRÜHER ZYKLUS II
	Gott erhalte
	
	Erhalte Gott den Apfelbaum,
	Früchte seiner Blüte!
	Eines blieb Flaum,
	And'res wird Schaum,
	Doch überall Raum Für Güte!
	Eines war Traum,
	And'res ist kaum,
	Überall Raum
	Für Güte!
	
	Drum grüß' ich dich, du gutes Brot:
	Sink' ein, wach' auf, werde!
	Werde aus Kot!
	Wehre der Not!
	Stets nahm und bot
	Noch Erde.
	Hölle, die loht -
	Mutter, die droht -
	Mutter und Tod:
	Erde!
	
	Ihr reißt euch nicht von der Mutter los,
	Stolze, stille Gesellen
	Schmiegt euch mit Roggen und Reben im Schoß,
	Nährt euch an Brüsten, die schwellen.
	Schön, stark und groß
	Streicht ihr durchs Moos,
	Tiere mit feineren Fellen.
	Und trinkt aus den singenden Quellen.
	
	Nie euren Augen der grauliche Dust,
	Schauenden, glitzernden, blanken!
	Nie dies Du darfst und Du sollst und Du mußt,
	Dran eure Brüder erkranken.
	Äugt kaum bewußt,
	Träumend die Lust,
	Reckt ihr die sicheren Pranken.
	Und euer sind keine Gedanken.
	
	Erhalte Gott an Hang und Klamm,
	Die euer Blicken beglänze,
	Blume, Beere und braunen Schwamm,
	Falters goldroter Tänze
	Blühende Flamm',
	Grünenden Stamm
	Und euch auf dem Kamm
	der Grenze.
	Hier spritzt der Schlamm -
	Hier sperrt der Damm -
	Hoch übern Kamm
	Springt die Grenze!
	Der schöne Abend
	
	Abend, beide Hände voller Glück,
	Eile nicht so, bleibe, komm zurück!
	
	Auf den Gassen kehrt der Feger Gold,
	Denn ich schaue, wie es flirrt und rollt.
	
	Sonne tanzt, ein roter Kinderball,
	Denn ich fühle seinen Sprung und Fall.
	
	O ihr Sterne aus dem finst'ren Haus,
	Kommt, lacht diese tolle Sonne aus!
	
	O du Luft, du Duft von Blumenwein,
	Stürz' in meinen Becher dich hinein!
	
	Die ihr euch in weißen Schleiern weht,
	Bäume, o entwurzelt euch und geht!
	
	Winde, die ihr weiße Tücher schwenkt,
	Weist mir den, der eure Arme lenkt! -
	
	Meine Seele saß am Schienenstrang.
	Aus den Gleisen schütterte Gesang.
	
	Schnellzug mit dem schnellen, wilden Tritt,
	Hier bin ich, die Seele; nimm mich mit!
	
	Weil dein Rauchgelock so weiß verschäumt,
	Deine Flanke zitternd heiß sich bäumt.
	
	Jag' ihn, deinen heißen Leib in Nacht,
	Der dir roter Wünsche Funksaat facht.
	
	Nie e Flamm' mit deinen Lichteraugen drein,
	Schau Wirf dich ganz ins warme Land hinein! Nied
	
	Dran Röhre tief; mein Seelchen pfeift und zischt,
	Äugt Hüpft am Schornsteinrand im Wirbelgischt.
	
	Reckt Lautlos endlich übers dunkle Land
	Geht ein stilles Antlitz, Fuß und Hand.
	
	Meine Seele hebt sich hoch und bebt,
	Da sie hauchbleich seine Wege schwebt.
	
	Über einer grauen Mütze fern
	Blühe Glitzert Abend noch, ein blühnder Stern,
	
	Sinkt, die zarten Lider müd' von Glück,
	Klein und golden in die Nacht zurück.
	Die Männer
	
	Diese Männer sind alle gleich. Wenn sie aus den Wäldern
	   steigen,
	Haben sie sehende Augen und reden, während sie schweigen.
	
	Einer hat die weiten, lebendigen Lippen des Hirsches, des
	   jungen Rindes
	Witternde Nüstern, das trotzig unschuldige Auge des Kindes.
	
	Mag sein, daß vor einer Frau jenes Auge sich jählings
	   verdunkelt und flackt;
	Es züngelt und bohrt und zerrt ihre Kleider, und sie steht in
	   Scham, sie steht nackt.
	
	Einer weiß dem bunten Frohsinn der Mittagswiesen sein
	   Lächeln zu paaren;
	Abends und Waldes Kühle weht ihm von fahlen Händen
	   und Haaren.
	
	Einer hat die Marder belauert, ihren lautlosen Schlich
	   gestohlen,
	Aber den schwarzen, klugen, lebhaften Blick dem Raben
	   oder den Dohlen.
	
	Manche haben die goldenen Augen der Schlangen und Kröten,
	Stirnen von Bronze, die Blutflammen nicht einmal röten.
	
	Blutflammen, die heimlich ungehetzt, ungehemmt steigend
	   und sinkend sich bäumen ...
	Andere tragen ein Fell auf der Brust: Weibern zum Ruhen
	   und Träumen.
	
	Sie gehn von den Bergen in Städte mit durstigen Sinnen und
	   Munden;
	Aber Zeitschriften, Motorrad, Lichtspielhäuser wurden für
	   sie nicht erfunden.
	
	Doch sie zogen durch Rom, hatten Freunde im Ost, sind in
	   den Schwarzen Bergen gewesen,
	Und so haben sie alles gehört und gesehen und garnichts
	   gelesen.
	
	Denn sie können nicht lesen. Sie bergen mit dem Unwissen
	   stiller Tiere
	Krallen des Sperbers, Schlagzähne des Wolfs und die Hörner
	   der Stiere.
	
	Achtlos fanden sie wohl schon den seltsamen Baum mit
	   blauen gläsernen Blüten
	Oder kleine silberne Kronen, die grünliche Nattern
	   behüten,
	
	Wenn sie mit eisbleichem Mond, schwarzen Tannen
	   schneiende Nächte durchwandern:
	Stund' um Stund' - Schritt um Schritt - alle gleich – und
	   ähnelt keiner dem andern.
	Chronik
	
	Ich liebe dich nicht. Nein, dich liebe ich nicht.
	Ich liebte deinen Kameraden.
	Das Haar stand ihm in silbrigen Kornes Schwaden,
	Sein Lächeln - Erntesommers Licht.
	
	Er hat feine, helle Hände. -
	Deine Hände sind kantig, rauh und braun.
	Kluge Augen, die ruhig mich schaun
	Wie das vertraute Gelände.
	
	Wir sahen uns, Mann und Weib.
	Auf dem Hüttendach trommelte Regen;
	Müde warst du, durchnäßt von Wegen
	Ich wagte nur scheu dich zu streicheln: Bleib'.
	
	Wir sprechen ein wenig zusammen,
	Keines versteht des Anderen Wort.
	Unsichtbar prasseln kleine Flammen,
	Zucken auf, ducken sich ein, schwelen schwächer fort.
	
	Du bist das starke, schöne Tier
	Mit den glänzenden, freundlichen Blicken.
	Von geistigen Geschicken
	Weißt du nichts und weißt garnichts von mir.
	
	Mein munt'res Kleid ist dein Vergnügen,
	Mein Wuchs, dunkler Scheitel und hellerer Ton
	Ich suche in mir einen kleinen Sohn
	Mit deinen strengen, ebenen Zügen.
	
	Eines Abends die stundenlange Sekunde
	Stehst du, schaust fernhin, atmest schwer und stumm.
	Gewehrschultern, Gehen. Ich weiß nicht, warum.
	Die Flämmchen sterben am Grunde.
	Einmal noch wendest du um,
	Drückst meine Hand fest, sehr fest. Am Himmel strahlt eine
	   rote Wunde.
	
	Ich liebe dich nicht. Nein, dich liebe ich nicht.
	Meine Nächte träumen niemals von dir.
	Zwischen Tagespflichten blickt still nach mir,
	Braungolden, dein stolzes Zigeunergesicht.
	
	Mein Wein. Mein Brot. Meine Luft. Mein Licht.
	Trinklied
	
	Stürz' das Leben in die ird'ne Schale:
	Ist es dein,
	Blitzt es auf im bräunlichen Pokale,
	Schlürf es ein!
	Wie sich's eben
	Dir will geben,
	Wasser neben
	Herbem Wein.
	
	Wies's aus schmalem Spundloch zischend fließet,
	Heb' und halt's,
	Daß die Lippe stark und rein genießet
	Most und Malz.
	Kranker Mucker
	Streut erst Zucker,
	Armer Schlucker
	Greift ins Salz.
	
	Wermut: Her den Humpen, wirst ihn leeren.
	Einen Zug!
	Kräftig süßer Saft der Heidelbeeren:
	Nie genug!
	Duft der Lüste
	Nackter Brüste
	Spült die Küste
	Deinem Krug.
	
	Mit den Freunden fröhliches Gelage,
	Derben Schmaus,
	Saure Pflicht in grauverwölktem Tage,
	Trink' sie aus.
	Gierden fallen
	Rot, Korallen,
	In das Wallen
	Blanken Taus.
	
	Schwenk' den schalen Satz aus deinem Becher
	Trug und Schein.
	Was du selber zapftest, ernster Zecher,
	Und was dein,
	Werk der Hände,
	Kraft der Lende,
	Dunkle Brände,
	Das ist Wein!
	Der Fels
	
	Wenn düsterer, lastender Fels mit schwärzlichen
	   Wurzelfingern
	Langsam sich grübe vom Grund, stampfte in steinernem
	   Schuh
	Und zu schreiben begönne mit schwerem Schwanken und
	   Schlingern,
	Er wäre wie du.
	
	Auf seinen Lidern rastet noch Lichttau der Morgen,
	Breiter wölbt sich die Brust, buschig, bronzebestaubt,
	Wilde, wuchtige Vögel, im dunkelnden Tannhaar geborgen
	Fächeln sein Haupt.
	
	Kennt er die brütenden Schlangen, die zur Seite ihm
	   schliefen,
	Zuckend sich wälzen ins wuchernde Moos hinein?
	Ahnt er sein dumpfes Glühn, seiner heimlichsten Tiefen
	Glitzernd Gestein ?
	
	Lose, verflüchtende Wolken packt und zerreißt er mit
	   Klippen,
	Immer ist doch die Stirn unberührt, ruhig und schön;
	Schwer nur steigt Sprache auf zu den einsamen Lippen,
	Ernstes Gedröhn.
	
	So durch Jahrhunderte wandelt er, ohne zu wissen,
	Über das zitternde Feld trägt er schweigsam den Schritt,
	Achtet des Grasteppichs nicht und der blumigen Kissen,
	Die er zertritt.
	
	Manchmal steht er ganz still. Wenn in die Himmel, die
	   grauen,
	Furchtlos er blickt, der Sterne Reisen und Ruh'
	Sinnend nachgeht mit weitem staunenden Schauen,
	Ist er wie du.
	Wintermorgen
	
	Neig' dich wieder, neig' dich nieder,
	Glühendes Gesicht!
	Gern erwachen meine Glieder,
	Meine Seele nicht.
	Ihre Blicke, ihre Küsse
	Herzen deinen Traum,
	Fallen flimmernd, Silbernüsse,
	Ihm vom Sternenbaum.
	
	Sieh! Ich bin der dunkle Quader,
	Der vor Schätzen birst;
	Du - o meine gold'ne Ader,
	Wenn du mich durchirrst!
	Wird einst Wahrheit in mich steigen
	Mit dem Bergmannslicht?
	Woll' dich neigen, froh im Schweigen,
	Glühendes Gesicht.
	
	Immer muß ich dich betrachten,
	Der mein Tagwerk führt!
	Kann ich noch des Windes achten,
	Der das Kleid mir rührt ?
	Schellenrasselnd naht ein Schlitten;
	Fordert mich der Schwall ?
	Seine Fragen, seine Bitten
	Finden keinen Hall.
	
	Denn um mich ist Luft gewoben,
	Luft aus Schneearom,
	Flocken zittern nach von droben,
	Weißer, warmer Strom.
	Fremde Brunst und Kunst und Schlingen
	Sinken hier ins Grab,
	Wehn mit starren Schmetterlingen
	Lautlos von mir ab.
	
	Grauer Wolkenvogel, schütte
	Schwebend weichen Flaum,
	Deck' mir meine braune Hütte,
	Meinen Tannensaum.
	Schwelt doch blaß durch dein Gefieder
	Ferner Sonne Licht....
	Neig' dich wieder, neig' dich nieder,
	Glühendes Gesicht!
	Frühlingslied
	
	Ich strecke die Hand
	Über Frühlingsland;
	Mein Tüchlein winkt, wolkiger Streif,
	Mein Arm, deines Sonnrots verschimmerndes Band -
	So streck' ich die Hand
	Über Frühlingsland,
	Daß deine Rechte sie greif.
	
	Schon haben mein Haupt
	Liebe Lüfte belaubt;
	Mein Wälderhaar rieselt dir zu.
	Ein hellgrünes Zweiglein am Hange geraubt...
	Schon haben mein Haupt
	Liebe Lüfte belaubt,
	Und es wiegt sich in bebender Ruh'.
	
	Da flüstert dir wirr
	Durch Käfergeschwirr
	Ein Gruß, der dich lange verließ,
	Ein Lächeln in blaßroter Kelche Geklirr …
	Nun grüß' ich dich irr
	In Käfergeschwirr
	Und der Bienen golddunkelem Vließ.
	
	Ich heb' meinen Mund
	Aus dem Frühlingsgrund,
	Wenn immer dein Auge erwacht,
	Und trittst du ihn nieder, der glänzend und wund,
	In Frühlingsgrund
	Meinen blühenden Mund,
	Flammt er auf: als ein Stern deiner Nacht.
	Herbsttraum
	
	Schmutzig-bleiche Georginen betteln, Käfer sind
	   verklammt, Beete liegen brach.
	Meine kalten, schweren Füße schleppen meinem kleinen
	   Kinde nach,
	
	Das an einem Sommertag im fernen Bergeswalde kauert
	   unterm Tanngeäst
	Und die schnelle Quelle, blanke Schlange über seine warmen
	   Händchen schlüpfen läßt.
	
	Hier sind tückische, verderbte Pfuhle, faule Wasser, die es
	   niemals küssen darf,
	Eine alte Nacht mit dünnem bläßlichen Geäder und mit
	   kargen Sternen, spitzig, scharf.
	
	Hier ist noch Gestampf der Stadt, der Mühn und Lüste
	   Brodeln, Keuchen ew'ger Kämpfe zwischen Weib
	   und Mann,
	Und da kniet's und schaut mit großen reinen Augen seine
	   klare Freude an.
	
	Seine Lippen duften, feine rote Blätter; weiche Worte
	   wiegen sich wie Schmetterlinge drauf,
	Und in ihrem Zauberhauche schlagen meines Herzens
	   winz'ge, goldgetrieb'ne Pfortenflügel auf.
	
	Aus der schmalen Kammer, Samenregen, der im Herbste aus
	   des Mohns vermorschter Kapsel fällt,
	Stürzen rieselnd tausend, abertausend klein're Herzen und
	   verfliegen in der Welt.
	
	Surrend füttert eins im gold'nen Pelze durch das dichte
	   rötlichblaue Heidekraut,
	Eins, verstoßen in dem kranken Hund mit stillen, wehen
	   Augen irrt nur nachts und jammert weinend, laut.
	
	Manche glühen, Kohlenfunken in der Dampfbahn Kehle,
	   wenn sie brausend reist,
	Manche werden Fisches Schuppenhemdehen, das in Naß
	   und Sonne gleißt.
	
	Schwarze Hämmer schwingen die und klopfen eine Straße
	   ein,
	Jene warten, stumm und zart, in schönen Büchern zwischen
	   festgedruckten Reih'n. -
	
	Aber wenn mein Kind, mein liebes Kindlein seine Mutter
	   ganz vergißt tief unterm Tanngeäst,
	Weil ein buschig Eichhorn, eine flinke Echse seine frischen
	   Blicke tanzen läßt,
	
	Wenn es lacht, erzittern meine tausend Herzen; wenn's die
	   Hände öffnet, flattern sie ihm zu,
	Spielen, Hauch, mit seinen seid'nen Haaren, flüstern ihm ins
	   Ohr und nennen's streichelnd Du.
	
	Und sie winken, Blumen, seinem Haschen und sie nicken,
	   Gräser, seinem Tritt,
	Und im freundlich immergleichen Bachesmurmeln rollen sie
	   als Silberküglein mit.
	
	Ferne höre ich ihr singend Klingen, zucke auf, wenn hier
	   und da ein Tropfen klatschend stürzt
	In die alte Nacht mit Stunden wie mit langer schmierig -
	   feuchter Schleppe, die mein Traum barmherzig kürzt.
	
	Sieche Blumen sterben auf verfaulten Blätterlagern, Sonne
	   ward begraben unterm Sand,
	Meine nebelnassen, eis'gen Hände greifen angstvoll nach des
	   Kindes warmer, sanfter Hand.
	
	Und mein Herz ist noch die schmale Kammer, aber kahl und
	   kalt und arm, voll Not;
	Auf der Schwelle liegt die kleine gold'ne Biene mit
	   gekrümmtem Leibe ... tot.
	Der Obstbaum
	
	Bald wird es heißen:
	Gebt mir die Axt!
	Glieder, euch will ich reißen,
	Wurzel, daß du knackst!
	Ich bin der Baum
	Und ich begehre das Beil;
	Meine herbstlich braunen Äste
	Lodern nackt und steil.
	
	Weiße törichte Glocken:
	Nur kling und klang und klang und kling;
	Dunkle Rosen verlocken
	Ins Blut den Schmetterling.
	Gott schuf Dirnen in Glut
	Und den kleinen kalten Stolz,
	Schuf in Schleiern die Birke
	Mit bleichem, kühlem Jungfernholz.
	
	Die lächelten und klangen,
	Gemalter Tulpenmund,
	Die rot im Schoß empfangen,
	Unkraut, prall und rund,
	Dürfen dorren im Strahl,
	Im Winde wehn.
	Was seinem Wesen recht gelebt,
	Wie fröhlich mag das vergehn!
	
	An der Gartenmauer gezogen,
	Regenbeweint...
	Blüten sind ziellos verflogen,
	Sonne hat mich verneint.
	Ich bin der Obstbaum:
	Ein Arm, der mich schlägt!
	Wen freut der Pfirsich,
	Der niemals Früchte trägt!
	
	Fäulnis soll mich fressen,
	Schnee am Scheitel blühn.
	Lieber in prasselnden Essen
	Splittern und glühn!
	Ich bin der Obstbaum,
	Und ich will meinen Tod,
	Wenn noch die einzige Frucht verfällt,
	Die in meiner Krone loht!
	Mein Sohn
	
	Ach, ich weiß schon, so wird's sein:
	Brüste muß ich neigen ihm, ihn tränken,
	Seinen kleinen Kittel bald verschenken;
	Lange Locken werden abgeschnitten,
	Und mit fröhlich unbedachten Tritten
	Hüpft er in sein sechstes Jahr hinein.
	
	Und ich weiß schon, so wird's sein:
	Bücher packen, rasch zur Schule laufen.
	Stifte schärfen. Geld! und Hefte kaufen.
	Zahl und Nam' will seine Träume haben,
	Lehrersprüche, Reden fremder Knaben
	Dringen in mein liebstes Köpfchen ein.
	
	Ach, ich weiß schon, er wird sein
	Seines Vaters Kraft und meine Schwäche:
	Hart und trotzig höhnt er, wenn ich spreche,
	Schlägt mit Wissen mich, das nie ich lerne,
	Und ich find' in seinem Augensterne
	Täglich heller einen kalten Schein.
	
	Und ich weiß schon, so wird's sein:
	Nächte dürfen glühn, ihn züngelnd drängen,
	Eine rote Pforte wird er sprengen,
	Läßt mein Blut in seinen Adern blitzen - -
	Aber ich will müd', vergeblich sitzen
	Eines Abends und bin ganz allein. -
	Am Strome
	
	Wenn ich dich trage, werde ich schweigen,
	Lächelnd auf glänzenden Ufern stehn,
	Neidlose Blicke den Fernen neigen:
	Wenn ich dich trage, werde ich schweigen,
	Nur noch horchen und sehn.
	
	Kann ich nicht reden, will ich doch singen:
	An meines Herzens verlorenem Grund
	Öffnet ein blitzender Vogel die Schwingen.
	Kann ich nicht reden mehr, will ich doch singen,
	Lied in Seele und Mund.
	
	Meine Gedanken, nach grämlichem Rasten,
	Schlammigen Kiels, in dem trägen Kanal,
	Wimpeln gen Himmel mit fröhlichen Masten,
	Füllen sich schwer mit den köstlichen Lasten,
	Früchten, Steinen und Stahl.
	
	Sonne badet die flimmernden Locken,
	Glitzernder Wellchen leises Gelach,
	Flügelnde Segel, schimmernde Flocken
	Werden vom brünstigen Lechzen und Locken
	Jungen Windes erst wach.
	
	Segelsehnsucht - nun, Möwe im Weiten,
	Laß' ich die schlagende Schwinge entwehn;
	Kann ich die Arme doch wehrlos nur breiten,
	Um in ein Nächstes, ein Kleinstes zu gleiten,
	Nur noch danken, nicht flehn.
	
	Wünsche, Erwartungen, Träume und Pläne:
	Föhrengeflüster haucht betend empor.
	Abend glimmt um verschwimmende Kähne,
	Und noch zwei reine, liebende Schwäne
	Ziehen langsam ins Rohr.
	Meinem Kinde
	
	O Sommervogel, mir ans Herz geflogen!
	Du samt'ne Biene, meinem Stock gewöhnt!
	O Sonnenblume, zu mir hergebogen,
	Und Quellenstimme, meinem Fels enttönt:
	Soviel Namen geb' ich dir,
	Die an Blume, Ding und Tier
	Mir ein graues Denken bunt verschönt.
	
	Die Unke stört nicht Gottes Feierstunde,
	Wenn sie mit feinen Glockenlauten weint;
	So hat der Schrei aus deinem zarten Munde
	Dem Weltgesange klingend sich vereint.
	Marmel in der Englein Spiel,
	Die der Himmelsbahn entfiel,
	War dein Auge, das achaten scheint.
	
	Und Sonne schlingt Gewirr von seid'nen Maschen,
	Das ob der reinen Stirn dir leuchtend weh',
	Die Strahlenfinger, die dein Händlein haschen,
	Beschenken's mit dem Duft von Brot und Klee.
	Flügel, die dir Arme sind,
	Rühren mit gelindem Wind
	Wellenglanz in einem Zaubersee.
	
	Mein Kind. Tier. Seele. Kirschbaum über Grüften!
	Du trägst die Knospe noch, trägst einst die Frucht:
	O laßt sie reifen, Schnäbel in den Lüften,
	Verschont die Wurzel, Nager in der Schlucht!
	Spreite grüne Blätter, Ast,
	Helles Schirmdach meiner Rast,
	Kurzer Rast auf steter, stiller Flucht.
	
	Ich schau' dein weißes Kleid. Das muß verderben:
	Die Jahre tasten, und ihr Abdruck bleibt.
	Du wirst erwachsen, und ich werde sterben
	Und keine Hand mehr sein, die Flecken reibt.
	Wahr' den Tropfen ungemischt,
	Der des Zeichens Spur verwischt,
	Das dir Welt in Haupt und Hände schreibt. -
	
	O Morgentau! O Lichttrank, den ich sauge,
	Da ich mich glühend dir herniederbück'!
	Komm, liebes, kleines, ungeübtes Auge,
	Komm, nimm dein Bild aus meinem Blick zurück.
	Birg es in der tiefen Truh',
	Und mein Lächeln leg' dazu,
	Einer Mutter zitternd, schimmernd Glück.
	
	Vergeh'! Geh', folg' der schmutzigen Laterne!
	In ihrer Spiegelgosse laß dich sehn!
	Dein Weg ist trübe; blank sind nur die Sterne,
	Die, dir verwölkt, an fernem Himmel stehn.
	Schließ' dich auf: im ärmsten Schrein
	Muß ein gold'nes Lämpchen sein;
	Zünde dir's, und du wirst sicher gehn.
	Die kleinen Kinder
	
	Die kleinen Kinder wissen nichts,
	Eh' ihre Flügel sterben;
	Sie freuen sich des Weltgesichts,
	An dem sie doch verderben.
	Noch sind sie Englein, rein und nackt,
	Die üben hüpfend Tanz und Takt,
	Daß sich die Wangen färben.
	
	Und wo sie greifen, blüht der Grund,
	Und ihres Plauderns Quelle
	Springt immer frisch vom süßen Mund
	Mit kleiner blauer Welle.
	Der bunte Falter küßt ihr Haar
	Und streift das liebe Augenpaar
	Mit samt'ner Schwingen Helle.
	
	Ein Vöglein irrt im Zauberkreis,
	Das kann ihn nicht verlassen,
	Und heben sie die Hände leis,
	So müssen sie es fassen,
	So herrlich golden grün und rot:
	Es pickt von ihrem "Weizenbrot,
	Es nippt aus ihren Tassen.
	
	Und was die kleine Kehle schwellt,
	Das sinkt als Aussaat nieder,
	Und wo ein Blumensame fällt,
	Da sprießen neue Lieder.
	Da grüßt der Turm, da wogt der Wald,
	Da wächst ein buntes Märchen bald
	Und duftet mit dem Flieder.
	
	Vergeßt ihn nicht, den Vogelschlag
	In eures Herzens Pochen!
	Ein Blick wird Stund', und Stund' wird Tag,
	Und Tage werden Wochen.
	Die große Sanduhr rinnt und rinnt,
	Und wenn das Leben ihr gewinnt,
	Hält's, was der Traum versprochen ?
	
	O ja, es hält, es hält viel mehr;
	Ihr müßt euch nur besinnen,
	Dann weht's in einer Mainacht her
	Und atmet singend drinnen:
	Ein Feuerfink, ein Quellengeist,
	Der Wolken tränkt, der Wiesen speist
	Mit eurer Tränen Rinnen ...
	Für dich
	
	In dem schimmernden Blutweintropfen, mein Sohn,
	Den dein schwankender Kelch verstößt;
	Meine Tochter, in einem seidenen Band,
	Das an deiner Hüfte sich löst;
	Auf altem staubigen Bücherbrett,
	In dem schweren, knarrenden Spind:
	In allen Dingen bin ich
	Für dich,
	Mein liebes Kind.
	
	Denn ich bin lange hinweggeeilt,
	Rost'ge Blätter umrasseln mein Grab;
	In meinem Schoße wirft Leben die Maus,
	Und der Regenwurm wühlt sich hinab.
	Ich schwänzle nachts mit den Mäusen im Busch
	Ich wirble, Laub, durch den Wind:
	In allen Wesen bin ich
	Für dich,
	Mein liebes Kind.
	
	Pack' deine Gedanken, schreib' sie, Sohn -
	Ich bin ja die Feder, die springt!
	Tochter, treib' deinen Frohsinn zum Tanz -
	Ich bin die Geige, die singt!
	Ich wache und bell' an der Kette im Hof
	Und werde räudig und blind:
	In deinen Dienern bin ich
	Für dich,
	Mein liebes Kind.
	
	Du setzest kein Glück in dein Herz, dein Haus,
	Ich kleid' es in Güte und Duft,
	Und Hügel, die hungernd dein Elend durchscharrt,
	Sind immerdar meine Gruft.
	Ich glühe mit fremdem bittenden Mund,
	Bis deine Lippe ich find':
	In allem Leben bin ich
	Für dich,
	Mein liebes Kind.
	
	Brich deinen Käfig, Adler, mein Sohn,
	Zerschelle mich gläserne Wand! -
	Die dich geliebkost, greift und zerreißt,
	Die dich in Jammer gebären heißt,
	Tochter! mein ist die Hand.
	Einst irr' ich in trauriger Lichter Glast,
	Die noch über Sümpfen sind:
	Und sinkst du, verlösche ich
	Durch dich,
	Mein liebes Kind.
	In des Brunnens Grunde
	
	In des Brunnens Grunde ist es kühl,
	Tanzt kein Sonnenstrahl und singt kein Wind;
	Eimer hangen hoch wie Glocken im Gestühl:
	In des Brunnens Grunde hockt mein Kind.
	
	Seine Wangen macht kein Lächeln hell,
	Süßes Lallen tönend seinen Mund;
	Schwarze Kröte wird sein lieber Spielgesell,
	Und die schnelle Assel wird sein Hund.
	
	Schritte steigen auf am Stufenrand,
	Augen stürzen funkelnd sich hinab;
	In der Schürze berg' ich scheu die arme Hand,
	Meine Lippen wend' ich lautlos ab.
	
	Denn die Lippe schweigt und blüht und spricht,
	Und die Hand zerquält sich am Gewind,
	Reißt an harten Strängen und bewegt sie nicht -
	In des Brunnens Tiefe friert das Kind.
	
	»Lieben will ich nicht so schatt'ge Brau'n
	Und den Adlerschrei im stillsten Wort,
	Nicht dem festen Stolz des Leibes will ich traun ...«
	Bettlerpfenn'ge klirr'n. — Er wandert fort.
	
	Fledermäuse treiben geisternd um,
	Leichter Nebel türmt den weißen Bau.
	Meine Seele ist voll Grauen öd' und stumm
	Und mein Haupt in Abendschatten grau …
	
	In des Brunnens Grunde ist es kühl,
	Starrt nur Finsternis, und Licht ist blind;
	Eimer hangen hoch wie Glocken im Gestühl
	In des Brunnens Tiefe schläft mein Kind. -
	Die Lieder von gestern
	
	Die Lieder von gestern,
	Entlodert im Blut,
	Verschwiegene Schwestern
	Von Flamme und Flut,
	Sie wurden im roten,
	Im herzfrischen Strahl,
	Sie trieben in Booten
	Auf flüss'gem Opal.
	Sie wurden im Roten,
	Sie tanzten auf Booten,
	Entdampften den Schloten
	Verwirbelnd und fahl.
	
	Die Lieder von gestern
	Entfliehen geschwind
	Aus zwitschernden Nestern
	In Wolke und Wind
	Mit Schreien der Schwäne,
	Mit heftigem Hauch,
	Mit tauiger Träne
	Vom duftenden Strauch.
	Mit Schreien der Schwäne,
	Mit lächelnder Träne,
	Mit stiebender Mähne
	Aus Funken und Rauch.
	
	Die klingenden Gläser,
	Die fangen sie auf,
	Das Singen der Gräser
	Verwirrt ihren Lauf,
	Das Schwellen und Reifen
	Errötender Frucht,
	Das Gellen und Pfeifen
	In Bahnhof und Bucht.
	Das Schwellen und Reifen,
	Das Gellen und Pfeifen -
	Ein goldiger Streifen
	Verfolgt ihre Flucht.
	
	Sie säumen, wo Blüte
	Der Linden sich streut,
	Wo Stille, wo Güte
	Den Becher uns beut,
	Kristallene Schale
	Die Ehre erhebt,
	Auf blauer Sandale
	Uns Freude entschwebt.
	Kristallene Schale!
	Du flücht'ge Sandale!
	Sie eilen zum Mahle
	Mit allem, was lebt.
	
	Im Schatten der Liebe,
	Wie sind sie daheim!
	Am wachsenden Triebe
	Erfüllt sich ihr Reim,
	Im Käfer, das Glimmen
	Ihm selbst nicht bewußt,
	In zirpenden Stimmen
	Befiederter Brust.
	In Glühwurms Entglimmen,
	Beglückteren Stimmen,
	In Immen, die schwimmen
	In summender Lust.
	
	O hütet ihn lange,
	Den heiligsten Baum,
	Der Amsel und Schlange
	Gewährt ihren Traum,
	Und rühret mit Singen
	Die dunkelnde Brau',
	Das zitternde Ringen
	Vergessener Frau!
	O lasset sie singen!
	Ihr Schluchzen, ihr Ringen
	Werft, purpurne Schwingen,
	Erlösend ins Blau!
zurück zu Gertrud Komar - Gedichte um 1920
	