Inhalt
I. Wärmt uns Denken warmer Sonne
II. Den Himmel hinter unserm Haus
IV. Abends, vorm bestirnten Feste
V. So willst du schon verlöschen, zarte Flamme
VI. Sprich: »Prag«, und so ist Prag, das ich nie schaute
X. Ergraute Wächter, die am Wege wohnen
XI. Ich kehre müde heim in später Stunde
XII. Die Tannenkette reißt. Ein Strom von Licht
XV. Die Mörd'rin Nacht hockt lauernd unterm Bett
XVI. Du bist nur, was sie sind
XVIII. Es war ein stolzer Mann
XIX. Was ich schrieb, erwuchs zum Baume
XX. Mädchen sind und Blumen gleich im Liede
XXII. Junge Kinder reden mit den Monden
XXIII. Arme, häßliche Frauen, in bunte Lumpen gehüllt.
XXVII. Es fallen Schüsse in den Bergen
XXVIII. Die Tage suchen einsam ihre Stühle
XXX. Abend klingt nach leisen, müden Geigen
XXXI. Schwarm schwarzgoldröckiger Bienen
XXXII. Ach! Immer so und immer wieder so
XXXIV. Sag', kannst du sterben ? O du Froher, Lieber
XXXV. Ich hab' mit bunten Ranken
XXXVI. Die graue Nacht ist mit silbernen Nadeln gerafft
XXXVII. Nun sagen alle, daß ich alt geworden
zurück zu Gertrud Komar - Gedichte um 1920
FRÜHER ZYKLUS III
	I.
	
	Wärmt uns Denken warmer Sonne,
	Wenn die Sonne wich ?
	Freut uns Weinen um die Wonne,
	Die in Alltag schlich ?
	Selbst in trübster Regentonne
	Sammeln Tropfen sich,
	Doch wer fing den Strahl der Sonne,
	Die im Frost verblich ?
	
	Du mein grauer Falk der Berge,
	Fandest du mich noch,
	Da ich, winzigklein wie Zwerge,
	Aus dem Tale kroch ?
	Warst du Räuber ? Warst du Scherge ?
	Sieh', mir bangte doch -
	O, der harsche Hauch der Berge,
	Der nach Rispen roch!
	
	Lieber, hieltst in nackten Händen
	Du nicht roten Wein,
	Fröhlich, ihn mir ganz zu spenden,
	Und ich sagte nein ?
	Durfte Sitte dir entwenden
	Dieses: »Du bist mein«?
	Einst muß alle Sitte enden
	Und ich elend sein.
	
	Wirst die Schale leer du schwenken, '
	Weil nur ich nicht trank ?
	Andern wirst du lächelnd schenken
	Heiter, hell und blank.
	Wer das Leben konnte kränken,
	Ford're keinen Dank
	Als: in Nacht des Lichts zu denken,
	Das ihm ewig sank.
	II.
	
	Den Himmel hinter unserm Haus
	Verhängt das lock'ge Laub der Birken,
	Die grau Gemäuer mit dem Strauß
	Von feinstem Filigran durchwirken.
	Die Wolke baut den finst'ren Turm,
	Den licht und linde sie umfächeln:
	So wehte einst durch Regensturm
	Dein sich'res, stilles, liebes Lächeln.
	
	Die Luft war schwer vom Erntetag,
	Verschlief sich träge in den Föhren;
	Kaum mocht' der Krähe Schwingenschlag
	Den breiten Felderfrieden stören.
	Rings Gras und Garben, sanft durchsonnt:
	Die weichen, schlaffen Farben glichen
	Dem Haar, das slavisch falbes Blond
	In zuviel Sommerglut geblichen.
	
	Am Weiher quoll die Lache noch,
	Drin trübe Wasser faul verschlammen;
	Die Sonne küßte warm das Loch
	Und Teich und Entenvolk zusammen.
	So stand dein Wort, dein steter Mut
	Gleichgültig hell ob Gut und Schlechtem,
	Vergoldend, wie's die Sonne tut
	Mit Ungerechtem und Gerechtem.
	III.
	
	Dein grünes Amtsgemach
	
	Spät pocht' ich an dein grünes Amtsgemach.
	Da schreinte Meister Specht ein neues Fach:
	
	»Befugte ohne Klopfen hier herein.«
	Ich schien befugt mir, also trat ich ein.
	
	Ein kleiner Wind fuhr pustend hin und her
	Und räumte die bepackten Tische leer,
	
	Trug das vergilbte Blatt an seinen Ort
	Und fegte aus den Winkeln hier und dort
	
	Den feinen Streusand, der verschüttet lag.
	Man sah's: Heut' war ein schwerer Arbeitstag.
	
	Noch stand die Sonne glühend überm Pult
	Und schaffte fort in heller Ungeduld,
	
	Zerriß die großen grauen Zettel rings
	Und warf die Fetzen bunt nach rechts und links.
	
	Sie hörte kaum mein Grüßen, als ich kam,
	Doch meine Bitte hörte sie und nahm
	
	Die gold'ne Feder hinterm Ohr heraus
	Und stellte mir den »kleinen Grenzschein« aus.
	
	»Ein Paßbild ?« fragte sie. Ich hatt' es nicht.
	Drauf schrieb sie mir den Ausweis ins Gesicht.
	
	Ich war's zufrieden, ich bedankte mich
	Und ging davon. Am Tore traf ich dich.
	
	Die rasche Hand, von Waldbeertinte blau,
	Ergriff den Schein. Du prüftest ihn genau.
	
	- Die Augen: goldbraun wie ein süßer Wein.
	Der Mund: sehr rot. Besond'res Merkmal: nein.
	
	Das Alter: Darf noch schaun, wie Liebe tut.
	Der Reise Anlaß: Freude. - »Es ist gut.«
	IV.
	
	Abends, vorm bestirnten Feste,
	Nach verglühter Mittagsruh'
	Wandeln wohl des Tales Gäste
	Meinem Bergwaldnestchen zu.
	Eltern, Kinder, Liebespärchen
	Füllen mir die Hütte bald,
	Tauschen flüsternd bunte Märchen
	Von den Wächtern und dem Wald.
	
	»Drüben am gekerbten Steine
	Liegt schon feindlich Machtgebiet;
	Ungern geh' ich hier alleine,
	Wo so nah' die Grenze zieht,
	Hört' ich doch, daß der sich segnet,
	Der, auf jenen Weg verirrt,
	Fremdem Grenzer jäh begegnet
	Und nicht gleich erschossen wird.«
	
	»Nein, das ist kein Menschenfresser -
	Rollend Aug' und strupp'ger Bart -
	Doch Erpresser, nicht viel besser
	Als die rechte Räuberart,
	Die, dem Geier gleich der Steppen,
	Stille Wandrer überfällt,
	Sie in Wildnis zu verschleppen,
	Und dann heißt es: Lösegeld!«
	
	»Dort den Tannensaum herunter
	Steigt sein Pirschgang - noch ist's still -
	Doch ich wehr' ihm, keck und munter,
	Wenn er mich vertreiben will,
	Hier ins Häuschen ungebeten
	Einzukehren sich erfrecht;
	Unsern Boden nur zu treten,
	Ist's sein Amt und das sein Recht?«
	
	Sieh! Gewehr und graues Röckchen -
	Alles harrt und späht und staunt,
	Schnitzt sein Messer sich ein Stöckchen,
	Blickt es bange rings und raunt,
	Ja, befragt auch mich, erschreckend,
	Ob denn wirklich die Gefahr,
	Und ein Lächeln schnell versteckend,
	Sag' ich sacht: »Es ist nicht wahr.« -
	
	Ach, wie mag die Lippe lügen,
	Sich das Ohr am Scherz erbaun,
	Mag mein Auge mit Vergnügen
	Dies verzagte Treiben schaun,
	Spott' ich doch der bunten Sagen,
	Die ein fürchtig Seelchen liebt,
	Nur, den Argen anzuklagen,
	Der den Fabeln Wahrheit gibt.
	
	Seine Bank stand warm und trocken,
	Und der Wind war feucht und kalt,
	Seine Stimme - schmeichelnd Locken
	In die Berge, in den Wald.
	Und er hat mir so gefallen -
	Du mein Graufalk, frei und schlicht,
	Deine beutesich'ren Krallen
	Sah ich im Gefieder nicht!
	
	Zuckend scharfem Fang entrissen,
	Irr' ich scheu, ein krankes Tier,
	Und sie kramen neues Wissen,
	Aber keines weiß von mir,
	Hört es, daß den Grenzpfad nieder,
	Der das fremde Reich beginnt,
	Immer wieder, immer wieder,
	Heiß und rot, mein Herzblut rinnt!
	V.
	
	So willst du schon verlöschen, zarte Flamme,
	Willst mir verbleichen, mein geliebtes Bild,
	Da aus dem Rahmenholz vom Tannenstamme
	Noch immer leis ein herber Harzduft quillt ?
	Kann auch ein dunkles Herz dich nicht verstecken
	Vorm gier'gen Strahl des Tages, der dich frißt,
	Nicht seiner Liebe Seidenvorhang decken,
	Was köstlich ihm und unersetzlich ist ?
	
	Das Haar wie Fell von kleinen, wilden Tieren,
	Nie dürft' ich's streicheln - soll ich's nicht mehr sehn ?
	Das kühne, rote Angesicht verlieren,
	Drin scharf am Mund zwei Falten Wache stehn ?
	Den braunen Stutzen, den die Schmuggler hassen,
	Den fahlen Rock, die Schritte, fest und still,
	Soll mein Erinnern sich entfernen lassen
	Und nicht mehr rufen können, wann es will ?
	
	Ja, muß ich Wuchs und Zug und Art vergessen,
	Die Herzenshöflichkeit, die erblich ist
	Und die erwirbt, nur wer sie längst besessen,
	Die Freud' am Frohen, die du selber bist,
	Die im Genusse fortflammt, nicht sich mindert
	Und die ein Tanz, ein Ton, ein Nichts entzückt ? -
	Kein glatter Ring, der deinen Finger hindert,
	Wenn er am Berg die reife Beere pflückt. -
	
	Ich treibe fort, und nichts, mich festzuklammern:
	Gedanken über mir wie Möwenschwarm.
	Ich darbe; denn das Brot in meinen Kammern
	Verzehrt die Zeit und macht mich bettelarm.
	Kein Buch, kein Brief, kein Blättchen, das ich hege,
	Ich brachte nichts zum Angedenken mit
	Als jenen blutbetupften Stein vom Wege,
	Dem schmal gewund'nen, den mit dir ich schritt.
	
	Gebärde, Blick und Spruch - o Sonnenstrahlen,
	Die vielen glänzten, die auch mir geglänzt,
	Verzittert ihr, kann keine Kunst euch malen:
	Grenzlos das Sehnen, doch das Sein begrenzt.
	Was ihr in mir erweckt, war starre Erde,
	Draus jetzt mein Lied wie frisches Keimen bricht
	O Wort, o Blick, o freundliche Gebärde,
	Euch wahr' mir Gott! Ich selbst vermag es nicht.
	VI.
	
	Sprich: »Prag«, und so ist Prag, das nie ich schaute
	Ein Goldreif, um der Moldau Arm gespannt.
	Sag': »Wien«, und Wien klingt, eine Wunderlaute,
	Die alles Süße, Liebliche uns bannt.
	Sprich von Neapel; wer Neapel baute,
	Hat seinen Herd mit Gottes Glanz entflammt.
	Sag': »Blauer Himmel«, und mein Himmel blaute,
	Ein Dach von gentianendunklem Samt.
	
	So viele, die ob uns'rer Sprache wachen,
	Daß auch in eurem Krug sie rein und hell,
	So viele, die ob eurer Sprache lachen
	Als Holzschuhschlurfen, rohem Hundsgebell.
	Sprich meine Sprache: und ich hör' das Krachen
	Des Schnitzwerks im durchsonnten Frauenraum.
	Sprich deine Sprache: und ich schau' den Drachen
	Am wilden, fremden, tausendjähr'gen Baum.
	
	Du nanntest Pflicht, und gleich darunter klebte
	Ein Bronzestock das Siegel, schwer und hart.
	Du kanntest Scherz, und alles Frohe lebte
	In deiner Hand, ein Vogel, flaumigzart.
	Und sahst du Trübes flüchtig an, es strebte,
	Dir's recht zu tun und wurde guter Ding';
	Du liebtest Nichtiges - ein Spinnlein webte
	Sein Taunetz, das den Morgenschimmer fing.
	VII.
	
	Allegretto
	
	Das eig'ne Gehn verdrießt den Fuß,
	Das auf den Fliesen klappert,
	Es widert ihn wie läss'ger Gruß,
	Verworren hingeplappert,
	Seitdem er weiß, wie leicht und weich
	Sich's schritt durch Moos und Kraut,
	Als er im grünen Amtsbereich
	Sich deiner Spur vertraut.
	
	Das eig'ne Wort mißfällt dem Mund,
	Der grob und achtlos redet,
	Ihm wird sein Schwatzen Feindesbund,
	Der scheltend ihn befehdet,
	Seitdem ein fremdes Lippenpaar
	Um seine Sprache stritt,
	Doch alle Sätze scharf und klar
	Wie Scherenbilder schnitt.
	
	Das eig'ne Sehn betrübt den Blick,
	Den jenes ungerührte,
	Verschrumpfte Weib, das Mißgeschick,
	Zu düst'rem Schauspiel führte.
	Und dennoch dünkt ihm unentstellt
	Das Werk aus Gottes Hand,
	Seitdem so schön, so froh die Welt
	Mit deinem Aug' er fand!
	VIII.
	
	Der Fink
	
	Der Fink, dem Körnlein munden,
	Der zwitschernd schwirrt und pickt,
	Die Früchte, die sich runden,
	Der Feldsaum, bunt bestickt,
	Libelle, die da schillert
	In grüner Bronze Zier,
	Das glüht und blüht und trillert,
	Und keines fragt nach mir.
	
	Erquicklich ist die Welle,
	Doch fremd ihr uns're Lust;
	Es spiegelt uns die helle
	Und tilgt uns unbewußt.
	So prunkt der junge Morgen
	Mit goldenroter Tracht
	Und lächelt, ohne Sorgen,
	Ob uns er lächeln macht.
	
	»O seht, daß keiner darbe,
	Wie Gott uns Gnad' erzeigt!«
	Nicht uns gab Gott die Garbe,
	Die heil'ger Last sich neigt.
	Sie ward, weil Sonn' und Regen
	Zu werden ihr gebot;
	Sie wirkte nichts als Segen
	Und wußte nichts vom Brot.
	
	Bei Lied und Licht und Labe,
	Da hab' ich des gedacht,
	Der kunstlos mir zur Gabe
	Sein Körbchen Glück gebracht,
	Der schied, als ich ihn scheute,
	Der schwieg, als ich bereut,
	Und all mein Leben freute,
	Als er sich selbst gefreut.
	IX.
	
	Prätorianer
	
	Die Sonne kochte. Staubig, steil der Weg.
	Doch sah ich dich von weitem schon. Du saßest
	An jenem Hang auf hohem Wiesenrande,
	Zwei unbekannte Männer neben dir,
	Die emsig fabelten von Geld und Welt.
	Du, in der Mitte, ducktest tief dich nieder,
	Daß über deinen Rücken hin sie sich
	Ereifern möchten, rupftest von den Rispen
	Um deine Füße, und du sprachst mit mir.
	Ein kleines Wort, ein Lächeln, eins ums and're.
	
	Der rechte Nachbar stieß dich ins Genick.
	»Das frag' ich euch, wie nennt ihr euer Böhmen ?
	Wohl lang noch Republik ? Ein Königreich,
	Das seinen König will! Und der wird kommen,
	Vielleicht ein Wenzel wie in alter Zeit...
	Je nun, der Name tut's nicht. Euren Staat,
	Die Legionäre haben ihn errichtet,
	Und somit ist er ein Soldatenlehn
	Wie's spät're Rom, und ihr seid Prätorianer - «
	
	«Da unterbrachst du, schütteltest die Rede
	Wie lästiges Gesumm von Haar und Nacken
	Mit einem halb verächtlichen: »Ach, geh'!«
	Von deinem dichten Haar und strichst es glatt
	Und wiesest, rückwärts langend mit der Hand,
	Mir den Propheten: »Der liest Zeitungen!«
	Als meintest du: »Ich lese niemals welche.«
	Du hobst die Stirn und spähtest scharf zum Grund »
	Drei schwarze Röcke klettern aus dem Kessel.
	
	Sind Fremde, scheint's. Das muß mir Zoll bezahlen,
	Wenn's hier heraus und dort hinein spaziert.
	Was fordr' ich ? Dreißig Kronen auf den Kopf.
	Sie werden's bringen, und es wird genügen.«
	X.
	
	Ergraute Wächter, die am Wege wohnen,
	Umziehn mich mürrisch stumm die Markensteine,
	Gediente Grenzsoldaten nach dem Scheine
	Der alten Tracht und Zier von Kreuz und Kronen.
	
	Das Neue kam und konnte sie nicht schonen.
	Ihr Häuflein hielt sich lange brav im Haine,
	Wich, schwer bedrängt, bergab erst bis zum Raine,
	Als hartes Trutzen nicht mehr mochte lohnen.
	
	Auf fremdem Posten blieben sie die gleichen,
	Bärbeißig, schweigsam wie in früh'ren Tagen,
	Doch jeden Scheitel schmückt ein schart'ges Zeichen.
	
	Und mich durchlief ein seltsam: Dürft' ich's wagen?
	Da ich mit dieser Hand, der atmend weichen,
	Das Mal bestrich, dem toten Stein geschlagen.
	XI.
	
	Ich kehre müde heim in später Stunde.
	Die Straßen schimmerlos, verwölkt die Sterne,
	Das Nächste weit, gespenstisch nah die Ferne
	Und schreckhaft gellend das Gebell der Hunde.
	
	Es sitzt ein Haus geduckt am Himmelsgrunde
	Im tiefen Bläulichgrau gleich schwarzem Kerne;
	Ein gold'nes Fenster bei sich als Laterne,
	Durchspäht's die nächtlich engbegrenzte Runde.
	
	Rings Niemandsland an namenlosen Wegen.
	So denk' ich denn, daß Deinem Dorf entgegen
	Mit meinem Schuh das liebste Mädchen schreitet,
	
	Daß heut' die Pascher du beschleichen müßtest
	Und, wie du droben dich zum Gange rüstest,
	Dein Licht mich schaut, mir zustrebt und mich leitet.
	XII.
	
	Die Tannenkette reißt. Ein Strom von Licht,
	Von lichtem Grün; ich juble in die Pracht.
	Dann seh' ich dich. Nimmst du's nicht auch in acht ?
	Du wendest still dich fort: »Der Wald ist Pflicht.«
	
	Ich plaud're hin mit munt'rer Zuversicht:
	»Wie zog' ich freudig hier auf dunkle Wacht!«
	Du lächelst leise: »In Novembernacht
	Mit scharfem Sturm und Schnee? Ich glaub' es nicht.«
	
	Du hörst mein Wort und denkst: »Ein Mädchen spricht's«
	Du blickst mir zu voll Nachsicht, freundlich fest
	Wie einem Kind und läßt dein Antlitz strahlen.
	
	Du weißt von uns'rer Scheinromantik nichts,
	Die uns am Tage des Gerichts verläßt,
	Und nichts von goldgetünchten Idealen.
	XIII.
	
	Glockenspiel
	
	Gold'ne Stunde! Gold'ne Stunde!
	Mußt du schwellen, mußt du fließen,
	Droben schäumend, still im Grunde,
	Hoffnung noch und schon Genießen ?
	Gold'ne Stunde! Kurze Stunde!
	Nicht Erfüllung, kein Entsagen,
	Lindes Scherzen, heit're Kunde,
	Innig freundliches Behagen!
	Gold'ne Stunde! Reiche Stunde!
	Waldesduftend, schnell vergangen,
	Wie im frischen Blumenbunde
	Welk die blauen Glöckchen hangen -
	Blaue Stunde! Liebe Stunde!
	Nichts gehalten, viel versprochen;
	Kaum berührt, an durst'gem Munde
	Ward dein Kelch mir jäh zerbrochen:
	Blaue Stunde! Gold'ne Stunde!
	Kannst du zweimal nie begegnen ?
	Süße Labe, bitt're "Wunde,
	Laß dich lieben, laß dich segnen,
	Gold'ne Stunde! Gold'ne Stunde ...!
	XIV.
	
	Dieses ist vergangen,
	And'res ist dahin,
	Zagendes Verlangen,
	Kummerfroher Sinn,
	Nächtlich leises Rufen,
	Weinendes Gebet,
	Knie'n auf kalten Stufen,
	Das umsonst gefleht.
	
	Wie wenn Leben wittert,
	Daß nach ihm ich greif,
	Fließt es fort, verzittert
	Wie ein Lichterstreif;
	Nur durchwachte Träume,
	Qualen, scheu und schwer,
	Stiegen, finst're Bäume,
	Wuchtend um mich her.
	
	Axt und Stamm zerspellte
	Blanker Beile Schlag;
	Meine Schmerzen fällte
	Scheidend jeder Tag,
	Bis ich buntes Wimmeln
	Jäh mir nahe fand,
	Unter nackten Himmeln
	Fremd und schutzlos stand.
	
	Hingestürzt die Leiden,
	Meine Blicke frei -
	Kann dem Einst ich neiden
	Den Verzweiflungsschrei ?
	Scheint mir unnütz Wähnen,
	Wie mir Sonne scheint ?
	Wein' ich hier um Tränen,
	Die ich dort geweint ?
	
	Ach, die herbste Stunde
	Schlägt gleich schnellem Schwert,
	Trifft mit tiefer Wunde,
	Deren Narbe ehrt;
	Hat sich, nimmer weichend,
	Stumpfheit mir gesellt,
	Wirkt ein Gift, das schleichend
	Ruhmlos mich entstellt. -
	
	Eines ist gegangen,
	And'res ist verdorrt.
	Kehre, heißes Bangen,
	Herzgefühltes Wort,
	Kranker Schwingen Spreiten,
	Sehnsucht ohne Macht,
	Schluchzend Armebreiten
	In die leere Nacht!
	
	Trübsal, die nicht trauert!
	Wehmut, die nicht wahr!
	Und der Morgen lauert,
	Der ein hell'res Haar,
	Das von totem Lieben,
	Meinem armen Kind,
	Einzig mir verblieben,
	Hinwirft in den Wind.
	XV.
	
	Die Mörd'rin Nacht hockt lauernd unterm Bett.
	Ich schlafe nicht. Nun wachst du weit entfernt,
	Und niemals hab' ich deinen Laut gelernt,
	Dein Lied. Nur eines.
	
	Daß ich dem Herzen sänge, wenn ich's müd'
	Mit Armen schütze wie mein krankes Kind,
	In dessen Träumen rote Augen sind
	Voll grausen Scheines.
	
	Sein Fieberblick gleißt heiß und fremd mich an.
	Es lächelt irre, streichelt Haar und Haupt
	Mit meiner Hand beseligt mir und glaubt,
	Es wäre deines.
	XVI.
	
	Du bist nur, was sie sind,
	Du hast nur ihre Habe;
	Dir flüstert nicht der Rabe,
	Dir redet nicht der Wind.
	
	Du weilst in ihrem Stand,
	Trägst Werke, die sie tragen -
	Der Becher wird zerschlagen,
	Das Wasser saugt der Sand.
	
	Kein Gott hat dir geglüht
	Und mit geheimen Kräften,
	Mit tiefsten Lebens Säften
	Die Stirne dir besprüht.
	
	Du führtest mich den Pfad,
	Den and're auch gegangen,
	Da sind nicht Zauberschlangen,
	Nicht Greife uns genaht.
	
	Kein Bergkristall, darin
	Sich Strahlen farbig brachen,
	War, was wir wandernd sprachen,
	Die Worte und der Sinn.
	
	Doch spielt' dein Lächeln fast
	Mir zu wie feine Flöte,
	Doch glomm am Moos die Kröte
	Mit märchendüst'rem Glast.
	
	Nicht du hast mich bekränzt,
	Die Hände mir gefaltet:
	Der Spaten schlägt und spaltet,
	Die wunde Scholle glänzt.
	
	Der Same sinkt und gibt
	Ein Blumenherz der Erde,
	Daß alles Wunder werde
	Der Liebe, die dich liebt.
	XVII.
	
	Dein Kamerad
	
	Dein Kamerad ist zierlicher als du,
	Geschmeidiger, wohl kleiner, sicher bräuner,
	Und wirr wie Wildgras wächst ihm Brau' und Wimper;
	Das deckt, wenn müd', den strolchenden Zigeuner,
	Den heißen Teufel seines Auges zu.
	
	Sein kurzes Bärtchen kohlschwarz wie sein Haar,
	Die Nase fein und klein: ein Südfranzose,
	Ein korsischer Bandit, in dessen Flinte
	Der Männer Tod hockt. Rock und Hemd wehn lose,
	Und Weibern bringt die nackte Brust Gefahr.
	
	Denn die ist bronzen, breit und prachtvoll; mich
	Verstört sein Panterschlich, das Koboldblitzen
	Der Räuberaugen, die geduckt in Wimpern
	So seltsam nahe beieinander sitzen.
	Dein Kamerad ist schön. Dich liebe ich.
	XVIII.
	
	Es war ein stolzer Mann,
	Ein König meinem Reich;
	Ich schau' dein Antlitz an
	Und form' es seinem gleich:
	Dasselbe schlichte Haar,
	Die Falte zuckt am Mund,
	Ein fahles Augenpaar
	In tiefer Höhlen Rund.
	
	Ich lege Bild zu Bild,
	Halb schlummernd, deins und seins,
	Der Nachtwind packt sie wild
	Und wirbelt sie in eins.
	Es rundet sich der Kreis,
	Schließt so der Ring sich zu,
	Daß kaum mein Sinnen weiß,
	Wo er beginnt, wo du.
	
	Er war wie unterm Schnee
	Erdrückter Föhrenast;
	Ich trug beglückt sein Weh
	Als eine liebste Last.
	Du, der du strahlen mußt,
	Weil sonnenklar dein Herz,
	Bist selbst wie hellste Lust
	Und bist mein tiefster Schmerz.
	XIX.
	
	Was ich schrieb, erwuchs zum Baume
	Dem ein Wurm die Wurzel fraß,
	Was ich las, verfiel dem Traume,
	Den der nächste Tag vergaß,
	Was ich heiß gedacht, verkühlte,
	Welle, die vor Wellen trieb,
	Was ich warm und liebend fühlte,
	Losch und lohte, starb und blieb.
	
	Tausendmal verscharrt, zerstochen,
	Traurig knisternd, trag' und leis',
	Tausendmal dem Schutt entkrochen
	Auf dem letzten dürren Reis,
	Tausendmal als schmächt'ge Lohe
	Hüpfend aus dem Aschenhauf,
	Flog die Glut, die tanzendfrohe,
	Breit entfaltet, siegend auf.
	
	Saß ich vor dem Tagebuche,
	Das zu schaffen Gott befahl,
	Draus ein Schurk, den ich verfluche,
	Stümmelnd Blatt um Blatt mir stahl,
	Schlich ich weinend in mich nieder,
	Sah ich's jäh wie Frühlichtschein,
	Schrieb ein gold'nes Lächeln wieder
	Die geraubten Seiten ein.
	
	Wenn sein altes Glühn der Hasser
	Grausam tränkt mit eis'gern Guß,
	Neue Liebe ist kein Wasser,
	Daß ihr Einst sie morden muß.
	Flamme, stärkt sie flackernd Beben
	Wie ein Kind sein Mütterlein,
	Schenkt der Schwachen lodernd Leben,
	Speist sie, stützt sie, hüllt sie ein.
	
	Hing das Fünkchen müd' im Zunder,
	Blaßt' dies Bild, das deinem glich,
	Wirktest du ein liebes Wunder,
	Und es wurde neu durch dich,
	Und aus allen Todesfluten,
	Über alle Schuttgefahr
	Winkten sel'ge Zwillingsgluten
	Ihrem gleichen blonden Haar!
	XX.
	
	Mädchen sind und Blumen gleich im Liede,
	Junge Männer, junge Adler eins.
	Augen sind und Sterne gleich im Liede,
	Harte Worte, scharfe Speere eins.
	
	Frauenlachen hüpft wie Quell im Liede,
	Mannes Finsternis und Fels sind eins.
	Seligkeit glänzt morgengleich im Liede,
	Stumpfer Jammer, dumpfe Nacht sind eins.
	
	Schlanker Falke scheint er, den ich liebe,
	Grau Gefieder und sein Kleid sind eins.
	Blasser Himmel dünkt sein Blick der Liebe,
	Stille Sonne und sein Lächeln, eins.
	
	Loses, weiches Haar wächst, mir zur Liebe,
	Haar und silbrig Felderwehn sind eins,
	Doch die liebe Stimme, die ich liebe,
	Ist sein eigen: ihr vergleicht sich keins.
	XXI.
	
	Ihre Tische deckte
	Graulich weißes Tuch;
	Als es ihnen schmeckte,
	Luden sie Besuch,
	Schmeichelten und baten,
	Drängten sich zu mir
	Mit verdorb'nem Braten,
	Schalgestandnem Bier.
	
	Zuckersüße Worte
	Reichten sie genug;
	Schnitt ich staub'ge Torte,
	Griff ich brüch'gen Krug,
	Gab den Mund ich leise,
	Augen tränenblank,
	Lobten sie die Speise,
	Schlürften sie den Trank.
	
	In beschmutzter Schale
	Schwamm ein Rosenblatt -
	Satt vom garst'gen Mahle,
	Schon vom Ekel satt,
	Würzt' ich, müd' und feige,
	Laugeword'nen Schmaus,
	Und wie läst'ge Neige
	Goß der Wirt mich aus. -
	
	Fröhlich grüne Sessel,
	Hab' ich euch verschmäht,
	Feste, schlichte Kessel,
	Schmucklos Eßgerät,
	Steingut, Holz und Eisen,
	Aber ganz und rein,
	Einfach gute Speisen,
	Kühlen, jungen Wein ?
	
	Ferne blieb dem Gaste
	Streichelwort und Witz;
	Hand, die herzlich faßte,
	Führte ihn zum Sitz,
	Füllte und kredenzte
	Ihm ihr klares Glas,
	Und sein Antlitz glänzte:
	Sag', gefällt dir das ? -
	
	Wollt ihr's nicht bekennen,
	Lippen, spöttisch stolz ?
	Werdet schamlos brennen,
	Wenn der Hochmut schmolz,
	Werdet qualvoll dürsten -
	Wollt ihr's nicht gestehn,
	Lieber, starre Fürsten,
	In Verbannung gehn ?
	
	Einmal mocht' ich prassen,
	Wo ich spröd gesäumt,
	Fand den Stuhl verlassen
	Und den Tisch geräumt.
	Hungrig, krank, verschmachtet
	Rief mein Herz sich her,
	Den es schnell mißachtet,
	Und er kam nicht mehr!
	
	And're mag ich locken,
	Tischgefährtin sein
	Bei verdorrten Brocken,
	Sauren Leckerei'n,
	Mag den Abhub essen,
	Den mir Laster bot,
	Und das Brot vergessen,
	Gottes süßes Brot!
	XXII.
	
	Junge Kinder reden mit den Monden,
	Kleine Kinder greifen nach der Sonne,
	Kinder rufen in den schlimmen Regen,
	Bittend, daß er ihrer schonen möge.
	
	Einen Gürtel wollt' ich von den Sternen,
	Ich begehrt' ein Krönchen von der Sonne
	Und hielt Zwiesprach mit der schlimmen Liebe,
	Bittend, daß sie meiner schonen möchte.
	
	Kleine Gemmen schenkten mir die Sterne,
	Auch die Sonne stickte mir ein Mützchen,
	Nur die Liebe war so unabwendlich,
	Unerbittlich blieb sie wie der Regen.
	XXIII.
	
	Arme, häßliche Frauen, in bunte Lumpen gehüllt,
	Sammeln Beeren auch hier, suchen und brechen die Reiser,
	Dennoch ist dieser Wald von vielen Wundern erfüllt,
	Und die Wege haben schon nirgends mehr Weiser.
	
	Aber die Grenzmale harren noch aus, die buckligen
	   Quadern,
	Untersetzte Gnomen mit grauem, wettergefurchtem
	   Gesicht,
	Weiße Kiesel liegen, durchsichtig, mit feinen, blutvollen
	   Adern.
	Der Abend findet ein rätselhaft totes, gleichmäßig glanzloses
	   Licht.
	
	Nach prasselndem Schauer erbaut sich ein farbiges
	   Doppeltor,
	Entsteigt den Häusern des Tals in zwei Regenbogen.
	Es leuchtet stark; daß doch die Stadt gewöhnlich sei wie
	   zuvor,
	Wird schnell von gestaltloser Hand der Himmel darüber
	   gezogen.
	
	Riesige Frösche hocken in Höhlen, mit breiten, zitrongelben
	   Brüsten,
	Heidelbeeren reifen, fast wie Weinbeeren groß,
	Der blaue Taghimmel braust wie ein Meer an die waldigen
	   Küsten,
	Und Sterne wandeln da nachts als nackte Mädchen durchs
	   Moos.
	XXIV.
	
	Dies:
	
	Zwischen seine Augen stumm den Mund,
	Einen wunderoten Falter setzen,
	Seines Kindes kleine Krokushände
	Mit dem Tau des blauen Kruges netzen:
	Das war' Erde mit den tiefsten Schätzen,
	Himmel mit dem höchsten Rund,
	Hölle, wenn ich nie es fände.
	XXV.
	
	Das große Feuerwerk
	
	Das große Feuerwerk ist nun verpufft.
	Und, tausend losgespritzte Fünkchen, hängen
	Noch kleine Sterne in des Dunkels Fängen.
	Die Nacht ist lang.
	
	Ich lehn' am Baum und sinn' am Himmel hin
	Und sehe wieder dünnen Sprühgoldregen
	Dem Teich enttanzen, sich vertropfend legen.
	Die Nacht ist lang.
	
	Weiß ist mein Hut, mein Kleid ist leicht; mich friert.
	Bleich blühten Chrysantemen ob den Wellen,
	Zerrieselten in sieben ros'ge Quellen.
	Die Nacht ist lang.
	
	Ich such' die Bank und warte, hart geduckt.
	Es duckte sich die Schlange, pfiff im Sprunge
	Und zischte rasend auf mit glüher Zunge.
	Die Nacht ist lang.
	
	Ich wärme meine starren Hände nicht.
	Aus Schwarz und Schimmer stieg ein Palmenfächer,
	Der zückte Silberspeere auf die Dächer.
	Die Nacht ist lang.
	
	Mein Auge schläfert, aber unterm Lid
	Kreist noch das Sonnenrad mit leisem Singen,
	Und grüne Ringe gehn aus roten Ringen.
	Die Nacht ist lang.
	
	Das große Feuerwerk ist längst verpufft.
	Zwölf Schläge tut es irgendwo im Weiten -
	Ich geh' wohl heim, weil so die Füße schreiten.
	Du kommst nicht mehr.
	XXVI.
	
	An der Grenze
	
	An der Grenze grüßt ein Haus.
	Wandrers Zuflucht, stammgezimmert,
	Schirmt's vorm Strahl, der ficht und flimmert,
	Wehrt dem Herbstwind, der's umwimmert.
	Oftmals späht ich von ihm aus
	Nach der Grenze.
	
	An die Grenze kroch der Schmerz,
	Lag im Busch als bunte Steine;
	Fand ich einen, ward's der meine.
	Schrittweis kehr' ich heim und weine,
	Und mir blieb mein müdes Herz
	An der Grenze.
	
	Auf die Grenze fällt bald Schnee,
	Stäubt und schlägt: Ein Weg erblindet,
	Der durch Tann sich aufwärts windet.
	Ob zurück ins Tal er findet ?
	Eins nur weiß ich wohl: ich steh'
	An der Grenze.
	XXVII.
	
	Es fallen Schüsse in den Bergen.
	Ich heb' die Hände still zum Herzen,
	Darum ein Kranz von Tempelkerzen
	Sich weinend totbrennt, schmilzt und tropft.
	
	Es fallen Schüsse in den Bergen.
	Ich fühl' an meiner Brust die Wunden,
	Die, roten Schreis, mit schaur'gen Munden
	Aus ihrem weißen Schweigen klaffen.
	
	Es fallen Schüsse in den Bergen.
	Mich will der Bahnzug meerwärts tragen,
	Doch scharf ins Hastgestampf der Wagen,
	In Dampfes Ängsten treffen sie.
	
	Unendlich traurig, groß am Fenster
	Stehn Wolken gleich umflorten Särgen.
	Es fallen Schüsse in den Bergen:
	Ich schlag' mein Herz auf, draus zu beten.
	XXVIII.
	
	Die Tage suchen einsam ihre Stühle
	Und sitzen nieder ohne Blick noch Wort.
	Der Abend weht. Sie schauern in der Kühle,
	Verhüllen sich, stehn auf und schreiten fort.
	
	Doch mancher war, der nicht gelassen blieb,
	Der lachend, weinend durch die Stunden tollte,
	Mich unbedacht in Gram und Jauchzen trieb
	Und zuckend festhielt, als er wandern sollte.
	
	Nur einer kam - im Kleid wie Gras und Sand -
	Er trällerte ein rotes Liebeslied,
	Nahm, da es Zeit war, lächelnd meine Hand
	Und legt' ein kleines Licht hinein und schied.
	XXIX.
	
	Ich habe Hunger
	
	Fragen stehn ja frei. So tret' ich in den Laden,
	Eh' ich länger forschend vor dem Fenster lunger'.
	Noch am Mittag lagen weiße Brote da und braune Fladen;
	Abends räumt man wohl die Borde leer. Ich habe Hunger.
	
	»Eine Semmel?« - »Alle sind verkauft.«
	»Ein Stück Schwarzbrot ?« - »Nichts ist überblieben.«
	Und der Bäcker drängt zwei Knaben fort: »Nehmt euer
	   Geld, und lauft!
	Morgen kommt! Heut' schließ' ich zu. Es schlug schon
	   sieben.«
	
	Doch am Ladentische wartet still ein Mann,
	Den die Frau des Bäckers kennt, ein großer, junger,
	Grauer Kittel. Wünschend seh' ich seinen Rücken an ...
	Er schaut um. Er ist es nicht. Ich habe Hunger.
	XXX.
	
	Abend klingt nach leisen, müden Geigen,
	Und das Blattgewirr des Birkenbaums
	Rieselt nieder in sein glühes Neigen
	Wie in eine Schüssel gold'nen Schaums,
	Die zu stummem, dankbaren Genießen
	Mir und euch, den Hungrigen, beschert,
	Deren blanke Ränder überfließen,
	Bis der Blick sie langsam, langsam leert.
	
	Sag': wo steht sein Tisch ?
	
	Nacht, du Mädchen, schenkst du dein Geschmeide ?
	Magst du bettelnd an den Hecken stehn ?
	Laß mich starre, schimmernd schwarze Seide
	Und dein scheues, tiefes Antlitz sehn,
	Woll' mit inn'gen, ungesproch'nen Bitten
	Bebend in die lichten Fenster schaun:
	Sieh', ich bin zu dir hinausgeglitten,
	Und wir wandern - zwei verlorne Fraun.
	
	Sag': zu wem sein Gang?
	
	Dann im schmalen Bette werd' ich liegen,
	Schlaflos, eine Erde in mich ziehn
	Und sie mütterlich zum Schlummer wiegen,
	Flur und Waldgebirg, ein Kind und ihn.
	Lautlos kann ich singen, schmeicheln, strafen,
	Kelch und Aug' sinkt endlich glimmend zu,
	Kind und Flur und Hochwald gehn mir schlafen,
	Und nur er - ihn küß' nicht ich zur Ruh …
	
	Sag': Wer küßt sein Lid ?
	XXXI.
	
	Schwarm schwarzgoldröckiger Bienen,
	Gehn meine Gedanken
	- Eine Königin unter ihnen -
	Sie schwirren und schwanken.
	
	Sie trinken den blühenden Apfelbaum aus,
	Suchen im dürren Gesträuche,
	Sie laufen durchs gelbe Haus
	Und üben seltsame Bräuche.
	
	Manche mit gläsernen Flügelein
	Gleiten auf von der Schwelle,
	Manche kriechen tief hinein
	Und baun ihre Zelle.
	
	Da ist ein stetes Gewander,
	Krabbelndes Her und Hin;
	Es scheint ein unnützes Durcheinander
	Und hat doch Sinn.
	
	An der Tür wie summendes, samtenes Tuch
	Ein Sich-klammern und -drängen.
	Honigduft, der Heidegeruch
	Von den böhmischen Hängen.
	
	Eine müht sich zum Licht,
	Sehr dunkel mit blassen Tressen:
	»Die mich besaßen, liebte ich nicht,
	Die ich liebte, haben mich nie besessen.«
	
	Die klein're Gefährtin, die listige, freche,
	Wispert Lästergeschichten:
	»Sein Amtsvorstand - weißer Schnauzbart, Tscheche -
	Nahm ihn mir fort - zu den Pflichten.«
	
	Durchsichtiger Häutchen Schimmern:
	»Er hatte nichts in Büchern gelesen.«
	Dann: Ein Kind ... sein Kind ...« dann Flimmern:
	»Und ein helles, glückliches Kind wär's gewesen.«
	
	Ockerbestäubter Botinnen Flug:
	»Der kalte Mut weiß zu gewinnen;
	Ich war warm, war scheu, nicht klug
	Rauschgift in seinen Sinnen.«
	
	»Klug sind, die nicht fühlen.«
	Verstümmeltes Tierchen schleppt sich schwer.
	»Auch in dir wird sich's kühlen,
	Härten, stumm sein und leer.«
	
	Barmherziges Ende dem kranken -
	O seht, die Königin ist erschienen:
	»Ich liebe dich.« Schwärmt, Gedanken!
	Schar schwarzgoldröckiger Bienen!
	XXXII.
	
	Ach! Immer so und immer wieder so
	Seh' ich dich dort! Du hast mir's nie berichtet -
	Du nicht, kein and'rer, und ich weiß es doch!
	Ich seh' es ja ... Ob hier ein greiser Himmel
	Auch tränenschwer und dumpf darniederliegt,
	Laub hängt wie eines Alten gelbe Hände …
	»Ja, war er blau wie dieser ?« fragt' ich einst
	Und zeigte unsern froh'sten Himmel dir;
	Du hast den Kopf geschüttelt: »Noch viel blauer.«
	Nun such' ich mir Neapels Indigo
	Und stelle dich darunter: seltsam fremd
	Und nordisch fahl. Dein graues Tuch wird farblos,
	Dein Haar fast weiß und wasserklar das Aug',
	Doch dein Gesicht schaut warm und rotverbrannt,
	Nach Wein und Sonne. So an einem Zaune,
	Am Stacheldraht - denn der Gefang'nen denk' ich,
	Die hier voll Blau und Scharlach bitterlich
	Im Herbst entgegenfroren schon dem Winter -
	So lehnst du da. Dein Lächeln überfliegt
	Umzäunung, Kriegsgefangenschaft und alles.
	
	O, ihre Stirn ist breit und braun, ist glatt
	Und niedrig wie die Stirne einer Natter,
	Die hohen, strengen Braun sind wunderschön
	Wie einer Göttin. Doch sie ist nicht groß,
	Nur schlank, nur zierlich. Ihre nackte Sohle
	Ist heißen Sand und scharfes Gras gewöhnt,
	Ihr schwarzer Wirbel eine tolle Sonne.
	Sie war gewiß viel glücklicher als ich
	Und wüßt' es kaum ... - du hältst den Fuß am Gitter,
	Die Hand am Pfosten, neigst dich, sprichst ihr zu
	In ihrer Sprache, ob mit fremden Tone.
	Und deine kleinen Sätze, die das Gehn
	Noch immer lernen, schließt so oft ein heit'res,
	Ein liebes, gläubig bittendes: »... nicht wahr?«
	- in ihrer Sprache - das sie herzlich hell
	Aus blauen Blicken anstrahlt. - Du mein Gott,
	Ich trag' den Glanz im Sinn und kann doch niemal
	So lächeln, wie du's leuchtetest: »... Nicht wahr? .
	XXXIII.
	
	Ein grünes Fröschlein
	
	Ich habe einen kleinen Frosch gesehen,
	Ein grünes Fröschlein auf dem dunklern Blatt.
	Es weilte, wohl von Schmaus und Springen satt,
	Ganz kindernackt, mit Augen, die verstehen.
	
	Es sonnte sich. Wir bauten ein Gefäß
	Mit Rasenstücken, schlanken Fliederzweigen
	Voll Laub, für's lust'ge Auf- und Niedersteigen,
	Zu räumig hellem Häuschen, ihm gemäß.
	
	Nun aber ängstet's aus Gezweig und Gras
	An die papierne Decke, klettert, rennt,
	Von Luft und ungebrochnem Licht getrennt
	Durch dünne Wand nur, eine Wand von Glas …
	
	Schon schickt Oktober streng'ren Wind. Ich friere.
	Ein Frost - sein atmend zarter Leib war' Stein.
	Ich weiß ja nichts. Vergebt mir, kleine Tiere!
	Ich bin nicht mehr als ihr und sperr' euch ein ...
	XXXIV.
	
	Sag', kannst du sterben? O du Froher, Lieber!
	An Jahren sterben ? Sieh', ich will's nicht glauben.
	Ja, schneller Schuß und hitzig rasches Fieber
	
	Die mögen dich in deiner Helle rauben;
	Doch greisend kränkeln und am Tod genesen,
	Da immer junger Wein noch quillt aus Trauben,
	
	Noch junge Mädchen Heidelbeeren lesen ?
	Wird, wenn du nicht mehr bist, der Tag uns scheinen,
	Ja, schien er je, da du noch nicht gewesen?
	
	Und doch. Wohl auch um dich wird's einmal weinen
	Mit Augen einer Frau, mit Kindes Sternen,
	Wenn man den Stein dir setzt zu vielen Steinen.
	
	Und muß der Tod sich wartend dir entfernen ?
	Bist du ein Weiser, der das Wirre schlichtet,
	An dessen Pult die Klugen stammelnd lernen ?
	
	Bist du ein Gott, der leuchtend Götzen richtet,
	Der Held, des Gluten Heldenglanz verlachen,
	Ein Künstler, der dem Großen Größ'res dichtet ?
	
	Nein, plaudern, wandern, tanzen, schlichte Sachen,
	Sind dein. Und mit dem sparsamsten Verschwenden,
	Aus Wort und Lächeln kannst du Freude machen.
	
	Dies ist gering. Das grauliche Verenden
	Nickt über seinem Buch. Es wird erwachen
	Und hüstelnd eine Seite weiter wenden ...
	XXXV.
	
	Ich hab' mit bunten Ranken
	Dein liebes Bild umwunden,
	Gefühle und Gedanken
	Zu losem Kranz verbunden.
	Da nickten weiße Dolden,
	Da streiften frische Blätter
	Und Herbstglanz deckte golden
	Des Rahmens braune Bretter.
	
	Des Tannenkindes Löckchen,
	Der Gräser duft'ge Beute
	Und blauer Bergwaldglöckchen
	Verflüsterndes Geläute,
	Ein Rosenherz, entglommen
	Im Blut, dem quellend roten:
	Ich habe froh genommen
	Und dir sie dargeboten.
	
	Rotrosen, blaue Glocken,
	Ihr Bitten, meine Lieder,
	Wie seid ihr blaß und trocken,
	Hangt hilflos schlaff hernieder!
	Wie soll dies welke Stammeln
	Noch klare Schläfe schmücken!
	Laßt mich die kranken sammeln,
	Mich nach den toten bücken.
	
	Und laßt den nackten Rahmen
	Mich von der Mauer heben,
	Ihm keinen farb'gen Namen,
	Nicht fremde Zier mehr geben.
	Dem Geiste mocht' ich schenken,
	Was einst mein Herz gespendet;
	Nun laßt ins Herz mich senken,
	Was mit dem Geiste endet.
	XXXVI.
	
	Die graue Nacht ist mit silbernen Nadeln gerafft.
	Kahler Stamm starrt hinan, riesiger Säulenschaft.
	
	Der Kirschbäume Wipfel sind wie Schleier verweht,
	Breit kauert der Kiefer buckliger Unhold am Beet.
	
	Alles ist anders. Nirgends lugen mehr Häuser hervor,
	Giebel stieren, steil, schwarz, Pyramiden, empor.
	
	Im Finstern sind irgendwo kleine Vierecke hell -
	Surrendes Grillenzirpen, reißendes Hundegebell.
	
	Eine goldsprühende Otter zischt im Fernen der Zug.
	Sacht auf Boden und Baum tröpfelt's aus bläulichem Krug.
	
	Ich wandre im Garten, weiter und weiter, schon längst nicht
	   mehr hier.
	Und wenn es ganz dunkel geworden ist, bin ich bei dir.
	XXXVII.
	
	Nun sagen alle, daß ich alt geworden.
	Als ich dich traf, da war ich junges Weib.
	Doch was ein heimlich peinergötztes Morden
	Mir töte, sei nicht Angesicht noch Leib;
	Mein dunkles Auge sei es, das verwelke,
	Sich müder, trüber senke, Tag für Tag,
	Wie auf gedörrtem, sand'gem Beet die Nelke,
	Die niemand sieht, die keiner tränken mag.
	
	Nicht seltsam wäre, wenn es so verblühte,
	Denn Hagel schlug es hart, und Hundsglut stach,
	Bis, der es trug, ein Glaub' an Gottes Güte,
	Der feine Stengel, niederbog und brach.
	Vom Strahle kehrt sich's , klaglos zu verdorren,
	Zur Erde hängt es, noch ihr nicht gesellt,
	Nicht dem Gestein, dem Staub, den Wurzelknorren,
	Weil der zerknickte Schaft es lange hält.
	
	Es hat geglänzt, gefreut, den Herrn gepriesen,
	Sich froh erhoben, duldend sich geneigt,
	Gegrüßt die grün- und lichtgewirkten Wiesen,
	Dem blau'sten Himmel seinen Kelch gezeigt.
	Nun muß es Sonne, Sturm und Regen leiden
	Ganz ohne Willen, Ausdruck, Bitt' und Dank;
	So wartend blickt es auf sein eignes Scheiden,
	Verkümmert, taumelig und stumpf und krank.
	
	Drum mag ich wohl mein Auge Blume nennen. -
	Fehlt ihm ihr Duft, doch trug es ihren Tau.
	Die Sonne sog und ließ es durstig brennen,
	Verzehren sich vor ewig gleicher Schau.
	Denn Rahmen ward ihm alles Sein und Treiben
	Und Bild die eine glückliche Gestalt;
	Es fand sie einst, um jung an ihr zu bleiben,
	Es fand nur sie und wurde matt und alt.
	
	Sie ist sein Maß, ein jedes Ding zu messen,
	Und ist ein Mantel, der die Welt ihm hüllt,
	Mond jeder Nacht, den's schauend schon vergessen
	Der, immer neu gesucht, es neu erfüllt.
	Und Last wie Lust ist ihres Fußes Gehen,
	Des Armes Ruck ihm und des Mundes Zug,
	Denn was es liebt, hat es zuviel gesehen,
	Und was es liebte, sah es nicht genug.
	XXXVIII.
	
	Ende
	
	Wenn ich ernstlich traurig bin,
	Kann ich keinen Vers mehr schreiben;
	Ich sitze schweigend im Kahn
	Und laß mich stromabwärts treiben.
	Ich werde kein Ruder finden,
	Ich werde kein Steuer brauchen;
	Wenn meine Liebe, mein Leid es will,
	Mag ich kentern und tauchen.
	
	Wenn ich ganz verzweifelt bin,
	Kann ich nicht bemessend klügeln:
	Mein Schrei ist schrill und gehetzt -
	Soll ich ihn greifen und zügeln ?
	Nie werden zerlumpte Gedanken mehr
	Glatte, glänzende Zeilen;
	Mein Herz ist ein blutiger Klump,
	Da kann ich nichts formen noch feilen.
	
	Der tiefste Gram kennt keinen Reim,
	Läßt sich nicht in Bücher sammeln;
	Er ist im wilden Land daheim,
	Wo kindliche Laute noch stammeln.
	Find' ich ihn in mir, so find' ich auch Gold,
	Einen Leuchter zu schmieden:
	Ich will ihn zünden und schlafen gehen
	In Frieden.
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