Max Herrmann-Neiße "Um uns die Fremde" 1936

 


George Grosz


Um uns die Fremde

Verlag Oprecht

Zürich

1936


Inhalt

Zuversicht

Requiem

Gedicht an Zürich

Frühlingsdank 1953

Treu mir selbst

Verdammnis 1933

Sehnsuchts-Verse

Verregneter Sonntag

Zürcher Mai- und Hochzeitscarmen

Nach Regentagen pfingstlich Glück

Letzter Tag in der Sommerfrische

Wir Säufer

Sommermittag am See

Liebeslied in böser Zeit

Übergang

Zwischen lauter Einsamkeiten . . .

Das »Wär-ich«-Lied

Der Wahn

Froher Tag

Abschied von Zürich

Erinnerung

Meeresnacht

Im Vollmondglanze

Ich darf in Deine guten Augen sehen

Ein Seebad stirbt

Bilder eines holländischen Bades

Rast auf der Flucht

Wenn alle mich verlassen

Herbstliches London

Apokalypse 1933

Herbst im Hydepark

Herbstlicher Verzicht

Das Feuer brennt nicht mehr

Weihnacht 1933

Silvesterverse 1933

Die Heimatlosen

Tod und Auferstehung

Untergang

Osterverse für Leni

Erinnerung an Zürich

Getrübter Frühling

Um uns die Fremde

Die alten Pfade

Pfingstgruß 1934

Ehesegen

Immer leerer wird mein Leben . . .

Zerstörte Welt

Wieder Meer

Die Mörder

Wiederkehr nach Zürich

Dein Kuß

Abendlicher Abstieg am Zürichsee

Die Trennung

Ein Zirkus bricht auf

Erster Herbstabend am Zürichsee

Gebet gegen den Tod

Abendliche Herbstmagie

Unsere weihnachtlichen Wanderungen

Fremd ist die Welt und leer

Die geliebte Stadt

Frühlingshoffnung

Londoner Sturmnacht

Zuspruch

Eine Landschaft

Ich muß die Augen schließen

Ostertrost 1935

Hochzeitlicher Mai

Die Eisheiligen

Rechenschaft

Pfingstwunder

Der dunkle Schlächter

Sommerabend im Hydepark

Einst und nun

Sonnen-Hymne

Nächtliche Rechenschaft

Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen

Rückkehr nach Zürich

Ferien im Tessin

Nacht in der Emigration

Zwei Träume

Herbst in der Verbannung

Ein Liebesbekenntnis

Legende im Hydepark

Nächtlicher Reigen

Klage und Trost

Silvestertrunk 1935

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24. 02. 1933

Zuversicht

Mag ringsum sich Haß und Zwietracht ballen,
unduldsam Mann gegen Mann bestehn,
überall Signal zum Angriff schallen,
Fahne mörderisch an Fahne wehn,
wieder Kriegerisches sich entfalten
und geduckt im Dunkel Blutrausch lauern,
dennoch wird der Freie sich erhalten
und den Sieg des Bösen überdauern.

Wenn gewissenlos und ohne Zügel
die Gewalt das Leben an sich reißt,
über ihrer Burg mit weißem Flügel
bleibt in seiner klaren Luft der Geist.
Muß die Wahrheit abgewürgt verstummen
und Gerechtigkeit sich selbst verraten,
abseits von den blutbefleckten, krummen
Wegen führt der Stieg zu Menschheitstaten.

Fester sind die Wenigen verbunden,
die der rohen Lockung widerstehn
und in friedlich schöpferischen Stunden
durch den Garten ihrer Lieder gehn,
guten Willens ihre Werke bauen,
ob die Welt auch rings in Haß erkaltet:
denn der Zukunft kann getrost vertrauen,
wer die reine Flamme wohl verwaltet.


01. 04. 1933

Requiem
(Für P. N.)*

Die Abendröte faltet die Flügel zusammen,
es naht uns eine Nacht, die wohl nie enden mag.
Was von Dir sterblich ist, vergeht in Flammen,
und unsre Trauer tröstet nicht der schönste Frühlingstag.

Ich feire ernst beim Wein Dein Angedenken
mit einem Spruch, der Dir nun nichts mehr nützt.
Wenn sich die Nebel über unsere Welt jetzt senken,
ist niemand mehr von einem guten Geist beschützt.

Bargst du Dein Leid vor mir? Ich sah Dich immer heiter
und wußte nicht, wie schwer auch Dir Dein Schicksal war.
Wir, die noch leben, leben wie Gefangne weiter
in einem Labyrinth voll Fallen und Gefahr.

Wo enden unsre Ängste, Kämpfe, Nöte?
Das Dunkel weicht, der letzte Stern verglimmt.
Ihr Flügelpaar entfaltet groß die Morgenröte,
die Dein Unsterbliches hinübernimmt.


* P.N. = Paul Nikolaus, Freund von M. H.-N., der sich, am 31. 03. 1933, nach seiner Flucht in in Luzern/Schweiz, das Leben nahm. Er schrieb als Abschiedsbrief: "In Berlin kann ich künftig nicht leben, ohne Berlin kann ich auch nicht leben - also gehe ich."
 


28. 03. 1933

Gedicht an Zürich

Möwen immer Deinen Saum umflattern,
zwischen Berg und See Dein Sein gedeiht,
wo am Strand die Wasserhühner schnattern,
wo die Gassen zu vergangner Zeit
bei den Stätten stolzer Zünfte steigen,
überall ein Brunnen tröstlich rinnt,
Menschen sich das Glück beim Wein erschweigen
und der Tag mit gutem Mut beginnt.

Abendlich geschmückt mit Lichterketten
stellen sich die Hänge hell zur Schau,
die sich an den Schlaf des Waldes betten
wie an eine stille Liebesfrau,
sich noch einmal zu den Wassern bücken,
um im Spiegel ihren Traum zu sehn,
wenn die Schwäne schlummern an den Brücken
und die letzten Schwärmer heimwärts gehn.

Wie die Hügel Dich im Arme halten
und der See zu Deinen Füßen spielt,
Berge ihre Wunder groß entfalten,
auf Dein Herz des Mondes Bogen zielt,
hebst Du Deiner Türme hohe Krone
zu dem Föhn, der von den Gipfeln weht,
und die Glocke spricht mit festem Tone
in die Nacht ihr friedliches Gebet.


16. 04. 1933

Frühlingsdank 1933

In fremder Stadt im Abendpark,
mein Wandeln der April umweht,
ich fühl mich wieder jung und stark,
Dein Engel neben meinem geht.
Er hat mich heil hierher gebracht
aus Menschenwahn und Weltenbrand.
Mit Blüten an mein Herz jetzt rührt
ein friedlich neues Heimatland.
Die Vögel singen österlich,
der Lenz ist lichterloh entfacht.
Es schreiten keusch und klösterlich
Jungmädchen durch die grüne Pracht.

Der Krokus macht den Rasen bunt,
es blitzt der See im Sonnenschein,
und einer Witwe roter Mund
will wieder bräutlich lockend sein.
Das alles ist von Dir geschenkt
mit Hügelkranz und Alpenwand,
daß nicht mehr an Vergangnes denkt
mein Herz im neuen Heimatland.
Die Amsel meiner Freundschaft traut,
der Hund am Tore kennt mich schon,
und Wellenschlag und Möwenlaut
sind meinem Ohr ein lieber Ton.
Die Schiffe fahren ein und aus:
ich weiß den Wind, der Sterne Stand.
Ich bin geborgen und zuhaus,
denn wo Du bist, ist Heimatland.


 20. 04. 1933

Treu mir selbst

Werd ich meine Bücher wiedersehen,
meinen Schreibtisch, über ihm Dein Bild,
die Tiergartenwege wieder gehen
in mein Lied versponnen abendmild,
am Kurfürstendamm die Bummelstunden,
wenn verführerisch Geschminkte ziehn,
und den Stammtisch, wo bei Kognakrunden
Ehrenmänner ihrem Heim entfliehn,
in der Bar den Würfelbecher schwingen
bei der Mädchen ewig gleichem Schwatz?
Wird mir wieder ein Gedicht gelingen,
wenn ich geh am Fehrbellinerplatz,
wieder mit den Mimen heitres Leben?
Ach, schon löschte mancher selbst sich aus,
und die Wahrheit tapfer zuzugeben:
in mir sehnt sich jetzt nichts mehr nach Haus.
Das Vergangne bleibt für mich vergangen,
was vorüber ist, wird nicht entbehrt,
denn ein neues Leben anzufangen
jetzt mein Mut im neuen Land begehrt.
Neue Bücher solln mir Freunde werden -
meine Welt ist, wo mein Werk geschieht.
Auch an fremden Mienen und Gebärden
sich mein Dichterauge selig sieht.
Neue Straßen sollen mich geleiten;
neue Schenken mir ein Obdach sein.
Denn das Grab der abgeschiednen Zeiten
schließt jetzt immerdar der schwere Stein.
Weiterleben will ich ohne Trauer,
treu der innren Stimme, die nicht lügt.
Zwischen Einst und Morgen sei die Mauer
unverwüstlich hoch und fest gefügt.


23. 05. 1933

Verdammnis 1933

Ich sah das Dunkel schon von ferne kommen,
als das Gebirg noch schimmernd sichtbar blieb,
und bangte mich und wartete beklommen,
daß Gott uns aus dem Paradies vertrieb.

Noch lag der See in friedlichem Verweilen,
verliebt nur streichelte ihn leis der Wind,
die Boote schaukelten sich an den Seilen,
und Möwen kreisten spielerisch geschwind.

Ich aber konnte aus den Vogelchören
und aus der Wellen flüchtigem Geraun
bedrohlich eine düstre Mahnung hören
und hatte zu dem Frühling kein Vertraun.

Schon hatte sich der Horizont umzogen
und alles Strahlende versank und schwand,
zwischen der Erde und dem Himmelsbogen
stand plötzlich störend eine schwarze Wand.

Für immer war das Friedliche vernichtet,
nicht mehr vergönnt den Möwen Flug und Laut,
aus dichten Finsternissen aufgeschichtet
war etwas vor das Licht der Welt gebaut.

Aus Lustgefilden wurde eine Wüste,
kein Gärtchen schlichter Eintracht blieb verschont.
Kein Licht vom Berg den Wanderer mehr grüßte,
kein Abendwald, in dem das Märchen wohnt.

Aus der Umnachtung schien kein Pfad zu führen,
und nirgends dämmerte ein Morgen hell,
das Herz des Himmels war nicht mehr zu rühren
von Lerchenliedern und gesprächgem Quell.

Noch ward kein gutes Menschenwort vernommen,
das um den Nächsten gütig sich bemüht.
Vielleicht wird nach der Flut die Kunde kommen,
daß paradiesisch neu die Welt erblüht.


18. 05. 1933

Sehnsuchts-Verse

Mir ist so bang in diesem fremden Ort:
Du läßt mich lang auf eine Nachricht warten.
Sonst kamen Telegramme, Briefe, Karten.
Doch wo bleibt jetzt ein kleines Liebeswort?

Wie oft am Tage laufe ich zur Post!
Der Mann am Schalter ist schon ungehalten.
Kann Deine Liebe plötzlich so erkalten?
Mein Sehnsuchtsnotruf funkt nach West und Ost.

Wo find ich eine Ahnung Deiner Spur?
Die Winde wissen nichts von Deinen Schritten,
und auch Dein Sternbild läßt sich nicht erbitten,
und unzugänglich schweigen Fluß und Flur.

Schon wittert meine Furcht Dich in Gefahr
und träumt um Dich die schlimmsten Abenteuer.
Die stumme Wacht der Nacht scheint nicht geheuer.
Ist unsrer Liebe Bündnis nicht mehr wahr?

Führt Dich das Unbekannte so weit fort,
daß Deine Rufe mich nicht mehr erreichen?
Wo Du auch immer seist, gib mir ein Zeichen!
Mir ist so bang in diesem fremden Ort.


 30. 04. 1933

Verregneter Sonntag

In fremder Stadt am Sonntag, wenn es regnet,
sitzt man in der Pension und tut sich leid.
Das Zimmermädchen, dem man gern begegnet,
hat Ausgang und man selbst jetzt soviel Zeit!
Man späht am Fenster, um sich zu zerstreuen,
nach dem Geheimnis andrer Stuben aus;
doch was man sieht, kann uns nicht sehr erfreuen:
sie arbeiten auch heut im Zeitungshaus;
ums Radio versammelt sich die Sippe;
Hemdsärmel spielen Billard im Café.
Schon muß man niesen und hat Angst vor Grippe.
Der Ausflugsdampfer tutet matt vom See.
Vor einer Droschke trabt ein welker Schimmel
begossen. Das Theater ist erwacht:
Kulissenschieber bringen einen Himmel
verdrossen und ein wenig Sommernacht.
Blindselig schleicht ein Paar in all dem Feuchten
von Autos angedreckt mit Straßenkot.
Die ersten Lampen fangen an zu leuchten,
und Schirme hasten stracks zum Abendbrot.
Ins Dunkel schwimmen tot die Promenaden,
ertrunken ist die Stunde und ihr Stern.
Da schließt man resigniert den Fensterladen
und hat des fremden Obdachs Insel gern.


14. 05. 1933

Zürcher Mai- und Hochzeitscarmen

Ich gehe einen goldnen See entlang,
es schwärmt der Mai im Blütenüberschwang.
Kastanien harren hochzeitlich geschmückt,
daß ihnen bald das Liebeswunder glückt.
Ich harre zärtlich Deiner Wiederkehr;
mein Traumboot holt Dich übers Fliedermeer.
Der Kirsch- und Apfelbäume Rot und Weiß
geleitet farbig Dich zum Fest des Mais.
Vom Sang der Vögel ist die Luft bewegt,
die einen Blütenkranz ins Haar Dir legt.
Aus der Eisheiligen Zwischenspiel im Schnee
steigt wieder golden unser Fest am See.
Maikäfer falln Dir trunken in den Schoß,
der warme Wind macht Deine Brüste bloß.
Dann hüllt er uns in seinen Mantel ein
und läßt uns fern der Welt glückselig sein.
Wir wissen nichts von Wahn und Widerstreit
und sind geborgen jenseits aller Zeit.
Ich gehe einen goldnen See entlang
hinein in unsrer Liebe Überschwang ...


Ende Mai 1933

Nach Regentagen pfingstlich Glück

Die Gebirge sind verhangen,
die geliebte Frau ist krank.
Alle Zeit ist längst vergangen,
da uns noch ein Glück gelang.

Öde sind die Regengassen,
leer die Hallen der Hotels,
auch das Strandbad friert verlassen,
und man sehnt sich nach dem Pelz.

Seh ich Sommerdampfer fahren,
wird mir Leib und Seele kalt.
Fröhlich war ich hier vor Jahren,
grämlich bin ich heut und alt.

Alles scheint mir jetzt verkommen,
was mir einst so wohl gefiel,
mit der Flut davongeschwommen
Jahrmarktsfest und Ringelspiel.

Wo sind alle die besonnten
Aun und Lichtungen von einst,
wo wir harmlos feiern konnten?
Heut liegst du hier krank und weinst.

Womit still ich Deine Tränen?
Ein Stück Himmel strahlt schon schwach.
Bei den weißen Uferschwänen
wird die Liebe wieder wach.

Unaufhörlich dreht sich wieder
bunt geputzt das Karussell,
pfingstlich klingen Kinderlieder
und die Berge werden hell.

Lächelst Du in Deinen Kissen,
spürst das Blühn in Deinem Blut?
Wir umarmen uns und wissen:
nun wird alles wieder gut.

Auf der Wiese kannst Du pflücken
Akelei und Zittergras,
pfingstlich unsern Tisch zu schmücken,
weil das Glück uns nicht vergaß.


Anfang Juni 1933

Letzter Tag in der Sommerfrische

Am letzten Tage in der Sommerfrische
ist alles herrlicher als je vorher:
nur liebe Leute sind an Deinem Tische,
und die Natur macht Dir den Abschied schwer.

Es gibt noch einmal Deine Lieblingsspeise,
und die Portion ist diesmal riesengroß.
Die Kurmusik spielt Deine Lieblingsweise,
die Kellnerin verspricht Dir ihren Schoß.

Zu spät. Du weißt: nun kann Dich nichts mehr halten,
in einer Stunde schon führt es Dich fort,
dann sind das hier für Dich nur Traumgestalten
aus einem nicht mehr wahren Schattenort.

Zunächst läßt Du noch rasch Dich gern verwöhnen
und kostest Deines Abschieds Trauer aus,
wirst Dich zum Schluß noch mit dem Hund versöhnen,
der immer bellte, kamst Du spät nach Haus.

Dem Hausknecht wirst Du zuviel Trinkgeld geben,
der Kellnerin schon lieber einen Kuß.
Dann wird man Dein Gepäck ins Auto heben,
die Tür fällt zu. Unweigerlich ist Schluß.

So fährt man nun davon mit stiller Klage,
als ob man Unersetzliches verlor,
denn immer schlechterdings am letzten Tage
ist alles herrlicher als je zuvor.


05. 06. 1933

Wir Säufer

Wir hocken schweigend unentwegt beim Glase,
weil keiner gern als erster sich erhebt,
als schon mit seiner blaugefrornen Nase
der böse Morgen an den Scheiben klebt.

Ich sehe ihn gehässig grinsend starren,
als ob er mit feindselger Lust genießt,
wie jeder von uns abgelebten Narren
den vielen Fusel in den Schlund sich gießt.

Ich will mein Glas nach seiner Fratze zielen,
doch läßt mich plötzlich meine Hand im Stich.
Da muß ich ängstlich nach den andern schielen:
ist ihnen meine Schwäche lächerlich?

Sie sitzen stieren Blickes, wie sie saßen,
abwesend dämmernd, mit dem Glas am Mund,
als ob sie Zeit und Raum und sich vergaßen,
gleich Grabgestalten, fahl und ungesund.

Beschämt laß ich mein Haupt herniedersinken,
obwohl den Morgen schon der Tag verjagt.
Wir aber werden sinnlos weitertrinken
bis in die Nacht, nach der es nicht mehr tagt.


09. 06. 1933

Sommermittag am See

Der Mittag träumt. Der See bewegt sich träge.
Im einsam weißen Haus klagt das Klavier.
Die Uhr macht langsam ihre Stundenschläge.
Auf heißem Stein sonnt sich ein Katzentier.

Im Strandbad lassen sich die Menschen schmoren,
es riecht so sommerlich nach Holz und Teer.
Man fühlt sich ohne Pflichten, weltverloren,
und spürt den nahen Süden und sein Meer.

Indes in all den leeren Straßen drüben
gigantisch gähnend das Verdaun gedeiht,
der Essen Dünste jetzt die Lüfte trüben,
hält ihren Schlummer ungestört die Zeit.

Ein Flieger zieht am Himmel in die Weite,
es nahen sich Gewitterwölkchen sacht.
Und seltsam winterlich starrt das beschneite
Gebirge fern in seiner kalten Pracht.


03. 06. 1933

Liebeslied in böser Zeit

Warum trauern?
Noch ist nichts verloren.
Die weißen Mauern
der Berge bestehn.
Vor den Toren
der Stadt blüthen die Wiesen.
Geschlechter kommen, Geschlechter gehn.
Immer gab es Hölle und Wüstenei
neben den Paradiesen,
immer über dem Abenteuer
die Heimatglocken.
Immer wieder wird Mai,
leuchten die Johannisfeuer,
wehn vor den Fenstern Schneeflocken,
schmecken Dir Äpfel und Nüsse,
macht ein Lied uns Mut.
Und wenn ich Dich küsse,
endet das Märchen gut.


 03. 07. 1933

Übergang

Ein Kinderball blieb auf dein Eise liegen,
das nun schon in der Frühlingssonne schmilzt.
Du läßt Dich übern brüchgen Spiegel fliegen,
als ob Du seiner Schwäche spotten willst.

Noch trägt es Dich. Noch sorgt sich die Sekunde
um Dein Geschick. Doch hier hat nichts Bestand.
Vielleicht schon morgen liegt der Ball im Grunde
des Teiches, faßt ins Leere meine Hand.

Dann werden wieder Boote fröhlich fahren,
wo jetzt noch dünn das Eis den Tod verhüllt.
Mit Angst und Lust von all den kurzen Jahren
ein Menschenschicksal schließlich sich erfüllt.

Trägt es uns noch? Zu Stürzen oder Siegen?
Vergeblich beides, weil hier nichts besteht.
Ein Kinderball blieb auf dem Eise liegen,
das in der Frühlingssonne rasch vergeht.


17. 07. 1933

Zwischen lauter Einsamkeiten . . .

Zwischen vielen Einsamkeiten
geht mein Leben seinen Weg.
Scheinst Du neben mir zu schreiten,
ist die Welt ein Blumensteg.
Aber warst Du mir entschwunden,
grüßte nur von fern Dein Brief,
konnte jeder Stein verwunden,
wenn ich durch die Straßen lief,
war mir auch das Heimatliche
seltsam fremd und wie ein Feind.
Im Kalender mach ich Striche,
bis der Tag uns wieder eint.
Doch der weiß schon vor dem Tage,
der uns wieder grausam trennt,
wenn ich meine Trauer trage
durch die Stadt, die mich nicht kennt,
um die leeren Wiesen streiche,
die Dir schenkte Vierblattklee,
oder als Verbannter schleiche
um den abendlichen See.

Fühlte ich mich wohlgeborgen
wie im Heimatparadies,
immer kam ein bittrer Morgen,
wo es Abschied nehmen hieß.
Auch bei fröhlichen Gelagen:
alle waren sich so nah,
nur ich konnte keinem sagen,
wie verloren ich mich sah.
Aus geheimen Schattenreichen
wuchs die unsichtbare Wand
zwischen mir und meinesgleichen,
daß ich immer abseits stand,
und sie hat zu allen Zeiten
mich von meiner Welt getrennt.
Zwischen lauter Einsamkeiten
geht mein Leben fremd zu End.


07. 07. 1933

Das »Wär-ich«-Lied

Schön wär der Sommer, müßte man nicht schwitzen,
gäbs kein Gewitter, keinen Sonnenstich:
man würde selig an den Seen sitzen,
ganz ohne Furcht vor plötzlich bösen Blitzen,
erfreute ungestörter Wonnen sich.

Es würden keine Mücken lästig fallen,
doch bleiben müßte immerhin mein Durst,
daß abends in den kühlen Bräuhaushallen
das Bier mir schmeckte zu gebratner Wurst.

Auch ließ ich steile Gipfelwege gelten,
sofern am Ziele man ein Wirtshaus sieht.
Doch komm ich oben an - und das noch selten! -
muß ich bemerken, daß es gräßlich zieht.

So kann uns die Natur nie ganz beglücken:
bald ist es mir zu kalt und bald zu heiß.
Schön wär ein Schicksal ohne alle Tücken,
froh wär ich, spürt ich nicht den Tod im Rücken,
leicht wär ein Leben, das von sich nichts weiß!


13. 10. 1933

Der Wahn

Alles wird zum Feind, und schon spürt der Wahn
uns bedenklich nach. An dem düstren Hange
im verlornen Haus, dem wir scheu uns nahn,
stehn die Irren still in dem Säulengange,
blicken maskenhaft auf den Silbersee,
ob kein Segel kommt, sie zu holen
in den Sommerklee, in den Winterschnee,
der so listig knirscht unter ihren Sohlen.
Was die Wolke birgt, die am Strauch sich fing,
ist es Hagel, ist es Blitz und Regen?
Wie die Flocke fliegt auch der Schmetterling
dem Tod entgegen.
Und sie stehn und sehn mit dem starren Blick,
der nichts wirklich sieht, in die Dunkelheiten.
Stets am Fensterkreuz hängt der Selbstmordstrick,
wenn um ihr Geschick Geisterstimmen streiten.
In dem tiefsten Grund jeder Schmerzensnacht
liegt die Lichterstadt auf der Lauer,
stumm bleibt stets ihr Mund, stumm liegt sie und wacht,
ihre Augen funkeln wölfisch durch die Mauer -
Auch uns andre schon, die wir noch befreit
ruhn im Vaterhaus hinter jenem Hügel,
führt kein Kinderschlaf mehr zur Seligkeit
unter unsers Engels mütterlichem Flügel.
In den Schlachtenmond, der uns wüst bescheint,
schaun wir angstgebannt und erbleichen.
Jeder ist verdächtig jedem jetzt als Feind,
und uns alle wird der Wahn erreichen.


20. 06. 1933

Froher Tag

Mir ist heut so geburtstäglich zumute.
Warum kann so ein Fest nicht öfter sein?
Ich tät mir wieder gern etwas zugute,
vielleicht gebratnes Huhn und etwas Wein.

Nachmittags macht' ich eine kleine Reise,
ganz ohne Ziel, zu Wasser oder Land,
erlebte auf die wunderlichste Weise
bescheidne Abenteuer, allerhand.

In einem fremden, kleinen Kurtheater
vergnügte abends harmlos mich ein Schwank.
Das Mädchen neben mir wär ohne Vater,
blutarm und, günstigen Falles, liebeskrank.

Es ließe sich von mir zum Nachtmahl laden,
von Eisbahn spräche es und erstem Ball.
Nachher in den verschwiegnen Promenaden
säng wieder herrlich eine Nachtigall.

Hab ich die Holde dann nach Haus geleitet
und bin ich endlich mit mir selbst allein,
wird alles, was mir Angst und Leid bereitet,
in meinem Schlafgemach besänftigt sein.

Mich wohlig dehnend lieg ich wach im Bette
und les ein Buch, das mir viel Freude macht,
und aus des Festes Überschüssen rette
ich Glückliches noch in den Traum der Nacht.

Und wenn mit diesem wunderlichen Gute
mein Boot hinaus ins Meer des Tages treibt,
ist mir so hold geburtstäglich zumute,
daß auch, was immer kommt, erträglich bleibt.


23. 07. 1933

Abschied von Zürich

Schöne Stadt, muß ich Dich jetzt verlassen?
Ach, wie gern blieb' ich für immer hier!
Waren mir doch See und alte Gassen,
Hügel, Gärten, Blumen und Getier
schon vertraut, eh ich Dich völlig kannte,
als wärst Du mir vom Geschick bestimmt:
der aus seinem Heimatland Verbannte
als Geliebte an das Herz Dich nimmt.

Und er war in Deiner Hut zuhause,
alles hattest Du, was ihm behagt:
abends eine gute Schenkenklause,
wo man herzhaft seine Meinung sagt,
nachts das Lichterspiel der Hügelbühnen,
lässige Vormittage am See.
Deine Straßen mündeten im Grünen,
waren plötzlich Pfad durch Wald und Klee.

Den Vertriebnen gabst Du Deinen Frieden,
hast mich mit Gedichten reich bedacht.
Furchtsam waren wir von Haus geschieden
zu der Fahrt durch ungewisse Nacht,
aber als wir diese Zuflucht fanden,
schien die Zukunft nicht mehr hoffnungslos,
da im Lindenduft die Ängste schwanden,
die Gebirge wachten tröstlich groß.

Deine harmlos frohen Feste waren
auch dem Fremdling ein willkommner Spaß.
Deine sonntäglich geputzten Scharen
lagerten mit ihm im Sommergras.
Deine Bilder werden nie verblassen,
immer denk ich an die Wiederkehr.
Schöne Stadt, muß ich Dich jetzt verlassen,
ist es wie ein Heimatabschied schwer!


29. 07. 1933

Erinnerung

Weißt Du noch: die Bank am Waldesrande,
als Dein Haupt auf meinen Knieen lag?
Überm ganzen grüngeschmückten Lande
strahlte glückbesonnt der Sommertag.
Tolle Käfer summten durch die Gräser,
still verloren plapperte der Bach.
In dem fernen Wirtshaus machten Bläser
einen altbekannten Opernkrach.
Zwei Beleibte waren bei der Ernte
mit dem Hund auf ihrem Wiesenstück,
der sich nicht von seinem Herrn entfernte,
und Du sehntest Dich nach Bauernglück,
nach dem eignen Gärtchen, drin zu wirken,
oder auf der Wiese in dem Heu,
Ähren hingen in den Sommerbirken,
und die Welt war festlich bunt und neu,
nach dem Platz am Hause mit der Laube,
Apfelbäumen und Gemüsebeet:
überm Fenster lachte eine Taube,
Duft von Milch und Brot den Raum durchweht.
Mit dem Stabe malte ich im Sande
Dir ein Luftschloß, reich und fabelweit,
und bei unsrer Bank am Waldesrande
war das Sommermärchen Wirklichkeit.


04. 08. 1933

Meeresnacht

Nun rauscht das Meer in unsre Sommernächte.
Vielleicht steigt über den Balkon Neptun,
daß er in unsre Träume Nixen brächte,
die klapperten im Tanz mit Hollandschuhn.

Und er, der Alte, dessen Wimpern triefen,
der Salzduft weht aus seinem grünen Bart,
wenn seine Töchter mit den Menschen schliefen,
machte sich auf zu neuer Ozeanfahrt.

Schon patschte er gelassen durch die Fluten,
zum Sturme, der ihn in die Schultern pufft,
unmutig brummend, ohne sich zu sputen,
durchsegelte er märchengroß die Luft.

Die Dünengräser raunen mit den Wellen
geheime Zwiesprach. Jede Küste läßt
ihr Lichtgeschoß über das Wasser schnellen,
das noch des Mondes weißen Nacken näßt.

Mit unsrem Schlaf befrachten sich Schaluppen,
die in dem Uferlosen einsam sind,
und um der Heimatberge ferne Kuppen
weht sternennah der gleiche Gipfelwind.


07. 08. 1933

Im Vollmondglanze

Die Strandkabinen sind im Vollmondglanze
wie Marmorbilder auf dem weißen Sand,
und über sie wirft seine Flammenlanze
des Leuchtturms schmale, geisterbleiche Hand.

Man hört die Wellen seinen Fels berennen,
der unberührt den Stürmen widersteht.
In fernen Schiffen fremde Lichter brennen,
der tote Lotse auf den Wogen geht.

Weit draußen wetterleuchten Wolkenkämpfe,
es grollt des Schlachtenrufers dunkler Baß.
Aus Dünenkesseln steigen schwüle Dämpfe,
vom Tau der Nacht sind Pfahl und Fahne naß.

Nur ein paar flüchtige Sterne, schon im Schwinden,
haben die Welt mit einem Blick bedacht;
dann ist sie mit den Wassern und den Winden
allein und mit dem nackten Glanz der Nacht.


18. 08. 1933

Ich darf in Deine guten Augen sehen

Wenn unsern Schlaf des fremden Meeres Chöre
jetzt mit Musik der Ewigkeit umwehn,
kann ich, solang ich Deinen Atem höre,
des Heimwehs Leiden besser überstehn.
Die fremde Sprache, die ich nicht verstehe,
und das Befremdliche von Brauch und Laut:
wenn ich in Deine guten Augen sehe,
ist alles mir befreundet und vertraut.
Die Einsamkeit, die immer mich umwittert,
ist leicht, solang Dein Stern sie sanft bescheint.
Dem Herzen, das vor meiner Zukunft zittert,
wird friedlich, weiß es sich mit Dir vereint.
Wie lang die Jahre der Verbannung dauern,
und ob uns je Erlösung wieder blüht?
Ich kann den Wahn der Menschen nur betrauern.
Sonst bleibt, trotz allem, fröhlich mein Gemüt.
Ich halte Dich, was könnte mir geschehen?
Dem Widersacher keine Bosheit nützt,
ich darf in Deine guten Augen sehen
und weiß mich wohl geborgen und beschützt.
Die Stürme, die an unsern Wänden rütteln,
des fremden Meeres Ebbe oder Flut,
der Staub, den wir von unsern Schuhen schütteln,
sogar der Schatten Angst in unserm Blut:
zuletzt wird alles in dem Abenteuer,
in das die Zeit uns nun so wirr verstrickt,
ein Stückchen Habe, das mir Dein getreuer
Schutzengel als Erinnerungszeichen schickt.
Einst mag auch diese Sintflut wieder enden
und nur ein Traum und eine Sage sein,
wir werden unsre Schritte heimwärts wenden,
wo auf uns wartet der Willkommenwein.
Dann will ich mit dem ersten Glas Dir danken
und will das zweite all den Stätten weihn,
wo wir der Fremde Wein gemeinsam tranken,
verbunden auf Verderben und Gedeihn,
und mit dem dritten neue Hochzeit halten,
in Deine guten Augen zärtlich sehn
und unsrer jungen Liebe, unsrer alten,
Triumph in auferstandner Welt begehn.


Anfang September 1933

Ein Seebad stirbt

Eines Tages welkt es, vor der Zeit.
Zwar liegt Sonne auf dem Mittagstrande,
doch die Körbe stehen leer im Sande,
gratis machen sich die Dörfler breit.

Das Familienbad bleibt plötzlich leer.
Trostlos halten die Cafés noch offen,
Gäste sind nur spärlich zu erhoffen,
und die Kellner gähnen in das Meer.

In der Bar ist ein Phantast allein.
Aus den riesigen Hotelkasernen
fluchtartig die Menschen sich entfernen,
und die Rattenheere ziehen ein.


24. 08. 1933

Bilder eines holländischen Bades

Der Strand erwacht zu dem Geschrei der Kleinen:
das patscht halbnackt im nassen Element.
Am Ufer fängt die Sonne an zu scheinen,
die jetzt noch keinen Nacken brauner brennt.
Die Eltern sind beim Frühstück am Balkone:
man will so gerne abgehärtet sein,
es protzt der Jubilar und die Matrone,
und morgen hat man hustend Zipperlein.
Im Sand beginnt Reklame zu hantieren
das Fischervolk mit einem Segelwrack,
romantisch knarrt der Kahn in den Scharnieren
und fährt für Geld seekrank das Gästepack.
Allmählich füllt der Strand sich. Ganz honette,
gesetzte Bürger zeigen frank und frei
gewölbte Wänste, schlottrige Skelette,
und Greis und Greisin tollt als Nackedei,
spielt kindlich Ball und wirft sich Gummiringe
ins künstliche Gebiß, rast wie die See.
Der Körperschule Fraun und Jüngelinge
befehligt forsch ein Offizier a. D.
In Pfützen stochert man nach Meeresbeuten.
Was in den Wellen plätschert, springt und schreit.
Zur Laube wird der Strandkorb Liebesleuten,
und andern sichert er die Einsamkeit.
Es treibt der Photograph sein Volk zu Gruppen,
da tauchen triefend aus dem Wogenschaum,
dem Auge wohlgefällig, pralle Puppen.
Mitunter zieht ein Schiff ganz fern im Raum.
Geduldig stehen stundenlang im Sande
die Eselchen, bis sie ein Kind besteigt,
das dann der ganzen andern Rasselbande
sich voller Stolz als flotter Reiter zeigt.
Verärgert stelzt vorbei an Kind und Pärchen
ein klägliches Kamel, das bös miaut,
hierhergehext aus einem Orientmärchen,
bei einem Wanderzirkus abgebaut,
und hat dem ehrsam holländischen Kreise,
den weißbehandschuht ein Gendarm bewacht,
auf rührend karge, zweifelhafte Weise
ein wenig Abenteurerduft gebracht.


September 1933

Rast auf der Flucht

Laß mich das Leben noch schmecken,
eh die Vernichtung uns trifft:
Gaskrieg, Marter, Verrecken,
Bombe, tückisches Gift.
Sommerlich sind noch die Stühle
auf die Straßen gestellt,
Bilder, Farben, Gefühle
Schmuck einer glücklichen Welt.
Gönne mir noch diesen weichen,
kindlich verspielten Genuß,
morgen vielleicht trifft zur gleichen
Zeit mich der tödliche Schuß.
Heut noch an Springbrunnen träumen
in den tönenden Tag,
sich an das Schöne versäumen
kurz vor dem Glockenschlag,
der das alles beendet,
dem letzten, den man vernimmt.
Was das Geschick dann sendet,
werde, wie es bestimmt.
Heut laß zum letzten Male
arglos und froh mich hier sein,
fülle die gläserne Schale
mir mit Abschiedswein!
Wird sie geleert zerscherben,
war ich doch göttlich zu Gast.
Gönne vor Kampf und Sterben
mir diese lindernde Rast!


01. 09. 1933

Wenn alle mich verlassen

Wenn alle mich verlassen,
die Nacht des Abschieds naht,
die Astern ganz verblassen
an meinem Schattenpfad,
die schwarzen Falter flattern
gespenstisch durch den Saal,
es hocken die Gevattern
schon froh beim Totenmahl,
es klingt vom Wald herüber
ein klagender Choral,
der Wein im Glas wird trüber
und schmeckt dem Zecher schal;
dann leuchtet fern im Meere
ein brüderliches Licht
und in die Welten-Leere
der Mutter Stimme spricht:

» So hast Du mich verlassen,
mich, die Dich nie vergaß,
auch in den fremden Gassen
unsichtbar bei Dir saß;
vor einer kleinen Schenke,
drin spielte das Klavier,
die Tische und die Bänke
umgab der Duft von Bier,
in der Du überdachtest,
wie falsch Dein Leben war,
und Zukunftspläne machtest,
strich ich Dir übers Haar
als Luftzug, der Dich störte,
und wußte ganz genau,
daß Dein Gewissen hörte
das Wort der toten Frau.
Von ihrem Grabe schrittest
Du in die fremde Welt.
Was Du darin erlittest,
hat Dich so sehr entstellt,
daß keiner mehr erkannte
Dein wahres Angesicht.
In meinem Herzen brannte
doch stets Dein Lebenslicht.
Im Lieben und im Hassen
wie einig waren wir!
Wenn alle Dich verlassen,
kehrst Du zurück zu mir.«


07. 10. 1933

Herbstliches London

Schwer ist es an diesem Ort,
wenn die Abendnebel sinken,
sich bei fremdem Volk und Wort
um die Einsamkeit zu trinken.
Unten vor dem Selbstmordfluß
Obdachlose trostlos hocken.
Zu gespenstischem Genuß
welke Dirnen heiser locken.
Unbarmherzig hetzt der Markt
seine Jagd nach allen Gaben,
und lebendig eingesargt
liegt die Stadt im Dunst begraben.
Der Verzweiflung zu entfliehn,
wenn um die verschlossnen Tore
jetzt die Nebel dichter ziehn
ihre düstren Trauerflore,
bringt den Fremdling niemand nah
heimatlich vertrauten Räumen.
Die Verdammnis, die er sah,
läßt ihn nicht mehr glücklich träumen.
Flüchtig aufgeschlagnes Zelt
bleibt das einzig ihm Gewährte.
Niemand ist in dieser Welt
einem Einsamen Gefährte.


26. 08. 1933

Apokalypse 1933

Es schreit der Leidende; das Echo schweigt,
der Nachbar stellt sich taub, die Welt bleibt träge.
Der Unstern hat am Himmel sich gezeigt,
und schwächer werden aller Herzen Schläge.
Die Wolke überm Meere war ein Schwert.
Es ängstet Feuerbrunst der Frauen Träume.
Durch Rosen stampft des wilden Reiters Pferd.
Unendlich drohn der Zukunft dunkle Räume.
Die Guten bleiben immer auf der Flucht,
es ist dem Freiwild keine Rast beschieden,
es führt der Weg durch manche Tränen-Schlucht,
doch nirgendwo zu Heimat, Glück und Frieden.
Denn Er, der Blutbefleckte, der Barbar,
ward aus den Unterwelten losgebunden
zur Menschenjagd mit seiner Mörderschar
und hetzt die Welt mit seinen Höllenhunden.
Die Sanftmut ist vor seinem Haß verloren,
der aller Liebe die Vernichtung bringt.
Kein Heiland wird dem Untergang geboren,
und eine letzte Kinderstimme singt:

»Wo sind all die Herrlichkeiten,
die der Mutter Lied verhieß :
Reifenspiel und Eselreiten,
unschuldsvoll im Paradies
von den goldnen Äpfeln essen,
die der Märchenbaum verlor?
Hat der Engel mich vergessen,
schloß der Gärtner schon das Tor?
Alle Träume sind verflogen,
einsam wachs ich in die Welt.
Hat der Mutter Lied gelogen,
ihren Stern der Tod entstellt?
Furchtsam seh ich durch die Scheiben
auf die Stadt aus fremdem Stein.
Muß das Leben Hölle bleiben,
darf kein Mensch mehr glücklich sein?«


17. 10. 1933

Herbst im Hydepark

Ich saß Byron gegenüber
auf der Promenadenbank:
Autos jagten wild vorüber,
und mein Herz war heimwehkrank.
Während hier der Wind das gelbe
Laub durch alle Gänge trieb,
hatte ich im Traum dieselbe
Zeit vergangnen Jahres lieb.
Doch aus zärtlichem Verweilen
ward ich immer aufgeschreckt,
sah gehetzte Händler eilen,
sah, wie Tote hingestreckt,
auf der kalten, nassen Erde
Unbehauste kraftlos ruhn,
sah die Ladies hoch zu Pferde
sich sehr überheblich tun.
Sah mit männlich groben Schritten
alte Weiber wehrhaft gehn,
Wanderprediger inmitten
stumpfer Hörer geifernd stehn,
sah die Schafe mühsam weiden
auf der kahl gestampften Flur,
Fußballkämpfe sich entscheiden,
sah Ballons und Drachenschnur
und die andern Kinderspiele.
Sah in karger Zärtlichkeit
unanstößig kosend viele
Liebespaare. Und die Zeit
ließ mich mit dem welken Laube
selbst ins Ungewisse wehn
und verhüllt vom Straßenstaube
unbeachtet untergehn.


27. 10. 1933

Herbstlicher Verzicht

Das Wetter ist heut schon so herbstlich kalt,
daß Dich das eigne Heim erheblich freut.
Im allgemeinen wirst Du gut betreut
und bist damit zufrieden: man wird alt.

Lügst Du Dir eine zweite Jugend vor,
so weißt Du doch, daß Dir nichts mehr gelingt,
daß keines Wunsches Zauber wiederbringt,
was man dereinst versäumte und verlor.

Verzichtet hast Du schon auf soviel Lust,
zuletzt sogar auf manchen guten Trunk:
nun zehrst Du nur von der Erinnerung,
und es genügt, daß Du nicht hungern mußt.

Doch wenn Du Dich ganz unbeachtet weißt,
gedenkst Du zärtlich der verflossnen Zeit,
als Du noch warst zur Meuterei bereit
und opferwillig dem Rebellengeist.

Erfüllt ist nichts, was Du zuvor erstrebt,
und schließlich wahrst Du nicht einmal den Schein.
Nur schlaflos nachts mit Deiner Angst allein
gestehst Du Dir: »Mein Leben ist verlebt«

Der Nebel sinkt, das Beste ist vorbei:
was fürder kommt, kann nur noch Abschied sein,
und jedes Lächeln, jedes Gläschen Wein
vergällt die Furcht, daß es das letzte sei.

Bevor Du ganz verzweifelst, nimmst Du feig
mit einem halbwegs warmen Raum vorlieb,
beseelt allein vom Selbsterhaltungstrieb,
mit einem Nest auf herbstlich morschem Zweig.

Vom Fenster sieht Dein welkes Angesicht
als Spiegelbild den Herbst des Parkes an;
und sinnt dem nach, wann der Verfall begann.
Denn wenn Du ehrlich bist: Längst lebst Du nicht.


17. 11. 1933

Das Feuer brennt nicht mehr

Ich sitze nachts vor dem Kamin verlassen.
Das Feuer brennt nicht mehr. Das Haus ist still.
Nur selten kommt ein Laut noch aus den Gassen,
doch niemals einer, der mich trösten will.

Die Stunden drohen alle mit dem Sterben,
und die Verbannung wächst wie eine Wand
aus Dornen um das wunde Herz.
Die Erben erwartet ein zerstörtes Vaterland.

Und was kann mir der nächste Morgen bringen:
ein Tag mehr, eine Schuld am Leben mehr!
In dieser Stadt wird mir kein Glück gelingen,
sie macht das Lieben und Geliebtsein schwer.

Nun scheint mir alles, was ich schätzte, nichtig.
Der Nebel draußen hüllt die Scham nicht ein.
Ich weiß, ich lebte meine Zeit nicht richtig,
und muß mein Leben lang erfolglos sein.

Die Stunden stehn verlangend um mein Wachen;
ob ich wohl halte, was ich einst versprach?
und strafend weist ihr Schweigen auf den Schwachen,
der alle seine Jugendschwüre brach.

Vergebens blieb mein Lieben wie mein Hassen,
ohnmächtig vor der feindlichen Gewalt.
Ich sitze nachts in fremdem Land verlassen.
Es brennt kein Feuer mehr. Die Welt ist kalt.


24. 12. 1933

Weihnacht 1933

Einst lasen wir die schmerzliche Legende
von der Verbannten weihnachtlichem Leid:
verloren in der Fremde, eingeschneit …
Nun sind wir selbst Opfer der Zeitenwende,
der Heimat fern und ihren Weihnachtsgaben,
dem Duft der Tanne, Äpfeln und Konfekt.
Die Wolke hat den Weihnachtsstern verdeckt,
in fremder Erde liegt das Glück begraben.

Aber mir kann nichts geschehen:
Du bist bei mir, liebste Frau,
Christbaumlichter kann ich sehen,
wenn ich in Dein Auge schau.
Wenn ich Deine Stimme höre,
klingen Weihnachtsmelodien,
es entrücken Engelschöre
alles, was mir feindlich schien.

Was frommt es, über das Verlorne klagen
und nachzuweinen dem, was nicht mehr ist?
Es kommt zu Dir, wo Du auch immer bist,
die frohe Botschaft in den Weihnachtstagen.
Der Talisman ist noch in Deinen Händen:
zuletzt bestehst Du, denn Du bliebst Dir treu,
und immer wieder wird das Leben neu,
umblüht ein Heim Dich mit vertrauten Wänden.

Immer wieder wirst Du schenken
mir die sichre Ruhestatt,
darf ich mir ein Lied ausdenken
träumend vor dem weißen Blatt,
darf ich fern den harten Schlachten
dieses Friedensfest begehn,
ob die Welten sich umnachten,
dennoch Christbaumlichter sehn.

Denn ob auch karg und ohne große Feste,
wird reinen Herzens unsre Weihnacht sein:
wenn jene sich dem Wahn des Hasses weihn,
bewahren wir aus dem, was ist, das Beste.
Wohin auch die Geschicke uns verschlagen,
wir werden wohlbeschützt in unserm Blut,
wie einst Nomaden ihr Reliquiengut,
das Heiligtum der Heimat mit uns tragen.

Also sollst Du Weihnacht haben
heimatlich in fremdem Land,
nichts entbehren von den Gaben,
wenn wir beide Hand in Hand
aus den Blicken friedlich wieder
Christbaumlichter leuchten sehn
und den Stern der Weihnachtslieder
über unserm Obdach stehn.


Silvester 1933

Silvesterverse 1933

Schlägt jetzt die lang ersehnte, beendende Stunde,
atmen wir auf wie nach fast überstandner Gefahr.
Prüf ich mich selber im tiefsten Herzensgrunde:
war es denn wirklich so grausam für uns, dieses Jahr?

Schied es nicht unmißverständlich das Falsche vom Echten,
hat sich an ihm unser Band nicht wahrhaft bewährt?
Sind wir nicht auch befreit von allem Schlechten,
womit unser Schlechtes in Schwachheit und Neid sich genährt?

Vieles, was reif war zu fallen, blieb auf der Strecke:
laues Verliebtsein, Freundschaften ohne Sinn,
vieles auch, vor dem ich jetzt nicht mehr erschrecke,
und es wurde trotz Leid und Verlust ein Beginn.

Wir sind durch all die fremden Länder gefahren,
erlebten die fremden Berge, die Seen, das Meer,
wurden beweglich, nach soviel seßhaften Jahren,
kein Weg war unnütz, keine Stunde blieb leer.

Wir konnten Altes vergessen und Seltsames schätzen,
erkannten uns selber besser im neuen Licht.
Es bleibt von all den fremden Ufern und Plätzen
ein junges Leuchten über unserm Gesicht.

Wir sind bereit jetzt zu jugendlichen Taten,
eine neue Seite unseres Werkes entsteht.
Wurden wir von den alten Freunden verraten -
über ihre Schande die Fahrt in die Zukunft geht.

Du hast sie begonnen und hast sie richtig geleitet,
so sei auch gewiß, daß sie weiter sich fruchtbar erneut.
Die Zeitenschwelle, die unser Fuß überschreitet,
ist mit den Rosen uns günstiger Götter bestreut.

Wie ein Hochzeitssteg zu neuem beglückendem Bunde
über der längst begrabenen alten Gefahr.
Schlägt jetzt die herzlich ersehnte, beginnende Stunde,
wandeln umarmt wir voll Hoffnung ins kommende Jahr.


 07. 12. 1933

 Die Heimatlosen

Es heulen böse Stürme im Kamin,
wölfische Stimmen aller meiner Sünden.
Die Stimme Gottes aber ist verstummt.
Unredlich ward mein Träumen wie mein Tun,
und meine Straßen hielten sich nicht sauber.
Wo ist die Kindheit, die so heilig schien?
Sie wird mir keine Märchen mehr verkünden,
von Sommerluft umduftet und umsummt
werd ich nicht mehr in Deinem Schoße ruhn
und gläubig warten auf den Abendzauber.

Die Hände, die mich hielten, ließen los,
und ich bin nicht gewohnt, allein zu schreiten,
so steh ich wie ein Blinder hilflos da,
von fremdem Leben schmerzhaft rings umlärmt,
das Licht erlosch, und alle Sterne enden.
Das Dunkel auf der Welt ist urwaldgroß,
kein Ausgang abzusehn der wüsten Zeiten
und keine Mutter ihrem Sohne nah.
Das fremde Feuer, das den Flüchtling wärmt,
ist bald verbrannt. Wohin soll er sich wenden?

Unstet und friedlos, ohne Obdach bleibt
sein ganz verlaßnes Alter, wie das meine,
von Land zu Land verjagt ihn das Gebot.
Unendlich wächst um uns der leere Raum,
die Herzenskälte, Argwohn, Mißverstehen.
Bis uns ein Morgen wiederum vertreibt,
und in der Fremde unter fremdem Stein
liegt wieder eine Freundschaft plötzlich tot.
In fremden Stuben strahlt der Weihnachtsbaum,
an denen freudlos wir vorübergehen.


17. 03. 1934

Tod und Auferstehung

I.
Da starben wir das erste Mal: das Leben,
das uns bisher umfing, war plötzlich tot,
auf rasch verlaßner Tafel ein Rest Brot,
das kaum zur Hälfte leere Glas daneben,
das Datum am Kalenderblatt geblieben
und auf dem Pult ein aufgeschlagnes Buch,
der Raum in Grabesruhe und -geruch,
die Gruft von soviel Glauben, Hoffen, Lieben.
Unwirklich schien die Stunde des Verzichtes,
ins Leere wich das uns vertraute Land.
Zuletzt schien nur noch auf dem Spiegelrand
ein zager Abglanz des gewohnten Lichtes.
Ringsum verlor die Heimat ihre Farben,
fremd klang und von weither der Freunde Wort;
was uns getrost umgab, war plötzlich fort:
da wars, daß wir zum ersten Male starben.

II.
Nun treiben wir in ungewissen Kreisen
in dem verhüllten, fahlen Schattenspiel;
der Vorhang zwischen uns und früher fiel,
kein Stern will uns den Weg ins Lichte weisen.
Wenn wir wie Blinde sinnlos uns bewegen
hierhin und dorthin ohne jeden Halt,
hat nichts in unsrer Sehnsucht mehr Gestalt.
Auf keinem Werk liegt eines Engels Segen,
kein Glück kann uns mit kleiner Gabe rühren,
weil die Erinnerung noch nicht vergaß,
was die Vergangenheit so schön besaß.
Kein Pfad wird uns zum Glück der Zukunft führen.
Solang wir Früherem verbunden bleiben
und um Gewesenes der Traum noch webt,
ist es, daß wir mit dem, was nicht mehr lebt,
im ungewissen Reich der Schatten treiben.

III.
Doch ahnen wir das Nahen einer Stunde,
die unser Dämmern wieder lösen soll;
schon ist die Luft um uns von Liedern voll,
und jedes bringt die Auferstehungskunde.
Da harrt in einer heimatlichen Bleibe
auf der gedeckten Tafel Salz und Brot,
im Glase grüßt des Weines Morgenrot,
ein Blütenzweig klopft an die Fensterscheibe.
Ein Land steigt aus den still gewordnen Fluten,
in dem der Frühling unsre Stirnen kränzt.
Der Mond, der über dieser Küste glänzt,
beschenkt uns noch einmal mit allem Guten,
wenn wir zu ihm die Hände hoffend heben.
Gewesenes ist dunkel und verweht,
ein lichter Weg ins neue Schicksal geht:
So werden wir zum andern Male leben.


28. 01. 1934

Untergang

Stürme wehn. Es regnet.
Mein Herz ist leer und bang.
Was mir heut begegnet,
atmet Untergang.
Dunkle Straßenschluchten
liegen stumm und tot.
Durch die Himmelsfluchten
jagt das Wolkenboot
mit den Schiffbruchgeistern
hin und her.
Meine Träume meistern
keine Wollust mehr.
Immer bricht der Schrecken
in das Fest.
Not und Haß beflecken
meines Lebens Rest.
Was ich ahne, trage,
macht mich alt und krank.
Abende und Tage
atmen Untergang.


01. 04. 1934

Osterverse für Leni

Ob ich mich voller Zweifel selbst zerstöre,
lieg ich in ausweglosen Nächten wach,
den Dämon in der eignen Brust beschwöre -
wenn ich Dich friedlich bei mir atmen höre,
steht doch der Glückstern über unserm Dach.

Mag auch das Heimweh manchmal uns verwirren,
das Leid um alles, was Dein Herz verlor:
Du läßt den Blick ins Leere suchend irren,
ich aber seil Dich an, und Schwalben schwirren
wie einstens um den Turm am Heimatstor.

Denn jeder Irrweg führt zu Deiner Schwelle:
der Sucher kehrt nach langer Pilgerschaft
aus tiefster Dunkelheit zurück ins Helle.
Die Osterglocke klingt in der Kapelle,
ich spüre wieder Dich zu lieben Kraft.

Wir dürfen frohe Frühlingstage haben
und sanfter Sommernächte uns erfreun:
die Weiden grünen an dem Festungsgraben,
wir schaun vom Hügel auf das Spiel der Knaben
und können unsre Jugend auch erneun.

Die Osterblume schenkt mir ihren Segen,
wir stehen Hand in Hand an ihrem Beet.
Die jungen Häschen hüpfen an den Wegen.
Darf ich mich still an Deine Seite legen,
der Glückstern über allen Dächern steht.


15. 04. 1934

Erinnerung an Zürich

Wie damals uns die Tage mehr beglückten:
vom Frühlingshügel grüßten wir den See,
die Kinder friedlich Osterblumen pflückten,
und fern erglänzte der Gebirge Schnee,
die Wirtin brachte morgens Festgeschenke,
dann saßen wir an dem besonnten Strand -
wenn ich jetzt dieser leichten Zeit gedenke,
wird mir verhaßt mein neues Herbergsland.

Einträchtig gingen wir des Waldes Pfade,
die Hasen spielten, ein Fasan erschrak,
als abermals das grünende Gestade
vor meinem Blicke paradiesisch lag,
die Ostersonne rötete die Ränder,
die Boote zogen ihre goldne Spur,
es flatterten die bunten Fahnenbänder,
um die der Möwenflug die Kurven fuhr.

Wie freundlich jeder Abend mich betreute:
die Schenkenstube wärmte meine Rast,
bald war ich der Gemütlichkeit der Leute
ein wohlbekannter, stiller Lesegast,
die Kellnerin besprach mit mir die Zeiten,
der Wirtshund schmiegte sich an meine Knie,
den Heimweg nachts in Ufereinsamkeiten
umsang der Wellen Schlummermelodie.

Dann lag ich noch so manche gute Weile
im Dunkel wunschlos wach und war getrost:
das ganze Leben hatte keine Eile.
Zuletzt hat mich ein Kinderschlaf liebkost.
Es ängsteten mich keine bösen Träume,
und jeder Morgen kam verliebt zurück.
Die beinah heimatlich vertrauten Räume
behüteten ein stetes Frühlingsglück.

Wie damals noch das Leben mich verwöhnte,
und wie es jetzt mich arm und furchtsam macht!
Was dort mit meinem Dasein mich versöhnte,
hat jetzt mir Unglück und Gefahr gebracht.
Dort sprachen Wasser, Menschen, Gärten, Gassen
mit einer Sprache, die mein Herz verstand.
Jetzt welk ich hier verbittert und verlassen
in gastlichem, doch grausam fremdem Land.


28. 04. 1934

Getrübter Frühling

Der Fluß flieht zu der Wiesen frischem Grün
aus fernen Wintern. Opferherden grasen.
Die Veilchen unter altem Laube blühn.
Auf Gräberhügeln spielen junge Hasen.

Die Lerche singt den Segen auf die Saat,
die Mutterschafe weiden mit den Lämmern.
Ein Menschenpaar geht auf verlaßnem Pfad
und sieht den Specht an morschem Baume hämmern.

In allem spürt es einen dunklen Gram
das Herz, das harmlos blühen will, bedrücken.
Der Duft, der morgens von den Wassern kam,
verweht, und Bettler drohen an den Brücken.

Die Veilchen sind gepflückt. Die Lerche schweigt.
Die Abendglocke läutet Totenklage.
Zu den verhüllten Nachtgebirgen steigt
der müde Stern fruchtloser Frühlingstage.


Anfang Mai 1934

Um uns die Fremde

Wenn uns der Schlaf verläßt, sehn wir als Mauer
um uns noch immer diese fremde Welt,
und unsrer Träume milde Heimwehtrauer
ist wiederum zur Todesfurcht entstellt.

Was da noch Wonne war, ist jetzt verdorben,
verstummt die sanfte Melodie der Nacht.
Als Liebende sind wir schon lang gestorben
und wieder welteneinsam jetzt erwacht.

Vom Fenster sehn wir auf die Schornsteinreihen,
den Hexenkessel, der im Nebel dampft,
und hören schauernd Gottes Tag entweihen,
wenn das Getrieb den Menschensohn zerstampft.

Statt Berge, die in mütterlichem Schweigen
die weißen Häupter mit dem Heiligenschein
zum Segen über meinen Morgen neigen,
trifft jetzt der Blick die fremde Welt aus Stein.


18. 04. 1934

Die alten Pfade

Es folgt Erinnerung den alten Pfaden
vergangnen Glückes durch das Abendtal:
die Mädchen kommen leuchtend heim vom Baden,
man sitzt beim Nachtmahl in dem Gartensaal
und schaut durchs Fenster auf das blaue Dämmern,
wenn sich der Bergsee mit den Nebeln jagt,
und während schon. die Tanzkapellen hämmern,
hat still das All sein Schlafgebet gesagt.
Man tritt vors Tor, versinnt sich in das Wehen
der Wälder, grüßt das Licht hoch auf der Alm,
wird andachtsvoll das Licht der Sterne sehen
und eines Käfers Licht am Wiesenhalm.
Mit aller Inbrunst trank man diese Gnade
und kehrte doch in das Hotel zurück
und ahnte nicht, daß einst die alten Pfade
unwegbar würden zu vergangnem Glück.


20. 05. 1934

Pfingstgruß 1934

Kam ich einst zu den Pfingstferien nach Haus,
sah der Bahnhof festlich frischgewaschen aus,
Fliederbüsche dufteten in der Wallpromenade.
Morgens marschierten die Schützen zur Kirchenparade,
ihre grünen Röcke leuchteten wie junges Gras im
                  Sonnenschein.
Abends war Maiandacht bei dem Heiligen Nepomuk aus
                  Stein,
der Weihrauch umwallte die blühenden Kastanien am
                  Klostergange,
und die Schwalben schwebten auf der Beter frommem
                 Gesange.
Mein Herz war voll Zärtlichkeit, aber ich wußte nicht
                 für wen,
denn damals hatte ich ja Dich, Geliebte, noch nicht gesehn.

In dem böhmischen Badestädtchen gingen wir zur
                 Pfingstenzeit
still beglückt zusammen durch die Maienherrlichkeit,
Altbekanntes spielte sanft die Kurkapelle,
silbern sprang von Stein zu Stein des Bergbachs Welle.
Die Hügelwiesen standen prall in Farbe und Saft,
ein Gutes verheißender Kuckuck rief mit unversieglicher
                  Kraft,
die Fiakerkutscher hielten ein Freiluftschläfchen, vor
                  dem Bühnenhause
sonnten sich die Choristinnen in der Probenpause.
Mein Herz war voll Zärtlichkeit und wußte für wen,
denn ich durfte ja mit Dir, Geliebte, Arm in Arm durch
                  diese Pfingsten gehn.

Wenn jetzt wieder Pfingstzeit im Kalender kam,
und uns Verbannte eine fremde kalte Riesenstadt aufnahm -
von Rauch und Nebel bleibt alles grau umflossen,
selten hat die Sonne ein Spieglein blauen Himmels
                   erschlossen,
keine Maienbäumchen grüßen an gemütlicher Schenken Tor,
fröstelnd gedenkt man der Freuden, die man für immer
                   verlor,
man geht fremd durch die grausamen Straßen, die niemals
                  enden wollen,
und hört im Schlaf noch der Omnibusse bedrohlich donnerndes
                  Rollen -
ist mein Herz dennoch voll Zärtlichkeit und Zuversicht,
denn Du bist bei mir, und so hat auch diese Pfingsten
                  Wiesenduft und Maienlicht.


14. 05. 1934

Ehesegen

Die Straßen, die wir miteinander gehen,
die Beete, deren Blumen wir uns zeigen,
die Frühlingsvögel in den Blütenzweigen,
was wir gemeinsam hören, schmecken, sehen,
bleibt wie ein Band um unser beider Leben,
und fängt auch meins allmählich an zu wanken,
soll Deine Nähe bis zuletzt mir geben
den Frieden der Gesichte und Gedanken.

Wohin uns die Geschicke auch verschlagen,
Gefangenschaft in Nebel, Staub und Steinen,
wo alle Dinge mir zuwider scheinen,
wird noch ein Gutes heimlich in sich tragen,
die fernste Fremde wird sich noch erhellen
und alles Heimweh sich gelinde heilen,
wirst Du mit mir die dunklen Stunden teilen
und schützend Dich vor mein Verzagen stellen.

Und später einmal, nach den bösen Zeiten
und all den überstandenen Gefahren,
sei es auch erst nach vielen, vielen Jahren,
wird es uns beide Hand in Hand geleiten
zum goldnen Frühling sorgenloser Sphären,
den Gärten mit den immergrünen Wegen,
und was hier Wunsch blieb, wird dort ewig währen:
mein Glück in Dir und Deiner Liebe Segen.


23. 05. 1934

Immer leerer wird mein Leben . . .

Immer leerer wird mein Leben,
immer mehr Gefangenschaft,
und schon hab ich, Trost zu geben
- mir und andern - keine Kraft,
kann mich immer nur entrüsten.
Alle Welt verfällt dem Wahn.
Näher zu den düstren Küsten
treibt der führerlose Kahn.

Was ich lieben will, entgleitet.
Jede Freundlichkeit erfriert.
Durch die toten Äcker schreitet
einer, der sich selbst verliert.
Und er findet keine Brücke,
nicht zur Zukunft, nicht zurück.
Unheil schlug den Stern in Stücke,
niemehr ist die Heimat Glück.

Fremd wird mir die Fremde bleiben,
unstet bin ich da und dort.
Die geheimen Ängste treiben
weiter mich von Ort zu Ort.
Niemals mach ich meinen Frieden
mit der gnadenlosen Zeit.
Wo liegt still und abgeschieden
einer Insel Kindlichkeit?

Kann es meerumblüht noch geben
eines Gartens Zauberkraft?
Immer leerer wird mein Leben,
immer mehr Gefangenschaft.
Bleibt uns nur noch, tapfer sterben,
eh sich unsre Henker nahn?
Unvermeidlich ins Verderben
treibt der führerlose Kahn.


Ende Mai 1934

Zerstörte Welt

Wieviel Freundschaft ist verdorben,
seit Verrat sich wohl belohnt.
Hat man gestern Dich umworben,
heut verleugnet Dich die Welt.
Die Begründer sind gestorben,
und ihr letzter Erbe wohnt
einsam im Nomadenzelt.

Mädchen spielen jetzt Spione,
Mütter hetzen in den Mord,
und der Vater wird vom Sohne
ausgeliefert dem Schafott.
Güte gilt dem Gassenhohne
weniger als nichts. Verdorrt
ist in Dir die Blume Gott.

Auch in meinem Herzen lauert
Bosheit, die sich rächen will.
Die entmenschte Seele trauert
um verlornen Kindersinn.
Alle Gärten sind vermauert,
Nachtigallen bleiben still,
und die Hoffnung ist dahin.

Die Gerechten sind gestorben,
nur der Frevler wird verschont,
hündisch alle Macht umworben,
jeder Grausame heißt Held.
Alles Leben ist verdorben,
seit sich der Verrat belohnt,
und zur Wüste wird die Welt.


01. 06. 1934

Wieder Meer

Wieder brannte Dich die Sonne braun,
wehte frischer Wind um unsre Wangen,
sah ich lüstern auf die fremden Fraun,
wenn sie schimmernd aus den Wassern sprangen,
rauschte um den Mittagsschlaf das Meer,
tanzten Träume blitzend auf den Wellen,
duftete es herb nach Harz und Teer
und nach Nacktem von den Badezellen.

Kinder sah ich um das Uferhaus
meiner eignen Kindheit Späße spielen.
Schiffe legten an und luden aus,
fuhren ab zu unbekannten Zielen.
Zu Gestaden, die der Haß verschont,
konnte keins uns Heimatlose tragen.
Unerreichbar leuchtete der Mond
über tröstlichen und bösen Tagen.

Liebesleute waren Haupt an Haupt,
wie seit Ewigkeit die Seligen ruhten.
Die Vergangenheit lag grau, verstaubt
an der Straße zu den kühlen Fluten.
Untertauchen, alles, was bedrückt,
abtun in den reinigenden Tiefen,
blieb ein Wunsch. Wir schieden unbeglückt
von den Dünen, die im Frieden schliefen.


12. 07. 1934

Die Mörder

Sie haben die Heimat zur Hölle gemacht,
zur Mördergrube das friedliche Tal,
sie haben vergiftet das Liebesmahl,
entweiht und geschändet die heilige Nacht.

Sie nahmen Deinem Schlaf die sanften Züge,
ich hörte Dich in bösen Träumen stöhnen,
als ob der feindlichen Geschwader Flüge
mit ihren Bombenwürfen Dich umdröhnen.

Als würdest Du den Wahn der Welt beweinen,
hat kindlich gramvoll sich die Stirn gefaltet,
so kummerschwer auf alten Gräbersteinen
ist mancher Dulderin Gesicht gestaltet.

Ich möchte Dir den Alp vom Herzen scheuchen,
die Angstgespenster Deiner Nacht verjagen,
doch mit den Plagen der entmenschten Seuchen
ist beim Erwachen unsre Welt geschlagen.

Da bleibt Dir zur Muße, zum Werk keine Wahl,
es tobt Nacht wie Tag die zerstörende Schlacht.
Es brach der Barbar in das friedliche Tal,
sie haben das Leben zur Hölle gemacht.


30. 07. 1934

Wiederkehr nach Zürich

Wieder wiegten Sommerwiesen
kindlich sanft mich in den Traum.
Abendliche Winde bliesen
um den lieben Lindenbaum.
Trat ich aus des Waldes Gängen,
nahm ein Feldweg mich zu Tal.
Unter Abendglockenklängen
starb ein letzter Sonnenstrahl.

Auf dem letzten Möwenflügel
tauchte in den See der Glanz,
und schon schmücken sich die Hügel
zitternd mit dem Lichterkranz.
Über ihre müden Stirnen
neigte segnend sich der Mond,
einsam glitt er zu den Firnen,
wo des Gottes Frieden wohnt.

Nächtlich an den Ufergittern
rieb der See sich klagend wund.
Von entschwindenden Gewittern
geisterte der dunkle Grund.
Ungeduldig, wie gefangen,
an der Kette riß das Boot.
Hell des Münsters Schläge klangen
über Menschenwahn und -Not.

Unser Heimweg aus den Schenken
machte oft, verweilend Halt
auf des Quais verlaßnen Bänken:
silbern lockten See und Wald.
Die vertrauten Lindenbäume
flüsterten uns Liebes zu,
und es wiegten Sommerträume
wieder uns in sanfte Ruh.


18. 08. 1934

Dein Kuß

Was wir teilten, Leid und Späße,
Unerfreuliches und Zwist,
wenn ich es nicht mehr besäße,
weil Du mir entglitten bist,
würde dunkel alles Leben,
welk der Wiesen Gelb und Rot,
fahl der Schmetterlinge Schweben,
der Triumph der Berge tot.

Wie das Kätzchen, das verlassen
kläglich Deiner Spur nachging,
müßte ich die Güte hassen,
die mich einst so sanft umfing,
mich in Einsamkeit verhärten,
gram vergangenem Genuß.
Duft und Frucht der Hügelgärten
schwänden, fehlte mir Dein Kuß.

Saßen schweigend wir beisammen
an dem abendlichen Strand,
ringsum flackerten die Flammen
in dem leis entrückten Land,
das der See im Spiegelbilde
liebevoll verzaubert hielt,
neidisch war nach seinem Schilde
schon des Mondes Pfeil gezielt.

In dem Dunst der Promenade
glomm es hinter unsrer Bank,
und im Zirpen der Zikade
kündete sich Untergang.
Stürzen sah ich alle Brücken,
ihr Geleucht ertrank im Fluß.
Alle Dinge, die beglücken,
schwänden, fehlte mir Dein Kuß.

Aber; ist schon Herbst zu ahnen,
schreckt ein fremder Hauch mich schon,
das Geräusch der Eisenbahnen
mahnt mit kaltem Abschiedston,
Rauch steigt von den Ackerstreifen,
wo der welke Rest verbrennt -
laß mich Deine Hand ergreifen,
daß uns nichts im Leben trennt!

Es verlieren ihre Schrecken
Bergsturz und Gewitterdrohn,
Dunkel mag den Wald bedecken,
Blitz um Blitz das Tal durchlohn:
weiß ich Dich in meiner Nähe,
komme, was da kommen muß!
Was auch immer mir geschähe,
würde gut in Deinem Kuß.


26. 08. 1934

Abendlicher Abstieg am Zürichsee

Als wir abends vom Gebirge kamen,
dunkelte bereits der fremde Grund.
Mühsam lasen wir des Dorfes Namen,
tröstlich bellte schon ein Kettenhund.
Es verging gemach des Bergbachs Kühle,
Heuduft wehte rings erregend stark.
Zu der abgelegnen Wassermühle
brachten Schreiner einen frischen Sarg.

Überall war lauernd eine Katze
jagdbegierig unbewegt im Klee.
Kinder spielten auf dem Brunnenplatze.
Uns entgegen hob sich hell der See.
In dem Gärtchen mit den Sonnenrosen
sah ein Alter .feierabendlich.
Mahnend blühten schon die Herbstzeitlosen,
die ein später warmer Hauch umstrich.

Eine Schenke lud zu herbem Weine
und roch brenzlich nach gebacknem Fisch.
Friedlich weilte unterm Lampenscheine
die Familie am gedeckten Tisch.
Noch einmal schien alles Leben bunter
im verklungnen Sonnenuntergang.
Standhaft stiegen stadtwärts wir hinunter
an dem geistergrünen Rebenhang.


31. 08. 1934

Die Trennung

Immer wieder muß ich Dich verlieren,
trägt Dich's plötzlich in die Ferne fort,
müssen wir auf zugigem Bahnsteig frieren,
finden nicht das rechte Abschiedswort.

Ringsum geht man wohlgemut auf Reisen,
spricht belanglos, wie man immer sprach.
Schmerzlich seh ich zwischen den Geleisen
Deinem Winken, das entschwindet, nach.

Schwanke gramvoll aus der Bahnhofshalle,
die mir leer und ausgestorben scheint,
und die vordem frohen Straßen alle
sehen jetzt entstellt aus und verweint.

Plötzlich ist das herbstliche Entschwinden
mir in jedem Bilde offenbar:
leblos liegt der Hügel mit den Linden,
der noch gestern voller Sommer war.

Abschied nehm' ich nun mit jedem Sinne,
auch der Läden Lockung ward zum Hohn,
wie die Fratzen an des Münsters Zinne.
Tod ruft seiner Glockenschläge Ton.

Die Verzweiflung mir hinwegzutrinken,
flücht ich mich an einen Schenkentisch,
aber tiefer fühl ich mich versinken,
und auch dieser Trost bleibt trügerisch.

Einsam über nichtigen Papieren
hock ich dann zu Haus in wirrer Nacht.
Immer wieder muß ich das verlieren,
was mein Leben leicht und sicher macht.


05./06. 09. 1934

Ein Zirkus bricht auf

Als noch halsbrecherisch auf hohem Seile
im grellen Licht die Bunte lächelnd schwang,
schon draußen mit gewohnheitsmäßger Eile
die erste Leinwand vom Gestänge sank.

Und eh der letzte Marsch und Tusch verhallten,
war Aufbruch rege am Nomadenzelt:
die Räder knarrten und die Peitschen knallten,
und wieder ging es in die weite Welt.

Verdrossen trabten Lamas und Kamele
zum Bahnhof durch den aufgeregten Ort.
In das Getös der Flüche und Befehle
dröhnte von fern des Himmels Donnerwort.

Die Schwüle lastete auf dem Gelände,
gerüttelt tobte das Getier voll Wut
im engen Raum der Wagen an die Wände,
es roch nach Wildnis wunderlich und Blut.

Nichts war vom Stolz der Rosse noch zu ahnen,
als man sie schmucklos wie zu Markte trieb,
obwohl auf diesen raschen Karawanen
Scheinwerferlicht noch der Manege blieb.

Doch dieses Licht um Räder, Reifen, Seile,
das vom Maschinenwagen stampfend kam;
war mir wie Fackelschein, bei dem in Eile
fahrendes Volk wegräumte seinen Kram.

Zaungäste auf dem Heimweg, laut und trunken,
verweilten sich mit abgeschmacktem Schwatz,
indes ich stand, in Kindheitsglück versunken,
an dem schon fast geleerten Märchenplatz.

Doch als die ersten Blitze näher trafen,
der Donner lauter seine Wirbel schlug,
ging man nach Hause, gutgeschützt zu schlafen;
sie aber werkten weiter, Zug um Zug.

Es schrie das Durcheinander fremder Sprachen
im Gleichklang mit der Elemente Schlacht.
Und ebenbürtig blitzgegrüßt aufbrachen
die bunten Karrn im Spuk der Wetternacht.


18. 09. 1934

Erster Herbstabend am Zürichsee

Die Abendglocken tönen gottergeben.
Der bunte Kranz der Waldungen verbleicht.
Die ersten scheuen Lampenlichter beben
im Dunst, der um die Hügelstraßen streicht.

Den Ufern ist der nahe Glanz genommen
und um die Höhn ein Trauerflor gelegt.
Das Dampferchen beeilt sich heimzukommen.
Im See steht weiß ein Segel, unbewegt.

Die Menschen, die am Wasser sich ergehen,
sind nach des Tages Mühen mild gestimmt.
Sie lehnen am Geländer und besehen
ein Hündchen, das begeistert kläffend schwimmt.

Die bunten Blätter wehen von den Zweigen.
Das Abendläuten schwächt sich und verhallt. ..
Auch wir beginnen mit der Nacht zu schweigen
und spüren schon den Winter, hart und kalt.


02. 12. 1934

Gebet gegen den Tod

Gott in der Wolke, laß den Tod
an unserm Haus vorübergehen,
laß ihn das Zeichen, blutigrot,
am Pfosten meines Tors nicht sehen!

Verbirg das abendliche Licht
in schwer zu findenden Verstecken!
Laß ihn in meinem Angesicht
des Alters Falten nicht entdecken!

Verbirg ihm unsrer Stimmen Klang,
wenn wir einmal zu lachen wagen
in allem Wahn und Untergang
von diesen leidbeladnen Tagen!

Mach', daß er uns vergessen kann,
wie wir bisweilen ihn vergaßen,
wenn wir zufrieden dann und wann
bei guten Freunden gütlich saßen!

Laß unsre Angst vor seinem Nahn
besonders ihm verborgen bleiben!
Laß uns trotz Untergang und Wahn
noch nicht aus unsrer Welt vertreiben!

So nah war er schon manches Mal
und meinte, meine Hand zu fassen,
doch aus dem Traum voll Todesqual
hast Du mich heil entschlüpfen lassen.

Gott, mach uns unsichtbar für ihn,
verdichte noch die Nebelballen!
Laß uns mit Deiner Wolke ziehn
zu Deinen höchsten Himmelshallen!

Und kann ich nicht unsterblich sein
wie Du, mein Gott, und Deinesgleichen,
laß uns im letzten Sonnenschein
leidlos den andren Stern erreichen!


03. 10. 1934

Abendliche Herbstmagie

Die Gipfel treten aus des Tages Schleiern
wie Traumgebirge um die Abendzeit,
das Fest der Sommerwende ernst zu feiern,
mit ewig winterlichem Weiß beschneit.

Noch einmal will die Wiese den beglücken,
der ihrem letzten treuen Grün vertraut,
und sich mit farbigen Geweben schmücken
als todgeweihte, keusche Gottesbraut.

Von allen Bäumen glänzt die Morgengabe,
der roten Äpfel bunter Überfluß,
der Kranz der Früchte an des Sommers Grabe,
von dem die Hoffnung Abschied nehmen muß.

Wenn dann die Berge langsam sich entfernen,
zurück ins ahnungsvolle Schattenreich,
steht stumm die Nacht mit herbstumflorten Sternen
im Nichts verloren, witwenhaft und bleich.


 Weihnachten 1934

Unsere weihnachtlichen Wanderungen
(1934)

Unsre sommerlichen Wanderungen
durch den menschenleeren Hügelwald,
von der Vögel hellem Lied umsungen,
machten gern in jener Lichtung Halt,
wo bei Farrenkraut und jungen Tannen
stets ein Duft von Holz und Wiese war,
die verstecken Quellen emsig rannen,
und die Welt schien gut und wunderbar.

Die Erinnerung daran begleitet
unsre Tage hier im fremden Land.
Wenn man durch die Nebelstraßen schreitet,
träumt man plötzlich sich am Waldesrand:
grün erglänzt das Fenster der Taverne,
aus dem dunklen Durchgang tritt ein Reh,
wieder aus dem Dunst in weiter Ferne
steigt unnahbar der Gebirge Schnee.

Und leibhaftiger sogar, zu greifen,
wirklich wird der schattenhafte Traum:
wie im Walde unsrer Sommerstreifen
lieblich blüht vor uns der Tannenbaum.
Wenn wir rastend nun zum zweiten Male
der Verbannung Weihnachtsfest begehn,
wird auch hier mit sänftigendem Strahle
über uns der Stern des Friedens stehn.

Einer friedenlosen Welt entronnen,
feiern wir getrost die Friedensnacht.
Unsern Auszug hast Du recht begonnen,
fremdes Obdach heimatlich gemacht.
Hier im Schimmer dieser milden Kerzen
bin ich harmlos glücklich wie als Kind
und ich danke Dir von ganzem Herzen,
daß wir weihnachtlich beisammen sind.

Unsre weihnachtlichen Wanderungen
vor der Läden festlich bunter Schau,
von der Glocken großem Chor umklungen,
führen unser Leben, liebste Frau,
in das Märchen, wo wir alles haben,
daß man das Vergangne gern vergißt
und im Duft der weihnachtlichen Gaben
unsre Nacht auch still und heilig ist.


12. 01. 1935

Fremd ist die Welt und leer

Fremd ist die Stadt und leer,
ich gehe ohne Sinn
in ihrem Nichts umher,
dem ich verfallen bin.
Fremd ist der Straßen Trug,
der Menschen Angesicht,
kein mir vertrauter Zug
zu meinem Herzen spricht.
Das Laute ist nur laut
und lärmt an mir vorbei.
Haus ist an Haus gebaut
zu öder Wüstenei.
Kein Tag wird leicht und klar.
So vieles ist zerstört,
was gute Heimat war
und uns nicht mehr gehört.
So tragen wir die Last,
von der kein andrer weiß,
als ungebetner Gast
durch fremder Länder Kreis,
wo sich kein Freund erbarmt
und mir den Frieden bringt,
kein Mädchen mich umarmt,
kein Lied in Schlaf mich singt,
aus dem das Aug' erwacht
in den vertrauten Tag,
der alles leichter macht,
was lastend auf uns lag.
Verschlossen steht und stumm
in eitler Grausamkeit
ihr Stolz um uns herum,
verleugnet uns die Zeit.
Es weht vom nahen Meer
ein gnadenloser Wind.
Fremd bleibt die Welt und leer,
der wir verfallen sind.


16. 01. 1935

Die geliebte Stadt

Städte gibt es, die wir lieben,
doch sie bleiben uns verwehrt,
daß man, rastlos umgetrieben,
sich in Sehnsucht nur verzehrt
nach dem See, den Hügelgassen,
stets durchweht vom Bergeswind,
während hier die Häusermassen
uns Gefängnismauern sind.

Aber in der andern Frieden
wär' mir heimatlich zumut.
Ach, sie sind mir nicht beschieden,
doch sie bleiben mir im Blut,
als erlebte ich die Gassen
einst beseligt schon als Kind,
während hier die Häusermassen
mir Gefängnismauern sind.

Noch im letzten Augenblicke,
wenn das Herz sich scheidend bäumt,
werden wir mit dem Geschicke
hadern, daß wir sie versäumt,
werden Jahr um Jahr wir hassen,
das hier ohne Glück verrinnt,
wo die fremden Häusermassen
uns Gefängnismauern sind.

Doch wenn aus des Todes Schlingen
einst, nach überstandner Not,
wieder wir ins Leben gingen,
würden wir das junge Boot
zu dem See gelangen lassen
und der Stadt im Alpenwind,
deren liebe Hügelgassen
unsre wahre Heimat sind.


04. 02. 1935

Frühlingshoffnung

Schon weht der Frühling mir entgegen,
ich spüre ihn in jedem Hauch.
Er heilt mit sanftem Abendregen
den fröstelnden Holunderstrauch,
und mittags jagte er die Schwäne
in wilden Zügen übern See.
Doch ich weiß nicht, quillt meine Träne
aus einer Freude, einem Weh.

Was kann er uns schon andres bringen
als: altern in dem fremden Land?
Ob auch die Vögel wieder singen
und Flieder blüht an weißer Wand,
es werden die gewohnten Farben,
gewohnten Lieder niemals sein.
Die Stätten, die wir liebten, starben,
und wo wir sind, sind wir allein.

Doch badet dieses neue Werden,
des Blühens stete Wiederkehr,
auch uns Verzweifelnde auf Erden
noch einmal jung im Fliedermeer.
Schon heut, wenn ich sein Kommen spüre,
macht mir der Frühling frischen Mut.
Des neuen Lebens Ouvertüre
rauscht hoffnungsvoll durch unser Blut.


24./25. 02. 1935

Londoner Sturmnacht

Die Straßenlampen schaukeln. Regen jagt
an unsre Fenster, die im Winde klirren.
Von Schiffen, die jetzt durch die Fluten irren,
in meinen Traum ein ferner Notruf klagt.
Über den Dächern Londons treibt mein Bett
in der Kajüte eines Steinkolosses
wie auf dem morschen Boden eines Floßes,
mein Leben auch auf einem schwachen Brett
in dieser Sintflut aufgewühlter Zeit,
die Hölle unter seiner dünnen Planke,
auf der ich, allem preisgegeben, schwanke,
und jedes Ufer ist unendlich weit.
Ich kann nicht helfen, mir und andern nicht,
ich berge tiefer mich in meine Kissen
und will vom Weltenuntergang nichts wissen,
vom Sturm, der unsern Stern in Stücke bricht.
Mein Notruf wird von niemandem gehört,
und weiter muß ich durch das Dunkel irren.
Ich stell mich schlafend, wenn die Scherben klirren,
bis auch mich selbst zuletzt der Sturm zerstört.


13. 03. 1935

Zuspruch

Laß Dich Schwermut nicht schwächen:
bleibe fest, halte aus!
Einst wird die Zukunft Dich rächen,
kommst Du auch nie mehr nach Haus.
Mag es leer um uns werden,
schwinden, was Freund einst war,
sind wir schließlich auf Erden
nur eine kleine Schar,
lächerlich und verachtet
vor dem Tanz um die Macht,
hüllt, was ihr Buntes erdachtet,
heut noch in Dunkel die Nacht -
einmal muß es tagen,
ist der Wahn nicht mehr wahr.
Soviel Jahre der Plagen
schaffen das glückliche Jahr,
das die Mörder entmachtet
und die Lügen enthüllt.
Was ihr Gutes erdachtet,
hat sich dann endlich erfüllt.
Wieder leuchten die Feuer
einem befreiten Land,
unserm Herzen teuer,
sind wir aus ihm auch verbannt
das wir töricht lieben,
weil es uns einst gebar.
Die Standhaften blieben
stets eine kleine Schar,
doch sie bewahrt für immer,
was die Heimat besaß
einst an himmlischem Schimmer,
Geist und Freiheit und Maß,
und sie trägt es nach drüben,
kommt sie auch nie mehr nach Haus.
Laß Dich Trauer nicht trüben,
bleibe fest, halte aus!


14. 03. 1935

Eine Landschaft

Spärlich mit Gras bedacht, ein weites Weiß,
liegt diese flache Landschaft frei den Winden,
der Wut der Brandung und des Möwenschreis,
und macht des Menschen Auge fast erblinden
vor soviel unbegrenzter Helligkeit,
aus der in seinen Blick Staubwürfe wehen,
und einem Himmel, wo in Schnelligkeit
die Wolken um die rote Sonne gehen.

Einförmig schnalzt das Wasser an den Sand,
manchmal hört man am Landungssteg es nagen,
und manchmal greift mit seiner großen Hand
ein Schattengott ins Rad dem Sonnenwagen.
Ob dann die Zukunft oder ob der Tod
durch mittägliches Schweigen abenteuert,
bleibt ungewiß dem, der auf schwankem Boot
hinaus in uferlose Fernen steuert.


Frühjahr 1935

Ich muß die Augen schließen

Oft muß ich die Augen schließen,
was mich kränkt, nicht mehr zu sehn,
wenn die Freunde mich verdrießen,
weil sie krumme Wege gehn,
unbeschwert von dem Gewissen
sich mit jedem Winde drehn,
zu Bewundrung hingerissen
vor dem bösen Götzen stehn.

Oft muß ich die Augen schließen,
nicht der andern Glück zu schaun,
wenn sie unbesorgt genießen
alle Gunst der schönen Fraun,
heiter, ohne zu erröten,
sicher sind, beliebt und reich,
fern der Angst und unsern Nöten
ahnungslos und göttergleich.

Stets muß ich die Augen schließen
vor der eignen Kläglichkeit,
wenn beschämt die Tränen fließen
über die versäumte Zeit,
über das verlorne Leben,
da es ungenutzt verrann,
daß ich selbst mir nicht vergeben,
keiner mich erlösen kann.

Und ich schließ' die Augen beide,
nicht zu sehen, was mir droht:
Einsamkeit mit allem Leide,
das des Alters ist, und Tod,
Sterben, nicht im lieben Zimmer,
in der Fremde obdachlos,
wenn die Augen sich für immer
schließen in des Dunkels Schoß.


April 1935

Ostertrost 1935

Diese Felder werden blühen
immer noch wie eh und je,
alles mörderische Mühen
überdauern Korn und Klee,
und die kriegerischen Triebe
hinterlassen keine Spur.
Doch in unerschöpfter Liebe
wiederholt sich die Natur.

Dieser Stern wird länger glühen
als die Herrlichkeit der Macht.
All ihr mörderisches Mühen
hat sich dann selbst umgebracht.
Wenn sie noch so lange bliebe,
diesem Glanz hält sie nicht Stand:
denn es ist der Stern der Liebe,
reiner Flamme steter Brand.

Winde werden wieder wehen
Frühling durch den Laubengang,
österlich wird auferstehen
junges Grün in Tal und Hang.
Meere werden tönend treiben
um die Ewigkeit des Alls,
aber keine Sagen bleiben
des entmenschenden Verfalls.

Herzen werden aufbewahren
eines Herzens Not und Gram
bis zu wieder freien Jahren,
wenn der Wahn im Kot verkam,
und was jetzt durch ihn vertrieben,
ist einst freudig heimgebracht.
Länger dauert unser Lieben
als des Hasses falsche Macht.


14. 05. 1935

Hochzeitlicher Mai

Damals war der Mai so mild,
daß wir uns ihm anvertrauten,
an sein blühendes Gefild
unsres Lebens Bleibe bauten,
gegen Krieg und Weltenbrand
wahrten wir dies Glück bescheiden:
meine Hand in Deiner Hand,
gleiche Freuden, gleiche Leiden.

Nächte, feierlich erhellt,
wurden zur begrünten Frühe;
wieder friedlich schien die Welt,
weideten am Hang die Kühe,
lagen wir im Sommergras
in der Berge großem Schatten,
unser Herz den Gram vergaß,
weil wir Hand in Hand uns hatten.

Als der gnädigeren Zeit
wir uns fast zu freun gedachten,
gern zu Fest und Spiel bereit,
hat ein höllisches Umnachten
jäh verstört das Heimatland
und uns Liebende vertrieben;
doch wir gingen Hand in Hand
und so sind wir stark geblieben.

Einsam in der fremden Weit,
der mir feindlichen, verloren,
die mir jeden Weg verstellt,
immer Zaungast vor den Toren,
hab' ich dennoch neuen Mut,
wie der Wahn auch wächst und wütet:
immer ist der Mai mir gut,
der uns hochzeitlich behütet.


18. 05. 1935

Die Eisheiligen

Die Eisheiligen stehen mit steif gefrorenen Bärten,
aus denen der kalte Wind Schneekörner kämmt,
früh plötzlich in den blühenden Frühlingsgärten,
Nachzügler, Troß vom Winter, einsam, fremd.

Eine kurze Weile nur sind sie hilflos, betroffen,
dann stürzt die Meute auf den Blumenpfad.
Sie können nicht, sich lang zu halten, hoffen;
so wüsten sie in sinnlos böser Tat.

Von den Kastanien reißen sie die Kerzen
und trampeln tot der Beete bunten Kranz,
dem zarten, unschuldsvollen Knospenglück bereiten sie
hohnlachend Schmerzen,
zerstampfen junges Grün in greisenhaft verbißnem
Kriegestanz.

Plötzlich mitten in all dem Toben und Rasen
ist ihre Kraft vertan,
und die ersten warmen Winde blasen
aus der Welt den kurzen Wahn.


23. 05. 1935

Rechenschaft

Bin ich allein, bewein ich meine Schande,
sie folgt mir durch die Fremde bis ans Grab.
Vergebens ging ich aus dem Heimatlande,
als es dem Bösen sich so leicht ergab.

Vergebens möchte ich, was war, vergessen,
nicht ahnen, was die Zukunft Schlimmes bringt.
Doch bleib ich von Vergangenem besessen
und weiß mich von Gefährlichem umringt.

Im Traum nur hab ich unschuldvolle Stunden,
ist meine Seele wieder unbeschwert,
hat meine Sehnsucht glücklich heimgefunden,
wird alles leicht wie einst und liebenswert.

In Wahrheit sitzen wir an fremden Tischen
und schmälern der Berufnen Raum und Gut,
und unsre Hoffnung wohnt im Trügerischen
und macht sich mit verspielten Märchen Mut.

Und auch der Traum wird nicht mehr lange trösten,
da rettet kein vertuschendes Gedicht.
Ist diese Not und Schmach am allergrößten,
bleibt nur Verzweiflung und das Weltgericht.


09. 06. 1935

Pfingstwunder

Der Flieder duftet, und die Tauben gurren,
ein fremder Vogel singt im Laub versteckt.
Zuhaus wird Dir zum Gruß das Kätzchen schnurren,
ist weiß der Tisch zum Abendmahl gedeckt.

Stiefmütterchen, mit sonst verdroßnen Mienen,
sehn plötzlich seltsam jung aus und beglückt:
auch diesem Garten ist der Pan erschienen,
auch hier hat pfingstlich sich der Tag geschmückt.

Es eilen eifrig durch das Gras die Stare,
am Uferbusch sonnt sich der junge Schwan,
und in den Lüften ist das Wunderbare,
das Sommerliche, strahlend aufgetan.

Eichhörnchen lugt zutraulich durch die Zweige,
die jungen Lämmer hüpfen ungelenk,
und wenn ich über Deinen Mund mich neige,
bin ich vergangner Pfingsten eingedenk.

Der Schützenfeste und der Frühkonzerte,
der abendlichen Kleinstadt voll Musik,
da noch Verbannung nicht das Herz beschwerte
und keine Angst vor Untergang und Krieg.

Wenn dann sich unsre Lippen leis berühren,
umklingt uns wieder heimatlich Geläut,
die Birkenbäumchen grüßen an den Türen;
und Blumen sind auf unsern Weg gestreut.

Er führt uns in das freundlich Unbekannte
pfingstlichen Zaubers auf der Zukunft Flur,
und feierlich strahlt auch für uns Verbannte
in ihrem Hochzeitsglanze die Natur.

Das Kätzchen kommt, an Deinem Fuß zu schnurren,
und festlich ist für uns der Tisch gedeckt,
der Flieder duftet, und die Tauben gurren,
ein Märchenvogel singt im Laub versteckt.


23. 06. 1935

Der dunkle Schlächter

In mir liegt er schon, der dunkle Schlächter,
auf der Lauer, sicher seiner Beute.
Es umkreisen lautlos mich die Wächter
mit der unsichtbaren, scharfen Meute,
die begehrt, das Opfer zu zerreißen,
und ich weiß, ich kann ihr nicht entrinnen.
Keine Flucht wird mir der Tag verheißen,
sondern neue Furcht mit ihm beginnen,
die sich an die Angst der Nacht anklammert.
Stets bin ich ihm wehrlos preisgegeben,
ihm, den keines Menschen Ohnmacht jammert,
der das Urteil fällt: »Du darfst nicht leben!«
Und ich habe nichts, ihn zu bestechen,
keine gute Tat, die mich verteidigt;
denn Begier und heimliches Verbrechen
haben meine Schutzengel beleidigt.
Niemand hört, wenn ich um Hilfe rufe.
Meiner Seele Landschaft liegt verlassen;
an den Abgrund führt die letzte Stufe
dieser steilen, öden Armutsgassen.
Dorthin treibt die unsichtbare Meute
mich, den weltverliebten Weltverächter.
Mir im Blut, gewiß der sichren Beute,
harrt der Menschen Feind, der dunkle Schlächter.


06. 07. 1935

Sommerabend im Hydepark

Die Liebespaare liegen eng umschlungen
reglos wie Tote in des Parkes Gras.
Das letzte Lied der Vögel ist verklungen,
der Abend hebt sein dunkles Stundenglas.

Die Lämmerherden werden eingetrieben
und blöken ländlich in den Lärm der Stadt.
Ein Duft von Heu ist in dem Dunst geblieben
und in dem Kehrichtkorb ein Rosenblatt.

Und Obdachlose, ohne Ziel und Streben,
verdämmern mit der immer flüchtgen Zeit,
verschwenden keinen Blick mehr an das Leben,
und eine Weile wird zur Ewigkeit.


17. 07. 1935

Einst und nun

»O wie wird mich nach der Sonnen frieren,
hier bin ich ein Herr,
daheim ein Schmarotzer.«
(Dürer)

Heut noch quält mich jede Gabe,
die ich glücklich einst gewann,
aber nun verloren habe;
da ich nicht vergessen kann.
»Tor«, hab ich mich oft gescholten,
»längst Vergangnes zehrt an dir!«
Dort hab ich als Herr gegolten;
ein Schmarotzer bin ich hier.

»Denke nicht mehr an das Tote!
Lebe, was die Stunde gibt!«
Doch es bringt des Traumes Bote,
was der Heimatlose liebt:
Bilder, die mir Gutes wollten,
Berge, Blumen und Getier.
Dort hab ich als Herr gegolten ;
ein Schmarotzer bin ich hier.

Leicht verrannen dort die Tage
unter des Erfolges Stern,
meines Liedes sanfte Klage
hatte seine Schmerzen gern,
frei schien ich und unbescholten,
mein Zuhaus gehörte mir!
Dort hab ich als Herr gegolten;
ein Schmarotzer bin ich hier.

Zukunft glaubt' ich mir beschieden,
die Vollendung und den Kranz,
milden Alters Abendfrieden,
aber sie verwarf mich ganz.
Preisgegeben fremden Welten
auf Verderben und Gedeihn,
werd ich nie als Herr mehr gelten,
überall Schmarotzer sein.


22. 07. 1935

Sonnen-Hymne

Die Sonne trinken und in vollen Zügen,
eh sich die Welt umnachtet und vergeht,
daß aller Sommerduft der Rosenhügel
wie roter Wein durch das Geblüt uns geht,
daß wir als unbeschwerte Schwärmer taumeln
beseligt blind für künftige Gefahr,
berauscht vom Zauber unsres Sommertraumes,
den goldnen Kranz der Strahlenden im Haar.

Die Sonne trinken, daß die Schläfen glühen,
die Bilder blitzend unsern Sinn durchwehn:
wir spüren nichts vom Nahn der Abendkühle,
weil wir gebannt in Feuersbrünsten stehn,
bis aus der Wolken purpurnem Gebirge
das lang erwartete Gewitter flammt
und mordet meiner Nächte stilles Wirken
mit aller Lust, die von der Sonne stammt.


26. 07. 1935

Nächtliche Rechenschaft

Der Mond scheint groß in das Gemach.
Ich achte, Katze, Deinen Schlaf.
Ich liege wach und sinne nach,
woher der Pfeil kam, der mich traf,
wann das begann, was uns zerstört
und eins dem andern feindlich macht,
warum kein Tag uns mehr gehört,
nur immer die verlaßne Nacht.
O hätt ich Deinen Schlummer, Tier,
der nichts vom andern Morgen ahnt,
o läg ich nicht in Weltangst hier
und stets an meine Schuld gemahnt,
o wär ich der, der ich nicht bin,
der Mann, der sein Geschick bezwingt!
Ich geh mich müßger Hoffnung hin,
daß künftig alles mir gelingt,
und streichle doch die Katze wach,
daß sie mich vorwurfsvoll besieht;
ihr Blick macht meine Hoffnung schwach,
und wieder fühl ich, was geschieht.
Ein Kreuzeszeichen deutet bleich
der Mond auf meiner Stirne an:
da weiß ich, daß das Totenreich
mit meinem Selbstverrat begann.


07. 08. 1935

Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen

Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen,
die Heimat klang in meiner Melodie,
ihr Leben war in meinem Lied zu lesen,
das mit ihr welkte und mit ihr gedieh.

Die Heimat hat mir Treue nicht gehalten,
sie gab sich ganz den bösen Trieben hin,
so kann ich nur ihr Traumbild noch gestalten,
der ich ihr trotzdem treu geblieben bin.

In ferner Fremde mal ich ihre Züge
zärtlich gedenkend mir mit Worten nah,
die Abendgiebel und die Schwalbenflüge
und alles Glück, was einst mir dort geschah.

Doch hier wird niemand meine Verse lesen,
ist nichts, was meiner Seele Sprache spricht;
ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen,
jetzt ist mein Leben Spuk wie mein Gedicht.


21. 08. 1935

Rückkehr nach Zürich

Samstag am Abendsee, den wir so lieben,
wie in ein Heimatglück zurückgekehrt;
als wären wir nur immer hier geblieben,
ist alles unversehrt und liebenswert:
die weißen Segel und die Möwenflüge,
vom vollen Dampfer echot Festmusik,
des Stadtbilds mütterlich vertraute Züge,
der Brunnen, der sein Herz niemals verschwieg,
friedliche Rast am alten Kirchenplatze,
da ist der Mensch mit seinem Traum allein,
am Lindenbaum lustwandelt eine Katze,
der Glocken Chor singt groß den Sonntag ein.
Ich trete in die Schenke ohne Sorgen,
bin brüderlich den Zechern zugesellt,
in sanfter Eintracht mit dem Heut und Morgen,
zufrieden mit mir selbst und mit der Welt.


24. 08. - 14. 09. 1935

Ferien im Tessin

1
Nun fuhren wir beglückt durch Wunschgelände,
der Bergwald wehte grün um unsern Zug,
der immer höher an die Felsenwände
und südlicher uns in Erträumtes trug.
Smaragden leuchtete der Seen Kühle,
bis alles in ein fremdes Dunkel schwand
und unser Herz mit seltsamem Gefühle
sich am Beginn des Unbekannten fand.

2
Am andern Morgen war das Leben bunter
in lauter Sonne vor uns aufgestellt.
Die steilen Gassen stiegen wir hinunter,
wo das Eidechschen aus der Mauer schnellt;
dahinter war der Gärten sattes Prangen,
mit Bambus und Orangen, tropisch reich,
die offnen Häuser unaufhörlich sangen,
die Welt war wunderlich verspielt und weich.
Die Villen blühten farbig wie Kulissen,
Arkaden hallten theatralisch laut.
Die ganze Stadt, von Liebe hingerissen,
umwarb den See, die launenhafte Braut,
tags mit der Palmen starrem Angebinde,
am Abend mit der Lichter sanftem Kranz,
und nachts verführten sie vom Berg die Winde
im Sternenschmuck zu selbstverlornem Tanz.

3
Wir wandern in des Tals Nachmittagshelle,
der Bergstrom ist gewirkt aus grünem Licht,
durch seine Wirbel gleitet die Forelle,
wenn er den Weg sich durch die Steine bricht.
Am Abhang führt der Pfad zu luftigen Brücken,
die zwischen Erde und Gewölk bestehn,
und Wasser fallen aus den Felsenlücken
hoch über allem Werden und Vergehn.

4
Hoch oben blieben Dörfer zeitlos leben
mit Gäßchen, die wie Himmelsleitern sind,
an denen ihre zähen Hütten kleben,
versteinte Vögel, trotzend jedem Wind.
Und eine Kirche stets auf höchster Warte
war offen dem, der ihre Zuflucht fand.
Entfaltet unter ihr wie eine Karte
lag farbenfroh das ganze weite Land.
Frei in die Lüfte hob der Campanile
in sichrem Stolze sein ergrautes Haupt
und kündete mit offnem Glockenspiele
die Ewigkeit, an die das Leben glaubt.
Benachbart war der Schenke heitre Grotte
mit Herd und Kessel und dein Tisch aus Stein;
da dankten wir dem heidnischeren Gotte,
des Landes Früchte würdigend und Wein.

5
Der Heuduft abends, als wir durch die Reben
hinunter kletterten zum warmen Strand,
wenn oben schon erkaltete, das Leben,
doch hier der See noch ganz in Flammen stand;
dann unter Palmen und Kastanien rasten,
indes allmählich aller Glanz verblaßt,
die ersten Sterne nach den Wellen tasten
und zart der Mond Gebirg und Flut umfaßt.

6
Und immer schliefen wir bei offnem Fenster,
den Bach zu hören, der vom Berge lief.
Die Fledermäuse, freundliche Gespenster,
jagten die Gasse ab. Ein Vogel rief.
Der See berührte uns mit lauem Hauche.
Vom Ufer gegenüber pfiff die Bahn.
Es duftete nach einem würzigen Rauche,
und sanft trug uns der wachen Traumfahrt Kahn
den halb erhellten See hinab zum Süden
bis nach den Inseln, deren Paradies
noch einmal Tröstung war dem Lebensmüden,
der hinter sich des Nordens Nöte ließ.
Beschützten hier uns Zedern und Zypressen,
blieb alles Feindliche machtlos zurück,
war die Verzweiflung und der Tod vergessen,
war Wunschland Wirklichkeit und Märchenglück.


18. 10. 1935

Nacht in der Emigration

Nachts bin ich ganz allein im Weltenraum,
fern allen Freunden, die mich längst vergaßen.
Die sieben Stock hoch über Londons Straßen
verlocken leicht zu manchem Selbstmord – Traum.

Die Katze mir zu Füßen hat die Ruh
als ihr Gehäus. Die Frau an meiner Seite
schloß sich im Schlaf wie eine Blume zu,
ihr Atem nur gibt sanft mir das Geleite.

Da draußen sind die Sterne und der Mond
und werden unser Leben überdauern.
Nachtwandlerisch umschleicht mein Wunsch die Mauern,
dem Frieden fremd, der hinter ihnen wohnt.

Und alle Laute, die das Dunkel haucht,
verwandeln jäh sich in ein kurzes Schweigen.
Dann taumle ich benommen und verbraucht
ins Frühlicht, dessen Züge bleich sich zeigen.


05. 01. 1936

Zwei Träume

Wann darf ich endlich aus dem Traum erwachen,
der lang genug mich nun gefangen hielt?
Der Sommermorgen wird mich glücklich machen,
sobald sein Licht auf Heimatlichem spielt.
Vertrauter Bilderschmuck vertrauter Wände
grüßt den erstaunten Blick, wohin ich schau.
Da ist mein Tisch, da sind die Bücherbände!
Es war ein schwerer Traum, geliebte Frau,
nun ist er ausgeträumt und ganz vertrieben.
Du glaubst es nicht? Betaste dieses Tuch!
Da sind die Dinge wieder, die wir lieben,
von uns genommen endlich ist der Fluch,
wir müssen nicht mehr durch die Fremde reisen.
Wir können, wie ein jung vermähltes Paar,
besitzerstolz das Heim uns zärtlich weisen,
das noch so ist, wie es am Abend war,
an dem wir es in banger Flucht verließen.
Die gleiche Stunde zeigt die alte Uhr,
du hörst die Pförtnerin das Haustor schließen,
es tappen Schritte auf dem Treppenflur.
Das Kartenspiel wird nebenan beginnen,
du machst am Herd ein spätes Mahl bereit,
und ich am Schreibtisch will ein Lied ersinnen
und bin beschwingt von meiner Einsamkeit
und von den tänzerischen Rundfunktönen.
Wenn die vertraute Glocke zwölfmal schlägt,
hör ich den eignen Vers verschwistert tönen,
wie sie ihn leicht durch alle Straßen trägt,
ein heimatliches Echo zu entfachen,
das die Musik der Nacht gerührt umspielt ---
Wann darf ich endlich aus dem Traum erwachen,
der lang genug uns nun gefangen hielt?


 04. 11. 1935

 Herbst in der Verbannung

Herbst ist wieder über uns verhängt.
Traurig gehn wir durch das graue Leben,
dessen Wege Nebel stets umfängt.
Diese Hügel haben keine Reben.

Welke Blätter wirbeln durch den Schmutz.
Sommer wurde Staub, die Lust Versagen,
keine Laube gibt der Liebe Schutz,
unser Traum darf keine Früchte tragen.

Ahasver irrt durch das Weltgewühl,
einen Packen Unruh auf dem Rücken,
Bruder meinem herbstlichen Gefühl.
Unsre Nächte darf kein Rausch beglücken.

Kein Versöhnungswein wird uns geschänkt.
Endlos scheint der Weg, die Nebel weben.
Herbst ist wieder über mich verhängt,
fröstelnd geh ich durch das fremde Leben
.


05.-08. 11. 1935

Ein Liebesbekenntnis

Wenn Du mir fehlst, fehlt mir ein ganzes Leben;
doch bist Du bei mir, mach ich Dir Verdruß.
Wie sollst Du das Versäumte mir vergeben,
ist alles immer nur ein Abschiedskuß?

Wie sollst Du meiner treuen Liebe trauen,
wenn sie sich nur im Trennungsschmerze zeigt?
Daß meine Augen traurig nach Dir schauen,
was nutzt es, wenn mein Mund auch dann noch schweigt?

Wie hilflos und vereinsamt ich mich fühle,
läßt Du mich wieder einmal hier allein!
Bekümmert streich ich durch die Abendkühle
und wünsche nur, Dir wieder nah zu sein.

Wie sehr ich jedes Pärchen dann beneide,
das heimwärts hastet, Arm in Arm, beschwingt,
hernach zuhaus bei dem Gelächter leide,
das aus der Wohnung nebenan erklingt!

Doch wärst Du hier, säß ich bei einem Buche
für Dich verschlossen, streng und abgekehrt,
Dein Antlitz, das ich nun verzweifelt suche,
hätte umsonst ein gutes Wort begehrt.

So mußt Du immer wieder mir vergeben,
bleib ich Dein Schuldner bis zum bittren Schluß.
Ich bin Dein Kind, Du schenktest mir das Leben
und sollst mich segnen, wenn ich sterben muß.


12. 02. 1936

Legende im Hydepark

Er stand bescheiden, schweigend an der Hecke
und hielt den Finger in das Morgenlicht.
Da nahten sich aus ihrem Nachtverstecke
die Vögel zärtlich seinem Angesicht,
berührten ihn mit flügelsanftem Kusse
und ließen sich auf Schultern, Haupt und Hand
behutsam nieder, und weither vom Flusse
flog auch die Möwenschar zu ihm aufs Land.

Der Mensch und bei ihm alles das Gefieder
blieb eine Weile seltsam unbewegt.
Verstummt war in dem Laub das Lied der Lieder,
ein Hund hat sich zu Füßen ihm gelegt,
bis jener Mann mit sorglichem Gebaren
das Mitgebrachte aus der Tasche nahm
für seine tierhaft treuen Jüngerscharen;
sein Liebling war die Taube, flügellahm.

Und jedes wußte, es kam an die Reihe,
und wartete geduldig auf sein Teil.
Die Sonne gab dem Ganzen ihre Weihe,
der Frühling tanzte in den Lüften Seil.
Die Amseln pickten folgsam ihre Bissen,
sogar die Spatzen, auch ein Schwan war da,
vom Teich hierhergewatschelt; denn es wissen
die Tiere alle, wenn ihr Heiland nah.

In der Allee spazierten feine Leute
und auf dem Reitweg trabten sie zur Schau.
Doch alles, was am Frühlingsglück sich freute,
auch die verliebte mädchenhafte Frau,
war nicht aus solchem Himmelsglanz gestaltet
wie dieser Mann im ärmlichen Gewand,
der wie von Engelsfittichen umfaltet
in der gefiederten Gefolgschaft stand.

Nun schien sie andachtsvoll auf ihn zu lauschen,
der innig über sie den Segen sprach.
In allen Bäumen war ein frohes Rauschen,
als dann der Wind das fromme Schweigen brach.
Beschwingt entflatterten die Vogelheere.
Der Mann stand wieder schweigend, ganz allein
als Mensch in jener endlos bangen Leere,
in der ein Mensch verdammt ist, Mensch zu sein.

Sehr ungelenk begann er sich zu fassen,
er lächelte verlegen und entschwand,
und jäh von jedem guten Geist verlassen
lag unbeseelt und arm und leer das Land.


10. 11. 1935

Nächtlicher Reigen

Nachts immer nebenan das heisre Husten
und eine stumme Drohung fühlbar nah,
die Zukunft über uns voll von Verlusten,
das Auge blind, das heut noch Schönheit sah.

In der Tapete oft ein strenges Klopfen,
Geräusche von verhängnisvollem Klang,
eintönig fällt aufs Fensterbrett der Tropfen,
es tappt ein fremder Schritt im dunklen Gang.

Ein Stern stürzt jäh verblutend durchs Geäder,
vergebens faßt nach ihm die schwache Hand.
Auf nassem Straßenpflaster kreischen Räder,
die Schatten flattern an der Zimmerwand.

Der Hausgeist schleicht aus seinen Heimlichkeiten
und raschelt leise prüfend am Papier.
Die wilden Jäger waffenklirrend reiten
und hetzen durch mein Herz das Traumgetier.

Dann wird es totenstill, die Welt erkaltet,
ich bin allein und habe keinen Halt.
Was ich ertasten will, ist ungestaltet,
die letzten Angst hat über mich Gewalt.


27. 10. 1935

Klage und Trost

Der ich bin voll Tränen bis zum Rande
und getränkt mit Bitterkeit und Gram,
daß ich auch im gastlich guten Lande
nie zu einer leichten Stunde kam:
wie soll ich mich heil zu Ende leben?
Alles wurde unentwirrbar schwer,
und auch milde Augenblicke
geben keinen Trost für unsre Zukunft her.

Alles ist mit Nebeln dicht verhangen,
alles bleibt unfaßbar und verfehlt.
Was die Straßenbettler heiser sangen,
tönt in mir noch, stumpf und unbeseelt.
Zweifel plagt mich, ob ich richtig wählte,
als ich ganz der Fremde preis mich gab;
denn wenn andre ihr Entsagen stählte,
brachte meins mich näher nur dem Grab.

Andre machten Frieden unterdessen
und versöhnten sich mit ihrem Los.
Nie kann ich, was ich verlor, vergessen,
die Erinnrung quält mich, riesengroß.
Auferstehn vor mir die Heimatwälle,
einst Verachtetes wird jetzt mir wert,
der Geruch der Keller und der Ställe
ist Vertrautes, das mein Herz begehrt.

Dennoch weiß ich, daß ich mich belüge,
daß die Heimat, die mich lockt, verfiel,
Maiandacht, Geläut und Schwalbenflüge
nichts mehr sind als meiner Schwäche Spiel,
und ich werde zu mir selbst erwachen,
meiner Traumgefangenschaft entgehn,
Gram und Bitterkeit mir fruchtbar machen
und auf neuem Grunde neu bestehn.


01. 01. 1935

Silvestertrunk 1935

Ich schau zurück, wenn jetzt die Glocken läuten:
was da im Rauch verschwindet und versinkt,
hat wenig Glück, viel Kummer zu bedeuten,
Enttäuschung auch. Vergeßt es denn und trinkt!
Das erste Glas auf das, was wir begraben;
Du, liebste Frau, wein ihm nicht länger nach!
Was man besaß, wird man auch wieder haben.
Dem Künftigen vertrau und sei gemach!
Das Vergangene gib verloren,
fürchte nicht, was kommen mag!
Neues Leben wird geboren,
Immer kommt der Morgen.

Das zweite sei der gegenwärtgen Stunde
dankbar gebracht, die uns hier heil vereint!
Wir sind j a frei, und unserm guten Bunde
droht diese Nacht mit keinem wüsten Feind.
Und will Dein Traum Dich noch mit Aengsten quälen,
die doch der Tag, dem wir entflohn; gebar -;
hier ist kein Raum für sie. Trinkt aus! Wir zählen
den Glockenschlag, zu enden dieses Jahr.
Mach Dir keine Sorgen,
wenn die Furcht Dich plagt!
Immer kommt der Morgen,
der den Spuk verjagt.

Das dritte gilt, ist nun die Zwölf verklungen;
dem neuen Jahr und seiner dunklen Fracht.
Da blüht ein Bild: wir beide eng umschlungen,
zufriednes Paar im Frieden dieser Nacht. -
Im Frührot treibt der Zukunft Morgengabe,
sie schuldet Dir doch noch das ganze Glück!
Das meine bleibt: daß ich Dich bei mir habe.
So folge mir und schau nicht mehr zurück!
Das Vergangne ist vergessen,
wenn wir in das Neue gehn.
Hast du einst ein Glück besessen,
wirst Du jetzt ein größres sehn.


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