Mein Kind - Gertrud Kolmar

Phillip O. Runge

M E I N   K I N D

zwischen Herbst 1927 und Ende 1932 geschrieben
(zu Lebzeiten unveröffentlicht)


 

Inhalt

 

Das Freudenmädchen

Ein grünes Kleid

Westindien

Verwandlungen

Komm

Der Rebstock

Maurische Legende

Der sonderbare Tanz

Weide

Hexe

Eisvogel

Schlaf

Spaziergang

Cafe Terra

Brot

Die Kinderdiebin

Echsenstadt

Spielzeug

Die Brunnentiefe

Troglodytin

Wahn

Du

Ein Mädchen

Winter

Abschied

Welle

Aus dem Zyklus ausgeschiedene Gedichte

Erde

Hoffen

Das Herz

Deine Welt

Mörder

 

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Das Freudenmädchen


Die Sonne hat nicht Scham und auch der Mondgeist nicht,
Der seine Nacktheit bleich in Sammet brennt.
Und so entfalte ich mein Blumenangesicht
Von blassem Honig, das die Scham nicht kennt.

Und öffne Lippen wie das Schloß an einem Buch,
Darin von Lust und roter Freude steht;
Aus seinen Blättern strömt ein schwacher Wohlgeruch,
Ein Heliotropgeruch, der leicht verweht.

An diesem Dreiweg bin ich in die Nacht gestellt,
Von klebrigem Laterngeglitzer naß.
Und das ist Reif, der harsch die Wange mir befällt,
Und meine Küsse werden kaltes Glas.

Wie Prismen, spektrumsbunt, in Ketten hängen sie,
Und keiner, der sie rührt und klingen macht
In ihrer lieblichen, geschmückten Melodie,
Aus Amethyst und Rosenquarz erdacht.

Der Turmuhrzeiger schleicht herum wie eine Hand;
Ihr dürrer Nagel weist: da steht der Tod.
Ach, bin ich Brust und Bug nicht mehr und schönes Land,
Nur dumpfer Winkel noch voll Staub und Kot ?

O du, ich liebe. Komm. Ich will dir Reiskorn sein
Und Weizenkuchen und die Würze auch.
Ich will dich, wenn du müd', mit Dolden überschnein
Und meinem Duft als ein Vanillenstrauch.


 

Ein grünes Kleid


In diesem Kleide möcht' ich eine Mutter sein.
In diesem Kleid, drum Träume fahren
Wie Hummeln um den grünen Wein
Mit dunklen Liedern und mit braunen Haaren.

Ich möchte sitzen, still verneigen mein Gesicht
In diese sinkenden und sanften Falten,
Draus Wald mit allen Zweigen bricht
Und rätselhaften Wunschgestalten,

Die noch in flüsternden Gehäusen schlummerlos
Den Grashalm ohne Ende haspeln,
Das Garn aus grünem, grünem Moos
Zu meines Kleides Saum und Paspeln.

Dann wie die Woge, die mit großem Meertier schwanger geht,
Wird kühlend Seide um mich schweigen,
Darüber meine Hand als eine Möve weht
Und als ein Sternbild meine Augen steigen.

In ihrem grünen Bogen liegt
Der Muschelschoß mit rosenfarbnen Rändern,
Der noch sein kleines Wesen wiegt
Den Palmenküsten zu und Papageienländern.


 

 

Westindien


Die Welt ist braune und weiße Erde;
Komm, wir teilen die Welt!
Nimm den Westen hin, daß ich Osten werde
Und felsig aufbreche, du Feld.

In meinem Becher von Jade will
Seltsam kostbare Freuden ich finden,
Die Freuden aus Hyazinth und Beryll
Um meine Hüfte winden,

Die Aprikose chinesischer Seide
Mit pflaumendunklen, sehr weichen Schuhn
Und den Bienenstachel in flimmernder Scheide
Einen kleinen Dolch, zu mir tun.

Ich lass' an der Mauer, die steinern liegt,
Blicke wie Blumen ranken,
Über den Weg, der in Wüste versiegt,
Und in des Mannes Gedanken …

Und so erwächst mit den Tagen die Beere,
Schlafende Frucht, das singende Land.
Westindien! Spielkind jenseits der Meere
Mit Eimern voll goldenem Sand!

Mit deiner Steppe gräsernem Hauch,
Der großen Büffel witternden Nüstern
Und des Wapiti hörnenem Strauch,
Mit Flammentänzen in Rüstern!

Ich habe die blitzend fliehnden Agraffen,
Winzige Schmuckvögel dir gezähmt,
Mit Pumas, mit pelzigen Goldstirnaffen
Den reichen Mantel verbrämt.

Um deine Schläfe kriecht der Reif
Smaragdener Leguane,
Araraschweif an Araraschweif
Rollt über dein Haupt die Fahne.

Mein Herz hat die brüllende Flut gegriffen,
Die Flut, das riesig schaummähnige Tier,
Und lädt ihm die Bürde aus tausend Schiffen,
Lächelnd von mir zu dir.


 

Verwandlungen


Ich will die Nacht um mich ziehn als ein warmes Tuch
Mit ihrem weißen Stern, mit ihrem grauen Fluch,
Mit ihrem wehenden Zipfel, der die Tagkrähen scheucht,
Mit ihren Nebelfransen, von einsamen Teichen feucht.

Ich hing im Gebälke starr als eine Fledermaus,
Ich lasse mich fallen in Luft und fahre nun aus.
Mann, ich träumte dein Blut, ich beiße dich wund,
Kralle mich in dein Haar und sauge an deinem Mund.

Über den stumpfen Türmen sind Himmelswipfel schwarz.
Aus ihren kahlen Stämmen sickert gläsernes Harz
Zu unsichtbaren Kelchen wie Oportowein.
In meinen braunen Augen bleibt der Widerschein.

Mit meinen goldbraunen Augen will ich fangen gehn,
Fangen den Fisch in Gräben, die zwischen Häusern stehn,
Fangen den Fisch der Meere: und Meer ist ein weiter Platz
Mit zerknickten Masten, versunkenem Silberschatz.

Die schweren Schiffsglocken läuten aus dem Algenwald.
Unter den Schiffsfiguren starrt eine Kindergestalt,
In Händen die Limone und an der Stirn ein Licht.
Zwischen uns fahren die Wasser; ich behalte dich nicht.

Hinter erfrorener Scheibe glühn Lampen bunt und heiß,
Tauchen blanke Löffel in Schalen, buntes Eis;
Ich locke mit roten Früchten, draus meine Lippen gemacht,
Und bin eine kleine Speise in einem Becher von Nacht.


 

Komm.


O komm.
Du amethystenes Gewölbe großer Nacht.
O komm.
Du goldgestickte Decke über süßen Broten.
O komm.
Sternsamen, aus dem himmlischen Getreide rieselnd sacht.
O komm.
Du kupferdunkle Schlange, die mit Lebensgeifer spritzt die Toten.

O komm.
Du überm Alltag schwebende, verzückte Melodie.
O komm.
Ich möchte einmal dich mit Lippen fassen, eh' ich sterbe.
O komm.
Du meine braune Rose. Solche gab es nie.
O komm.
Du samtner Taumund voll unsäglich süßer Herbe.

O komm.
Grau riesenhafter Turm, der in die Oden floh.
O komm.
Ich duck' mit Schleierkäuzen mich am Fenster ohne Scheibe.
O komm.
Du steinernes Gesetz, das bröckelnd stürzte irgendwo.
O komm.
Ich richte die geborstne Tafel auf an finstrer Eibe.

O komm.
Du Zauberspange, die der unverstandne Spruch durchflicht.
O komm.
Mein Haupt in Ruhe, meine Stirn in Schlaf zu schließen.
O komm.
Du blauer Brunnen, der aus jeder Blume eine schöne Iris bricht.
O komm.
Du Regenbogenweinen, grasgesäumtes Fließen.

O komm.
Mein Kind. O komm, o komm, du Kind.
O komm.
Mein hohler Paukenschlag kann mich nicht mehr betäuben.
O komm.
Und willst du nicht, so nimm mich in den Wind.
O komm.
Und laß mich überm Meere, Ockersand, verstäuben.


 

Der Rebstock


Und trag' ich diese Traube unterm Herzen,
So werd' ich still in meinem Bette liegen,
In meinem tiefen Dunkel ohne Kerzen
Und will der Wind sein und sie lächelnd wiegen

Und will ihr Blatt mit meiner Quelle spülen,
Als ein Gestirn um ihre Beeren hüpfen
Und ihre Reife lastend in mir fühlen
Und Netze für die fremden Vögel knüpfen,

Die auf dem Krüppelbaum am Straßenrande
Schon geil und höhnisch meine Frucht beloben.
Ich Sperlingsscheuche! Ich mit aller Schande,
Als Bild und Zier dem Mantel eingewoben.

Ich streichle sanft den reinen, kühlen Faden.
Ich bin sehr glücklich. Träume zwischen Heiden,
Zu Häupten Liebe, um die Füße Raden.
Und Herden ziehen wolkig auf und weiden

Und gehn im Dunst, der ferne zart und fliedern,
Und winken her mit kleinen Silberschellen
Und werden Schafe aus den Schlummerliedern
Mit ihren weißen und den schwarzen Wellen.

Ich aber ruh', die Traube unterm Linnen
Und schirme sie mit diesen beiden Händen,
Und meine Arme sehnen sich und spinnen
Die grünen Ranken hin an Mörtelwänden,

So dichte Ranken hin an meinem Leibe,
Daß sie den ungestalten schön umflechten;
Mein Antlitz aber blickt, die Sonnenscheibe,
Auf eine Lese hinter Mitternächten.


 

Maurische Legende


Fahrt auf, ihr Toten, fahret auf und zeugt!
Hier ist der Wein, wir wollen ihn um euch verschütten,
Und sind die braunen Brode unsrer Hütten.
Wir sind die Judenfraun - und keine, die ein Kind mehr säugt.

Wir weinen ... Dennoch bringen wir gemaltes Angesicht,
Und dennoch schließen wir den Arm in schweres
Goldgespänge
Und leuchten mit des Halses blitzendem Gehänge,
Und unsre Herzen kennen unsre Leiber nicht.

Die Herzen: dieses weiße Herz der Braut,
Die unvollbracht verfällt in ihrer Schöne,
Das rote Herz der Witwe ohne Söhne;
Sie ist wie Stein, dem Götzentempel eingebaut.

So haben wir gekauert, so zu Gott geschrien:
In Öden rings, in wüsten Gärten liegt der Mann erschlagen.
Die Feinde höhnen, weil wir niemals Frucht mehr tragen,
Kein süßer Weinberg aufsteigt mehr an unsern Knien.

Wir sind das brache Feld ... Der Herr hat sich erbarmt.
Der Herr hat eine späte Saat uns zugesprochen.
Ihr Schweigenden, die Maurenwut durchstochen,
Er will, daß ihr uns einmal noch umarmt.

Kommt, Bräute, zieht das bärtige, geliebte Haupt vom Sand
An eure Brüste ... Weiber, gleitet nieder
Und preßt euch warm an blutbespülte Glieder,
Und gib, du Mädchen, still dich der bestaubten Hand.

Dies ist nicht Frevel: Daß ihr mit dem Tode ruht.
Dies nicht... Wie möchte Gott sein Volk ersticken ?
Kehrt heim im Morgen, ohne umzublicken.
Und seid der Krug, die Scholle diesem letzten Blut

Und laßt es keimen not- und freudevoll
Und seine Ähren reifen über alle Erde,
Daß ihm ein Sichelblatt geschmiedet werde
Und eine Pflugschar, die ihm Furchen reißen soll.


 

Der sonderbare Tanz


Wie Paukenwirbel hab' ich meine Füße einst geschlagen,
Und meine Füße taten mir nicht weh.
Nun muß ich schwer und säumig mich durch Zimmer-
     fluchten tragen,
Ein Schlitten, plump im Schnee.

Von Sommerufern schwamm ich unter fütternder Libelle
Den gelben Mummeln nah.
Nun schäumt von Tannenscheiteln eine bleiche Flockenwelle;
Sie stehen dumpf und greisend da.

Auf buntem Teppich mach' ich nackte, mißgefügte Schritte.
Wie gut, wie gut, daß niemand sie erblickt,
Die wider alle Anmut sind und wider jede Sitte
So häßlich ungeschickt.

Ich will doch tanzen, aber ja, ich muß doch einmal tanzen;
Denn Lieder haben keinen solchen Dank.
In meinen Händen aber schwillt ein Zweig mit Pomeranzen,
Auf diesem Haupt glüht unvergossen süßer Trank.

Weil ich so fröhlich bin! Nur ganz ein seliges Erzittern,
Ein Früchtebaum im Wind,
Der seine Reife strahlend wiegt hin über grauen Gittern,
Das tausendfach empfangne Kind.

Um meine Schultern unsichtbar ziehn tönende Paläste,
Wächst sausend düstrer Stein,
Und silbern irrt ein Nachtstern durch mein bräunliches Geäste
Der grünen Krone ein.

Was war ich ? Kleines Weiberwesen, Unrast und Beschwerde,
Das Zündholz, das sich einer strich. -
Die Mutter bin ich; wenn ich kreise, tanzt auch Gottes Erde
Mit mir, in mir, um mich.


 

Weide


Über dir mein Singen wie Regen,
Glitzernd sprühnder Staub,
Und du sollst darunter dich legen
Mit dem süßen Laub,
Junge Weide, zärtliche Flechte,
Die aus dem Spiegel trinkt,
Der vom Weinen armer Nächte
Sich erfüllt und blinkt.

Demut weicher fließender Strähne,
Still verwehtes Haupt,
Das den Kreisen der Höckerschwäne,
Ihrem Schweigen glaubt;
Lächelnd tauchen Kräuselgestalten
Dir aus Haaren, Kind,
Wenn ich wiegen dich darf und falten
In einem nilblauen Wind.

Wächst du tief durch schlammige Gründe
An den Quellkristall,
Stößt die Wurzel dir aus Sünde
Mitten ins strömende All,
Wird ein Otterfisch sie nagen
Mit vergiftendem Biß,
Will ich Stürme um dich schlagen,
Schleier, die ich riß,

Mutter, dich auf Wassern tragen
In meine Finsternis.


 

Hexe


Die Monde gehen auf, die Monde gehen nieder;
Mein Tag ist immer doch der gleiche Tag.
Du liebes Angesicht. Dich kränzen bunte Lieder,
Der Meise blaues Läuten, schwarzer Amselschlag.

So sammetschwarzer Amselschlag, du Helle,
So silberweißer Flötenjubel, dunkles Bild.
Waldmädchen du. Die Moose hüten deine Schwelle.
Zu deinem Brunnen bückt das Wild

Die braunen Häupter mit den sprießenden Geweihen.
Und deine Nächte sind
Ganz angefüllt mit seltnen pfauenfarbnen Schreien
Und ginstergelbem Flüsterwind.

Smaragdeidechse. Kleine goldenbraune Schleiche
Um die noch Glanz des Laubes schwärt,
Das sommermüd verfällt in Elsenspiegel, Teiche
Und mit dem Schweigen abwärts fährt.

Mein einziger Besitz. Dich kann ich immer wandeln,
Verzaubern dich. Ich kann dir Hexe sein.
So werd' in meinem Park ein Strauch mit süßen Mandel
Auf meinem Tische Glas mit bernsteinklarem Wein.

Durchsichtig reife Erde. Komm, ich will dich trinken,
Dich Kraft. Und eine Mauer sehn,
Die schwere bronzne Löwenklau der Pforte klinken
Und wieder unterm Baum des Paradieses stehn.


 

Eisvogel


Als ein kleiner Vogel tanzt mein Kind,
Als der bunte Vogel überm Fluß,
Flüchtig glimmend, Regenbogenkuß,
Der von Rost und Bläue überrinnt.

Aber dies ist nur Gefiederkleid.
Dieses Frohe, das in Farben blitzt;
Denn ihr Zeh ist elfenbeingeschnitzt,
Und ihr Scheitel dunkelt wie das Leid.

Und ihr Antlitz dunkelt wie der Schmerz,
Wenn den Fisch, der rasch und rötlich schlägt,
Sie von Silberwiesen baumwärts trägt,
Purpurflosser - eines Menschen Herz.

Eines Mannes Seele ... Die im Tau
Kühl und reinlich ihren Tag gelebt.
Und sie schaut das Opfer: Wie es bebt.
Und sie atmet sanft: ich bin die Frau.

Einer Mutter armes Herz vielleicht,
Ihrer Mutter Herz ... Das sie verstößt,
Dem sie lächelnd tiefen Gram erlöst,
Stummen Schrei, der keinen Gott erreicht.

Ach, ich kenn' ihn wohl, den Vogelgeist,
Der mich Zuckendes mit Schärfe sticht,
Aus den grauen Wogenkammern bricht
Und hervor in seinen Himmel reißt.

Droben birst kristallenes Gesetz,
Fahren Fluten, grenzlos heiß und still,
Und die Flamme senkt das goldne Netz
Über einen Kirschbaum im April.


 

Schlaf


Dein weicher Mund liegt saugend an den Sphinxbrüsten
     meines Throns.
Mir zieht sein Durst herauf, und ich geb' ihm zu trinken.
Ich bin der Schlaf. Ich rühr' ihn mit Blättern blauen Mohns,
Die leicht wie Fächer auseinandersinken.

Sie sind bedeckt mit schwarzen Schattenrissen,
Die Färb' und Leben ihm zeigen, der sie gen Mitternacht hält,
Wenn groß dein junger Atem hinrollt über die Kissen
Und deinem Arm das kleine pelzige Spieltier entfällt.

Denn gar nichts Wirkliches zieht mit dir durch die Pforte ein,
Wenn du kommst, meine schöne Laterna magica anzusehn.
Du weißt: »Die erste war Gold, die zweite war Erz, die
     dritte war Elfenbein«,
Und nur durch die Elfenbeintür darfst du straflos gehn.

Wir haben orangenes Licht, wenn das lila erlosch:
Da schreitet die Königin mit dem Eidechsenschwanz,
Da reitet der dicke Bauer auf einem gelbbäuchigen Frosch
Und sattelt die arme Magd ihre schneeweiße Gans.

Die feuerbemalte Trommel brummt in das Schellenhüpfen.
Ihr letztes Dröhnen schüttelt das Ei des Vogels Rock.
Du siehst ein seltsames Junges der krachenden Schale
     entschlüpfen
Mit Löwenklau, mit Adlerflug und Hörnern gleich dem Bock.

Die Hörner sprießen lang, durchbohren den Stern
Und spalten sich, zackig zerklüftet, Zähne von Riesen.
Irgendwo sank ein Tal, ganz tief und ganz fern,
Mit stillen Birnbaumgärten und Pustblumenwiesen.

Zwischen den weißen Sonnen geht deine Mutter spazieren.
Hinter ihr wandeln ein Rind und ein Dromedar.
Sie trennt sich deutlich und klein von den fließenden Tieren.
Vielleicht sind es Träume - aber vielleicht ist es wahr.


 

Spaziergang


Komm, wir wollen unter Bäume gehn,
Die voll blanker Gummibälle hängen,
Zu den Sträuchern, da sich Gerten drängen
Und als Blüten rote Kreisel drehn.

Komm, wir wollen in den Garten gehn,
Wo die kleinen Sammettiere weiden,
Viele Puppen, gelb- und lilaseiden,
Schlank auf feingeharkten Beeten stehn.

Blaue Hühner, die es gar nicht gibt,
Silberkämmig, suchen deine Hände,
Nehmen Bröckelbrot und Körnerspende
Furchtlos dankbar, weil das Kind sie liebt.

Aus der Düne, die am Meere steigt,
Kriechen Eimer, Kuchenform und Schippe,
Tritonshorn, das ungeübter Lippe
Seine allerschönsten Lieder zeigt.

Eisenbahnen stampfen ihren Reim,
Winken fröhlich mit zerzausten Haaren.
Willst du um den braunen Felsen fahren ?
Jede Reise bringt dich wieder heim.

Denn vom Felsen springt Granatenwein,
Brausen Himbeer- und Zitronenwässer;
Grüne Maitrankblätter füllen Fässer,
Und das Honigkissen schwillt am Stein.

Koste, liebes Herz, und laß uns gehn,
Ampel zünden, Spiegeleier braten,
Deine Strümpfchen stopfen und beraten,
Was wir miteinander angesehn.


 

Cafe Terra


Von Erdbeerhügeln taumelt Schnee,
Und, ein Getürm aus Waffel und Schaum,
Mit Mond und Kuppel starrt die Moschee;
Bräunlich blättert der Zimtkuchenbaum.

Duftet noch grün und orangene Glut
Des Salvador im gekräuselten Rauch,
Schattet ein breiter Chinesenhut
Über dem schwarzen vertrockneten Strauch ?

Braune schlackige Welle trägt
Mexikanische Götter herauf,
Rebe lächelt bronzen und schlägt
Augen spanischer Mädchen auf.

Zauberäpfel von Marzipan
Gilben hinter milchigem Glas,
Weißem blühenden Porzellan
Pflückt Hawai die Ananas.

Seidene Ampeln flattern in Nacht,
Rote Sperber ob bläulichem Qualm:
Neben mir hebt es den Eiskelch sacht,
Saugt es innig am knisternden Halm,

Und ich schau' einen seligen Stern,
Der verwunschene Himmel durchstreift,
Niedersinkt auf den Erdenkern,
Den ihm Blüte der Mandeln gereift.


 

Brot


O liebes Kind. Willst du die Trauer
Miternten, die mein Teil geworden,
Durch mürbe Erde aufschoß in der Mauer,
Offen nach Süd und Norden ?

An Wolkenwind und Sonnenleidenschaft verraten,
Von bösen Kräutern angefallen ?
Schwarzpurpurn glimmend liegen nur im Mondtau
meine Saaten
Und wallen.

Und klingen aneinander wie Rubinengläser;
Hörst du die Stimmen bluten
Hinab zu dumpfen Steinen, auf erschrockne Gräser,
Die an den Wurzeln ruhten ?

Die Tropfen springen heiß und groß an deine Wange.
Du schlummerst noch im Kornwaldschatten.
Steh' auf. Wir mähn das Bebende, das Bange.
Im Speicher meutern graue Ratten.

Willst du mein Brot auch essen, diese bittre Zehrung ?
Ich kann dir keine andre geben,
Nicht Hunger dir bereiten, nicht Entbehrung.
Hier nimm. Mit beiden Händen für dein ganzes Leben!

Du wirst die braune harte Rinde nicht vergeuden,
Bloß weiße Krumen aus ihr reißen;
Ach Kind, verbrennen werden alle Freuden,
So scharf und bitter deine Zunge beißen.

Schlaf ein, der Mutter Kind, in Gluten.
Nicht Fächelkühle, keinen Leichtsinn darf ich schenken,
Nur dicht mit Garben dich umfluten,
Die schwere Häupter zu dir senken.


 

Die Kinderdiebin


Der Häher schreit, will die nestjunge Brut.
Der Häher schweigt, lauert im Nußgesträuch.
Die Diebin streift! Mütter, o hütet euch,
Ruft eure Kleinen an, und wahret sie gut!

Kinderdiebin hält, was sie schmeichelnd gefaßt,
Netzt ihm Lippen mit einem süßen Seim;
Worte sterben: »Eltern« und »Möchte heim«;
Und es bleibt ihr lieber, fröhlicher Gast,

Huscht und lächelt auf saftgrünem Schnabelschuh
Mit den Freunden durch gläserne Zimmer umher,
Dreizehn Zimmer; im vierzehnten aber, das leer,
Sitzt die Kinderdiebin und nickt ihnen zu,

Bäckt in mächtigem Herd ihnen Hutzelbrot,
Führt sie zu Schlagrahmhügeln, wölbig und weiß,
Großen, schönen Orangen und Pfirsicheis
In Kristallbechern, quellblau und finkenrot.

Ja, und sie haben auch Tiere: den Seidenspitz,
Scheckenkatze und den Neufundlandshund;
Vöglein durchflimmern spiegelndes Kuppelrund,
Flaggensylphe, Schmuckelf, fünffarbiger Blitz.

Graupapagei kann herzliche Rede verstehn,
Greift die Nußfrucht, dankt, zerknabbert den Kern,
Hockt am Rande sprudelnder Schale gern,
Drin die Zwergfische blättrige Flossen wehn.

Wenn die Glasuhr von siebenter Stunde spricht,
Kommt die Diebin mit dem Drachenzahnkamm,
Goldener Schüssel und einem Meeresschwamm,
Strählt das Haar und wäscht das runde Gesicht.

Da der Mond in das plätschernde Becken scheint,
Kindlein dämmern, traumnah, müdegespielt,
Kniet sie wispernd an allen Betten und stiehlt
Letzten Kuß, um den eine Mutter weint.


 

Echsenstadt


Die Krokodile kriechen, kriechen, kriechen;
Sie streben immer, tage- nächtelang,
Durch Schlamm und Wüstenwirbel. Und sie riechen
Nach toten Pflanzen, ausgespienem Tang.

Sie hausen wüstend in den Brotgetreiden,
Sie brechen alle Ähren mit dem Bauch,
Die Zähne tanzen stechend, Messerschneiden.
Und friedlos reckt sich weiter das Gekrauch

Bis an den fahlen Rand der Welt. Da lastet
Gespaltner Klippendämon rot im Dunst:
Sie schnappen auf; die Krustenpfote tastet,
Die kleinen Augen lächeln Glitzerbrunst.

Zyklopenmauern, bröckelnde Terrassen
Bleckt eine Höhlenstadt, aus Fels gesteilt
Mit Kluftgehäusen, krummen Trümmergassen,
Darin ein Wasser wild zur Tiefe eilt.

In Schwüle eingesunkner Grottenstuben
Schläft Schuppenstirne, grüngezähnter Kamm,
Verhuscht durch Schlünde ungeheurer Gruben,
Zersprungner Blöcke rostiges Geflamm.

Im Dämmer klimmt ein Drache zu Altanen,
Der atmend dünne Häuteflügel schürzt;
Geröllstaub steigt, wo Wimmeln von Waranen
Aus terrakottgewölbten Gängen stürzt.

Und Drusenköpfe brüten, Meeresechsen,
Des Moloch mißgestalter Götzenleib
Starrt scheußlich über Basiliskenhexen.
Agame blüht wie ein geschminktes Weib.

Die Krokodile rumpeln an. Und fallen
Als schwarzer Klump den Quellenkammern ein.
Ihr Poltern schleppt sich scheltend durch die Hallen,
In Augenblicken wieder still zu sein.

Sie aber sind, wo brausend Flutgefälle
In aufgebrochne Kraterbecken stößt,
Entgleiten wollustseufzend in die Welle,
Weitaus sich breitend, triefend und erlöst,

Versinken unter schweren, feuchten Schleier,
Ihn nie von ihren Brüsten abzutun
Und in der Ewigkeit der Erdenweiher
Die Ewigkeit der Himmel hinzuruhn.


 

Spielzeug


Der kleine Seehund ist ein Spiel im Kasten,
In hohler Brust die Schraube.
Er träumt ein Schiff mit Himmel an den Masten
Und weißer Segelhaube.

Er schaut den glasgegoßnen Schaum der Kronen,
Darüber Möwen singen,
Die Beete, bunt mit Meeresanemonen
Und Quallenschmetterlingen.

Ihr Kinder, laßt ihn kreisen um die Tische,
Ihn fahren an den Wänden,
Und reicht ihm frische Nahrung, Zauberfische,
In euren jungen Händen.

Die Wellen steigen mit kristallnen Spitzen,
Umklingen eure Säume,
Tangbärte kriechen grün aus Dielenritzen
Und rot Korallenbäume.

Südwestwärts tanzen kleine blaue Stühle
Die munterste Quadrille;
Sie schmecken fernen Duft durch Salz und Kühle
Von Zimmet und Vanille.

In eurer Bettstatt aber lagert Norden
Mit Schnee in kahlen Schluchten.
Der Eisbär springt von flutzerrißnen Borden,
Und wilde Vögel wuchten.

An bloßen Füßen saugt die Spindelschnecke,
Spielt Drachenkopf und Rochen;
Hoch über euch ist platte Mörteldecke
Zur Wolke aufgebrochen,

Die groß sich vor dem Abendblick gestaltet,
Ein Traum und eine Dolde,
Und jede graue Blume still entfaltet
Aus einem Kelch von Golde.


 

Die Brunnentiefe


Ich hatte mein Haupt in ein Gewässer versenkt,
Eine Schale aus taubenfarbigem Porzellan.
Mir ward die Stirn benetzt, dorrendes Haar getränkt
Und reich mit den Düften des Eisenkrauts angetan.

Die Strähne sog und ringelte sich zum Grund.
Es tanzten Lichter auf ihrer braunen Haut.
In maßlosen Brunnen sank jäh mir das Wasserrund:
Ein Tropfen fiel und ward in Sekunden laut.

Mein Haar entwuchs; was Schlange inmitten schien,
Ward an den Spitzen Alge, bärtiges Gras,
Zerspreizte sich um wimmelnder Quappen Ziehn
Und lohte schleierhaft durch ein grünliches Naß.

Da brach aus dem Stein eine Hand wie der bleiche Stern,
Wie weißer Falter; ich sah ihn flattern und flehn.
Er stand so klein, so zärtlich und, ach, so fern,
Doch unter ihm schluckte seltsames Strudeln und Drehn.

Die Finger zuckten in meinen schleimigen Flor.
Ich spürte ihr leises Zerren - mein Herz war wild -
Und hob mich wenig: ein Ärmlein tauchte empor
Und junger Scheitel mit silberblondem Gefild.

Ich rückte höher; im Brunnen stieg das Gesicht
Mit sanfter Wimper und Nüster, mit Mund und Kinn -
Mein Haar zerriß: Es trug seine Bürde nicht
Und schlug, ein Dunkel, über die Tiefe hin.


 

Troglodytin


Und ich muß durch Dunkelheiten
Wie durch große Wälder spähn,
Selbst die Schrecken mir bereiten,
Die sich meinen Stapfen blähn,
Brandgestruppte Elche, Bachen,
Grunzend um das Ferkelblut,
Wölfe, hungergrau, und Drachen
Mit den Waben gelber Glut.

Nackt, auf scharf bekrallten Zehen,
Rot von Schauern ausgewetzt,
Im Geröhr an Sumpf und Seen
Duck' ich brünstig und gehetzt;
Natter schlüpft durch meine Hände,
Schnecke näßt mein Haar mit Schleim,
Meine buntgefärbte Lende
Wird der Kröte liebes Heim.

Meine Zähne reißen Beulen
Von verkrustet hartem Stamm;
Ein beglücktes, leises Heulen,
Brech' ich hoch aus Ried und Schlamm,
Eh' der Leib mit Bärenpranken
Um den irren Wandrer ringt,
Ihn, erglüht, an Brust und Flanken
Keuchend sich zu Willen zwingt.

Auf verdorrten schwarzen Kräutern
Lieg' ich stumm im Höhlenhaus;
Schwer an trankgeschwellten Eutern
Hängen Kind und Fledermaus,
Da im Mondforst Auerhähne
Eine Hexe bellend neckt,
Die mit fahler Widdermähne
Goldne Kringelhörner deckt.


 

Wahn


Die Nacht steht draußen und die Wiege leer.
Und die sie schaukelt, eine bleiche Frau,
Trägt Strähnenhaare, schwarz und zäh wie Teer.
Vor ihrem Herzen ballt sich Grau zu Grau:

Der Tisch, das Bett, der Schrank und was da ist,
Der Tag, der Wald, die Liebe, was da war,
Das raschelt leicht und trocken wie Genist
Entflognen Spötters vom vergangnen Jahr.

Der Wiegebogen taumelt her und hin;
Sie klammert ihn mit nacktem Fuß und haucht
Ein Schlummerlied, das müde, ohne Sinn
Und ohne Hall in Schattenwasser taucht.

Sie hegt ein Kindlein, das vielleicht schon starb,
Und nickt dem Kindlein, das sie nie gebar;
So lieblich war es, weiß und nelkenfarb,
Mit Silbergrannen dicht im Roggenhaar.

Es hat mit soviel Freundlichkeit und Licht
Ihr einsam armes Leben ganz verwirrt;
Sie schaut es immer an und sieht es nicht
Und zittert, wenn der barsche Frost erklirrt,

Am Fenster rüttelt, wenn der Wächter bellt,
Den gelben Mond ein fernes Käuzchen höhnt,
Beschwichtigt murmelnd ihre kleine Welt
Und rührt die Klapper an, die beinern tönt...

Die Nacht steht drinnen und die Wiege leer.
Und die sie hütet, eine irre Frau,
Löst Seidenhaare, wallend wie das Meer
Und duftend, dunkel hyazinthenblau.


 

Du


Du. Ich will dich in den Wassern wecken!
Du. Ich will dich aus den Sternen schweißen!
Du. Ich will dich von dem Irdnen lecken,
Eine Hündin! Dich aus Früchten beißen,
Eine Wilde! Du. Ich will so vieles -
Liebes. Liebstes. Kannst du dich nicht spenden ?
Nicht am Ende des Levkojenstieles
Deine weiße Blüte zu mir wenden ?

Sieh, ich ging so oft auf harten Wegen,
Auf verpflastert harten, bösen Straßen;
Ich verdarb, verblich an Glut und Regen,
Schluchzend, stammelnd: ». . . über alle Maßen . . .«
Und die Pauke und das Blasrohr lärmten,
Und ich kam mit einer goldnen Kette,
Tanzte unter Lichtern, die mich wärmten,
Schönen Lichtern auf der Schädelstätte.

Und ich mochte wohl in Gärten sitzen,
Auch den Wein wohl trinken aus der Kelter,
Doch die Lider klafften, trübe Ritzen,
Und ich ward in Augenblicken älter.
Und auf meinen Leichnam hingekrochen
Ist die Schnecke träger Arbeitstage,
Zog den Schleimpfad dünner grauer Wochen,
Schlaffer Freude und geringer Plage.

In den Wäldern bin ich umgetrieben.
Ich verriet den Vögeln deinen Namen,
Doch die Vögel sind mir fern geblieben;
Wenn ich weinte, zirpte keiner: Amen.
Und die Scheckenkühe an den Rainen
Grasten fort mit seltnem Häupterheben.
Da entfloh ich wieder zu den Steinen,
Die mir dieses Kind, mein Kind, nicht geben.

Einmal muß ich noch im Finstren kauern
Und das Göttliche zu mir versammeln,
Es beschwören durch getünchte Mauern,
Seinem Ausgang meine Tür verrammeln,
Bis zum bunten Morgen mit ihm ringen.
Ach, es wird den Segen nimmer sprechen,
Nur mit seinem Schlag der erznen Schwingen
Diese flehnde Stirn in Stücke brechen . . .


 

Ein Mädchen


Ich war der Krug, drin Rose stand
Mit Blättern, gelb wie Honigsüße;
Vom Ohr ein flammig buntes Band
Sprang mir herab auf dunkle Füße.
Was ist nun Rose ? Einsamkeit.
Wie sprach der Blume Duft ? Verwelken.
Ich lieg', von Spinnweb eingeschneit,
Im Winkel dämmernd an Gebälken.

Erblindet bin ich, rußgewärmt,
Mein Früchtegürtel wund, zerfressen.
O arme Erde, die sich härmt,
Gott hat dein Bodenloch vergessen;
Wie jene Truhen sollst du sein,
Die tiefer in ihr Staubnest kriechen,
Nur manchmal nach Erinnrungswein
Und kleinen braunen Kuchen riechen.

Wenn einst noch junge Hand mich faßt,
Dann mag ich sanft und müde gähnen;
Ich steh', ganz stumpf von langer Rast,
Ich steh', ganz angefüllt mit Tränen,
Und lass' durch kranke Scharte leis
Die Tropfen und die Tage rinnen
Um ein verkümmert krankes Reis,
Das hilflos stirbt in meinen Sinnen.


 

Winter


Der Triefbart zackt vereist vom Regenrohr.
Nordost steift wölfisch das gespitzte Ohr.

Ein Stern friert bläulich an, von Dunst umdickt.
Der Neuschnee klingelt glasbehängt und tickt.

Und Krähen schwimmen in den Acker schwer,
Der starre Wellen schlägt, ein schweigend Meer.

Ich steh' am Uferwege, welk und klein,
Und senkte gern der Schäumeflut mich ein,

Die Fischernetze toter Amseln schleppt,
In steinern grünlich dunklen Abend ebbt.

Leicht splittert von der Wunde meiner Brust,
Dem schwarzen Kreis, ein Vogel ab: Gekrust.

Der Schneeglanz spült ihn hin: verdorrter Klang,
Der Regenbogen über Wälder sang.

Ich blieb. Durch meine Lider stichelt Reif.
Und hinterm Auge, weit, zerfließt ein Streif

In Grau und Rosa. Blaß verwischter Steig.
Ein Silberkelch, aprilner Pfirsichzweig,

Der leise, dichte Bienensüße weht.
Die Woge atmet in ein Scillabeet

Den stummen Fittich aus: er dehnt sich matt. . .
Kalt bleicht die Mondstirn, die kein Antlitz hat.


 

Abschied


Nach Osten send' ich mein Gesicht:
Ich will es von mir tun.
Es soll dort drüben sein im Licht,
Ein wenig auszuruhn
Von meinem Blick auf diese Welt,
Von meinem Blick auf mich,
Die plumpe Mauer Täglich Geld,
Das Treibrad Sputedich.

Sie trägt, die Welt in Rot und Grau
Durch Jammerschutt und Qualm
Die Auserwählten, Tropfentau
An einem Weizenhalm.
Ein glitzernd rascher Lebenslauf,
Ein Schütteln großer Hand:
Die einen fraß der Mittag auf,
Die andern schluckt der Sand.

Drum werd' ich fröhlich sein und still,
Wenn ich mein Soll getan;
In tausend kleinen Wassern will
Ich rinnen mit dem Schwan,
Der ohne Rede noch Getön
Und ohne Denken wohl
Ein Tier, das stumm, ein Tier, das schön,
Kein Geist und kein Symbol.

Und wenn ich dann nur leiser Schlag
An blasse Küsten bin,
So roll' ich frühen Wintertag,
Den silbern kühlen Sarkophag
Des ew'gen Todes hin,
Darin mein Antlitz dünn und leicht
Wie Spinneweben steht,
Ein wenig um die Winkel streicht,
Ein wenig flattert, lächelnd bleicht
Und ohne Qual verweht.


 

Welle


Wenn der Abend schwimmt,
Will auch ich verrinnen,
Mit den Vielen ziehn
Murmelnd in das Meer.

Rolle leicht dahin
Wie in grauem Linnen
Schwacher Fadenstreif;
Ach, ich bin nicht schwer.

Dieses Antlitz weint;
Abwärts muß es klingen.
Säumen darf ich kaum,
Wenden kann ich nicht.

Über banges Schilf
Hauchen süße Schwingen;
Königsfischer schweift,
Kleines Flitterlicht.

Königsfischer du,
Bist du wellentflogen
Nur mein armer Traum,
Der das Ende zeigt?

Zürnt auch dir der Wald,
Der mit dunklen Bogen
Starr in Dämmerflucht
Türme hebt und schweigt?

Durch den schwarzen Wald
Muß ich schluchzend tasten;
Einmal sinkt er doch
Tot in blasses Feld.

Letzte Barke schleppt
Ihre dumpfen Lasten
Über meine Stirn
Außer meiner Welt.

Zwischen blauem Moos
Läuten zart die Unken,
Und ein Seegetüm
Rauscht an fahler Trift.

Atmend schläft die Flut,
Achtlos hingesunken
Über welkes Lied
Und verlöschte Schrift.


Aus dem Zyklus ausgeschiedene Gedichte

 

Erde


Die Erde siecht von Jahr zu Jahr
Wie eine Mutter, deren nicht die Kinder achten.
Sie schmähn das spukhaft wirre Haar
Und ihre närrischen vergangnen Trachten.

Gift hat die Blütenstirn geätzt,
Ein wilder Fleiß den Blick verändert,
Der Städte Aussatz ihren Leib gefetzt,
Und Schienen halten ihn umbändert.

Und alle Blumen in den Falten sind zerdrückt
Und alle bunten Kanten ganz zerknittert,
Und schöne Tiere, die sie einst geschmückt,
Sind blaß und brüchig abgesplittert.

Ich habe auch die Hände nicht
Und nicht den Mut mehr, dir zu dienen
Vor diesem neuen, fordernden Gesicht,
Gebieterischen, starken Mienen.

Ich kann nur wie die andern tun,
Die dich nicht sehn, nicht ehren,
Ich Windgeschöpf des Heut und Nun.
Doch einmal will ich wiederkehren.

Ein ewig Mal... Wenn ich mein Kind gebar,
Wie Höhlenweiber Leben warfen.
Da lieg' ich nackt, und bringe dir es dar,
Fern allen Schemen, allen Larven,

Und wirk' ihm einen offnen Schrein
Aus Glas und Gold; so soll es an dir hängen,
Ein Zierrat, köstliches Gestein.
Nach deinen Hügeln wird es drängen,

Darinnen nie die Quellmilch ganz versiegt,
Sich unbewußt und tief erquicken,
Aus deinem Garten, da es liegt,
In meine Augen blicken.


 

Hoffen


Was ist dir Tag, den du begangen,
Was ist dir Abend, den du kennst,
Wenn du an seinen fahlen Wangen
Schon neuer Glut entgegenbrennst,
Vor seinen schmerzvoll schweren Lidern
Dir fernen Sonnenblitz erdenkst,
Dem armen Schweigen kein Erwidern,
Dem dünnen Wort kein Echo schenkst ?

Wie ausgediente Kinderspiele,
Verstimmtes Rohr, zerbrochnes Tier,
Stehn deine Stunden, ach so viele,
Verbraucht, zerschlissen hinter dir
Und mögen sich mit Staub bedecken
Und flüstern, was du nimmer glaubst:
Daß du sie einst aus grauen Ecken
Mit Bettlers eklen Rinden klaubst.

Es ist die Ampel blutgeschliffen,
Rubinvertropften Kranzes schwer,
Die schwebend funkelt, unergriffen,
Durch Dünste deiner Krypten her;
Geätzt mit reich verschlungner Freude,
Von zarten Prismen überhängt,
Entgaukelt sie dem Grabgebäude,
Das deine feuchten Stapfen fängt,

Und wirft den Schatten an die Mauern:
Ein träger Flügel wie der Schwalk,
Daraus Gewänder, Glieder schauern.
Du aber stehst und küßt den Kalk
Und schaust in wirr umrißne Schwärzen
Dies liebliche, das junge Glück,
Du malst es ab in deinem Herzen
Und gibst ihm Schein und Form zurück.

Da glänzt der Ruhm aus Thujahainen,
Dem Rasen marmorn eingesenkt,
Da zittert Goldsand über Steinen,
Wenn Wind ein breites Füllhorn schwenkt,
Da flicht der stillste aller Siege
Zu bräunlich dunkelndem Gebet
Das Veilchenweinen einer Wiege,
Die in verschloßnen Träumen steht.


 

Das Herz


Ich ging durch einen Wald.
Da wuchsen viele Herzen.
Sie waren rot in Schmerzen,
Sie waren stolz und grün und kalt.

Sie rieselten und hingen
Von dünnem Ast, Morellenast.
Ich wog die sonneneigne Last
Und ließ sie schüchtern klingen.

Ich habe eins gepflückt,
Das dunkel schien vor Reife;
Es hat mit grüner Schleife
Und einer Blume mich geschmückt.

Ein Herz ist heißes Klopfen.
Ich ahnte zögernd, daß es bat.
Zuweilen, blutschwarz wie Granat,
Zersprang ein großer Tropfen.

Es läppte gräserwärts
Mit aufgerißnen Schalen.
Da schlug aus welken Qualen
Ein kleines, kleines blaues Herz.


 

Deine Welt


O, dir singt der Sturm wie eine Drossel,
Sturm, der hohle Wust,
Ist der Mond mit silbernem Gebossel
Nur ein Schmuckstück auf der Brust,

Tanzt das Meer, Gebrüll der tausend Rüssel
Grauer Elefanten, ungezäumt,
Als ein Bad in kleiner weißer Schüssel,
Und die Mandelseife schäumt.

Deine Augen können viele Sonnen
Auf dein Kleid herniederziehn,
Die, in goldne Teiche ausgeronnen,
Schweben über deinen Knien.

Waldestiere kommen her, zu schlürfen,
Tauchen fremd und lautlos ein;
Werd' ich eines Tags berühren dürfen
Ihrer Leiber braun und bronznen Schein ?

Dunkle, ungestalte Vögel trinken -
Suchen sie mich auch ?
Denn ich spüre fern das Flügelsinken,
Und es schlägt mit kühlem Hauch.

O, du spielst den schönen Farbenreifen
Groß und zitternd vor dir her;
Wir, die wir ihn manchmal zärtlich greifen,
Können ihn nicht treiben mehr.

Dir nur fügt er sich zu Seil und Drachen
Wenn du schlafen sollst,
Hoffend, daß du wieder beim Erwachen
Seine Sternennabe rollst.


 

Mörder


Die Mörder gehen in der Welt herum.
Die ganze Nacht, o Gott, die ganze Nacht!
Sie suchen dieses Kind, das in mir angefacht
So wie ein Licht, erscheinend, mild und stumm.

Sie wollen es doch löschen. Wie ein Schattenquellen
Entrinnen sie aus winkligem Gebäu,
Wie magre Katzen, die sich scheu
Hinducken über ausgetretne Schwellen.

Und ich bin an mein Bett geschweißt
Mit dürrer Kette, die der Rost zerfrißt
Und die doch schwer und gänzlich ohne Mitleid ist,
Nur eiternde Geschwulst aus meinen Armen beißt.

Der Mörder kommt ja schon. Er trägt den Hut,
Einen breiten Hut mit Turmkopf, ungeheuer;
Am Kinn sproßt kleines gelbes Feuer.
Es tanzt auf meinem Leib; es ist sehr gut …

Die große Nase schnüffelt, längert sich
Zu dünnem Rüssel. Wie ein Faden.
Aus seinen Fingernägeln kriechen Maden
Wie Safran, fallen auch auf mich.

In Haar und Augen. Und der Rüssel tastet
Auf meine Brüste, nach den rosabraunen Warzen.
Ich seh' ihn weißlich fleischlich winden sich im Schwarzen,
Und etwas sinkt an mich und keucht und lastet -

Ich kann nicht mehr ... ich kann nicht ... Laß die Schneide
schlagen
Als einen Zahn, der aus dem Himmel blitzt!
Zerstoße mich! Da wo der Tropfen spritzt:
Hörst du ihn »Liebe Mutter« sagen?

Hörst du - ? O still. In meinem Schoße ruht das Beil.
Von seinen Seiten brechen eibenhaft zwei Flammen;
Sie grüßen sich und falten sich zusammen:
Mein Kind. Aus dunkelgrüner Bronze, ernst und steil.


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