Rudolf Borchardt - Jugendgedichte

WIDMUNG
Tausend Gesellen erbat ich vom Ewigen eh mir
Gott in Einem
Vergalt mit vollen Tausend die er mir weigerte
Liebreich Herz, Du Geber, ich danke Dir, Rudolf
Alexander
Verteidiger, Bestätiger, Besänftiger.


September 1903

AN HOFMANNSTHAL
Pisa, Nov. 04.

Die Welt ist jedermanns: doch keiner weiß,
Als der ihr Bild hat, das Gesicht der Welt:
Es ist, und ist nicht — außer, einer steht
Und dreht an einem Spiegel, fängt ins Glas,
Was eingewachsen aus der hintersten
Entrückung blickt, und einen andern Ort
Fände der Ein und Andre sich, von wo
Die seligen Augen ihm ein Widerstrahl
Beträfe aus dem Hergespiegelten:
Denn wie er aufschlug, fliegt er ab, und steht.
Der Gott, und der ihn weist, und dem er scheint,
Sind Heilige Drei, und diesen wohnt die Statt
In ihren eigenen Angeln, aber nicht
Im Ja, und blöden Eintags-Nein. Den Pol
Weiß ich und du — dir nennt ihn heut ein Kind —
Aus dessen stumm unweigerlichem Bann
Kein Stern entliefe, wenn ihn gleich kein Wort
Dem Blick bezeichnete, denn also ist
Was sein muß, alles heimlich ausgezählt,
Wo Zufall aufhört, bricht das Feurige
Des Heiligen durch, reißt Erde mit, wird Glück,
Und Glück ist Not, einfältig durch und durch.
Auch starb der Gott nicht aus, und wer Du bist,
Weiß ich genau, und führe ja durch Nacht
Die Straße solchen Strahles, den du wirfst
Noch in kein Aug, entbehrten des Geschlechts
Gewahrender die Örter noch, durch die
Er heut schon fortfliegt, steh du, wo du stehst,
Und sei voll großen Mutes, Hofmannsthal;
Seit Goethe uralt fortgegangen ist
Von wannen er gekommen war, und Kleist
In sich zusammen stürzte wie ein Turm,
Sprach keiner Vers und Deutsch wie du, noch sah
Ein Herzog der, die in Gedanken gehn,
So einsam aus dem Purpur. Mir laß du
Für heut die Laune, kurz zu sein, indes
Die Knaben niemals enden, und vergib
Daß dieser Sommer mir zu lang gewährt,
Und keine Frucht des Herbstes lieber mir
Aus dem vollkommenen Horn herunter fiel,
Als der es leer läßt, der Granatapfel:
Nachtgleiche fällt von Sternen mit dem Sturm,
In Ebbe treibt das Jahr, und was von ihm
Zu sagen mich verlangte, noch mit mir
Bedenk ichs, hochaufatmend, nah dem Meer,
Wo ich auf tiefen Wiesen mir das Tier
In Zaum bereiten muß, pisanische
Zucht von den Stuten Pelops, — daß es nah,
— Ah, nur zu weit nicht bleibe hinter dir,
Und auf der gleichen Straße uns Gespräch,
Und dich und mich das riesenhafte Ziel
Hoch in den Sätteln finde, Reitende
Durch Winter in die Nacht und Rauch von Rom.


 

KNABEN SCHWERMUT

O Wolken, warum nahmt ihr was ich litt
Und was ich war, was ihr mir brachtet, mit?
Schon neue steigen an den Hügelrändern
Und bringen mir den Schmerz, mich zu verändern.

Ich sehne mich nach einem ewigen Nun;
Nicht immer, aber heute möcht ich ruhn;
Ich sehne mich danach, daß dieser Strich
Nicht morgen fleht: „mach mich veränderlich".

Nun muß ich wachsen, wie Gefild und Tier;
Auch ist im Winde Eigenschaft von mir;
Mein Eigen ist der bittere Gewinn,
In mir zu wissen, was ich nicht mehr bin.

Zum Wachsen ist es die bewußte Pein,
Die mich zu werden zwingt, und neu zu sein —
Kein Zeiger mißt und keine Spitze schreibt
Und keine Hand stellt ruhig, was mich treibt.

Um unsere Stirnen wandelt wunderbar
Mit Sturm und leichter Luft das mächtige Jahr —
Von jedem Wandel, dran es sich erhält,
Fällt Wandel über uns und auf die Welt:

Du wußtest, Altertum, was du gedichtet:
Augen der Götter sind auf uns gerichtet,
Wie das Gestirn am Bogen weiter rückend,
Taglang und Nachtlang, quälend und entzückend.

Von ihnen fließt es: aber meine Hände,
Wann halten sie, was ihnen widerstände?
Bin ich auf ewig dem Geheiß verpflichtet,
Weil michs beseligt, daß es mich vernichtet?

Ich wollte ohn euch sein, wenn Ihr mir ließt,
Was Ihr mir gabt, und sagen: „Andern fließt!"
Ihr seid die Feuersbrunst, Ihr seid die Habe:
Wir sind gemein, und nennen beides Gabe.


Winter 1901

PARGOLETTA

Das Haus ist zwischen tiefen Hecken
Auf einen wilden Stein gebaut,
Die steilen Lilien verstecken
Es Nacht und Tag vor jedem Laut —

Das Land, durch dessen stumme Pforten
Der Fremde geht mit bangem Sinn,
Bequemt sich tief geheimen Worten:
Ein Kind ist dort die Königin.

Sie geht durch Tau und grüne Wiesen
Im Winde, der sie laut umstreicht,
Von dunklem Stahle voll Türkisen
Die alte Krone trägt sie leicht,

Und so von Stahl gefügte Spangen
Umgeben ihre stille Hand,
Als wäre selber sie gefangen
In ihrem sagenhaften Land.

Sie scheint im Lauschen vorgebogen
Zu Sprüchen, die im Boden ruhn,
Der Mund, geheimnisvoll gezogen
Schweigt Liebliches, wie Blumen tun.

Auf ihre großen Augen hangen
Die Wimpern feierlich gesenkt,
Die lächelnd unbewegten Wangen
Sind des der geht, und süßes denkt:

So schön hat sie der Bann bezwungen,
Der sich um ihre Hände flicht:
Ein Lied ist über ihr gesungen,
Sie sucht sich, und sie kennt sich nicht,

Darum ist ihr die Welt versiegelt,
Vor jedem Eingang ist ein Stein,
Der Tiefblick ihrer Augen spiegelt
Ihr nichts zurück von wahrem Sein.

In einem tiefen Schlafe geht sie
Durch einen zugewachsenen Hag,
Wie die vergessene Kerze weht sie
Loh ohne Licht an mitten Tag.

Du brauchst die Spur nicht erst zu finden

Darauf sie so versunken glitt:
Vorauf gesandte Tauben binden
Schon deinen Schritt an ihren Schritt,

Ziehn dich hinein in die Legende,
Dich und den vorgeschriebenen Stein, —
Es schließen deine beiden Hände
Die Geisterglut des Lebens ein —

O nicht umsonst die rechten Worte
Vertraute dir der Mund im Traum,
Der Zeigefinger vor dem Horte —
Sie wird sich, und sie weiß es kaum

In einem tiefen Blick erkennen,
Wenn der Rubin den Bann zerreißt,
Und deinen Namen wird sie nennen,
Wenn du das eine Wort noch weißt.

Dann springen die verbotenen Türen:
Die Wiederkunft wird offenbar,
Aus Grüften wird der Engel führen
Den Stier, den Löwen und den Aar,

Ein Winterstern auf Erden walten, —
Aus Duft und Stille aufgenährt
Mit Deiner Glut und ihrer schalten
Die Flamme, hausend auf dem Herd


Winter 1898

HEROISCHE ELEGIE

Im Blauen winkte mir ein sanftes Land
Ich war an Stimmen alter Zeit verloren —
Ein Vogellied, das ich von je gekannt,
Drang neu und schlang sich fremd zu meinen Ohren.
Wem singst du, Kehle, Vogel Ungenannt,
Dem Weisen dumpf, und tränenvoll dem Toren?
Wer hat mich zu verführen dich gesandt?
Ich weiß, daß ich verirrt am Wege stand,

Und dass ich lautlos über tiefen Stiegen
Ein hohes Haus hinauf begierig strebte,
In dessen Hof sich viele Bäume biegen —
Ich weiß auch dies: daß ich nur wenig bebte
In jenem Saal, wo die drei Frauen liegen —
Die greisen sangen, und die junge webte —
Und schon bewegte sich von ferner Halle
Musik gedämpft mit schwermutvollem Schalle.

Dem finstern Tanz der Männer und der Frauen,
Drin rot der Kien und fahl die Kerze glühte,
War ich gewillt, gelassen zuzuschauen —
— Dich, der das Auge so verführend sprühte!
Wo sah ich dich! Und den mit strengen Brauen!
Und da! und die! — Indes ich steh und brüte,
Und diese sich und jene bittend winken,
Schwillt fordernder zum Tanz der Ruf der Zinken.

Nur mehr! Nur mehr! daß ich nichts andres höre!
Nur Rausch auf Rausch! Ich darf mich nicht besinnen!
Besorget nicht, daß ich den Taumel störe,
Sucht euch, und findet euch, und flieht von hinnen!
Was steht ihr nun, grausame Schattenchöre!
Und du! Jungfräuliche! Im weißen Linnen!
Ich weiß, was deine Schulter zittern macht —
Ein Vogel singt so traurig in der Nacht —

Nein, sieh nicht so, von ferne, zu mir her!
Faß meine Hand und tritt mit mir den Reigen.
Mein Schritt war früher leichter? scheint dir schwer!
Wann das? und wo? Zeit ist ein Meer. Die Geigen
Sind viel zu laut. O sprich nicht, sprich nicht mehr,
Laß Blick Musik sein, und den Mund verschweigen!
Die Rose! Welche? Die im Haar dir blich!
Du weißt, ich gab sie dir, ich küßte dich,

Und sprach: „Die Nacht ist wundervoll beflügelt,
Opal ist aufgewölbt und Silber gleitet.
Das Mädchen, das die weißen Kühe zügelt,
Sprang tief vom klirrenden Gestühl und reitet
Mit milchenen Geschirren ungebügelt, —
Auch ist die Welt nun endlich ausgebreitet,
Im schwachen Licht unsicher alle Ferne
Und nichts gewiß, als Wind, Gesang und Sterne."

Ich küßte dich und gab dir dies Gewand
Und sprach: „Geliebten Gliedern laß michs leihen.
Der Morgenhimmel ist hell ausgespannt,
Sie tanzen draußen einen lauten Reihen —
Geliebter Mund! geliebte kühle Hand!
Wir faßten uns und wanderten mit Maien —
Ich weiß nicht, wann dies war; und nicht warum.
Zeit ist ein Meer.--O blicke nicht so stumm,

O sprich, vergib! Ein Wort, laß dich erbitten!
Sprich: „dies ist Dunst und Schaum von blassen Träumen
Und irgendwie ins Wache fortgeglitten!
Dies sind Gestalten aus unsichern Räumen
Ganz schattenhaft, mit prahlerischen Tritten!"
Sprich: Dies Gespinst mit überzarten Säumen
Ist das Gewirk traumhafter Webestühle —
Du lagst indes und schluchztest in die Pfühle!")

Ich weiß. Ich weiß! Nur daß ich Traum erlebte,
Wie Leben Traum schien. Duld es und vergiß. —
Ich weiß, das Auge, das nach deinem strebte,
Traf nur das Graun endloser Finsternis,--
Nur daß dein Bild, wie oft! wie herrlich! schwebte,
Wenn unter Blitzen schwere Hülle riß!
Ich fing mich nur in deines Mantels Falten,
Doch fing ich mich, und fühlte mich gehalten.

Nun hältst du mich? Laß meinen Arm. Wir wären
Verloren, wenn wir hier zu gehn verharrten —
Du weißt nicht, wo du gehst. Auf diesen Fähren
Zieht es uns, zieht zu einem toten Garten —
Die Gräser schwanken Flut von grauen Ähren,
Drin stehen die Wächter mit den Hellebarten,
Und vor dem Tore mit dem Lilienstengel
Schwimmt Flamme rot, und riesenhaft der Engel.

Eh war ich dort. In Bäumen sang es schwer
Aus tiefen Kehlen, und die Wasserborne
Einst herrlich lärmend, starrten trüb und leer.
Vom gelben Ginster und vom roten Dorne
Sind Weg und Steg verwachsen. Selbst das Wehr
Ist tot, sein Lied ist tot, das hold verworrene —
Da wirs nicht suchten, blühte dort das Glück:
Heut fänden wir den Weg nicht mehr zurück.

--Entschwinde nicht, entschwinde nicht, ent­schwinde
Mir jetzt noch nicht, Geliebte, Kind, Gefährte!
Geliebte Hände, wie dereinst gelinde!
Mund wie dereinst, nach dem ich mich verzehrte!
Ich liebte dich! Fast lieb ich dich! Ich binde,
Ich zwinge dich! Hand, die so oft mir wehrte,
Jetzt nicht, ich duld es nicht, — zurück! hierher —
Wo bist du! — Fort. — Entschwunden. — Zeit ist Meer,

Ist Meer und rasend Element, und schlinge
Denn alles ein, was lieblich und erfreuend, —
Den sanften Bau entzückenvollster Dinge
Zerschlage Sturz mit Fluten sich erneuend--
Es türmt sich gegen meine schwache Schwinge
Mit Sturm im Bund die Woge sinnlos dräuend
Laßt mich! Was wollt Ihr mit dem schwarzen Kiele —
— Ich will nicht! Los! (In fürchterliche Spiele

Bin ich verstrickt). Laßt los! Gewalt? Gebunden!
Gebunden, ja. Es ist um mich getan.
Vorbei so freud- wie leidenvolle Stunden.
Ich kenne euch, ich weiß um diesen Kahn.
Schon knirscht er auf? So ist der Port gefunden,
Und soll ich Schatte mich den Schatten nahn?
Zwei junge Füße, sanften Vörwärtsstrebens
Geleiten meinen Schritt ins Haus des Lebens.


September 1900

DIE SEPTEMBER-SONETTE

I
Vom Tage nährt sich schon die Nacht verstohlen;
Schlaflose Stürme laufen in den Gärten
Und holen mich auf ihre blassen Fährten.
Ich binde mir die Flügel an die Sohlen
Und bin hinaus — (doch träum ich wohl). Mich holen
In ihre Reigen andere Gefährten —
Wo sah ich sie, die sich gleich Sternen mehrten
An heißen Abenden? — Ein Atemholen

Und alles hin, wie Duft. Ich bin ganz wach
Und weiß, ich geh, und sag: „Noch heute nur!"
Von Stunden ein verfließendes Gesind
Schwebt tönend fort durch Kammer, Tor und Flur.
Ich spüre vom erhobenen Gemach
Atmende Nacht und Bäume ohne Wind.


II
Atmende Nacht und Bäume ohne Wind
Verführen mich, an deinen Mund zu denken,
Und daß die Pferde, mich hinweg zu lenken,
Schon vor den Wagen angebunden sind;
Daß alles uns verließ, wie Wasser rinnt,
Daß von dem Lieblichsten, was wir uns schenken,
Nichts bleiben kann und weniges gedenken:
Blick, Lächeln, Hand und Wort und Angebind;

Und daß ich so einsam bekümmert liege,
Und dir so fern, wie du mir fern geblieben —
Die Silberdünste, die den Mond umflügeln,
Sind ihm so ferne nicht, als ich dir fliege,
So ferne Morgenrot nicht Morgenhügeln,
Als diese Lippen deinen, die sie lieben.


vor dem 12. November 1900

NEBELHAUS

I
Ich stieg auf Stufen zwischen Traum und Traum.
Sie hingen links und rechts an meiner Hand
Und blieben neben mir, wo ich still stand
Und Atem holte: denn ich lebte kaum.
Vor ihren Augen war ein Nebelflaum —
Spinnwobner Duft, entsetzenvolles Band —
Und Wand auf Wand vor ihren Händen schwand,
Vor ihren blinden Augen Raum auf Raum:

Im Schwung der Türen standen ich und sie
Vor einem Saal, der weit war wie ein Land,
Leer wie der Tod, und wie der Himmel hoch:
Am Boden lag zerrissen ein Gewand.
Auf einem Bette saß Melancholie.
Die Winde sangen und der Nebel flog.


II
Ich sprach: „Du schläfst. Dein Blick ist starr und weit;
Dein Haar, so schön es sei, ist wirr und schwer.
Dein wundervoller Leib ist odemleer.
Geh fort; steh auf; erwache; nimm dein Kleid."
Sie schwieg; doch war ihr Mund vor Bitterkeit
So grauenhaft zu sehn, daß ich nichts mehr
Zu sprechen wagte, wie ich sprach vorher
Und also bleich dastand endlose Zeit.

Dann sprach ich einen süßen Namen aus —
Wie Kuß und Tränen lauteten die Laute —
Das Weib saß eisern und sah bodenwärts
Und lallte schlafend Gram und dumpfen Graus;
Indes ich stumm in ihre Augen schaute,
Vor Wut und Unglück schauderte mein Herz.


vermutlich 1900

GESANG IM DUNKELN

Diese Nacht in schattenhaften Wäldern
Lief ich hinter einer dunklen Rehe,
Da sie meinen Atem hörte, floh sie,
Blickte wild aus ihren schiefen Augen.

Wo sind Rosen, die ich brechen wollte?
Diese Hände sind so leer wie gestern,
Meine Sohlen sind bestaubt und blutend,
Meine Haare hangen voller Dornen.

Diese Nacht bei deinem Rosengarten
Riß, wie riß ich an den Eisengittern!
Fliederblätter faßt ich mit den Lippen!
Kalte Büsche stachen meine Wange.

Diese Nacht war wie die andern alle,
Heute Nacht wird sein wie alle Nächte,
Ich vergehe unter deinem Atem,
Ich zerreiße unter deinen Händen.

Zwischen Bäumen, Berg hinan die Felsen
Tanz ich hin wie eine Fackel brennend,
Sang ein Vogel fern, ich kann nicht hören,
Weint es hinter mir, ich weiß es nimmer.

Meine Ohren sind bedrängt von Schluchzen,
Nichts wie Tränen braust mirs vor den Augen,
Ich vergehe unter deinem Atem,
Ich zerreiße, wiß es, ich zerreiße!

1899.


vor dem 29. Juni 1900

NADIR

Blick um dich, was Geschick und Welle will:
Du liegst in Händen, die dein Herz nicht schonen,
Und dir verwehrt mit Himmeln und mit Zonen
Liegt Land um Land. Was noch? und willst du still
Hintreiben dort hinaus wo nicht mehr schrill
Dein Ohr das Graun vollsingt? wo seit Äonen
Bestehn, die nicht begehren und nicht fronen?
Ein Jahr steigt auf aus Tränen und April,

Und hinterm fernen Sommer auf der Bütte
Schläft schon der Herbst, der dir die Traube nicht
Vom blond und blau Gehäuften reichen wird:
Irrseliges Herz, wie ganz bist du verirrt!
Dein Bett ist kalt, und in der wüsten Hütte
Kein Licht lebendig, als dein armes Licht.


vor dem 26. Dezember 1900

SONETT

O strenge Ferne! Morgengraues Feld!
Gesicht schlafloser Augen, aus der Flut
Der Nacht sich hebend mit der fahlen Glut
Von Auen, die ein fremdes Licht erhellt,
Nicht unseres Tages! unentschiedene Welt,
Gelände, das noch vor der Grenze ruht,
Heilst du mein Blut? Gewann ich noch den Mut
Den Pflug zu führen, der dich Flur bestellt?

Land Kommender und Künftigen bestimmt,
Bärgst du für mich nur Zaubernacht und Hafen,
Wenn anderen Schiffen gegen Ost erglimmt
Purpurn der Tag an neuer Fernen Saume?
Sollt ich dich sehn, und gehn und früh einschlafen
Im Gras bei einem weißen Rosenbaume?


1900

HAUSGEIST

Winter kam heute in mein Haus und sang:
„O kalter Herd und Kammern ohne Licht!
Gramvolle Lippe! Schweigendes Gesicht!
Friedloses Herz, ist dir vor Frieden bang?"
So freundlich sprach er, und ich wehrte nicht,
Daß er mit seinem Mantel mich umschlang,
An stummen Gärten gingen wir entlang,
Schnee schlief auf ihnen und die Nacht war dicht —

Ward Licht den Augen, die dein Auge traf
Verschwiegenen Leiden ahnungsvoll vertraulich!
Ward Augen hold, die du so milde maßest.
Ward gut, wo du dem Lied der Glut beschaulich
Lauschend, in dich hinein geneigt dasaßest,
Hausgeist, am Herde, zwischen Tag und Schlaf.


vor Dezember 1900

BALLADE VON WIND,
SCHLAF UND GESANG


Ich trieb die Reigen der Schatten aus,
Die an meinem Herd in die Aschen bliesen,
Meine Seele rief ich hinein in das schweigende Haus,
Und sie kam langsam durch den Mond über blasse Wiesen —
Geister flogen ihr vor, die die Wege wiesen:

Schlug es ans Tor? Sang es im Gang?
Hallte der Flur und klangen die Fliesen?
O lautlos kamen sie, Wind und Schlaf im Gesang!

Sie schwebten wie riesige Vögel und ohne Laut,
Bei meinem Herde saßen sie nieder,
Ihr Flügel war feucht und ihr Flaum betaut,
Und sie bliesen und schüttelten Tau von ihrem Gefieder.
Und es sagte Gesang: „Wir haben Musik und Lieder
Für dich und alle die Seelen, die trostlos sind,
Schoß und Lippen erwarten die weichenden Glieder".
Und also sangen sie, Schlaf und Gesang und Wind:


Ich schlief eine Nacht im weißen Weidenbaum —
Luft und zitterndes Haus, wo die Win de liefen —"
„Ich war in der Höhle und suchte den Alten, den Traum,
Wo die Feen flüsterten und die schwarzen Prinzen schliefen —"
„Ich sprang ins Meer und es klangen die schwan­kenden Tiefen,
Wie die Saite klingt, die der Wind Nachts traf —
Einer blies, und Muscheln und Hörner riefen —
O Weide und Meer, Häuser von Wind und Ge­sang und Schlaf!"

Der Urlaub Nacht bringt wieder den Tau und die Hecken triefen —
Geh, Ballade, durch Mond die Weisen entlang —
Horche bei Bäumen und frage die hauchenden Tiefen —
Suche das Lied aus Schlaf und Wind und Gesang!


1900

DER TRAURIGE BESUCH

Die Fenster gehn in blinde Nacht,
Ich sehe keinen Stern;
Ich schlief noch kaum, und bin erwacht,
Und Schlaf und Tag sind fern.

Der Tag ist fern, die Nacht ist lang,
O schweres Herz und Peinen!
Die Decken fliegen an der Tür,
Mit Nachtwind durch die hohe Tür
Fliegt finsterer Gesang.

Sie kam in einem Nachtgewand,
Und nachtgekühlt und nachtbetaut,
Ihr Auge war voll Weinen,
Ihr Mund war schwer von schwerem Laut.

Sie hatte Rosen in der Hand —
Wie Herbstgebüsche welk, wie Winterrosen matt -
Sie ging an meine Lagerstatt
Und kniete bodenwärts,
Sie sprach: „O Blatt, o Rosenblatt,
O Herz, o schlechtes Herz!"

Sie sprach: „Die Rose schenk ich dir,
Ich weiß, wem du sie schenkst;
Dein Herz ist fern, dein Sinn ist hier:
Ich weiß an wen du denkst!"

Sie strich mit Händen durch mein Haar,
Sie sagte: „Jetzt!", sie seufzte: „Einst!"
Sie sagte: „Ist dein Leid so groß,
Daß du nun liegst und schlummerlos
In deine Hände weinst?"

„O Jugendwelt, o Büsche
Und Haus voll Schlaf und Garten voll Gesang!
Der Efeubaum ist schwarz, und die Winden sind weiß!
O Blumen schwer! O Blumen heiß!
Und ein Gang ist dort — ein Gang--

Wo sind wir hin, wo bist du hin,
Wer sagt was mit uns wird!
Du blickst und weißt kaum, wer ich bin!
Wir sind so ganz verirrt!"

Ich sprach! „Ich finde keine Ruh
Und dich vertreibt ein Bann —
In einem Schatten schreitest du,
Auf Nachtgeräuschen gleitest du,
Und findest dich heran —

Du findest dich bis an mein Bett
Und sprichst, wie keiner spricht —
Die Augen hab ich zugemacht,
Nun fühl ich durch die dichte Nacht
So zittern dein Gesicht.

Es blüht ein blasses Grau herauf.
Im Schlafe ruft ein Hahn, am Wasser bellt ein Hund.
Geh fort und nimm die Rose fort,
Den Mund von meinem Mund.

Die Gärten, die noch finster sind,
Sie blühen bald in kaltem Blau —
Dein alter Windengarten
Zerfällt in Nacht mit dem Morgenwind
Und mit dem ersten Tau.

Die Nacht verhüllt das Nachtgesicht,
— Bist du noch da? Was ist noch da?
Der Garten flieht, es flieht das Meer
Und es war so nah.

Du sahst den Baum — ich sah ein Schiff.
Das stand in einem roten Schein
Gebunden zwischen Riff und Riff
Und das Meer war wie Wein
Dunkel und schön, wie Stahl und Wein.

Ich sah nicht Maat noch Schiffgesind,
Das Segel schlug am Mäste an —
Einst wird es trunken sein von Wind —
Doch ich weiß nicht wann."

Blick nicht in meine Fenster, Tag.
Mein Schiff will Sturm und keinen Stern.
Das letzte, was das Herz vermag,
Ist, es stürbe gern.


Frühjahr 1902

IM TONE DES VOLKES

I
Falsche Zungen


An einem Tische sind wir zusammen gesessen,
Aus einer Schüssel haben wir Brot gegessen —
Schüssel im Traume, Tische im Traume, für alle Zeit.

Da ist kein Haus, für ein das ander zu sehen,
Da ist kein Weg, wo wir uns vorübergehen:
Dies Haus für dich, der Weg für mich, in Ewigkeit.

Kamst du gestern meine Straße geschlichen,
War ich stracks aus deinem Wege gewichen,
Beide Augen vor mich, ohne Rufen, gar ohne Klagen.

Säßen wir beide an Tischen wieder zusammen,
Wie Kerzen am Mittag würden wir sein ohne Flammen.
Sehn und uns nicht ansehn; sprechen und uns nichts sagen.


II
Herzbruder


Kamerad, mein alter Kamerad,
Seit wir gingen denselben Pfad,
Seit wir zwei Herzbrüder waren,
Sag an, was ist in dich gefahren?
Bitterschad, Kamerad, bitterschad.

   „Herzbruder, alter Herzbruder mein,
   Da tatest an Kompanie nicht fein,
   Du hasts wider Bruderschaft gehalten,
   So mögen wir heute die Alten,
   Ja die Alten wohl heut nimmer sein."

„Kamerad, ich war Dein Kamerad,
Auf Frommen oder auf Schad,
Auf Unglück wie auf Gelücke,
Auf Voran und auf Zurücke,
Auf Ungrad und auf Grad."

   "Herzbruder, alter Herzbruder mein,
   Wie du bist, kann ich nimmer sein,
   Wie ich ward, kannst du nimmer werden
   Wie kämen denn also auf Erden
   Wir beide noch einmal überein?"

„Kamerad, mein alter Kamerad,
Schweig still, oder sprich gerad:
Trotz Amt oder Haus oder Freite,
Du schlägst mir die Hand nicht zur Seite,
Oder sieh, ob Gott dir genad!"

   „Herzbruder, mein alter Kamerad,
   Daß Gott dir immer genad!
   Es ist nicht drum, daß ich dir grollte —
   Doch ich kann nicht mehr wie ich wollte
   Da du irr wardst, ward ich grad."


zwischen Februar und Mai 1902

AN RICHARD BEER-HOFMANN

Ich sah dich stehn im Land von Einst und Nie -
Meer und die fremden Gärten! Jeder Steg
Von Leben brechend; Höfe und Geheg
Schicksale kaum mehr dämmend: ja Magie
Warf schon Gebärden aus, griff Melodie
Aus Ahn und Enkel; riesengroß und träg,
Geschlechter, ein Gekrös, ein Heer, ein Weg
Mit Bürden ihrer Leiber kamen sie.

Geist, und mit Geistern hausend ungekrönt!
Mund toter Könige, der Triumph und Leid
In Larven lacht und durch die Maske dröhnt!
Zeit nahm dir nichts: so müsse dir auch Zeit
Den Namen lassen, daß es um ihn tönt
Wie Panzer, vierfach Erz, Unsterblichkeit!


August 1907

THEY ALSO SERVE

Der Stein bezeugt Lysipp, und auf Paläste,
Die Großgeborene für ihresgleichen
Hinaufgeordnet, Wolken zu erreichen,
Blickst du mit Qual, wie übergangene Gäste
Durch Gartengitter spähn nach einem Feste:
In deinen Händen weißt du dir kein Zeichen
Die Hüllen deines Loses zu erweichen
Und Geist zu dauern hinter deinem Reste.

Mut dennoch du! nicht nur die Seelen wandern
Nach Gottes Heimat, eine mit der andern:
Dir, den der Panzer lähmt, der ärmre schient,
Dir gilt, wenn Seher Trinität verkünden
Als Aufbruch, ihre Kinder zu entsünden:
„Auch wer nur steht, Gott auszuwarten, dient."


August 1907

PAUSE

Hinter den tiefsten Erinnerungen
Verwächst die Zeit;
Die alten Wege waren frei und breit,
Nun hat die Welt sie überdrungen.

„O Rauschen tief in mir,
Was aber hast du, das ich gerne hörte?
Ist denn ein Ton in dir,
Der mich nicht störte?"

„Ich habe nichts als Rauschen,
Kein Deutliches erwarte dir;
Sei dir am Schmerz genug, in dich zu lauschen."


 

AVE ATQUE VALE

SONETT AUF DIE TANZENDE

Der ganze mächtige Tanz war nur ein Leiden.
Was aber war das Ruhn, das nach dem Tanze?
In den Mundwinkeln trug sie doch das ganze
Qualvolle Reden, das nun in den beiden
Zu süßen Schultern schwieg — das nicht im Meiden
Und wonnigen Wiederkehren, nicht im Glanze
Der Arme lag: sondern, im tiefen Kranze
Wohnte sie wie im Schlaf, daraus zu scheiden

Ein Leiden, Reisen, Abschiednehmen war —
Als sie zu trinken auf den Becher Wasser
Den Hals so fallen ließ als ob ihr Haar
Von hinten eine Hand mit Tod belüde,
War sie nicht nur vom halben Lichte blasser:
Die schönen Kränze wurden an ihr müde.


 

SCHWESTERN

Ich sah auf einer fernen Galerie
Die Schwestern stehen, streng vor bleichem Land
Das rote und das dämmrige Gewand
War Melodie, wie sie der Meister nie
Vermählten Stimmen seiner Laute lieh;
Von Traum zu Träumen abendlich gewandt,
Und stumm sich kosend mit Gesicht und Hand
Wie herrlich vor dem Blinden ruhten sie!

Gesichte such ich, die im Innern, schwebend
Mir wach sind, aber keins in dem Gewimmel
Wie dieses weiß ich Trost der Seele gebend.
Fern ist das Feld, wo Hören nah verschwistert
Die Schönen, wandern; und die alten Himmel
Wo Pallas steht, und Iris lehnt, und flüstert.


 

FLUCHTGEDANKEN

Der Ost verbrennt den letztgebornen bleichen
Grünfunken des Gestirns, Triumph zu sehn —
Tag soll nun sein, wie Tage nun sich gleichen,
Nacht wars, wie mir die Nächte nun vergehn:
Das strenge Blau macht alle Süchte weichen,
Die grauen, lauen, tauigen Nächte flehn.

Aus Nächten aufgestanden mit dem Flehn,
Aus Mitternächten so in deiner bleichen
Pupillen goldenes Ineinandergehn
Aus Licht in Licht, darin sie Sternen gleichen,
Blickt ich, wie ins Planeten-Wiedersehen
Wer Wacht hat, aufschaut: nun seh ich sie weichen.

Und weil wir die Gestirne nicht erweichen,
Die uns die Bahn, verachtend alles Flehn,
Vorgehn, gleichviel, ob wir sie mit Erbleichen,
Ob dankbar nachgehn, wenn wir sie nur gehn,
Und unsrer Tage Herzleid auszugleichen
Uns nicht zur armen Macht des Tags versehn,

So heiß mich nun an dir vorübersehn,
So winke mir, aus deiner Bahn zu weichen,
So deute nicht als Fliehn, und nicht als Flehn
Nun, da du sprachst, mein tödliches Erbleichen,
Nun, da du wieder schweigst, mein Wieder-Gehn,
O Miene sonder Fehl und sonder Gleichen!

O Hände, denen meine Hände gleichen,
Verweist mich, eh ich mich dran blind gesehn!
Denn wenn ich weilte! Wüßte, was die bleichen
Durchklungenen Nächte meinen, wenn sie flehn
Und flüstern: „Schön ists aus den Gleisen weichen,
O Stern, und aufglühn, goldener, und vergehn!".

Ich bin von denen, die vorübergehn,
Wenn man sie halten will, den Spiegelgleichen:
Sieh in mich, und du wirst dich tiefer sehn;
Je näher zu, je ferner muß ich weichen;
Urlaub, ein Urlaub! Fliehn um nicht zu flehn
Heiß Du mich selber, Dame alles Bleichen —

   Dame der Bleichen Augen, heißt mich gehn
   Euch länger sehn, ist Tod für meinesgleichen,
   Entweichen muß ich, oder müßte flehn.


 

MELODISCHE ELEGIE

Dies war das Erste, daß du einen Tanz
In einem Saale tanztest, und der Saal
Erzitterte von deiner Augen Glanz.

Das Zweite war des Abends letzter Strahl,
Und Grasgeruch von Gärten, und dein Schweigen
Mitten in Augen, edel wie Opal.

Dies alles weißt du wohl, und weißt den Reigen
Steigender Stunden, und wie das anfing,
Was nie gesagt ward, und wovon zu schweigen

Mir edel heißt: denn edel und gering
Entscheidet sich an eines Tages Wende;
So war der Tag, an dem ich dir den Ring

Vom Finger nahm, und deine beiden Hände
Ansah und schwieg; und immer schwieg — als müßte
Ich ewig schweigen, und nun deine Hände

Ansehn bis zu des Tags Mond-Aufgangs-Rüste —
— Wer war es dann, der fern zur Laute sang?
Wer nur? Du weißt, ich bückte mich und küßte

Das Baumblatt neben dir, und uns verschlang
Den Abend Not, die mit dem Nebel stieg.
Die goldenen Sphären rollten mit Gesang

Und sagten höher, was ich tief verschwieg.

Verschweigen heißt ein Wort, und eins Verachten:
Das ist das Große, wenn wir uns besinnen,
Und diese Tage und uns selbst betrachten:

Es war die neue Brise und das Rinnen
Von Wasser um uns her, aufblühende Bäume —
Es war der Berg, vor den entzückten Sinnen

In wilder Schlehe schlafend, fern wie Träume.
Darinnen waren Du und ich nur Wesen
Des Tags, wie goldne Fliegen, ferner Räume

Geheimnis-Kinder, unbekannt und staunend,
Luftgeist und Luftgeist, ahnungsvoller Sende,
Seele zu Seele so Verwunschnes raunend,

Daß einmal bei dem Zeichen deiner Hände
Die Wolke, angefüllt mit bittrem Sprühen,
Stehn blieb, als ob ein Götterwort sie bände:

Sehr leicht, wo ihre innren Säume glühen
Von Purpur ihrer Sonnen, dort in Buchten
Hineingewühlt des blinden Äthers, blühen

Geschwister dir und mir, die in den Schluchten
Der wilden silbernen Gewölke fahren — —
Sie riefen dich, mit Götteraugen suchten

Sie deine Augen, die nie edler waren, —
In ihren Händen flog ein schönes Band,
Und Rosen, die in ihren Falten waren,

Fielen und fielen auf uns unverwandt,
Rosiger Regen, rauschend, und von Lauten
Und Flöten zitterte der Dunst und stand

Wie Saiten schwirrend über dem betauten
Gewölb der hauchenden geliebten Nacht, —
Dann traten sanft die Sterne, goldene Rauten,

Heraus, die zärtlichen--dies war die Nacht —
Darinnen war die Seele sich entsinkend
Noch ihrer Herr, und all in ihrer Macht

Empor verlangt, wo aus Gestirnen winkend
Lippen und tausend süße Augen sind,
Und stumm die Melodie der Andren trinkend

Im dünnen Born, der aus der Stunde rinnt —
— Segne den Durst, den andrer Trunk nicht stillt:
Wir hoben unsre Scheitel in den Wind,

Und sahn nicht, was in allen Traufen quillt!

Und so von dem was war, und sich erfüllen,
Wie leicht! erfüllen kann — kein Wort: wir wissen,
In totenhaften Händen der Sibyllen

Liegt Gram bei Süße, Kuß bei Kümmernissen,
Zielen und Fehlen, Überschwang und Not,
Iris und Lorbeer, Myrthen und Narzissen,

Und Herz-an-Herz, und Mund-an-Mund, und Tod
In Einsamkeit, und Tränen zwischen Lachen!
Darüber ist, wie Blüten, Weiß und Rot

Wirr hingeschüttet; o ich möchte lachen,
Daß ich nichts seh vor Blumen und vor Tränen:
Doch ists ein Ding, voll wie des Todes Nachen

Von aller Gift des Lebens, und wir wähnen
Umsonst, Geliebte; komm und sieh hinein,
So nahe meinen Wangen, wie mein Sehnen

In dieser Nacht dich schuf: Du siehst den Schein
Von Hell und Dunkel und ein strenger Duft
Steigt drüber auf, als atmetest du Wein — —

Was war, und wird, ist dir und mir wie Luft.

Und doch was war: denn war nicht dies vor allen,
Daß ich dich wußte, noch eh ich dich sah?
Ist uns nicht ein bestimmtres Los gefallen?

Wo waren Welten, oder sind noch da,
Drin wir uns kannten, fanden und genossen,
Da nichts als nur um unserthalb geschah?

Um unserthalb die grauen Ströme flössen
Ins Tor von Purpur, Tal und goldne Weiten,
Und sonnennah um unserthalb ergossen,

Schon die Planeten, wie sie sich befreiten,
Aufstanden in des großen Bogens Flanken,
Die Sieben über den Gebenedeiten!

Und unserthalb das fernste Meer mit Schwanken
Erdunkelte und alle Sonderheiten,
Und aller Schmerz aufwachender Gedanken

Um unserthalb nur waren wie ein Gleiten
Von schönen Segeln, die so ferne führen
In Passaten der sagenhaften Breiten,

Daß alles Tau sich längst gelöst zu Schnüren,
Bis hier am Ranft die morschen Anker ließen
Uralte Schiffer, nach den Aventüren,

Und uns zu fragen kämen, wie wir hießen?
Waren wir aber nicht noch aller Namen
Also schuldlos in jenen Paradiesen

Wie Reiher, die aus jenen Ulmen kamen,
Die wir doch auch noch nicht von Silben kannten,
Wie Primeln, Schilf, Sternblumen und Cyklamen,

Die wir anbeteten und drum nicht nannten?
Wie Hain und Kuppe, Lichtung oder Fluren,
Die nicht geheuren, und die uns verwandten?

Die wo wir lasen in den tausend Spuren
Von Klaun und Huf und Zehn und Schweif und Lenden,
Und uns gelobten an die Kreaturen,

Ob sie uns ihres sichren Blutes fänden,
Und ihnen nicht ungleich in vielen Künsten:
Klug wie die Schlauen, schnell wie die Behenden?

Die wo wir süßer fiebernd von den Dünsten
Der Wiese, stürzend in den schrägen Bränden,
Uns unterjochten mit den blindren Brünsten —

Und wo ich von den steilen Uferwänden
Zum Teich nach deinem ersten Bilde langte,
Und wo du zwischen deinen nackten Händen

Den Scharlach-Falter küßtest, dem nicht bangte, —
Dies war bevor die Mächte sich entzweiten,
Was sich gemischteres Geschick verlangte,

Schlief hinten, rings herum, an den geweihten
Grenzen, an denen alle Donner standen,
Der Stunde harrend, da sie sich bestreiten —

Dies war, bevor die Heiligen verschwanden--
Wie aber kann das sein, daß wir nun schreiten
Mit Kronen statt mit Masken, statt in Banden

Und daß du mich noch kennst so wie vor Zeiten?

Führt noch ein Tor dorthin? ich sehe nichts
Mit Augen. Innen zwar weiß ich ein Tor
Fern allem Tag und Straßen allen Lichts;

Ein Tor, und weiß, und seh, du stehst davor,
Schaudernd im nüchtern unbekannten Wind,
Und drinnen ich im Nebel, Flug und Chor

Der Schattenvölker schwimmend, ich ein Kind,
Doch klug wie Greise, kenne dich von dort,
Und so wie Kinder ungebärdig sind,

Dem Alten wink ich, der am schilfigen Ort
Den Kahn hält, daß er landab stoßen soll
Und dich nicht quälen mit gemurrtem Wort.

Den Schwaden, der mit mir zu Tore quoll,
Schwemm ich zurück, daß alle fließend weichen;
Du zauderst; aber ich gedankenvoll,

Als wärs mit Händen, wink ich dir, zum Zeichen,
Daß ichs auch bin — Lächelst du nun den Segen,
Nun Wiederwiedersehn? Die Hände reichen

Zu Händen--(o noch bist du wie auf Wegen
Und kannst noch stürzen! wo du trittst, ist Schlund!)
— Was wird? Was war? — verrinnend mir entgegen

Stürmst du und rührst mich, Schatten, auf den Mund.


 

SCHLECHTER TAG

Wir lachten laut am Tage;
          Wir winkten uns und sahn uns an —
          Was ward mir angetan?
Nun, nachts, im Innren, fühl ich eine Klage,

Und eine Klage spürst du,
          Spürst sie so sehr, und sagst sie nicht!
          Aufhebend dein Gesicht,
Mit jeder Hand an deine Augen rührst du.

Es ist nicht aufgeschrieben
          Gebot, doch haben wirs gefehlt:
          Wir haben nichts beseelt,
Was eine Seele will, weil wir uns lieben, —

Wir sprachen viel zu lange,
          O wohl! Wir spotteten zu laut.
          Mit all dem eitlen Klange,
O sprich, was haben wir uns anvertraut?

Und war uns denn nicht klarer,
           Als einer wir dem andern sind,
           Am Wege jedes Kind?
Wohl ärmer; aber wieviel wunderbarer!

Nun kann dein Mund nicht schenken
          Wie einen Tropfen, was mich stillt:
          Ein Mund ist, der mich schilt;
Ich kann auf keine leichte Antwort denken.

Der Mond befängt die Erde:
          Groß staunt hinauf ihr still Gesicht;
          Er ist ein großes Licht
In großer Nacht, und weiß nichts von Gebärde!


 

MIT NARZISSEN

Dies sind Blumen der freundlichen Frühjahrserde;
                                         sie blühen
Hoch an Hängen, und tief wandert im Tale der
                                         Strom.
Da ich sie brach, verdämmerte Licht, erdunkelte
                                         Abend,
Und meinem nächtlichen Blick, da ich in Garten
                                         und Haus
Wiedergekehrt nach deinem Gesicht, nach deines
                                        Gewandes
Schein und dem schwimmenden Blau unserer
                                        Beete gesucht,
War statt aller geliebten Gestalt der eiserne Lorbeer
Streng entgegen gehäuft. Aber er blühte, und mir.


 

SATURNISCHE ELEGIE

Außen an Gärten führt ein schmaler Weg
Auf dreien Brücken über Bäche hin,
Hügel hinauf und ab, wo dunkle Sitze

Den süßen Schatten sammeln, und ein Steg
Sehnsüchtig durch den Duft der Büsche hin
Führt die Versunknen zu den adler-nahen Spitzen.

Innen in Gärten sind an allen Büschen,
Wie Blut und zartgefärbt, geliebte Blüten
Für deine Augen, oh! Für deine Augen! Aufgetan

Und immer frischen
Hauch atmend geht der tagelange Wind
Hin, her und hin, und wo die Lippen glühten
Der edlen jungen Sonne, fliehn durch Wind

Die Falter und die vielen goldnen Fliegen,
Wie Sehnsucht, die von Mund zu Munde will —
Ein Jahr klingt auf. Dies ist nicht mehr April.

In allen Gärten aber, bei den Tannen
Und durch den Zug der Kirschenbäume hin,
Und wo Magnolien wundervoll ausspannen

Den bleichen Flor von riesenhaften Rosen,
Und wo auf lichten Wiesen hart und dunkelnd
Die Hyazinthen stehn, die seelenlosen

Göttlich, und fremd, und wie aus einem Traume;
In allen Gärten ist, im Heißen funkelnd,
Magie lebendig, und aus jedem Baume

Blickt ein Gesicht, mit Wunder überladen —
Beseelten Auges in den Schatten dunkelnd
Des hingewehten Laubes, wie Dryaden. —

Ich will von nichts mehr wissen als Musik,
Und die gehörnten Götter, die im Tale.
Und die auf Bergen die gehöhlte Schale

An wilden Bornen füllen, sollen mir
Mit einem fernen Chore dumpf antworten,
Denn in die Haare habe ich die Zier

Von dichten Apfelzweigen eingewunden,
Lieder des Mittags sinnend, und aus Worten
Der Hirten fügen will ich Melodie

Für jeden Ton der unbewegten Stunden;

Ich habe Wächter ausgestellt, mit Speeren,
An den Gemarkungen, und mit Posaunen,
Daß sie den Wolken der Dämonen wehren,

Die dich und mich bedräuen, und Magie
Behütet uns vor unglücksvollem Raunen —
— Die Welt ist voll Verwirrung — aber nie —

Und nicht so lang als sich dein Lid bewegt —
Berühre uns die Schwermut und der Laut,
Der mir wie wilder Wein das Blut aufregt —

Dies war — was sonst war, weiß ich nicht — es graut
Ein fernes trübes ungewiß herein,
Und dunkle Stimme, die zu kommen zaudert,

Und bebt und schweigt, verliert sich in den Schein
Des Gartenwassers, das verloren plaudert- -
Blast! Blast! Musik! Ich kann nicht länger sein,

Wie Tote sind, denn dies ist eine Welt,
Die wundervoller als die selge lebt
Saturnischer Gestalten — schwach verstellt

Ein weißer Strauch von Amseln überschwebt
Die Magische, die hier in einem Zelt,
In einem Hag von hellen Dornen steht —

Die Blust ist wie das Feld von Avalun,
Feld, über dem die milden Leuchten brennen,
Und jede Blüte glüht und atmet bunter;

So komm! Wir tun, wie die Unschuldigen tun,
Die Hellgebornen, die ihr Herz nicht kennen,
O! hier! wir ruhen einer bei dem andern,

Ich biege einen Rosenbaum zu uns hinunter,
Der uns befängt mit schattenhaftem Kühlen,
Ich sehe leicht auf deinen Wangen wandern

Die Wolken und den Schatten von Gefühlen,
Kein Atem deiner Seele ist mir stumm,
Ich spüre Ton von deinem tiefsten Beben

So nah, wie eines Vogels nahes Rufen,
Und deine Hand, die in den Locken streicht,
Ist mir so heilig, wie dein edles Schreiten,

Als schrittest du auf goldenen Rund-Stufen
Mit Schwestern hin, wo jede jeder gleicht,
Stumme Musik in unbewegten Händen —

So sah ich sie durch meine Träume gleiten,
Und leicht
Absteigen neben den kristallnen Wänden.

Farbe der Rosenperle! o! Gesicht!
Mund, leidenvoller blutend, als Narzissen,
So süß in Träumen wußte ich dich nicht!

Aus welcher hohen Welt bist du gerissen?
Und stiegst zu mir, Fuß neben meinem Fuße?
Und ruhst, ein Licht in meinen Finsternissen?

Und bogst dich gnadevoll zu meinem Gruße,
Der ich den Sturm in meinem Mantel trage,
Und kaum verwischte Träne, späte Buße

Graunvoller Stunden, noch an diesem Tage
In Augen, übermüdeten, mir hängt,
Und jedes meiner Worte noch von Klage

Strömt, wie die Blume, voll von Tau gedrängt!
Mehr! Mehr! Ich dürste!! Trunkenheit von dir,
Auf meinen Mund hinfließend, überhängt

Mir jeden Hauch, im Blute singt es mir,
Und ist wie Sonne schwer auf den Gewanden,
Und atmet stark, als atmeten nur wir.

Wer bist du? Wer hat dich als Kind geküßt?
Wo standen deiner Jugend Häuser, standen
Die Häuser, drinnen du geschritten bist

Mit leichten Füßen, Hohe unter Hohen,
Den Adel eines Halbgotts auf den Scheiteln,
Und unbewegten Auges, wie Heroen?

Nein, schweige, nichts! o! nichts! ich will nur fühlen,
Wie sehr du meinen Lippen nahe bist.
Und nichts als dies und nichts mehr will ich fühlen!

Was war, ist irgendwo tot, und es blühen
Hinter dem Vorhang mir die dunklen Blumen
Der Kindheit, grauenhaft, im Land der Mühen,

Im Eisen-Lande, fern von Heiligtumen.
Der Tag ist unser, den wir süß hinleben,
Brot bricht sich frisch mit immer frischen Krumen,

Und unser ist die Nacht mit ihrem Beben
Hinrollender Musik aus Liebes-Fernen,
Und unser all die Unruh, all dies Schweben,

Heratmend, überselig, Herz aus Sternen.


 

MIT MARGRITEN

Diese starrten im Heißen, wo Pan anhielt seine hohe
   Schwirrende Stimme; ich stand und ich ver­-
                                     traute mir nicht.
Zwischen den Steinen riß ich sie los, an dorrenden
                                     Hängen
   Kniend, als kniet ich bei dir, nahm ich die
                                     Kindlichen fort.
Hier! Und hier! O Schlanke, du kommst! Und o
                                     die Verwegne!
   Über dem Sturze! Du machst mich zum Ver­-
                                     wegeneren !
Brechen die Wiesen mit Sternen, und winken die
                                     Himmel mit Blumen?
   Daß ich euch nehme, o bleibt, Blumen und
                                     Sterne mir nah,
Daß ihr mir nicht wie im Traume zerfallt, nicht
                                     zwischen den Händen
   Rinnt, und ich hätt euer nie, wie ich auch
                                     seufzte, genug!
Sind es genug? Genug? Die Fülle und doch nicht
                                     genugsam!
   Hält sich die Seele doch nicht, die sich verlöre —
                                     wie gern
Ihrer begäbe und stumm am Dunkeln trinkend
                                     ertränke!
   Hält doch ein winziges Band noch die Vergeu­-
                                     dende fest!
Aber es sei, und genug, und fort! Als griff ich in
                                      Wälder,
   Trug ich, mit stützendem Arm hielt ich die
                                      schaukelnde Last,
Die sich am Kinn mir bog und das Haar nahm
                                      über die Schläfen —
   Fort! Und es brach mir Gesang unter den Füßen
                                      hervor.
Also kam ich den Berg mit Musen und Bienen
                                      hinunter,
   Dicht in die Blüte gedrängt, daß sie mir nickte
                                      im Takt,
Fremde Musik von Wonnen und Zorn bezwingend,
                                      im innern
   Maße die bäumende Flut, und ich bezwang sie
                                      schon nicht,
Etwas zerriß mir den Mund und wallte mir über
                                      den Aufblick —
   Zwischen Entzücken und Pein schrie mir das
                                       zitternde Herz.


 

SESTINE DER SEHNSUCHT

Aus einem Fenster bog ich mich hinaus
Auf Nacht und Gärten, wo kein Vogel singt;
Ich fing den schweren Ton, der in mir schwingt
Bei allem Wunder, das schön träumen macht;
Bei mir war Nacht und über dir war Nacht,
Mein Haus weiß jeden Stern von deinem Haus.

So schön wie schwere Träume ist mein Haus,
Auf ewige Gärten legt es sich hinaus,
Von grauem Mondlicht trunken und von Nacht
Saugt es den Ton, den es sich selber singt,
Und Büsche, die der Wind melodisch macht,
Und Wind, der durch die finsteren Fenster schwingt.

Von dir den Ton, der durch den Wind hin schwingt,
Mein Herz weiß ihn, und so weiß ihn mein Haus:
Was schwellen macht und was aufschreien macht,
Schwirrt durch ihn hin und reißt mich so hinaus,
Wie nichts hinreißen kann, was dunkel singt,
Schluchzend und tief tief jubelnd durch die Nacht.

Also voll ist mein Haus von dir bei Nacht:
Mit Tanz von dir, der durch die Kammern schwingt
Mit einer Geige, die sich lang aussingt —
Auf die Nachtwiesen wirft mein schweres Haus
Ausbrechende Musik von dir hinaus,
Und weiß vom Morgen nicht, der schauern macht.

Nacht über Nacht! Und Dunkel, das sie macht!
So schlief mein Herz im runden Busch der Nacht!
So, sternedurstig, wagt es sich hinaus
Und faßt sich nicht, und zittert noch, und schwingt
Sich dunkel rufend vor dein fremdes Haus
Und singt in allen Schall, der drinnen singt —

O um ein Lied, das sich in Worten singt!
Nur Melodie, die Seele zu sich macht,
Weinen und Lachen wandert durch Dein Haus!
Und wirft sich her, Antwort durch dunkle Nacht —
Nichts als ein Flügel, der aufhebt und schwingt,
Nichts als „Hinaus"! und„Hin!" und nur „Hinaus!"

Süße, dies Lied will über sich hinaus,
Ein Kind ist so, das sich die Angst fortsingt —
Durch schwere Nacht verschollener Gärten schwingt
So tödliches Wirbeln, das die Luft stehen macht!
Ein wonniger Vogel singt in deine Nacht,
Ein Kind fällt hin, und schläft vor deinem Haus.

Urlaub:  Vor deinem Haus
            Ist stumm die tiefste Nacht
            Die schlafen macht,
            Was sonst den Flügel schwingt
            Horch wie es singt;
            Mein Herz sehnt sich hinaus.


 

MIT ERDBEEREN UND EINER SCHALE

Du weißt, daß einem Armen hier das Weib
Gestorben ist, und daß ein Kind mit ihr
In einer schlechten Gruft wie aus dem Weg
Geräumt, wie aus dem Licht gestoßen liegt:
Von Bettel trieft sein Haus, von Bettel schielt
Sein Aug und tränt nicht; seine Kinder hocken
Bettelnd vor dem Gesicht des harten Lebens —
Vor allem diesem, gestern, nahmen wir
Das Flüchtige mit raschen Händen fort,
Indessen du erstarrtest mit dem Abend,
Und ich den Zahn der edeln Spange lange
Ansah, die dir den Schleier überm Tuch
Gefaßt hält, zwischen Hals und deiner Brust.

Genug. Zu unsern Händen erbt das Gold
Und Spangen —, schwer erpreßte Fruchtbarkeit
Schüttelt die früheste Reife uns zu Füßen;
Wir fahren weiße Wege berghinan
Ruhig und wissen: daß wir Herren sind,
Stammt nicht aus dieser Welt von Arm und Reich.
Wir könnten nackend schweifen, und im Elend
Auf eines Andren Stufen aufgestützt,
Das Brot mit Sieben Krusten und den Regen
Der wilden Reise schmecken mit dem Brot —
Wir könnten am geschlagenen Leib den Scherben
Des Hiob prüfen, und mit seiner Krücke
Den Bastardhund von unsern Schwären scheuchen,
Und wären drum nichts anders als im Wagen
Die weiße Straße fahrend, und dem Knechte,
Den unser Anblick traf von ungefähr,
Rückte die Hand zur Mütze — weil wir wahrlich
Die Herren sind, und weil ers wie Gewitter

Murrend heraufbraun sieht vom fahlen Meer,
Und weiß, wenn der drin blitzt, sein Haus zerschlug,
Gibt er dem Schweigenden im Staub ein Festkleid
Und spricht zu ihm, undeutlich wie ein Stier,
Vom Regiment der Welt, und will vom Behmoth
Den er gemacht hat, sich zu einem Denkmal,
Meinung und Wort der großen Kreatur —
Denn Herr ist ewig Herr, das weiß der Knecht
Wie du und ich, und weiß, was wir verschweigen:
Denn Herr und Knecht hat nicht den gleichen Gott.

Drum ging ich gestern hin und gab dem Bettler
Vom Golde, das uns leicht zu Händen liegt —
Ich fragt ihn um sein Wesen und sein Haus,
Ruhig, indes die stumpfen Kinder lallten;
Ich ging mit ihm zu Rat um seinen Stand,
Ich stellte zwischen ihn und sein Verhängnis
Den graden Zepter auf, Gerechtigkeit
Für seinen Gott und ihn, und sprach zu jenem
„Bis hier". Und wo dem andern ehedem
Noch Not und Kot und Tod bis an den Mund stand,
War in der Folge meines ausgestreckten
Fingers ein Fußpfad; den hieß ich ihn gehn
Des Abends denkend und der goldnen Spange
An deinem Kleid, des Munds und deiner Augen.
Er wüßt es nicht, was mir gedachte; sah
Mir nicht im Blick dein Aug hereingespiegelt —
Nur daß ich kühler sprach und heißer blickte
Und Gold der Herren gab — dies wußte er.

Und heute fuhr ich berghinan den Weg —
(— Ich sagte gerne welchen, und ich soll nicht,
Denn du erbleichst so jäh wie du errötest,
Denn mit den Augen machst du mich zum Kind,
Befiehl, ich komme; schweig, ich geh' —) den Weg
Fuhr ich, was tuts, ob den, ob einen andern,
Und brachte dir die frühe Reife, Sommer
Im Maimond, Beeren, die ich in die Schale
Von Silber tat; ein Rebenband und Äpfel
Herausgetrieben, steht um ihren Rand:
Darin ist die vollkommene Traurigkeit
Des ganz Gebildeten, das seine Grenzen
Füllend, in seiner Form gefangen ist,
Und wie es vom Ergreifenden des Werdens
Nichts weiß, noch irgend wächst, so nährt es keinen,
Als der verlobt an sein Geschick und Weg
Der Lust des vielen Möglichen entsagte:
Und mir war meine Straße lieb, mein Schicksal
Erzengeln gleich unweigerlich, das mich
Mit meinen Gaben näher dir entgegen
Fahrend hinab trieb; doch von Dorf zu Weiler
Und Meilen-Stein zu nächstem Stein gedacht ich
Des armen Wichts, des Menschen immerfort,
Gedachte wie da Mensch den Menschen ansah
Wie Gott den Gott, Gott abzulösen, rief.

Drum keine Rede mehr von ihm, und kurz
Von dir und mir; denn unser Erbe liegt
Im feierlichen Land; doch geht die Sphäre
Rings um das Erbe: Siehe, dies ist Welt
Und will daß wir erbleichen; wehe dem,
Ders muß, weh allen die verlieren könnten!
Weh Goldenem, das nicht Licht ist durch und durch,
Und aller Höh, die keine Staffel wäre
Für heilige Geisterreisen ab und auf!
Schlief ich nicht selbst wie Jakob auf der Flucht,
Das Herz voll Tod und das Gestein zu Kissen?
Und wechselten von dir, die mich erglühte,
Nicht Feurige hinunter und hinan?
Ich fühle mich die letzte Stufe nun
An deine Füße angefügt, den Weg
Des Herrn der herstellt, in die finstre Mark.
Gott sei gelobt, daß wir nicht Gleiche sind:
Der Mensch ist überm Menschen; sei gelobt,
Daß du ein Höheres bist, als mir geziemte!
Gelobt um meinem stolzen Gram, der weiß
Und will das ihm Beschiedne, und erfüllts.
Gelobt um Glück, darinnen ich mich kränke,
Denn dieses ist die Sphäre; — still gelobt
Für Überfluß, den mir dein Blick ins Innere,
Den deine edle Bitte mir ins Herz
Befiehlt, bis ich ihn sanfter sagen kann!


 

JA UND NEIN

Sterne! Schwaches Licht,
           Eh gedacht —
Bald o bald, und du mußt gehn;
          Geh noch nicht!
Sieh mich nicht so an!
          Gut Nacht!
Alles schweigen, nie gestehn!
          O denk dran!

O und nichts gesagt
         Nur gefühlt!
Denk, daß du's errungen hast
         Eh es tagt!
Sag, daß dus verstehst,
         Wie es kühlt,
Mich zu lassen ohne Last,
         Wenn du gehst!

Denn du willst es so:
         Alles ist,
Seit dein Finger-Wink gebeut,
         Groß und froh.
Abgetan und fern
         Lust und List,
Steigen wir mit jedem Heut,
         Stern und Stern,

Über Meer und Plan
         Deutlich auf,
Und ich weiß, weil du sie schreibst
         Meine Bahn;
Weil Du sicherlich
         Einen Lauf
Läufst und bist, solang du bleibst,
         Treibst du mich.

Weiß ich noch von einst?
         Ich bin nun
Nur noch ganz soviel von mir,
         Als du meinst:
So nur laß mich sein,
         Dies nur tun,
Mit Gesetz, wie Gott und Tier,
         Stiel und Stein.

Hast du michs gelehrt?
         Fährt mit Eid
Nicht die Blume sonder Mal
         Wie ein Schwert
Zwischen mich und dich
        Dich, gefeit
In Gerechtigkeit wie Stahl
        Ritterlich?

Herr, und also seis,
        Ja und Dank!
Und ich küss' auf beiden Knien
        Dein Geheiß!
Glüh sein Eisen rot,
         Zück es blank,
Triff: ich dulde ohne Fliehn
        Jeden Tod,

Jede Märtrer-Qual
        Tausendfach,
Jede Wunde, die du gibst,
        Tausend mal
Gerner, als den Hauch,
        Heiß und schwach,
Der zerschleudert, was du schriebst,
       Wie Wind Rauch.

Denk, wenn ich je sah,
        Daß du Glut
Und dein Weinen niederschluckst
        Was geschah!
Denke, mich erhält
        Deine Hut!
Denk, o denke, wenn du zuckst
       Stürzt die Welt!

(Denn sie hängt an dir
       Immerfort,
Jeder Atem, der dich hebt,
       Trifft in ihr
Bis in mich hinein
       Diesen Ort,
Wo der härne Faden bebt
       Dran sie mein —)

Da! du bist wie stets:
       Leib und Sinn
Eingefaltet wie im Zwang
       Des Gebets:
Nimm, so nimm den Mund
       Dies Mal hin,
Eines Odems Länge lang
       Fühl den Bund.

Diese Strähne drang
       Jüngste Nacht
Fast gewaltig mir vom Haupt —
       Fühl, wie lang;
Hart mit einem Schnitt,
        Aufgewacht,
Hab ich mir sie selbst geraubt.
       Nimm sie mit.

Sie ist ganz gewandt
        Wie mein Leib —
Es ist dunkel. Taste sie
        Mit der Hand.
Alles was ich bin,
        Bild und Weib,
Hand und Neige, Kinn und Knie
        Ist darin,

Und der schmale Schwung
        Den am Tanz,
An der Schreitenden du lobst,
        Bleibt hier jung;
Stolz und Schmerz und Schmelz,
        Einen Glanz
Meiner Spur, die du erhobst,
        Denk, sie hälts,

Wenn du dieses Haars
         Schlankstem Zug
Nicht mehr lächelst, sondern sagst:
         „Diese wars!"
Wenn der Locke einst
         Du den Bug
Nach vergrabnem Lächeln fragst
         Und verneinst —

Mond! — ein großes Licht
         Aufgewacht!
Und ich weiß, du mußt nun gehn,
         Säume nicht.
Sieh mich, sieh mich an!
         Gutnacht.
Nichts und nichts darf ich verstehn,
         O denk dran!


 

AUF DIE RÜCKSEITE EINES HANDSPIEGELS

Spiegel, wenn dich ihre Augen streifen,
        Flüstr' ihr zu und immer zu:
   „Niemals stand ein Wunder so wie du
Eingefaßt von diesem bleichen Reifen."

Hauch ihr, daß er nur durch ihre Miene
       Seinen Inbegriff enthält;
   Daß gleich einer Wildnis in ihn fällt,
Was von ihr zu ihr nicht wiederschiene.

Blink ihr unser Glück, in uns zu fassen
      Alle Strahlen, die sie warf:
   Dunkl' ihr des, der nie behalten darf,
Unergründlich trübes Gleitenlassen.

Aber schweig ihr, wenn sie vor dir trauert:
      Zeig ihr, wenn sie zu dir kehrt,
   Das Gesicht, das danken mich gelehrt
Der Minute Fülle, die nicht dauert.


 

DAS MÄDCHEN LIEST DAS BUCH UND SPRICHT

Dies ist nicht so laut zu sagen
   Was von so Berauschtem dein ist —
Solch ein Glühen ob es mein ist, —
   Stumm! nur stumm! wenn sie dich fragen,

Denn es war im zu Verwirrten,
   Daß es uns so überblühte,
Das es aus den Nächten sprühte
   Mit den Sternen wie sie schwirrten, —

Daß es stand in jeder Stunde,
   Uns umfing wie ein Vertrautes!
Aber nun, wie fremde schaut es!
   Nun wie spricht's, mit welchem Munde:

Nun dus wie mit Händen fingest,
   Stumm, wie stumm ist meine Seele!
Auf und ab durch meine Kehle
   Übermannt michs, daß du singest!

Ja mit Worten, die wir wagen,
   Nur geheimnisvoller scheint es:
Dunkel lacht es, dunkel weint es,
   Keinem dürfen wir es sagen!


 

LETZTE ROSEN

Dies sind die letzten; suche nicht nach mehr;
Ich suchte, doch ich fand nicht; Wind bricht ein,
Und Regen droht; der Himmel trüb und schwer
Hängt übers Land und löscht den letzten Schein.

Dies sind die letzten; voller Dornen hing,
Da ich sie nahm, mein Haar, doch nahm ich sie:
So riß ich Glück, ein hochauf rankend Ding
Aus Dornen, und ich bog vor dir das Knie,

Und bots hinauf, Duft für Minuten; o,
Vergiß das nicht: dies sind die letzten, heut
Schwermut der letzten Stunden duftet so,
Wie diese Kelche hängt, was uns gefreut,

Balsamisch bleich am überschwerten Stiel
Und gibt sich aufgetan im Tode preis
Dem ersten Blitz, der aus der Wolke fiel,
Entbunden, wie die Mutter ihres Schreis.

Frühling ist tot, und Sommer fährt herauf.
Mein Herz bleibt stehn, ich habe keine Luft;
Es muß geschehn, daß ohne mich mein Lauf
Sich schließt, wie er begann, mit diesem Duft.


 

ABSCHIED

Wir haben nicht wie Knecht und Magd am Zaun
Gelegenheit; und nicht wie Brautgesellen
Den Trost, ein heimlich Scheiden zu bestellen:
Wo aller Augen wartend auf uns schaun,
Soll dieses Schwert durch unsre Seele haun:
Kein Baum, den zwanzig an der Wurzel fällen,
Stirbt allgemein besudelter im Grellen:
Nur noch verachten gilt, und sich vertraun,

Und, wie Ermordete im alten Stück
Noch schwatzen, vorwärts du und ich zurück,
Im Griff das schwarze Eingeweide tragend,
Fortsteigen, gleichen Fußes und Gesichts;
Und erst wo keins mehr zusieht, in das Nichts
Quer treten, ohne Laut vornüberschlagend.


 

BRIEF

Walz, einer kommt zu mir in meinem Grame,
Mit einem Wort, das mir die Seele quillen
Und blühen macht, um deines Loses willen:
So frag nicht, was es sei: es ist ein Name,
Und spricht, du habest mir nun doch den Willen
Getan und knietest vor der süßen Dame,
Und gibst mir recht, daß sie die wundersame
Gewalt hat, wundersame Not zu stillen.

Nur aber wisse du, wie ich mich gräme,
Daß ich, wie immer gern, die frohste Kunde
Doch nicht von dem, der geben sollte, nehme:
Ich mag nicht reden mit gelösterm Munde;
Doch wollt ich, daß ein Zeichen zu dir käme
Wie wenig Blut aus einer tiefen Wunde.


AUTUMNUS

 

I

Vor allen Göttern in des Jahres Reihn
So stumm, so staunend lernten wir zu beten —
Nun sind wir in den dritten Kreis getreten,
Das Jahr ist reif, die Blätter wurden Wein,
Und was nicht reifte, schläft in kahlen Beeten
Des alten Sommers unter Schleiern ein —
Sie könnten von den blinden Fäden sein,
Die eben deinem Schritt vorbei verwehten.

Ein neu Gesicht hat sich zu uns gesellt.
Aus finstren Schatten lacht es braun und bunt,
Die ist Autumnus, der den Apfel hält.
Rot wirbelts um ihn, gelber sinkts zu Grund,
Mit starken Augen bindet er die Welt.
Die Traube schwillt um seinen schweren Mund.


 

II

Durch seine Worte klang ein fernes Horn.
Er sprach: „Steh auf, sei wie du warst, und sieh!"
Ich regte mich, und hub mich auf mein Knie,
Und schleppte mich heran durch Tau und Dorn.
Sein Mund, der leise lachte, war nun streng,
Nun süß; er horchte in die feuchte Weite;
Dann, mit den Händen, griff er, ihm zur Seite,
In einen Busch, und teilte das Gehäng,

Und zeigte mir die Schlafende, die Brand
Und Lindrung ist in mir, und Lohn und Strafe,
Das Nun-für-nimmer, Untergang für Traum:
Sie schlief wie Kinder schlafen; auf der Hand
Lag ihr Gesicht: und über ihrem Schlafe
Mit Beben stand der überrote Baum.


 

III

Mir schien, daß ich mit meiner Dame ging,
Und Herbst ging vor uns her durch vielen Wald
Geheimnisvoll verwandelter Gewalt,
Denn fast demütig, wie ein Kämmerling
Vor seinem Herren fährt und ist gering,
Trug er den Stab vor uns. Dort sahn wir bald
Drei Frauen fremd und schön und hochgestalt,
Die sangen schwer und schwangen sich im Ring.

Sie, die ich liebe, sprach, vor Seligkeit
Erbleichend, „o singt mehr —" doch wie gefeit
Verstummten sie, mit grauenvollen Mienen.
Und Herbst hub an: „Sie flehten, euch zu dienen;
Nun überschlägt sie Flamme, die ihr seid."
Wir sprachen nicht, und neigten uns zu ihnen.


 

IV

Der Liebende:


Die Bäume sinds nicht mehr, die Sonne nicht:
Der wilde Schatten und die weiße Schwüle
Vermündeten in eins: juwelene Kühle
Verblieb vom Finstern, aber nur das Licht
Von Brünsten; oder hieß' es ein Verzicht,
Daß auch von meinem fiebernden Gewühle
Nur blieb, was golden wird, wenn ich es fühle,
Nur was noch strahlt, auch wenn der Mund es spricht?

Und wenn er einhält, was herausgesollt,
Und wenn der Stolz den Sommertand zu Füßen
Des Ewigen Lebens schweigend fallen läßt,
Indes mit letzten Kränzen uns begrüßen
Und Purpurtoren Tale voller Gold —
Sind wir nicht mehr, denn sie? Dies ist das Fest.


 

V

Der Gott:


„Blick her auf mich, Musik gewordnes Leiden
Und du, durchlauchtiges Feuer, Leidenschaft:
Ich bin des Mais und Sommers Ziel, die Kraft
Des Dämons über ihnen, wie Euch beiden.
Weil ich Erfüllung bin, heiß ich das Scheiden:
Küßt euch in mir, und wißts: in mir erschlafft
Des Lebens Lust und lächelt geisterhaft:
Ich bin allein, und will mich an mir weiden.

Ich bin, wie Du, Rubin: wie Du, Smaragd.
Untröstlichkeit und Trost des edelen Steines
Wie Ihr: ein Licht gefeit vor Schwund und Flucht.
Küßt Euch vor mir mit Mund auf Mund und fragt,
Ob euer Antlitz heilig sei, wie meines
Mit morschen Augen, und der Stirn voll Frucht."


 

VI

Der Liebende:


Herbstangesicht, oh Schläfe, deren Strähnen
Ich mir im Kuß um beide Hände binde —
In Kuß, drin ich ertaube und erblinde,
Heißt mich der Gott die Arme von mir dehnen,
Was ich nun hab, als hätt ichs nicht, ersehnen:
Ich soll, eh mir der Rausch des Todes schwinde,
In deinen Mienen fragen, ob ich finde
Wozu ich beten möge, wie zu jenen?

Dein Auge spricht: „Gewahre mein Geheiß,
So will ich in dir sein: und nichts ist schlimm,
Ich heiß es schön, und heilige das Kranke."
„Denn", sagt die Stirn, „der Tod, um den ich weiß,
Hängt reif, wer will ihn trinken?" „Lippe, nimm,
Nimm", sagt der Mund, „und stirb. Nimm, stirb
                                                   und danke."


 

VII

Der Gott:


„Demütige dich, Geschöpf: ich bin geheim.
Mein Rätsel schwillt und schreitet durch dein Prahlen:
Ich Gott will bersten aus verfaulten Schalen,
Und ganz verderben: denn ich bin der Keim.
Ich lauterer Saft zerrütte mich; ich Schleim
Will ekel sein; aus offnen Eitermalen
Abscheulich aufgehn; meine Lust bezahlen
Mit Tod; mit Scham und Unflat Honigseim.

Zittre vor mir. Wer bist du? Wer ist die?
Euch hätt ich je geliebt? Und sah euch nie.
Denkt wie ich wüst in meinen Fetzen kreise,
Wenn ich euch wieder lächle obenhin,
Und Scharlach schwenkend durch mein Schicksal
                                                               reiße,
Und lügnerisch, und eine Landschaft bin."


 

VIII

Der Liebende:


Horch, Klageruf! Das Füllhorn der Verschwendung
Singt Menschenjammer aus dem Schoß des Alls:
Lebendiges Fleisch in ewigen Sündenfalls
Abgründen wütet gegen seine Sendung:
O Wildnis, lockt dich von mir die Verblendung?
Muß aus Verdammungen dich abermals
Der Geist zum Nachhall wecken seines Halls:
„Weil ich das Scheiden bin, bin ich Vollendung?"

Zu gottlos trotzest du, mein Gott zu sein:
Wer warst du, bunter Dämon, vor uns Zwein,
Was bist du, wenn nicht Götter aus dir handeln,
— O Landschaft, Frucht in Trauer, Opferfest —
Als Zeugung deines Tods, der wilde Rest,
Den wir umarmt verwinden und verwandeln?


 

IX

Die Geliebte:


„Er ist ein Gott; was unsereiner wähne,
Drängt ihn nur Tiefrem zu. Er hadert nicht
Noch weilt er; sieh sein sterbeklar Gesicht
Zweideutig lächeln mit der einen Träne,
Indes in Traubenhaufen seine Mähne
Zerschaukelnd über ihm zusammenbricht; —
Was will die Hand, sie sucht? Das Auge spricht?
Er hebt die Beere gegen meine Zähne

Und sinkt. — Da nimm mit hin, — Die letzte seis,
In der wir uns von Herz zu Herzen schlürfen,
Der Untergang, drin wie die Seinen sind,
Sein wie dies Blatt, das wir auf sein Geheiß
In der verschmolzenen Miene spüren dürfen,
Und halten, denn es geht kein Wind."


 

X

Urlaub


Gib Raum dem Reisefertigen, leichtes Zelt
Des Spätjahrs, goldne Masten, feuchte Ranken:
Er muß von hinnen, und wie soll er danken ?
Solang in deinen Fällen Erde fällt,
Solang dein wilder Ohrberg nachts zur Welt
Hinblickt, wo Hamelns hundert Lichter wanken,
Solang der Freund bei den nicht allzu Kranken

Die Freundin fiebernd sucht, und bebend hält,
Solang sei Hauch von Ihrem Mund und Blond
Verfärbt in deine Herbste, schöner Wald,
O Park und Haus, o Purpur von Pyrmont,
Solang im Adel jeder Birke schwanke
Das weiße Wunder, falte sich die Schlanke
Aus jedem Rauch, und lebe, die Gestalt!


 

VOR DEM ENDE

Die Himmel sanken gegen West zu Golde;
Dein stummes Auge fing ihr tiefstes Glühen
Und redete mit einer Riesenferne —
Im Flimmern tauchte aus dem klaren Blühen
Für unsern Nachtweg angefacht, der Holde
Mit grünem Sprühn, der Führerstern der Sterne.

Der große Mond des ausgelebten Jahres
Ward eine Glorie hinter Deinen Wangen,
Zwischen den Veilchensträhnen deines Haares
Verzog das unglückliche Blau, und drangen
Die Tröstungen des Goldes, das er goß —
Die Dämmerung ward eins mit unsrem Bangen,

Eins mit dem Ebben allen Muts —; verfloß
Mit Augen, die nach armen Augen zielten
Wie sich zwei Vögel fliehn, die sich verlangen,
Eins mit den schwachen Händen, die sie schloß
Um Hände, die nicht fühlten, was sie hielten
Und zum Gesang, der aus den Wiesen schrillte,
Zitternde Spiele spielten,

Sah deinen Mund wie meinen weigern, stillte
Die trockene Not in dein und meinen Blicken,
Ward Nacht, als sie sich netzten,
Schwand, und ließ hinter sich den Dom ersticken
Von Milch hinunter bis in Ost, beim letzten
Wintergestirn, und fertigen Geschicken.


LIEDER AUS DEN DREI TAGEN

 

I

Helldunkel


Ah, schöne Zeit!
Ah, Vormittag!
Noch Stunden, Stunden, Stunden weit
Bis Gutenacht — mehr als man zählen mag!

Ah, schönes Heut!
Ein Tag, ein Tag —
Und einen so, und wieder einen beut
Die Frist, — mehr als ein Herz erdulden mag!

Aufschaun! nie satt
Schaun, mit dem Geiz
Des, der genau begriffen, was er hat —
In Händen diese Falten deines Kleids?

Wo wuchs der Flor,
Daraus es ward?
Ja, und wo wuchs die Haut an diesem Ohr,
Und wo das Goldflirr, das daneben starrt?

Ah, Falter, Schelm,
Du weißt, was lockt!
Den Fittich über diesem blonden Helm
Bald wiegen, daß ers wagt, bald daß er stockt!

— Es hebt erst an!
Es währt noch lang!
Es währt, bis ich es alles zählen kann,
Was ich so lang behalten muß, so lang!

— Schlug da eine Uhr?
Starr ich mich blind
Und irr, und zählte für Sekunden nur
Was Stunden, alles Lebensstunden sind?

Kämen Engel
Von Ost und West!
Und hingen sich in jeden Glockenschwengel,
Und hielten mir im Feld die Zeiger fest!

— Ah, nichts war das. —
Erst halb. — Erst halb. —
Doch ist der Falter fort, und wir sind blaß,
Ein Aug ist naß, und etwas Grün ist falb.


 

II

Im Erwachen


Atmete die Nacht so laut,
Daß ich schlief und doch nicht schlief
Schlafend so hinaus begehrte,

Daß ich so ins Dunkle rief
Und mit dem geliebten Laut
Ton vom Wind auf seiner Fährte
Unter Sternen noch beschwerte?

Und gewiß du atmetest gelind;
Nur der Wind, der süße Sternenwind
Neben deinen Kissen wühlte
Seine tiefsten Schauer aus den Büschen,

Sags, indes er deine Träume kühlte,
Sags, du wußtest, daß ich rief,
Sag, du weißt es noch, wie ich dich fühlte!


 

III

Allerheiligstes


Wie folgt ich nur immer
Wohin du gewiesen,
Zimmer nach Zimmer:
Und du gingst zu diesen —

Wo in sich taucht
Deine Heimlichkeit
Und mir widerhaucht
Von Kissen und Kleid,

Wo jeglichen Dings
Dein eigne Macht
Dich rings und rings
Mir vertausendfacht!

Die Türen sind still
In ihr Schloß gefallen,
Vom Draußen will
Kein Laut mehr hallen —

Mir überschwemmt
Die Seele der Rausch,
Schaudernd fremd
Macht dich der Tausch:

Sprechen wollt ich
Und mich stickts,
Laut singen sollt ich
Und in mir erschrickts,

Die Augen heben
Und brauchen wag ich nicht,
Ich kann nicht leben,
In dem Innern Licht!

Zu Ende nicht fühlen,
Was hier mich überfällt,
Nicht aus mir wühlen,
Was mir das Herz zerschwellt

Nicht mit dir gefeit sein
Von deinen Fensterscheiben,
Ganz eingeweiht sein,
Und leben bleiben!

O Sakrament!
O Jungfrau, Garten,
Der die Füße nicht kennt,
Die am Gitter warten,

Hag, den du dir
Aus dir gehürdet,
Darf ich zu dir,
Bin ich gewürdet

Deine heimliche Luft
In mich zu ziehen
Jenseits der Kluft,
So seis auf Knien,

Da es verzehrender
Nicht sein, nicht sein wird,
Da dein Entbehrender
Dringt und nicht dein wird,

Dem du aus Wolken tauchst
Immer heiliger, wahrer —
Je näher du ihm hauchst
Nur so unnahbarer!


 

IV

Lust und Schauder


Dunkel war es aufgewacht
   Aus dem ungewissen Grunde,
Worte sprachs die ganze Nacht
   Wundersam mit deinem Munde:

Regt ich mich, bewegt ich mich,
   Stützte mich in meinem Bette,
Atmete es wunderlich
   Und es hatte keine Stätte —

Schatte flog es her und hin,
   Bog sich zart und tief versunken.
Um den Mund und um das Kinn
   Lag ein Lächeln schwer und trunken?

Einsamkeit und Einsamkeit
   Fühlte sich, wie nie sichs fühlte,
Nachtgewand und Schattenkleid,
   Das sich rührte, das sich kühlte —

Mund, der einen Mund verstand,
   Trank den Schauder und die Küsse,
Eine Hand, o deine Hand
   Fühlte, wie sie dulden müsse —

Dunkel war es aufgewacht.
   Sprich, o sprich, aus welchem Grunde !
Nacht und Tag und wieder Nacht
   Weiß ich nur von deinem Munde.


 

V

Stilles Jauchzen


Jeder sieht mein wildes Treiben,
Keiner weiß, was mich beseligt —
Meinen tiefsten Hauch befehligt
   Eine nur und weiß es nicht!

Eine sieht, wie ich gefangen
Vorwärts in die Flammen flügle,
Alles hat sie, was mich zügle
   Und bewegt nicht ihr Gesicht.

Jeder weiß mich ihr Gefangnen —
Keins errät die Wonnebängnis,
Die mir ewig im Gefängnis
   Gnad und Ungnad eines macht —

Eine weiß, daß ich nicht markte
Noch mich je ins Rechte setzte,
Trifft mich nur der ärmste letzte
   Abglanz ihrer Übermacht!


 

VI

Grenzen


Was ist, daß du nicht atmen kannst,
An meinen Knien das Haupt in meinen Händen
                                      zitterst?
Für alles End, das du geglaubt, Und angewannst,
Nun Luft des Endes aller Enden witterst?

Ich weiß es längst, ich ward darüber still:
Das Sterbliche kann mir nicht munden.
Doch wer nicht lebt von Korn, und leben will,
Verzweifle in verhungernden Sekunden.

Die Welt besteht auf ihrem Brode,
Zwein Herren bist du schuldig, armer Mann:
Wer liebt, und nicht mit Leben zahlen kann,
Zahlt, weil die Wimper zuckt, mit mehr als Tode.


 

VII

Unglückliche Ahnung


Du fragst, o frage nicht,
   Warum inmitten
Der tiefsten Wonne mir
   Die Stimme bricht,
Was mir das süßte Wort
   Inzwei geschnitten
Noch eben ganz mit dir,
   Nun fort, nun fort?

Mir stieß es durch den Sinn,
   Daß ein Mal sein wird,
Da diese glühende Welt —
   Wer sagt wohin —
Versank in Erdengrund
   Und uns gemein wird,
Was jetzt die Blicke schwellt,
   Und zuckt am Mund!

Ah, kränken will michs, kränken,
   Daß an dies Lieben
Schon Künftiges in mir mag
   Gleichgültig denken!
Der Tag, den ich nicht zähle,
   Mit Schwertern Sieben,
Ging mir der ferne Tag
   Jetzt durch die Seele!


 

VIII

Verglichner Streit


„Scheuch hinter uns Gespenster
Des Tags ins Haus
Und steh mit mir am Fenster
Das Zwielicht aus —

Die Erdefesten schwinden,
Der Fluß wird frei,
Spült flüsternd das Erblinden
Der Welt vorbei.

Die tiefverschluchzte Kehle
Wird rein des Brunns,
Es will die arme Seele
Der Nacht zu uns,

So voller altem Sterben,
Das aufersteht,
Steigt ihr erdrücktes Werben
Aus jedem Beet, —

Mit Aushauch jeder Rose,
Die sie gewann,
Schwebt die Gesellenlose
Um Zuspruch an.

Was jetzt durch deinen Sinn ging —
Gib ihr nicht dies; —
Nach Kummer, der dir hinging,
Gelüstet sies, —

Sie weiß, du weißt nicht wessen
Gesicht und Gruß
Und hat es nicht vergessen,
Vergaßest dus.

Was tief in dir jetzunder
Entseelet ist,
Versammelt sie ins Wunder
Der stillsten Frist,

Zieht fort damit und tauscht dir
Für Schatten Schein:
In dein Gelöstes rauscht dir
Verschollnes ein.

Scheuch hinter dich Gespenster
Und gib dich hin,
Solang ich hier am Fenster
Versilbert bin!

Der Baum an finsterer Lände
Zuckt auch wie du —
Da werfen sich ihm Hände
Voll Klarheit zu,

Und er erkennt sein Bildnis
Das tiefer taucht —
Er schüttelt seine Wildnis,
Und steht erlaucht."


 

IX

Sie sagt im Gehen


Nur dort die Wiese noch,
   Dahinter den Steg!
Lieber Himmel, daure doch
   Nur aus für einen Weg!

Sagen, was mich drängt, zu gehen
   Noch zu gehn, ist bald geschehen:
Wir gehn Hand in Händen
   Und grade soll sichs enden.

Andre Tage werden sein ―
   Lieber Mond, du wirst sie bringen;
Lieber Wind, nur diesen rein
   Laß zu Ende mir gelingen.

Schütte deine Wolke fern,
   Lieber Wind, verzieh!
Für Lupin und für Luzern
   Brauchts Regen dort wie hie,

Aber dort dauerts,
   — Scheints oder schauerts —
Weil alles hier zu Ende ist.
   Lieber Himmel, gönn die Frist!

Liebe Wolke, regne nicht,
   Laß scheinen, laß scheinen.
Laß dem Abende sein Licht,
   Wir haben nur den einen,

Einen einzigen ganz und gar ―
   — Verhalte den Flug! —
Atemzug, Atemzug,
   Daure mir ein Jahr!


 

X

Riß


„Eine Stunde noch bis Tag, —
Kein Verstören, kein Versprechen
Rückt das Herz mehr aus dem Schlag
Der schon weiß, er wird es brechen.

Wahnwitz alles, was wir sagen,
Wahnsinn, was wir in uns blicken.
Hände vor die Augen schlagen
Frommt allein, und sich ersticken. ―

Ah nein, gleich, geh lieber gleich,
Faß ein Herz und tus für beide.
Besser schnell ein Mörderstreich
Als die Qual der stumpfen Schneide ―

Besser jetzt mit eignen Händen,
Besser sich ein Herz zu fassen,
Als die Augen einwärts wenden
Und sich enden lassen.

— Läßt du wirklich mich allein
In der Todesstunde?
Kannst drei Sprünge von mir sein,
Und mir nicht am Munde?

Kannst mich hören durch die Wand
Und wirst dich nicht erbarmen?
Deinen Kopf auf deiner Hand
Und nicht in meinen Armen?

— Still, mein Mund ist wieder rein.
Nur gelüsten will mich
Nach dem Abgrund dieser Pein;
Stille mich, o still mich!

Einmal noch die Augen zu:
Hinter Raum und Stunde
Dann verflieg und schwebe du
Gräßlich mir vom Munde.

Durch den Spalt wird sich der Schein
Dieser Kerze stehlen.
Lang am Boden werd ich sein
Und mich Gott befehlen."


 

KÜRZESTER TAG

In eine Winterfrühe hebst du dich,
So hingegeben in den Stundenschlag
Wie einer Jugendliedern lauschen mag,
Und lauschend nicht mehr hört, und tief in sich
Die alten Augen wendet bitterlich:
Nun ist doch Morgen, und das Licht wie zag!
Am Himmel steht der hoffnungslose Tag
Im Unsichtbaren unerschütterlich.

Es ist nicht schwer, von Tischen aufzustehen,
Wo alle Becher umgeworfen sind
Und wüste Decken in die Nachtluft wehen ―
Es ist beinahe leicht, durch diesen Wind
Und nun durch diesen ersten Schnee zu gehen!
Du fühlst dein Herz nicht mehr und bist wie blind.


 

SONETT AUF SICH SELBST

Aus Sturm und Traum auffahrend, wo ich saß,
In einen Spiegel blickt ich heut hinein
Und wußte nicht von mir, und sah mit Pein
Das Antlitz meines Feindes aus dem Glas
Emporgesandt: von fleckiger Schatten Schein
Die Lippe überwildert, schien etwas
Dumpf hinzuknirschen zwischen Angst und Haß:
Ich sollt es sein; und möchte dies nicht sein!

Wir sind nicht, was wir sind; der Himmel, kaum
Vom Meer zu kennen, schleift mit Dunst beschwert
Und brütet Auswurf: aber gieße Traum
In deinen Becher; und mit Nordwind gährt
Die wundervolle See, und wilden Schaum,
Durch den das heilige Schiff mit Helden fährt.


 

ABSCHIED VOM SONETT

Sonett, als alle sagten, du bist tot,
Sprach ich „steh auf!" Als sie dich beinern nannten
Nahmst du mir Herz und Adern fort: da brannten
Dir Puls und Mund von neugeborner Not.
Sie schmählten: „Das ist alles? das ist Brot
Für Durft?" Und deine strengen Arme spannten
Sich doppelt und erschufens; die dich kannten,
Hast du ernährt, von Hand zu Händen bot

Dein Becher sich; den ich das letzte Mal
Heut fülle: es ist aus. Musik und Qual
Der großen Zeiten ward dir vollgemessen:
Ich gieße nichts Gemeinres in das Maß,
Draus ich die Minne trank: was ich besessen
Ward in dir ewig: Götter, nehmt das Glas.


TAGELIED

 

Brecht Hand aus Hand, ringt auf, was ihr verschlanget,
Sitzt auf, kehrt in euch selber, laßt euch fahren!
   Die Ihr Mund an Munde hanget,
   Weicht voneinander, Mann und Frau:
Unter klaren
          Sternen hab ich Wächter Tau,
   Beständigen Taufall eben in den Haaren.

Es hat die Zeit Verzweifelter nicht acht,
Euch kümmr es, euren Sinn an Zeit zu kehren.
   Ist da drinnen denn noch Nacht?
   Hier wird ein Zwielicht; sag ihr, Mann,
In den Ähren
          Zwitschert es; ich Wächter kann,
   Wie sehr sie schluchze, keiner Lerche wehren.

Ich bin das Maß, der Sternebot der Pflichten
Dem, der gern länger schliefe, dem, der gern
   Länger schluchzte; keinen richten
   Will ich; wer war ich? Ich verkündige
Nur den Stern:
          Wer gerecht sei, wer der Sündige,
Zu richten kommts ein Tag; der ist nicht fern.

Ihr hattet Nacht. Ihr habts gewagt: Acht Stunden
Mir Altem; meine ganze Lebenszeit
   Euch durchkostet, euch verschwunden
   (Und meiner Jahr ist acht mal zehen —),
Seid bereit,
          Nachtviolen, hinzugehen:
   Nichts Tiefres kommt mehr, weder Lust noch Leid.

Wie schnell sie jedem läuft, steht keiner Uhr
Im Feld: dem gähnts, dem bringts, dem rennts vorbei,
   Reißt, noch eh ers recht erfuhr
   Den Armensünder ins Gericht —
Buhlen sei
         Alles ewig; denn zu nicht
   Auf einmal wirds; wie hier mit Hahnenschrei.

Ich Wächter seh, was ich nicht soll: ein Funkeln —
Kein Stern; ein Scheiden, wies die Hölle riet —
   Lichte wollen sich "verdunkeln,
   Indes ich ihren Tag gewahre —
Leid geschieht
          wenn ich ihnen Zürnen spare;
   Wind, der hereinrauscht, schwelle mir das Lied!

Tod, sitz aufs Bett, und Herzen, horcht hinaus:
Ein alter Mann zeigt in den schwachen Schein
   Unterm Rand des ersten Blaus:
   Für Gott, den Ungebornen, stehe
Ich euch ein:
          Welt, und sei dir noch so wehe,
   Es kehrt von Anfang, alles ist noch dein!

Ihr nahmt bisher soviel, als ihr euch gabt:
Wie, Durstende? so balde satt geleert,
   Daß ihr nichts zu geben habt
   Noch nehmen mögt, und müßt vergeuden?
Euch verzehrt
          nach unangerührtem Freuden
   Kein Dürsten, das den Ewigen Tag begehrt?

Bei dieser Nacht, da Ihr euch heimlich wart,
Beim tiefsten Hort, den jedes von euch beiden
   Heut im Andren erst gewahrt,
   Bei allen Mächten, die ihn heben —
Bei den Leiden,
          die er lohnt zu überleben,
   Gebiet ich euch, zu dulden und zu scheiden!

Die Fliege dröhnt mir überm Haupt zu Tag:
Schon reitet wer im Tann; unseliger Mann
   Weil er nicht bei Liebe lag:
   Wie war er sonst so früh von hinnen?
Tod und Bann
          Littst du gern und gäbst die Sinnen
   Um Herzeleid, das einer hier gewann!

Hier knie ich Wächter: Dank, ein Tor geht auf:
Fort! oder auf die wilde Tränengunst
   Scheint der Tag; er ist herauf!
   Wo grüne Finsternisse saßen,
Durch den Dunst
          Seh ich Land voll tapferer Straßen,
   Ein Haus wie Blut, den Osten in der Brunst.


 

PATHETISCHE ELEGIE

Also schwimmt der Tag in das Rot verführender
                                               Länder
   Wieder hinunter, es sinkt, Schatten an Schatten
                                              gedrängt,
Schauernd der Zug der Stunden hinab. Der lösenden
                                              Welle
   Schwarm an schwirrendem Schwarm ziehen die
                                              Vögel sich nach,
Dicht aufs Wasser gedrückt, undes fliegt die welkende
                                               Blume
   Mit den Gewinden hinein, Tulpe, Violen und
                                               Mohn,
Die um den Becher des Mahls und um die steinerne
                                               Wange,
   Starrende Locken und Stirn eines Unsterblichen
                                               hing.
Zwar sie tauschen den Tod nicht ein um Leben,
                                              es hat sie
   Nicht die Freude gesät, und von dem Sommer-
                                               gefild
Trugen sie nicht, vom Schimmer gelockt, bezauberte
                                               Hände,
   Schönes zu Schönem gehäuft, in das verödete
                                               Haus,
Das nun schmal und finster im Winde steht, und
                                               der Tag-Wind
   Nahm von dem schattigen Tor lange, wie lange
                                               nicht mehr,
Ton des Gelächters fort und den Hall der fröh­-
                                               lichen Füße
   Über den Estrich hin Kammern und Halle und
                                               Saal,
Den die leichte Sohle des Starken tut, und es
                                               schweigen
    Alle die Wände, es schweigt selber das wilde
                                              Gebüsch,
Das sich den Hof durch drängt und den Garten
                                              füllt mit Gerüchen,
   Wie sie der Wählende liebt, Hauch von be­-
                                              rauschendem Mund,
Herb und zart, wo Rosen und Lorbeer nebenein­-
                                              ander
   In dem verwirrten Gebild dunkel und schimmern­-
                                              der steh'n.
Aber sie lebten, die so die Nacht und den Tag
                                              durch schweigen
   Und sie hatten vielleicht selber die Stimme von
                                              Zeus
Oder von Orpheus her, von dem die wehenden
                                              Bäume
   Sehnsucht lernten, wie einst Tod und die Höhlen
                                              des Tods
Tief vergessend der Mund des Geheimnisvollen sie
                                              ausrief,
   Als er allein dastand in der verfinsterten Welt.
Ja sie sprachen, und nicht aus eigenen Herzen,
                                             wie jene —
   Hinter den Blüten hervor sang aus der Maske
                                            der Gott,
Er, der Zeus als Stier durch die Wiesen trieb und
                                             dem Halbgott
   Weibischen Purpur warf um den entsetzlichen
                                             Leib,
Ihnen war mit Lachen und Kuß das wilde Geflüster
   Lange, das herzliche Wort, ihnen der scherzende
                                             Zorn
Und die Stimme vertraut der Leidenschaft, der
                                             zerrißne
   Ruf des Gewölks, und es harrt stumm im Ge­-
                                            häuse der Blitz —
Ihnen war der fliegende Vers und die gleitende
                                             Klage
   Nicht, die melodische, fremd, aber sie schweigen
                                             nunmehr,
Und es geziemt sich wohl, daß der Dichter durch
                                            die betrübte
   Dämmrung gehe, der Nacht feuchterer Wöl-
                                            bungen zu,
Wo ins schwellende Bett unsicher schwankender
                                            Beete
   Ein gesunken, von Tau triefend die Locken und
                                            schwer
Atmend, tief im Traum, Erinnerung schläft, und
                                            er mag ihr
   Wohl der Schönen das Haar aus der verwilderten
                                            Stirn,
Herrlich duftendes, fromm mit schüchterner Hand
                                            fortstreichen,
   Daß sie erwache und nun kaum noch mit träumen­-
                                            dem Mund,
Trunken von Tau und Schlaf und dem Anhauch

                                            ferner Entzückung
   Rede; der Garten horcht, und es vernimmt sie
                                            das Haus,
Lüften ist und Laub wie Wind anbrausend die
                                            Stimme
   Zugeteilt, die tot in den erstorbenen war,
Zarter schwirrt der glühende Ton der bezauberten
                                            Saiten,
   Die über goldenen Rauch selig gelagerte Schar
Hält, und wie der gesammelte Chor mit Flammen
                                           heraufschlägt
   Zittert ein schwankes Gewühl zwischen den
                                           Büschen heran,
Schalten um Schatten sind zu den Wellen bewegter
                                           Blumen
   Niedergebogen, den Ton tränken sie gerne wie
                                           Blut
Neu des erneuerten Seins von deinen beseelenden
                                           Lippen
   Weckende! Aber es schweigt halb die Ent­-
                                           schlafende schon,
Und der Gesang schwimmt hin in den Lärm irr­-
                                           plaudernder Bäche.
   Duftender Nebel verhüllt schwach das erstarrende
                                           Bild;
Kalt und hart in dämmernder Luft aufstehen die
                                           Hecken,
   Nur die Türe noch stöhnt an dem verlassenen
                                           Haus.
Leer der Saal. Dir tönt nicht mehr der melodische
                                           Name,
   Sprächest du selber ihn nicht dumpf wie ein
                                           Schlafender tut,
Brauste dir nicht im innern Sinn die bittere Meerflut
   Sprühend auf, die neu ewig das ewige Bild
Auswirft. Zürne der Woge, gebiete den Kräften, sie
                                           hören
   Nur das beschwörende Wort, das im erschütterten
                                           Grund
Dunkle Gewalt binflüstert; am Strande stehst du
                                          und Schatten
   Greifst du und leer aus der Luft ziehst du die
                                          Arme zurück.
Geh und suche dein Glück, einsame Blüte im Kruge,
   Da du das Auge gewandt, starren die Halme dir
                                          fahl
Häßlich verdorrt entgegen und duftlos senkt seine
                                          bleichen
   Kelche das tote Gebild, Spiel deiner spielenden
                                          Hand.
Nehme den Tod denn Tod zurück und Erde die
                                          Erde,
   Aber es steht „Unglück" über dem Hause fortan,
Wie in des Abends grünem Opal die letzte der
                                         Wolken
   Finster und prachtvoll hängt über dem blinden
                                         Gefild —
— Bild der Seele, die mir so nahe wohnte, so
                                         ferne
   Nun des verwilderten Walds schweigenden Woh-
                                         nungen ist,
Wie der schluchzende Mund fern ist in dem Munde
                                         des Küssens,
   Als hinfließend der Tag Stunden um Stunden
                                         herauf
Leichtgefügte, wie Barken trug, und die herrliche
                                         Locke,
   Fast noch die kindliche dir atmende Winde wie
                                         Spiel
Hielten — Aber du thronst nun unter der herbst-
                                         lichen Krone,
   Steinerner Trauer vermählt, und es bezwingt deine
                                         Hand
Kaum in der Brust die Not, die sich furchtbar hebt
                                          wie der Löwe,
   Stumm nachwachsende Wut, die dir das Lebende
                                          zehrt —
Bild der verlorenen Seele, erhaben trauerndes,
                                          dunkle
   Wolke, auf Händen der Luft ruhende über der
                                          Flut,
Führst du mit Nacht und steigendem Mond und
                                         rauschendem Winde
   Wieder das Gestern herauf vor den erschütterten
                                          Blick,
Daß ich das ferne Herz anrede mit fruchtloser Träne
   Und mit vergeblichem Wort, denn den Ver-
                                          zweifelten sind
Uns den Verlorenen mit adamantener Fessel die
                                          Füße
   Angeschmiedet, es ist nirgend Erbarmen für uns.
Wäre ein Weg zu dir, ungangbar, wie er die Gärten
   Dreifach und vierfach schirmt um das verzauberte
                                           Haus —
Ach, durch Dornen wandernd und ewige Lohe,
                                           ich käme
   Brennend und blutend und bloß über die Mauern
                                           hinauf,
Daß ich stürbe mit dir und Nachgefühl deines
                                           Mundes
   Auf den Lippen hinab ginge mit ruhigem Blick,
Über Dämonen den Sieg in Händen haltend ein
                                           Dämon,
   Ganz gestillt, und gern schlürfte elysische Milch.
Aber es hat von Gestirnen die Nacht und Seide
                                           den Panzer
   Über den riesigen Leib schweigend die Finstre
                                           gelegt
Und sie gebietet mir und dir das eisige Lager,
   Wie sie den Schlaf, umsonst wie sie die Ruhe
                                           gebeut.
Traum, nun tanze den schwankenden Weg vor
                                           unseren Schritten
   Führe mit Masken den Chor, stygische Bilder
                                          heran,
Zeige die Liebe zerrütteten Haars und ewiger Fessel
   Eingezwungen, der Tod steige in Schleiern herauf,
Zeige mit starrenden Augen und starrender Wimper
                                           das Schicksal,
   Unbekümmert und schön schreite das Ewige hin,
Jahreszeiten zerreißen das Laub und Rosen und
                                            Trauben,
   Und die kristallene sitzt fahl und gestorben im
                                            Schnee,
Aber am eisernen Tor die zarten Hände zerschlagend
   Zeige ergreisenden Haars, zeige mit wankendem
                                             Fuß
Jugend, ein schuldlos Kind, bis über den fliehen-
                                            den Dingen
   Auf dem erloschenen Meer neu sich entzünde
                                            der Tag.


 

MAGNOLIE DES HERBSTES

Ich fand mein Herz am hohen Morgen starr
Von einem Tone, den es nicht ertrug,
Ausblicken Straßen abwärts gegen Staub.
Mit Augen quellend von verfangenem Blut
Suchte mein Herz, und fand da keinen Baum,
Noch irgend Trost, nur Stein und eine Stadt.

Ich ward es inn und sagte: „Dieser Stadt
Glaubst du zu blindlings: Aber sie ist starr,
Wie Luftspuk über Wüsten; keinen Baum
Ernährt der gottlos aufgetürmte Trug:
Sieh, wie gespenstisch ohne Wucht und Blut
Sich das gebärdet, Schemen über Staub.

Oktober heult, und schleppt den kalten Staub
Rückwärts und vorwärts durch die wüste Stadt.
Heb ihm Verewigung aus deinem Blut
Entgegen und die Greuel werden starr:
Bist du zu Haus, wohin dein Fuß dich trug?
Geh in dich, und du blickst in deinen Baum —"

Mein Herz ging in sich bis vor jenen Baum,
In dessen Haus kein Fuß gemeinern Staub
Als goldnen seiner tausend Becher trug
Und stand vernichtet: an der Blüten statt,
Wie wir sie kannten, weste schwach und starr
Und starb, einsam, an Fraß und schlechtem Blut,

Halb Knopf halb Kelch, was als die zweite Bluht
Todkrank aufbrach im stummgewordnen Baum —
Der war nicht heiliger Starrheit, sondern starr
Wie ein Verpesteter im Straßenstaub
Der, nachts entflohn aus der verheerten Stadt,
Bis hier den Tod und seine Beule trug.

Mein Herz ward in mir fest und sagte: „Trug?
Auch dies? O, wohl. Es ist in meinem Blut,
Was ewig glauben muß an diese Stadt.
Es ist so elend, flüchten. Sieh den Baum.
Besser, mich packt Oktober wie den Staub.
Es ist so elend, lügen, Besser starr."

Ich pflanzte einen Baum, der mir nicht trug.
Der Stock ist starr. Ich baute eine Stadt.
Sie fiel. Der Staub ist durch und durch voll Blut.


 

VERSE BEI BETRACHTUNG VON LANDSCHAFTS- ZEICHNUNGEN GESCHRIEBEN

Das Land hat keine Kinder und kein Licht.
Das Feld erstickt im Korn, doch reift es nicht.
Im Haus gehn keine Kammern stufenauf,
Doch stiert es wie aus Mienen und Gesicht,

Doch tut lebendig zwischen Fuß und Stauf
Der dumpfe Berg die weißen Augen auf —
Der Baum hat keine Frucht und keinen Schatten,
Er übersteigt die Kuppe mit dem Knauf.

Geh nicht nach Süßem aus durch solche Matten!
Straße war nie, was hier in scharfen, glatten
Krümmen schief einsank und sich wieder hob,
Es ist nur Bild von Ängsten, die wir hatten,

Wo sich zu Landschaft durcheinander schob
Dein seelenhaft Gesicht von Scham und Lob —
(Denn jeder sehnt sich, gutes Land zu sehn
Und haßt, was ihn mit Wirrnissen umwob)

Wo du dir sagst: „Ich werde widerstehn"
Und drehst dich, wie sich Eingefangne drehn,
Und kämst du siebenmal dem Freien zu,
Fluch wird ein Weg und diesen mußt du gehn!

Sind wir denn eines Blutes, ich und du?
Siehst du, wie ich aus gleichen Augen tu,
Das Böse Leben, früchtelos und beinern
Und klimmst im wilden Schlafe ohne Ruh

Den großen Kreuzweg nach der kühlem, feinern
Gold-Luft des Abends, lechzend nach dem reinern
Berg-Wind, und stirbst in den erbarmungslosen
Gassen der Welt, wie sie um dich versteinern!

Darin die kurzen feigen Winde stoßen
Mit staubigem Mund, und nirgend ist ein Tosen
Von Wasser, — wo die grauen Stiele wesen
Und hauchen, und es gibt noch keine Rosen!

Dies sind die Zeichen: diese kann ich lesen.
Dies ist das Land für dich und mich gewesen,
Und Eine, die verfluchten Leibes war
Und konnte ihrer Seele nicht genesen,

Und ging, und nahm wo einer Andern wahr,
Die schreiend kniete und im Knien gebar,
Und zweie hielten sie an den Gelenken
Der Hände über Tod und Böser Fahr,

Und andre brachten laufend an den Henken
Ein Bad und einen Becher, sie zu tränken,
Und jene zitternd steht dabei und schäumt
Mit engem Mund und kann vor Angst nicht denken

Und Gott hat nicht gewollt, daß sie nur träumt!


 

TIEFE UND HÖHE

I

Laute der Dämmrung, Saitenspiel der Einsamkeit,
Ihr tönt wie sonst, doch besser wärs, ihr töntet
                                    nicht.
Nur in sein Unglück lockt ihr mir das kindische,
Das Herz aus seinem Schlafe, drin ich es eingewiegt;
Wer stillt mir dann sein Weinen, wenn ihr zu andern
                                    flogt?
Wer dämpft sein irres Singen in der langen Nacht
Wenn Regen durch die finstere Luft herunter fällt?


II

Wo ist mein Sommer? Gib mir Antwort wenn du
                                    kannst,
Windharfe, Regenfiöte! Trüber süßer Mund,
Gib mir nicht Antwort, wenn du nur solche Ant-
                                    wort weißt.
Mein Sommer liegt im groben Grase eingewühlt,
Ich weiß, die schweren Amseln hüpfen über ihm —
Er spürt es nicht; er drückt sich Mund und Augen zu.
Das stumme Schluchzen schüttert seinen schmalen
Leib.


III

Laute und Flöte, o, geliebtes Saitenspiel,
Schweigt mir und hauchet, wem ihr wollt, Un-
                                  ruhe zu!
Ich will mein Ohr vergraben in den Efeubaum,
In seine Blätter drück ich meinen Mund hinein,
Daß er nicht ausbricht, wenn ihr also weitersingt.


IV

Schön ist, ich weiß, erfahren sein, und fest im Wind
Dastehn als einer, der in Händen gleich Gewicht
Unglücks und Glücks erfunden hat und lächeln kann.
Doch besser war uns noch der volle Blumenkranz
Um eine tote Kinderstirn, und daß wir früh
Hinabgegangen wären in das schöne Haus
Des Hades, kaum die ungewisse Kümmernis
Des Dunkels spürend auf dem leichten Augenlid;
Nun aber malmen Tag und Nächte über dir
Und gießen Hölle, die nicht auszusagen ist
Hinunter, Qual, und gräßlicheres als Qualen, Lust.
„Aushalten", sagt das ungeheure Drohungswort
Dem Leidensantlitz mit dem dumpfen Augenstern,
Vor dem des Lebens unbekümmerte Larve hängt —
„Laß fahren" singt das andere, das dich ihm ähn-
                                lich will,
Und längst mit seiner Farbe nach der Deinen zielt,
Wie Kot den Fuß bespringt, mit dem du ihm unter-
                                tratst.
Und was denn gilts? Was hält dich noch? Wer
                                lohnt dich dir?
Sei seinesgleichen; birst, verdirb, vergiß, vergeh,
Der schlechten Stunde, jedem Knechtsgelüst des
                                Bluts
Leibeigen, wirf dich endlich an dich selber fort,
Gib dich dem Tiere, das im tausendarmigen
Triumph die Seinen reißend, dich Entweihten auch
Herweisen will, Mordgassen entlang, den Pfuhl hin-
                                durch —
— Nur Mut! Du willst nicht? — Immer zu! — Du
                                stehst? — So steh:
Von Göttern hast dus: gib den Göttern solchen Sinn
Wie Stahl der Klinge, dem der Mut die Seele traut,
Zerhaun doch nicht ausbrechend, oder den Helden-
                                leib
Der tapferen Säule, die den Mörderdruck des Dachs
Aufhaltend über den Tausenden zu tragen steht:
In Leidensnächten, als mein Herz sein Bittres schrie,
Erbarmte seiner sich der Mund der Finsternis;
Wie Gleich zu Gleichem schiens herab und suchte
                               mich:
„Es ist an dir: ich habe mich nun auf dich gestellt.
Da droben daur ich, weil du drunten stehst und
                               trägst."


 

EINEM JÜNGEREN IN DEN „JORAM”

Nicht nur Gott von Gottes Thron
Der Gepeitschte mit der Krön —
Alle seid ihr seine Kinder,
Keiner näher, keiner minder,
Keiner dingt vom ganzen Lohn.
Handle: und du opferst schon
Dich für Brüder, dich für Kinder;
Sprich: du bist mit jedem Ton
Überwunden, Überwinder.
Gottes Sohn
Ward es nicht gelinder —
Lebe: und es ist Passion.


Bemerkungen:
Es wurde von mir auf jede orthografische Veränderung oder Anpassung verzichtet.
Auch die Formatierung wurde so, wie in der Ausgabe von 1920 angegeben, übernommen.
Dieses schien mir der Intention des Autoren am Ehesten nahezu kommen.

Die mir vorliegende Ausgabe wurde gedruckt bei:

POESCHEL & TREPTE IN LEIPZIG