Teil 3 der Gedichte aus - "Letzte Gedichte" Teil I Erinnerung und Exil

Inhalt

Das Letzte

Unseliger Frühling

Karfreitag 1939

Osterwunder

Der Schreibtisch

Fremder Tod

Zuversichtliches Liebeslied

Trauerzug

Sommerliche Aufmunterung

Um uns wird es immer leerer

Sommer-Phantasie

Kein Mensch ist ganz verloren

Gestörter Traum

Zürcher Verzauberung

Dichter im Exil

An einen Freund in Deutschland

Die Überlebenden

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06. 01. 1939

Das Letzte

Wunschlos zu werden, nichts mehr zu erwarten,
gefaßt zu sein in jeglichem Ergehn,
wie unbeteiligt an der Gunst der Karten
dem eignen Spiel gleichgültig zuzusehn,
auf keinen guten Trumpf mich zu besinnen,
als hätte ich, wie das Geschick auch mischt,
nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen,
ein Zeitvertreib, bis alles Licht erlischt.
Im Dunkel dann, ganz ohne Angstgefühle,
bereit zu sein, daß die Vernichtung trifft,
und mit mir selbst unheimlich starrer Kühle
zu harren auf das mörderische Gift,
noch immer in der Hand die Zufallskarten,
dies letzte fragliche Stück Wirklichkeit:
leblos zu werden, nichts mehr zu erwarten,
fern, gegen Furcht und Zuversicht gefeit.


 24. 03. 1939

Unseliger Frühling

Vor diesem Frühling fühl' ich mich benommen,
an seine Zärtlichkeiten nicht gewöhnt,
denn schwerer Krankheit bin ich grad entkommen
und mit dem Leben noch nicht ausgesöhnt.
Das Liebevolle macht mein Herz verlegen,
die Sehnsucht ist noch schwach und ungeschickt,
verzagt geht sie dem Blühenden entgegen,
weil sie im Knöspchen schon den Tod erblickt.
Das Trauern ist mir näher als das Lachen:
das Weh der Welt vergißt sich nicht so leicht;
der bunte Krokus kann mich weinen machen.
Im Winde, der das frische Grün umstreicht,
vernehme ich die Seufzer der Geplagten.
Von welchem Unheil ist dies der Beginn?
Was morgens leise sich die Lüfte sagten,
enthüllt am Abend einen schlimmen Sinn.
So geh' ich durch den Lenz voll Unbehagen,
ist mir bei ihm noch herbstlich grau zumut,
und auch was kommt mit holden Sommertagen,
ist voll Gewaltsamkeit und riecht nach Blut.


07. 04. 1939

Karfreitag 1939

Der Erlöser liegt begraben
und wird niemehr auf erstehn:
weil wir ihn verleugnet haben,
läßt er uns zugrunde gehn;
seit wir seine Nähe mieden,
kamen wir um sein Geleit
und entbehren seinen Frieden
in der gnadenlosen Zeit.

Wenn wir seine Gruft besuchen,
wird sie uns nicht aufgetan.
Alle, die uns folgen, fluchen
unserm mörderischen Wahn,
weil sie unsre Schwäche büßen
bis zu Kind und Kindeskind,
mit der Kugel an den Füßen
immerdar Gefangne sind.

Wir, in unsern Blütetagen
überheblich und verwöhnt,
haben ihn ans Kreuz geschlagen
und den Sterbenden verhöhnt,
den wir jetzt so dringlich missen:
er nur könnte uns befrein
und aus all den Finsternissen
das Geleit ins Lichte sein.

Doch in den verlornen Reichen
nahm das Dunkel überhand,
und es gibt für unsersgleichen
nirgends mehr ein Heimatland.
Was wir einst besessen haben,
mußte spurlos untergehn.
Der Erlöser liegt begraben
und wird niemehr auferstehn.


09. 04. 1939

Osterwunder

Wieder wie zum ersten Male
ist die Erde jugendfrisch,
schmücken in kristallner Schale
Osterblumen unsern Tisch,
darf zum Leben auferstehen,
was wie tot in Banden lag,
und als festlichen begehen
seiner Freiheit ersten Tag.

Dünkt die Zukunft dir verloren,
des Verderbers Beutestück,
hast du doch wie neugeboren
heute noch dein Osterglück,
und du wirst es morgen haben
und auch künftig manche Frist,
wenn der letzte Schützengraben
überblüht von Primeln ist.

Denn das Wüste soll nicht siegen,
kurze Zeit nur strahlt die Macht.
Ungefährdet darfst du liegen
schlummernd in der Frühlingsnacht,
dir die Welt verbündet fühlen,
die sich schlummernd auch erneut
und nach tödlichem Erhühlen
ihrer Lebenswärme freut.

Glaube nicht den Unglücksboten,
nicht dem eigenen Verdacht!
Immer wieder sind die Toten
mit dem Morgenrot erwacht.
Immer wieder wird im Lenze
das Unsterbliche Gestalt,
kennt die Liebe keine Grenze,
macht die Sehnsucht nirgends Halt.

Wenn die Osterglocken tönen.
ist die Leidenszeit vorbei,
freust du wieder dich des Schönen
zuversichtlich, sorgenfrei,
ist uns Feiertag beschieden,
scheint die Menschheit gutgewillt,
und das Heimweh nach dem Frieden
wird am Ende doch gestillt.


09. 05. 1939

Der Schreibtisch

Plötzlich überkam mich ein Verlangen
nach dem Tisch, an dem. ich nächtlich schrieb:
Schritte sind, wie einst, im Hof gegangen,
wenn ich wach im Schlaf des Hauses blieb,
unsre Katze sah vom Bücherschranken
meinem Treiben fremd und freundlich zu,
heimlich wildern unsre Nachtgedanken
durch der Heimat bürgerliche Ruh …

Lieber, alter Schreibtisch, mir genommen,
welcher Feind ist jetzt mit dir bedacht?
Ist auch ihm an deinem Pult willkommen
die Besinnlichkeit der stillen Nacht,
oder denkt er auf dem grünen Tuche
einen mir verhaßten bösen Plan,
wird, was ich bekämpfe und verfluchte;
vom vertrauten Platze aus getan?

Lieber Schreibtisch, ist in deinen Schüben
wohlverwahrt noch, was ich hinterließ :
Strophen, die sich im Entwurfe üben;
Angefangnes, das Erfolg verhieß,
oder haben sinnlos die Barbaren,
denen jetzt das Unsrige gehört,
was für mich beseelte Wesen waren,
ungehemmt besudelt und zerstört?

Und vielleicht, indem ich dich erträume,
bist du längst, mein Schreibtisch, nicht mehr da:
leergeräubert sind die lieben Räume,
keiner sagt mir, was mit dir geschah,
ob sie dich zerhackten und verbrannten.
Aber, wenn dich niemand sonst vermißt,
denkt an dich die Liebe des Verbannten,
die das Heimatliche nie vergißt.


04. 05. 1939

Fremder Tod

Noch fremder ist der fremden Ortschaft Nacht
als ihrer Tage immer fremdes Wesen;
gespenstisch fegt der Wind mit rauhem Besen
das letzte Leben in den Abfallschacht.

Am Friedhof trabe ich entlang, verstört:
noch fremder bleibt für mich das Reich der Toten,
die Gräberstadt noch strenger mir verboten,
als was dem fremden Leben zugehört.

In fremder Sprache schweigt mir jeder Stein,
und stürbe ich und würde hier begraben,
die Seele könnte keine Ruhe haben
und fühlte sich in Ewigkeit allein.

Im Heimatkirchhof harrt der Eltern Gruft,
daß ich mich ihrem Totsein beigeselle;
verschollen ist ihr Sohn und nicht zur Stelle,
um seinen Schatten weht die fremde Luft.

Er geistert durch der fremden Ortschaft Nacht,
aus keiner Lichtschrift ist ein Trost zu lesen,
in fremder Erde muß der Leib verwesen,
ein fremdes Opfer der verlornen Schlacht.


14. 05. 1939

Zuversichtliches Liebeslied

O könnt' ich dir den Gram ersparen,
von jedem Kummer dich befrein,
in allen Nöten und Gefahren
dir Tröster und Beschützer sein,
dein Herz mit frischem Mut beleben,
und dir ein sichres Obdach baun,
was dein einst war, dir wiedergeben:
den Frohsinn und das Gottvertraun!

Gedenkst du noch des Tages vor zwei Jahren,
der Blütenpracht am Berg in Sonnenschein?
So werden wir noch oft gen Süden fahren
und Hand in Hand im Paradiese sein,
gemeinsam Unvergängliches erleben:
den vollen Fliederbusch am Gartenzaun,
die Lerchen, die das Kleefeld überschweben
und im Getreide ihre Nester baun.

Ich seh den Maienkranz in deinen Haaren,
so rasten wir am weißen Meilenstein,
der uns ins Weite weist, zum Wunderbaren,
wo Märchen zur Alltäglichkeit gedeihn,
Landstraßen leiten in ein lichtes Leben,
von Sommerfluren winken Schnitterfraun,
der Herbst schenkt dir die Hügel mit den Reben,
Eisblumen läßt der Winter dich beschaun.

Die Mächte, die sich wild gebahren.
gehn an dem eignen Wahne ein;
dich wird vor ihrem Haß bewahren
der Liebesgnade Heiligenschein.
Wir werden wieder Glück erleben,
vergessen dürfen all das Graun,
die Zukunft wird uns wiedergeben
den Frohsinn und das Gottvertraun.


27. 05. 1939

Trauerzug

Ein Trauermarsch klingt mir im Ohr
aus längst vergangnen Heimat-Tagen:
ich seh die Fahne mit dem Flor,
die Schützen und den Leichenwagen,
den stolzen Pastor im Ornat
und mit dem Kruzifix die Knaben,
den ganzen feierlichen Staat;
ich weiß nicht, wen sie mir begraben.
Nun machen wir am Bahnhof Halt,
der Sarg wird im Waggon verladen,
es blitzt, die Ehrensalve knallt,
„Ich hatte einen Kameraden. . . „
Von dannen rollt die dunkle Fracht
zu einem heimatlichen Grabe,
das ich, sobald ich es gedacht,
im Traum auch schon verloren habe.
Vom Platz marschiert das Grabgeleit
mit einer flotten Schützenweise,
zu neuer Lebenslust bereit,
zum Wohlgenuß von Trank und Speise,
von Freundschaft, Liebesspiel und Sport,
zu kleinem Trost und Zeitvertreibe,
nur fort vom Tode, fort, weit fort,
der doch längst wohnt im eignen Leibe,
wo sich sein Drohen nie verlor,
so leichtgesinnt wir uns behagen.
Ein Trauermarsch klingt mir im Ohr:
ich bin's, den sie zu Grabe tragen.


28. 05. 1939

Sommerliche Aufmunterung

Wie bring' ich dich zum Lachen,
bist du von Leid bedrückt?
Denn dich beglückt zu machen,
hat stets mich selbst beglückt,
kann dir der Tag behagen,
bin ich von Furcht befreit,
ist leichter zu ertragen
die noch so schwere Zeit.

Nach Nebel und nach Regen
kommt wieder Sonnenschein,
lädt uns auf allen Wegen
die Welt freigebig ein,
den Sommer zu genießen
mit allem, was sie trägt:
die Brunnen friedlich fließen,
die Turmuhr traulich schlägt.

Der Weißdorn steht in Blüte,
die Lüfte duften weich,
es sehn der Frauen Hüte
den Narrenkappen gleich;
so treiben meine Lieder
verliebte Narretei.
Daß doch dein Lächeln wieder
mir Spielgefährtin sei!

Was könnte dich verführen
zu festlichem. Gefühl ?
Die Birken an den Türen,
das frohe Volksgewühl,
bei den Vergnügungszelten,
wo hoch die Schaukel schwingt,
die über wüsten Welten
dich in den Himmel bringt.

Da wird dich beim Erwachen,
mit Maien schön geschmückt,
der Morgen glücklich machen
und mich in dir beglückt.
In sommerlichen Tagen
verliert sich Furcht und Leid,
ist leichter zu ertragen
die schwere, schwere Zeit.


02. 06. 1939

Um uns wird es immer leerer

Meine Welt wird immer leerer,
ach, man läßt mich oft allein,
und es schweigt sich immer schwerer,
kein Vergessen bringt der Wein.
Einer nach dem andern, leise,
stiehlt sich aus der bösen Zeit;
nur mein Leben läuft im Kreise
sinnlos durch die Einsamkeit.
Busch und Blüte zu betrachten,
ist ein Trost, der sich nicht hält,
wenn die Stunden sich umnachten
und uns Todesfurcht befällt.
Auch die Schönheit der Gedichte,
guter Sprüche weiser Rat,
wird für ein Gemüt zunichte,
dem die große Drohung naht.
Keinem kann ich warnend sagen,
wie das alles enden mag,
wissend muß ich es ertragen
bis zum allerletzten Tag, d
arf mich nicht wie andre stehlen
aus zu schwer gewordner Zeit:
denn den unentschiednen Seelen
ist mein Schicksal eingereiht.
Weder kann ich mich ergeben,
noch ausdauernd widerstehn,
und so muß leeres Leben
schließlich wesenlos vergehn.


09. 06. 1939

Sommer-Phantasie

Die Sonne überm See läßt uns gesunden,
dir schmeckt im Dorfgasthaus die derbe Kost,
der Landwein kann im Freien köstlich munden,
und gern versäumen wir die letzte Post,
um später erst zu Fuß uns aufzumachen,
wenn kurz vor Dämmerzeit dem Licht gelingt,
den Farbenbrand noch einmal zu entfachen,
eh ihn das Dunkel zum Erlöschen bringt.
Der Abendwind streift zärtlich das Getreide,
aus seinem Waldgeheimnis tritt das Wild
und geht noch einmal witternd auf die Weide,
und alles ist ein altes Märchenbild.
Den Wiesenweg umduften würzige Kräuter,
der grüne Strom rinnt rasch von Stein zu Stein,
die Kühe finden sich mit vollem Euter
am Kreuzweg zur vereinten Heimkehr ein.
Bald nahen sich der Ortschaft erste Zeichen;
der Schützenstand, das Bad am Brückenwehr;
bevor die Helligkeiten ganz erbleichen,
tanzt überm Schuttplatz noch ein Mückenheer.
Der Friedhof bleibt allein mit seinen Toten,
der Pfarrer liest im Garten das Brevier.
Der Bäckerladen riecht nach frischen Broten,
das Klosterbräu nach kühlem Kellerbier.
Sind wir hier wieder sommerlich zuhause
mit allem, was den Sinnen wohlbehagt,
gönnt das Geschick uns diese Atempause,
eh es uns weiter durch die Fremde jagt?
Wie trunken stehn wir auf dem Traumbalkone
der Bergbach rauscht, es rauscht die Sommernacht,
die Welt erklingt in uns vertrautem Tone,
es perlt die Arie der Sternenpracht.
Vielleicht darf nichts aus diesem Fest uns wecken,
bleibt uns, was karg und freudlos macht, erspart.
Wir lassen uns das Sommerliche schmecken,
und keine Post holt uns zur letzten Fahrt.


 31. 05. 1939

Kein Mensch ist ganz verloren

Noch der schändlichste Verräter
weiß ein Wesen, das ihn liebt,
das dem wüsten Übeltäter
gütig alle Schuld vergibt,
ihn betreut mit sichrer Bleibe,
wenn er krank ist, bei ihm wacht, und,
was immer er auch treibe,
für sich selbst verzeihlich macht.
Treue Freunde kann er haben
und viel Zärtlichkeit der Fraun,
jugendlich verschwärmte Knaben
werden gläubig ihm vertraun,
ja, es opfern sich die Frommen,
ihn von Sünde zu befrein,
mag er noch so sehr verkommen
und der Menschheit Geißel sein,
etwas wird sich ihm verbünden,
irgendeine Kreatur,
die aus nie gewußten Gründen
dem Verruchten Treue schwur
und ihm anhängt sondergleichen,
Iltis, Elster oder Hund,
nur gehorsam seinen Zeichen,
mit dem Frevler nur im Bund,
die vielleicht ihn nur im Guten
und als lieben Pfleger kennt,
wenn in wunschlosen Minuten
mild die Abendlampe brennt
und mit friedlich sanftem Schimmer
bei Klavier und Zeitungsblatt
zum idyllisch trauten Zimmer
zaubert seine Ruhestatt.
Wenn des Augenblickes Laune
lügenhaft ihn harmlos zeigt
und die drohende Posaune
göttlichen Gerichtes schweig,
will ihn alles besser machen,
glaubt er selbst sich Biedermann,
hoffend, daß er beim Erwachen
rechtlich sein und bleiben kann.
Er erkennt sich kaum noch wieder,
ist sich selbst unheimlich fern,
sieht zum ersten Mal den Flieder,
hat ein Stückchen Wiese gern,
strahlt wie alle andern Väter,
wenn sein Kind ihm Küsse gibt:
noch dem ärgsten Übeltäter
wird die Gnade, daß er liebt.


27. 06. 1939

Gestörter Traum

Die Springbrunnen plätschern, es raschelt im Laube,
die grüne Kulisse bewegt sich im Wind,
das Dickicht schaukelt die gurrende Taube,
und alles scheint wieder uns freundlich gesinnt:
die Entenmutter mit drolligen Jungen,
die Schwäne und ihre graufiedrige Brut;
da schwinden die schweren Erinnerungen,
da scheint unsre Zukunft verläßlich gut.
Wir glauben dem Zauber und lassen uns gehen,
gelullt in sommerlich träges Vertraun,
als könnte nichts Widriges fürder geschehen,
als wäre nun immer nur Schönes zu schaun.
Am Himmel der Flieger bedrohliches Dröhnen
hat wieder die kurze Idylle zerstört:
wir dürfen uns nie an das Wunder gewöhnen,
so hold uns bisweilen ein Traum auch betört.


 06. 07. 1939

Zürcher Verzauberung

Man hatte gern im alten Schank gesessen,
den Eingebornen freundlich zugesehn,
was dort der Brauch, getrunken und gegessen,
ihr Kartenspiel getrachtet zu verstehn
und hatten laut zu singen sie begonnen,
wohlwollend dem uns fremden Klang gelauscht;
die Zeit war schließlich ohne Arg verronnen,
man selber ohne Bitternis berauscht.

Erst spät war man zum Abschied zu bewegen;
der Wirt kam selbst mit uns vors Tor hinaus,
verhieß für morgen Sonne oder Regen,
pfiff seinem Hunde und verschloß das Haus.
Ich blieb noch auf der Rundbank bei der Linde,
es duftete, ein Brunnen ruhig rann,
die Sterne zitterten im Sommerwinde,
ein Mondstrahl sich von Dach zu Dache spann.

Vom Kirchturm klang getrost die Stundenglocke,
Du hattest dich an meine Brust gelehnt
und hinterm Fenster mit dem Blumenstocke
das Giebelstübchen dir als Heim ersehnt.
Wir machten noch viel andre Märchenpläne
beim Abstieg durch der Gassen schmalen Paß;
an der Schiffslände schlummerten die Schwäne.
der See lag friedlich atmend, zart und blaß.

Von ihm vermochten wir uns nicht zu trennen,
die Weile schien zur Ewigkeit bereit:
fern war der Bergwall spärlich zu erkennen,
da wünschten wir uns schmerzlos eingeschneit.
bis einstens bessre Zeiten uns erwecken
und wir als einen wohlbewahrten Schatz
die alten Traulichkeiten neu entdecken,
den Brunnen und sein Lied am Lindenplatz.


29. 07. 1939

Dichter im Exil

In das werdende Gedicht versponnen,
das mit deutschen Lauten in mir tönt,
fühl' ich mich der Fremde fast entronnen,
deren Straßenlärm mich wüst umdröhnt,
Schutzengel der Dichter mich geleitet,
und mein Wachtraum schwebt von ihm beschwingt,
ungewahr des, was da fährt und schreitet,
doch in meinen Zauberkreis nicht dringt.

Plötzlich aber werd' ich angesprochen
und mit fremdem Wort etwas gefragt,
wird in meine Traumwelt eingebrochen
und der still Verzückte aufgejagt.
Jäh gehemmt im erdenfernen Schweifen,
findet er sich nicht sogleich zurecht,
kann den fremden Frager nicht begreifen;
alles paßt in sein Gedicht so schlecht.

Ganz vergebens such' ich mich zu sammeln,
meine gute Stunde ist zerstört.
Hilflos werde ich Verfehltes stammeln,
weil mir keine Sprache mehr gehört:
jeder Wortschatz läßt mich jetzt im Stiche,
alles ist zum Kauderwelsch vermischt,
wo das Fremde und das Heimatliche
unentwirrbar durcheinander zischt.

So entweicht der Störenfried betroffen.
Ich will wieder heim in mein Gedicht;
doch die Traumwelt steht mir nicht mehr offen.
das verlorne Lied erklingt mir nicht.
Taub gemacht im Irrgarten der Stimmen,
hör' ich hinter einem Nebelwall
die Geräusche undeutlich verschwimmen,
und mein Wort hat keinen Widerhall.


18. 07. 1939

An einen Freund in Deutschland

Freund, du kannst dich von dem Land nicht trennen,
das auch mir die liebe Heimat bleibt:
ihre Sterne mir im Herzen brennen,
wohin immer mich der Haß vertreibt;
dennoch hab' ich mich von ihr geschieden,
zog ich dieses Flüchtlings-Schicksal vor,
mir zu wahren des Gewissens Frieden,
als die Heimat sich im Wahn verlor.

Glaube: mir auch ist es schwer gefallen;
schwerer, als es mein Gedicht bekennt,
hatte sich mein Leben von dem allen,
was ihm stete Bleibe schien, getrennt,
von dem eignen wohnlichen Gemache,
manch gemütlich langer Wirtshausnacht,
und vom edlen Gut der Muttersprache,
die mich meinen Engel hören macht.

Auch von dir, mein Freund, und deinesgleichen,
von der Herzensträgheit, die euch hegt;
euer Wort schallt wie aus Schattenreichen,
wo nichts Menschliches den Dunst bewegt.
Manchmal doch in schlaflos dunklen Stunden,
die der Hauch der Ewigkeit umrauscht,
haben unsre Träume sich gefunden
und, wie früher, Tröstliches getauscht.

Denn ich weiß von deinen schwachen Tagen,
wenn der Zweifel insgeheim dich plagt.
daß bei peinlich vorwurfsvollen Fragen
jede Selbstbeschwichtigung versagt,
wenn Erinnerungen wiederkommen :
hatten wir nicht kürzlich noch, vereint,
viel Erbauliches uns vorgenommen,
das dich jetzt nur zu beschämen scheint?

Sollten wir uns jemals wiedersehen,
wird es wie nach Sintflutjahren sein:
keiner wird den andern mehr verstehen,
gegnerisch sich weisen Dein und Mein,
alles Heimatliche dich umgeben
wie ein leer gewordner, fremder Raum,
doch für uns erblühn zu vollem Leben
aus dem rein gehaltnen Flüchtlingstraum !


25. 04. 1939

Die Überlebenden

Wohin will uns all das Fremde führen,
in das Neue oder in den Tod?
Was ist hinter den verschlossnen Türen,
die zu öffnen das Geschick verbot?

Wenn wir das ersehnte Ziel erreichen,
wieder seßhaft werden und beliebt,
wird es der verlornen Heimat gleichen,
der man dann die alte Schuld vergibt"

Oder wird uns etwas überraschen,
unvorstellbar auch dein kühnsten Traum:
ein Gestirn erstehn aus Weltbrandaschen,
eine Insel aus dem Sintflutschaum?

Dieser Insel immergrüne Lauben
bergen, was den Anschlag überlebt.
bis der Stern die Seelen, die ihm glauben,
in den Frieden sein es Himmels hebt.

Endlich gehn wir durch die goldnen Türen,
frei von jedem irdischen Gebot,
und die nicht mehr fremden Zeichen führen
in der Ewigkeiten Morgenrot.





 

Letzte Gedichte II. Überwunden