Weibliches Bildnis

 

 

Weibliches Bildnis

Otto Dix "Die Tänzerin Anita Berben" (1925)

49 Gedichte
in 4 Räumen

geschrieben um 1933

- nur posthum veröffentlicht -


Inhalt

 

Erster Raum

 

Die Dichterin

Die Jüdin

Die Fahrende

Die Fremde

Die Unerschlossene

Die Drude

Das Räubermädchen

Die Landstreicherin

Die Gärtnerin

Die Geliebte

Die Entführte

Der Seegeist
 

Zweiter Raum

 

Die Redende

Die Tochter

Die Gauklerin

Die Schlangenspielerin 1

Die Liebliche

Die Tänzerin I

Mädchen

Die Mutter

Eine Andere

Die Gesegnete

Die Sünderin

Die Verworfene

Judith
 

Dritter Raum

 

Die alte Jungfer

Die Blinde

Großmutter

Die Puppe

Singende Mutter

Die Irre

Die Einsame

Das Götzenbild

Die Schlangenspielerin (2)

Das Tier

Die Frau mit dem Adlerweibchen

Die Kranke

Die Müde

Die Erzieherin

Die Kindlose
 

Vierter Raum

 

Die Häßliche

Die Tänzerin 2

Die Stickerin

Erstarrt

Die Verlassene

Die Alternde

Die Lumpensammlerin

Die Begrabene

Die Sinnende

Die Leugnerin

Die Beterin

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 Erster Raum *

Die Dichterin

Du hältst mich in den Händen ganz und gar.

Mein Herz wie eines kleinen Vogels schlägt
In deiner Faust. Der du dies liest, gib acht;
Denn sieh, du blätterst einen Menschen um.
Doch ist es dir aus Pappe nur gemacht,

Aus Druckpapier und Leim, so bleibt es stumm
Und trifft dich nicht mit seinem großen Blick,
Der aus den schwarzen Zeichen suchend schaut,
Und ist ein Ding und hat ein Dinggeschick.

Und ward verschleiert doch gleich einer Braut,
Und ward geschmückt, daß du es lieben magst,
Und bittet schüchtern, daß du deinen Sinn
Aus Gleichmut und Gewöhnung einmal jagst,

Und bebt und weiß und flüstert vor sich hin:
»Dies wird nicht sein.« Und nickt dir lächelnd zu.
Wer sollte hoffen, wenn nicht eine Frau ?
Ihr ganzes Treiben ist ein einzig: »Du ...«

Mit schwarzen Blumen, mit gemalter Brau',
Mit Silberketten, Seiden, blaubesternt.
Sie wußte manches Schönere als Kind
Und hat das schönre andre Wort verlernt. -

Der Mann ist soviel klüger, als wir sind.
In seinen Reden unterhält er sich
Mit Tod und Frühling, Eisenwerk und Zeit;
Ich sage: »Du ...« und immer: »Du und ich.«

Und dieses Buch ist eines Mädchens Kleid,
Das reich und rot sein mag und ärmlich fahl,
Und immer unter liebem Finger nur
Zerknittern dulden will, Befleckung, Mal.

So steh' ich, weisend, was mir widerfuhr;
Denn harte Lauge hat es wohl gebleicht,
Doch keine hat es gänzlich ausgespült.
So ruf ich dich. Mein Ruf ist dünn und leicht.

Du hörst, was spricht. Vernimmst du auch, was fühlt ?


 

Die Jüdin

Ich bin fremd.

Weil sich die Menschen nicht zu mir wagen,
Will ich mit Türmen gegürtet sein,
Die steile, steingraue Mützen tragen
In Wolken hinein.

Ihr findet den erzenen Schlüssel nicht
Der dumpfen Treppe. Sie rollt sich nach oben,
Wie platten, schuppigen Kopf erhoben
Eine Otter ins Licht.

Ach, diese Mauer morscht schon wie Felsen,
Den tausendjähriger Strom bespült;
Die Vögel mit rohen, faltigen Hälsen
Hocken, in Höhlen verwühlt.

In den Gewölben rieselnder Sand,
Kauernde Echsen mit sprenkligen Brüsten -
Ich möcht' eine Forscherreise rüsten
In mein eigenes uraltes Land.

Ich kann das begrabene Ur der Chaldäer
Vielleicht entdecken noch irgendwo,
Den Götzen Dagon, das Zelt der Hebräer,
Die Posaune von Jericho.

Die jene höhnischen Wände zerblies,
Schwärzt sich in Tiefen, verwüstet, verbogen;
Einst hab' ich dennoch den Atem gesogen,
Der ihre Töne stieß.

Und in Truhen, verschüttet vom Staube,
Liegen die edlen Gewänder tot,
Sterbender Glanz aus dem Flügel der Taube
Und das Stumpfe des Behemoth.

Ich kleide mich staunend. Wohl bin ich klein,
Fern ihren prunkvoll mächtigen Zeiten,
Doch um mich starren die schimmernden Breiten
Wie Schutz, und ich wachse ein.

Nun seh' ich mich seltsam und kann mich nicht kennen,
Da ich vor Rom, vor Karthago schon war,
Da jäh in mir die Altäre entbrennen
Der Richterin und ihrer Schar.

Von dem verborgenen Goldgefäß
Läuft durch mein Blut ein schmerzliches Gleißen,
Und ein Lied will mit Namen mich heißen,
Die mir wieder gemäß.

Himmel rufen aus farbigen Zeichen.
Zugeschlossen ist euer Gesicht:
Die mit dem Wüstenfuchs scheu mich umstreichen,
Schauen es nicht.

Riesig zerstürzende Windsäulen wehn,
Grün wie Nephrit, rot wie Korallen,
Über die Türme. Gott läßt sie verfallen
Und noch Jahrtausende stehn.


 

Die Fahrende

Alle Eisenbahnen dampfen in meine Hände,
Alle großen Häfen schaukeln Schiffe für mich,
Alle Wanderstraßen stürzen fort ins Gelände,
Nehmen Abschied hier; denn am andern Ende,
Fröhlich sie zu grüßen, lächelnd stehe ich.

Könnt' ich einen Zipfel dieser Welt erst packen,
Fand ich auch die drei andern, knotete das Tuch,
Hängt' es auf einen Stecken, trüg's an meinem Nacken,
Drin die Erdenkugel mit geröteten Backen,
Mit den braunen Kernen und Kalvillgeruch.

Schwere eherne Gitter rasseln fern meinen Namen,
Meine Schritte bespitzelt lauernd ein buckliges Haus;
Weit verirrte Bilder kehren rück in den Rahmen,
Und des Blinden Sehnsucht und die Wünsche des Lahmen
Schöpft mein Reisebecher, trinke ich durstig aus.

Nackte, kämpfende Arme pflüg' ich durch tiefe Seen,
In mein leuchtendes Auge zieh' ich den Himmel ein.
Irgendwann wird es Zeit, still am Weiser zu stehen,
Schmalen Vorrat zu sichten, zögernd heimzugehen,
Nichts als Sand in den Schuhen Kommender zu sein.


 

Die Fremde

Die Stadt ist mir ein bunter Wein
Im Becher von geschliffnem Stein;
Er steht und glitzert mir zum Mund
Und malt mich ab in seinem Rund.

Es spiegelt sein vertiefter Kreis,
Was jeder kennt, doch keiner weiß;
Denn alle Dinge schlagen blind,
Die uns gemein und täglich sind.

Mir weisen Häuser schroffe Wand
Mit selbstgerechtem: »Hierzuland ...«,
Des kleinen Ladens Glasgesicht
Verschließt sich scheu: »Ich rief dich nicht.«

Mein Pflaster horcht und tappt den Schritt
Voll Argwohn und aus Neugier mit,
Und wo es anrührt Holz und Leim,
Da spricht es anders als daheim.

Der Mond zuckt rötlich wie ein Mord
Ob fernem Leibe, irrem Wort,
Wenn nachts an meiner Brust zerschellt
Der Atem einer fremden Welt.


 

Die Unerschlossene

Auch ich bin ein Weltteil.
Ich habe nie erreichte Berge, Buschland undurchdrungen,
Teichbucht, Stromdelta, salzleckende Küstenzungen,
Höhle, drin riesiges Kriechtier dunkelgrün funkt,
Binnenmeer, das mit apfelsingelber Qualle prunkt.

Meiner Brüste Knospen spülte nicht Regen,
Kein Strahl riß sie auf: Diese Gärten sind abgelegen.
Kein Abenteurer hat noch meiner Wüstentäler goldenen
     Sand besiegt
Und den Schnee, der auf hohen Oden jungfräulich liegt.

Nacktrote Felsgurgel würgen Kondore mit kralligen Fingern,
Spreiten die Federmäntel in Lüfte und ahnen nichts von
     Bezwingern.
Sind Adler ? Auch Urweltadler - wer lauschte, wenn einer
     schrie ? -
Doch meine großen Geier sind mächtiger noch und fremder
     als sie.

Was ich hülle, bricht nie mehr aus schon erschlossenen Erden;
Denn dort leitet kein Schlangenwidder starr zuckende
     Vipernherden,
Leuchten durch Nächte nicht Kröten sich mit dem Karneol
     im Haupt.
Der Geheimnisse kupferner Kelch ward längst aus dem
     wehrenden Moos geklaubt.

Über mir sind oft Himmel mit schwarzen Gestirnen,
     bunten Gewittern,
In mir sind lappige, zackige Krater, die von zwingendem
     Glühen zittern;
Aber auch ein eisreiner Quell und die Glockenblume ist da,
     die ihn trinkt:
Ich bin ein Kontinent, der eines Tages stumm im Meere
     versinkt.


 

Die Drude

Ich will die Nacht draußen liegen und wie ein Vogel schrein
Schallen, wie Häher schreit, »Schack! Schack!« wie Elster
     schackert.
Ich kann keine brave Bauernhofhenne sein,
Die ihr Ei legt und gackert.
Auch die fiedrigen Augenkränze der Eule sind mein.

Um werf ich der Eule Kleid.
Dazu mag ich rote Augen zünden.
Begegne ich so dem Bock, den ich manchmal reit',
Stürzt er hin und bereut seine Sünden.
Und im Winter wird Blutschnee geschneit.

Mein Thron ist der schierlingbewachsene Krötenstuhl.
Beim Tümpel lieg' ich; in dunkler Lake
Find' ich ein Antlitz, mit dem ich buhl'.
Und die blaue diebische Rake
Flattert zur Erle am Pfuhl.

Ich habe ein Otterngesicht,
Das die Knaben mit Steinen schmeißen,
Sehn sie's im Sonnenlicht.
Und ich will doch, ich will mir Männer vom Lager reißen
Einer, die lieblich blickt und spricht.

Ich will meine nackten Schultern zu ihnen tun
Mit den kalten, gräulich umschuppten Brüsten;
Sie sollen mit mir in Höhlungen ruhn
Und flämmchenhüpfenden Lüsten.
Ich übe Spuk an ihren ausgezogenen Schuhn.

O, ich bin jedem das Prächtigste auf der Welt!
Doch zieh' ich die Blindheit von seinem Schauen:
Da weiß er, daß er in Armen hält
Ein Ding zum Grauen,
Und kreischt vor Angst, daß es gellt.

Und der Moorwald lacht.
Der Schlammund öffnet sich als ein Krater.
Und in der sechstnächsten Nacht
Werf ich wohl einen pechschwarzen Kater,
Der mir den Schaumtopf bewacht.

Nun werd' ich Mann.
Springe auf Weiber aus Regentraufen.
Aber die Kinder geh' ich nicht an,
Lasse sie mit ihren kleinen Schulranzen laufen.
Sie tragen ein Kraut, das ich nicht erwürgen kann.


 

Das Räubermädchen

Nachts,
Wenn der orangene Mond sich ganz silbern gewandelt,
Kommen auch andere heimlich und bringen Gold,
Hänger, klirrendes Springzeug, das um meinen Nacken tollt,
Blühende Steine, die man in dunklen Schächtelchen handelt,
In pfauenblauen und mohnroten Atlas rollt.

Alle nehme ich nicht: ich verachte die dummen Türkise;
Demanten sind glitzernd scharf, zu wirklich, ich liebe sie nicht.
Ich halte die graue Perle, ihr sinnendes Licht,
Und das Rätsel Opal - war so im Abend die Wiese ? -
Und den Zitrontopas, der Unheil zerbricht.

O grüne Schlangenaugen, heißt ihr smaragden ?
So sind Augen, die sich mit mir gefüllt,
Bis ich sagte »Genug« und mein Mund sie umhüllt,
Wenn Er vertauschte mit mir die Lust seiner Jagden
Und die geströmte Felldecke niederschlug, plump und zerknüllt.

Was ist gut ? Ich weiß nicht. Wird Gott mich strafen ?
Was ist böse ? Mich hat keiner Bosheit gelehrt.
Fraun tragen Ketten und Kinder; der Mann trägt ein Schwert,
Und es ist süß, an einer Brust zu schlafen,
Die anders als unsere, hart und zottig bewehrt.

Bald,
Wenn wieder große Waffen silbern sich kreuzend blitzen,
Kaufmanns Gewand in gelbe und schwarze Blumen zerfliegt,
Such' ich ein altes Lied zusammen, das schläfert und wiegt;
Aber den Natternzaubrer in Mauerritzen
Hat schon des Kindes grünliches Blinzeln besiegt.


 

Die Landstreicherin

Ein Leben hab' ich umkrampft,
Bin zwanzig Tode gestorben,
Ward mit den Blumen zerstampft
Und mit dem Unkraut verdorben.
Die Klette fliegt nicht aus dem Schopf
Mit Gräsern und Stengeln und Strängen;
Mich schüttelt die Welt vom Kopf,
Und ich bleibe doch an ihr hängen!

Mein sind die Feuer der Erde
Und Wind, der zum Hüpfen geblasen;
Der Schäfer treibt morgen die Herde
Auf bröselig schwärzlichen Rasen;
Ich ward mit den Flammen vergossen
Und bin mit den Lüften verzittert,
Ich fraß meinen Feldgenossen
Und hab' ihn wie Dürrholz zersplittert.

Die Leute kramen in Büchern
Und reißen aus jedem Gesetze
Und reiben mit sanftesten Tüchern
Nur blank ihre schuftende Hetze;
Sie haben kein Huhn gestohlen
Und schirren ergaunerten Schimmel,
Ich laufe doch nur mit den Sohlen,
Und mein Sinn steht klar wie der Himmel.

Sie hüten so manches Ding
Noch neben dem Essenrauche,
Darüber ich stolpre und spring'
Und das ich vor allem nicht brauche.
Sie bauen wie Straßen sich aus
Und wissen nicht, wo sie enden:
Ich bin nur ein Ackerstrauß
Und halte mich selber in Händen.


 

Die Gärtnerin

Harkenbrett und -stiel,
Leichtes Mühn der Hand;
Blumenzwiebel fiel
In gekrumten Sand.
Schnell den Schatz verdeckt:
Geizhals-Greisenart,
Wenn der Pfennig heckt,
Den das Brot gespart.

Lebst du dunklen Tod,
Dich erfand ich schon:
Mädchen hell und rot,
Roter Krug aus Ton,
Krug von Elfenbein,
Gelber Zuckerkram,
Weißer Falterwein,
Schaum und Bienenrahm.

Ziert sich manche blau,
Ward mir's nicht vertraut;
Immer bleib' ich Frau,
Die den Spiegel schaut,
Zarte Rede gießt,
Wilde Stirn bespäht,
Harsches Funkeln liest,
Blauen Kuß errät.

Immer wart' ich Blühn,
Bis ein Wandrer hascht,
Was ihn, bunt und grün,
Freundlich überrascht,
Und ein Fremdsein neigt
Lächeln, die verwehn,
Liebend übersteigt
Alles Sichverstehn.


 

Die Geliebte

Vor deinen starken Taggedanken
Steh' ich zerbrechlich und verhöhnt,
Die Schale mit den Blumenranken,
Der deine Lippe sich gewöhnt,
Ein zärtliches Gefäß, bekränzt
Mit rotem Mohn und blauen Raden,
Dein Schaun dem Tranke einzuladen,
Den deinem Dürsten es kredenzt.

So zierlich klirrend, bunt gesprenkelt
Ergötz' ich Heimkehr dir und Tisch,
Gerundet wart' ich und gehenkelt,
Geduldig und verführerisch,
Daß du mit kurzem Griff mich pflückst,
Um rasch und achtlos zu genießen;
Dann muß ich mich im Schrank beschließen,
Bis du mich neu zur Lampe rückst.

Ach, ich war nie in jenen Stunden,
Da du dich selbst der Welt verwarfst;
Mein Blut entsprang geheim den Wunden,
Die du im Schlaf mir öffnen darfst.
Und schmeichelnd duckte blasse Hand,
Die immer, Scharlachtropfen, blühten,
Die meine Sorgen nicht behüten,
Wenn erst dein Rausch sie wiederfand.

Du siehst das Haar mir tief im Nacken
Als dunkle, schwere Bürde ruhn,
Daß du es reißen magst und packen
Und wie ein Dickicht um dich tun.
Mich selber schlägst du, Zweig und Stamm,
Gehorsam dir den Herd zu wärmen:
Aus deinen Nächten will ich schwärmen
Mit zitternd loderndem Geflamm
Und Asche bleiben und mich härmen.


 

Die Entführte

In die Kumme schneid' ich harte Rinden
Schweren schwarzen Brotes, das ich backe;
Plumpe blaue Schürze will ich binden,
Durch den Garten gehn mit meiner Hacke.

Friedlich schläft das Kind in seiner Nische.
Bis gen Abend kann ich jäten, werken;
Wenn ich mir den Schweiß vom Antlitz wische,
Wird das Schlückchen Ziegenmilch mich stärken.

Über Unkrauthügel fährt die Harke;
Halt' ich inne, muß ich mich verspotten,
Denk' ich doch des Rosenbeets im Parke,
Unsrer Wasserkunst, der Felsengrotten.

War ich gelber Kies am Laubenbogen ?
Bin von dunkler Erde wohl gewesen,
Da ich mit dem schlichten Mann gezogen,
Der nicht schreiben mag und wenig lesen.

Was ist Reue ? Was die Bücher sagen.
Traurig, fand' ich keine Zeit zum Grämen,
Schwielenhaut am zarten Fuß zu klagen,
Wund gefurchter Hände mich zu schämen.

Und die Eltern? Ringverspruch und Feier?
Ach, wie leicht verspült sich mein Gewissen,
Seh' ich wieder: dort den grauen Freier,
Hier das braune Kind in meinen Kissen.

Unsre Nacht: ein Duft der Wiesenblume,
Eines Mannes Schulter, dran ich lerne
Sonne sein und Strauch und Ackerkrume
Und die Baumfrucht, fehllos bis zum Kerne.

Unsre Arme weitet früh die Linde,
Wenn wir atmend ineinander schliefen.
Meine Wurzel schwankte siech im Winde
Und ist heimgewachsen in die Tiefen!


 

Der Seegeist

Die Glashaut meiner Lider
Verwirft die Nacht, verwirft das Licht;
Der Möwe Sturmgefieder
Hat keine Feder, die sie bricht.
Weil ihre wölb'ge Schale
Nicht von des Auges Sternfrucht sprang:
Es sah den Tanz der Wale
Und fühlte niemals Salz noch Tang.

Dies Aug' steht ewig offen;
Ihm ist der milde Schlaf versagt.
Ein Schließen will es hoffen,
An das es nicht zu glauben wagt.
Die Zunge ward gebunden,
Und wenn ich liebend bitten mag,
Spricht nur mit heißen Munden
Zu fremdem Ohr mein Herzensschlag.

Ich ruf aus hellen Armen,
Die Klippenstrudel wirbelnd drehn,
Als seliges Erbarmen
Der aufgeborstnen Barke wehn,
Und trinkt der Königsknabe
In kühlster Lust dies gelbe Haar:
Mein Schoß verwuchs zur Wabe,
Die nie empfing und nie gebar.

Die graugeschliffne Flosse
Läßt starke Woge mir erklirrn,
Das Schrein der Albatrosse
Fliegt wie ein Band um meine Stirn;
So muß ich Tod umwerben,
Den Schaum mir bringt und Schaum vertreibt;
Nur dies darf nimmer sterben,
Was nun und ewig fruchtlos bleibt.


 Zweiter Raum *

 

Die Redende

Ich will das Gold den Steinen nicht entbrechen,
Der Druse nicht den Eckzahn von Kristall,
Kein durchsichtklares Glaswort singend sprechen,
Kein scharfgeputztes, grell wie Blasmetall,
Und nicht die Rede scheun, die glanzlos läuft
In rohe Kiesel, rötlich weiß gehäutet,
In Katzensilber, das nur seltsam läutet
Dem Knaben, dem es tiefsten Schatz bedeutet,
In Honigkuchenbüchsen angehäuft.

Ach, mögt ihr Muster prüfen, Scheren schleifen
Und, einer Sommermode Diener, gehn,
Das süße Kleid den Gliedern umzustreifen,
Die euch in Hohn und Klage widerstehn ?
O muntrer Hut auf jammergrauem Haar!
In Seide funkeln bös geduckte Schwären;
Die Feuerstatt ist Leib, der Krug voll Zähren,
Von Lust zerbrochen, unform vom Gebären:
Und euer Stoff zerschleißt, und er bleibt wahr.

Ich kann das Gold den Bergen nicht entwenden,
Die es verschütteten, in Gier und Sucht.
Aus meiner Kammer tret' ich, und in Händen
Halt' ich das Säckchen voll gedörrter Frucht,
Verhutzelt, hart und splintrig greisenhaft.
Doch laßt von diesen unscheinbaren Dingen
Den Brodelkessel mit dem Wasser klingen:
Dann rollen Aprikosen auf wie Schwingen,
Und Pflaumen, Äpfel sind im dunklen Saft.


 

Die Tochter
(Meinem Vater)

Ob ich formend noch in Händen trage,
Was, ein Flimmern, aller Form entflieht,
Doch im Sinn die Schale einer Waage
Tief und wie behutsam niederzieht,
Ob ich mit geeichten Worten messe,
Was zuweilen unermeßlich scheint,
Keine Erzesschmelze wie die Esse,
Nicht gewaltstolz wie ein Feind ?

Dieses ist nur Duft in einem Zimmer,
Duft von Blumen, die man niemals schaut;
Es verwittert, und ich schütz' es nimmer;
Denn es kehrt mit einem Vogellaut:
Zwitscherschlag am Fenster einer Meise,
Am Gesims der schwarz beschenkte Star,
Und es ist auf unerkannte Weise
Wieder um mich, wie es war.

Ruft uns nicht die goldgekrönte Starke,
Die des armen Mädchens Herz bewegt,
Die es führt zur wundervollen Barke
Und ihm dann die Hand vor Augen legt,
Die das Weib dem Manne wirft und bindet ?
Zwischen Kind und Vater weilt und schweift
Eine Stimme nur, die sinkt und schwindet,
Und ein Saum, der leise streift.

Und Gespräche wandeln, matt, alltäglich,
Fern dem wilden, blutdurchglänzten Schrei,
Der sich hebt und aussagt, was unsäglich;
Keine Sonne bricht uns Gott entzwei …
Ach, wie darf ich in Vergleiche rahmen,
Was sich kaum zum Bilde mir geklärt ?
Eine Liebe ohne Liebesnamen,
Die oft siecht - und schweigt. Und immer währt.


 

Die Gauklerin

Die gelben Vögel ängsten nie,
Wenn ich sie greifen will,
Als flaum'ge Kugeln halten sie
Dem losen Handwerk still;
Wer kennt auch grünes Gläserspiel,
Das nicht beim Sprung zerklirrt,
Den Silberreif, der läutend fiel,
Im Gleiten unverirrt ?

Es wird, was lächelnd ich geschafft,
Ein Lächeln eben wert;
Wohl keines ist so elfenhaft,
Gering und leicht entbehrt.
Ein veilchenscheuer Becher trug
Die Lehre, die ich trank,
Von grober Hölzer zartem Flug,
Von blöder Steine Schwank.

Verwahrt, was gründelos und kurz,
Die Kunst, den Seifenball,
Der farb'gen Bänder Wassersturz,
Den Regenbogenfall,
Der schweigend mischt und schnell verwischt
Ein Rätsel, das er schreibt,
Auf immer, wenn ihr wollt, erlischt
Und, wollt ihr, ewig bleibt.

Verschmäht die ungesetzte Welt,
Daran mein Wesen lebt,
Habt Mitleid mit dem runden Geld,
Das zäh am Finger klebt:
Und doch, wenn einstmals karger Raum
Mit weher Lahmheit schlug,
Beschwingt euch meinen Kindertraum
Und habt an ihm genug.


 

Die Schlangenspielerin 1

Duckig Köpfchen, leicht gestielt,
Hebt aus flachem Weidenkorbe
Sich zum Tönen der Theorbe,
Wiegt sich, züngelt, schweift und spielt.

Aus den bunten Augen klingt
Stolz und wissendes Gebieten,
Das in Lächeln sacht verschwingt,
Wenn nach unzerstörten Riten
Sich der Leib zum Tanze schlingt.

Duckig Köpfchen, weich getuscht,
Blüht zur Höhe, suchend, gleitend,
Seines Nackens Fächer breitend,
Und ein Zischen schwillt und huscht.

Bebt! Sie heischt, erstarrter Schwung,
Götzendienerisch Verehren,
Zückt sich selbst zum Opfersprung:
Eh' die Sinne sich verkehren
Und sie taumelt, schwach und jung.

Duckig Köpfchen, fein genetzt,
Läßt mir träumend Stirn und Schuppe,
Wo sich sanft auf niedre Kuppe
Meine Lippe flüchtig setzt.

Ward ihr Ahnen des Verfalls,
Daß sie so mein Rühren dulde ?
Bald umgreif ich Brust und Hals,
Ruht sie in verdeckter Mulde
Ohne Arg wie Brot und Salz. -

Duckig Köpfchen, schön gemalt,
Starr umreift von Silberzacken,
Trag' ich zart auf dunklem Nacken,
Und mein Aug' versinkt und strahlt.

Blinde Münze, dünnes Geld
Rieselt klingelnd in die Schüssel;
Über allem, was sie hält,
Ist der kleine ehrne Schlüssel,
Ist die Hand, daraus er fällt.


 

Die Liebliche

Milchigweiße Ferne!
Myrtengrüne Zeit!
Nacht! Da Sommersterne
Goldnen Schnee geschneit.
Auf der Gitterlaube
Feinstem Filigran
Rosagrauer Taube
Zartes Porzellan.

Alles ist mir eigen,
Alles zwitschert: Du!
Mürrisch grobes Schweigen
Deckt mein Lächeln zu;
Eines Lachens Fittich
Flügelt, wo ich ging,
Und ein Nymphensittich
Spielt im Silberring.

Honigblüte schaukelt
Hauch und Harmonie,
Küsse, leicht entgaukelt,
Bunt wie Kolibri,
Listige Tarantel,
Die am Grunde hängt,
Bläulich seidnem Mantel
Roten Herzschmuck fängt.

Sieben Freuden fallen
Klingend mir ins Ziel,
Kugeln von Korallen,
Beinern Federspiel;
Meiner braunen Blicke
Südweinglitzern springt...
Weiß im Kelch die Wicke,
Wen ihr Duft umschlingt ?


 

Die Tänzerin 1

Ich bin der Ostwind: hört ihr mich mit Wipfeln schlagen
Ich bin das Finstre: fühlt ihr mich aus Mooren ziehn ?
Ich bin der Himmel: mit dem Großen Wagen.
Die Erde: mit Chalcedon und Rubin.
Die Schritte, mächtig und gemessen,
Ich habe ihrer keinen noch vergessen,
Nicht aller Farben: Berggrün und Karmin.

Ich ziere meinen Hals so wie ein Schwan.

Die Freude spiegelt sich in seinem Biegen
Und lächelt in ihr Angesicht,
Ihr Schleier sprudelt Quellchen, die sich schmiegen
In dieses stillere, das weite Licht,
Das ihre Brauen bringen,
Des Trauermantels Schwingen,
Der über einer Goldbandlilie dicht.

Ich werfe mich hinüber wie ein Fisch.

Er springt um seinen Tod: so tu' ich Gleiches;
In wunden Kiemen Straßenstaub,
Schlag' ich mich selbst aufschnellend an die Tür des Reich
Das ewig raschelt von verfallen greisem Laub,
Drin kleine Mühn mit Qual verflochten
Zu häßlich schwelendem Gestirn, zerfransten Dochten,
Die krämpfezuckend suchen ihren Raub.

Ich trage dies mein Haar zur Erde hin.

Ich bin der Baum der demütigen Klage. Weide.
Ich bin das Ding, das niedert: Sensenblatt und Krug.
Ich bin der Mensch - auch wenn ich meine Seele
scheide,
Dem Schiff voll weißer Segel mit des Leibes Bug.
Sie wartet, die ich ausgewiesen,
Auf seinen letzten Augenblick, auf diesen,
Und kehrt zurück in einem tiefen Atemzug.


 

Mädchen

Ich will in meinem Bette ruhn und die Erde bedecken.
Über den Ländern Europas und Afrikas liege ich da.
Meinen linken Arm will ich tief hinein nach Asien strecken.
Und den rechts nach Amerika.
Mein schlängelndes Haar wird im Nordmeer den Alk erschrecken.

Zischende Augen will in das weiche Dunkel ich bohren
Wie farbigen Stahl, der die kühle Haut verglüht und zerreißt,
Mit meiner Nacktheit leuchten dem, der die Straße verloren,
Der meine Stätte ungewiß suchend umkreist,
Und mich mit Schweigen verkleiden vor brüllenden Kehlen,
     versiegelten Ohren.

Mein bleiches Kissen: Eisberg, den Nacht umflutet.
Ich schmelze ihn hin mit dem Tropenstrauß meiner Hand,
Mit Irisblüten, golden und braunrot durchblutet;
Graubläuliche Otter hält sie leicht wie ein Band,
Flüstert Wunder mir zu, die sie weiß und vermutet.

Und ein Wunder ist dies: Es spritzen feurige Funken
Aus der Glut. Den Himmel brennt Mondnarbe, Sternenmal.
Und der Erde gereiftes Brot wird verteilt, ihr Wein wird
     getrunken.
Wasser scheint immer noch zart und wallend und fahl,
Hegt den stummen mächtigen Hai und das Läuten
     gelbbauchiger Unken.

Düster und Strahl sind um mich. So sind sie gewesen,
Da der Ägypter den Königen steinerne Gräber getürmt,
Noch die Sibylle ihre verkohlten Bücher gelesen,
Da erzürnte Harpyien das Mahl des Phineus umstürmt.
Da Juda die Götzenhäuser gefegt mit glänzendem Besen.

Nun verbergen Menschen die Bläue mit speienden Schloten,
Fürchten das Erdgespenst nicht mehr, den klagenden Wolf,
Schirren die Luft und fahren in steigenden Booten
Über Woge und Welt, spielen Tennis und Golf
Und schlafen dann hundert Jahre unter den Toten.

Wie der Sand, wie Flamme und Fluten, so unabwendlich,
Wie Wolke, so unentrinnbar bin ich.
Einst ziehen Kindesgeschlechter, fern mir und nicht mehr
     verständlich,
Horizonthin, versunkenen Sonnensterns blutheller Strich.
Mein Tag hat sein Maß, doch meine Nacht ist unendlich.

O Männer. Ihr mögt mit Maschinen rasen, tausend
     elektrische Lampen entzünden,
Ihr schwächt nicht die Faust, die euch zu mir reißt.
Mein Weiher und tiefes Lächeln liegt zwischen dämmrigen
     Schlünden,
Erwartet still euren neuesten, schwächlich geblähten,
     unbeständigen Geist
Und wirft eine Welle aus seinem Schoß; sie schluckt ihn samt
     seinen Gründen.

Kommt ihr mit tanzenden Tieren, mit dem Scherenschleifrad
     zur Stadt, seid Bürger, seid Grafen,
Füße laufen wie schneeweiße Ratten euch nach,
Laufen immer: Füße kupferhaariger Nächte im Hafen,
Wenn euer Schiff die grüne schaumkrallige Pranke zerbrach,
Sie lassen euch unter dem Südlichen Kreuz, dem Großen
     Wagen nicht einsam schlafen.

Die Liebkosung eurer Lippen, Gier eurer Hände
Sammle ich ein, und die Freude, die aus euren Augen schlägt,
In ein seidenes Vogelgarn, das ich trage an meiner Lende,
Wie das Känguruh seinen Beutel trägt.
Und ich füge die glühenden Stunden und finstere zu
     funkelnder Spende.

Goldflossige Fische schwimmen, lautlose Kiemen, in Bütten,
Die meine weiten Abende sind.
Und der Kometenregen will alles dies achtlos verschütten
Über ein Kind.
Es ist zart und ewig und nur wie die bräunlichen Kleinen
     schindelgedeckter Hütten.


 

Die Mutter

Goldschmied ist mein Sohn. In seinem Blick
War schon früh dies edle, kühle Erz
Wie ein deutbar reinliches Geschick,
Als mein scharfer vorgeformter Schmerz.

Denn was weiß er von dem stummen Wald,
Der die Flüchtende, die Mutter, fängt,
Vom Gestrüpp, das um ihr Lächeln krallt,
Von dem Blute, das in Dornen hängt.

Ihm ist weit die Straße hingebaut,
Blank und kräftig lagert Stein an Stein;
Eine klare Landschaft naht vertraut,
Sperrt sich nicht und wird mit Gleichmut sein.

Meine Wirrnis, achtlos oft gestreift,
Dünkt ihm Gaukeln, eine Wolkenstadt,
Die er spärlich und verwundert greift,
Wenn er Zeit zum Himmelschauen hat.

Aus der Erde gräbt man ihm und scharrt
Mein Gefühl, das ihm zum Preiswerk wächst,
Das sein Bilden zum Geschmeid erstarrt,
Märchenfremdem Goldgetier verhext.

Vogel mit dem Aug' von Amethyst,
Götze, der den Chrysopras umringt:
Seltnes Obst, das Glanz und köstlich ist,
Das er klug aus meiner Wurzel zwingt.

Eh' mein Scheitel scheu ihm nachgebleicht,
Wie er ohne Rücksicht von mir schritt,
Hab' ich ihm ein blaues Tuch gereicht,
Das im Gehn aus seinem Nacken glitt.


 

Eine Andere

Du Liebes.
Meine Arme halten dich
Wie einen Blumenkorb.
Ein Frühlingseiland: Weiße Hyazinthen,
Blaukrokus, honigfarbne Märzenbecher,
Der seltnen Tulpe lilagraue Tinten.
Und deine Knospenaugen fallen auf wie Fächer
Und schaun in mich.

Was siehst du da ? Nur dich.
Und wieder dich.

Mein Kind.
Ich rühre dich mit Mund und Nüstern an
Wie schönes Obst auf einer Schale.
Da Herb und Süß sich neidlos mengt:
An Pflaumen, dunkelhäutige Ovale,
Sich würzig derbes Nußvolk purzelnd drängt,
Der Saftzitrone jüngferliche Fahle
Ein Traubenzweig mit glühnden Tropfen sprengt -

So rühre ich dich an.
Mein Kindlein!
Bist du, was ich sagen kann?

O Muschel, zartes Rauschen.
Freude. Sternenbild.
Ach, alle Namen werden schal vor dir.
Ich schließe dich im Herzen ein
Wie einen Becher, den ich nicht zu nützen wage,
Aus Onyxstein.
Wie eine wunderbare Sage
Vom kupfernen und grünen Tier.

Und eine kleine Waffe wider dürre Tage.
Du Rosenquarz. Du Licht!

Ich spreche irr. Mein Dunkel ruft dich mir.
In meinem Tage bist du nicht.


 

Die Gesegnete

Ich bin im Dunkel und allein.

Und neben mir lehnt doch die Tür.
Wenn ich sie klinke, steh' ich ganz im Licht.
Da sind ein Vater, Mutter und die Schwestern,
Ein Hund, der stumm und freundlich spricht.

Wie darf ich lügen, und wie kann ich sagen,
Daß ich ins Finstre hingestoßen ward?
Ich hab' mich selbst aus allem fortgetragen.

Vor meinen Augen blühte Schnee.
Ich sah, daß er die Rispen zu mir neigte,
Zu meinen Jahren, und es tat mir weh.

Ich hatte nichts, dem Alter zu versöhnen
Mein Herz, das jung und rot wie Frucht erklang,
Es an die bleiche Kühle zu gewöhnen.

Da weint' ich sehr und ging
Und fand den Mann an einer Wegegabel,
War still und liebte und empfing.

Es sang in mir auf einer Geige
So süß, so leicht, im Anbeginn.
Nun singt es nicht mehr, wenn ich schweige.

Die Angst mit ihren Fleckenhänden kam,
Saß bei mir nieder, meinen Leib betastend,
Belud ein Grinsen: »Fühlst du keine Scham?«

»Wo blieb der Frauenring für deinen Finger ?
Du fürchtest Diebe, hältst ihn brav versteckt.«
Ist meine nackte Rechte denn geringer ?

So arm, so nackend wird es sich
Auch meinem Schoße bald entwinden.
Und wenn ich's denken muß, umkrampft es mich.

Es krallt sich ein und läßt mich zittern,
Wie Sturm den Baum im Winterfeld
Befreit von seinen letzten rost'gen Flittern.

So fegt es mir hinweg, was dünn und schal,
Die kleine Sorge, listiges Vergnügen,
Und bricht die Knospe auf der großen Qual.

Der großen Freude. O, ich will dich werfen
So wie ein Tier und glücklich sein! -
Ich finde Klauen, die ein Messer schärfen …

Es ist doch Nacht. Und ist ein Ding, das Schande heißt.
Ich darf dich nicht gebären.
Ich weiß den Schnellzug, der den Wald zerreißt.

Dem geh' ich zu an seinen blanken Gleisen
Und werde müd' und leg' mich froh zu Bett
Quer auf zwei flache Stäbe Eisen.


 

Die Sünderin

Wem sollte ich meine rote Hölle schenken ?
Wem meinen malvenfarbenen Himmel zwischen Abend
     und Nacht
Mit Lampen, dickflüssig gelb aus Eidotter gemacht,
Und der sich auf die Stadt hinlegt, lastend wie Denken?

Dieser Stadt Häuser haben seltene Türme.
Ihre Dächer steigen, Gebirg, in die freien Lüfte ein;
Sie heißen Gesetz und Sitte, manche auch Anstand und Schein.
Ummauerte Gäßchen, häßliche Namen, verkriechen sich
     wie Gewürme.

Mir ward all das Kriechende längst von goldenen
     Flammen zerrissen;
Nicht stand ich in heimlichen Toren, gierig, lachte dem Dieb,
Zuckte glänzende Schultern aus Fetzen, lüstern: Hast du
     mich lieb ?
Ich trug die ewig glühende Kohlenkrone, trug sie auf
     meinem Gewissen.

Einmal ward sie entzündet, verschlungen, gesteigert
In unendliches Wehn, feuerwipfligen Wald.
Ihre Zunge schlug in den Mund, der meinen Schenkel
     umkrallt,
Und nie hat sich stürzender Funke den starken,
     den reinen Händen des Jünglings geweigert.

Er hielt ihn hinauf in Nacht als schmerzende Leuchte,
Und hält er ihn durch sein Leben als unaufhörlichen Brand,
So wird es geklärt, erscheinend und eingeschmolzen dem
     Land,
Das keine erstickenden Moore schleppt voll laulicher Feuchte.

Das ist wahr. Ich bin nicht die Lasterhafte. Ich bin nicht die
     Böse,
Die dem Toten die Mannheit raubt, des Vogels kindliches
     Auge durchsticht,
Die dem vertrauenden Knaben den zarten Wirbel zerbricht.
Ich fresse mich selbst in dem sengenden Schrei: Erlöse!

Jenen, die auf dem Holzstoß prasselnde Bisse zermalmen,
Bin ich gleich, ich, das Weib, das Geschlecht, Mutter, Gebärerin.
Über die Zeugenden, die Gezeugten lodert mein Herz ewig hin.
Meine Seele kniet und singt Psalmen.


 

Die Verworfene

In meinem Zimmer bin ich ganz verloren.
Die Dinge sagen, daß sie mich nicht kennen.
Die Heizung mit getünchten Schlangenrohren
Zuckt unter meiner Hand und will sie brennen.

Der Stuhl schiebt peinlich scheu den Mantel nieder.
Im Glasschrank klirren flüsternd kleine Tassen.
Aus schmaler Vase schaut mich blauer Flieder
So duldend an, als hieße ich ihn blassen.

Ich ahnte nicht, daß dieses ist: Gewissen.
Der Sachen tote Feindschaft, die ich greife,
Mit hart brokatnem Blick das Sofakissen,
Der hohe Sessel mit gewollter Steife.

Wie lernt ein Tisch, was Menschen nie gebilligt
Und nie gescholten - und auch nie erfahren,
Verneint der Spiegel, da ich eingewilligt,
Und lügt im Haß den Glanz aus meinen Haaren ?

Mein großes Wollknäul sprang vom Fensterbrette,
Im Angstgehüpf wie eine lila Ratte;
Ich meinte wohl, daß ich's verworfen hätte,
Und wußte, daß es mich verworfen hatte.


 

Judith

Wo ist Tau ? Wo ist Sand ? Wo der Mond ? Wo ein Stern ?
Wo sind meine Diener, meine Gesellen ?
Ich werf ihnen Schreie, die irr vergellen;
Sie suchten all einen andern Gefährten und Herrn.

Meine Füße tappen zwischen Skorpionen hin;
Finsternis quillt aus den Zehen.
Sie waren wie weiße Lämmer zu sehen
Und sind die Füße der Mörderin.

Wo schaute ich noch meines Volkes Abendrot ?
Es leuchtete blutig, doch hab' ich's verloren;
Im Sack blieb ein Haupt mit Schläfen und Ohren.
Das Haupt ist tot.

Es spricht: seine Zunge spricht.
Worte steigen in graulichen Dämpfen,
Winden sich wie ein Weib in Krämpfen,
Lauern - verhallen nicht.

Und Drohung ist über mir.
Die Drohung wird über Israel lagern
Gleich Flügeln von Raben, krächzenden, magern,
Und plump vor ihm stehn als ein horniger Stier.

Das Haupt wird wieder und wieder sein.
Mit greisen Flüchen, in roten Jahren,
Blondsträhnig oder mit düsteren Haaren
Wird es Haß und Zerstörung gen meine Städte spein.

Vom Mute zerschlagen, in Erde versteckt,
Soll es sich wieder und wieder heben.
Ich schüttle den Beutel; da ist kein Leben,
Mein Grauen hat es erweckt.

Ein langer Wurm ist die Nacht.
Und der Morgen wird eisern, daß er sie schneide.
Ich, die ich in Schande und meine Untat mich kleide,
Trete unter das Erz, sobald ich gedacht.

Mein Dunkel hat es kaum noch gewußt;
Aber der Tag wird es sagen:
Bart und Stirn und die Augen lagen
Schlafend in dir, zwischen Brust und Brust.

Was hast du die Stirn zur Erde gestürzt
Und diese Augen gebrochen ?
Dein Stolz war Richter - und war nicht bestochen
Und hat nicht dein Herz verkürzt ?

Schau rückwärts! Kniet vor eurem Lager dein Land
Mit dem weinenden Flehn von Müttern und Greisen,
Dem rechtlos geängstigten Staunen der Waisen
Und schüttet Dank aus zerfetztem Gewand ?

Es folgte dir kindhaft in stillem Vertraun.
Es hüllte sich ein und hat dich verlassen,
Um nicht dein Lächeln der Wollust zu fassen,
Nicht die Lästerung deiner glitzernden Lende zu schaun.

Und ob du gepflanzt mit dem Schwerte bist,
Dir sind schon die Wurzeln vom Erdreich gerissen:
Du magst einmal wandern und nicht mehr wissen,
Wo dein Vaterland ist.


 

 DRITTER RAUM .

 

Die alte Jungfer

Wie der bleiche Olm mit roten Kiemenbüscheln,
Wie der blinde Olm durch finstere Grotten huscht,
Schlüpf ich durch die abgelegene Kammer
In dem wittrigen Bau, den Dorn umbuscht.

Gegen Abend rasselnd, mühsam atmend
Keucht die kranke Uhr: Es ist schon spät!
Meine Hände haspeln am Kachelofen
Um das brüchig arme Kochgerät.

Karge Suppe kühlt sich im geblümten Teller,
Wo das Tischtuch mürb ist und gestopft,
Und ich fühle harte Lippen schlürfen,
Aber nicht, daß ein verwelktes Herz noch in mir klopft.

Spiel im Garten, Vaters grüner Jagdhut
Und die Mahlzeit auf der Birkholzbank
Blieben als vergilbte blasse Bildchen
Mir bequem und gut wie Riegel im Schrank.

Mit der Schere ward mein Leben quer durchschnitten,
Bin als Mädchen blank umhergeflitzt -
Und ich war das schmale, ängstliche Fräulein,
Das im Dämmer murmelnd und hüstelnd sitzt.

Leichte, milde Luft streift wie ein Vogel,
Da ich noch vors Fenster rücke meinen Schnittlauchtopf;
Knarrig sperrt sich's zu, der Glaskitt bröselt.
Und ich flechte neu zur Nacht den dünnen Zopf.

Manchesmal am Sonntag zünd' ich noch die Lampe,
Heb' das schwarze plumpe Buch vom Bord,
Lese drin von fernen wunderlichen Tieren,
Werde müd' und stell' es ohne Zeichen fort.


 

Die Blinde

Die schwarzen Wände pressen
Mein Leben dicht und dichter ein;
Es hat schon viel vergessen,
Wird eng und klein.

Es hat schon viel vergessen,
Der Hasel Grün, der Apfel Rot,
Es mag sie nur noch essen
Und beißt sie tot.

Es beißt mit harten Zähnen
Und nennt das Ding nach seinem Ruch,
Es hört die Stunden gähnen
Und liest kein Buch.

Ich werd' im schweren Dunkel,
Das selten Mitleids Neugier bricht,
Die Hexe, die zur Kunkel
In Türmen spricht.

Die Welt trägt frische Wangen,
Die bleicht mein fensterloses Haus;
Drum ist sie fortgegangen,
Sie hielt nicht aus.

Zuweilen floß ein Hallen,
So braun, so weinend sanft wie Harz;
Ich wollte zu ihm wallen.
Der Weg war schwarz.

Das Licht hat so gesungen,
Mein totes Antlitz angerührt.
Die Brücke ist zersprungen,
Die zu ihm führt.

Die Brücke ist versunken
In einem tiefen, bittren Maar;
Wenn ich es ausgetrunken,
Wird alles klar.


 

Großmutter

Ich habe sie so lange nicht betreten.
Mit ihrem silberfarbnen Ofenrohr,
Den dunkelgrünen Seidenglanztapeten -
Vorm Sofakissen noch der kleine Mohr,

Der mit den Kindern spielte, wenn sie kamen,
Im Turban, pludrig purpurnen Gewand:
Sein krummer Dolch, den gar zu gern sie nahmen
Aus blauem goldbefransten Schärpenband …

Da hockt er schlaff, so sinnend in der Ecke,
Trüb wie am Schnabelschuh sein Diamant,
Und neben ihm auf weißer Häkeldecke,
Auf rundem Ziertisch schläft der Elefant,

Den oft und leicht mein dünner Zauberschlüssel
Aus starrem Traum ermuntert und belebt
Und der im Stampfen wirklich seinen Rüssel,
Ein schwarzes Holzgeringel, langsam hebt.

Das bunte Bergwerk, das sie so erfreute,
Harrt unterm Glassturz, bröcklig und verstaubt:
Ganz müßig stehn die kleinen Arbeitsleute,
Des Hammers der und jener schon beraubt.

Ach, wenn sie in die grüne Stube traten,
Ihr erster Blick voll Ehrfurcht fast und Scheu,
Und wie sie um das zarte Spielding baten,
Das immer wieder herrlich war und neu!

Nun schauen sie in ferne, wilde Länder,
Die sonderbarer als mein Bergwerk sind,
Und sehn die Mohren ohne blaue Bänder.
Und jeder war doch lieb und war ein Kind

Und hatte frische Augen, reif zum Wunder,
Das, Born und Blume, aus den Stoffen sprang -
Heut ist wohl alles dies ein Narrenplunder,
Der Förderkorb, das Licht im Höhlengang.

Als ich zum letzten Mal es angetrieben,
Sich horchend gleichsam zu der Wandung Erz
Das Männlein beugte, ist es so geblieben
Und steht und horcht noch immer. Wie mein Herz


 

Die Puppe

Ist mein Kleidchen engelrot,
Trägt mein Angesicht
Wie den Mast das Segelboot
Noch ein Festtagslicht.

Ward ich liebem Kind beschert,
Das mich sanft beredt
Seiner Mutter Kuß gelehrt
Und sein Nachtgebet.

Mir an Ohr und Stirne sprach
Hüpfend seine Hand,
Stumme Worte spielt' ich nach,
Die es wohl verstand.

Wenn es Tuch und Vorhang flink
Um mein Wäglein zog,
Ward sein Lächeln uns ein Fink,
Der in Träume flog.

Jammer hab' ich doch gekannt,
Oft den kranken Tag,
Da ich hungrig und verbannt
Auf der Stiege lag,

Da die Wange mich verstieß,
Die mich heiß gepreßt,
Mich dem Gras und Dunkel ließ,
Das mit Tau durchnäßt.

Fern der Junimorgen Tau
Und das blanke Kind . . .
Hebt die graugekämmte Frau
Zittrig mich vom Spind,

Blickt ihr trübes Brillenglas
In mein blondes Haar
Noch den Schein von Spiel und Gras
Und ihr fünftes Jahr.


 

Singende Mutter

Von den himmlischen Tischen
Stürzt der Abend Wein
Zu den kleinen Fischen:
Wie sie wunderlich schrein.
Schrein und weinen sehr,
Leiden Hungers Not;
Denn so heiß und rot
Bäckt
All ihr silbernes Brot.

Düstere Muhme aus Eisen
Hockt und löffelt Licht;
Alle Wesen verreisen
Mählich in ihr Gesicht.
Weide webt die Brau',
Wie der Schneebeerstrauch
Ihren Atemhauch
Dicht
Weht als bläulichen Rauch.

Deine summenden Augen
Tun die Flügel zu,
Kriechen nieder und saugen
Mir vom Herzen das Du.
Und ein Purpurblatt
Seiner Blüte fällt
Über sie und hellt
Sanft
Eine dämmernde Welt.


 

Die Irre
(Beaune, Côte d'Or. - Den 14.10.1927.)

Mit runzligen Lippen schlürfe ich Wermut.
Von meinen Nüstern tropft Ruß und Teer.
Meine Augen liegen auf Feldern, bestellt mit Schwermut,
Und darum habe ich keine Blicke noch Tränen mehr.
Mein Kind wohnt ganz allein
Im Garten unter dem harten, mächtigen Stein.

O seht! O seht! Welch einen Kopf muß ich tragen!
Rot und gelb, halb Schwefel, halb Ton.
Der meine ward mir zerbrochen und abgeschlagen
Vom Fallbeil der Großen Revolution.
Da hat mich der Böse durch alle Sternentiere, Löwen und
     Widder, gehetzt
Und mir im Krebs den Kopf einer Teufelin aufgesetzt.

Jäger und Schergen, Henkersknechte,
O Gendarmen der ganzen Welt in Wut!
Mein häßliches Haupt tut doch nicht das Schlechte;
Schaut her! Meine Hände sind gut.
So schön mit Blumen geschmückt wie ein Grab,
Als sein Grab.
Ich pflückte sie alle den Parkbeeten und den Kränzen am
     Totenmal ab.

Ich will alles Land erfüllen mit meinen lauten Gladiolen,
Mein Herz zerreiß' ich in Nelken, es über den Erdball zu
     streun,
Über ganz Frankreich, über ganz Deutschland, über ganz
     Belgien, über ganz Polen!
Für meinen Sohn soll das sein; da wird er sich freun.
Er kam aus dem Kriege mit einem zu wilden, zottigen Bart,
Und sie fürchteten sich vor ihm und haben ihn eingescharrt.

Die Stadt wächst immer größer, je weiter ich gehe,
Sie reckt sich, verrückt sich, daß ich mein Ziel nie erreichen
     mag.
Wenn ich abends am Friedhofstor stehe,
Kehrt es sich von mir fort, jedesmal, in den morgigen Tag.
Ich setz' mich vor's Schulhaus, nicke den Kleinen mit
     meinem roten Krebshaupt voll Grind;
Denn wo ich auch sitze: immer geh' ich zu meinem Kind.


 

Die Einsame

Ich ziehe meine Einsamkeit um mich.
Sie ist so wie ein wärmendstes Gewand
An mir geworden ohne Kniff noch Stich,
Wenn auch der Ärmel fällt tief über meine Hand.

Ein Ungekannter hat ihr Maß gezirkt,
Die fremdes Antlitz fühlt als trübes Wehn;
Die großen Schwarzhalsschwäne sind gewirkt
In ihre Falten; aber ich nur kann sie sehn.

Es tun sich meine innren Blicke auf
- Ein Pfauenauge, das die Flügel schließt -
Und schaun der Welle jadefarbnen Lauf,
Die alle Säume licht und strömend übergießt.

Sie feuchten so wie einer Elbe Haar.
Sie tragen noch den Fluß. Sie schleppen tief.
Und graues Berggestade fängt das Jahr,
Das wie ein Vogel ängstlich seine Tage rief.

Und nun ist Schweigen. Und das Kleid schwillt nun.
Und ich muß wachsen, daß es mir noch ziemt,
Drin Fische, wie sie niemals wirklich tun,
Um meine Brüste schweben, purpurblau gekiemt.

Der Erde Körner sind hineingesät.
Aus meiner Schulter bricht ein Felsengold,
Das Tuch durchschimmernd, das sich schleift und bläht
Und langsam über meiner Stirn zusammenrollt.


 

Das Götzenbild

Ich habe kein Gesicht.
Um meine Augen nur ist goldne Larve.
Sie wird voll Lächelns und ganz licht
Im Liede einer wilden, ungefügen Harfe.

Mein Haar ist blau und rot gebeizter Bast,
Er strähnt bestaubt, weil meine Diener nur die Zehen baden,
Die kranker Lippen Trost und Rast,
Mit Schmuckgeschenken grell und plump beladen.

Aus meinen Ohren gehen
Die erznen ungeheuren Ringe,
Zu denen große, aufgereckte Schreie flehn.
In ihren Kreisen schließen sich die Dinge.

Mit Milch ist meine Brust beschmiert;
Zwei weiße Bäche rinnen bis zur Hüfte.
Der Mondhund darf nicht sehn, was sie gebiert,
Drum streut die Schwangere mir Würzkrautdüfte.

Drum bringt sie bald das neue Kind,
Es meinen Armen hinzuheben,
Die starr und wie des Affen Arme sind.
Nun wächst es und wird lange leben.

Ich weiß doch nicht, wie das geschieht,
Was keimt und was gedeiht; ich tue keine Taten.
Die Sprüche, die ein Priester murmelnd um mich zieht,
Stehn stumpf und rauchig, ohne mir zu raten.

Ich mußte steigen in die Macht,
Ich mußte in ihr thronen wie in einem Hause;
Ich bin sie nicht: als Bild ihr eingedacht,
Füll' ich ihr Schweigen aus mit Menschenflüstern und
-gebrause.

Ich sandte nicht den Blitz.
Ich kann den Schmerz am Weg nicht irremachen.
Ich kenne nicht der Toten Sitz
Noch die verhüllten Drei, die ihn bewachen.

Das weinende Gebet, die Bitte ruht
Wie Spinnweb mir im bunten Haare.
Ich trage nicht mein Herz mehr - das ist gut;
Unförmig, tönern, liegt es braun auf dem Altare.


 

Die Schlangenspielerin (2)

Tanze, tanze, bunte Schlange!

Mit geschärftem Beckenklange
Soll ein junges Kind beschwören,
Die dich ehren, dir gehören.

Tanze, tanze, bunte Schlange!

Schwarzes Pfeifchen, sei nicht bange:
Zauber ihrer Sternensteine
Wächst so groß nicht wie der deine.

Tanze, tanze, bunte Schlange!

Einem schweigenden Gesänge
Ward der schmale Leib erschaffen,
Fremd dem Tiger, fern den Affen.

Tanze, tanze, bunte Schlange!

Brich die Nadel, Bronzespange,
Die um Menschenseelen, Flammen,
Dunklen Vorhang zerrt zusammen.

Tanze, tanze, bunte Schlange!

Quillst du doch an Gottes Wange;
Der dich liebte mit den Bösen,
Tanzend, wird er dich erlösen.

Tanze, tanze, bunte Schlange!


 

Das Tier

Komm her. Und siehe meinen Tod, und siehe dieses ew'ge
     Ach,
Die letzte Welle, die verläuft, durchzitternd meinen Flaus,
Und wisse, daß mein Fuß bekrallt und daß er flüchtig war
     und schwach,
Und frag' nicht, ob ich Hase sei, das Eichhorn, eine Maus.

Denn dies ist gleich. Wohl bin ich dir nur immer böse oder
     gut;
Der Willkürherrscher heißest du, der das Gesetz erdenkt,
Der das nach seinen Gliedern mißt wie seinen Mantel, seinen
     Hut
Und in den Mauern seiner Stadt den Fremdling drückt und
     kränkt.

Die Menschen, die du einst zerfetzt: an ihren Gräbern liegst
     du stumm;
Sie wurden leidend Heilige, die goldnes Mal verschloß.
Du trägst der toten Mutter Haut und hängst sie deinem
     Kinde um,
Schenkst Spielwerk, das der blut'gen Stirn Gemarterter
     entsproß.

Denn lebend sind wir Vieh und Wild; wir fallen: Beute,
     Fleisch und Fraß -
Kein Meerestau, kein Erdenkorn, das rückhaltlos ihr gönnt.
Mit Holl' und Himmel schlaft ihr ein; wenn wir verrecken,
     sind wir Aas,
Ihr aber klagt den Gram, daß ihr uns nicht mehr morden
     könnt.

Einst gab ich meine Bilder her, zu denen du gebetet hast,
Bis du den Menschengott erkannt, der nicht mehr Tiergott
     blieb,
Und meinen Nachwuchs ausgemerzt und meinen Quell in
     Stein gefaßt
Und eines Höchsten Satz genannt, was deine Gierde schrieb.

Du hast die Hoffnung und den Stolz, das Jenseits, hast noch
     Lohn zum Leid,
Der, unantastbar dazusein, in deine Seele flieht;
Ich aber dulde tausendfach, im Federhemd, im Schuppen-
     kleid,
Und bin der Teppich, wenn du weinst, darauf dein Jammer
     kniet.


 

Die Frau mit dem Adlerweibchen

»Mein Junges, deine Federn sind durchnäßt,
Verklebt und wirr, laß mich sie glätten.« -
»Mein lieber Sohn, ich will deinen Anzug plätten
Und diesen Weinfleck reiben, der noch überblieb vom Fest.

»Mein Adler! Hüte dich! In jeder Schlucht,
In jeder Felsgestalt sind hohle Augen, schwarze Läufe, die
     dir lauern.« -
»Mein Knabe! Dir entzündet sich das Lächeln schlimmer
     Mauern,
Nur dir trägt jede Dirne ihr Gesicht als eine Frucht.«

»Mein Kind. Wie kreischst du deinen Sieg
Und breitest vor der Sonne dich aus in Ländern, drin nicht
     Menschen modern.« -
»Mein Kind. Ich fühlte goldrot deine Sinne lodern
Und silbern den Gedanken, der viel höher noch als Adler
     stieg.«

»Ihn hielten meine Flügel und nun sind sie leer,
Und ich weiß nicht, wo er geblieben.« -
»Er hat nur einmal aus New York geschrieben,
Und das ist auch schon lange, lange Wochen her.«


 

Die Kranke

Das golden und kupferne Mondenbecken
Brennt Kräuter; aber sie heilen mich nicht,
Wenn auch die sinkenden Flammen lecken
Mein kahles, nachtwärts erhobnes Gesicht.
Des Birkengestrichels schwärzliche Tinte
Und Katzengeschrei auf den Ruf einer Flinte
Verschmieren den Himmel, das blaugraue Licht.

Und wieder der Tag und die brütenden Wände;
Vom laulichen Teiche riecht grünlicher Schleim.
So unentwickelt vertrocknen die Hände,
Dem Kühlen, dem Stummen entgrabener Keim.
So bleich, unter Erdlast gekrümmt und verbogen,
Nach Feuchte lechzend, die er gesogen,
Und blind sich suchend ins Dunkel heim.

Ich dreh' meinen Kopf wie den Kopf einer Puppe;
Es knarrt auf dem Halse und wendet sich schwer.
Die Wärterin bringt mir verzärtelte Suppe,
Stellt dünne Brotscheibe neben mich her,
Die eckig und farblos. Ach, aß ich vom runden,
Dem braunen, kräftigen Brot der Gesunden ?
Ich schaffe doch mühsam die Teller nicht leer.

Da singen Kinder. So unaussprechlich …
Ruhe, o Ruhe ... es ist ja fort.
Ein Fäserchen war es, ganz fein und schwächlich,
In wenig Stunden ist es verdorrt.
Es hielt meine Krankheit sprießend im Blute,
Das Leiden der Mutter, die strafende Rute,
Die schlug auf es ein und vollzog den Mord.

Ich will nicht mehr sinnen. Denn was ich sinne,
Zerquirlt mir das Hirn zu stickigem Schaum,
Und über den Schädel läuft prickelnd die Spinne,
Und vor meinen Augen verzerrt sich der Raum;
Einmal, einmal schließe ich beide:
Dann wächst aus dem einen die Trauerweide
Und aus dem andern ein Lebensbaum.


 

Die Müde

Dies Müde, Flügellose ruht auf mir
So wie ein großes, sanftes, goldnes Tier.

Uns trägt, was schwillt: ein Trank, der überlief.
Es blickt mich an. Sein Blick ist gut und tief.

Es lastet schwerer und mein Atem hebt
Es nicht mehr auf. Sein Drachenmantel webt

Ins Düster sich. Ein Zackenkrallen spinnt,
Drum schale Milch aus einem Mohnkopf rinnt.

Nun darf ich nur noch eigne Lider sehn,
Die blau und grüne Pfauenräder drehn.

Ich habe kein Gesicht mehr. Hauch wird Stein.
Bedächtig kehrt mein Schauen in mich ein.

Es steigt hinab, hinab, es fällt, wird dicht.
Der Schwarzschlund sackt es ein: es wehrt sich nicht.

Es sinkt geballt in tauben Mauernkern.
Es ist in sich. Nur seltsam klar und fern

Scheint auch dies Müde, Flügellose hier,
So wie ein kleines, silbern sanftes Tier.


 

Die Erzieherin

Es ist nicht schwer, durch dieses Leben hinzugehn.
Es ist wohl schwer, in diesem Leben dazusein;
Denn immer tret' ich heimlich mit den Rehn
In tiefe, wilde, unbekannte Wälder ein.

In unerkannte Wälder. Wo Gefahr
Das Abenteuer seltsam singend lockt
Und, keiner Vogelkunde Untertan, als Star
Karmingestirnt, auf kobaltblauer Zehe hockt.

Zwei zarte Kinder wiegen ihre Krönchen mit der Frucht,
Mit stummer Luft unendlichem Geharf
Und schirmen mich, vor jenen andern auf der Flucht,
Die ich erziehn, verwöhnen, strafen muß, nicht lieben darf.

O liebes Kind. Wie hätte dich mein Flügel zugedeckt,
Eh' langes Wirkwerk, Spinnenstaub ihm Kraft und Erzglanz
nahm,
Doch deine Mutter hält voll Neid all ihre Freude mir
versteckt,
Da ihre Pflicht, die Waise, zu mir betteln kam.

Ich füll' die ausgestreckten Hände, wie ich mag.
Es ist kein Eignes ... Schaumlos steht und laulich schal
In Wäschenähn und Schularbeit der Tag
Und in dem ewigen Spaziergang zum Kanal.

So lange her, daß ich kein Buch mehr frug;
Denn in den Büchern sprach ich stets mit mir ...
Zuweilen finde ich, das irgendwer ins Zimmer trug,
Ein altes Blatt und Bild von Mensch und Tier.

Da wirft ein Mädchen mit dem Ball sich selbst der Sonne hin,
Die Filmprinzessin spielt im Dünensand,
Und lässig kost erblühte Tänzerin
Ein armes Äffchen mit den Ringen ihrer Hand.

Und da ist Gold und Lustfahrt, Wein und Jagd
Und Erdbeertüll und ihre samtne Haut;
Ich scheure Napf und Diele: eine Magd,
Die still und karg. Und dies ist üppig laut.

Mag sein, sie haben meinen Traumwald nicht
Mit Blättern, die sich langsam müde färben,
Und nicht die kahle Straße vorm Gesicht,
Darauf ich täglich wandre in mein Sterben.


 

Die Kindlose

Wenn ich in mir selber liege,
Ist in mir ein Blau,
Einer stillen, niedern Wiege
Schlicht gefügter Bau,
Eine hohe, krause Rüster,
Schwarz und Holz wie sie,
Altgoldmattes Abenddüster,
Scheue Melodie.

Schwebend weilt Gewölk am Grunde,
Wächst durch meinen Sinn,
Segelgraue Dämmerstunde
Nimmt mein Wollen hin,
Bis ich fremdes Ufer grüße,
Wachend nie erblickt,
Wo um liebe sanfte Füße
Gelber Krokus tickt.

Wie das Silberhemd der Fische
Wird mein Singen leicht,
Da mir eine Hand der Frische
Kühlen Fruchtmond reicht,
Bis ich heiß mit Lippen rühre
Dürstend dein Gesicht
Und am Lid den Tropfen spüre
Und der Tropfen spricht:

»Schnee muß jede Unrast glätten,
Sein ist Quellenschaum.
Menschenseele reißt aus Ketten
Sich von Tier und Baum.
Leid wird weiße Anemone,
Waldes Ehrenpreis;
Unterm Glanz der Sphärenkrone
Sinkt es welk und greis.« -

Einmal in die leeren Flocken
Starrt ein Weib und sinnt,
Kehrt den armen Blick zum Rocken,
Dran sie säumig spinnt;
Denn was Tages Werk und Wissen
Um die Kunkel warf,
Webt ihr Nacht zum Leinenkissen,
Dran sie schluchzen darf.


 

 VIERTER RAUM .

 

 

Die Häßliche

Jetzt unterm Regen muß es im Walde ganz schwarzgrün
     sein;
Da schlürft die Wechselkröte den weißen hüpfenden Wein,
Der kühl und gelinde sprudelt aus unerschöpflichem
     Schlauch
Um ihren fleckigen Rücken und ihren getüpfelten Bauch.

Sie schmeckt die Erdenkrume, so braun und duftend und
     feucht
Wie warmer, frischbackener Kuchen, der Napf und Ofen
     entkreucht,
Und folgt mit gelben Augen, mit zarter, verwunschener
     Stirn
Der Spinne, dem Weberschiffchen, in Perlen- und
     Silberzwirn.

Der schlüpfende Salamander, der tief das Geträufel braut,
Von goldenem Schlick übergössen die schwärzlich
     schleimige Haut,
Ringt glimmerig gewunden mit Sumpf und zaubrischem
     Kreis
Und ballt in kleinen Händen die Fabeln von Feuer und Eis.

Du dunkle, zitternde Rasse! O Krone, die Unke trägt,
Wenn Narrheit vor ihr erschauert, wenn Bosheit nach ihr
     schlägt,
Der Sand Geheimnis bröckelt und Quelle Wunder rinnt,
Die allen Wesens Geschwister und Gottes älteres Kind.

So bin ich selbst umschlungen von Brunnen im tanzenden
     Sturm,
Ein Lurch mit schmerzlichen Sternen, ein armer
     verzuckender Wurm
Und nackt, wo Schönheit kleidet, und schmucklos, wo
     Anmut kränzt,
Und mit dem Krötenhaupte, drin müde der Mondstein
     glänzt.

Uns ward das lebende Antlitz zum Abhub der Welt
     gemacht;
Den Räuber hüllt prunkendes Pelzwerk, den Vogel liebliche
     Tracht,
Der Schleiche hat ein Vater die Füße ausgerenkt;
Nun wartet sie vor ihm im Staube, daß er ihr Flügel schenkt.


 

Die Tänzerin 2

Wo blieb Freude ? Ist mir verloren,
Ein Pfennig, unter den Schrank gerollt;
Ich schleudre doch in den Tanz des Mohren
Das Krummschwert und meinen Sinn aus Gold.
Der Wurf ist groß, und der Sprung ist wild,
Daß ich vergesse, was ich bin:
Mehr als ein seltsam belebtes Bild
Und weniger als eine Zauberin.

O du wüstbrauner Sarazene!
O du Tanz des tyrischen Baal!
Das sind Masken, die ich entlehne;
Immer bin ich im Tanz der Qual,
Tanze den Vater, der lahm, bald blind,
Am Hoffenster kauert, den Frühling malt,
Tanze das kleine fiebernde Kind
Und die Miete, die unbezahlt.

Sagt, was soll ich sein ? Eine Puppe ?
Rechtshin, linkshin, wieder im Lot.
Nennt es den Reigen um Bettelsuppe,
Heißt es spöttisch: die Rufe nach Brot.
Was zog ich mich wie einen bunten Strauß ?
Ihr hockt, ihr Männer - ach, wenig dicht! -
Kleidet mit euren Stirnen mich aus,
Und ich, ich hindre euch nicht.

Glaubt ihr, daß auch an erbitterten Säften
Euer Mund sich berauschen kann ?
So will ich auf euch meine Glieder heften,
Wo ich die Blicke nicht heften kann.
Wenn meine Nägel krallen um Geld,
Gleitet mir schamlose Lust aus der Hand;
Selbst lieg' ich fern auf dem einsamen Feld
Und seh' diesen Leib in Brand.

Die blaugrün gefiederte Kurtisane,
Die das Augenrad schlägt und den Fuß verkriecht,
Bin ich in alt verblichner Pavane,
Die vor meiner Hoffart zittert und siecht.
Doch der in das schillernde Schmuckkleid stößt,
Der gierige Arm! O trauriges Spiel!
Wo nur eine Feder, gerissen, sich löst,
Splittert mein Blut vom Kiel.


 

Die Stickerin

Ich sticke einen großen Papagei
In Blau und Gelb. Ich glaube, Ara nennt man ihn.
Er spreizt sich auf dem Ast mit hellem Schrei.
Die Ararauna der Kreolin hat stets so hart und toll
     geschrien.

Wohl seltsam, daß ein Vogel sprechen lernt …
Die Ära hieß schon alt, wie Greise sind.
Oft bat ich, wenn sie Nüsse ausgekernt,
Zum Fenster auf; denn ich war hungrig und ein Kind.


Die Dienerin der Fremden war auch alt,
Doch lackschwarz ihre Strähne, braun ihr faltiges Gesicht.
Sie führte mich in einen schönen Wald
Mit Nattern, Panthern, bunt und heimlichem Getier: ich
     glaubt' ihr nicht.

Uns dünkte sie ein Drache, der mit Schätzen geizt.
In ihren Ländern muß es herrlich sein und warm!
Ich dachte dran, als ich den Ofen früh geheizt;
Er schlingt das Holz so gierig. Ich bin arm.

Der Wollschal paßt zur Pfirsichblütenseide gut
Auf meinen Knien. Sie zittert, wenn er sie nur streift,
Wie wohl ein zartes und verwöhntes Mädchen tut,
Wenn ein Zerlumpter bettelnd ihren Ärmel greift.

Dies Gelb der Brust ist nicht genug verbrannt;
Grüngolden, scheint's Zitronenfalter mir -
Die Spiegel seines grauen Rockes hab' ich so benannt,
Als er ins Feld gegangen, Offizier.

Sein blondes Haar. Ich hatt' ihn doch so lieb ...
Es wehte so: dies silberblonde Haar ...
Durch meine Finger ließ ich's rinnen, durch ein Sieb.
Er mocht' es niemals leiden, strafte mich ... Das war.

So denk' ich mir den Seemann. Er trug keinen Bart. -
Dicht um die Dampferschraube war ein Strudeln und Gezisch.
Er schenkte mir noch eine weiße Troddelmütze für die Fahrt,
Und nach uns zog der Flußstreif wie ein langer, düstrer Fisch.

Den Araflügeln geb' ich dieses glänzend starke Blau. -
Ich fand ihn immer bei mir, wenn ich schlief;
Er aber lag in Frankreich irgendwo am Drahtverhau
Und schrieb mir jede Woche einen guten Brief.


 

Erstarrt

Auch ich bin so gegangen.
Mit Einem, den ich liebte,
Durch einen Tannenwald.
Die Kerzen waren schneeumhangen.

Die gläserbleichen Zungen
Der Sträucher schwiegen hart,
Und unsre Stapfen liefen
Der Kette gleich, verwirrt, verschlungen.

Weich duckte sich's zum Stamm,
Wie weißes Huhn sich plustert.
Mein Auge wurde groß
Vor einem grauen Licht, das niederschwamm.

Es zwitscherte und schlug,
In meine Hand gefaltet,
Und blickte, blaugekrönt,
Aus einem warmen Lächeln, drin ich's trug.

Und als es zart bemühte
Sein flatternd kleines Herz,
Sein bittendes Gefieder,
Da ging die Hand mir auf wie eine Blüte.

Die rote Sonne schaute
Ihm kalt und böse zu.
Es rief den Quell durch Eis,
Die wilden Hyazinthen:
Und trieb im kühlen Wasser, als es taute.


 

Die Verlassene
(an K.J.)

Du irrst dich. Glaubst du, daß du fern bist
Und daß ich dürste und dich nicht mehr finden kann ?
Ich fasse dich mit meinen Augen an,
Mit diesen Augen, deren jedes finster und ein Stern ist.

Ich zieh' dich unter dieses Lid
Und schließ' es zu und du bist ganz darinnen.
Wie willst du gehn aus meinem Sinnen,
Dem Jägergarn, dem nie ein Wild entflieht ?

Du läßt mich nicht aus deiner Hand mehr fallen
Wie einen welken Strauß,
Der auf die Straße niederweht, vorm Haus
Zertreten und bestäubt von allen.

Ich hab' dich liebgehabt. So lieb.
Ich habe so geweint... mit heißen Bitten …
Und liebe dich noch mehr, weil ich um dich gelitten,
Als deine Feder keinen Brief, mir keinen Brief mehr schrieb.

Ich nannte Freund und Herr und Leuchtturmwächter
Auf schmalem Inselstrich,
Den Gärtner meines Früchtegartens dich,
Und waren tausend weiser, keiner war gerechter.

Ich spürte kaum, daß mir der Hafen brach,
Der meine Jugend hielt - und kleine Sonnen,
Daß sie vertropft, in Sand verronnen.
Ich stand und sah dir nach.

Dein Durchgang blieb in meinen Tagen,
Wie Wohlgeruch in einem Kleide hängt,
Den es nicht kennt, nicht rechnet, nur empfängt,
Um immer ihn zu tragen.


 

Die Alternde

Es sind viel kleine Striche vor mein Angesicht gekommen,
Und da sie meine Wachen erst getötet und verletzt,
Da haben listig sie den Platz erschlichen und genommen,
Vor allem schon die freie Stirn, die Mundwinkel besetzt.

Nun ward mein gastbereites Tor der Freude zugeriegelt;
So wachsend herb und grabend gehn die Sieger täglich um.
In dichtem Tuch erstickt' ich gern, was meine Wangen
     spiegelt,
Und für mein ängstlich Ohr ist nicht der Menschen
     Schweigen stumm.

Der Feind hat alle Schätze am geheimen Ort gefunden,
Den einen blanken Schlüssel selbst zu meinem Schoß geraubt.
So ist mein Mund versperrt, mein Kleid auf immer
     festgebunden;
Denn eh' der Leib an Brüsten, lag der Blick an meinem
     Haupt.

Auch quillt kein klares Kinderhaar, die Lippe mir zu frischen,
Kein Augenbrunnen, rein und tief, der noch mein Welken
     netzt;
Wie lange noch wird meine Hand die bunte Salbe mischen,
Die ohne Heilung überschminkt, was schartig und zerfetzt ?

Denn die geborstnen Fluren weiß nur Erde neu zu kitten;
Mir ward zerbrochner Blumenkranz dem Kehricht
     vorbestimmt.
Vielleicht doch zögerte der Fuß, der mein Geländ
     zerschritten,
Der Finger, da er Glut gelegt, die noch an Trümmern glimmt.

Verfallend mag ich zwanzig Jahr, wohl dreißig Jahr noch
     warten
Und keines Mannes Liebe mehr in Saft und Knospen sein;
Kein rundes Armchen flicht sein Spiel in den zerrißnen
     Garten:
Dann tut der Grund sich um mich auf und schlingt mich
     gähnend ein.


 

Die Lumpensammlerin

Die stillen Dinge heißen tot
Und fühllos, im Verderb beständig;
Das schwitzt kein Geld, das ißt kein Brot
Und wird mir gerne doch lebendig
Und seufzt und weint und redet Not.

Wer aus der braunen Flasche trank,
Was hat er ihr den Hals zerschmissen ?
Der Hut fiel leicht und welk vom Schrank;
Da liegt sein Kopf, ihm abgerissen,
Da liegt sein Rand, zerknüllt und krank.

Da hinkt ein wassersüchtig Faß,
Die Dauben wie vermorschte Zähne,
Ein Kindertier, beschmutzt und blaß,
Geschlitzt den Leib, durchfetzt die Mähne,
Und blind: kein Aug' mehr, buntes Glas.

Der Schlüssel ruft die Mutter Spind,
Ein ausgelatschter Schuh den Bruder,
Und Lappen brüsten sich vorm Wind
Mit roten Tänzen, arme Luder,
Die längst verbraucht und häßlich sind.

Sanft wälzt der große Schatten sich
Vor meinen Fuß mit Sack und Karre,
Wächst dicht und grau: und wirft, wenn ich
Den heißen Stock einst stütz' und starre,
Auch mich zu unserm Müll. Auch mich.


 

Die Begrabene

Wir folgten alle einem Ziel,
Und was uns hielt, war Lust und Spiel,
Und was uns trieb, war Sorg' und Not,
Und was uns lohnte, war der Tod.

Nun lieg' ich friedlich hingestreckt
Und bin mit Erde zugedeckt;
»Ich brauch' und habe« blieb nicht mein,
»Ich muß und werde« ließ mich sein.

Im Lichtland ist Verwesung froh;
Sie färbt ihr Kleid mit Indigo,
Trägt's heute glatt und morgen kraus
Und baut den Turm von Babel aus.

Sie hetzt ihr Bild auf Leinewand,
Sie pfählt's an Zaun und Zeitungsstand,
Ihr leeres Gieren grinst und rafft
Und heißt Erfolg und Wissenschaft.

Mit rohem Wahnwerk, grassem Mord
Zerschlägt sie hundertsten Rekord,
Im Sarge tobt sie durch die Welt -
Wann findet sie das Gräberfeld ?

Sie siegt im Schrei, im Sprung, im Lauf;
Da wacht die Grube endlich auf,
Hat einmal gähnend sich gereckt
Und sie mit Erde zugedeckt.


 

Die Sinnende

Wenn ich tot bin, wird mein Name schweben
Eine kleine Weile ob der Welt.
Wenn ich tot bin, mag es mich noch geben
Irgendwo an Zäunen hinterm Feld.
Doch ich werde bald verlorengehn,
Wie das Wasser fließt aus narbigem Krug,
Wie geheim verwirkte Gabe der Feen
Und ein Wölkchen Rauch am rasenden Zug.

Wenn ich tot bin, sinken Herz und Lende,
Weicht, was mich gehalten und bewegt,
Und allein die offnen, stillen Hände
Sind, ein Fremdes, neben mich gelegt.
Und um meine Stirn wird's sein
Wie vor Tag, wenn ein Höhlenmund Sterne fang
Und aus des Lichtgewölbs Schattenstein
Graues Tuch die riesigen Falten hängt.

Wenn ich sterbe, will ich einmal rasten,
Mein Gesicht nach innen drehn
Und es schließen wie den Bilderkasten,
Wenn das Kind zuviel gesehn,
Und dann schlafen gut und dicht,
Da ich zittrig noch hingestellt,
Was ich war: ein wächsernes Licht
Für das Wachen zur zweiten Welt.


 

Die Leugnerin

Einst zog ich Gott mit meinen Kleidern ab.
Ich warf ihn hin. Er hing vom Stuhl herab,
Wo schmaler Florstrumpf um die Lehne rankte.
Wie lang schon, daß ich nicht mit ihm mehr zankte!

Den Wänden ward mein Antlitz zugekehrt.
In lockre Träume stieg ich unbeschwert;
Aus meinen Hüften brachen blaue Falter,
Mit nackter Sohle trat ich Staub und Alter.

Und als sich Wiesenlandschaft wirr verschob,
Ein Nachtmeer schauernd mich in Morgen hob,
Da griff ich Hemd und Kittel, Gurt und Kragen,
Fand nicht mehr Gott und dachte nicht an Fragen. -

Ich war allein und schluchzte, rief und rief
Und schrie. Doch Gott schrieb einen Herbstmondbrief,
Gott rollte Sterne aus dem Wunderknäuel.
Und mir am Bette kniet' ein blödes Scheuel.

Ich streute Lampenwärme, gelben Sand,
Es zuzudecken. Wühlte Tuch und Band,
Gott nachzuspähn. Bin müd in mich verkrochen. -
Gott lag sehr fest um meinen Stirnenknochen.

Er war mir angewachsen als die Haut,
Von Glut geschwächt, in Frösten aufgerauht,
Ganz fahl und wund gebeizt von bittren Laugen.
Und fiel als Lid auf jedes meiner Augen.


 

Die Beterin

O blauer Kontinent! O blauer Kontinent, erhöhte Erde!
Ich mag dich doch nicht Himmel heißen.
Der Himmel ist zu hochmütig. Er weist mit unnachahmlich
     kältender Gebärde
Die Drängenden hinweg, die ihm an seinen Wolken reißen.

Der Himmel ist ein Was ? aus Schein und Hauch und
     griechischen Benennungen;
Nicht können Menschen ihn erleben, noch Adler ihn
     ergreifen,
Doch zwischen dir, du ferne liebe Welt, und mir sind wenig
     Trennungen,
Und du bist faßlich wie ein schwerer glänzendblauer
     Sammetstreifen.

Und mitten auf der Samtbahn steht ein goldner Thron: nicht
     für den Richter,
Der ein so Unausdenkliches, daß wir ihn eben auch nicht zu
     denken wagen.
Er neigt kein Menschenantlitz. Darum meißeln wir ihm
     Wellen- oder Felsgesichter,
Und weil er ohne Sprache, ohne Ohr, verwirft er unsre
     Klagen.

Mein Gott hat ein Haupt! Mein Gott hat ein Männerhaupt
     mit Brauen und einem Barte.
Sein Wort bewahren Engel mit bronzenen Schwingen-
     rändern.
Nicht jene flittrigen rosa und blonden Bübchen einer
     Ansichtskarte:
Vier große, braune, stille Engel in seidnen portwein
     funkelnden Gewändern.

Nun will ich diesen Engeln gern mein kleines rundes Mühn
     erzählen;
Sie haben ja auch Hände, eine Bittschrift anzunehmen,
So gute Frauenhände, die sich gewiß mitunter quälen,
Und tragen schwer an ihren Flügeln. Es sind keine Schemen.

Sie werden mir in Freundlichkeit und Nachsicht ihren Rat
     erteilen,
Und wo sie keine Hilfe wissen, werden sie mich trösten,
Am Ende mich vom Sein mit jenem Rühren und dem
     Lächeln heilen,
Mit dem sie mich an einer Mutter Herzen einst vom
     Nichtsein lösten.


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