Gedichte 1935

Gedichte

1935

Alle Zeitangaben zu den Gedichten geben das Datum an, dem der Text zugeordnet werden konnte.
Bezug hierzu sind die Angaben aus der Sammlung der 1987 von Klaus Völker herausgegebenen Gedichte.


Inhalt

Einsamer Dichter mit einsamem Katertier

Spätes Sommerglück

Bösartige Weihnachtsbetrachtung

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09. 01. 1935

Einsamer Dichter mit einsamem Katertier

Wir zwei Kreaturen
sind ganz unbeweibt.
Hab' kein Geld, zu huren;
Bier und Buch nur bleibt,
sanft mich zu zerstreuen.
Doch du armes Tier,
was kann dich erfreuen,
liest nicht, trinkst kein Bier?
Nächtlich umgetrieben,
mir sehr zum Verdruß,
suchst du was zum Lieben.
Auch mir fehlt ein Kuß,
ein vertrautes Schmeicheln,
Zärtlichkeit und mehr.
Kater, dich zu streicheln,
hilft dir wohl nicht sehr?
Selbst die besten Bissen
sagen dir nicht zu,
und dein Ruhekissen
bringt dir keine Ruh,
kannst nicht wohlig lesen,
machst vergrämt »miau«.
Wir zwei armen Wesen
haben keine Frau.


 

18. 08. 1935

Spätes Sommerglück

Wie sich doch die Sommerträume
jetzt noch glücklich dir erfüllen,
wieder dich des Waldes Bäume
in ihr grünes Märchen hüllen,
Wiesen ihre Düfte bringen,
Berge ihren Glanz aufbauen,
wird auch Künftiges gelingen:
habe zu der Zeit Vertrauen!

Wenn die Menschen dich enttäuschen,
feindlich und verlogen scheinen,
wenn aus den Verzweiflungsräuschen
nichts mehr kommt als hilflos Weinen -
ach, wie sehr sie sich verwunden
selbst mit ihren lieblos lauen,
ohne Not zerstörten Stunden -
habe zu der Welt Vertrauen!

Herbstliches ist schon zu spüren,
Abschiednehmen und Entschwinden,
langsam schließen sich die Türen
vor den widrigeren Winden.
Doch du wirst geborgen bleiben,
aus vertrauter Stube schauen
auf der Straßen krauses Treiben:
habe zu dir selbst Vertrauen!

Hab' Vertratien zu meiner Liebe,
gibt sie dir auch lang kein Zeichen!
Leise, wie geheime Diebe,
meine Wünsche nächtlich schleichen
sehnsuchtsvoll um deinen Schlummer,
zu berühren deine Brauen,
fortzuküssen allen Kummer:
habe doch zu mir Vertrauen!

Wenn wir uns umschlungen halten,
muß der Spuk der Furcht zerstieben:
alle feindlichen Gewalten
sind besiegt, wenn wir uns lieben.
Neue Zukunftsseligkeiten
werden aufblühn aus dem Grauen
dieser totgeweihten Zeiten,
hab' Vertrauen, hab' Vertrauen!


 

Weihnachten 1935

Bösartige Weihnachtsbetrachtung

Nun muß man wieder kindlich tun und lügen,
als freute man sich auf das liebe Fest,
indes schon in den überfüllten Zügen
sich naht die unerwünschte Gästepest.

Indes das bißchen Taschengeld hinschwindet
für die Geschenke, die nicht richtig sind;
denn selten auf dem Gabentische findet
man das ersehnte Weihnachtsangebind.

Und dennoch muß man herzlich danke sagen,
die Wintersocken, die man sowieso
erhalten hätte, und die neuen Kragen
begrüßen scheinbar überrascht und froh.

Sogar den Trödel, den man gar nicht wollte
und den man nimmermehr gebrauchen kann.
Dann frißt man mehr, als man je futtern sollte,
und steckt mit vollem Wanst die Kerzen an.

Das Kragendrücken ist der Rührung günstig:
man heult etwas, und gottlos, wie man ist,
singt man mit falscher Stimme falsch inbrünstig
das Kinderlied vom neugebornen Christ.

Dann säuft man Punsch und andre hitzige Sachen
und futtert weiter Marzipan und Nuß,
um sich allmählich so gereizt zu machen,
daß die Apotheose kommen muß.

Man ließ am Baum ein Licht zu lange brennen,
ein Ast fängt Feuer und mit ihm der Streit:
man fängt an, sich abscheulich zu benennen,
die lang verhaltene Enttäuschung schreit.

Des ganzen Jahres Ärger wird erbrochen.
Vom Christ-Stern bleibt ein ekles Wölkchen Rauch.
Erbost und krank ist man ins Bett gekrochen,
der Weihnachtstraum entblüht der Wut im Bauch.


 

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