Gedichte aus Briefen

Gedichte aus Briefen.

geordnet nach den Daten an welchen die Briefe geschrieben wurden
( bisher nur Veröffentlicht in der Sammlung der Briefe herausgegeben von Klaus Völker
und erschienen im "Verbrecher Verlag" - Berlin 2012
ISBN 978-3-940426-76-5
www.verbrecherei.de
die Texte der Briefe selbst sind nur in den Büchern nachzulesen und werden hier nicht veröffentlicht)


Bei den hier aufgeführten Gedichten handelt es sich lediglich um die Gedichte,
welche nicht schon in anderen Sammlungen, Büchern oder Anthologien veröffentlicht sind.

06. 06. 1906

Brief aus München an Anna und Robert Herrmann
- die Eltern -

 

Am Königssee

Still träumt der See ... ein dunkles Mädchenauge,
das unergründlich tief ... und Bergeswiesen,
wie alte schneeigweiße ... Greise blicken
sehnsüchtig sich bespiegelnd ... ihrer Jugend,
der eignen, schmerzlich denkend, lang hinein …

Ein ander Bild: ich sitz am steilen Strand,
der Abend dunkelt, helle Wolkenschleier
umschweben leis im Reigen rings die Gipfel,
ein Feenchor, die silberlichten Füßchen
wie Lauben flattern, tänzeln Ringelreihen
um ihre marmornen Eisesschlösser …
dort drüben auf dem Stein lugt eine Gemse
neugierig forschend auf den See hinab …
und unten gleitet durch die Flut ein Nachen,
langsam vorbei ... der Burschen weiße Hemden
der Mädels bunte Tücher grüßen leuchtend …
ein schwerer, wehmütiger Gesang ertönt,
ein Volkslied ... langsam ... einförmig ... ich lausche:
»Für mi leucht ka Sterndl am Himmi,
i hab halt ka Glück auf der Welt ...«


Ende 07. 1912

Brief aus Neisse an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

Scherzo

Eine weiße Villa mit einem roten Dach
blüht lockend aus einem grünrauschenden Garten,
dort sitzt meine Leni im hellsten Gemach,
und legt sich verschlagen lächelnd die Karten.

Und ich stehe an ihre Schulter gelehnt -
da neckt sie mit ihrem schelmischsten Tone:
»Ein Kartenkönig nach mir sich sehnt,
ein Schellenkönig mit Szepter und Krone!«

Ich aber rück näher und drohe dreist:
»Nun hüte Deine entzückende Zunge:
Der Schellenkönig Max Herrmann heißt!«
Da meint sie: »Das war ja der grüne Junge!«

»Das fordert Strafe!« flüstre ich süß,
und sie stammelt nur noch: »Du Schwerenöter!« -
Dann wird die Villa noch weißer als weiß,
und das leuchtende Dach wird immer röter …


Ende 07. 1912

Brief aus Neisse an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

(der gleiche Brief wie zuvor)

 

Anbetung der braunen Geliebten

Wie waidwunde Tauben, die einen Flügel am Boden schleifen,
meine wehen Hände über Deine Brüste streifen,
die sommerlich braun in die Sonne reifen.

Deine runden Kniee
sind mir alle Wunder der Sankt Mariee!

Deine Hüften sind ein goldner Reifen,
der mein ganzes Leben umspannt.

Dürfte ich Deine Schuhe lösen
und durch den Seidenstrumpf ganz weich
Deine adligen, nervösen
Füße küssen, Himmelreich,
so war ich erlöst von allem Bösen.

Aus Deinen Achselhöhlen steigt
ein Duften, vor dem meine Sehnsucht sich neigt.

Aber das Kostbarste ist Deine Hand!

Sie ist kühl wie ein Krug und weich wie der Wein,
sie träumt von Blüte und Edelstein,
wenn sie mich berührt, alles Schwere schweigt
und alles Glück der Welt ist mein!


02. 08. 1912

Brief aus Neisse an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

Wir tappen tief durch Raps und Röhricht
und Sumpf und Säume von wilden Wiesen
und fallen nach Faltern und tuscheln töricht
und narr'n uns mit Mohnsam und müssen niesen.

Und wühlen und wüten in Haufen Heues
und kreischen und johlen wie fröhliche Fohlen,
und streifen ab unser Schwaches und Scheues
und kreisen krächzend wie wehende Dohlen.

Spinnen kriechen uns über den Mund
Ähren kitzeln keck unsre Nasen,
Mücken zerstechen Hals und Nacken -

Wütend umbellt uns der kleine Hund,
trunken wälzen wir uns auf dem Rasen
prustend wie Pane mit blühenden Backen ...


17. 08. 1912

Brief aus Neisse an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

Das hohe Gebet des Dichters zu seiner sehr geliebten Leni:

Vor Deinen achtzehn Jahren steh ich, wie man vor einem
                                                                                  Wunder steht,
und falte meine Hände in Demut zum Gebet.

Liebste Leni, die Du bist auf Erden,
Dein Name soll immer geheiligt werden.
Laß zu allen Venus-Frommen
Deines Reiches goldne Geschenke kommen.
Dein Wille sei unser stärkstes Gebot!
Gib Deinem Dichter sein tägliches Brot.
Vergib uns alles, was uns verdammt -
sieh, wir sind Sünder allesamt! -
Und führe ja in Versuchung die Deinen,
und erlös uns von allem Engen und Kleinen.
Denn Du bist die Schönheit, die Dame der Damen,
Und Liebe und Weisheit in Ewigkeit! Amen.

Der Abendfriede küßt mich stumm nach diesem Gebet,
vor Deinen achtzehn Jahren steh ich, wie man vor einem
                                                                                  Wunder steht.


24. 10. 1912

Brief aus Neisse an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

DEINE Hände, die noch nicht lernten,
Einem Mann seine letzte Lust zu geben,
Reiften mit den süßen Reben -
O laß mich sie ernten!

Um DEINES Schoßes Haare führen meine Finger Fehden,
Sie sind das junge Moos im Garten Eden,
Der tauweiche Rasen,
Darin meine Hände als hungrige Hengste grasen.
O Himmel meiner heiligsten Ekstasen!

Wenn DEIN Hemd von DEINEN Schultern gleitet,
Ist es, daß ein Engel seine Flügel über unsre Liebe breitet.

Einst hatte ich Visionen,
Wo meine Liebe durch den Kot kroch.
Meine Hände versündigten sich an mir
In widerlichen Nächten -

Nun darf ich doch
In DEINEN Zärtlichkeiten wohnen,
Und Friede wird bei DIR
Dem Gramgeschwächten!

In DEINEM duftenden Schoße münden
Selig entführt alle meine Sünden,
Und unser Blut fließt eine Melodie! -
Gebenedeit seist DU, MARIE!


07. 12. 1912

Brief aus Neisse an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

Seit DU nicht kommst, liegt mein Zimmer wie eine Gruft
Und die Rosen auf dem Tisch werden bleich und verlieren
                                                                                allen Duft.

Seit DU nicht kommst, sind die Bilder an den Wänden tot
Und mein kleiner Hund nimmt nicht Milch, nicht Fleisch,
                                                                                nicht Brot.

Seit DU nicht kommst, bleiben alle Lieder stumm,
Alle Bücher sind ohne Sinn und verdorben und dumm.

Seit DU nicht kommst, ist mein Lager hart und kalt,
Seit DU nicht kommst, hat mein Leben keinen Halt.

Seit DU nicht kommst, hat mein Leben kein Ziel,
Seit DU nicht kommst, bin ich ein Ding, das zerfiel.

Seit DU nicht kommst, ist mein ganzes Sein nicht mehr wahr,
Seit DU nicht kommst, welken meine Hände und bleicht
                                                                               mein Haar.

Und meine Liebe starrt einsam wie ein verlassener Altar!


29. 11. 1913

Brief aus Berlin an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

. . . Plötzlich fällt ein Stern - Du stehst darin -
In das Tango-Tanzen all der vielen
Abgefeimten, feixen Luft-Gespielen,
Und Korinth hat eine Königin!
Legst auf DEINE Lippen leis ihr Lied,
Ihren Takt trägst Du in DEINEN Hüften,
Wunder klingeln aus den Moschus Düften,
Wie sich Seidenknie an Seide kniet.
Brautnacht! Schooß schwillt schwer in Schooß! Verwebt
Wiegen sich die bunten Räkel-Reifen,
Unter Händen, die nach Trauben greifen,
Über welchen DEINE Schwermut schwebt!
Schneller Kranz um Kranz zerstäubt der Kreis,
Flammenräder rasen und zersplittern,
Klirrend, in Kaskaden von Gewittern -
Doch DEIN Stern steigt wieder heilig, weiß ...


08. 12. 1913

Brief aus Berlin an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

Fremde Frau, zu der mein Fürchten flüchtet,
Wenn ich von der Größe dieser Stadt
Ganz zerrieben bin und wegematt -
Fremde Frau, zu der mein Fürchten flüchtet:
Daß ich wie im Trost von Wogen bin,
Und gestillt mit aller Täume Triften
Süß zerstört von Deiner Geilheit Giften,
Dir verkettet, schmale Schmeichlerin!
Sklave holder Wollust, holder Rache,
Pein in Palmen, Peitschen-Paradies!
Fremde Frau ... Doch plötzlich weiß ich dies:
Leni, DU in allem, Tausendfache!


29. 07. 1914

Brief aus Berlin an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

Als ich Heinrich Mann sah

Und plötzlich sah ich einen Dichter, dessen Namen
Ich betend stets in keuscher Demut nannte,
Von dem ich glaubte, daß ich seiner Reife Rahmen,
Den lieben Leib, wie einen Bruder kannte.

Gleichgiltig gleitet er, als Gleicher unter Vielen,
Ganz unbekannt auf der belebten Bahn.
Ich wage nur, nach seinen Schritten scheu zu schielen
Und taumle als sein treuster Untertan.

Wie eine Sonne blendet mich sein hohes, helles,
Verstiegenes Gesicht, wo Geist gewittert.
Ich kreise krank um ihn. Mein aufgepeitschtes, schnelles
Um seine Füße flatternd Herzblut zittert.

Daß dort ein Werk wuchs und ein Gott, der es erschaffen -
Und hier: ein Herr wie andre im Cilinder
Hintreibend zwischen Henkern, Opfern, Gauklern, Affen . .
O Marter: Maskenzwang der Gottes-Kinder!


17. 08. 1914

Brief aus Berlin an Leni Gebeck
- seine spätere Frau -

 

Schlüssel schlottern. Wie gehetzt
Taumeln Tore zu. Lichter löschenh aus.
Überall gehn jetzt
Müde Menschen, bis zum Morgenrot enttäuscht, nach Haus . . .

Liebste du, hinter fremden Fenstern weiß
In die Weiße deines Betts verwebt,
Seim von Allem, was in Wahrheit lebt,
Zedern-Flamme du und Firnen-Eis:

Ich gedenke jener Trennungs-Tränen [. . .]


04. 11. 1914

Brief aus Neisse an Friedrich (Fritz) Grieger
 

 

Ein Abschied

Ach, wir gingen eine kleine Weile
Hand in Hand erst, als der Abend kam,
Und wir schieden, daß ich keine Zeile
Deiner Hand auf meinen Heimweg nahm.
Hörte nur wie sich Dein schweres Schreiten
Abseits in die Nacht verlor, und bog
In des Hofes leere Helligkeiten
Wie ein Vogel, welcher sich verflog.
Lange stand ich noch in eine steile
Geste eingeschlossen wie in Scham -
Leb' ich noch? - Wir gingen eine Weile
Hand in Hand erst, als der Abend kam.


10. 02. 1915

Brief aus Neisse an Friedrich (Fritz) Grieger
 

 

Ich trinke Deine Tränen. Das Gemach
hetzt den marschierenden Soldaten nach.
War ich das, der bei einer schoflen Schar
von Kartenspielern der Kumpane war?
Oder wenn ich bei einer Kellnerin
gar Erntevogt verreifter Reize bin.
Vater, mein Vater, laß mich nicht allein,
sonst wird mein Mund trunken, mein Herze Stein!
Und gib mir, Liebste, Deiner Tränen Flut
wie eine Reinigung, wie Altarwein!
Und dies vor allem: Sei mir wieder gut!
Sei mir von ganzem Herzen wieder gut!«


15. 07. 1927

Brief aus Breslau an Leni Herrmann
 

 

Deinen Namen in den Wind gesagt,
daß er ihn zu dir hinübertrage:
Was an Angst zur Nacht mich plagt,
allen Gram verlaßner Tage.
Was mich höhnt, und was mich reut,
gestern halfst du es verwinden.
Aber was versöhnt mich heute
mit der Stunden stetem Schwinden? . . .


17. 02. 1929

Brief aus Berlin an Friedrich Grieger
 

 

Pan oder Der große Beischlaf

(von einem alten Niederländer zu illustrieren)

Er sprach kein Wort. Er warf die Magd ins Stroh
und stach in ihren Wanst den starren Zapfen.
Bald wurde sie der geilen Flohjagd froh
und schob in seinen Mund des Busens Krapfen.

Die eine Hand in ihren Arsch gekrallt,
(die andre trieb am Kitzler ihre Spiele)
hat er sie auf die Tenne hingeknallt,
als ob ein Sack voll Mehl zum Estrich fiele.

Sie sprachen beide nicht. Nur Seufzer flohn,
wie Wind des Sterbens oder der Verdauung,
aus festgesognen Goschen. Wie zum Hohn
erklang die Glocke christlicher Erbauung.

Und während dort im Dorfe unterm Kreuz
fragwürdige Jungfraun zur Kapelle schritten,
hat hier im Rhythmus heiligen Geläuts
ein maß
los lachender sein Mensch beritten.


19. 12. 1932

Brief aus Berlin an Friedrich Grieger
 

 

Besten Dank für Deine Karten!
Auch
ich kann es kaum erwarten,
bis der Weihnachtsfritze froh
aus dem Zuge steigt am Zoo,
wohl bepackt mit Wurschtigkeiten,
die uns viel Genuß bereiten,
hoffentlich gut ausgeruht
und mit frischem Lebensmut
für Berliner Bummelnächte.
Wünsche auch, daß er mir brächte
meine Smoking-Gant-Krawatte,
die ich jüngst vergessen hatte,
als ich zu der Hauptmannfeier
Gast war bei Frau Gerstenmeier.
Lieber Fritz, beeile Dich,
alle warten schon wie ich,
Schaeffers, Prager, Nikolaus
halten es ja kaum noch aus
unsre Margulische Lolle,
und das Äpfelchen, das tolle,
von der Hechy ganz zu schweigen,
also tu Dich bald hier zeigen.
Schreib, wie Leni sagt: »um wann«
ich Dich dann abholen kann,
laß bis da Dirs gut ergehn!
Schluß. Auf frohes Wiedersehn!


26. 03. 1934

Brief aus London an Friedrich Grieger
 

 

»Stürme wehn. Es regnet. / Mein Herz ist leer und bang. /
Was mir heut begegnet, / atmet Untergang. / Dunkle
Straßenschluchten / liegen stumm und tot. / Durch die
Himmelsschluchten / jagt das Wolkenboot / mit den Schiff-
bruchgeistern / hin und her. / Meine Träume meistern /
keine Wollust mehr. / Immer bricht der Schrecken / in das
Fest. / Not und Angst beflecken / meines Lebens Rest. / Was
ich jetzt ertrage, / macht mich alt und krank. Alle meine
Tage / atmen Untergang.« -


12. 06. 1939

Brief aus London an Klaus Pinkus
 

 

»Nach Nebel und nach Regen
kommt wieder Sonnenschein
lädt uns auf allen Wegen
die Welt freigebig ein,
den Sommer zu genießen,
mit allem, was sie trägt:
die Brunnen friedlich fließen,
die Turmuhr traulich schlägt.

Da wird uns beim Erwachen,
mit Maien schön geschmückt,
der Morgen glücklich machen
und Künftiges beglückt.
In sommerlichen Tagen
vergißt sich Furcht und Leid,
ist leichter zu ertragen
die schwere, schwere Zeit.«


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