Max Herrmann-Neiße "Abschied" 1928

 


George Grosz

 


Abschied

 

Roderich Fechner Verlag

Lyrik Bücherei

Band IV

Berlin

1928


Inhalt

Die Suche nach dem Wort

Zwillingsgestirn am Himmelszelt

Trügerischer Januartag

Ostergebet

Wiederkehr eines Frühlings

Maiabend im Tiergarten

Lob des Regens

Fahrende Leute des Todes

Fruchtloses Liebeslied

Sehnsucht nach dem Breslauer Cafe

Letzte Sommertage

Das unfruchtbare Glück

Wieder ein Sommer verloren

Herbstabendgrausamkeit

Der Verbrecher

Herbstvision

Schülervorstellung

Der Liebe Wiederkehr

Nacht in den Bergen

Einsamer Abend am Schreibtisch

Abschiedslied

Angst vor der Fremde

Gewissensqual bei einem Massenunglück

Die lieben Hochzeitsgäste

Verhängnisvolle Nacht

Sterbelied

Himmelfahrt

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14. 02. 1928

Die Suche nach dem Wort

Die Suche nach dem Wort, das alles sagt:
Die Schreibtischlampe scheint auf Schöpfernächte
als ferner Stern, und wenn es endlich tagt,
bin ich der gnadenlos vom Geist Geschwächte.

Die Nachbarn schlafen. Nur mein Zimmer denkt
und gräbt goldsucherisch sich in den Morgen.
Der Fieberstirne ist kein Glück geschenkt,
und wieder würgen mich dieselben Sorgen.

Die Suche nach dem Wort. Mit ihr beginnt
mein schwacher Tagesschlaf, und mein Erwachen
am fahlen Winterabend sinnlos rinnt
zur gleichen irren Marter für mich Schwachen.

So wird des Lebens bester Schatz vertan.
Ich such das Wort und könnte Liebe haben.
Ist nun schon beides fort, und zieht der Schwan
dort über Toten auf dem Wassergraben?

Auch er wird nur zum Bild in meinem Lied,
und ich muß warten, bis der Vers sich regelt.
Wenn dann die erste Wolke bergwärts zieht,
mein Traumschiff auch zu Gleichnisinseln segelt.

Dort gibt der Baum die überreife Frucht,
und in den Büschen wirst du Spiegel finden.
Du steigst zu Kreidefelsen, eine Bucht
läßt Wellen sich vor deinen Blicken winden.

Da suchst du nach dem Wort, das dem genügt.
Der Leuchtturm wacht allein mit deiner Trauer.
Wie Todesfurcht zu Lebensmut sich fügt,
schlägt Meeresrauschen an die Hafenmauer.


29. 09. 1927

Zwillingsgestirn am Himmelszelt

Liebte ich dich nicht, wär mein Lied nicht bitter,
feindlich und voll Schmähung dieser Welt,
ballt ich nicht die Faust durch das goldne Gitter
gegen deines Glückes Purpurzelt.
Liebte ich dich nicht, wär mein Blick nicht böse,
zitterte nicht unbeholfen meine Hand.
Wenn ich nachts, im Traum, dir die Schleifen löse,
schützt dich immer noch ein Haßgewand,
stehst du fremd vor mir, niemals anzurühren,
meine stummen Blicke betteln weich.
Jugendfrechheit auch kann dich nicht verführen,
alt gelt ich erst recht dir nicht reich.
Soll ich schalen Trost anderswo mir suchen?
Keine ist mir so wie du bestimmt!
Schicksal bindet uns noch, wenn wir uns fluchen;
Rückkehr siegt, wenn eins vom andern Abschied nimmt.
Und erblinde ich, mußt auch du erblinden;
stürzt dein Flugzeug, ist mein Tod gewiß.
Drüben werden wir uns wiederfinden,
weil auch Ewigkeit dies Band aus Glück und Leiden
                    nicht zerriß.
Weil wir auferstehn, immer, immer wieder,
letztes Zwillingsgestirn am Himmelszelt.
Liebte ich dich nicht, hätt ich keine Lieder
für und wider diese Welt.


 01. 02. 1928

 Trügerischer Januartag

Der Januarmittag, warm und zärtlich schon,
obwohl das Eis noch Schlittschuhläufer trägt,
im Windeslied bereits ein Frühlingston,
und hoffnungsvoller unser Herz jetzt schlägt.
Es wünscht sich wieder Mädchen, willig, jung,
und ist noch einmal kühn und sechzehn Jahr,
und die beschämende Erinnerung
an alle Niederlagen ist nicht wahr.
Noch einmal ist das Leben aussichtsreich,
belügt sich, daß es Glück und Freude gibt.
Den Tänzer auf dem noch vereisten Teich
umbellt sein Hündchen. Und ich bin verliebt.
Ich bin verliebt, und weiß nicht, wem es gilt.
Daß Lenz wird und vielleicht doch alles gut,
dies ganz zu glauben bin ich gern gewillt,
und Frühling singt jetzt auch in meinem Blut.
Beschwingt durchwandle ich die Parkalleen,
als ob sie Blumen hätten, Duft und Grün,
und bleibe vor gefrornen Schollen stehn,
als würden Rosen aus dein Tod erblühn.
Schon wird es kühler, doch ich spür es nicht.
So zeitig kann mein Traum nicht Täuschung sein.
Es dunkelt winterlich, in mir ist Licht,
ich bin mit meinem Frühlingswahn allein.
Ich würde weiter in mein Dichten gehn,
das keine Rückkehr in das Leben kennt,
nichts andres als die eigne Sehnsucht sehn
und diesen Traum, der an sich selbst verbrennt.
Da schreckt die Stille mich und weckt mich roh:
Verlassen liegt der Park, verarmt und kalt.
Noch eben war ich jung und hoffnungsfroh,
jetzt fühle ich mich welk und schwach und alt.
Umringt vom Winter, selber winterlich,
kein Frühling wird des Glückes Bringer sein,
kein Mädchen lächeln. Jetzt erblick ich mich
mit meiner Winterwirklichkeit allein.
Im Nebelbann, gespenstisch anzusehn
tanzen die Schatten auf dem Schlittschuhteich.
Ich selbst gespenstisch weiß mich Toten gehn
ins leere hoffnungslose Schattenreich.


26. 03. 1928

Ostergebet

Gib mir noch ein Lied und eine Liebe.
einen unerhofften, späten Sieg,
dem ich meine schönsten Strophen schriebe!
Alle Sehnsucht, die ich jetzt verschwieg,
alle Angst, die niemand ahnen sollte,
allen Kummer, den ich stumm verbarg -
der Begierden heimliche Revolte
aufersteht aus dem Gedankensarg.
Schon beginnt des Teiches Eis zu schwinden,
ist ein schüchtern erstes Grün erwacht,
und die letzten von den Winterwinden
hat die Frühlingssonne schwach gemacht.
Unruh' schaffend auch in meinem Blute
wallt der Kampf, der die Natur erregt,
der mit wieder jugendlichem Mute
Müdigkeiten doch ins Herz mir legt.
Rastlos such' ich des vergangnen Jahres
zarte Gnaden, die das Grab verschlang:
Eines Tages ist es nichts mehr Wahres,
nicht ein spöttisch leerer Echoklang.
Nun auch als versteckte Ostergabe
schenkt kein Busch mir diesen guten Fund,
was ich damals halb genossen habe,
bleibt verschwunden auf dem Erdenrund.
Daß es jetzt doch neue Knospen triebe!
Bringt kein Lenz Verlorenes zurück?
Gib mir noch ein Lied und eine Liebe,
noch ein unerhofftes, spätes Glück!


14. 05. 1927

Wiederkehr eines Frühlings

Glücklich am Hügel geborgen
blühten mit allem wir Zwei
in den sonnigen Morgen ...
Bahn um Bahn fuhr vorbei.
Ist das so lang schon vergangen?
Als ob es eben noch sei,
wärmt es mir wieder die Wangen,
und auch jetzt ist Mai!
Damals war erstes Umfangen
paradiesisch gut,
Vögel und Winde sangen
Zärtlichkeiten ins Blut.
Noch im Rollen der Wagen
rief es die Liebe herbei,
Lust hat die Turmuhr geschlagen.
Und auch jetzt ist Mai!
Jahre fallen und zerstieben,
fern ist des Hügels Versteck,
aus den Gärten vertrieben
gehn wir durch Großstadtdreck.
Wenn unsre Blicke sich sehnen,
schaun sie an sich vorbei.
Möcht an dein Antlitz mich lehnen:
Wo ist von damals der Mai?
Such ich nach deinen Händen,
nach dem verzeihenden Wort,
steh ich vor drohenden Wänden,
sind Mond und Sterne fort,
bin ich im Selbsthaß gefangen.
Einsam. Und du? Bist du frei?
Ist auch dir dunkel verhangen
diesmal der leuchtende Mai?
Wege, die einst wir gingen,
liegen verödet, zerstört.
Aber ich muß es zwingen,
daß er uns wieder gehört:
Er, der zaubernd bewahrte
meines Glücks Träumerei,
dieser tröstliche, zarte
Liebesgott, unser Mai!
Alles Mißverstehen
und verschlossner Gram
wird zu Nichts vergehen,
wenn er wiederkam.
Unterm Blütenschleier
ist dein Haupt gesenkt,
neue Hochzeitsfeier
uns der Mai jetzt schenkt.


02. 05. 1927

Maiabend im Tiergarten

Die Mädchen und die Knaben fahren Rad
in ganzen Rudeln, sportlich anzubandeln.
Bejahrte Pärchen selbst umschlungen wandeln.
Ein Hündchen nimmt im Bach sein erstes Bad.
Drei lustge Brüder stell'n ihr Grammophon
auf eine Bank und spielen Negertänze.
Es flechten Kinder sich Maiblumenkränze.
Hoch oben singt ein Flugzeug trunknen Ton.
Im Teiche gondelt man mit seiner Braut
oder allein hemdsärmlig, sich zu stählen,
belästigt Schwan und Enten. Bei den Pfählen
am Ufer stehen Angler aufgebaut.
Die auf dem Reitweg tun sich hoch zu Gaul,
besonders Barmaid Maud im Herrensitze.
Lehrlinge machen ihre faulen Witze,
Portiers bewundern stumm, mit offnem Maul.
Der Händler mit Ballons berückt ein Kind.
Der Photograph wirbt mit verliebten Mienen
bei Bonnen: »Bitte nur sich zu bedienen! «
Fachlich gehn Sipos durch den Mai wie blind.
Die Schleusenbrücke bietet Sensation:
Schleppdampfer und ein Kahn sind durchzulassen.
Die Frühlingssonne wagt sich an die blassen
Wangen der Mädchen aus der Konfektion.
Die Väter lesen ernst ihr Lieblingsblatt,
man raucht, man kaut Tabak, man futtert Stullen,
läßt sich in einen süßen Schlummer lullen
und sieht sich an diversen Reizen satt.
Fern fauchen Autos, und die Stadtbahn rollt
vorbei in regelmäßgen Intervallen.
Ein Vogel läßt sein Abendlied erschallen.
Das Hündchen jetzt wie irr im Kreise tollt.
Ein Rettiggeistprophet im haar'gen Kleid
versammelt einen Kreis von Gutgelaunten,
die eben Luftreklamen noch bestaunten.
Der blinde Bettler tut nur wenigen leid.
Luxusparfüms den Frühlingsduft versaun.
Vornehme schwelgen auf den grünen Stühlen,
wo man zehn Pfennig zahlt, in Lustgefühlen,
die literarisch diesen Mai verdaun.
Der erste Obdachlose auch schon pennt
auf einer Bank abseits vom Volksgewimmel.
Der Mond, die Sterne treten an am Himmel,
die Lampe in der Villenstraße brennt.
Der Park wird still. Nur Pärchen harren aus,
denn ihrer ist die Nacht, und Unbehauste.
Es unkt. Ein Trunkner, dem vor nichts mehr grauste,
wankt durch die drohenden Alleen nach Haus.


28. 03. 1928

Lob des Regens
(Für Ludwig Kunz)

Wie schön kann Regen den Verstörten trösten,
der an der Bosheit dieser Welt zerbricht:
Es tropft ans Fenster, alle Härten lösten
sich aus dem gramzerfurchten Angesicht.
Denn auch der heitren Tage lange Kette
ward schließlich eine allzu starre Haft
und grinste mir entgegen wie die fette
Verfratztheit meiner Widersacherschaft.
Und jeden Morgen dieser Sonne Werben,
Scheinfreundlichkeit, die doch mit Kälte trügt
und mir zu spät Erwachendem mit herben
Vorwürfen ein versäumtes Leben lügt!
Wie sehnte ich herbei den Retter Regen.,
das monotone, kosende Gebet,
mit dem er nun auf allen Gartenwegen
des Frühlings erstes Wunder weckend geht!
Nun ich durchs Mauerwerk sein Rauschen spüre,
riech ich den Duft der frischen Himmelsflut,
fühl ich die Kühle dieser Perlenschnüre,
die mir Entmutigtem so wohlig tut,
als dränge er bis in mein Zimmer lindernd
und löste meiner Tränen Brudernaß.
Was gibt es noch, was niederträchtig hindernd
jetzt wichtig wäre mit verstecktem Haß?
So friedlich ist in Stille eingesponnen
das Herz, wenn draußen wieder Regen singt,
in seiner Zelle sitzt der Mensch versonnen
und weiß, daß jetzt auch ihm sein Lied gelingt.
O bliebe diese Flut doch und umspülte
als Meer, das nie vergeht, mein gläsern Haus,
in dem ich mich so hold geborgen fühlte
vor allem Tageswerk und Tagesgraus,
und wenn mein Leben dann zuletzt verrönne,
o wär es mit des Regens mildem Fall,
daß es mit ihm schmerzlos verbluten könne,
sich mählich schwächend, in das gütge All.


21. 11. 1926

Fahrende Leute des Todes

Kleine Spiegel hingen an dem Wagen,
der als Katafalk durchs Städtchen glitt,
seine Pferde sah man Glöckchen tragen,
die unhörbar waren wie ihr Schritt.

Unsichtbar auch blieb des Wagens Lenker,
der die Peitsche über ihnen hielt.
Morgen war Gerichtstag. Kam der Henker
heut hier an so grauenhaft verspielt?

Wer in diese kleinen Spiegel schaute,
sah sich fratzenhaft dem Wahnsinn nah;
als er längst entronnen war, noch graute
ihm vor seinem Tod, den. er dort sah.

Heimgekehrt, verschwieg er es den Seinen,
lächelte und löschte stumm das Licht.
Nachts vernahm die Frau sein irres Weinen
und griff in ein kaltes Angesicht.

Plötzlich draußen Totenglöckchen klagen,
und im Stundenschlag hält ein die Uhr.
Blinde Spiegel hingen an dem Wagen,
der im Nebel aus dein Städtchen fuhr.


16. 07. 1926

Fruchtloses Liebeslied

Du hilfst mir nicht mehr zu dir hin,
auch dieser Sommer ist verloren,
ich fühle, daß ich nichts mehr bin.
Die Linden blühen vor den Toren
nicht mir zum Glück; ein fremder Mann
durch ihren Duft dich wohl gewinnt.
Ich weiß nicht, was dich halten kann.
Mein Werben, eh es recht beginnt,
ist schon vor deinem Blick zu Ende,
mir fehlt, was angenehm mich macht.
Wenn ich mich noch so sehr verschwende,
hegt gegen mich die Welt Verdacht.
Dich holen Kleinigkeiten schon
aus dem Gespräch, das du mir schenkst:
Die Zeitung und das Telefon
und ein Gewand, an das du denkst.
Und sagst du ja, bist du schon fort.
Und streichelst du mir meine Hände -
ein Schatten sprach das Liebeswort,
den meins, das lebt, schon nicht mehr fände.
Ich wurde allzuoft verletzt,
nun hat mein Suchen keinen Mut.
Ich war ein Sturm. Was bin ich jetzt?
Ein Wind, der wohl und weh nicht tut.
Wer führt? Wer ist Verführerin,
hat mächtiger den Gott beschworen?
Du hilfst mir nichtmehr zu dir hin.
Auch dieser Sommer ist: verloren.


15. 06. 1926

Sehnsucht nach dem Breslauer Café

Am regnerischen Spätnachmittag heut
magst du wohl wieder im Café dich wärmen.
Von einer Kirche klingt ganz fern Geläut
in all das Tellerklappern, Schwätzen, Lärmen.
Gemütlich grast in Zeitungen dein Blick....
Noch sind die großen Fenster unverhangen.
Der Mime thront wie stets gesalbt und dick,
oft ist ein Mädchen durch den Saal gegangen,
und andre Frauen sitzen lauernd, starr,
in rätselhafter Lockung, hold verdächtig.
Wär ich nur dort! Als alter Liebesnarr
wär ich der Sinne wieder nicht mehr mächtig.
Und sicher hält das rührend junge Paar
sich wieder schüchtern auch in seiner Nische.
Und der Provinzboheme Jugendschar
gestikuliert wie einst an ihrem Tische.
Und manches zarte, schlanke, seidne Bein
ist draußen wie ein Gruß vorbeigeschritten.
Den alten Stammgast hört man herrisch schrei'n,
zwei schmerzliche Madonnenaugen bitten.
Und wieder sausen draußen schattenschnell
Autos vorüber, Radler, Straßenbahnen,
dreht tönend sich des Lebens Karussell,
sind Schicksale im Lauf, die wir nur ahnen.
Wer hier auf diese Insel sich in Ruh
gerettet hat, genießt die kurze Lüge.
Dämmern. Der Kellner zieht den Vorhang zu,
und das Café ist nun sich selbst Genüge.
Noch einmal wächst die eigne Stimme laut,
dann nimmt sie ab ... Die Gäste mählich gehen.
Noch einmal hätte ich sie angeschaut,
wie ihre Röcke durch die Türe wehen.
Die Kellner decken für den Nachtbetrieb,
schon nahen pflichtgemäß die Musikanten.
Wie hat mein Abschied dieses Bild noch lieb,
flieht er konzertgeile Familientanten!
Trat in den Abendgarten ich hinaus,
der aus dem Grünen dieser Stadt erblühte,
klang von den Sommerbühnen der Applaus,
im Fluß das Lampion der Barke glühte.
Ein Schätzchen, das um Zigaretten bat,
war lind und spielerisch. Am Himmel flirrte
als zahmer Spaß ein lachendes Plakat.
Und bald ein Arm in meinen sich verirrte.
Das war noch eines schlichten Glückes Zeit!
So harmlos fröhlich reihten sich die Tage
zur Blumenkette. Diese Einsamkeit,
die stets mich würgt, war eine ferne Sage.
Doch eine ferne Sage wurde nun
das sel'ge Einst dem ewig Unerlösten,
wenn wieder hier mir alle wehetun,
wird jetzt die Heimat lieb wie stets dich trösten.


13. 08. 1928

Letzte Sommertage

Schon verliert der grüne Garten
dieses Sommers seinen Sinn,
und die müden Dünen warten
auf des Winters Anbeginn.

Spiegelt sich dort an der Brücke
nicht die dunklere zum Tod?
Fuhr in allem Ferienglücke
auf Gefahren nicht mein Boot?

Keine noch so schönen Worte
bringen wieder, was verfloß.
Einer stand an jeder Pforte,
der sie hinter mir verschloß.

Einen weiß ich auf mich warten,
mir die letzte aufzutun
aus des Sommers welkem Garten
hin, wo wir für immer ruhn.


11. 06. 1927

Das unfruchtbare Glück
(Für Gottfried Benn)

Auf allen Bänken döst es lebensfett:
Die Muttersau, ihr Auswurf, das Gekröse,
und hier und da ein Großpapaskelett,
das Ahnenwrack im Wagen, blöd und böse.

Das schmierige Geschmeiß, die Krötenbrut,
das quäkt -und kotzt und kackt und grätscht im Drecke.
Das welke Fleisch, das junge. Kot und Blut
und Ammenschwatz von Windeln und Gehecke.

Daneben Mädchenjungvieh, lüstern, schmal,
und wie das wippt, zwischen den flinken Schenkeln
den schieren Strich, das lasterhafte Tal,
den ewigen Grund zu abertausend Enkeln.

Das alles wimmelt wie Gewürm im Moor,
in Glut gehurt, sich in die Gruft zu huren,
bringt immer wieder neuen Tod hervor
und überschwemmt mit Menschenpack die Fluren.

Doch ewiger und unberührt und groß
bewahren sich der Wald, der Berg, die Wiese;
fließen die Ströme in des Meeres Schoß,
blüht immerdar der Baum im Paradiese.

Er ist und blüht und bleibt, was auch geschah,
und kann das endliche Verwehn erwarten
von dem, was Menschheit hieß und nimmer sah
das -unfruchtbare Glück: den Göttergarten.


11. 10. 1927

Wieder ein Sommer verloren

Wieder ein Sommer verloren,
Jahr um Jahr mich bestiehlt;
was ich zu tun mir geschworen
wieder versäumt und verspielt.

Wieder die dankbaren Tage
und die gütige Nacht
immer mit fruchtloser Klage
um ihr Leben gebracht.

Immer mit Zweifeln und Zagen
Glück, das sich nahte, verpaßt.
Immer für eignes Versagen
andere verklagt und gehaßt.

Alles zur Liebe Bereite,
freundliches, bräutliches Du
dicht an meiner Seite,
gab ich mir nicht zu.

Stets von mir selber bedauert,
eigner Tragödie Held,
der auf das Mitleid lauert:
Sieht mich die ganze Welt?

Hört sie das Leid meiner Lieder?
Wie es mich selber rührt!
Immer und immer wieder
zu Traumorgien entführt.

Wenn jetzt dem Tal vor den Toren
herbstliche Nebel sich nahn:
Wieder ein Sommer verloren,
wieder ein Leben vertan.


24. 10. 1926

Herbstabendgrausamkeit

Herbstabendwehmut, stete Wiederkehr;
so einsam fühlst du dich in deinem Zimmer,
und Einsamkeit und Wehmut trifft noch mehr
aus eines Nachbars geigendem Gewimmer.

So klang auf deiner Kleinstadtgasse einst
stets eines Übenden Getön ins Trauern
der eignen Weltverlassenheit. Du weinst.
Und das Entsetzen rieselt in den Mauern.

Heut mittag gingst du traurig durch den Park,
doch deine Trauer war ein süßes Schmecken
von eitlem Weltschmerz. Dein Vertraun blieb stark
und spielte kindlich mit dem Tod Verstecken.

Die andern ließen stolz ihr neues Kleid
am ersten kalten Tage hier beneiden.
Gleich beifallheischend war dein Mimenleid,
dein Wandeln unter welken Trauerweiden!

Dann kamst du heim und spieltest dir zur Lust
den herbstlich müden Weltverächter weiter.
Wie künstlich war der Stern in deiner Brust,
wie sehr Kulissenwerk die Galgenleiter!

Bis jetzt der Abend dieses Spiel zerbricht;
es greifen wahre Ängste an dein Leben.
Da helfen die verlognen Posen nicht,
da kannst du nicht im Traumgewölk entschweben.

Des fremden Geigers Angstmonotonie
treibt wie ein Wild dich zu des Todes Toren.
Herbstabendgrausamkeit. Sink in die Knie!
Die Welt wird abgewürgt. Du bist verloren.


19. 06. 1928

Der Verbrecher

Keiner seiner Nächsten weiß um den Verbrecher:
Seine Tat versank wie nie geschehn.
Wohlgelitten in dem Kreis der Zecher
sitzt er sehr beliebt und angesehn.
Blick und Stimme wird ihn nicht verraten,
keiner so wie er von Herzen lacht,
und von seines Tages bösen Taten
trübt den frohen Abend kein Verdacht.
Dann wird er ganz leicht nach Hause schreiten.
und er singt beschwingt sich noch ein Lied.
Rachegeister nicht sein Gehn begleiten,
und kein fliehend Tier sein Wesen mied.
Freundlich spricht er noch mit einer Hure,
schenkt ihr seines Raubes letzten Troß
und steckt sehr vergnügt auf seinem Flure
dann den Schlüssel ins gewohnte Schloß.
Leisen Fußes, nicht die Frau zu wecken,
schleicht er schüchtern durch den Korridor,
läßt das Wasser leise in das Becken
und vergaß schon lang, daß er dort fror,
wo er das, was die Gesetze strafen,
frei von Angst und von Gewissensnot
selbstverständlich tat. Im sichren Hafen
seiner Wohnung landet nun sein Boot.
Selig ruht er an der Liebsten Hüfte,
keines Traumes Schreckbild ihn bedrängt,
durch das Fenster wehn des Gartens Düfte
in den Kinderschlaf, der sie umfängt.
Ruhigen Gemütes liegt er in den Kissen
und wird morgen strahlend auferstehn,
niemand wird um sein Verbrechen wissen,
was geschah, ist längst nicht mehr geschehn!


 26. 10. 1927

Herbstvision

Doppelköpfig fliehn sie ins Ungewisse,
Augen, schwärmend auf Wiesen, schwärmend auf Stein,
Arm und Busen blutend vom Liebesbisse,
manche werden in Paradiesen heut sein.

Jetzt tritt ihr Fuß noch auf Staub und Orangenschalen
und ihr Glaube traut einem Zeitungsblatt,
ihre nervösen Handbewegungen malen
auf die Manschette Zahlen. Sie lächeln satt.

Lüften sich und verweilen im D-Zug-Gange,
Wiesen wehn vorüber, Wasser und Stein ...
Einsam tags vor einer Tür stand ich lange,
um in der Nacht unsres Glückes auch einsam zu sein.

Doppelköpfig sind sie um unser Lager,
grinsend und weinend, voller Verachtung und Gram.
Aus den Tapeten reckt eine Hand sich mager,
aus Fensterrosen blüht eine Mädchenscham.

Alles : nur mich zu reizen, nicht zu erreichen,
ohne Blut, ohne Farbe, gestaltlos und bleich.
Herbstlaub liegt im Park auf den sterbenden Teichen,
reglos verdämmert mein einsamer Lebensteich.

Kein Gesang ist aus den Fluten zu hören,
keine Stimme, die um ein Echo wirbt.
Herbstlich rauschen die Bäume in Trauerchören.
Verlassne Lauben. Kehricht. Der Sommer stirbt.

Durchs Herbstlaub scharren Schatten ins allzu gewisse
Sterben. Henkersmahlzeit mit Früchten und Wein.
Als ob einer achtlos ein Blatt vom Aste risse,
werden wir morgen vergessen sein.


24. 07. 1927

Schülervorstellung
(Für Kurt Finkenstein)

»Minna von Barnhelm«: Pensum, Tertiaqual.
Heut dürfen, müssen sie ins Schauspielhaus;
gelangweilt lümmeln sie - man kennt sich aus -
Zitate sind Erinnerung, fatal,
an Rüge, Nichtversetztsein, Angst und Zank.
Man sähe lieber den verbotnen Schwank.
Die Kellnerin im »Lamm« war doch nicht krank?
Meist schlummert man wie auf der Klassenbank.
Nur wenn die angebetete Soubrette
als Kammerkätzchen auf der Bühne steht,
kommt plötzlich Leben in den Schülerchor.
Man reckt sich und schielt gierig um die Wette
in ihren Busenschacht, soweit es geht,
und klatscht zum Schluß, trotz Lessings, sie hervor.


13. 06. 1927

Der Liebe Wiederkehr

Je mehr du mich verläßt, desto lieber muß ich dich haben;
je älter ich werde, desto jungenhafter bin ich in dich
                 verschwärmt.
Wieder hat sich heut mit der schüchternen Sehnsucht
                 des Knaben
mein alterndes Herz nach dir gesehnt, um dich gehärmt.

Kehren die Jahre wieder zurück zum Anfang, zum
                 Liebesgarten?
Schließt sich der Ring mit der Umarmung von einst?
Erste, einzige Menschen, die keinen Erben erwarten;
du lächelst: ich lächle. Ich weine: du weinst.

Zu unsern Füßen spielen des Waldes Tiere,
auf dem blühenden Baume schlägt sein Rad der Pfau.
Leben und Traum sind eins. Und die Vampyre
eingebildeten Hasses ersticken in ihrem Bau.

Wir vergessen die Störenfriede, die schattenhaft verbleichen,
die Männer, die Frauen, das töricht verlockende Spiel.
Wir schreiten zielbewußt über unsichtbare Leichen,
und unsre neue Liebe sagt sich viel.

Soviel von dir, von mir, und nichts von allen andern,
das war ein Ton, verhallt, ein Wind, verweht,
und von den Straßen, die sie jetzt wohl wandern,
kein Hauch zu unserm Glück herübergeht.

Von uns auch kein Erinnern und kein Sehnen
zu ihren Blicken, ihrer Zärtlichkeit.
Unter den Brücken, wo wir lässig lehnen,
strömt es ins Dunkel, stumm und todgeweiht.

Wir halten uns umschlungen. Was war, ist begraben.
Wir hören nicht, was draußen lästert und lärmt.
Je mehr der Abend sinkt, desto lieber müssen wir uns haben.
Je älter wir werden, desto zärtlicher sind wir ineinander
                  verschwärmt.


03. 07. 1927

Nacht in den Bergen

Das Dunkel hat Kuppen und Schluchten verschlungen,
nun sucht und schluchzt der Sturm durch die Nacht.
Der Bergbach ist aus dem Schlafe erwacht
und hat sich gleich wieder in Schlummer gesungen.

Im Wehen sind Sterne und Monde ertrunken,
die Wege versteckten sich erschreckt.
Als hätte ich dein Herz entdeckt,
segle ich lustwärts in lautlosen Dschunken.

Es bellt ein Hund. Eine Seele, verloren,
geistert durch den Nebel zu Tal.
Ein Schmerzenskind wird in der Baude geboren
und ahnt nicht den Tag und den Sonnenstrahl.

Ich stehe still unter dem schwarzen Bogen.
Ich Dunkler durchdunkle die stumme Furt
zwischen Niedrung, Gebirge, Tod und Geburt
und bin mit den Wolken ziellos gezogen.

Vergaß den Bach, versäumte die Träume -
Einer hing immer im zitternden Laub -
Für Kinderlaut und Schenkenschrei taub,
verschmolz ich der starren Erbittrung der Bäume.

Denn alles war gestaltlos. Nur Schatten.
Ein schweifendes Tier. Ein Gewächs, das vergeht.
Ein Wesen, das irr im Unendlichen steht.
Jahre, die tausend hinter sich hatten.

Tausend vor sich, im Dunkel verloren.
Winken von Gräsern und Giften und Mohn.
Ein Rehkalb, Schwalbenbrut. Menschensohn.
Geboren, begraben. Begraben, geboren.

Berg, Bach, Sturm, Schlucht. Ewiger Hohn.


20. 02. 1927

Einsamer Abend am Schreibtisch

Am Schreibtisch abends allem fern, was lebt,
bin ich, den Rundfunkhörer umgeschnallt,
ganz nah dem, was im Tanz jetzt glücklich schwebt,
als wär ich dort, wo die Musik erschallt.

Sie lachen, klatschen Beifall. Gläserklang ...
Ich träume traurig meinem Schicksal nach,
das mich in solche Lebenswüsten zwang,
und plötzlich bebt im Tango mein Gemach.

Mißtrauisch lausch ich, wittre den Verrat.
Das Buch, in dem ich las, wird stumm und blind,
und was mir Böses je die Menschheit tat,
rauscht jetzt im Radio wie ein schlimmer Wind.

Der noch heimtückischer ganz plötzlich schweigt,
als sollte alles Leben nicht mehr sein.
Soeben war ich zauberhaft umgeigt,
nun bin ich auf der ganzen Welt allein!

Klingt etwas nach, ist es ein Meer von Hohn,
das rasch mein kümmerliches Schiff verschlingt.
Und nimmer »Dieser ist mein lieber Sohn!«
Die Stimme eines Nachtgestirnes singt.

Ich bin von nichts als Feindlichem umschwebt.
Im letzten Bangen maskenlos entblößt,
am Schreibtisch nächtlich allem fern, was lebt,


 07. 07. 1928

 Abschiedslied

Da es wieder mich entführt
in das Ungewisse,
Todeshauch die Stirn berührt
und Gewissensbisse
um der Liebe welkes Laub
und versäumte Stunden,
die unwiederbringlich Staub,
nun mein Tun verwunden:
Wein ich bitter, hemmungslos
Tränen, die nicht trösten.
Scheinbar in des Glückes Schoß
ist die Not am größten.
Wenn Ersehntes sich begibt,
bringt es nichts als Trauer,
liegt in dem, was mich so liebt,
Unheil auf der Lauer.
Erst wenn uns das Schicksal trennt,
bin ich dir verbunden,
erst der Abschiedsblick erkennt
die versäumten Stunden,
erst der Abschied läßt, zu spät,
Zärtlichkeit entbrennen,
erst dem Lebewohl gerät
glaubhaft das Bekennen.
Alles, was einst lockend rief,
ist jetzt das Verhaßte,
hindert und verwundet tief.
Und die arg verpaßte
Lust, daß mich dein Kuß berührt,
schickt Gewissensbisse.
Da es wieder mich entführt,
bist du das Gewisse!


30. 04. 1928

Angst vor der Fremde

Eine fremde Welt, eine fremde Welle,
Rätselhaftes übers Wasser weht,
unbekanntes Zelt, unbekannte Zelle.
Eine Maske an der Gasse steht,
zweifelhaft sind alle ihre Worte,
keinem Liebesblicke ist zu traun,
und durch eine drohend dunkle Pforte
lockt sie mich in die Gefahr der Fraun,
nackter Frauen, die wie Papageien
Fremdes plappern und unfaßbar sind,
noch im Wollustrausch mit fremden Schreien
wie ein boshaft schadenfrohes Kind
meiner spotten oder mich verraten.
Unterm Fenster ruht der stumme Fluß,
und vielleicht der Mut zu Mördertaten
blüht aus einem Lächeln, einem Kuß.
Wenn sie doch mich in den Tod nicht warfen.
trieben nur mit mir ihr blutges Spiel,
ist mein Heimweg früh bewacht von Larven,
und ich darf nicht fragen nach dem Ziel.
Müde irr ich an den blassen Grachten.
Find ich Fremder noch einmal nach Haus?
Im Hotel wirst du mich dann verachten,
meinem Drama fehlte der Applaus.
Weindunst flechtet keine Lorbeerkränze
um die Stirn mir, einsam schlaf ich ein,
neben mir dein Antlitz. Tausend Tänze
werden zwischen unsern Träumen sein.
Hochzeitstänze oder Totentänze?
Wohin treibt uns diese trunkne Fahrt?
Jeden ganz allein? Und welche Kränze
werden unserm Los dort aufbewahrt?
Wenn wir landen mit der fremden Welle,
schweigend das Geheimnis vor uns steht,
unbekanntes Zelt, unbekannte Zelle,
Rätselhaftes übers Wasser weht.


18. 04. 1928

Gewissensqual bei einem Massenunglück

Geborgen saß ich Sonntags hier im Zimmer,
der Rundfunk gab mir Tanz und Lustbarkeit.
Und draußen war Verwundeter Gewimmer,
ein Sterbender, der nach der Mutter schreit,
in Wagentrümmern röchelten Zerfetzte,
und auf die Opfer sank der Flocken Fall,
als meine Lippe am Likör sich letzte
und ich nachsann der Lust vom letzten Ball,
den schlanken Beinen, die mich damals bannten.
Ist jene Frau, mit Augen liebesmatt,
die dort mich lockte, bei den Unbekannten,
tödlich Getroffne auf der Unglücksstatt?
Vielleicht auch leidet dort mein Feind jetzt Qualen,
dem ich im Wutrausch wünschte alle Not,
mit seinem Blut spür ich mich Kreuze malen
und weiß: um meinetwillen ist er tot!
Durch mich auch litten also all die andern,
die mit ihm starben. Wo im Recht ich war,
bin ich sehr schuldig, und ich hör das Wandern,
mich anzuklagen, einer Schattenschar.
Sie tastet stöhnend, blind, auf allen Vieren
sich vorwärts zwingend, ihre blutge Spur,
ein wüster Zug von wunden Schlachthaustieren.
Mit ihr im Bunde dunkelt die Natur
sich ein zu winterlichem Trauerdämmern.
Und alles rückt an meines Tisches Bord
bedrohlich vor, mir höllisch einzuhämmern
den großen Fluch, den schwersten Vorwurf: Mord!
Was hilft es mir, die Tücke zu benennen,
die mich verheerte mit geheimem Gift?
Sie sprechen mich nicht frei. Die Wände brennen,
und Todesurteil ist die Flammenschrift,
vor dem sie nicht Verteidigung gewährten,
auch nicht für Buße oder Abschied Zeit.
So lieg ich einsam, ohne Leidgefährten,
ein Sterbender, der nach der Mutter schreit.


Mitte August 1928

Die lieben Hochzeitsgäste

Sie saßen nahe bei den Neuvermählten
und hatten schadenfroh auf alles acht.
Wenn Kellner in der Rechnung sich verzählten,
dann haben sie befriedigt aufgelacht.

Sie hofften auf geheime Gaunerzeichen
zwischen der Schwiegermutter und der Braut
und waren wieder wie beim letzten Leichen-
schmaus ungebührlich lästig, frech und laut.

Sie buchten alle Blicke, die verstohlen
vielleicht ein Mädchen und ein Greis getauscht,
und haben sich an den geschmähten Bowlen
zuletzt aus purer Niedertracht berauscht.

Dann fielen sie wie hingemäht von Schlachten;
man bettet sie verstehend, voll Geduld.
Doch als sie andern Morgens weh erwachten,
gab ihr Erbrechen nur dem Wirt die Schuld.


18. 01. 1924

Verhängnisvolle Nacht

Ich möchte deine Schlummeraugen küssen
und wag mich nicht ins Zimmer nebenan,
will lieber, als dich wecken, warten müssen,
bis auch für dich ein neuer Tag begann.

Du träumst vielleicht beseligt von Genüssen,
die ich in Wahrheit nie erfüllen kann,
mich aber hetzen hier mit Jägerschüssen
Verfolger durch den Winterwald bergan.

Aus Büchern, die ich las, jagten sie mich
in meiner Heimatberge weißes Sterben,
indes dich nebenan dein Schlaf vereist.

Weil du so fern mir bist, wagen sie sich
mit allen Waffen jetzt an mein Verderben,
und wachst du morgen auf, bist du verwaist.


18. 02. 1928

Sterbelied

Alles ist Vergehn und stetig Sterben,
immer bröckelt Kalk an jeder Wand,
Blumen welken, Kelche werden Scherben,
sinnlos rinnt der Sand durch meine Hand.

Sinnlos tropft der Regen an die Planken,
ist das gestrige Plakat zerfetzt.
Unsre klarsten, ehrlichsten Gedanken
tasten angstvoll um das Wort »Zuletzt«.

Denn zuletzt kann uns kein Freund mehr retten,
hilft uns keine Frau in Todesnot.
Und die Opfer in den Sterbebetten
röcheln einsam und sind einsam tot.

Doch die Wagen fahren durch die Straßen,
Läden leuchten, und man sitzt beim Wein.
Und wie immer über alle Maßen
wird die Welt auch morgen wirklich sein.

Ohne daß wir eine Lücke ließen,
ohne daß uns irgendwer vermißt,
wird, was lebt, sein Lebensglück genießen,
und die Witwe faßt sich und vergißt.

Höchstens hängt dein Bild noch in dem Zimmer,
wo ein andrer jetzt mit ihr sich freut.
Und es färbt des Abends sanfter Schimmer
einen Mund, den sein Verrat nicht reut.

Höchstens weist sie noch auf deine Züge,
andre aufzustacheln im Vergleich,
und in ihrer kümmerlichen Lüge
bist du allzu spät an Wollust reich.

Bist du ein Gespenst für deinen Erben:
Lachend hüllt er sich in dein Gewand.
Alles ist Vergehn und stetig Sterben,
sinnlos rinnt das Jahr durch jede Hand.


19. 01. 1927

Himmelfahrt

Bin ich bei euch? Ich fühle mein Entschweben.
Ihr sprecht noch weiter, wenn es mich umschweigt.
Soll ich euch meine Hand zum Abschied geben,
da doch mein Weg schon zu den Sternen steigt?

Ich scheine noch an eurem Tisch zu sitzen:
Ihr trinkt mir zu, ein Schatten gibt Bescheid;
es spielen in vergoßnem Wein die Fingerspitzen,
mein Knie berührt ein seidnes Frauenbein.

Im Spiegel hält sich eine kleine Weile
mein Lächeln noch, das längst dem Jenseits galt.
Und wie ich neuen Welten jung entgegeneile,
dünkt euch mein Antlitz kummervoll und alt.

Mitleidig will ein Mädchen mich erlösen,
und schenkt mir einen Blick, der zärtlich wirbt -
mein Schatten grinst, er blieb in allem Bösen
und Häßlichen zurück, das mit mir stirbt.

Er mag sich geizig mit den Kellnern zanken
und wird mit andern Trunknen handgemein.
Doch wenn die Schatten alle heimwärts wanken,
bin ich befreit ganz wundersam allein.

Ich fühle nichts als dieses linde Schweben,
das in das holdeste Ersterben steigt.
Mein letztes Wachsein weint um euer Leben,
dann ist auch Sehnsucht nichts. Es bleicht. Es schweigt.