Max Herrmann-Neiße "Im Stern des Schmerzes" 1924

 

Alfred Kubin


 

Im Stern des Schmerzes

 

Verlag "Die Schmiede"

Berlin

1924

 

erschienen mit einer Auflage von 300 Exemplaren


Inhalt

Der Gefangene

Golgatha der fruchtlosen Revolten

Im Stern des Schmerzes

Nachtfahrt

Unseligkeit

Meer

Fron

Wandlungen

Abendwahn

Der Schicksalsbruder

Mein Stern

Aufbruch

Dem Unbekannten

Entseelte Heimat

Mich ruft der Kampf

Einsamkeit

Spiel des Schicksals

Magie

Altwerden

An die Heimatwege

Die Rettung

Ein Schatten in der Nacht

Am Ende meiner Tage

Gefangenschaft und ewige Nacht

Das Mitleidslose

Dem eine Schwester fehlt

Himmel erhört mich nicht

Absage

Sehnsuchtslied

Verlornes Leben

Ich gehe, wie ich kam

Der Sterbenstraum

Genugtuung

Das Sterben


Gefährtin der Gefangenschaft
 

Magie der Nacht

Nächtlicher Heimweg

Vergißt dein Liebesengel mich?

Vor deines Paradieses Tor

Ungenügen

Verzicht

Morgendliche Schuld

Mein Sonntag

In der Fremde

Choral

Beschwörung

Verwandlung in den eignen Feind

Abend im Gebirge

Selbstverdammung

Einsamkeit ist eine Schuld

Gebet

Verzauberte Nacht

Erlösung


Schatten an der Wand
 

Einer Liebe Tod

Verwandlung Apolls

Der greise Clown spricht zum Zirkusdirektor

Ende des Odysseus und seiner Gefährten

Das Hochamt

Legende

Der Apostat

Capriccio

Das Bild

Der Geopferte

Das Spinnen-Wunder

Vorstadtwunder

Herbst

Du arme Welt

Der Rächer

Der Obdachlose

Auferstehung des Hasses

Vision

Buße

Weltende

zurück zu den Gedichten von Max Herrmann-Neiße


 29. 04. 1917

Golgatha der fruchtlosen Revolten

Bitterlich in eure Not versponnen,
bang' ich, ob Er je sich noch erbarme,
dürre Zweige am versiegten Bronnen
meines Herzens welken mir die Arme.

Eure Schreie prallen wie verlorne,
längst verratne Proben der Empörung
an den Kerker, wo das Ungeborne
bleibt in Fron despotischer Beschwörung.

Arme Brüder in den Jägernetzen
böser Ängste, die euch ganz entstellten,
gnadenlos erwürgt: auch mir zerfetzen
sie das Goldgewebe meiner Welten.

Unter kältrem Himmel, unbehausten
Wolken häng' ich ohne Halt am Ringe
der Verlassenheit, Teil der zerzausten,
sinnlos ewiglich zerstörten Dinge.

Höllensturz der Dome, Buchten, Sonnen,
und das letzte Strahlenherz verarmt:
bitterlich in jeden Tod versponnen
weiß ich, daß er nie mehr sich erbarmt!


09. 05. 1920

Im Stern des Schmerzes

Die mich wohlbehütet wähnen
und von aller Angst erlöst,
'wissen nichts von meinen Tränen,
wenn mein Herz sich selbst entblößt
und erblickt die blutgen Male,
die der Kampf ums Glück mir schlug,
jener zweifelhafte, schale,
unerhörte Glücks-Betrug!
Glück, dies Irrlicht, heißt: verraten,
was mich rein und eigen macht,
daß den Ruf zu schönen Taten
meine Trägheit schweigen macht!
Glück, das heißt: sich an den Qualen
seiner Brüder schuldlos sehn
und mit fremder Angst bezahlen
eignes frevles Wohlergehn,
sich vom Stern des Schmerzes trennen,
der den Himmel mir verbürgt!
Die erlöst mich wähnen, kennen
nicht die Reue, die mich würgt,
nicht, was jedem mich verkettet,
der sich arm und ganz verwaist
des Gewissens Frieden rettet
und der Nacht Schutzengelgeist.
Die mich wohlbehütet wähnen
und vor vielen auserwählt,
wissen nichts von meinen Tränen
und wie tödlich Glück mich quält!


14. 09. 1921

Nachtfahrt

Nun muß ich die Ströme des Abends befahren,
die Wolken werfen meinen Kahn
ich taumle entfesselt im wunderbaren
ans Weltende tanzenden Mondwandlerwahn.

Ich tanze nackt in dem schaukelnden Nachen,
die Sterne werfen sich hoch aus der Flut,
mit silbernen Lauben überdachen
sie spielend den Flußgott, der eingemummt ruht.

Die Hände tauchen entflammt in die Wellen
verliebter Träume und streicheln sein Haar ...
Sein Erwachen wird unsern Nachen zerschellen
am Grab der Najade, die mich gebar.

Schon werden die Ufer des Dunkels unkenntlich,
daß sich kein Traum mehr zu landen getraut:
schon steht der Leuchtturm des Tages unendlich
an die verlassenen Wasser gebaut.


März 1919

Unseligkeit

Daß nie der zauberhafte Brief
gekommen ist zu rechter Zeit,
daß nie der Mutter Stimme rief
aus ihrer Todverlassenheit
das Geisterwort, das abgrundtief
von aller Lebensangst befreit,
daß nie urweit und aberweit
in Wanderschaft ein Traum entschlief
von Ewigkeit zu Ewigkeit! -
Wie stürmt ein Zug voll Sonnengold
durch Vorstadtmärchen wunderhold,
wo Villen bunt wie Tulpen blühn
an goldnen Seen und Waldesgrün,
wo weiß und zart und leichtbeschwingt
ein Mädchen seinen Zauber singt
und sich die ganze Welt beschwingt
zum Orient hinübersingt! -
Und doch kam nie, wenn heiß erhofft,
der einzig rettende Besuch,
und fruchtlos rief vor Toren oft
ein Ausgeschloßner seinen Fluch,
und drinnen wartet wie zerfetzt
der ganz Verlaßne auf sein Wort,
bis daß des andern Schritt zuletzt
ist hoffnungslos im Dunkel fort.
So bang die Nacht der Schrecken schreit,
der Mensch dem Menschen fremd entlief;
nie war ein zauberhafter Brief
gekommen noch zu rechter Zeit,
und keiner Mutter Stimme rief
aus irrer Todvergessenheit
das Geisterwort, das abgrundtief
aus aller Lebensangst befreit,
und nie urweit und aberweit
ein Traum zur Wanderschaft entschlief
von Ewigkeit zu Ewigkeit.


August 1920

Meer

Könnt' ich das Meer in meine Strophen bauen,
so wäre ich dem Gotte nah, der nun
aus Furcht nur und mit Blicken nicht zu schauen
gewußt wird als stumm drohender Neptun.

Mit weißen Löwen springt er in die Dünen
und jagt die Angst der Wälder vor sich her.
Wie könnten meine Verse sich erkühnen,
ihn zu bestehn und seine Größe: Meer!

Riß er in seines Rausches Katarakte
auch manches Netz aus meinem Traumgespinst -
wenn mich des Tages Arm noch einmal hackte,
ward mir aus aller Meerfahrt kein Gewinst.

Unendlich bangt die Einsamkeit der Erde;
des Todes Echo pocht in meiner Brust.
Ob ich zuletzt zur Meereswelle werde?
Dann hat mein Lied ja fern von ihr gewußt!

Bewahrt mein Lied in seiner Muschel immer
von einer Meereswoge den Akkord,
kommt meine Sehnsucht als ein kühner Schwimmer
umsungen an des Totenflosses Bord.


19. 01. 1921

Fron

Immer furchtsam morgens und verstohlen
schleppt er sich voll Sorgen ins Büro,
was der Lohnherr gestern hat befohlen,
machte schon den Traum der Nacht unfroh.

Unfroh schlüpft er in den Arbeitskittel,
Lied der Sonne ging für ihn nicht auf,
unterm Drohblick wüster Mühsalbüttel
muß verstummen Vogelsangs Glückauf.

Glückauf winkte unterwegs das Grüßen
einer Frau, der ich nicht folgen darf,
meines Vaters Los zu Ende büßen
ist die Hölle, in die Gott mich warf.

Warf mich Gott so tief aus Paradiesen,
um den Vater zu befrein durch mich?
Ach, sein Schatten leidet unter diesen
Opfern seines Sohnes ewiglich.


29. 12. 1919

Wandlungen

Da mir mein Gott einst alles nahm,
mir auch die letzte Scham noch nahm,
daß ich aufs tiefste mich verlor,
mich selbst verlor und ihn abschwor,
mich niedriger Gelüste Trieb
verstellt aufs Schaugerüste trieb,
daß ich bei fratzenhaftem Spaß,
was ich von Gott besaß, vergaß,
war eitel ohne Sinn und Maß :
dies Leben so in Leere ganz
war plötzlich ohne Schwere ganz,
wo alles, was mich wüst entblößt
und roh verstößt, mein. Herz erlöst;
weil nichts mehr zu verlieren war,
von Menschen, Dingen, Tieren bar
mein Leben nur in mir noch stand,
kein Liebesband und nichts mehr band,
kein Heimatland, kein Sterbeland,
war Gott und Welt in meiner Hand
und Schmerz und Lust mehr als bewußt
und Reichtum der Verlust.

Da mir dann Gottes Zauberstab
jetzt Gut und Hab und alles gab,
mir gab, wonach mein Herz erkrankt
sich so gebangt und lang verlangt,
mir Freiheit gab zu allem nun,
in ihm zu ruhn, mein Werk zu tun,
in aller Liebe Sternbild stand
im ewgen Brand ich Hand in Hand,
daß Not und Schand und alles schwand -

Zu spät kam Glück, zu spät kam Glanz,
gemäht die Blüten, eh zum Kranz
mir Gott sie wand, mein Herz verschneit,
zu alt zum Land der Seligkeit,
gewachsen keiner Wonne mehr,
gewärmt von keiner Sonne mehr,
zu spät, zu spät, zu lang entbehrt,
daß nun Erfüllung nur beschwert,
daß nun das Herz nichts mehr begehrt,
mich Gott zerstört, wenn er erhört,
was er jetzt schickt, holt nichts zurück:
Unglück ist mein Glück.


10. 07. 1920

Abendwahn

Der Abend vergoldet die Spur meiner Sorgen:
schon sind sie fast schön und lächeln mir scheu,
ob Verzeihung erblüht ...; und ich lächle geborgen,
als bliebe dies Wunder wie keines mir treu.

Die Ährenfelder durchstreif' ich; sie rauschen
vom Flügel meines Schutzengels berührt;
ich knie mich zur Erde, dem Hufschlag zu lauschen,
der dich ins Schloß deiner Träume entführt.

Schon streichelt mein Blick des Waldes Mähne,
daß Funken aufsprühn, die als Sterne bestehn,
in des nächtlichen Festes Fontäne
ist mein Leben als Tanz nur zu sehn.

- - - - - - - - - - - - - -- - -- - - - - - - - - - - - - - - - - -

Dann aber muß ich im einsamen Morgen
die Wüste erkennen, in der ich stand,
und auf der dornigen Spur meiner Sorgen
gebunden sein an ein sterbendes Land.


Juli 1920

Der Schicksalsbruder

Verklingt die Gitarre am Schicksalsgelände,
haucht auch mein Lied seinen letzten Laut:
meines fremden Zwillingsbruders Hände
sind von meinem Todesschweiße betaut.

Er weiß das Wort, in dem ich schwinde,
er weiß die Straße, die mich zermalmt.
Wenn ich das Spiel seiner Hände binde,
fall' ich von seinen Gebeten umpsalmt.

Ich kann ihn nicht von mir vertreiben,
niemals entkomm' ich seinem Ruf.
Die Ähre, die meine Finger zerreiben,
birgt nichts, was seinem Schatten schuf.

Kein Sandberg verschüttet mich sanft, seinen Banden
wäre kein Husch meiner Ohnmacht entrückt.
Mein Tod ist nicht meiner: ich gehe zuschanden,
wenn einst jenem Fremden mein Abschied glückt.


24. 09. 1920

Mein Stern

Stern, der durch mein Fenster trat
in den Tanz der Nachtgedanken,
seine weißen Veilchen tat
auf die Hand des Schaffenskranken,
seine Hilfe mir verhieß,
winkte noch im Morgenschimmer,
als er engelstill verließ
mein vom Wachen blindes Zimmer:
Stern, wann kehrst du zauberhaft
wieder meinen Traum zu lieben?
Bist du auf der Wanderschaft
durch die Himmel fortgetrieben,
fern im Wolkenozean
auf ein Inselgrab verschlagen,
nie zu retten, abgetan
wie der Staub auf meinen Tagen?
Tage mir und Nächte gehen
als Gespenst durch meinen Jammer;
kehrst du doch noch, Wundersamer,
wird in meiner Sterbekammer
Grabeswind dein Licht verwehn.

Stern, der durch mein Fenster trat,
deine weißen Veilchen welken - -


12. 01. 1921

Aufbruch

So brach ich auf von Mitternacht nach Schattenland
von Rauch umspielt; der Zwerg, der neben mir den Ölzweig
                   trägt,
raunt fremde Worte, und sein schleppendes Gewand,
gedacht für einen Größ'ren, Warnung an den Schritt
                   mir schlägt.

Und plötzlich seh ich: hält nicht meine Hand ein Buch,
in dem ich las, bis das Unsagbare mich wandern hieß?
Verklagt es mich? Schon weht ein salziger Geruch,
schon rauscht ein Meer, das keine Zelle an der andern ließ.

Ich suche nach dem Floß, das mich hinüberträgt -
der Zwerg ist wegverweht, ein Distelzweig im Dünensand,
mein bloßer Rücken blutet, eine Geißel schlägt,
und ich vertraue mich dem Leitstern einer kühnen Hand.

Was mich so züchtigt, kennt mein Herz und liebt mein Leid.
Blutrote Segel flügeln über mir zum Grab der Welt.
Ich blicke nicht zurück. Die Nacht zerreißt ihr Kleid,
hebt an zu klagen und verbrennt ihr irdisches Gezelt.

Nichts Lebendes ist mehr bei mir als ein Delphin,
in dessen Augen eine Sünde meiner Mutter büßt;
ich küsse seine Lider und entzaubre ihn
zu einer Rose auf der Sintflut, die mein sterngewordner
                    Morgen grüßt.


 06. 12. 1920

 

Dem Unbekannten

Vielleicht auch meistert mich ein Unbekannter,
für den ich meine Lieder singen muß,
ach, den ich niemals kennen werde,
denn er irrt flüchtig als Verbannter,
daß heimatlich mein Lied gelingen muß,
und seinen nackten Fuß muß brennen Erde.

Muß nachts zu Eis erstarren Wintererde -
vergebens betet er um Herd und Dach
und daß sein Wanderstab einst bleibe
und Rosenstock im Garten werde,
daß er geborgen sei im Gastgemach,
so wie das Antlitz hinter einer Scheibe.

Mein ist das Antlitz hinter dieser Scheibe,
ich denke an mein Lied und sehe nicht
den Fremdling, den es speisen sollte.
Entrückt den Freunden und dem Weibe,
werd ich wie blind, und ich verstehe nicht,
wohin des Fremden Hand mich weisen wollte.


26. 12. 1918

Entseelte Heimat

Die Hügel heben bange Sterbeblicke
zu einem Himmel, der des Fremden voll
unheimlich droht. Die schweren Weltgeschicke
erwürgten auch in diesem Wald Apoll.

Der liebe Feldweg ward zu Grab getragen,
entweste Weiden klappern den Choral,
gespenstische Vernichtungsstürme schlagen
den Staub der Jahre aus dem Kornblumtal.

Warst du mir Heimat einst und bist verwandelt
in einen Totenacker meines Traums?
Die Pfade, die ich brüderlich gewandelt,
ertränkt die Sintflut menschenlosen Raums.

Entgöttert birst der letzten Zuflucht Rettung,
kein Aufschub ist dem Tödlichen vergönnt.
So duld' ich in chaotischer Verkettung,
was ihr Verhüllte nicht entzaubern könnt.


03. 08. 1919

Mich ruft der Kampf

Ich muß den Kampf, aus dem ich mich entfernte,
nun doch zu Ende bringen. Schon bedroht
sein Wetterleuchten meine sanft besternte
friedliche Rast mit seiner Sterbensnot.

Schon droht sein Donner meiner waldentrückten
heimlichen Flucht an des Gebirges Born;
schon ahnen meine einsamkeitsbeglückten
Schläfen der Märtyrkrone Schmerzensdorn.

Eichhörnchen, das in meinem Ruhn sich spiegelt,
spielt nicht aus meinem Blut den harten Zwang,
dem Ruf zu stehen, der mein Herz aufwiegelt,
sei es zum Siege oder Untergang.

Es holt mein Schicksal mich zurück. Ich lernte
doch kaum die süße Waldlegende singen
und muß den Kampf, aus dem ich mich entfernte,
dennoch zu Ende bringen.


26. 06. 1921

Einsamkeit

Baumseele lauscht im Brunnen der Buche
auf der Wipfel Abendgeläut -
Mir aber wurde vom Elternfluche
die Heimat in alle Winde zerstreut.

Ich höre keinen Himmel mehr klingen
hernieder in mein Werkgebet;
ungesegnet muß ich vollbringen,
was über meine Kräfte geht.

Ob Engel mich von fern begleiten,
meine Einsamkeit läßt sie nicht ein.
Weltseele lauscht im Brunnen der Zeiten
auf ihr eignes Gotteinsamsein.

Ich habe mich allzulange verschlossen,
jede Erfüllung fände mich taub:
Ich bin verlornem Volke entsprossen,
den Winter überlebt kein Laub.

Und werden grünen neue Gärten,
und werden neue Feste sein:
es dringt kein Lächeln der Gefährten
in meine Einsamkeit mehr ein.

Ward meine Asche doch vom Fluche
in alle Winde längst verstreut ...
Baumseele lauscht im Lenz der Buche
auf ihrer Wipfel Frühgeläut.


24. 01. 1921

Spiel des Schicksals

Dankt mir einer, hab ich's nicht verdient;
schilt mich einer, trag' ich keine Schuld:
Nachtgespenster, wenn ihr mir erschient,
wußt' ich nie, war's Strafe oder Huld!

Was an Lebenswirrsal mich umkreist
und im Spiegel meiner Blicke springt,
rühmt sich Geist zu sein von meinem Geist
und ist doch durch nichts von mir bedingt.

Flog das Mondlicht über meinem Boot
und verließ mich keinen Ruderschlag,
hatt' ich mir sein Lächeln nicht erdroht,
nicht verlockt durch einen Brudertag.

Immer geh ich wie auf schwankem Moor,
hinterm Vorhang atmet's im Gemach;
alle Liebe, die ich einst verlor,
trägt mir nun, zu spät, ein Kobold nach.

In den dunklen Friedhof wankt der Schritt,
zwischen Gräberkreuzern macht er Halt,
und der Kobold reicht, was Liebe litt,
meiner schattenhaften Windgestalt.

Leichtes Bündel sinkt in meinen Schoß,
schweres Bündel flattert übern Stein;
kleiner Guttat Lohn ist riesengroß,
großer Buße Grund ist wunderklein.

Doch als ihr zum letztenmal erschient,
Todesboten, war ich gern gewillt:
zu erleiden, was ich nicht verdient,
zu empfangen Lob, das mir nicht gilt.


11. 01. 1921

Magie

Wenn du unter fremder Lampe feierst
und mit fremden Menschen menschlich tust,
sinnlos die gewünschten Phrasen leierst
und dich von dir selber sanft ausruhst:
martert dich das Lied, das du verrietest
um ein Weniges an Duft und Trank,
und die Liebe, der du sonst gebietest,
löste sich vom Arm dir und versank.
Fremde Zäune hüten eine Wildnis,
deren Dorn kaum deinen .Fuß verletzt,
in der letzten Hecke strahlt das Bildnis
einer Göttin, deren Blick dich hetzt,
während dich des Zuges matte Flamme
durch die blutenden Gehöfte stößt
und der silberne Komet die Schramme
über deines Herzens Mond entblößt.
Doch der fremden Göttin Blick hält spärlich
schon entschwindend dir am Wege Wacht,
und aus kleiner Lüge fiel gefährlich
deine Einsamkeit ins Netz der Nacht.
Die dich Für den Augenblick betörten
und dich zähmten zum verstummten Gast,

wurden Staub, als sie das Pathos hörten,
das du deinem Tod erobert hast.


26. 07. 1921

Altwerden

So wird man Frauenspiel und Kinderspott,
vertändelt seine Tage wie ein Falter,
verschenkt um nichts aus seiner Brust den Gott,
und unaufhaltsam wächst um uns das Alter.

Schon langt es nah und näher, mich zu fassen,
sein Eiseshauch streift über meinen Scheitel,
bald hat die letzte Hoffnung mich verlassen,
ohnmächtig weint mein Herz: Die Welt ist eitel.

Ohnmächtig such' ich einen, der mir büßte
die Jahre, die sich ungenutzt verloren:
der Liebe Paradies verkam zur Wüste,
und mein geheimstes Werk blieb ungeboren.

Und ungeboren blieb das Liebeszeichen,
das meine Sehnsucht deinem Stern zudachte:
wenn es zu spät ist, kann ich dich erreichen,
und soll gekrönt sein, wenn ich mich verachte.

Verächtlich alt wank' ich durch all die jungen
Glückseligkeiten, die die Erde spendet:
der Lerche Lied wird mir zur Qual gesungen,
euch grüßt ein neuer Tag, wenn meiner endet.

Euch wollen neue Hoffnungen verleiten,
euch locken neue Lichter, neue Lieder,
indessen eure Wege aufwärts schreiten,
steig ich verloren in das Nichts hernieder
.


10. 07. 1921

An die Heimatwege

Wie bin ich euer, ihr Wege, entwöhnt
unter duftenden Bäumen ins offene Land,
daß mein Herz unter eurer Liebkosung aufstöhnt!
Eure Sträucher durchstreift meine zärtliche Hand
und ist noch mit euren Dornen versöhnt,
und es küssen die Füße im Tanz euren Sand.
An euch wird mein Auge in Andacht verschönt,
mein Haar flattert hell wie der Birken Gelock,
mein Lied ist von keinem Hasten verhöhnt.
Blüht die Rose der Flucht mir am Wanderstock,
hat die Wolke Staub noch ein Sternbild im Schoß
und der Herbst eine Myrthe am Bettlerrock.
Euer Winter wird wieder urvätergroß
und streut Kindern zum Spielzeug sein Schneegeflock.
Ihr macht noch den Makler vom Marktische los,
ihr führt die Beglückten ins Himmelsgebirg,
Christbaumlichter herzen euren Steg.
Droht wie Hölle von Ferne mein Schreibtisch-Bezirk,
wird bei euch mir zur Freiheit der sicherste Weg;
komm du liebender Tod, der mich heimatlich birgt!


12. 12. 1921

Die Rettung

Ober meinem Haupt raunt des Gaslichts Stimme
wie der Engel Wind im Baum der Wanderschaft,
schwanker Nachen ich im Strom der Schöpfung schwimme
jedes Halmes froh, den die Hand errafft.

Kalter Zweig berührt die gestraffte Ader,
die sich müht zu spüren, was der Wind verspricht;
höbe ich den Blick, löschte ein Geschwader
Nachtwahn des papiernen Boots gelindes Licht.

Auf der Treppe Glas rastlos tappt die Katze
scheu vor den Gewässern der Unendlichkeit,
bis ich selber irr am Gezelt schon kratze,
gleichen Bluts mit ihr, mir unendlich weit.

Und schon klettert sie wie gehetzt am Maste
und in großem Sprung versprüht sie sternentoll -
Eh der Wirbel ihrer Einsamangst mich faßte,
land' ich irdisch, dennoch ewiger Fernen voll!


03. 04. 1922

Ein Schatten in der Nacht

Ging ich an einer Gracht entlang
und saß auf eines Parkes Bank
und stand auf einer Brücke still:
Was ich von meinem Glücke will,
ist mir genau so unbewußt
wie dieses Tages Leid und Lust,
genau so unbewußt!
Die ich erträumte und erlitt,
durch die ich wie ein Schemen glitt,
um hier an meinem Schreibtisch jetzt
von ihrem Schattenspiel gehetzt
die Faust zu heben wider sie ...
zu finden meine Lieder nie,
weil noch der lang vergangne Spuk
sich dunkel in mein Denken trug
mit mancher Last, mit mehr Gelüst,
so daß mich fast ein Kind jetzt küßt, -

- ach, dieses »Fast« vor jedem Fest
vertreibt den Gast, verbrennt das Nest
der Lerche, die im Frühlicht sang,
als ich auf jenes Parkes Bank
einst lag die lieben `dächte lang,
wo mir schon auch kein Glück gelang, -

dann wankte ich die Gracht entlang
von Eifersucht, Verdacht ganz krank
in meines Hauses matten Gang
ein Schatten diese Nacht entlang,
die mich niemehr verläßt.


15. / 16. 05. 1921

Am Ende meiner Tage

Was könnte mir das Leben noch bescheren:
viel Reue und ein wenig falschen Trost,
zu leiden, daß mein Lied versiegt im Leeren
und die Gefährtin meinen Feind liebkost.
Selbstmörder, Bruder auf der Promenade,
vergebens warte ich auf deiner Bank,
daß deine Kraft mir die Pistole lade,
eh mir der Mut dir nachzutuen sank!
Ersehnte Schwester unter der Laterne,
die einer, den du liebst, um Geld bedroht,
flieh schnell mit mir in das Asyl der Sterne,
eh meine Seele hoffnungslos verroht!
Schon will ich an die Bosheit mich gewöhnen
und heiße mir genehmes Unrecht gut,
die Fron, in welcher deine Stunden stöhnen,
empfange ich als fälligen Tribut.
Wollt Selige mich vor der Schuld bewahren,
daß länger als mein Werk mein Atem währt,
daß sich der ekle Rest von meinen Jahren
vampyrhaft von dem Blut der Jugend nährt!
Ihr zwingt mich schon, ich fühle euern schweren
tödlichen Blick, der meine Brust umschnürt.
Was könnte mir ein Leben noch bescheren,
das stumpf nicht einmal mehr die Reue spürt?
Das sich an jedes Tages Gnade klammert,
gefräßig Jahr um Jahre an sich rafft,
taub für den Gram, der aus den Straßen jammert,
stumpfsinnig in den Tod der andern gafft.
Was könnte euch ein Leben noch bescheren,

das ohne Dank und Andacht nimmt und nimmt?
Selbstmörder, Zeit ist's. mich dein Werk zu lehren;
durchlaufen ist mein Traum, mein Stern verglimmt.


30. 10. 1920

Gefangenschaft und ewige Nacht

Die Lampe über meines Hauses Tor
erlosch, eh ich die Schwelle noch erblickte.
Es wich vor mir zurück der Korridor,
bis die Gefängniszelle mich erstickte.

Mein Zimmer würgte mich wie ein Verlies
mit eisigkalten Händen. Muß versiegen
an seinem Haß mein Lied? Verfluchung stieß
den Kalk von seinen Wänden in mein Liegen.

Denn ich lag wie gebunden, lag und fiel
rettungslos unaufhörlich in das Schweigen.
Die Brücke dieser Nacht trug Flötenspiel
und Tanz und sehr begehrlich laute Geigen.

Ich aber trieb stumm zwischen Tang und Rohr,
die herzlos eine helle Düne bleichte.
Das Sternbild über meines Himmels Tor
erlosch, eh ich die Schwelle noch erreichte.


14. 09. 1920

Das Mitleidslose

Ich fühle durch die fernen Dunkelheiten,
die zwischen mir und meinem Sterben sind,
das Fürchterliche groß auf mich zuschreiten
und ängste mich zu Tode wie ein Kind.

Vergebens grabe ich mich in die Kissen,
das Angesicht des Rächers nicht zu sehn,
und muß mit meinem Blut doch schaudernd wissen,
daß meine Träume ihm nie mehr entgehn.

Er schreitet stumm durch die geschlossne Pforte
und hängt den schwarzen Mantel vor den Mond
und legt mir auf das Herz schwer seine Rechte.

Er bringt mich mitleidslos um deine Worte,
selbst ihre Dornen hat er nicht geschont,
aus denen ich den letzten Kranz mir flechte.


02. 04. 1922

Dem eine Schwester fehlt

Dem eine Schwester starb, den ich nicht kannte,
zu ihm geht plötzlich nachts mein stummer Gruß:
um was ich gestern warb, sein Blick verbrannte
die Lust, den Blumenkelch zertrat sein Fuß.

Daß ich, so jäh schon sein, mich ganz ihm schenkte,
war seiner eignen Sehnsucht nicht bewußt,
als ich nun so allein bei Nacht saß, lenkte
die Schwester seinen Pfeil nach meiner Brust.

Ich sah ihn nahn und blieb, ihn zu empfangen,
ich weiß mit seinem Schmerz mich tiefer eins:
den hab' ich doppelt lieb, der das Verlangen
nach Tod stillt meines schuldbeladnen Seins.

Dem eine Schwester starb, die wir nicht kennen,
nun irren beide suchend wir umher,
um den ich gestern warb und werde brennen
nach ihm bis in den Grund endlos wie er.


17. 04. 1922

Himmel erhört mich nicht

Himmel erhört mich nicht. Hölle erhört mich nicht.
Unschuld starb des Guten wie des Bösen.
Liebe beglückt mich nicht. Feindschaft zerstört mich nicht.
Treue kann mich nicht binden, Verrat nicht lösen.

Ungetan blieb, was ich tat oder ließ.
Morgen wie Abend ist unfruchtbar Wüste.
Nichts erfüllte sich, was mir die Jugend verhieß.
Nichts begegnete mir, was mich von ferne schon grüßte.

Sonnenschein hat mein Geschick nicht heller gemacht.
Wachen ist -wie Schlaf. Schlaf ist wie Wachen.
Keine noch so trunkene Nacht
zaubert ins Lied mir ein seliges Lachen.

Mein Leben umflattert mich wie ein Wind,
Menschenschatten jagen in ihm, nicht zu fassen.
Die Augen der Heimathäuser blicken blind.
Welt ist wie ich selbst von Seele verlassen.

Und die letzte Knospe Gefühl ist verscharrt.
Der Straße Fassaden stehn wie Fallen,
hinter denen des Todes Nichts meiner harrt,
mich wieder gleich zu machen keinem und allen.


Herbst 1917

Absage

Sieh nicht auf unsre Taten:
sie treiben Brudermord,
in unsern Träumen wüstet
des Neides Hungerwolf.

Hör' nicht auf unser Beten:
es wirft der Armen Brot
unter unsern Weg
und schmeichelt dich zu Stein.

Zähle unsrer Zagheit
Sterbensaugenblicke,
blüh' aus unsern Fiebern
goldnen Glockenbaum!

Himmlisches Gewürz
überweh ich künftig
Gottes Gärten dann,
wunderbar vergessend,
daß ich je wie Menschen
menschlich Böses tat.


14. 01. 1921

Sehnsuchtslied

Vielleicht führt es mich sanft
schon morgen fort;
kein böser Feind zerstampft
mein Gärtchen dort.
Die Birken in dem Park,
der einzig sang,
in dem ich mich verbarg
nachtwunderlang,
halten vor IHM nicht stand,
dem Stern und Wind
und goldner Monde Land
das Leben sind.
Im ewgen Fenster gar
das Leuchtturmlicht,
das weiß Liebkosung war
dem Angstgesicht,
löscht wie verspottet aus
und lockt nicht mehr.
Mein heiliges Vaterhaus
leuchtet Heimkehr.
Die liebste Stimme sang
ihr Zauberwort ...
O führte mich ihr Klang
schon morgen fort!


26. 01. 1920

Verlornes Leben

So wie der Anfang war, so ist das Ende:
sein Weihnachtsengel steht mit leeren Händen,
und über ausgestampften Liebesbränden
welkt seiner Jahre jähe Schicksalswende.

Der Springbrunn vor des Hauses Mund versiegte,
er, dem die hellsten Schellen nie genügten,
und dessen Träume keinem Joch sich fügten,
ist glücklich, wenn sich ihm ein Blatt anschmiegte.

Ein welkes Blatt der welken Hand des Alten,
daß er sie wie zu Zärtlichkeiten halte,
und daß in seinen lang verfallnen Falten
sich noch einmal ein letzter Glanz entfalte.

Und seiner Stirne Lieblinge verwildern,
der Bücherreihe liebe Rückenschilder,
mit irren Blicken vor vergilbten Bildern
sitzt er, und sein Erinnern sinnt sich milder.

Mild rinnen Tränen auf die Pergamente,
die ihm dereinst die schönsten Strophen gönnten,
als ob das Feuer noch verstohlen brennte,
dem Phönixfittiche entströmen könnten.

Als ob noch einmal ein Begehren wende
verklärt die jungen Augen und sie fänden
vor Menschen Gnade nicht - so steht das Ende,
wie einst der Anfang stand: mit leeren Händen.


 13. 03. 1919

 Ich gehe, wie ich kam

Ich gehe, wie ich kam: arm und verachtet.
Deinen lernte ich lieben. Keiner lehnte mich lieben.
War meine Mutter nicht aus den Gärten der Freude vertrieben,
hat meinen Vater nicht schon der Gram seines Unheils
                   umnachtet?

Ich gehe, wie ich kam: ohne Stolz, ohne Hoffen.
Keinem gab ich ein Glück. Deiner hat Glück mir gegeben.
Nur als Neid oder Haß konnt' ich all ihre Feste
                  und ihre Genügsamkeiten erleben:
das Tor in den Tod, den ihr Lachen leugnet, sah meine
                  Ohnmacht stets offen.

Ich gehe, wie ich kam. Ich weiß nichts von Reue,
die Lichter im Strom werden euch noch zu mancher
                  Enttäuschung verlocken.
Ich werde auf Landstraßen euch anfallen, als Alb auf eurem.
                   Lager hocken.
Und nur mein Traum hält euch in zärtlichen Verlorenheiten
                   heimlich wohl die Treue.


02. 02. 1920

Der Sterbenstraum

Ich möchte einen Sterbenstraum aufbauen
endgültig zwischen mir und meinem Leben.
Ich möchte meinem Lied den Abschied geben
und mein Gelüst den Winden anvertrauen.

Die Winde wohnen schon in meinen Kammern,
sie rissen meinen Stern in ihre Schlachten.
Ich will das Warten auf ein Glück verachten
und meine Sehnsucht als längst tot bejammern.

In ihren Augen starb, eh sie es schauen,
die Lust am Heimatlande meiner Fahrten,
und auch der Liebesblick, den sie bewahrten,
wird sich zuletzt den Winden anvertrauen.

Die wehn ihm zum Choral der Schattenfrauen.


Frühjahr 1916

Genugtuung

Bin ich dem Laut, den ich lese,
innerlicher verschwistert?
Was bleibt vom Blatt, das mir knistert,
wenn ich in Beeten verwese?

Denn verloren im Feuer,
wo ich mich selber verbrannte,
werd' ich ihm, der mich verkannte?
über den Raum hinaus teuer.

Jenem noch, der mich befleckte,
bin ich die Geißel gen Süden,
bin das Lager der Müden,
bin der Wind, der sie weckte.

Bin die Rose am Laken
der aus Liebe Erwählten:
bin der fruchtlos Gequälten
Trost, daß sie nimmer erschraken.

Und verloren im Feuer,
wo ich mich selber verbrannte,
werd' ich ihm, der mich erkannte,
über den Tod hinaus teuer.


Juli 1919

Das Sterben

Schritt, der im Hofe hallt,
ängstet wie Henkersschritt.
Drohend die stumme Gestalt
nachts in mein Zimmer tritt.

Tastet wie spottend am Spind,
eh sie das Haar mir berührt,
daß mich ein eisiger Wind
fester ans Lager schnürt.

Einmal durchs Blut noch hallt
jäh meiner Straße Ton -
dann geschieht mir Gewalt
über den Sternen schon.


15. 03. 1910

Magie der Nacht

Und wieder vertraun wir der gleichen Nacht uns an,
der gleichen Nacht, die uns morden oder segnen kann,
die unsre Sehnsucht sänftigt und unsers Grames schwersten
                    Schlag
barmherzig aufschiebt bis auf den nächsten Tag.

Die gleiche Nacht, die vielleicht uns nie mehr entläßt
oder dich allein in ihre tödliche Umarmung preßt,
daß wir immer, wie zu einem Abschied für ewig, Mund an
                   Mund
legen, eh wir versinken im bewußtlos mystisch dunklen Grund.

Und liegen weltenfremd einander dann und doch so nah,
jeder in seinem eigenen Paradiese oder Golgatha,
jeder eigener weiter Träume Welten hingegeben, und sogar,
wenn ich in deinem Traum sein darf, ist das ein Schatten,
                    der nie von meinem Blute durchflossen war.

Und stößt uns der Morgen vor sein drohendes Tor,
sehn wir mit unsrer Erinnerung heimlich doch jede Stunde
                    des Tages davor,
hartnäckig wartend, bis er in die magischen Fluten der Nacht
                    verrann.
Nacht der Gemeinsamkeit, Nacht der Entfremdung,
                   die uns morden oder segnen kann.


13. 07. 1920

Nächtlicher Heimweg

Wenn ich heimwärts haste
durch der Nachtstadt Vision,
aus dunklen Ecken umfaßte
die Hand meine Kehle schon;
falsche Lichter wie Spitzel
bieten sich lauernd an.
Durch einen sinnlosen Kitzel
fühl' ich mich trauernd Mann:
einer fremden Lurley ziehn
Begierden vom Leib das Gewand,
eines Autos Vorbeifliehn
peitscht meinen Fuß, und sie schwand.
Bald versink ich in Pfützen,
bald bin ich zu Sternen gesellt.
Flüsternde Engel beschützen
das Stück, das kein Mond erhellt,
Die Birken wanken wie schlechte
Kulissenbilder im Park.
Spielend liegt Satans Rechte
auf des Kirchdaches Sarg.
Es rauscht der Wind an den Mauern
die Brunnen der Heimat herbei - - -
Ich entrann unerhörten Schauern
und schließe das Tor und bin frei
und stürme der stillen Gefährtin
wie trunken in ihre Ruh:
ich verlange Tanz; sie gewährt ihn
und tanzt mich den Göttern zu.


April 1922

Vergißt dein Liebesengel mich?

Wenn ich nicht fühle, daß mein Werk vor dir besteht,
wenn deines Herzens Kühle meinen Weg umweht,
wenn alles, was ich sage, dir zuwider scheint,
und jede Klage, die in meinen Liedern weint,
vor dir belanglos bleibt und eine Störung mehr,
mein Kahn ganz klanglos treibt in der Empörung Meer
von deinem Strande fern, o letztes lichtes Haus,
du weißt: ich lande gern, und löscht das Licht doch aus,
daß ich von Nacht umringt nun keinen Hafen weiß.
Gibst du mich unbedingt den schwersten Strafen preis,
wofür doch mein Gewissen längst sich selber schlug?
Der Himmel ist zerrissen, der dein Sternbild trug,
Gottes Vergebung geleitet mich im Guten nicht,
der Liebesengel schreitet über die Fluten nicht,
der Racheengel stößt mich nicht in die Tiefe hinab,
keine Najade erlöst mich zu sanftem Grab,
wie nicht von dir gekannt treib ich im Ozean,
versunken ist alles Land; mein stummer Todeskahn
in einer toten Welt zieht der Erinnrung nach,

zieht ewig der unendlichen Erinnrung nach....


Februar 1921

Vor deines Paradieses Tor

Was träumst du wider mich,
wenn dich des Schlafes weißes Leid
für Strafe unantastbar macht?
Entrückt sein Luftgefieder dich
in meines Feindes Zärtlichkeit?
Schlägt mich mein schlummerloses Leid
mit grundlosem Verdacht?

Du nimmst aus jeder Hand
und fragst nicht, wer dir Süßes reicht,
und siehst nicht an des Gebers Mund.
Und wer einst meine Hände band,
gilt dir soviel wie, der mir gleicht,
gilt dir wie meine Seufzer leicht
und hat dich ohne Grund.

Du fährst mit jedem Boot
und fragst nicht, welchen Fluß du fährst,
fragst nicht, wohin der Wind uns stieß;
und gleitest über meinen Tod,
als ob du nicht sein Engel wärst,
thronst lächelnd im Gezelt und fährst
stolz in dein Paradies.

Das mir verschlossen wird:
mir gilt nicht seiner Beete Trost,
ich darf in seinem Duft nicht ruhn,
nicht sein der liebgehaltne Hirt,
den mitleidsvoll sein Hund liebkost,
auch das nicht, - und du träumst getrost
davon, mir wehzutun.


24. 01. 1921

Ungenügen

Laß mich die Ängste rasch zusammenraffen,
die herbstlich welk des Herzens Weg verdecken:
kann ich der Liebe keine Flügel schaffen,
muß vor dem Wunder sich mein Stern verstecken.

Es brennt der Dornbusch der Verzweiflung heller,
und höher schwebt der Adler der Umnachtung.
Dein Lächeln ist ein listger Fallensteller,
spannt grausam über alles die Verachtung.

So wirf die Wurzeln meines Baums ins Feuer
und streue ihre Asche in die Winde!
Ich bin so wehrlos vor dem Abenteuer,
daß ich ins Flackern jedes Irrlichts schwinde.

Und doch der großen Sonne nicht genüge,
die rein und unerbittlich alles fordert.
Wer mir das Richtschwert in den Nacken schlüge,
wäre mit Recht von deinem Leid beordert.

Ich segnete ihm selbst dazu die Waffen
und wollte nicht mehr vor dem Tod erschrecken.
Kann ich der Liebe keine Flügel schaffen,
sollst du in Brand mein ganzes Leben stecken.


08. 04. 1920

Verzicht

Ich weiß die Farbe deiner Augen nicht. -
Ich habe meine Seele wohl verloren:
Wo sucht sie mich? - Wir beide taugen nicht
zur Liebe, wir zu Gram und Haß geboren.

Ich weiß die Haltung deiner Hände kaum. -
Wo wandert meine Seele in der Irre
und tappt wie blind? - Uns beide bände kaum
ein Gott so, daß kein Lockruf uns verwirre.

Das Neigen deiner Stirn verbleichte fast
zum Abendschatten. - Wo vergeht die Seele
in Einsamkeit? - Doch eine leichte Last
ist: daß ich mir mein Sterben selbst befehle.

Ich weiß von keinem deiner Lieder mehr. -
In welchen Himmel mag nach soviel Plage
die Seele nun verwehn? - Und wieder leer
liegt unsre Welt als wie am ersten Tage.


Januar 1921

Morgendliche Schuld

Dein Schaudern ahn ich dennoch,
wenn die Morgenkühle deinen Nacken jäh berührt …

In meiner Hand spür ich die Hand der Frau,
die fast im Dunkel noch zu ihrem Tagewerk eilt.
Die nackten Bäume am Kanal begleiten ihren Gang nach
                   Golgatha.

Vielleicht ist auch ein Kind aus seinem Bett verstoßen,
weil schon zum Umzug Schrank und Stühle auf der Regengasse
                   stehn.
Und aus dem Schiff steigt einer fröstelnd aufs Verdeck,
indes am Ufer sich ein Obdachloser löst aus seiner Bank.

Du aber hüllst die nackte Schulter wieder in dein Laken
und rollst dich wie ein Hündchen in den Schlaf zurück,
und neuer Tag beginnt für mich mit neuer Schuld:
Ich feilsche noch um einen Augenblick gottlosen Aufschubs,

eh ich unselig mit den Unglückseligen bin.


11. 06. 1922

Mein Sonntag

Schüchtern will mein Sonntag dich versöhnen,
sucht sein kleines Glück dein Herz zu rühren.
Nichts von alledem kann die verführen,
die Goldsucher göttlicher verwöhnen.

Dürftig blüht der Mai für meinesgleichen,
zwischen Höfen bloß ein wenig Weißes.
Deine Diener harren des Geheißes,
dich zu tragen nach des Südens Reichen.

Erst Genügsamkeit reift unsre Feste,
zaubert unsre Wüste zur Oase.
Du siehst nur im weggeworfnen Glase
billiger Berauschung schale Reste.

Mündet unsre Mainacht in die Mühe
neuer lustverlaßner Wochenplage,
tänzelt jeder deiner freien Tage
in den lockenden Rubin der Frühe!


12. 03. 1920

In der Fremde

Als mich die unbekannte Stadt
in ihrer Nacht gefangen hielt,
was kamst du nicht in meinen Traum?

Mir war's, als ob dein Lächeln matt,
todmatt mir um die Wangen spielt -
doch kamst du nicht in meinen Traum!

Dann sank ich wie ein welkes Blatt,
das niemandes Verlangen hielt,
in einen totenbangen Traum,

der schwer auf fremder Ruhestatt
mich bis zur Früh in Bangen hielt,
bis in des Tages wachen Traum,

in einer unbekannten Stadt,
die nichts für die Verbannten hat,
nicht Bleibe und kein Liebeslicht
und keinen Traum, der Liebes spricht,

und du kamst nicht. -- Was kamst du nicht?


22. 03. 1920

Choral

Sieh mich noch einmal an!
Über ein Kleines
werde ich nicht mehr sein,
geht meine Sehnsucht dann
in ein weltreines
himmlisches Lichtmeer ein.

Laß dich noch einmal zart,
hutsam berühren,
eh mich die Stunde treibt,
daß meine Himmelfahrt
an goldnen Schnüren
mit dir verbunden bleibt!

Sage mir noch ein Wort,
das ich bewahre,
wenn mir kein Stern mehr scheint,
und ich verkünde dort
die wunderbare
Magie, die dich gern mir eint!

Bald wirst du bei mir sein:
über ein Kleines
trennt uns kein Richter mehr,
gehn wir gemeinsam ein
in ein weltreines
himmlisches Lichtermeer.


 02. 12. 1920

 Beschwörung

Dachten wir an jene Gasse,
die wir im Gedicht gefunden?
Plötzlich ist der Mond verschwunden,
daß ich deine Hand umfasse
und wir stumm im Dunkel bleiben,
und die fremden Traum-Veduten
gläsern wie durch Wasserfluten
schweben schon an unsre Scheiben.

Schilf rauscht auf des Marktes Runde,
einer treibt als starrer Schwimmer
durch den grünen Abgrundschimmer
mit dem Wächterhorn am Munde;
und ein Engel vom Altane
steigt mit weißen Lakenflügeln
zu kristallnen Dünenhügeln
der besternten Ozeane.

Und wir zwei im Zimmerschatten
fühlen, daß wir ihm verfallen
bald bei Fischen und Korallen,
was wir im Gedicht einst hatten,
dulden müssen und verloren
ewig durch die Wasser wallen,
alles strömt schon, und wir fallen
in den Tod, den wir beschworen.


05. 12. 1920

Verwandlung in den eignen Feind

Du willst mich nicht mehr kennen,
mein Mund wie Feindesmund spricht,
verworfne Wünsche brennen
sein Zeichen in mein Gesicht.

Ich mag dir fast nicht glauben,
daß ich einst anders war:
und meine Zweifel rauben
die Heil'gen vom Hausaltar.

Das Zimmer hat niemehr wieder
sein abendlich gutes Gesicht.
Ich falle anbetend nieder
vor einer fremden Pflicht.

Ich lobe mit fremder Zunge
meinen eigenen Feind,
der mit Apachensprunge
im Blutrausch mir erscheint.

Er schlägt mich. Die Male brennen.
Ich schlug mich selber todwund.
Du wirst den Toten nicht kennen:
stumm droht ein feindlicher Mund.


11. 08. 1921

Abend im Gebirge

Ich gehe talwärts, Abendkühle mich umflügelt,
des Baches kalter Atem meinen Atem schreckt.
Dort, wo die letzte Helligkeit sich hügelt,
schluchzt eine Quelle tief im Busch versteckt.

Das Ewige rauscht an das Weltgewölbe,
das seine Bögen über mir zerbricht.
Der Mond tritt groß hervor und ist derselbe,
zu dem der Einsame im Kerker spricht.

Auch ich bin einsam, fürchte mich im dunklen Forste,
irr führt der Stern, der in den Wiesen tanzt,
das Echo höhnt, ein Totenvogel äugt aus seinem Horste,
die Nacht hat sich in ihren Menschenhaß verschanzt.

Du schläfst, durchs offne Fenster fächeln dich die Haine,
dein Traum rauscht in die große Melodie.
Du legst dein Haupt getrost an die Gespenstersteine,
und die Meduse beugt vor dir das Knie.

Doch jäh verzerrt ein Schrecken deine Miene,
und Unbekanntes rührt an deinen Schlaf,
als ob mein Heimlichstes vor dir erschiene,
der Haß, mit dem dich mein Gedanke traf.

Ich haste talwärts wie von Furien getrieben -
erreich' ich noch dein Zimmer, eh du mich verläßt?
Ich schmähte eben noch das Wunder »lieben«
und halte jetzt es mit Gebeten fest.

Des Baches kalter Atem gleicht dem meinen,
längst ist die letzte Lichtung dunkel. Ich vergeh.
Du wirst mich, der es nicht verdient, beweinen.
Die Welt wird auferstehn, wenn ich dich wiederseh.


21. 10. 1920

Selbstverdammung

Ist alles zwischen dir und mir gesagt,
daß ich mich selbst um deine Liebe brachte?
Zur Nacht, in die sich keine Lüge wagt,
gesteh ich mir, wie sehr ich mich verachte.

Aus meinen Händen glitt des Wortes Kraft,
und, was ich einst versprach, groß zu vollenden,
ist längst beschämt verstummt und zweifelhaft
und wird sehr bald in Unratschluchten enden.

Ich sehe andre fromm an ihrem Werk,
das ihren Morgen, ihren Abend heiligt.
Ich aber bin mit spöttischem Vermerk
als Neider nur an ihrem Tun beteiligt.

Ich kaure an der Pforte ihres Glücks,
das Echo klappert Weinen und Verfluchung,
und auch dein Herz verriet ich hinterrücks
unstet im Irrtum ewiger Versuchung.


15. - 18. 04. 1921

Einsamkeit ist eine Schuld

Einsamsein ist eine große Schuld:
der verläßt uns, den das Herz schon mied.
Wie ummauert hocke ich am Pult
und verliebe mich ins eigne Lied.

Hab' ich herzlos mich von dir getrennt,
sei es um der kleinsten Reise Ruhm,
jede Träne zählt, und schuldig nennt
mich ein Sehnsuchtsblick wie Witwentum.

Frommt es, daß ich dort im fremden Land
mir dein Bild in jeden Spiegel log,
faßtest doch umsonst nach meiner Hand,
wenn dein Traumglück beim Erwachen trog.

Und ich stand an unbekanntem Haus,
dichtete in seine Zimmer Lust,
gingen drin die fremden Lampen aus,
traf's dich, daß man einsam sterben muß.

Ob ich bald zurück zu dir mich fand
und in Reue, hat nichts gut gemacht:
faßtest doch umsonst nach meiner Hand,
zu einsamer Ewigkeit erwacht!


10. 01. 1921

Gebet

Laß mich nicht mißachtet werden,
wenn mir Sühne auch gebührt:
hab' die heftigsten Beschwerden
selber wider mich geführt.

Aber wenn dein Blick mich eisig
fallen läßt und ganz vergißt,
modert unter faulem Reisig
einer, den kein Mensch vermißt.

Den die Glocken nicht beklagen,
selbst die Nacht das Dickicht scheut,
dessen Zweige um mich schlagen
kümmerliches Grabgeläut.

Und ein Bettler, der mich findet,
flieht mein Antlitz und behält
Furcht, die er nie mehr verwindet,
die noch seinen Traum befällt.

Nackt im Mondschein tanzt entzückend,
die mein Auferstehen haßt.
Keine Freundschaft hat beglückend
mich mit Zärtlichkeit umfaßt.

Mich entzaubert keine Liebe
aus dem Dornbusch meiner Not.
Winktest du, kein Wundmal bliebe
vor dem heil'gen Morgenrot.

Winktest du, auf Flügelpferden
wär ich aller Angst entführt! -
Doch du läßt mich Dulder werden,
strafst mich so, wie sich's gebührt.


25. 05. 1922

Verzauberte Nacht

Er war bei ihr. Die Nacht war allzu schwül.
Durch die geöffnete Balkontür drang
zuviel des Lebens in ihr Lustgefühl:
Gehast der Bahn, der Straßen Überschwang,
von einer Wanderschar der Lautensang,
sprach unterm Fenster einer tödlich kühl
von einem Handel, der ihm grad gelang.
Ihr Haar hing, Trauerweide, aufs Gestühl.

Ich wog dein Wort. Wahnferne Bahnen pfiffen.
War wo ein Mord? Schrie eine Katze schrill?
Ich trank den Rest im Glas und saß und saß ...
und hab' nach deiner toten Hand gegriffen:
die gab kein Liebeswort und war so still
wie einer, der sein Leben längst vergaß.


29. 06. 1921

Erlösung

Wie ich dich einst zum ersten Male sah,
seitdem wir Liebenden uns nie verließen,
bist du mir, eh sich meine Augen schließen,
noch einmal über alle Jahre nah.

Des alten Baches sanfte Wasser fließen,
und es geschieht mit mir, was einst geschah:
die Welt ist nur um deinetwillen da,
und jede Welle will dein Bild genießen.

Ich bin ein junges Grün am Uferrande
von deiner weichen Zärtlichkeit gestreift,
noch zweifelnd, ob ich je dich wiedersehe.

Ein kleines Lächeln läßt du mir zum Pfande,
und wie mein Schreck nach deinem Schleier greift,
ist es: daß ich schon eins mit dir vergehe.


17. 06. 1922

Einer Liebe Tod

Aus rohen Worten eine Dornenkrone
-war alles, -was ihm seine Liebe ließ;
der einst der Glücklichste den Menschen hieß,
verbarg; sich einsam nun vor ihrem Hohne
und grübelte: »Wie konnte das geschehen,
und -warum trifft dies Niegeglaubte ihn,
daß Freuden, deren Frühling ewig schien,
mit einem Male rettungslos vergehen?
Wo waren jene Stunden der Vertrautheit,
die gegen alle nur sie zwei verband,
wenn ihrer Lust stilles Geheimnisland
war Insel auf dem Meer herzloser Lautheit?«
Sie hatte plötzlich starr vor ihm gestanden
mit einem Blicke, so unnahbar kalt,
da war auch das Vergangne ungestalt
und Jahr um Jahr der Gnade ganz abhanden.
Was er noch sprach, versank vor ihrer fernen
Unheimlichkeit und klang ihm selbst nicht wahr.
O daß vor dieser tödlichsten Gefahr
er keime Warnung las in seinen Sternen!
Was straften sie ihn so! Er schwieg betroffen. -
Dann sah er auf und war wie sie allein
und wußte, dieses würde ewig sein
und keine neue Liebe zu erhoffen.
Da blieb Erinnerung verfallnen Glanzes
nur das, was er mit wunden Händen hielt.
Er hockt im Dunkel, hilflos stumm, und spielt
mit den Trophäen seines Dornenkranzes.


26. 08. 1919

Verwandlung Apolls

Es schlüpfte Apoll in den Schlaf seiner Frauen,
da trug er nach dämmernden Knaben Gelüst:
er haschte die nackten auf mondlichen. Auen
und hat ihnen Angst in die Augen geküßt.

Er lockte in flimmernder Spiele Gefahren,
wo süßer Verzauberung Ohnmacht berauscht,
er hat mit den Rosen aus ihren Haaren
den Lorbeer des eigenen Hauptes getauscht.

Er teilte mit den Gespielinnen allen,
den schmeichelnden Schwestern, des Lagers Lust,
vom Halse der Jüngsten das Kettlein Korallen
flammte als Mal in seiner Brust.

Und ihrer Seufzer hinsterbendes Girren
blieb seiner seligsten Lieder Brand,
als Apoll von so holdem Verwirren
sich zum Wachsein des Werkes ermannt.


03. 07. 1913

Der greise Clown spricht zum Zirkusdirektor

Herr, du reifst und trägst die vielen Orden
und du wähnst dich bürgerlich gebettet -
Wie sind wir voreinst bespieen worden:
Unser Hassen hungerte nach Morden! -
Doch jetzt fühlst du dich ins Recht gerettet.

Titel töten deine Bitternisse -
Aber nur vor Tieren kannst du täuschen,
in der Seele sind Gewissensbisse:
Lächelnd nimmst du alle Hindernisse,
aber Reue schreckt nach allen Räuschen!

Trug sind die tyrannischen Gebärden -
Die dich schmückten, müssen dich verachten.
Unser bleibst du: Räuber! Immer werden
Nächte unser Glück mit Zelt und Pferden
und die schimmernden Manegeschlachten
.


03. / 04. 04. 1920

Ende des Odysseus und seiner Gefährten

Welche trocknen Fußes gingen
auf des Meers Unendlichkeit,
wider der Sirenen Singen
durch das eigne Lied gefeit,
werden von der kleinen Lüge
eines Inselchens verführt,
oder daß der Wolkenzüge
ferne Seligkeit sie rührt.
Sanft in Blick und Worten lösen
ihres Stolzes Härten sich,
ihre Abende, die bösen,
glätten in den Gärten sich,
wenn der Hauch der weltversunknen
Dämmerung vom Wasser weht,
wenn die Seele des ertrunknen
Schiffsgefährten abseits steht,
abseits, wo der Duft der Zweige
fast die Silberwellen streift,
wenn des Lebens letzte Neige
an das Herz des Greises greift,
wenn Erinnrung an vergangne
Fahrten fremd und schaurig klingt,
wenn im Bauer der gefangne
Märchenvogel traurig singt,
singt das Lied, das einst versagte
vor der Sehnsuchtsmelodie,
die in Abenteuer jagte, -
aber sie gewann sich nie.
Dann ist ihre eigne Weise
sterbensmüde, freudenleer,
und für immer sinkt der Greise
Inseltrug zuletzt ins --Meer.


Februar 1921

Das Hochamt

Als das Hochamt ihres Gedenkens gefeiert wurde,
ging ich überwunden aus der Kapelle
in den endlosen Schnee des Gottesackers.

Ich wußte nicht, daß der Stern über unserer Hütte
verwelken würde. Ich sah einen schwarzen Gast
dem Wagen entsteigen und zum Totenfeuer
ein Scheit hinzutun und weinend mein Vater sein.

Dann flogen Raben nahe meinen Augen,
die Schollen zackten sich zu Bergen der Klage,
mein Vater hatte mir vieles abzubitten,
auch daß ich jedes Lächeln ertragen muß,
das die Schande der Stadt über mich verhängt.

Aber als ihn der dunkle Wagen wieder entführte,
sprach es ihn frei, daß es für immer war,
plötzlich trug ich auf meiner Stirn seine Schuld.

Wer mir am Kreuzweg begegnet, wendet sich ab.


06. 12. 1921

Legende

Die dürftige Sonne eines Winternachmittages
sank in Ohnmacht und seufzte ihren letzten
Atem in eines Steines abgewetzten
Kummerleib, der noch erzitterte vom Schmerz des
                  Meißelschlages.

Nun nahm der Stein dies warme bißchen Spende
und wollte immer es behalten.
Sollte ihn auch ein Blitz zerspalten:
so würfe er es nur zurück in Gottes Hände.

Und würde durch ein Wunder so vielleicht der eignen Schwere
                   ledig,
entzaubert zu erdlosen Engelsflügen,
er träumte sich schon in den Tanz von Schwalbenzügen,
und bis zum andern Morgen schienen ihm die Himmel gnädig.

Dann aber war er wieder überantwortet des Menschenwerks
                  begehrendem Zerscherben:
seine Klage hieb, der selber gehetzt war, zu Schweigen.
Keinem fürder mehr mochte die Glorie der Sonne sich zeigen,
doch des Steines Herz durfte mit ihrem vereint sterben.


16. 01. 1921

Der Apostat

Lächelnd mag der Freund den Freund verraten.
das Geheimnis ihres Glücks entweihn -
den Verrat, den wir uns selbst antaten,
wird in Ewigkeit uns nichts verzeihn!
Liebesworte blühn um Mördergruben,
im Verbrüderungstrunke schlummert Gift,
aber nachts in unsren stillen Stuben
das Gewissen seinen Richter trifft,
unser Antlitz muß im Spiegel schauen
seines Ebenbildes wüsten Haß
und erkennt mit namenlosem Grauen:
auf das eigne Herz ist kein Verlaß!
Träumst du Gold in deine Hände gleiten,
goldnen Lohn für deinen Selbstverrat,
quält dein Zaudern nicht zu allen Zeiten
schlimmer dich, als je dein Feind dir tat?
Und am satten Tage in Behagen
las entartet einer seine Schmach,
der sich mochte keine Lust versagen
und dem eignen Werk die Treue brach,
wäscht in Wein die Hände als Gerechter
und erwürgt den Kläger im Gefühl,
über seines Doms erschlagnen Wächter
steigt er frevlerisch ins Beichtgestühl,
löscht die ewge Lampe am Altare
und verbrennt den Kreuzesstamm zu Staub.
Doch sein Leben wird als falsche Ware
noch verworfen für des Dämons Raub:
einsam birst die Nacht des Apostaten,
den die Echos nur der Angst umschrein.
Den Verrat, den wir uns selbst antaten,
wird in Ewigkeit uns nichts verzeihn.


Anfang September 1920

Capriccio

Singt mir ein Traum, der Mond ist ein Kind in der Wiege,
schaukelt sich über den Wolken und hascht nach dem Licht
eines Wundergestirns, und es steht auf der Stiege
schon ein Engel mit drolligem Angesicht.

Bald werden beide unbändiges Lachen sich gönnen,
dran eine Welt in gläserne Scherben zerstiebt,
und ich werde sie herzlich lieben können,
wie man der eigenen Kindheit Kobolde liebt.

Aber was mach' ich in Nächten, die ihn verbergen,
wenn mich Angst vor dem Dunkel ernst zu sein zwingt,
wo nicht einer von meinen Märchenbuchzwergen
mir einen Schlüssel zum Berg meiner Träume bringt?

Plötzlich im Herzen drinnen ewig und milde
scheint er wie immer beruhigend über das Meer,
Furcht war ein Spuk nur, den ich mir töricht einbilde,
und jeder Morgen kommt trunken von Mondwundern her.


 26. 01. 1921

Das Bild

Es war ein Abglanz aller Nachtberatung
hinter der müden Maske seines Blickes.
Er hob sich wie aus Höhlen, schlich umkellert
und wußte seines Weges Freiheit nicht.

Doch seine Hand hielt heilig das Papier,
auf das der fremde Mann sein Bild gezeichnet,
er fühlte weich des eignen Haares Seide
sich als Liebkosung durch die Finger spielen.

Der Weg zur Heimkehrstube war unendlich
und voller Wunder, nicht von dieser Welt.
Er fürchtete sich schon vor seinem Spiegel,
daß er sich unvollkommen wiedersähe.

Er, den sein überirdisches, verklärtes,
tagfremdes Abbild brannte in der Hand.


03. 11. 1920

Der Geopferte

Er verstand nicht, was die Schale barg,
die das ihm bestimmte Gift enthielt, s
ah das enge Bett, die Mahlzeit karg
und hat einsam mit sich selbst gespielt.

Wie er einst gespenstisch einsam fuhr
durch so unbekannten Stadtteil nachts,
der gefährlich schwieg, und Spur um Spur
löste sich des tödlichen Verdachts.

Und nun wurde mehr von ihm verlangt:
daß er sich zum letzten Schritt entschied.
Dennoch, harte Schicksalsrichter, drangt
ihr mit eurem Spruch nicht in sein Lied.

Jenes Lied, das noch am Abgrund leis
lächelte, weil immer Hoffnung floß
hell vor seinem Blick, dem das Geheiß
unerbittlich jetzt den Lenz verschloß.

Er verstand nicht, was die Schale barg,
die er träumerisch am Munde hielt. -
Seltsam lächelnd lag er noch im Sarg
wie ein Kind, das harmlos Sterben spielt.


Anfang 1922

Das Spinnen-Wunder

Der sich gestern streckte
Fremder unter mein Zelt,
als ich morgens ihn weckte,
war er zur Spinne entstellt,
die sich geängstet versteckte
in dem Schatten Sand,
der am Gestänge bedeckte
eine Spalte der Wand.

Unrecht war's, zu erjagen,
was uns als Wunder entfloh:
unser Nomadenwagen
war eigner Flucht doch einst froh!
Aber ein Unbehagen
stachelte kindisch Verdacht,
daß den Feind zu erschlagen
Hand zur Faust sich macht.

Gottes Hand will keinen Zwinger
auch nicht dem Feind, der ihn grämt,
und sie hat meine Finger
vor dem Morde gelähmt;
himmlische Friedensbringer
falten sie sich zum Schutz:
Spinne wird Mensch, als ging er
heilig durch Sonne und Schmutz.


08. 06. 1916

Vorstadtwunder

Auf den brüchigen Brettern,
die sich bös entblättern,
einer Vorstadtbühne
muß mit nacktem Herzen
zwischen Pfennigscherzen
Sankt Ophelia blühn.
Biergeruch und schlimme
Pein der Gastwirtsstimme
Raben um sie jagt.
Schiefer Schürzengreifer
durch gehässigen Kneifer
ihren Kranz benagt.
Aus den fahlen Fetzen
sichert das Entsetzen
der Kulissenwand.
Reißt in Mördergruben
nicht die Kellnerbuben
zitternd ihre Hand?
Ach, sie kniet am Bache
und verklärt die flache
Aufgedunsenheit
der Statistenmienen:
Rosen werden ihnen
auf dem falschen Kleid.
Alle Lampen klingen,
und ihr Fuß hat Schwingen
auf dem Bretterwrack,
von den Bäumen nieder
rauscht das Sterngefieder
auf das Bürgerpack.


06. 09. 1920

Herbst

In diesem Schmerzseptember geistert Allerseelen schon,
des Lebens Strom sucht fröstelnd Unterschlupf in seiner
Winterhöhle,
die welken Blätter überbluten den verstoßenen Menschensohn,
das Totenlämpchen zehrt an letztem Öle.

Die Straßen rücken an den Friedhof. Blumenstöcke
entblättern sich und stehn als Marterkreuze blind.
Auf wüstem Stoppelfelde schrein vergessen ein paar Böcke
ihr Ängsten in den mitleidslosen Schädelstättenwind.


21. 12. 1916

Du arme Welt

Du arme Welt, in Waffen eingeschmiedet,
daß deines Herzens Atem ganz erstickt,
und warst doch einst von Frühling schön umfriedet
und hast im Mond dich Lächelnde erblickt!

Im stillen Monde, deiner weißen Schwester,
dich braungebrannten Bruder Wandersmann,
und schrittest singend in glückselig fester
Musik, in der das Blut der Schwester sann …

Du arme Welt! Die Nebelmeere steigen,
die Sintflut tötet Tannenweg und Teich. -
Aber aus deinem und der Schwester Schweigen
träumt Güte sich ein neues Himmelreich.


14. 01. 1920

Der Rächer

Einst wird seines schlimmsten Traumes Schwere
Wirklichkeit in seinem Schicksal sein,
einsam wird er durch die menschenleere
abgewürgte Stadt um Hilfe schrein:
nichts wird seiner Stimme Antwort geben,
und ein Graun, das weder Nacht noch Tag,
als ein großer Totenvogel schweben
über diesem Riesensarkophag.

Aber er, der Mensch, wird plötzlich wissen,
daß er nun dem Urteil nicht entrinnt,
während er, in seine Angst verbissen,
noch auf märchenhafte Rettung sinnt,
während er bereit ist, sich zu lösen
mit dem Tode aller, die er liebt,
während er dem unsichtbaren Bösen
auch sein letztes Heiligtum ergibt.

Irr hinrasend durch der öden Straßen
mitleidslose Stein-Unendlichkeit,
mit den Flüchtlingen, die ihn vergaßen,
in ungreifbar grimmem Widerstreit,
wird er plötzlich echolos vergehen,
weil aus diesem Tod kein Weg sich weist,
doch am Jüngsten Tage auferstehen
als der Ewigkeiten Rachegeist.


02. 04. 1920

Der Obdachlose

Der obdachlos und wie erstarrt
auf seiner Bank der Frühe harrt,
die ihn zu neuem Fronen zwingt
oder die Not des Sterbens bringt -
den, eh ihm ein Gebet noch bleibt,
der Wächter barsch zum Wandern treibt,
trostlosem Wandern ohne Ziel,
in das kein Stern verheißend fiel,
hin durch des Parkes ungewiß
verhaltne Unweltfinsternis,
indes wie einer Ahnung Wind
der Großstadt Rauschen schon beginnt,
fern, hinter einem Vorhang, fern,
durch den verheißend blinkt kein Stern - -

Der Obdachlose ballt die Faust
zur ersten Bahn, die drüben saust,
zum ersten Fenster, das die Hand,
ihm ewig, ewig unbekannt,
der Sonne auftut, deren Rad
ihn bald zermalmt!
Ein Dickichtspfad
nimmt ihn beiseit. Es schmilzt sein Blick …

und klein begibt sich sein Geschick.


29. 03. 1920

Auferstehung des Hasses

Als Fremde einer Mutter Sohn begruben
und in des Bruders Arme seine Braut
ohnmächtig sank, indes die Kirchenbuben
bezahlte Klage plärrten allzu laut,
begann der frisch gefallne Schnee von allen
Gräbern zu wandern, ob er noch einmal
Glücksgärten fände. Doch die Leichenhallen
versagten sich dem fahlsten Sonnenstrahl:

Umdunkelt halten dort die jüngst Entseelten,
die der Bestattung harren, das Gericht,
und, was an Haß sich Lebende verhehlten,
entstellt jetzt jedes Toten Angesicht.


17. / 18. 01. 1919

Vision

Durchs offne Fenster dunkelt die Beschwörung,
mit der der Einsame die Wolke lockt;
vom starren Himmel wird ihm nicht Erhörung:
die Welt hält ein, das Lied der Sterne stockt.

Der Gasse schwarze Giebel rücken enger,
daß kein Gelüst die Sphären mehr vernimmt;
geblendet schweigen um den Elendssänger
die Bodenluken, wo der Selbstmord glimmt.

Ihn graut - und plötzlich sieht er leidverloren
ein Weib an seiner Brust, einsam wie er,
und aus der Wolke, die sein Ruf beschworen,
durchbohrt sie beide eines Dämons Speer.


September 1919

Buße

Und wieder wird ein Dichter umgebracht
von denen, die zu lieben ihn vermeinen,
er sieht zum letztenmal die Sonne scheinen
und fühlt: der ferne Freund hat sein gedacht.

Und lächelt bitter, weil er immer wußte,
was trügerisch in jeder Freundschaft narrt -
dann ist auch dies wie ein Gespinst verscharrt,
das nicht mehr gilt, doch einst gelebt sein mußte.

Vom Unrecht, das er seinem Hunde tat,
verdüstert sich der Lampe Abschiedsschimmer.
Es wandeln Schatten schweigend durch sein Zimmer
und atmen wieder Güte und Verrat.

Und seiner abendlichen Wanderschaften
Geborgensein im Schlaf von Wald und Flur
sinkt noch einmal in Nebel, und die Uhr
der Heimatstadt schlägt ewge Wanderschaften …

Und als er des Gebirges Zuflucht grüßt
und jene steile Straße in die Sterne,
ruft ihn zum letztenmal der Mund, der ferne -
Dann ist sein kleines Jugendglück gebüßt.


30. 07. 1919

Weltende

Der harte Stein der Einsamberge steigt
hernieder bis ins Herz der letzten Hütten,
wo sich die Braut um ihre Hochzeit schweigt
und Ärmlichkeiten jede Scham verschütten,
wo eine Greisin ihren alten Haß
zu einem Scheiterhaufen heimlich schichtet,
bis eine Nacht im ehlichen Gelaß
die Lüge eines Lebens jäh vernichtet,
wo sich kein Sterbender dem Kreuze neigt,
die Kinder niemals danken, niemals bitten:
der harte Stein der Einsamberge steigt
hernieder bis ins Herz der letzten Hütten.

Dort gibt es keine Laute und kein Buch,
kein Lachen weht um abendliche Becher,
und ihre Söhne sind der Eltern Fluch
und werden Mörder oder Ehebrecher,
und wo ein Tier mühselig und mißbraucht
in ihren Hütten lebt, lebt es dem Messer
des Opfernden, und wie in Blut getaucht
leuchtet der Fels am tückischen Gewässer.
Die Wälder stürzen. Der Vernichtungskrieg
wirft Menschenbrüder wider Menschenbrüder.
Der harte Stein der Einsamberge stieg
ins Herz der letzten Kreatur hernieder.


zurück zu den Gedichten von Max Herrmann-Neiße