Rudolf Borchardt - Die Schöpfung aus Liebe

Die Schöpfungen
aus Liebe

______________________

Ernst Rowohlt Verlag
Berlin
1923


Inhalt

Mit einer Stutzuhr

Die gelbe Kaiserkrone

Mit den Schuhen

Mit einer griechischen Kette

Mit einer andern Kette

Gleichnis

Arie

Ständchen

Tausend Freuden

Furchtbarer Frühling

Das Entzücken

sämtliche Gedichte von Rudolf Borchardt


 

Mit einer Stutzuhr

Bin ichs wirklich, der ich diese Uhr
Zu den Gaben deines Festes füge?
Stell ich wirklich neben dich, Natur,
Unnatur, die dir die Stunden schlüge?

Der ich jedem Zifferblatte feind,
Jeden wilden Pendel lieber hielte, -
Dem an allem Mäßigen nur erscheint,
Was den Tod in unser Leben zielte -

Stelle nun, ich selbst, die Weltvergessnen,
Denen Raum zerfiel und Frist verscholl,
Zu dem armen Volke der Bemessnen?
Willst du, daß ichs kann, und daß ichs soll?

Nein und nein, ich solls nicht, solls und mags nicht,
Trags noch fort, das Unbild, eh dus sahst -
Werde du durch mich Geschöpf des Tags nicht,
Dem du Tag und Stunde neu bemaßt,

Dem du das Geweb der Zeit zerrissen
Und zur Ewigkeit die Masche schlugst, -
Goldner Lichtbefehl aus Finsternissen
Meines Kampfs, drin du mich nicht ertrugst, -

Mutberauschter Unschuldsblick der Fernen,
Deiner Neuzeit strahlender Tumult. -
Nicht von mir sollst du die arme Weisheit lernen,
Ungeduldige, der Geduld und Schuld!

Gnuge sind, die offen und verstohlen
All ihr Werk in diese Felder schicken,
Sich die Zeit aus jedem Turme holen,
Und ersticken, wenn sie nicht drauf blicken,

Nie wie wir im übervollen Blute
Herbergen die Glocken und den Zeiger,
Die verkünden, ob nicht die Minute
Tapfrer sei und nicht die Stunde feiger,

Nicht der Tag die Jahre überdehnte,
Nicht das große Herz, ein Element,
In sein Nichts zurücke die Jahrzehnte
Herrscht, und Zeit die Beute läßt, und rennt -

Oh, und die nicht wissen, was dein Blick
Mich gelehrt hat, seit er mich durchschossen:
Wir ererbten göttliches Geschick,
Vor und hinter uns ist nichts verflossen,

Weil wir selber durch einander stürzen,
Mit der Leiden und der Liebe Willen,
Nichts zu sparen oder abzukürzen,
Nichts, was sich heranbewegt, zu stillen,

Sondern ungebeugt und unbelehrt
Von entseelten und entleibten Jahren
Nichts gewillt sind, als den ewigen Wert
Des Geschöpfs erschaffend zu erfahren.

Du beherrschst mit diesen Augensternen
Meines Tages End und Anbeginn,
Nur in deinen Armen will ich lernen
Welches Maßes ich am Ende bin, -

Wo du aufgehst, wird mein Osten gelb,
Wo du strahlst, erspringt mein Licht den Scheitel,
Wo du in mich einkehrst, werd ich selb,
Und nur wo du dich vereitelst, eitel, -

Und der Puls der Welt, wo ich Dich fülle,
Und der Dinge Maß, wo ich dich regle,
Daß die Sonne nackend sich enthülle
Vom Gewölk, das feierlich versegle,

Und ein neuer Tag und neue Nacht
Schlichtend durch das immer gleiche schlage,
Und ein jedes deiner Übermacht
Tausendteil schon täglich in sich trage. -

Und ich trags schon in mir selbst, wie immer
Eifernd meine Hand den Zeiger packt:
Mitten durch die Blendung und den Flimmer
Dieser Tage braust dein neuer Takt,

Mißt sich das Gebrochne neu zu Maßen,
Kreist der süße Wirrwarr zu Figur, -
Mut und Liebe sind sich selber Straßen,
Tritt und Puls schon wieder eine Uhr,

Du und ich von neuem des Geschlechtes
Dieser Jugend Erde die Gewähr,
Born nun der Gestalt und nun des Rechtes, - -
Aber du die Göttin aus dem Meer,

Die du aus dem alten Flutgewimmel
Aufwärts gegen die Gewölbe eilst,
Mit dem neu entdeckten, unserm Himmel
Nicht nur Licht und nicht nur Wolke teilst,

Und mit dem Gestirn nicht nur die Wonne,
Die du aushauchst und durch die du bist,
Sondern alles Recht von Mond und Sonne
Einzuteilen der Geschöpfe Frist.

Nimm sie denn, die dennoch dir verwandte,
Gnädig an wie Götter das Emblem:
Weil ich das Geschenk nach dir benannte,
Dir verglich, sei dirs nicht ungenehm, -

Und wenn sich das schönste Auge wundert,
Daß ich stocke, schlägt sie nun so still, - -
Ja, sie schlägt, und schlägt schon dem Jahrhundert,
Das ich deinen Namen lehren will.


Die gelbe Kaiserkrone

Sieh sie an und sag wie ich -
- Nein sag gar nichts. Blick in dich
Oder wie ich in mich sah,
Hauch aus in dir ein ahnend »ja«.
Von den Glocken, die sie neigt,
Zu dem Busch, der übersteigt
Urwaldfremd und urzeitreich,
Einer Urwelt Kronen gleich,
Unbegreiflich wild und edel,
Tanzschmuck, oder Palmenwedel
Wie von Tropenwassers Ranfte, - -
Bis hinab, wo diese sanfte
Blödigkeit der riesenhaften,
Dieser schuldlos wiesenhaften,
Opfer gleich gesenkten Schellen, -
Gelb, wie Gelb nicht gelb ist, - quellen,
Wie nur das gewachsene quillt -
Dem Schaft entblüht, - sieh, dieses Bild!
Solche Milde solcher Wildnis!
So reiche Leidenschaft im Bildnis
Dieser stillsten Welt!
Und siehe! eine Träne fällt
Oder was wie Tränen scheint:
Hast du sie so süß geweint?
Weil durch dich ein feierstündlich,
Ein trunkenes Sehnen unergründlich
Mit der feinsten Schneide glitt
Und wo es dich so heiß durchschnitt,
Und die bestürzten Adern klopfen,
Hing und fiel dein tiefster Tropfen?
Nein, du lachst durch diesen Tau
Der Augen nun erst doppelt blau,
Und mit dem Nagel hebst du bloß
Die Glocken an, aus deren Schoß
Sich die wilde Perle löste:
Denn es hegt der keusch entblößte,
Eingewachsen um den Stempel,
Der allerheiligste, der Tempel
Ihrer Lust, der goldbestäubte,
Soviel wie Samen-Stiel und Haupte,
Gleichnisse der Liebes-Schmerzen,
Von ihm tropfend wie von Kerzen.
Laß in Stand zurück sie schnellen
Und uns nicht mit Tag erhellen
Dies Geheimnis ihrer jung
Aufgeblühten Dämmerung.
Zähle dies Geheimnis du
Ihrem größern Rätsel zu,
Das dich bittersüß berührend,
Halb berauschend, halb verführend,
Halb mit Anhauch groß und rein,
In ein brünstigeres Sein
Fremd und sanft zu sich begehrt
Und beseligt, wenns auch zehrt,
Wie der Träne dieser Rand
Deines Nagels, halb verwandt,
Nur perlmutterhafter blinkt,
Dem nun der Glockenrand entsinkt,
Also bist du ihr verschwistert
Durch dein Blut, das ihr geflüstert,
Was durch seine Gänge klagt,
Wenn, was uns die Welt versagt,
Plötzlich wortlos, kaum gestehbar,
Unbemeßbar, unabsehbar,
Heiß und rein, unwiderstehlich,
Über alle Worte selig,
Ein Erbteil und ein Königreich -
Heiligen Paradiesen gleich,
Durch die Lücken uns erscheint:
Das Herz versagt, als ob es weint
Und begreift nicht, was es schlug -
Eine Blume ist genug.


Mit den Schuhen

Was man will, kann man nicht geben,
Und man gibt nur, was man muß,
Also gibt man einen Kuß
Und man gäbe gern das Leben.

Also gibt man einen Strauß
Statt des Gartens um ein Haus,
Gibt das Buch als den Entgelt
Für die Weisheit aller Welt,

Drängt den Ring an einen Finger,
Schlingt die Kette um den Hals, -
Alles nur ein wie geringer
Abschlag auf die Schuld des Alls!

Jenes Alls, in dem man ist,
Wenn man eine liebt, -
Wer der Gabe Sinn vergißt,
Was hat er, was er gibt?

Alle Gabe ist nur Sinn
Und Bild in einer Hülle.
Seit ich fühle alle Fülle,
Weiß ich erst, wie arm ich bin!

Mach mich du, geliebtes Kind,
Zum reichsten von den Leuten!
Sieh nicht an, was Gaben sind,
Nur an, was sie bedeuten!

Für das ganze Feld die Ähre,
Für den Himmel nimm den Stern,
Und mich selbst für was ich gern
Um Deinetwillen wäre!

Diese Hände mit den Schuhn -
Fühle, was sie nur vertreten,
Sieh nicht, was sie eben tun,
Nur was sie lieber täten!

Nimm sie so, wie ich sie sende
Denn sie meinen, Süße -
Lieber legt ich beide Hände
Unter deine Füße!

Zwar sie stehn für keine Gabe
- Dennoch sei das Spiel verziehn!
Alles ist ja nur geliehn
Solang ich dich nicht habe.


Mit einer griechischen Kette

Für dies verzauberte Gewinde
Hat sich ein Altertum bewegt,
Der Grieche seiner Angebinde
Fast leichtestes um dich gelegt:

Da hängts nun, deinem süßen Hals
So rührend wirklich angegossen,
Wie es im schönsten Ehemals
Vergötterteres nicht umschlossen.

Da hängts; ich wollt, ich könnt umfangen
Dich halb so leicht! und zwischenein
Spürt ich dein geisterhaft Verlangen,
Nicht ganz so leicht gefaßt zu sein. -

Nimms hin: Du nimmst nichts weiter an;
Mehr als dirs ist, will dirs nicht heißen.
Die Herzen hängen wir nicht dran:
Die zarte Kette könnte reißen.

Befolge nur die kluge Leitung
Und tu mir nach, wie du mich siehst,
So bleibt es ohne Vorbedeutung
Du Engel, daß sie noch nicht schließt. -

Ein zarter Faden sie noch knüpft,
Und wieder anknüpft, nach dem Schnitte;
Genug wenn sie dir nicht entschlüpft!
Es ist das Einzige, was ich bitte.

Sonst nicht ein Pfand, und kein Versprechen,
Genug, wenn du des Sinnes bist,
Dies Spiel nicht eben drum zu brechen,
Weils ja so leicht zu brechen ist!

Sonst bleib es immer, fort und fort,
Ein Teil von dir, geliebtes Hoffen,
Wie deine Hand, dein Blick, dein Wort,
Und wie dein schönster Kuß, halboffen -

Ein Pfand für all dein frei Belieben
In dir und ihm, den du entzückst, -
Er hat nicht viel dran fortzuschieben,
Wenn er, den du nun an dich drückst,

Der sonst, zum mindsten in der Seele,
Den kleinsten Vorbehalt verflucht -
Die schluchzende, die Vogelkehle,
Mit seines Mundes Feuern sucht.


Mit einer andern Kette

Die erste hast du nicht verargt,
Und dich verdrösse diese zweite?
Weil ich aufs neu, was eingesargt,
Aus seiner Ahnengruft entweihte?
   Des Abgrunds schleierhaftes Gold,
   Des Schmelzes Feuerblau,
   Sind sie denn Helena gesollt,
   Und nicht der wärmsten Frau?

Blick auf, bekenne den Verdruß!
Schilt, wenn dus mußt, mein Unterwinden:
Die erste war noch kein Beschluß,
Doch diese, fühlst du, soll dich binden.
   Wohl ists im Grund nur eine Zier,
   Die andern ähnlich sieht,
   Doch Kett an Kette, ahndet dir,
   Wird leicht zu Glied an Glied.

Und Glied an Glied, bin ichs denn schuld?
Daß du die freien Locken rüttelst
Und aufgebraust in Ungeduld
Die Kälte dir vom Nacken schüttelst?
   Hier denn für kalt fühl mich so warm!
   Doch du gewinnst nichts groß:
   Läßt denn den Hals mein Arm um Arm,
   Mein Mund den Mund dir los?

Bist dus nicht, die mich an dich reißt?
Bin ich noch frei, dich frei zu lassen ?
Was war es denn, das dir beweist,
Gefaßt sein wärs und nicht ein Fassen ?
   Wer fühlt, ob dieser Kuß den Kuß
   Erpreßte oder litt?
   Die Kette schließt, und in den Schluß
   Wo schöbe sich der Schnitt?

Erhebe dein entzückt Gesicht,
Nur so entzückender, je nasser!
Sieh hin, es regnet durch das Licht,
Es leuchtet durch das hohe Wasser.
   Im Sonnenrauche steigt Natur
   Hinunter und empor,
   Und nichts bemißt die eigne Spur
   Im wandelbaren Chor -,

Und nirgend merkt das eine Ding,
Obs vor dem andern Freiheit hätte -
Es unterhält sich Ring in Ring
Hinauf, hinab die größere Kette.
   Die Allgewalt aus Halt in Halt -
   Da Glied das Glied nicht zählt -
   Und frei durch seine Tausendfalt
   Und selig, weil vermählt.


Gleichnis

Daß du mich bezwungen hast,
Ward schon eine Sage;
Wie du mich durchdrungen hast,
Wächst mit meinem Tage.

Täglich laß ich so dein Haus
Mit verwandter Miene,
Wie aus der Gewalt des Baus
Nie sich reißt die Biene.

Sie begreift in allem Raum,
Den sie fährt zu Seime,
Nur die Bahn, die wie im Traum
Rückwärts stürzt nach Heime.

Also bleib ich dein gewiß:
Was auch Tage häuften, -
Du durchschießt mir Finsternis
Mit genauen Läuften,

Und den übermächtigen Bann,
Kein Gedanke stört ihn,
Jeder Gruß erkennt ihn an,
Jeder Abschied schwört ihn.

Ja, weil du mir nach verfließt,
Kehr ich stets der Selbe,
Nur daß du mich in dich ziehst,
Steigert mein Gewölbe.

Wende dich von Träumerein,
Daß Erleuchtung werde:
Völlig hingerissen sein
Tilgt die Schuld der Erde.


Arie

Schließt euch, geliebte Blicke,
Nach der Umarmung zu,
Fühllos Gefühl erquicke
Dein Blut im Schoß der Ruh.

Löst euch, geliebte Glieder,
Reizendes Haupt, sink hin,
Ein fächelndes Gefieder
Besänftige jeden Sinn.

Dämmrung vor dich zu schatten
Heb ich die Hand ins Licht:
Fühls nicht, und fühl nur matten
Den Tag vor dem Gesicht.

Fühls nicht, und mich laß fühlen,
Wie die mich nun noch preßt,
Die leichte Hand, vom Kühlen
Entseelt, mich halb entläßt -

Und wie ein Traum die feuchten
Lippen dir halb entschließt -
Schließt euch, geliebte Leuchten.
Auch wer euch träumt, genießt.


Ständchen

Morgen, Morgen, bist du da,
Dem mein Herz entgegenlachte:
Rosenbrünstig stehst du da,
Eh ichs selber recht bedachte!

Eh ich hin die Straßen mag
Eilen, glühst du wolkenbrausend
Strahlenschleudernd, starker Tag,
Über trägen Hunderttausend.

Oh, beschäme du mich nicht
Über leeren Straßengleisen
Schatten werfend, leibhaft Licht, -
Laß mich hin, mich mit dir reisen,

Nimm die Pulse meines Bluts,
Nimm die reinsten Überflüsse
Meiner Demut wie des Muts,
Wünsche, Angedenken, Küsse,

Daß sie vor mir her zu ihr
Sich die langen Zeilen stürzen,
Glühnde Vorgefühle mir
So wie ihr die Ferne kürzen,

Und die Stunden, welche du
Uns nicht gönnst, und die uns trennen,
Heiße meinen Boten zu
Und zurück mit ihnen rennen, -

Daß ich jetzt schon um sie sei,
Hundertfältig hingerissen
Als ein Schwarm von Schwärmerei
Tanze über ihren Kissen.

Sie begegne vor dem Spalt
Ihrer Tür, die sich entriegelt,
Nur noch Spiegeln der Gestalt
Und dem Dank, den alles spiegelt, -

Jedes Auge sage: »Dein«,
Jedes Antlitz steh entfaltet,
Das Vermischte sei ihr rein,
Und erwärmt, was immer kaltet,

Im Bescheidnen sei der Blick,
Ders Erhabenstem verbrüdert,
Und das frevelste Genick
Fühle sich durch sie erniedert;

Und sie stehe vor der Macht
Ihrer hingestrahlten Fülle,
Wie, wer weint und wie wer lacht,
Ahnend, wie viel er noch hülle,

Sie erblicke durch den Hauch
Also süß gewobner Schleier
Wie das Blau durch Morgenrauch -
Oh, noch nicht mich armen Freier,

Oh, noch nicht die Leidenschaft,
Die noch bebt, das Haus zu hüten,
Sondern jugendliche Kraft
Dieser ihr verwandten Blüten:

Wenn sie flüstern: »Welche gleicht
Ihr am nächsten?« meine Kelche, -
»Kühn wie sie und stark und leicht?«
Und die Glöckchen seufzen: »Welche?«

Wenn der Goldenlack sich müht,
Auszusehn wie ihre Locken,
Rosenprimel wie sie glüht,
Wie sie prangen Osterglocken -

Wenn die Tulpe sich bemalt,
Daß sie uns wie Du erfreue,
Und der Blaustern golden strahlt
Aus dem Augenstern der Bläue,

Und sie lächelt ihres Bilds
Aufgeblüht auf jedem Stengel,
Und ein wenig in sich schmilzt -
Dann erst, sehe mich der Engel,

Dann mein Abgott ferne knien
An dem Rande seiner Reiche,
Still beschämt, daß ich nur ihn
Nicht erreiche, noch ihm gleiche!


Tausend Freuden

Vor tausend Freuden
Muß ich es singen,
Vor tausend Freuden
Muß mirs gelingen, -

Ich wollt es schweigen,
Ich wollts ersticken,
Da mußt ichs zeigen,
Mit tausend Blicken;

Ich wollts gefalten
Zur Brust verschließen,
Die Füße halten,
Daß sie nicht schießen,

Da kommt michs holen,
Mir fliegts entgegen,
Mit tausend Sohlen
Auf tausend Wegen;

Vor Freudebrechen
Müßt ich zerspringen,
Sollt ichs nur sprechen
Und dürfts nicht singen,

Sollt ichs verstopfen,
Und dürfts nicht segnen,
Mit tausend Tropfen
Nicht nieder regnen -

Und müßts beteuern
Und dürfts nicht flammen,
Mit tausend Feuern
Der Welt zusammen.

Statt es im Ganzen,
Statt es im Vollen
Nur her zu tanzen
Nur hin zu tollen, -

Sie zu bewachen,
Die tausend Wonnen,
Ist all mein Lachen
Zu unbesonnen -

Ich muß verschwenden,
Ich muß vergeuden,
Mit tausend Händen
Vor tausend Freuden, -

Daß ich vergelte,
Was in mich kommen, -
Kein Herz mich schelte,
Dem ichs genommen,

Und keins mehr kranke,
Noch einsam bliebe,
Es komm und danke
Es fühl' es liebe! -

Ich bin begonnen,
Und weiß kein Ende,
Ich bin entronnen
Durch tausend Wände,

Bin abgerungen
Dem tauben Stolze,
Ich bin entsprungen
Wie Grün an Holze! -

Soll ichs nicht blühen,
So werd ichs schallen, -
Darf ichs nicht glühen, -
So werd ichs wallen,

So ström ich Welten
Und sprüh sie spielend
Zu Sterngezelten
Ins Blinde zielend,

Und schloß ein Zwinger
Mir tausend Poren,
Mir wird vom Finger
Die Welt geboren,

Und trotz dem Wächter,
Gehn, wo ich sitze,
Mir Mutgeschlechter
Hervor wie Blitze. -

Vor tausend Freuden,
Und müßt ich zagen,
Mit tausend Freuden
Will ich es wagen -

Durch tausend Fährden
Muß mir geraten
Der Mut der Erden
Zu tausend Taten.

Es will sich runden
Das nie Geballte,
Empor sich gründen
Das Ungestalte,

Zu Wohngebäuden
Der Fels sich rahmen
Vor tausend Freuden
Und einem Namen,

Der grün und grüner
Das Erdreich schmückend,
Mir kühn und kühner
Das Herz entzückend,

Mir Kraft vergütend
Mit Kräften tausend,
Nun himmlisch wütend
Nun holder brausend

Außer mir groß wird
Zu tausend Samen, -
Mir namenlos wird
Vor tausend Namen.


Furchtbarer Frühling

Mir, mir, die neue Welt -
Ja mir du, wie du auch seist,
O Ungestalt,
Aller Gestalten schrecklicher Schoß, Entstehung,
Ich liebe dich!
Mir, hier, noch mitten in Sündflut,
Mir, jetzt, unter Vormorgens
Wilden Dämmrungen, Regen gegeißelt,
Wind vermischt, allumarmt
Schon aufwärts Dringende, abwärts wimmelnde,
Nach aller Seite begehrend
Nicht wissend, wohin mit dir -
Mir, mir, o März, o Jugend, deine Erschaffung!

Gegen und gegen mich an,
Mir den Jubel aus jeder gekrausten
Nerve reißend, mir Musik,
Quer zur Straße, Stoß um Stoß,
Ruckweis, Ringerschar,
Heerbreit berennt mich der Wind:
Komm an, so komm doch,
Gib nach, so gib dich, -
Was begehr ich denn,
Als dir vollster, regnender Neubraus,
Du Massenhafter, vorangestemmt,
Abgedrängt von neuem vor,
Gewachsen sein!
Um Kraft mit dir
Wie um Liebe mit der Geliebten,
Brust in Brust gelehnt zu spielen?
Tausendfach, Element wie du,
In jedem Tropfen ein Andrer,
Jedes sausenden Sprühns
Nadelspitzem Hagel im heißen Gesicht
Allüberallhin zerstoben entgegen zu stürzen,
Du zu werden, dich mir ähnelnd
In ein gleiches
Uranfänglicher Wandlungen
Mich zu mischen!

Wer verböte mir
Meine Wandlung?
Wer die Heimkehr
Hinter die Dinge?
Aus Städten floh ich -
Und was sind Städte denn noch?
Aus Zeiten trat ich,
Was ist aus Zeiten geworden,
Wer hätte zu fordern an mich?
Um geborstene Götzen liegt
Bei ungerechtem Richter,
Bestochnem Zeugen,
Gleicherweis verraten und Verräter,
Von Göttern und Menschen verworfen
Alles sterbliche Geschlecht:
Wem sollt ich sterben helfen ?
Mit wessen pestgeschlagener
Schelmenzunge Spottgebet
Vor den Himmel Zorn begleiten?
Mit wessen Leidensmiene
Schon nach Zufallfreude schielen ?
Wer heißt mich sein, wie ich war,
Wagt zu hassen, was ich werde,
Wer beschilt mein einzig Gut,
Mir verbliebnes
Zu unermeßlichem Reichtum, -
Wer verklagt Unsterblichkeit?

Altar nenn ich dich,
Schauerwüster Morgenrauch,
Halb auf Anhöhn über den Wald weg
Auf mich zu!
Mächte suchst du, mein Bruder,
Hinter der eisengegossenen
Himmelsfestung Finsternis,
Deiner kindgestalten Unmacht
Dich nicht schämend.
Oh, lieber wie du in tausend
Fetzen Hoffnung selbstzerrissen
Auf gehn, - Wärmeblick,
Hauch, Ahnung, Götterhand,
Morgenrührung, Glauben herzutasten - -
Als an der gestrigen Lachen
Froschklage gebannt, den Hinfall
Ekler Körper, Körper selbst
Sich noch lügend
Wie ihr Schatte zu bequäken.
Aller Gott ist ungewiß, ein Wagnis,
Aller Aufgang Untergang,
Alles Heilige Begegnung in einer Wildnis.

Wem begegnen wir Alle, o Wind und Wolkengestalt,
Wem, o Flug und Sturz, o Abgrund,
Zuerst und welchem zuletzt?
Was fehlt noch uns zu ergreifen,
Da aller Boden, gefurcht
Wie von der Runzel des Säuglings,
Von Leben nach oben birst,
Und jede Furche voll Lerchenschrei und Keimbrut
Bebt, und, wie an Himmeln sonst
Sternstäubigen, - die Gassen des Grunds
Und die Bahnen durch den Menschen
Milchstraßen des Lebens geworden
Sich mit Seligkeiten füllen,
Schöpfungs Unmaß unabsehbar?
Wie lange noch sollen uns Krusten
Zuklemmen in Winterform,
Wie lange noch sollen wir denn
Mit dem jüngsten, was wir vermögen,
Mit kindisch zarten Trieben,
Nestlingen, gebogen sanften
Knospe schützenden Keimungen
Das widrige Feste, trägen Tod
Milliarden Male sprengen?
Erbarmt Euch, leichternde, Heilige droben
Der heiligen Riesen Mühsal,
Blickt endlich, blicket den Segen
Auf allen den Dampf und Kampf, den Aufblick
Der Titanen Leidenschaft!

Aufwärts ringt es ihn,
Niederwärts, Krampf wider Krampf,
Packt er Schollen Fruchtbarkeit
Mit Wandlungskräften
Alles Irdische markerschütternd,
Baumborstig, felsenhändig,
Den heidigen Rücken gesträubt,
Wie der Erbebende an, wie Vesuv, sein Bruder:
Aus Hölzern bricht er tobend und grünend hervor,
Bricht blutrot durch die verschlammende Haut
Dieses Feldwegs, dessen Leben
Unter der Ferse mir spritzt:
Ja so wahr mir Gott,
Ja die Erde bebt, -
Um sich hauend
Erknirscht der rasende Wald;
Nicht aus Lüften ist er
Dieser Ansturm,
Keine Winde beugen
Diese Stämme, -
Nicht vorm Auge, nicht vorm Nerve
Erblinzt mir und zittert der Scheinblick
Aller Vesten und Schein des Menschengebilds, -
Der Lebendige ists,
Der neu anhebt,
Dieser Furchtbare
Will entstehn -
Von ihm gehn wie von dem Ambos Funken,
Hochgeschleudert neue Vogelschwärme,
Stöße Dampfes, Klänge Lautes,
Geht die Wut des Laubs,
Geht der Schrei der Gruft, -
Mein eigner Schritt
Schlägt das Maß ihm,
Meine Ader
Schickt ihm Schrei,
Halb den holden Schrei der Freiheit,
Das bittere Schreien der halb
Noch mit Halbem zugewachsnen
Ungöttlichen dumpfen Gestalt, -
Mein eigen Blut, sein Teil in mir,
Donnert gegen die Türen seiner Gefängnis.

Sollen in Banden wir hier,
Hier in dem finsteren Kot
Verzweifeln müssen?
Reißen mit Odem umsonst
Unsere Winde am Bau
Ungerührter träger Himmel?
Bringt das Blut, bringts nicht, aufgebäumt
Keinerlei Blütenschein
Und keine Verführung in euch,
Ihr farbelosen
Schiefergrauen Dämmrungsgötter?
Ist aller der Himmel uns stumm?
Kämpft sich unser Kampf zunichte?

Da springen, - - da -
Da - und wieder
Klüfte droben
Von Geburt!
Sie kommt, - sie kommt, -
Die ungeheuer entfernten Stufen
Mit Purpur herunter getanzt:
Ganz Begeistrungsblick, -
Ganz Kußhand, -
Glühend das lachende Antlitz,
Mit Gnaden bringt sie, mit Locken wirft sie,
Mit Rosen stürzt sie sich her.
Von ihr gehen, kommt, seht,
Breite Gassen Zitterstrahls,
Sternbrunnen entspringen von ihr - -
Flieh nicht wieder,
Morgenrot Entzücken
Nicht hinter die Wolke zurück!
Viel zu kühle Spötterin,
Widersteh nicht
Unsrer Inbrunst -
Aufgestanden ist
Von den erdebreiten Sitzen
Dir entgegen aller Geist des Alls, -
Jung in deiner Beglänzung
Stehn die schweren
Die schuldgebeugten, Unschuldgläubigen
Tausend Schultern seiner Erde!

Himmlische, siehe, oh sieh
Es ist, es ist dir umsonst!
Er zerreißt mit Morgenstürmen
Die Abwehr deines Gewölks.
Schon liegst du, goldenäugig,
Schon Blitz mit Blitzen erwidernd,
Kuß in allen seinen Tropfen,
Er braust dir auf mit tausend seiner Lerchen:
Leichtfüßig, glitzerhändig
Zauberst du über all seine Schöpfungen hin -
Wohin, wohin denn
Entflöhst du ihm,
In welche kalten Himmelsöden,
Da sich keiner
Der immer noch schlafenden Götter
Dir kühnstgeborener Wonnegestalt
Zu vermählen Blick noch Herz hat?

Wir bedürfen dein,
Himmelskind!
Da, die Blume
Sieh die Erste,
Die dein Anblick
Uns entriß!

Funken raubte der Vater
Unser aller dem Himmel,
Im eignen Herd
Ihn zur Flamme zu siedeln.

In die Himmel greift
Immer wieder die Erde,
In dem Ringen
Vor dem Brautfest,
Und erneuert die Welt
Aus der furchtbaren Frist,
Wenn dem Tage die Nacht
Gleich geworden das Bild der Welt vernichtet.

Mir
Durch dich, -
Mir, mir die neue Welt!
Nichts mehr scheu ich,
Von künftiger nicht,
Noch vermiß ich,
Nichts hält von der alten mich fest.
Ich entsprang
Wie der Schoß am Holze,
Ich zerbarst
Wie vom Keime der Stein:
Ein Sprung, so steh ich im Wagen
Phöbus', des noch nie Gewesnen,
Dessen Räder ich höre,
Dessen Bahn ich nicht weiß -
Doch dich vor mir, vor Rossen und Geißeln tanzend, -
- Zügel her, o Tänzerin,
Und steil in den Mittag, es wird noch ein Tag aus Morgen!


Das Entzücken

Die Sterne haben dich mein gewollt,
Dich Strahlengabe mir zugerollt,
Dich um mich verhundertfältigt,
Die Bläuen haben dich hergewettert,
Dich Lerchenstimme mir zugeschmettert,
Und mich mit dir überwältigt.
Lenz ging über, da wardst du ergossen;
Ein Fels bricht auf, draus kommst du geschossen,
Armdick, ein Bogen der Lust, -
Eiskalt über die Haut mir glühend,
Bänder der Frischung wider mich sprühend,
So rennst du mir über die Brust.
Renn ich dir nach, mit der bäumenden Schnelle
Um die Wette, so staust du die Welle
Zum Bad, und daraus tauchst du -
Ehe die endlichen Arme dich packten,
Drückst du die Augen mit beiden, den nackten,
Den sanften Zehen mir zu, -
Und Husch am Kinne, und Streif am Munde,
Schwingst du dich, Äther, mit Wind im Bunde
Empor, und vergehst im Nu.

Ich schwang dir nach mit dem Wind, ich hab dich,
Entzücken fing dich, Entrücken gab dich, -
Ein Rausch, da schwingst du dich frei: -
Eben noch Lippe getreu der Lippe
Höhnst du mich schon von der leichtesten Klippe
Mit des seligen Vogels Schrei:
Falk noch eben, und Stimme der Wildnis,
Tauchst du schon wieder in Menschenbildnis,
Als wärs ein neu Element -
Da bebst du den Mai, da lachst du Geplauder
Des Bachs, da rührst du mit zartestem Schauder
Des Laubs, das der Wind kaum kennt:
Da wächst du neu wie der Wind, und neuer,
Ein Aufruhr brausend, und setzest wie Feuer
Im Sturm ein jedes Atom -
Mit Augen geizend, wie Lohe blühend,
Mit Lippen reizend, wie Erde glühend,
- Ein Glück, ein Wunder, ein Strom,
Brichst du um dich, was wider Natur ist,
Bis unter dir nichts mehr als Urzeit-Flur ist,
Und über dir Urzeit-Dom.

Du trägst die Welt in den tausend Falten
Deiner Gebärde und deiner Gestalten
Und strahlst sie begeisternd aus -
Immer dich ein um die andere liebend,
Immer dich Himmlische find ich zerstiebend
In alle die Schöpfung hinaus.
Liebend und halb mit Lachen dich hassend,
Wonnevoll fehlend und wiederum fassend,
Ein Nie und Immer und Nie, -
Den tausendsten Kuß vom Munde dir streitend,
Im tausendsten leer die Arme noch breitend,
So jagend so sink ich ins Knie:
So brichst du, kühl nach aller Erwärmung,
Unumarmt von der großen Umarmung,
Wie Sonne durch Ostens Tor,
Gestriges und der Geschicke vergessen,
Unerfahren, unermessen,
- Geboren, hervor und empor,
Und in mir die Sphäre lacht dir und wankt dir,
Dehnt sich und steigt zu dir, atmet, und dankt dir,
Und aller mein Staub tanzt Chor.

Ich neide dem Tage der Vorzeit nichts
Noch die Morgenschönste des Rosengesichts
Und was sie dem Halbgott gab,
Wenn er im Frühduft Sternegewimmels
Steilauf den Safran-Hügel des Himmels
Erstürmte ihr nach und hinab;
Ich kenne des unersättlichen Werbers
Unduldsame Seele, ich kenne des Sperbers
Jagdruf und Stoß aus dem Blaun,
Ich brenne im Kuß des im Fliehn Umschlungnen,
Ich weiß, wie sie waren bei ihren Bezwungnen,
Den jungen unsterblichen Fraun!
Mir wie ihnen die Jagd und den Hader,
Begehr, und Wehr in Begehr, und die Ader
Trinken, daraus du sprangst -
Ich liebe dich, wie du mich dir nach neuerst,
Ich liebe dich, wie du mir gießest und feuerst
Und wehst und fruchtest und prangst. -
Ich liebe dich, wie über tiefem Gewitter,
Durch Millionen Tränen Gezitter
Du, siebenmal Wunder, du hängst -
Vorwärts über die ewigen Brücken.
Und fiele die Welt, und fiele zu Stücken -
Entzücken, mir ist nicht angst!


sämtliche Gedichte von Rudolf Borchardt