Stefan Zweig - Neue Fahrten

Neue Fahrten

erschienen
als Teil  in
"Die gesammelten Gedichte"
im

Insel Verlag
Leipzig
1924

 


 

Inhalt

Neue Fahrten


Hymnus an die Reise
Belfried in Flandern
Taj Mahal
Zwei Morgenlieder
Alpenglühen am Zürichsee
Der verlorene Himmel

Sinnende Stunde
Die ferne Landschaft
Singende Fontäne
Herbstsonett
Wie die Schwalbe
Ein paar Verse
Bäume im Frühling
Mädchen vor dem Bildnis einer Bacchantin
Abendliche Flucht
Schwüler Abend
Wie nahmst du
Indischer Spruch
Serenade des ungeliebten Liebhabers
Der Krüppel
Polyphem

Die Herren des Lebens
Matkowskys Othello
Der Bildner
Der Märtyrer
Der Dirigent
Die Sängerin
Der Maler
Der Kaiser
Der Flieger
Der Fakir
Der Beichtiger
Der Träumer

Ballade von einem Traum

Letztes Gedicht

 

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Hymnus an die Reise

Schienen, die blauen Adern aus Eisen,
Durchrinnen die Welt, ein rauschendes Netz.
Herz, rinn mit ihnen! Raff auf dich, zu reisen,
Im Flug nur entfliehst du Gewalt und Gesetz.

Im Flug nur entfliehst du der eigenen Schwere,
Die dir dein Wesen umschränkt und erdrückt.
Wirf dich ins Weite, wirf dich ins Leere,
Nur Ferne gewinnt dich dir selber zurück!

Sieh! bloß ein Ruck, und schon rauscht es von Flügeln,
Für dich braust eine eherne Brust,
Heimat stürzt rücklings mit Hängen und Hügeln
Ein Neues, es wird dir neuselig bewußt.

Die Grenzen zerklirren, die gläsernen Stäbe,
Sprachen, die fremden, sie eint dir der Geist
Unendlicher Einheit, da er die Schwebe
Der vierzehn Völker Europas umkreist.

Und in dem Hinschwung von Ferne zu Fernen
Wächst dir die Seele, verklärt sich der Blick,
So wie die Welt im Tanz zwischen Sternen
Schwingend ausruht in großer Musik.


Belfried in Flandern

Einst war er Wächter über Unbegrenztes:
Das Meer klang her und wusch der Stadt die Füße,
Und nächtens, sternhaft zwischen Sternen glänzte
Sein Blick den Fahrenden Europas erste Grüße.
Mit hundert Schiffen, Mast an Masten, starrte
Der Hafen wie ein weißer Wald zu ihm hinauf,
Sie brachten Ferne mit von vielen Fahrten,
Und nach den Schlachten stellten sie Standarten
Als bunte Flammen rund um seinen Knauf.
Dann reckte er, ganz mit Triumph behangen,
Die Stirne höher in den Sturm hinein,
Und seine aufgelösten Glocken klangen,
Als hätte hundert Münder jeder Stein,
Und schriee jeder nur, die Stadt zu loben,
Die unten nebelte, gegürtet und bewehrt: -
Er aber stieß mit seinem Stolz nach oben
Und riß die Himmel auf als ein granitnes Schwert.

Doch stumm umkreisten seine Rast die Jahre,
Und jedes Jahr ebbte der Strand zurück,
Bald konnten Schiffe nicht mehr ihn umfahren
Und seine Häfen, die voll Wellen waren,
Erstarrten seicht und wurden Schlamm und Schlick.
Von immer ferner blinkerten die Segel,
Die einst an seinen Knien ausgeruht,
Und waren bald nur mehr wie weiße Vögel,
Ein Strich, ein Hauch am Horizont der Flut.
Das Land brach vor, der Sand wuchs auf zu Dünen,
Die Dünen wölbten sich zu runden weichen Deich
Vergebens warf sein Schatten sich zu ihnen,
Die Flut, die ungetreue, zu erreichen,
Vergebens donnerte die braune Kehle
Der Glocken, streckten die Kanäle
Die Arme aus nach dem verlornen Meer -
Die Schiffe, seine Kinder, blieben ferne,
Und zwischen großen Wolken und den kleinen Straßen,
Die mählich ihren Sinn und Glanz vergaßen,
Blieb einzig groß und unverändert: Er.

Und immer ragender, je mehr sich jene mindern,
Und immer größer in der kleinen Zeit
Steht er, ein Held im Harnisch, zwischen Bettelkindern
Nun ob dem Klüngel ihrer Ärmlichkeit.
Verächtlich blickt, der einst zum Kampf gerufen,
An all dem Krämerpack vor seinen Stufen
Mit einem ungeheuren Blick vorbei,
Und muß doch dulden, daß genüber auf dem Platte
Die Bürger, die beim Sonntagsbiere schmatzen,
Sich eitel sonnen unter seinem Glockenspiel.
Gehorsam muß er diesen Sklavenseelen
Den Rosenkranz der Stunden in die Finger zählen
Und bis ins Spülicht ihres Schlafs hinein
Die Uhr in die verhangnen Fenster schrei'n. -
Allein dann ist ein Grimm in seinem Rufen,
Und wenn er mit dem erzgewohnten Munde
Die Stunde hallt und ihre Melodie,
Reißt er sie hoch aus der verflachten Runde,
Als sprach' er nur zu Gott und nicht für sie.
Aber manchmal bei Nacht,
Wenn, ein Meer überm Meere, Springsturm herweht,
Wenn der Blitz zornwütig das Dunkel durchrennt
Und Donner ihm nach in die Tiefe kracht,
Dann drücken
Die kleinen Bürger sich feig und erschrocken
In ihre Betten zu blassem Gebet,
Und die Häuser kriechen folgsam und stumm
Wie niedergeschreckte verschüchterte Glucken
Nassen Gefieders um ihn herum.
Er aber steht
Von Wolken umflogen, vom Donner umdröhnt,
Von Blitzen und springendem Lichte gekrönt
Ein steinerner Baum, eine quaderne Wacht
In hochgemauerter Majestät.
An seinem Trotz zerschellen die gellen
Bisse des Sturmes, die ihn umbellen,
Und die Blitze, die ihn zackig umschnellen,
Zeigen nur wieder, wie stolz er aufragt. -
Dann kommt über ihn sein altes Frohlocken,
Und Sturm im Sturme, läßt er metallen
Seinen Kampfruf wider den Himmel hallen.
Und noch einmal schreit der Stolz seiner Glocken
Donnergebot weit über das Land,
Als wollt er das Meer, das ferne, beschwören,
Es solle kehren und rückwärts wallen
Zu seinen Füßen, zum alten Strand,
Und als müßten ihn bis in die Gräberhallen
Die Könige hören, von einst ihm Vasallen,
Und aufstehn an seiner steinernen Hand.


Taj Mahal

Grabdenkmal Muntaz Mahals in Delhi

Im Teiche, wo klarspiegelnd und genau
Die weißen Formen sich als Bild verkleinern,
Scheint er ein Spielzeug. Zart und elfenbeinern,
Wie unter mattem Glas liegt er zur Schau;
(Man hätte beinah Furcht, ihn zu zerbrechen).

Und dann ein Blick: Und sieh, es ist ein Bau!
Aufragend, blendend, makellos und steinern
Steigt er empor, löst blinkend seine Flächen
Vom Blättergrün und steigt in immer reinem
Bewegungen empor ins blanke Blau,

Auf, auf ins Licht, und strahlt im Sonnenfunkeln,
Als atmeten aus seiner Brust noch jene
Vergangnen Herzen in der kühlen Krypte
(Der große Fürst und die geliebte Frau).

Doch abends scheint er Traum. Wie eine Träne,
Die marmorn wurde, glänzt er in das Dunkel
Den Schmerz um die entschwundene Geliebte.


Zwei Morgenlieder

Bozener Berge
I
Nun tritt ganz sacht aus dem Dunkel heraus.
Die Türen sind blind und verschlossen,
Aber schon hat sich von Haus zu Haus
Das Leuchten der Frühe ergossen.

Im kühlen Hauche des Morgens quillt
Der Atem der werdenden Dinge,
Und linde löst sich der Ferne Bild
Wie ein Glanz von der Nebelschwinge.

Und alles fühlst du nun groß und rein
Wie den Himmel an heiligen Tagen,
Viel fromme Worte fallen dir ein,
Doch du mußt sie Gott nichts erst sagen;

Du brauchst nur dein rauschendes Herz hinein
In den lauschenden Morgen zu tragen.

II
Wie ich doch den Hauch der Frühe
Selig an den Lippen fühle.
Von den Wiesen weht der kühle
Duft mir Blumen an den Mund.

Berge reißen sich die schweren
Hüllen nieder, morgenhelle
Bäche spiegeln in der Welle
Einen Himmel klar wie sie.

Noch ist Sonne nicht im Tale,
Doch schon ahnt man ihre Nähe.
Wie ich in die Ferne spähe,
Blitzt ihr Blick schon auf dem Grat.

Über die noch stummen Weiten
Wirft sie leuchtend ihre Lanze,
Blut entflammt sich. Rings die ganze
Landschaft glüht in einem Brand.


Eine Kirche fühlt das Feuer
Auf dem Dache. Ihre Glocken
Werden glühend und frohlocken,
Und mein Herz klingt auf mit ihr.


Alpenglühen am Zürichsee

Wer rief dies Bild, das plötzlich in den Rahmen
Des Fensters mit dem goldnen Winde glitt?
Still ruft's mich an. Und schon weiß ich den Namen:
Es ist der Herbst und meint auch Abschied mit.

Die Berge, die tagsüber Himmel waren,
Wie glühn sie nah im abgeteilten Licht!
Oh hier wie immer fühlt man: in dem Klaren
Ist schon ein Teil Vergängnis und Verzicht,

Und fühlt, es wäre gut, noch einmal leiser
Als sonst den Vesperweg talab zu gehn,
Da sich die Abende im Herbst verfrühen,

Und eh es dunkelt noch aus all den Häusern,
Die westwärts Feuer aus den Fenstern sprühen,
Sich Sommersonne in das Herz zu sehn.


Der verlorene Himmel

Elegie der Heimkehr

Wohin entschwand, der mich noch gestern bestrahlte,
Der rauschende Himmel? Ein Meer, unendlich, umspülte
Er hebend und blau die zackigen Ränder der Erde,
Winde durchfurchten ihn sanft, und lächelnde Wolken
Hellten den ruhenden Ernst zu freundlichem Gruß.
Sterne entblühten ihm nachts wie weiße Zyklamen,
Und der Mond, der uralte Quell aller Träume,
Goß mir kühl aus silbern gebogener Schale
Tröstung ins Herz. Wann immer der Blick, der verwirrte,
Müde des Lands und heiß vom Antlitz der Menschen
Auf zu ihm stieg, ward er begütigt empfangen:
Ewigkeit glänzte ihn an und küßte die Klage,
Die kleinliche, zärtlich fort von dem brennenden Lid.
Lustvoll spannt' ich mich aus, und selber ein Himmel,
Wölbte sich mir mit heiligen Zeichen die Brust.
Hier, wo ist er, der große, unendlich entspannte ?
Zerbrochen hat ihn die Stadt, den Spiegel der Zeiten!
Scherben, zerschellt am gelben Steinbruch der Straßen,
Blinken nur nieder, umdüstert vom Qualm der Fabriken,
Gassen fenstern ihn eng zu grauen Quadraten,
Plätze schleifen ihn rund und, riesige Schrauben,
Bohren die Schorne ihn an die zackigen Dächer.
Die Sterne ersticken im Dunst, und selten nur eilen
Wolken leichtfüßig durch seinen trüben Morast.
Lehmige Flut, gedämmt vom Felssturz der Straßen,
Schleppt er sich hin, und die aufwärts spähenden Blicke
Rein sich zu baden an seiner einstigen Reinheit,
Stürzen enttäuscht zurück in das ratlose Herz.
Wem hier vertrauen, wem sich aufglühend hingeben,
Da er verdunkelt, der ewige Blick aller Blicke,
Wen frag ich an? Mit grellgeschminkten Plakaten
Grinsen die Wände, bunte Lichtbilder hämmern
Sinnlose Worte wie Nägel mir tief im Gedächtnis,
Blicke brennen, Rufe harpunen nach mir,
Alles ist Schrei hier und keiner, mich schweigend zu hören,
Keiner mein Freund. Fieber sind mir die Tage
Ohne den Himmel und dumpf die Stunden der Nacht.

Oh wie schlief ich in seiner unendlichen Wiege!
Weich umhüllte mich Traum, und Summen von Bienen
Bestickte golden die leise tönende Stille,
Winde wiegten mich ein, die Blumen enthauchten
Weihrauch von Duft und machten die Sinne mir fromm.
Atmen hört ich das Land, und die wogenden Brüste
Der Wälder hoben und senkten sich sacht wie die meine.
Nieder fühlt ich mich gleiten, vom niederen Strande
Des Tags in tiefere Welt, und waches Besinnen
Löste sich sanft in der freundlich dunkelnden Flut.
Schwärzlich war ich umfangen. Doch unten am Grunde
Glänzten bunt und geschart die Kiesel der Träume,
Arglos nahm ich sie auf, ich rollte die hellen
Und dunklen in eins, beseligt im kindlichen Spiele,
Bis dann das steigende Frührot sanfter Berührung
Aus den Fingern mir leise die glitzernden nahm.

Hier, hier stürz ich hinab! Ein eiserner Sarg,
Umpreßt mich der Schlaf. Über ihn poltern noch schwere
Schollen von Lärm, mit klirrendem Spatenwurf schaufelt
Mich die fühllose Stadt in den Kirchhof der vielen,
Die hier unter dem irren Kreuzgang der Straßen
Frierenden Blutes daliegen, tot und doch wach.
Immer wühlen noch Stimmen mir nach, und die Häuser
Drücken mir schmerzend mit ihren Steinen die Brust.
Nie verlösch ich hier ganz. Von Worten und Schreien
Zuckt noch Nachhall in mir, das Kreischen der Schienen
Quert meinen Schlaf, die donnernde Brandung der Wogen
Gischtet ihn an, das wüste Gröhlen der Trunknen,
Röcheln der Kranken, die rote Gier der Verliebten,
Angst und Erregung aller, die jetzt noch wach sind,
Sickert in mich und trübt mein dämmerndes Blut.
Auf hohen Türmen hocken schlaflos die Stunden
Und schlagen mit Glocken nach mir. All meine Träume
Dünsten noch Tag und haben die gierigen Bücke
Der Dirnen, die meinen Heimweg abends umstellten,
Angst und Qual von nie gekannten Gelüsten,
Denn viele sind wach noch in mir, indes ich daliege,
Und durch mein Herz stampfen unzählige Schritte,
Fremdes frißt sich mir an, und fremde Geschicke
Nisten sich frech in meinen schauernden Schlaf,
Und nicht beugt sich mehr über die schmerzende Stirne
Gütig wie einst der heilige Himmel der Welt.

Oh ich
fühTs, mit ihm, dem selig erhobnen,
Verlor ich mich selbst. Und mein Herz, das verwirrte,
Schlägt hier nicht eigene Stunde der Brust, sondern hämmert,
Fremd schon sich selbst, den rasenden Rhythmus der Stadt.


Sinnende Stunde

Die ferne Landschaft

Sie ist nur Traum, von mir als Kind einmal
Vielleicht geträumt, vielleicht sogar erlebt
Auf einer Reise, die ich längst vergaß,

Doch blinkt ihr Bild, als hätte scharfer Stahl
Es losgerissen von dem Hintergrund
Der Nacht, nun so in mir: Ein helles Tal,

Das jäh hinabstürzt von der Berge Rund,
Wie wenn es von dem Flusse trinken wollt,
Der lärmend gegen Felsen schmettert und

Dann in die Ferne glitzernd weiterrollt,
Wo reifer Trauben überschattet Blau
Sanft niederfließt in breiter Äcker Gold. -

Das Bild ist treu, ich sehe ganz genau
In jedem Traum dieselben Dächer, schräg
Und sonnenwarm, aufatmend fühl ich lau

Des Südens Luft, ich höre von dem Steg
Die Wasser schäumen und seh immer dann
Nach beiden Seiten einen weißen Weg.

Und immer neu rührt mich die Frage an,
Ob ich schon diesen Weg gegangen bin
In Leben oder Traum und wo und wann,

Den weißen Weg, der scheu und zögernd in
Den Rauch der Felsen führt und sanft ins Tal
- Ich weiß es nicht, woher, und nicht, wohin -

Und der doch funkelnder als ein Opal
Durch meine Nächte glänzt und bis zum Rand
Sie voll mit Sehnsucht füllt, ein einzig Mal

Auf diesem Weg zu pilgern in ein Land,
Das hinter allen Träumen hegt, so weit
Und wolkenfroh, so fremd und so bekannt,

Als sei es meine eigne Kinderzeit.


Singende Fontäne

Blauer Blick des Mondenscheines
Kühlte meines Zimmers Wand;
Da hört ich die Stimme eines,
Der im Dunkel unten stand.

Und wie ich die Scheibe staunend
Zu dem Garten niederbog,
War es Singen, süß und raunend,
Das zu mir ans Fenster flog.

Keinen sah ich. Nur im Dunkeln
Blinkte das erhellte Spiel
Der Fontäne, die mit Funkeln
In die Stille niederfiel.

Unruhvoll und doch beständig
Schien das silberne Getön
Wie ein lautes Herz lebendig
Durch die Brust der Nacht zu gehn.

Und ich fragte: »Warum rauschst du
Heute mir zum erstenmal?« -
Und ich horchte: »Warum lauschst du
Heute mir zum erstenmal?

In das heiße Gold der Tage,
Stumm im Steigen, Lied im Fall,
Durch den Samt der Nächte trage
Stet ich den erregten Schwall

Meiner eignen Überfülle,
Und du, der mir nahe ruhst,
Wirst erst durch den Gruß der Stille
Unsrer Brüderschaft bewußt ?

Hast du nie denn an der Schwelle
Des Erwachens wirr gefühlt,
Daß dir eine lautre Welle
Nächtens durch dein Herz gespült,

Daß mein Singen dich durchwebte
Und im Schlafe aufwärts schwoll,
Bis es Blut im Blute lebte
Und an deine Lippen quoll,

Bis als Lied der eingeengte
Schauer einer fremden Lust,
Die ein Traum in dich versenkte,
Wild aufbrach aus deiner Brust ?

So in dein Geschick verflechte
Ich mir meines Lebens Spur,
Und bin doch im Kreis der Mächte
Eine leise Stimme nur.

Eines von den stummen Dingen,
Die dein Wesen zauberhaft
Und geheimnisvoll durchdringen
Und von deren steter Kraft

Nur verloren-leise Kunde,
Manchmal deine Seele faßt,
Wenn du dich hinab zum Grunde
Eines Traums getastet hast.« -

Immer ferner schien der Schimmer,
Immer dunkler Wort und Sinn,
Doch mein Herz lauschte noch immer
Nach der weißen Stimme hin,

Die vom Garten, bald wie Trauer,
Bald wie Lächeln, wundersam
Über Bäume, Busch und Mauer
Schwebend an mein Lager kam,

Und an meine Brust sich schmiegend
Ihrer Worte Wiege schwang,
Bis ich schon in Schlummer Hegend
Glanz nur fühlte und Gesang.


Herbstsonett

Die Tage stiegen längst die goldne Leiter
Des Sommers nieder. Spätglanz wärmt das Land.
Die Schatten wachsen früh und fallen breiter
Von allen Bäumen in des Abends Hand.

Im Laube glänzt noch, wie vom Wind verschlagen,
Manch reife Frucht. Der Felder Brust liegt bloß,
Und Wolken, die sich westwärts über jagen,
Machen den Himmel ernst und ruhelos.

Über die Wälder, die sich rasch entblättern,
Zittert schon unrastvoll der Schwalben Flug.
Und all dies mahnt: Nun sei dem Herbst bereit.

Beugst du dich morgen zu der Landschaft Buch,
So blinkt vielleicht schon aus den bunten Lettern
Des Lebens liebstes Wort: Vergänglichkeit.


Wie die Schwalbe . . .

Wie die Schwalbe mit silberner Schwinge
Über die schläfernden Wasser blitzt
Und in ihr Blinken zitternde Ringe
Mit dem dürstenden Schnabel ritzt,
Fließende Spuren, die nicht verwunden,
Leise nur rühren, leise erschüttern -
Ach, so neigen und nahen sich
In meine einsam dunkelnden Stunden
Stille Gedanken, du Ferne, an dich.

Zart umgoldet von heimlicher Glut,
Schwalben der Sehnsucht, mir Tröstung zu bringen,
Streifen sie scheu mit zaghaften Schwingen
An mein Herz, das stilldunkel ruht.
Selig fühl ich sie nieder sich senken
Lust und Wehmut durchschauert mich,

Und ich zittre in süßem Gedenken,
Liebste, an dich.


Ein paar Verse . . .

Ein paar Verse zum Erwachen,
Liebste, nimm in deinen Tag!
Eine Frohe froh zu machen,
Sei, was sie entschulden mag,

Daß sie sich so ernst bemühen
Und so voll gemessen sind,
Statt zu flammen, statt zu glühen,
Statt zu flackern wie ein Wind,

Statt dich brennend zu umfangen,
Bis du, Liebe, Herz und Hand,
Stirn und Lippen, Brust und Wangen
Loderst in beseeltem Brand.


Bäume im Frühling

Wie die Bäume rings doch den blauen
Himmel mit ihren Kronen verbauen,
Diese rauschenden Wolken von Grün!
Und dies Funkeln, dies weiße, dazwischen,
Sind das noch Sterne oder die frischen
Blüten schon, die aus dem Dunkel sprühn?

Die dem Himmel die Lippen jetzt reichen,
Sind sie denn wirklich die bleichen, die gleichen
Aus dem einsamen Winterjahr,
Die wir oft voll Sehnsucht besahen,
Ob an ihrem Stamm nicht das Nahen
Des Frühlings endlich zu sehen war?

Trostlos und tot, ein leeres Gerüste,
Standen sie immer. Und die jetzt die Brüste
Atmend wiegen im schmeichelnden Wind,
Sind es wirklich die gleichen, dieselben,
Denen im Herbst die bleichen, die gelben
Blätter wie Tränen entsunken sind?


Mädchen vor dem Bildnis
einer Bacchantin

Wie sie sorglos vor die weiße
Büste der Bacchantin kam
Und sie den im Stein noch heißen
Nackten Körper ohne Scham

Jedem wild entgegenreichen
Sah, da fühlte schaudernd sie
Aus dem Herzen ein Erbleichen.
Leise zitterte ihr Knie

Und ließ kraftlos die Erblaßte
An dem Bilde, dessen Schrei
Unzähmbarer Gier sie haßte
Und doch fühlte, nicht vorbei.

Aber dann, in den Gebärden,
Wie sie sich dem Bilde bot,
War ein jähes Ähnlichwerden:
Beide stumm und keine tot

Schienen wie aus Spiegelflächen
Über eine Welt sich nah,
Nur ein Gleiches auszusprechen. -
Marmorn stand das Mädchen da,

Bis dann wieder die entfärbte
Wange voll mit Blut sich sog,
Lächeln wirr die schmalgekerbte
Feine Lippe überflog.

Aus den scheu verhängten Lidern
Brach von Trunkenheit ein Glanz,
Und der Gang in ihren Gliedern
Zuckte leise wie zum Tanz.


Abendliche Flucht

Kennst du das,
Wenn plötzlich - du sitzt bei Schreiben und Sinnen -
Die Wände raunend zusammenrinnen?
Irgendetwas
Steht auf und rührt sich in deinem Haus,
Aus den Fenstern starrts, aus den Stühlen sprichts,
Es knarrt auf den Dielen, es blinkert im Glas,
Nichts
Fühlst du als seine Gegenwart.
Und immer enger dringts auf dich ein,
Du fühlst dich umstrickt, du spürst dich umschart.
Und du rufst: es ist deine Stimme nicht.
Was du denkst, ist fremd in dich eingetan,
Fremd starrt dich dein Antlitz im Spiegel an,
Und du schauerst, du weißt nicht mehr, wer du bist,
Nichts ist mehr dein, fremd droht dir das Haus, -
Schatten hält dich umschränkt und beengt,
Bis du, ein Dieb, dir selber entfliehst
Die Treppen hinab, in die Straße hinaus,
Die dich, urbrüderlich Wesen, empfängt
Und wollüstig in ihren Wirbel schwenkt.

Und erst dort, im Gischt ein schwankender Stein,
Fühlst du Rast wieder, Stille und Einsamsein.


Schwüler Abend

Ist es schon Abend ? Ich will nicht hinaus,
Vergeblich flimmert ihr, ihr buhlerischen Sterne!
Faß mich doch enger, du vertrautes Haus,
Reiß mich an dich, gib mich nicht an die Ferne!
Lieg nicht so trag, so stumm, so atemlos,
Sprich jetzt zu mir! Ich brauche einen,
Der zu mir spricht in dieser Zwielichtstunde,
Hörst du: ich brauche einen, sei es bloß
Das Ticken deiner Uhr, ein Kinderweinen,
Das Knurren nur von einem nahen Hunde,
Nur nicht dies fröstelnde Verlassenscheinen,
Nur etwas, was das drohende Gewicht
Der ganz verstummten Stube von mir hält,
Und daß des Herzens Hammer nicht
So ohne Antwort in die Stille fällt!

Haus, halt mich fest! Zu viel
Von meinen Nächten hab ich hingegeben
An dieses sinnlich aufgepeitschte Spiel.
Wie bin ich müd, die abenteuerlich
Erregte Luft, die lichterlose Schwüle
Der stummen Gassen an mein Kleid, an mich,
Und endlich flackernd in mir selbst zu fühlen.
Schließ du mich, Buch, in deine dunklen Zeilen,
Senkt, Briefe, ihr dies In-die-Ferne-streben
In Heber Menschen Bild, in eine Frau,
Beschwichtigt ihr das nun vom Abend lau
Aufschwülend unerklärliche Verlangen,

Des Blutes Unruh in die Nacht zu jagen!
Dies willenlose Durch-die-Gassen-treiben,
Ob mich nicht etwas aus dem Dunkel will,
Dies lüstern Spähn, dies angespannte Hangen
An jeder mattbeglänzten Fensterscheibe -
Wird dieses knabenhaft verworrne Treiben
Denn noch nicht in mir still ?

Nein, halt mich, Haus! Verschließ mit dunklen Scheiben
All meine Unrast: und ich bleibe dein.
Ich selbst will ja den Abend so, nur so,
Wie er den andern ist: ein Müdesein.
Nur so,
Als sinke mit den schwindenden Kulissen
Ein buntes Spiel in bilderlose Räume.
Nicht will ich mehr. Vielleicht noch irgendwo
Freund oder Frau, ein mir Vertrautes wissen, -
Und dann nur Träume, bilderlose Träume.


Wie nahmst Du . . .

Wie nahmst du, Einsamkeit, geliebte, an mir Rache,
Daß ich dem kindgewohnten Schweigen mich entwandte,
Der Welt vertrauend, allzuvielen mich vertraute,

Bis mehr denn einst an Stille ich am Wort entbrannte
Und, willenlos zerrieben, - weh mir Schwachen! -
Mich hingab jenem Schwarm, des mir einst wissend graute!

Oh, blasse Flut des menschlich allzuwohl Bekannten,
Die du mich fügsam mitreißt in das Ewig-Laute,
Darin die Seele müßig strandet und versandet,

Gib frei mich, frei! Der scharfe Schaum von Schwatz
                                                                   und Lachen

Laugt schon das Letzte meines tiefgeheimen Lebens
Vorzeit empor; nur kalte Asche bin ich, ausgebrannte,

Zerschmatzte Süße, schale, ausgespieene Sache,
Plappernde Lippe eines, den das Wort entmannte,
Und die noch einmal zum Gebet sich krümmt. - Vergebens!

Zerredet ist mein Herz! Oh wehe, weh mir Schwachen!


Indischer Spruch

Zwischen Weinen, Lust und Lachen
Sind wir willenlos gestellt,
Träumend meinen wir zu wachen,
Doch der Traum ist Wahn, nicht Welt.

Bloß ein Spiel der stummen Dinge,
Mühen wir uns Sinn zu sein,
Aber Schlaf mit schwarzem Ringe
Schließt den Traum des Träumers ein.

Zwischen ihm, dem wir entstammten,
Und dem Schlaf, der uns erharrt,
Zuckt in sinnlos wilden Flammen
Unser Schein von Gegenwart.


Serenade des ungeliebten Liebhabers
Aus einem Singspiel für Musik

Immer wenn ich dich gewahre,
Einsam oder im Gewühl,
Ferne, Nahe, Unnahbare,
Hüllt dich zärtlich mein Gefühl,
Mantel, den du laß umbreitest,
Wind, den lächelnd du durchschreitest,
Stein, auf dem du fühllos schreitest,
Mondgeleucht und Sternhauch kühl.

Scheuer Schatten deiner Nähe,
Weh* ich hinter deinem Schritt,
Und ich spähe und ich sehe
Jeden deiner Blicke mit,
Fühle, atme, lebe, trinke
Jede Regung und versinke
Erst, wenn mit verhaßter Klinke
Tür um dein Entschwinden tritt.

Und so manche Stunde steh ich
Eingeschattet dann im Tor,
Auf zu deinen Fenstern seh ich
Immer glühender empor,
Ob nicht zwischen den Gardinen
Deine Schultern, mondbeschienen,
Oder nur ein Glanz von ihnen
Sich an mich und Nacht verlor.

Und je mehr die Scheibe dunkelt
- Denn du ahnst und fühlst mich nicht -,
Um so magischer erfunkelt
Innen mir dein Angesicht.
Ach, nur nie Geliebte können
Ihre Liebe so entbrennen,
Daß sie Wunsch schon Wollust nennen
Und Beglückung den Verzicht!


Der Krüppel

1915

Erst zögerte er lang', eh er auf seinen Krücken
Allein und frei durch den Kasernhof ging.
Er war's noch ungewohnt. Doch als von allen Blicken
Ihn rings nur sanfter Wink und Zuversicht empfing,

Da schleppte er tapfer auf seinen verstümmelten Stümpfen sich
                                                                                      weiter
Und klapperte laut und keuchte bis hin zu der Bank.
Nun kamen die andern. Die braven Burschen stellten sich heiter
Und sprachen ihm Mut zu, obwohl selbst ruhrfahl und krank.

Ein roter Husar half rasch, den Rücken ihm weicher zu betten,
Seine Hände umschmiegten ihn zart wie zerbrechliches Glas,
Ein Kind schlich hinzu und steckte die Mütze voll Zigaretten,
Und zwischen den Fingern klirrte auch von Silber etwas.

Zwei Hefen querüber und holten die Wirtin aus der Kantine,
Warm dampfte die Schale, es glänzte der weinvolle Krug;
Sie stritten sich fast, ihm besonders zärtlich und sorglich zu dienen,
Und was einer tat, nie schien es den andern genug.

Ein Offizier selbst, ein hoher, mit Sternen auf goldenem Kragen,
Trat näher - schon wollte er stramm empor zum Salut -,
Doch er winkte ihm nieder. Nur etwas Freundliches eilig zu sagen,
War er gekommen. O wie war alles sanft jetzt und gut,

Wie so brüderlich neu die Welt, die ihn, den Krüppel, umringte,
Wie so fremd jener andern, aus der er rückschauend kam!
Er beugte sich tiefer und tiefer. Denn ein Jähes, ein Heißes
                                                                               umblinkte
Ihm plötzlich die Lider. Er weinte und hatte doch Scham,

Daß er für all diese Menschen, die sich so zart um ihn mühten,
Kein Wort fand, keine arme kleine Geste zum Dank,
Indes doch innen das Herz von brennender Liebe aufblühte
Und die Brat ihm süßschmerzlich mit Duft und Dornen
                                                                              durchdrang.

Er schwieg nur und schwieg und ließ sich schweigend von allen
                                                                              beglücken,
Nur einmal hob er zum Himmel sein blaß verwildert Gesicht;
Dann streichelte er sanft und fromm seine harten knarrenden
                                                                              Krücken
Und sah zwischen Tränen die Welt voll Liebe und Licht.


Polyphem

1917

Drei Jahre schon leben wir
In deiner Höhle,
Höhle des Dunkels, des Grauens und böser Erwartung,
Polyphem,
Du ewig hungriger, menschenfressender Riese,
Dessen Auge
Starr, stählern und wimpernlos
Die selige Träne nicht kennt.

Tag für Tag
Greift deine harte haarige Hand
In unsere Reihen,
Fühlt, betastet und wägt unsre schauernden Glieder,
Reißt
Freunde von Freunden,
Bruder von Brüdern,
Schlägt
Schädel und Hirne, gefüllt mit Liebe und warmen Gedanken,
Körper und Stirnen, durchglüht von Samen und Süße
des Lebens,

Gegen die Felsen des Schicksals,
Und gierig schlürft
Dein breites, wulstiges tierisches Maul
Das heilige Fleisch
Göttlicher Menschen.
Wie Tiere gedrängt
Schauernd im Dunkel
Der blutigen Höhle
Sitzen wir nachts und fragen uns an mit sklavischen Augen:
Wann du? Wann ich? Wann der letzte
Göttlicher Menschen
In den Wanst,
Den ewig sich weitenden,
Dieses aufgeblähten sinnlosen Tiers ?
Unsere Wangen
Sind mürb
Von vergossenen Tränen,
Unsere Augen
Verdunkelt vom täglichen Anblick der Schmach,
Ein eiserner Ring
Erdrückt unsere Kehle,
Die einstens lobsang die Schönheit der Welt.
Wir können nicht reden,
Wir können nur stöhnen.
Wie die Vögel im Sturm
Gesträubten Gefieders
Niedergeduckt
Wärmen wir uns
Einer am andern,
Aber wir ballen die Fäuste,
Daß das Blut uns rot aus den Nägeln springt.

Er aber,
Trunken von Blut,
Frech von der Mast
Heiliger Menschen,
Räkelt sich breit
Auf der ewigen Erde,
Vom Morgen bis Mittag
Liegt er hingestreckt,
Zermalmend die Äcker,
Zerberstend die Wälder,
Zerdrückend die Städte,
Der Menschenschlinger
Und lacht
Mit dem kalten Auge, dem tränenlosen
In die Himmel,
Wo die Götter, die schläfrigen, schlafen und schlafen.

Aber hüte dich, Polyphem!
Es brennen heimlich
Die Feuer der Rache
In unseren Seelen.
Der Atem der Toten facht sie zur Glut.
Schon schniieden
Wir nächtlich den Pfahl,
Den Pfahl für dein Auge,
Das harte, das kalte, das tränenlose!
Hüte dich, hüte dich, Polyphem,
Schon schärfen wir
Die Spitze im Feuer!
Friß nur, saufe, mäste dich an,
Polyphem,
Doch wenn du dann träumst vom ewigen Fräße,
Stoßen wir dir die Nacht in die Stirn,
Und aus der Höhle des Bluts und des Grauens
Schreiten
Wir, Brüder der Völker, Brüder der Zeiten,
Über deine stinkende Leiche
In die ewigen Himmel der Welt.


Die Herren des Lebens

Ein Zyklus lyrischer Statuen

 

Matkowskys Othello
(geschrieben bei der Nachricht seines Todes, 1909)

Cypern, das Eiland. Rückwärts lärmt ein Meer
Mit Sturm und Aufruhr. Vorne schweigt im Räume
Ein anderes: Menschen, die im heißen Traume
Der Bilder fluten - Rufe! Dann kam Er,

Ein Leuchten im verdunkelten Gesicht,
Als Desdemona sich ihm neigte. - Keiner
Trug so viel Stolz. Nur neben ihm stand Einer,
Die Faust geballt. Allein, er sah ihn nicht

Mit seinem freien Blick, der allen Feinden an
Die Stirn nur griff, ob sie den Weg ihm wehrten,
Und nie ans Herz. Er trat vor die Gefährten,
Die stumm es fühlten: Dieser ist ein Mann.

Und wer von denen, die da lauschten, wer
Versagte ihm den Dienst? Tief in uns allen
War ein Gefühl von Knaben und Vasallen,
Wenn er so schritt. Allein um wie viel mehr

Wuchs Angst in uns empor, da sich der Wurm
Des Zweifels in ihn fraß, die sanften blauen
Augen sich füllten mit Gewölk und Grauen
Und seine Stimme stärker als ein Sturm

Sich bäumte, wilde Verse hin in Splittern
Zerschellte an die aufgetürmten Quadern!
Fieber war alles! Das Gestrüpp der Adern
Auf seiner Stirn hing schwer wie ein Gewitter

In unsre Angst. Wie Wetterleuchten, rot
Schoß es aus seiner Brauen tiefen Bogen;
Ein Donner, kam sein Zorn herangezogen,
Und rollte, grollte... Da - ein Blitz - sein Tod!

Und wach war alles.. .Was wir kaum verhalten,
Rauschte im Sturz aus den versperrten Tiefen,
Das Blut...die Stimme. Und wir riefen, riefen,
Bis Er dann aus des Vorhangs bunten Falten

Uns wiederkam, wir sahen, daß nur Trug
Dies Sterben war, das wir mit ihm gelitten,
Doch wenn er ging, ging hinter seinen Schritten
Erneute Angst. Wie war es uns genug

Ihn anzusehn, wenn er so stolz und groß
Im Lichte stand, die Brust breit dargeboten;
Die Schicksal von so viel erträumten Toten
Und so viel edle Wirklichkeit erschloß;

Und die nun irgendwo, an fremdem Ort
Verdüstert ruht mit jäh verklungnen Saiten.
Denn was er lebte von Unsterblichkeiten
Ward nun zum Bild und stirbt in unserm Wort.


Der Bildner
Meudon, Maison Rodin 1913

Der große Meister ist müde und alt. -
Ein weißes wehendes Dickicht umwallt
Sein Bauernbart den zerfurchten Basalt
Des abgelebten grauen Gesichts.
Und wenn er schwer durch die Säle geht,
Durch die er sein steinernes Werk gesät,
So schlurft er so schläfrig und urallein,
Als schritt er in seinen Tod hinein.

Aber weiß,
Ein funkelnder Kreis,
Umstehn ihn die Statuen und strahlen von Licht!
Die Augen weitfort von sich aufgetan,
Träumen sie schweigend ein Ewiges an.
Sie rühren sich nicht, sie regen sich nicht,
Sie spüren sich nicht, sie bewegen sich nicht,
Stumm
Ruhen sie aus in unendlichem Ruhm.
Ein Lächeln verloren im marmornen Mund,
Stehen sie da, die großen Trophäen
Verschollener Siege, gemeisterter Zeit,
Gefrorne Kristalle Unendlichkeit.

Der Meister umschlurft sie mit langsamem Gang,
Als schritt er sein ganzes Leben entlang
Mit seligem Schauern, mit zärtlichem Graun
Muß er sie wieder und wieder anschaun,
Und kann's doch nicht fassen, das Unfaßbare,
Daß sie, die ihm vor verschollenen Jahren
Gespielen und Spiel seiner Jugend waren,
Noch immer dieselben, die strahlenden sind,
Und ihre Formen, die kühlen, die klaren,
Noch rein die Welle des Lebens durchrinnt,
Indes er selber, der sie gestaltet,
In sich zerfaltet, in sich veraltet,
An jeder Stunde zu sterben beginnt.

Und wie er sie so, die strahlenden, sieht,
Fühlt er sich selber uralt und müd.
Er ahnt, in den klaren, körnigen Quadern
Müsse tief innen
Das eigene Blut seiner todmatten Adern
Noch feurig quellen und rotfunkelnd rinnen.
Und mit denselben uralten Händen,
Die das Leben in ihre Leiber getan,
Rührt er jetzt zagend die Statuen an,
Noch einmal in ihnen, den stummen, den kühlen,
Das weggelebte Leben zu fühlen:
Wie ein Dürstender beugt er sich über den Stein
In den Brunnen verschollener Jahre hinein.

Aber fremd
Stehen die Statuen im Totenhemd.
Sie ehren ihn nicht, sie wehren ihm nicht,
Sie atmen nur Schweigen, sie leben nur Licht.
Sie haben vergessen, woher sie kamen,
Den Fels und das Land und die Zeit und den Namen.
Wortlos gereiht
Stehn sie in ihren weißen Gewändern
Unberührt von Vergehn und Verändern
Jenseits der Zeit.
Und kein Wort von ihrem marmornen Munde
Spricht mehr zurück zu den Menschen der Stunde.

Die Uhren, die ihnen zu Häupten gehangen,
Sind weitergegangen,
Städte erstanden und andre verdarben,
Gesichter fielen aus Formen und Farben,
Geschlechter erwuchsen, Geschlechter verblühten,
Menschen wurden zu Masken und Mythen,
Alles ward in der mitleidlosen
Mühle der Jahre zerstäubt und zerstoßen -
Nur sie in ihren erstarrten Posen
Dürfen im rastlos Wandernden ruhn,
Weil sie ihr Wesen ewig zu Ende tun.

Der geht - und sein Gehen ist ewiges Gehn -
Der ruht - und sein Ruhen ist ewige Ruh -
Und wie auch die Stunden stürmen und schwingen,
Keine Stunde nimmt, keine gibt etwas zu,
Denn jede der stummen Gestalten hält
In sich kristallt einen Augenblick Welt,
Der nie wieder kehrt und niemals zerfällt.
Niemals werden die weißen, die glatten
Gestalten in ihrem Wesen ermatten,

Ewig werden, die sich umschlingen,
Im Liebeskampf um Erfüllung ringen,
Ewig wird die Welle der Lichter
Die Qual der vier Gebeugten umzittern,
Ewig wird mit dem Schreckblick der Dichter
Aus innerer Nacht in die Welt gewittern,
Und das Lächeln, das jener Lippe umschwebt,
Ist irdisch verklungen und bleibt doch und lebt,
Indes sie selber, die wachen Gesichter,
Sich längst zerstäubten aus Formen und Falten
Und mit den Stunden verwehten wie Wind. -
Sie aber, die Schatten des Lebens, die kalten
Steine, sie stehen, sie dauern: sie sind.

Der Meister steht staunend im steinernen Wald,
Von Schweigen umschart, von Stille umschallt,
Und mit einmal begreift er die Urgewalt,
Die wie große Musik aus den Steinen bricht:
Sendung
War ihm gegeben,
Vollendung
Schafft Leben über dem eigenen Leben,
Gestalteter Stein ist stärker als Zeit!
Und selig erkennt er das große Licht
Ob seinen Gestalten: Unsterblichkeit.

Da lächelt der Meister zum erstenmal,
Seit er stumm vor den Steinen steht.
Von Licht und Schweigen orgelt der Saal,
Und sein Herz braust mit in dem großen Choral.
Wie im Gebet
Hebt er die Hände,
Die all dies getan,
Und sieht sie, die eigenen, ehrfürchtig an,
Er sieht sie an, die kranken, die kalten,
Mit ihren Schrunden und Schwielen und Falten,
Die Werkmannshände, in denen vor Jahren
All diese aufgereckten Gestalten
Wie zitternde, unflügge Vögel waren,
Und die nun, heilig und unnahbar,
Hinglänzen durch die stürzende Stunde
Wie eine niederverlorene Engelschar,
Die Gott anschweigt mit marmornem Munde.

Groß rauscht es im Saale, still sinken die Hände,
Stumm stehen die Statuen, weiß leuchtet der Stein.
Wie eine Legende
Geht der Meister fromm in sein Werk hinein.


Der Märtyrer
Dostojewski, 22. Dezember 1849

Nachts haben sie ihn aus dem Schlaf gerissen,
Säbel durchklirren die Kasematten,
Stimmen befehlen; im Ungewissen
Zucken gespenstisch drohende Schatten.
Sie stoßen ihn vorwärts, tief gähnt ein Gang,
Lang und dunkel, dunkel und lang.
Ein Riegel kreischt, eine Türe klirrt;
Dann spürt er Himmel und eisige Luft.
Und ein Karren harrt, eine rollende Gruft,
In die er eilig gestoßen wird.

Neben ihm, hart in Eisen geschlossen,
Schweigend und mit verblaßtem Gesicht
Die neun Genossen;
Keiner spricht,
Denn jeder spürt,
Wohin der Karren ihn vorwärts führt,
Und daß dies unten rollende Rad
Ihr Leben zwischen den Speichen hat.

Da hält
Der ratternde Karren, die Türe knarrt:
Durch das geöffnete Gitter starrt
Sie ein dunkles Stück Welt
Mit trüb-verschlafenem Blicke an.
Ein Häuserkarree,
Die Dächer niedrig und schmutzig bereift,
Umschließt einen Platz voll Dunkel und Schnee.

Nebel umfloren mit grauem Tuch
Das Hochgericht,
Und nur um die goldene Kirche streift
Der Morgen mit frostig blutendem Licht.

Schweigend treten sie alle an.
Ein Leutnant liest ihren Urteilsspruch:
Tod für Verrat durch Pulver und Blei.
Tod!
Das Wort fällt wie ein wuchtiger Stein
In den frostigen Spiegel der Stille hinein,
Es klingt
Hart, als schlüge etwas entzwei,
Dann sinkt
Der leere Schall ins lautlose Grab
Der eisigen Morgenstille hinab.

Wie im Traum
Fühlt er alles mit sich geschehen
Und weiß nur, daß er jetzt sterben muß.
Einer tritt vor und wirft ihm stumm
Ein weißes, wallendes Sterbehemd um.
Ein letztes Wort grüßt die Gefährten,
Und heißen Blicks,
Mit stummem Schrei,
Küßt er den Heiland am Kruzifix,
Den der Pope ihm ernst und mahnend hinbietet;
Dann werden
Sie alle zehn, je drei und drei,
Mit Stricken an ihre Pfähle genietet.

Schon
Kommt ein Kosake eilig heran,
Die Augen ihm vor dem Gewehr zu verbinden,
Da greift - er weiß es: zum letzten Male! -
Der Blick vor seinem großen Erblinden
Gierig nach jenem kleinen Stück Welt,
Das der Himmel ihm drüben entgegenhält:
Im Frühschein sieht er die Kirche loh'n:
Wie zum letzten seligen Abendmahle
Glüht ihre Schale,
Gefüllt mit heiligem Morgenrot.
Und er greift nach ihr mit plötzlichem Glück
Wie nach Gottes Leben hinter dem Tod . . .

Da schnürten sie ihm die Nacht um den Blick.

Aber innen
Beginnt das Blut nun farbig zu rinnen.
In spiegelnder Flut
Steigt aus dem Blut
Gestaltetes Leben,
Und er fühlt,
Daß diese Sekunde, die todgeweihte,
Alle verlornen Vergangenheiten
Wieder durch seine Seele spült:
Sein ganzes Leben wird wieder wach
Und geistert in Bildern durch seine Brust;
Die Kindheit, bleich, verloren und grau,
Vater und Mutter, der Bruder, die Frau,
Drei Brocken Freundschaft, zwei Becher Lust,
Einen Traum von Ruhm, ein Bündel Schmach;
Und feurig rollt der bildernde Drang
Verlorene Jugend die Adern entlang,
Sein ganzes Sein fühlt er nochmals tiefinnen
Bis zur Sekunde,
Da sie ihn an den Pfahl gebunden.
Dann wirft ein Besinnen,
Schwarz und schwer
Seinen Schatten über die Seele her.

Und da
Spürt er, wie einer auf ihn zutritt,
Spürt einen schwarzen, schweigenden Schritt,
Nah, ganz nah,
Und wie er die Hand ihm aufs Herz hinlegt,
Daß es schwächer... und schwächer . . . und gar nicht
                                                                 mehr schlägt -

Noch eine Minute - - dann ist es vorbei.
Die Kosaken
Formen sich drüben zur funkelnden Reih . . .
Die Riemen schwingen . . . die Hähne knacken . . .
Trommeln rasseln die Luft entzwei.

Die Sekunde macht Jahrtausende alt.

Da ein Schrei:
Halt!

Der Offizier
Tritt vor, weiß flackt ein Papier,
Seine Stimme schneidet hell und klar
In die harrende Stille:
Der Zar
Hat in der Gnade seines heiligen Willens
Das Urteil kassiert,
Das in mildere Strafe verwandelt wird.

Die Worte klingen
Noch fremd: er kann ihren Sinn nicht erdenken,
Aber das Blut
In seinen Adern wird wieder rot,
Steigt auf und beginnt ganz leise zu singen.
Der Tod
Kriecht zögernd aus den erstarrten Gelenken,
Und die Augen spüren, noch schwarz verhängt,
Daß sie Gruß vom ewigen Lichte umfängt.

Der Profoß
Schnürt ihm schweigend die Stricke los,
Zwei Hände schälen die weiße Binde
Wie eine rissige Birkenrinde
Von seinen brennenden Schläfen ab.
Taumelnd entsteigen die Augen dem Grab
Und tasten linkisch, geblendet und schwach
In das schon abgeschworene Sein
Wieder hinein.

Und da sieht
Er das gleiche goldene Kirchendach,
Das nun im steigenden Frührotschein
Mystisch erglüht.
Die reifen Rosen der Morgenröte
Umschlingen es wie mit frommen Gebeten,
Der glitzernde Knauf
Deutet mit seiner gekreuzigten Hand,
Ein heiliges Schwert, hoch in den Rand
Der freudig errötenden Wolken hinauf.
Und dort, aufrauschend in Morgenhelle,
Wächst über die Kirche der Gottesdom.
Ein Strom
Von Licht wirft seine glühende Welle
In alle klingenden Himmel empor.
Die Nebelschwaden
Steigen qualmend, wie mit der Last
Allen irdischen Dunkels beladen,
In den göttlichen Morgenglast,
Und Tönen schwillt empor aus den Tiefen,
Als riefen
Tausend Stimmen in einem Chor.
Und da hört er zum erstenmal,
Wie die ganze irdische Qual
Ihr brennendes Leid
Brünstig über die Erde hinschreit.
Er hört die Stimmen der Kleinen und Schwachen,
Der Frauen, die sich vergebens verschenkten,
Der Dirnen, die sich selber verlachen,
Den finstern Groll der immer Gekränkten,
Die Einsamen, die kein Lächeln berührte,
Er hört die Kinder, die schluchzenden, klagen
Und die schreiende Ohnmacht der heimlich Verführten,
Er hört sie alle, die die Leiden tragen,
Die Ausgesetzten, die Dumpfen, Verhöhnten,
Die ungekrönten
Märtyrer aller Gassen und Tage,
Er hört ihre Stimme und hört, wie sie
In einer urmächtigen Melodie
Sich in die offenen Himmel erheben.
Und er sieht,
Daß einzig das Leiden zu Gott aufschwebt,
Indes die andern das schwere Leben
Mit bleiernem Glück an die Erde klebt.

Aber endlos weitet sich oben das Licht
Unter dem Schwalle
Der steigenden Chöre
Von irdischem Leid;
Und er weiß, sie alle, sie alle
Wird Gott erhören,
Seine Himmel klingen Barmherzigkeit!
Über die Armen
Hält Gott nicht Gericht,
Unendlich Erbarmen
Durchflammt seine Hallen mit ewigem Licht.
Die apokalyptischen Reiter entstieben,
Leiden wird Lust, und Glück wird zur Qual
Für den, der im Tode das Leben erlebt.
Und schon schwebt
Ein feuriger Engel bodenwärts
Und bohrt ihm den Strahl
Der heiligen, schmerzgeborenen Liebe
Tief und strahlend ins schauernde Herz.
Da bricht
Er ins Knie wie gefällt.
Er fühlt mit einmal die ganze Welt
Wahr und in ihrem unendlichen Leid.
Sein Körper bebt,
Weißer Schaum umspült seine Zähne,
Krampf hat seine Züge entstellt,
Doch Tränen
Tränken selig sein Sterbekleid.
Denn er fühlt, daß, erst seit
Er die bittern Lippen des Todes berührt,
Sein Herz die Süße des Lebens spürt.
Seine Seele glüht nach Martern und Wunden,
Und ihm wird klar,
Daß er in dieser einen Sekunde
Jener Andere war,
Der vor tausend Jahren am Kreuze stand,
Und daß er, wie Er,
Seit jenem brennenden Todeskuß
Um des Leidens das Leben hebhaben muß.

Soldaten reißen ihn weg vom Pfahl.
Fahl
Und wie verloschen ist sein Gesicht.
Schroff
Stoßen sie ihn in den Zug zurück.
Sein Blick
Ist fremd und ganz nach innen gesenkt,
Und um seine zuckenden Lippen hängt
Das gelbe Lachen der Karamassow.


Der Dirigent
In memoriam Gustav Mahler

Ein goldner Bienenkorb, in dessen Waben
Summend das Volk sich drängt, so scheint
Das Haus mit seinem hingeströmten Licht
Und der Erwartung vieler Menschen, die
In schwärmender Erregung sich versammeln.
Alle Gedanken tasten unablässig
Dort an die dunkle Wand, dahinter sich
In einer Wolke unbestimmter Ahnung
Die Träume bergen.
     Unten schäumt der Kessel,
Darin sich die gefährliche Magie
Der Töne braut. Die bunten Stimmen brodeln
In erster Hitze, zucken, sieden, spritzen
Schon manchmal eine kleine Melodie
Wie Schaum herauf. Allein sie zittert schwank
Im hohen Raum und stürzt dann wie zerbrochen
Zurück ins Ungefähr der andern Stimmen.

Und plötzlich wo ein Klang: das Licht verlischt,
Der Ring des Raums zerrinnt ins Grenzenlose,
Nacht stürzt herab, und alles wird Musik.
(- Denn sie, im Unbegrenzten heimisch schweifend,
Gibt schamhaft ihre körperlose Seele
Den Blicken nicht und ausgereckten Händen:
Urschwesterlich sind Dunkel und Musik.)
Und was vordem im ausgesparten Räume
An zagen Stimmen suchend rang, was sich
Noch scheu und ganz vereinzelt erst versuchte,
Das greift jetzt ineinander, flutet über,
Meer wird es, Meer, das seine Wellen bald
Wie Knabenhaar verliebt und eitel kräuselt,
Bald sie wie Fäuste ballt, ein Meer,
Das auf zu Sternen will. Nun sprengt es hoch
Bis ans Gebälk die farblos heiße Gischt
Der Töne, wirft sie gegen unser Herz,
Das sich noch weigert (denn wer gibt sich gern
An ein gefährlich unbekannt Gefühl
Ganz ohne Zagen hin?). Allein es reißt
Gewaltsam mit in seine blinde Kraft,
Und Flut sind wir mit ihm, nur wesenlos
Verströmte Flut, die bald zum Wogenkamm
Des seligsten Entzückens hochgeschleudert
In weißen Schäumen funkelnd sich zersprüht,
Bald wie begraben in der jähen Trauer
Des Niederstürzens ins smaragdne Dunkel.
Wir alle, sonst vieltausendfach zerstückt
Durch Zufall, Schicksal und geheime Neigung,
Sind eine Welle zitternder Entzückung,
Drin unser eigen Leben unbewußt
Und ohne Atem, ohne Willen flutet,
Ertrunken in den Tönen.
     Aber dort,
Hoch über diesem Meer, schwebt einer noch,
Wie eine schwarze Möwe mit den Schwingen
Hinreisend über das erregte Stürmen
Des namenlos beseelten Elements.
Er ringt damit, taucht bald hinab, als griff
Er Perlen von dem Grund, bald schnellt er hoch
Wie ein Delphin sich aus dem wildgepeitschten
Gewirr der brennend lodernden Musik.
Ein Einziger, da wir schon hingerissen
Und schwank verströmt sind, selber "Wind und Welle,
Kämpft er noch mit den losen Elementen,
Gebändigt halb und halb der Töne Meister. -
Der Stab in seiner Hand (ist er der gleiche,
Mit dem einst Prospero den grausen Sturm
Hinwetternd auf die reine Insel warf?)
Scheint, ein Magnet, das fließend Erz der Töne
Hinaufzuzwingen in die starke Hand,
Und all die Wellen, drin wir uns verbluten,
Strömen ihm zu, dem roten Herz, darin
Die Unruh Rhythmus wird, das wirre Leben
Der Elemente klare Melodie.

Wer ist der Zaubrer, wer? Mit einem Wink
Hat er des Vorhangs harte Nacht gespalten.
Sie rauscht hinweg. Und hinter ihr sind Träume
Mit blauem Himmel, aufgeblühten Sternen,
Mit Duft und Wind und Bildern wie von Menschen.
Nein, nein! Mit Menschen! Denn kaum hat er jetzt
Die Hand gehoben, so bricht diesem schon,
Den er bedeutet, Stimme aus der Wunde
Der aufgerißnen Brust, und jetzt den andern!
Sie atmen Leid und Lust. Und alles ist,
Wie er gebietet. Seht, die Sterne löschen
Jetzt mählich aus, die Wolkenzüge brennen
Vom Feuerhauch der neuen Dämmerung,
Und Sonne naht und naht mit ihr andre Träume.
Und über all dies schüttet er Musik,
Die er von unten aus dem unsichtbaren
Geström mit seinen losen Händen schöpft.
Tag wird aus Nacht. Womit hat er Gewalt,
Daß ihm die Töne dienen, Menschen sich
Ausbluten im Gesang und daß wir alle
Hier leise atmend wie im unruhvoll
Erregten Schlafe sind, vom süßen Gift
Des Klangs betäubt? Und daß ich immer
Das Zucken seiner Hand so spüren muß,
Als riß er eine angespannte Saite
In meiner Brust entzwei?
     Wohin, wohin
Treibt er uns fort? Wir gleiten nur wie leise
Barken des Traums auf niegesehnen Wassern
Ins Dunkel weiter. Goldene Sirenen
Neigen sich manchmal über unsre Stirnen,
Doch er lenkt weiter, steil das Steuer in
Die feste Faust gepreßt. Wir gleiten, gleiten
Zu stillen Inseln, sturmzerrißnen Wäldern.
Wer weiß, wie lang ? Sind's Stunden, Tage,
Ist es ein Jahr?
     Da sinkt der Vorhang zu.
Die Barke hält. Wir wachen wie verschreckt
In unsre Wirklichkeit. Doch er, wo ist
Er hin, in dessen Händen wir gewesen,
Der dorten stand, ein unbewegter Stern
Über dem Aufschwall geisternder Gewässer?
Hat ihn die Flut, die er bezwang, nun doch
Hinabgerissen in ihr Dunkel? - Nein!
Dort stiebt ein Schatten weg. Der heiße Blick
Greift rasch ihm nach. Doch ringsum schwillt
Schon Unruh und Geräusch, die Menge bricht
In tausend Stücke, einzelne Gesichter,
Zerrinnt in Worte, die sich laut verbreitern,
Der Jubel dröhnt! Aufflammen alle Lichter, -
Wir sind am Strand, daran die Träume scheitern.


Die Sängerin

Wer bist du ? Dein Gesicht scheint wie aus Stein,
Da es sich plötzlich von der matten Tiefe
Des Dunkels und der noch viel dunklern Krone
Verflochtnen Haars über die Menge hebt.
Wer bist du, sprich! Warum sind deine Lippen
Wie Siegel rot und hart auf dem Geheimnis
So jäher Blässe, warum sprichst du nicht,
Da doch in dir (ich
fühl's) der Wogenschlag
Aufbrandender Erregung rollt? Was will
Der fremde Blick, vorbei an all den Blicken,
Und was dies Blatt, das weiß, mit Spuren
Von Botschaft zwischen deinen Fingern
Sich knisternd krümmt? Gib Rede, steh nicht so
Im innern Brand, denn jetzt, ich seh es, da
Der andre dir den unsichtbaren Strang
Von einer Melodie herüberwirft, da bäumt
Sich's in dir auf, vergeblich preßt die Hand
Die rege Brust, denn schon klimmt eine Ader
Wie eine Schlange blau die Kehle auf,
Durchbricht ein dreifach Perlenband, und jetzt -
Wie eine Knospe birst dein Mund
Gewaltsam auf, ein wilder Schrei bricht hoch . . .

Nein, nein! Es ist Gesang. Aus dem Gestein
Der Starre sprudelt eine jähe Quelle
Und rauscht nun kühlend über unsre Stille,
Die süß erschreckte, immer lauter hin.
Oh Selige, so ist dir dies gegeben,
Dich hoch zu schwingen aus dem engen Rand
Des eignen Wesens und ins göttlich Freie
Des Grenzenlosen dein Gefühl zu stürzen,
Mit heißer Lippe all dies rein und tönend
In Wind und Welt zu werfen, was im dumpfen
Gefäß des Leibes schwül und trächtig gärt!
Du reine Buhlerin, die du an Tausend
Gleichzeitig dich verschenkst, die nackte Seele
Aufglühend hingibst unberührten Leibs
In einer brennenden Vermischung, die
Viel tiefer ist als die von Mann und Weib -
Wie taumle ich, von deiner Stimme trunken!

Oh singe, sing! Ich fühl's, die Luft, die tote,
Wird um mich reg, indes ich reglos werde,
Hinsterbend im Gefühl. Wie doch dies Dunkle
In deiner Stimme sich so schwesterlich
An all mein Dunkles schmiegt und es mit linder
Begütigung ins Freie lockt? Woher
Hast, Fremde du, so seltene Gewalt,
Daß schon dein bloßer Hauch dies dumpf
In mir Verwölkte klärt, Melancholie
In süßes Sehnen schmilzt und ich vergehe
In einem weich hingebenden Gefühl?
Daß meine Trauer ihren dunklen Leib
Nun aus dem trüben Bad der Tränen stolz
Und nackt wie eine Göttin hebt, empor
In so viel Licht, daß meine Augen brennen,
Sich Schmerz zu Lust verzückt? Allein da faßt
Schon deine Heiterkeit, die goldgelockte,
Die meine, schelmischer Gebärde, an,
Daß sie, zwei Kinder, trillernd Hand in Hand
In wilden Sprüngen über bunte Wiesen
Mit immer aufgeregterm Lachen tollen.
Oh welcher Übergang von Nacht ins Klare
In dieser nahen Nachbarschaft der Töne!
Denn Hell und Dunkles, Lastendes und Lindes
Senkst du und hebst du mir vom innern Leben
Mit einem Wogen deiner lauten Brust.
Mein eignes Wesen fühl ich mir entschwingen,
Nur mehr empfindend, was ich in dir spüre.
Nicht Lauschen mehr, bloß ahnend Widerklingen,
Nur zwiefach du, in dem ich mich verliere,
Und so schon dein, daß ich im Überfließen
Mich selbst und dich in einer Lust genieße.

Doch wo, wo bist du selbst, aus der all diese
Entzückung strömt? Dein Bild ist hingeschwunden,
Dein Antlitz überflutet von Gesang,
Nur innen spür ich dich, du Aufgeschwebte,
Wie eine Muschel tönend von dem Meer,
Das sie umspült, und fühl dich auch in allem,
Was an mich rührt. Denn alles rings im Räume
Ist wie entkörpert von dem dumpfen Leben:

Aus harten Pfeilern schwingt Musik, die Decke
Strömt sie herab, mit unsichtbaren Händen
Trägt sich Gesang im Dunkel selig weiter.
Die Menge, sie, die taube selbst, wird Klingen,
Doch über alles, immer, immer wieder
Sprühst du empor, und diese göttlich klare
Fontäne von Gesang, die immer höher,
Oh immer höher farbenfunkelnd sprüht,
Als wollte sie die reinen Sterne netzen,
- Dies wilde Schwellen - ist's nicht auch mein Blut,
Das mit entströmt, weil ich mich so
Beglückt entbürdet fühle, lastlos durchsichtig,
So selber Klang und Schwinge über aller
Schwere der Welt?

     Doch wohin, wohin
Hebst du mich auf? Halt ein! Du mußt
Zerschellen, Stimme, allzukühne, denn
Schon so kristallen rein, so gläsern durchsichtig,
So schneidend klar bist du und so voll Süße,
Daß dich der Sinn nicht trägt.
Da steigst du langsam nieder, Stimme, wunderbare,
So wie ein Adler mit gespanntem Flügel
Vom Unnahbaren kreisend niedergleitet,
Und ich, ich sinke mit. Schon ebbt das Blut,
Das weggestürmte, wieder in den Adern,
Erwachen naht und in dem Leiserwerden
Auch jene unfaßbare Wehmut, die
Den letzten Glanz von großer Lust umwittert.
Nun taucht dein Antlitz wieder aus den Tönen,
Doch müde, wie das einer Frau am Morgen
Nach heißer Nacht. Und nun das blasse
Gesicht sich langsam aus dem Dunkel schält,
Seh ich die rote Quelle deines Lieds,
Die leiser nun die letzten Worte funkelt,
Und jetzt . . . . . .

     Nein, schweige nicht! In dem Verstummen
War schon ein Vorgefühl des ewigen Vergehens,
Gefühl von Dunkelheit, wie selbst die Nächte,
Die Sternenlosen, es nicht dröhn! Nein, laß
Mich ewig weiterfluten im Gesänge,
Zerbrich nicht diese wundervolle Schwinge,
Die mich erlöst von all den dumpfen Mächten,
In deren Kreis ich unwillig gefangen -
Verstumm mir nicht!

     Geliebte, singe, singe!

 


Der Maler
Brief eines deutschen Malers aus Italien

Dies Blatt, das ich für euch zum Briefe falte,
Ich wollt, es war ein Bild und brächte euch
In unser Haus, wo noch der unwirsch kalte
Frostwind die Türen stürmt, die Sonne bleich
Und zaghaft um den Reif der Fenster füttert,
Nur einen Traum des Lichts, das warm und weich
Im Haar mir wühlt, um meine Hände zittert
Und nun schon innen, wie ins Blut gesprüht,
Des Herzens Hammerschlag mit Funken füllt.
Dies Blatt, ich trug es sonnenüberglüht
In einen Park. Der breitgezweigte Baum,
Der sich darüberbog, vermochte kaum
Den Ungestüm des vielen Lichts zu mildern,
Das, - überflutend aus der Äste Wehr,
Als wollte es den dunklen Grund entzünden, -
Noch weißer sprühte als das weiße Blatt.
Und dieses Funkeln lockte mich von mehr;
Von tausend in mir aufgesparten Bildern
Wollt ich, der bislang nur von Farben träumte
Und nun erst Ahnung ihrer Vielfalt hat,
Wollt ich euch Lieben, ach, im Nordland Blinden,
Mit raschem Stift die eine Landschaft schildern,
Die rings den Blick mit heißem Gold umsäumt.

Doch unberührt und zag ließ ich das Blatt.

Denn wie, wie wagt ich all dies schon zu malen?
Wo faßt ich an? Wie fände ich mir Farben,
Die nicht der Umwelt feurig Leuchten schwächen?
Wie bände ich die schweren goldnen Garben
Des wie mit Sensen hingemähten Lichts,
Wie den Kristall der blanken Himmelsflächen,
Den Glanz der Wasser, die sie treulich strahlen,
Wie hier die Blüten, deren wieder jede
Der steilen Sonne unnahbaren Blick
Von Blatt zu Blatt in neue Farben brechen,
Dies stet verwirrte Spiel? Nein, nichts, oh, nichts
Vermöchte diese Fülle auszusprechen,
Die, feind dem Bilde, kaum sich leiht der Rede,

Denn was sind Worte, sind sie nicht Musik?

Doch dieses Eine, diesen Augenblick,
Von Schreck und Lust dies selig sich Umschließen,
Da mir im ersten Schaun schon alles ward,
Was jetzt die Sinne schwärmerisch genießen,
Dies laßt noch einmal mich zurückbeschwören!
Es war der dritte Morgen unsrer Fahrt,
Wir klommen aufwärts über die vereisten
Paßhöhen, wo nur mehr verzwergte Föhren
Dem Schnee verflochten ihr umwittert Haar,
Kalt sprang der Wind uns an. Es war,
Als ob mit einem Mal die Welt ergreiste
Und selbst der Himmel sich in Rauch verlöre.
Des Lebens Stimme, Blick und Atem schienen
Wie eingesargt in ein gespenstisch Grab,
Nur in uns schrie die Angst: Hinab! Hinab!
Da - als der Niederstieg der Serpentinen
Sich plötzlich kühn durch einen Felsen stieß -
Da - und es war, als ob mit einem Male
Die Nebelwand von unsern Lidern ließ -
Da lag in Ährengold ein endlos Tal,
Rotrosenbüsche winkten aus den Tiefen
Wie Fahnen her, die schwanken Rebgelände
Klommen empor und legten ihre Hände
Begütigend auf den zu schroffen Hang,
Daß er sich williger zum Tale mulde,
Und alle Wege, alle Wasser liefen
So wild hinab, daß laut der Felsen klang.
Und ich, ich Toller, stürzte, stürmte, sprang
Mit all den Bächen, die voll Ungedulden
Der Felsen hochgetürmte Brust entriegeln
Und dann in Seen, lächelnd und verklärt,
Den erst nur perlenblassen Himmel spiegeln,
Der - wie ein Wasser, zart getönt am Strande
Der Farbe Dunkel aus den Tiefen nährt -
Sich blaubrokaten aufspannt ob dem Lande.
Ach, wie ich froh ward, wie so unbeschwert!
Die schroffsten Ketten sah ich Bilder werden,
Schneesteig und Schrunde, die hell talwärts kamen,
Im Fernenblau nur mehr als Schattenriß
Den ewigen Frühling dieses Tals umrahmen.
Ich sah beglückt - manchmal auch ungewiß,
Ob dies nicht Traum sei -, wie sich all die Wiesen
Bestickten mit vieltausend bunten Dolden,
Sah Früchte schwer und reif das Laub durchgolden,
Oh, all die Bäume, und dann über diesen
Den Himmel mit den weißen Wolkenherden.
Ich sah das Meer, fernfunkelnd und türkisen,
Fühlte die Luft, die warm und ausgegoren
Das Blut berauschte wie ein starker Wein,
Bis sich die Sonne schwindlig süß verloren:
So gierig trank ich, so mit allen Poren
Dies weiße Flimmern in mein Herz hinein.

Und nun, nun heg ich regungslos und trag,
Hindämmernd in das einzige Gefühl,
Selbst aus der warmen Erde aufzusprießen,
Hier nur zu sein, wie Pflanze, Baum und Frucht,
Besonnt, beglückt, der lauen Winde Spiel,
Aufkeimend, reifend, blühend unter ihnen,
Ureins im Blut mit all den Gegenständen,
Die gleiches Licht mit gleicher Lust genießen.
Nichts lockt mich, nicht der diamantne Weg,
Der sich ins Weinlaub wühlt, nicht dort die Wucht
Der unter Efeu bröckelnden Ruinen,
Nicht da mein Stift, die harrende Palette!
Ich fühle nur von meinen nackten Händen
In alle Adern Sonne überfließen,
Und daß dort drüben aus der Rosen Rund
Nun singend etwas tritt, daß es sehr bunt
Und leuchtend ist, doch fühl ich's nicht als Frauen,
Nicht als ein Fremdes ihre heitre Kette.
Ich fühls als Farben nur auf diesem blauen
Unsäglich ausgespannten Hintergrund.

Und Farben, Farben - oh, wie bunt ihr Feuer
Durch die fast aufgesprengten Adern kreist!
Wie wirbelnd das, wie wild, wie ungeheuer
Die ganze Welt mit sich nach innen reißt!
Das pralle Weiß hier, funkelnd vom Gemäuer,
Und da des Efeus Grün, der es umkleidet,
Das grelle Gelb, das überm Sande brütet,
Das Schwarz dort jener einsamen Zypresse,
Die wie ein Riß des Himmels Samt zerschneidet,
Dies Violett, Orange, dies Rot, wie Purpur trächtig -
All das bohrt in mich, von der Feueresse
Des mitleidlosen Lichtes blank geschmiedet,
All das wirft Wellen, wird im Blute mächtig,
Quillt auf, ein Qualm, noch nicht zur Form gestaltet,
Drängt so, wie aus der österlichen Erde
Der Blumen Glanz und Blust, noch eingefaltet,
Emporpocht zur erhellten Oberfläche.

Und schon, ich fühl es, wird diese Begierde,
Flackernd und bunt in Farben auszubrechen,
Lebendiger in mir als die trunkne Schwäche,
Die sich bezaubert in den Dingen spiegelt,
Statt sie emporzureißen in ein Bild.
Und bald, bald wird das Drängen übermächtig. -
Oh, all das aussprühn, was mich jetzt erfüllt,
Wie wunderbar die Hoffnung mich beflügelt!
Denn dann erst, wenn all diese süßen Qualen,
Dies kaum von Schmerz zu scheidende Begehren
Auffunkelnd bis in meine Finger quillt,
Wenn all die Farben, meiner Brust entsiegelt,
Nicht jener Welt mehr, sondern mir entstrahlen -

Dann erst - dann will ich endlich wieder malen.


Der Kaiser
Schönbrunn 1913

Noch zittert das Frührot nur scheu um das Dach,
Nachtnebel saugt den Glanz von den Scheiben,
Doch drei Fenster funkeln schon längst im Palast:
Der Kaiser ist wach.
Eh der Morgen weiß in die Straßen fällt,
Steigt sein Wille hinab in die schlafende Welt.
Diener haben die weiße Last
Der Staatsdekrete zum Unterschreiben
Bereitgelegt.
Die Feder fegt
Wie Frühwind durchs Laub hin über das Knistern
Der Blätter, die Bitte und Botschaft flüstern.
Und die eben noch welk waren, blaß und verdorrt,
Blühen und fruchten von diesem Wort.

Der Kaiser schreibt mit fliegendem Stift,
Und Schicksal schafft jede Unterschrift.

Er schreibt - und in zwei Hände, nackt und schwach,
Schüttet er Macht,
Einen Tropfen aus seiner unendlichen Fülle:
Nun darf einer Heerführer, darf Richter sein,
Hinrollend den Würfel von Leben und Tod,
Doch sein Gebot
Ist nur Spiegelschein
Von seinem eigenen waltenden Willen.

Und wieder ein Rascheln - und einer ist Graf,
Eine siebenarmige Krone umzinkt
Den Namen, der jetzt golden aufklirrt und klingt.
Ein Blatt - und aus tausendjährigem Schlaf
Bäumt sich die Erde, aufsteigt ein Dom,
Die Türme schüttert der Hammer der Glocken,
Und ein Strom
Von Menschen füllt ihn in frommem Frohlocken.

Ein Schriftzug weiter - und irgendwo knarrt
Eine Kerkertür auf, eine Kette fällt.
Selig starrt
Ein hungriger Blick in die Fülle der Welt.
Und wieder das Wort - und es sinkt ein Schafott,
Das schon sein Kreuz einem Mörder hinreckte,
Taumelnd stürzt und staunt der Erschreckte,
Zwei blutlose Lippen lobpreisen Gott.
Ein Blatt, ein Rascheln - der Krieg ist erklärt,
Wie eine zuckende Stichflamme fährt
Das Wort in den knisternden Zunder der Massen
Und stürzt den Donner über das Land.
Telegraphen sausen, Spruchfunken sprühn
Über die Meere den Blitz ihrer Botschaft Inn,
Zeitungen flattern wie weiße Vögel
Über das Schäumen der Gassen im Schwung,
Der Sturm der Menge faßt ihre Segel
Und stürzt in das Meer der Begeisterung.
Bajonette blitzen
In stachligen Büscheln starr durch die Straßen,
Transporte entquellen den Magazinen,
Die Kasernen spein Ströme blaulodernder Mützen.
Aufbrennenden Schienen
Rollen die Räder von allen Wegen
Einem einzigen Ziele entgegen,
Und die Kanonen schrein
Ihr mörderisches Wort in die Welt hinein.

Und wieder ein Rascheln, ein Federstrich -
Die aufgröhlenden Wogen zerglätten sich,
Die Menge sickert zurück in das Land,
Und der Bauer stößt mit ruhiger Hand
Den Pflug in die brachgelegenen Schollen.

Er schreibt - und mit jedem Federstrich
Schwankt das Reich und verändert sich.
Blatt auf Blatt
Fällt mit Früchten und Blüten
Vom magischen Baum seines Willens ab,
Der funkelnden Krone,
Die nie entlaubt
Und mit uraltem Haupt
In die Urwelt ragt der Mächte und Mythen,
Wo die Götter noch über der Erde thronen.

So schafft er jeden Morgen die Welt. -
Dann tritt er hinaus,
Neugier und Ehrfurcht umscharen sein Haus;
Ein Kommando gellt,
Die Trommeln prasseln, ein Säbel klirrt,
Ein Ruf: die Waffen sind präsentiert,
Der Wagen saust vor.
Die Hüte sinken tief weggemäht:
Wie im Gebet
Hält die Menge erschauernd das Haupt geneigt,
Und erst da sein ernstes Antlitz sich zeigt,
Weht
Die knatternde Fahne des Jubels empor.

Durch ein Tor
Von Rufen, das bis zu den Dächern steigt,
An wallenden Wänden,
Die niederstürzen in Jauchzen und Schrei,
Fährt der Kaiser vorbei.
Triumph hält sein greises Haupt überdacht,
Demut umfängt seine grüßenden Hände,
Und helle Wellen der Ehrfurcht tragen
Den schlichten Wagen
Hinaus in das unendliche Meer der Macht.


Der Flieger

Die Erde spricht:
»Ich lasse dich nicht,
Du Wurm, der meine Flanken umkriecht,
Du fressende Borke in meiner Rinde!
Ich
hab dich gesäugt, ich hab dich genährt,
Ich gebe nichts frei, was zu mir gehört.
Ich stürz dir das Grauen des Todes ins Herz.
Ich binde
Die Sohlen dir an mit brennender Schwere,
Ich füll dir den Leib mit Wucht und Gewicht,
Und wie zornig du dich auch aufwärts entringst,
Du sinkst
In ewiger Ohnmacht stets bodenwärts.«

Doch der Wille glüht:
»Ich bin müd,
Die Straßen zu streifen, die alle begingen,
Ich will nicht mehr, Last, an Lastendem kleben!
Leben ist Schweben,
Seliges Ruhn mit wandernden Schwingen.
Ich sehe
Die Lerchen leicht auf luftigen Sprossen
Aus nebelnden Talen ins Frührot klimmen
Und Adler schwarzseglig den Äther zerpfeilen,
Ich sehe
Die Schwalben flink wie flüchtende Rehe
Die Wälder des Winds und der Wolken durcheilen,
Ich sehe
Libellen mit silberflirrenden Flossen
Im blauen Bade des Himmels hinschwimmen,
Ich sehe Glanzkäfer wie zitternde Funken
Die brennenden Kelche der Blumen umstreichen.
Aufschwingt sich die Wolke, hochwellt sich der Rauch,
Und was Feuer, Wasser und Tier erreichen,
Vermag ich auch.«

Und der Motor keucht:
»Ich mache dich leicht!
Ich habe das Feuer in mich getrunken,
Meine Adern bersten, mein Blut siedet und surrt,
Horch, wie es kocht
Und mit heißen
Verlangenden Stößen ins Freie pocht.
Spreng mir den Gurt,
Reiß mir sie auf, die eisernen Schließen,
Ich will meine Kraft in die Welt ergießen,
Hilf, und ich stoße dich steil in die Luft!«

Die Hand reißt nervig das Steuer an sich:
»Ich löse dich,
Nun wirf mich empor
Oder stürz mich hinab!
Die Erde ist dunkel, die Erde ist Grab,
Ihr Leib ist gebläht von Toten und Särgen,
Ihr Atem stinkt von Moder und Gruft,
Doch bevor
Auch mich ihre durstigen Schollen auftrinken,
Heb du mich in reine, in feurige Luft!
Mich hebe hoch, laß sie stürzen und sinken,
Auf, ihr Schwingen, macht mich frei, macht mich groß!
Los!«

Die Maschine zittert und prasselt Begier,
Aus eiserner Nüster sprüht Feuer und Dampf
Dann jäh wie ein Stier
Stürzt sie und stampft
Blindwütig voran, schleudert und kreist
"Wirr, ein rasend gewordener Pflug,
Im qualmenden Feld,
Bis ein Ruck
Den Nacken ihr plötzlich nach oben schnellt.

Die Leute stürzen im Taumel herbei,
Zehntausend Stimmen nietet ein Schrei:
»Er schwebt!
Er fliegt!
Traum und Triumph, wir haben's erlebt,
Ein Mensch hat über die Erde gesiegt.«

Und die Schwingen summen und surren im Wind:
»Ach, wie leicht und selig wir sind!
Wir schneiden
Mit beiden
Armen die Luft, wir mahlen den Wind,
Wir mähen
Die Böen,

Wir werden wie Vögel, wir werden geschwind.«
Und eine Wolke singt:
»Was blinkt
Dort aus der Tiefe steil auf mich los,
Was dringt
So übermächtig in meinen Schoß
Und fährt durch mich mit schneidendem Stahl?
O wie er schmerzt, der brennende Stoß!
Ich fühl mich zerfließen
Und tränend über die Erde ergießen.«

Er aber wandert hinauf.
Die Nebel reißen ihm die Tore auf,
Hügel knicken
Demütig ein mit dienerndem Rücken,
Berge sinken vor ihm auf die Knie.
Hoch über sie
Schwingt er sich hoch und tastet die Runde:
Wie im wässerigen Grunde
Eines Meers, verfilzt in Algen und Grün,
Sieht er die Korallen der Kirchtürme glühn,
Die Bahnen kriechen wie kribblige Fliegen
Auf weißen spinndürren Straßenschnüren,
Wie Spielzeuge liegen
Die Häuser lässig im dünstenden Licht
Der Felder, die klein sind wie Büschel von Blumen.
Wälder zerfasern zu wehenden Garben,
Teiche blitzen als blaßblaue Funken,
Die Gletscher scheinen wie winzige Krumen
Von Sternen, die auf die Erde gesunken,
Ströme zerschmelzen, die Meere versiegen,
Rund wird und runder die Übersicht,
Und mählich zerrinnen die flackernden Farben
In ein einziges mattes, verblassendes Licht.

Und der Sturm springt ihn an, verspielt wie ein Tier:
»Du Fremdes, komm und ringe mit mir!
Wir wollen
Zur Wette die Eisbahn des Himmels hinlaufen,
Wir wollen
Mit sausendem Sprung auf die Berge klettern
Und den grauen Tannen ihr Haar ausraufen,
Komm, laß uns Ball mit den Wolken schlagen,
Lawinen krachend zu Tale rollen.
Wir schmettern
Den Mond wie einen klotzigen Stein
Auf ein zerkrachendes Kirchendach!
Komm mit, du Kühner, komm, spring mir nach,
Hol mich ein!«

Nebel küssen ihm Hand und Gesicht,
Die Höhen klingen kristallen im Licht,
Und die Erde wird trübe, die Erde wird fern,
Ein dumpfer, verlöschender Weltenstern.

Nun jauchzt die Brust ihren großen Schrei:
»Frei!
Allein!
O weites unendliches Einsamsein!
Mein Blick zerstößt sich nicht mehr an den Dingen,
Die Luft ist von Atem und Worten rein.
Leben ist Schweben,
Seliges Ruhn auf wandernden Schwingen!
Doch ich fühle
Noch über dem Schweigen sphärisches Klingen,
Ich will durch die Kühle
In den feurigen Kern aller Himmel eindringen,
Ich will steigen und steigen
Bis auf zu den Höhn,
Wo selbst die Engel geblendet sich neigen,
Und Gott ins ewige Auge sehn.«

Und er steigt
Höher hinauf in die heilige Leere.
Der Motor keucht mit röchelnder Lunge,
Funken spritzen um die Kontakte,
Eine blitzende Schere,
Zertrennt er das ewige, faltenlose
Gewebe, das blaue, und stürzt in den nackten
Himmel sich tiefer in rasendem Schwünge;
Er steigt und steigt.
Brennende Tränen verschließen den Blick,
Doch den Blinden umrauschen hohe Gesänge,
Er fühlt nur mehr Töne, er trinkt nur Musik.
Er hört die Engel den Morgen lobsingen,
Die Winde orgeln Hymnen der Kraft,
Die Säulen des Alls beginnen zu schwingen,
Orkane brausen ihm Bruderschaft.
In das heiße Gestänge
Greift die Sonne wie in eine Harfe hinein,
Mit unsichtbaren Saiten
Tönen die nahen Unendlichkeiten.
Und er steigt
Höher, die Stimme Gottes zu hören,
Der tönend über den Dingen schweigt.
Das Blut
In seinen Schläfen beginnt stärker zu tosen,
Der Hammer des Herzens schwingt sich und klingt,
Und er spürt sich aufgehn im Grenzenlosen
Wie ein Ton, der höher und höher entschwingt,
Und er ahnt, nun klingt er zur Urmusik
Der Welten ins ewige Schweigen zurück.

Aufrauschen die Fernen, er steigt und steigt,
Und nur die niedere neidische Erde schweigt.


Der Fakir

Die Säule, auf der ich Regloser sitze,
Ist wie eine Flamme steilauf gestellt.
Ich bin ihr Ende. Doch ihre Spitze
Reicht hinab an den Nabel der Welt.

Morgenröten und Monde kreisen
Um meine Schultern: ich schaue sie nicht.
Winde kommen von ruhlosen Reisen,
Keiner wendet mein stummes Gesicht.

Vögel nahen. An ihren Gefiedern
Hängt noch Duft und verschlagener Tau,
Doch ich lausche vorbei ihren Liedern
Zu dem Schweigen im ewigen Blau.

Menschen ziehen von fern, mir zu dienen,
Myrrhe und Rauch steigt auf im Gebet,
Aber mein Blick verweigert sich ihnen,
Der so starr wie die Säule steht.

Leer schwingt Lärm und Laut um die Achse
Meines Beharrens, des stehenden Steins,
Denn ich lausche nach innen und wachse
Schweigend hinab in die Wurzeln des Seins.

Lächelnd laß ich die Jahre hinrinnen,
An meiner Starre zersplittert die Zeit,
Nur der Lauschende sammelt tiefinnen,
Was der Tag in die Stunden zerstreut.

Ewig keltert unendliche Ernte,
Wer den Atem der Worte verhält.
Selig, der ganz sich verschließen lernte:
Wer in sich ruht, ist Herr der Welt.


Der Beichtiger

Wenn er schwarzen Schritts durch die Stadtgasse geht,
Schauer wie Sturm ihm entgegenweht.

Weiber verstummen im Schwatze und bücken
Sich tief, um ihm nicht ins Auge zu blicken,

Lachen erlischt, und der Marktplatz erstarrt
Von seiner stumm mahnenden Gegenwart.

Er aber geht, wie von Stein das Gesicht,
Als fühlt er die Furcht ihrer Herzen nicht,

Geht schweigend den Gang, gibt freundlichen Blick
Für verlegenen Gruß und Verbeugung zurück,

Schlägt gütig das Kreuz, reicht Kindern die Hand
Und sieht doch sie alle wie durch gläserne Wand.

Er weiß: hier könnte er stehen bleiben
Und »Mord!« an die Türe des Witwers schreiben.

Könnt dem, den sie Vogt und Verwalter nennen,
Das Brandmal des Diebs auf die Wangen brennen,

Und der, die dort ehrbar am Fensterkreuz stickt,
Das Kind ausgraben, das sie heimlich erstickt.

Ein Wort nur braucht er hinfallen zu lassen,
Und Schande sprang auf und nackt durch die Gassen,

Riß Frauen vom Bett, den Vater vom Kind,
Brach Siegel von Brief und gestohlenem Spind.

Zwischen Haus und Haus stürzte Dunkel und Wand,
Was jeder verhehlt, war jedem bekannt,

Und jeder, der selbst sich geborgen vermeint,
Erkennte den andern als Mörder und Feind. -

Aber schwarz und schweigsam der Beichtiger geht,
Den Blick ganz nach innen, der nichts verrät.

Kein Zucken des Mundes, kein Lächeln zeigt
Das Ungeheure, das er verschweigt,

Und daß er das Herz dieser Stadt, dieser Welt
Wie ein zitterndes Tier in den Zähnen hält.


Der Träumer

Was willst du, Tag ? Was schlägst du Morgenglocken
In meinen Schlaf? Was drängst du an die Scheiben
Dein nüchternd Licht und läßt die Träume stocken,

Die goldne Schrift um meine Schläfen schreiben?
Laß ab von mir! Mich lockt's nicht, dir zu dienen,
Nicht in der Unrast jener mitzutreiben,

Die jetzt in Börsen, Banken, an Maschinen
Die Nägel sich im Gelde blutig krallen -
Nichts will ich, nichts von dir und nichts von ihnen

Ich dräng nicht mit im aufgeregten Schwalle,
Der bangt, die Uhr des Kerkers zu versäumen!
Dein arm Geviert, ich laß es ihnen allen -

Doch du, du Kalter, laß mir meine Träume!
Laß sie mir ganz! Wen ihre Wolken führen,
Dem gilt nicht Zeit, den engen keine Räume,

Wem sie - sieh her - nur leis die Schläfe rühren,
Der braucht nicht mehr, als seinen Nagel füllt,
Und ist entrückt. Denn wie an Perlenschnüren

Ein Funke zündend tausend Farben schwellt,
So glüht dem Träumer - ach, was wißt ihr Wachen
Von der Magie, der heimlichen, der Welt! -

Der zagste Wunsch im Flug zu hundertfachen
Vom Leben nie erreichten Möglichkeiten.
Ein Augenwink vermag ihn wahr zu machen,

Was sonst verteilt, verzettelt durch die Zeiten
Die Krämerhand des Zufalls zögernd spendet,
Mich aber hebt schon bloßes Flügelspreiten

In Sphären, die kein Maß begrenzt und endet.
Eh sich ein Wunsch erkennt, ist er getan,
Denn nur das Leben kargt: der Traum verschwendet.

Unendlichkeit strömt brausend mir heran,
Kaum daß ich meine Lider träumend schließe. -
Noch einmal Gott, heb ich die Schöpfung an,

Ich fühl vom Quell der Adern Bilder fließen
Und selbst mich spiegelwandernd zwischen ihnen,
Traum wird Gestalt, Gestalten schon Genießen.

Dies Fenster dort, noch kaum vom Licht beschienen
- Ich weiß nicht, wessen Scheitel es umzirkt -,
Schon spricht's ein Bild, schon zeigen die Gardinen

Mir eine Frau, die ihre Haare birgt.
Schon fühl ich sie und fühl aus ihrem langen
Gesträhn den tiefsten Wunsch, den sie entwirkt,

Den Wunsch, damit Geliebtes zu umfangen,
Und bin - tief traumgebannt an meine Stelle -
Er selbst, an dem jetzt ihre Lippen hangen.

Bin ich und sie zugleich in einer Welle
Verstrickten Leibs, und während ich sie fasse,
Ist sie schon eine andre in der Schnelle

Wandernden Traumes. Jenes Weib der Gasse
Ist Fürstin schon, sie ist Scheherezade:
In Palmen sinkt der ekle Qualm der Straße,

Und Sklaven kommen, myrrhenüberladen,
Mit weißen Händen, die von Sandel triefen,
In Marmorbecken unsern Leib zu baden,

An meiner Hand blinkt Siegel des Kalifen,
Ich reck sie aus, und meine Flotten fahren
Nach
Cordova. Schon furchen sie die Tiefen

Des Meers, schon glänzt der Fels der Balearen,
Die Woge dröhnt, schon spüre ich das Schlingern
Der hohen See! Vorwärts! Ich muß nicht sparen,

Nicht mich an kleine Möglichkeit verringern:
Die Welt ist mein, so weit ich sie begehre,
Gold rinnt wie Wasser laß mir von den Fingern,

Ich
bin's, dem Ophirs Minen zugehören,
Alhambren wachsen mir und Riesenstädte;
Vom Kap hinüber zu den Kordilleren

Werf ich wie einen Ball die Zauberkette
Der Träume, die mir alle Fernen fassen,
Und schwarzen Lids, schlaff ruhend hier mi Bette,

Vermag ich Möglichkeiten zu verprassen,
Wie keinem Dichter sie sich je enthüllen,
Nicht Stift noch Meisel sie sich ahnen lassen.

Denn jenen ist das Leben noch die Hülle,
Und wer vom Tage borgt, ist ihm verpflichtet,
Doch der bloß träumt, hat seine wahre Fülle.

Ihm ist die Stirn zu Ewigem gerichtet,
Und was hier irdisch gilt, gilt ihm geringe,
Die Welt besitzt nur, wer sie sich erdichtet.

So laß mich, Tag! Schenk deine bunten Dinge
Den andern; ach, sie nehmen's kindisch gerne.
Und was du zögerst, ihnen zuzubringen,

Rafft mir ein Flügelschlag von meinen Sternen
Im Spiel herab. Ich habe nichts versäumt,
Denn selbst dein Letztes, deinen Kern der Kerne,

Denn auch den Tod, längst
hab ich ihn geträumt -


Ballade von einem Traum

1923

Es war nur Traum, durch den mein Schritt
Wie über schwarze Wolke glitt,
Doch Traum, des wissender Verrat
Mein Innen hell nach außen tat
Und deutsam quer durch Schein und Schlaf
Geheimsten Nerv des Lebens traf. -
Was wach ich
me mir eingestand,
Stand klar in seinem Spiegelrand,
Und dieser Traum, der fremd mich fand,
Hat tiefer mich als Tag erkannt.

Dies aber wies mir jener Traum:
Ich ging durch einen fremden Raum,
Der war nicht voll und war nicht leer,
Nur Schweigen schwoll dort schwarz und schwer,
Wie Wasser schwillt, wie Nacht hinfällt
In dumpf und sternenlose Welt.
Oh dieser Raum, wie voll er war
Von Vorgefühlen und Gefahr:
Er drückte nicht, er drängte nicht,
Und doch, sein Da-sein engte mich.
Ich fühlte, daß mich was umstand,
Gefährlich, schwül und unbekannt,
Und zagen Fußes wandt ich mich,
Wie ich dem Wartenden entwich.

Ich weiß noch, wie ich schaudernd ging,
Als ob mir etwas überhing,
Als ob ich etwas Schweres trug,
Das mir in Knie und Nacken schlug. -
So zaghaft und so drückerisch,
Als bückt' gestohlne Beute mich,
Mein Schritt sich durch das Dunkel schlich. -
Und wie ich so ins Leere floh,
War mir, als gingen irgendwo
Noch einer oder viele da,
Als wäre etwas feindlich nah
In diesem Traumraum, der den Schritt
Mir dunkel funkelnd mit umglitt,
Und plötzlich wußte jäher Wahn,
Daß tausend Augen auf mich sahn,
Versteckte Augen, fern und nah,
Die ich nicht sah, die ich nicht sah,
Und daß dies Schweigen unnennbar
Ein Netz von tausend Blicken war,
Darin ich ging, darin ich hing,
Bespähtes Wild, gefangnes Ding,
Und immer näher spannt' es sich,
Und immer jäher rannte ich,
Daß ich dem Raum, dem Traum entwich.

Da plötzlich fiel's, wie Donner fällt:
Felssturz war vor mir aufgerollt,
Blitz sprang ihn an, und hinterm Wald
Hub weiß sich steinerner Basalt.
Aufblinkte eine blanke Wand,
Und wie den Blick ich zu ihr wandt,
Da zuckte Schrift, da flammte Hand,
Und feurig dort geschrieben stand:
»
Du bist erkannt! Du bist erkannt!«

Oh, dieses Wort, wie es mich traf
Durch Stirn und Hirn, durch Nacht und Schlaf,
Wie es durch Haut und Hemd und Kleid
Einfuhr in meine Eingeweid
Und um und um das Herz mir wandt,
Dies Wort, das mir den Tod erfand:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!
Vergebens daß ich vierzig Jahr
Der Hüter meines Herzens war -
Geheimstes Laster, dunkles Tun,
Die fremden Wände wuß
ten's nun!
Was ich zutiefst in mich verbarg,
Mit Dunkel düngt' wie einen Sarg,
Was ich mit Worten feig versteckt,
Mit Lügenlaken zugedeckt,
Mein tiefstes Ich, mein Urgeheim
War nun in aller Schwatz und Schleim,
Und diese Hand dort an der Wand,
Sie macht' es weit und weltbekannt:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!

Da schrie ich auf, wie Vogel schreit,
Riß auf mein Kleid der Eitelkeit,
Riß ab das Hemd, den Hut vom Haar,
Daß ich ganz bar und nackend war.
Nackt wie ein Baum, den Frost umschlägt,
Eisweiß vom Wind der Angst umfegt,
Und so an meinem Stolz gepackt,
So höllisch nackt und ausgesackt,
Stand ich vor jener Marterwand,
Gejagt und dennoch angebannt,
Und las, in letzter Scham verbrannt:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!

Da hinter mir ein Kichern scholl,
Das schäkernd scharf zusammenschwoll,
Von Höh und Tiefen hundertfach
War jach es schon als Lachen wach
Und geiferte in meine Schmach.
Hohnschrei aus allen Ecken strich,
Es peckte und beneckte mich
Von rechts und links, allunsichtbar
Dies gräßliche Gelächter war.
Die Winde gell posaunten es,
Die kleinen Gräser raunten es,
Aus Gossen wie ein Spülicht sprang's,
Von Wipfeln und von Wellen klang's,
Wohin ich sah, wohin ich griff,
Da bleckte Mund, da schrillte Pfiff.
Und jeder Blick, der blinkernd kam,
Der zwinkerte auf meine Scham
Und beizte Spott und spreizte Hand
Auf mich, der da zerknistert stand
Von jener Wand im Feuerbrand:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!

Kraß knickten mir die Beine ein,
Mein Atem kroch ganz krumm und klein»
Mein Rücken brach wie zundrig Holz,
Doch immer hell und greller scholl's
Vom Echo schnell vertausendfacht,
Das Wort, das mich urelend macht.
Schon wußt's der Wald, schon wußt's das Land:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!
Und ob ich auch, von Angst genäßt,
Das Ohr mir mit den Fäusten preßt,
Oh unentrinnbar, fern und nah,
War es doch da, war es doch da,
Das Wort, das meinen Stolz zerbrach,
Posaune meiner tiefsten Schmach!
Wie tief ich auch in mich einkroch,
Ich hört es doch, ich hört es doch,
Das Wort, das mir das Herz entmannt:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!

Da packt' mich Schreck: ich lief und lief
Mit jähem Ruck ins Dunkel tief,
Doch hell mir nach das Hohnwort rief.
Hoch überm Haupt, schnell unterm Schritt
Da klang es mit, da sprang es mit,
Voraus auf Zweig und Steigen schwang's,
Grellglitzernd vor dem Schuh aufsprang's,
Wohin ich laufend rührt und sah,
War es schon da, war es schon da,
War hier und dort, und immerfort
Dasselbe Wort, dasselbe Wort
Dem Rennenden vorausgerannt,
Das Wort, das mir das Herz zerbrannt:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!

Weh, wie ich da in toller Jagd
Von Angst gepackt, von Scham umflackt
Mich hetzte, feig und höllisch nackt
Wild Wegland weit, Traumtäler tief!
So lief ich nie, wie ich da lief!
So litt ich nie, wie ich da litt!
Der Atem mir die Brust zerschnitt,
Ein jeder Nerv wie Feuer brannt,
Angstschaum mir um die Schläfen stand,
Mein Herz wie eine Trommel schlug:
Kaum daß der Schritt mich weitertrug,
Und mußte doch, und mußte doch
Entrinnen diesem Höllental
Geweckter Scham, erschreckter Qual,
In andre Welt, in andres Land,
Das mir die Schand noch nicht erfand:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!

Da brach der Wald: licht aufgetan
Grünt guter Wiesenplan heran.
Ein Wasser schwoll dort tief und breit:
Vergessenheit! Vergessenheit!
Erschreckt, erkeuchend blickte ich,
Wie ich hinüber brückte mich,
Doch nicht dort Fähr* noch Ferge war,
Nur Wasser, tief und breit und klar,
Das spiegellosen Schweigens schwoll,
Indes schon hinter mir wie toll
Die Peitsche des Gelächters pfiff,
Viel Hohnblick meine Blöße griff,
Und Sturm, gewaltig wie noch nie,
Das Wort mir um die Schläfen schrie,
Der ich dort stand am fremden Strand,
Den Weg von tiefer Flut verrannt
Und doch gejagt vom Wort der Wand:
Du bist erkannt! Du bist erkannt!

Wild riß
mien's auf - ich hatt nicht Wahl:
Genug der Angst! Zuviel der Qual!
Mit jähem Ruck, mit letztem Mut
Warf ich mich in die fremde Flut,
Und fiel und fiel mit dumpfem Sinn
Viel Tiefen tief, viel Wasser hin,
Hinab die Nacht, hinab den Raum -
Und stürzte sacht aus meinem Traum.

Erwacht ich auf die Augen schlug:
Wo war der Spuk? War der Betrug?
Mein erster Blick griff hin zur Wand,
Ob dort das Wort geschrieben stand.
Allein die Wand war leer und licht,
Die Schrift, die Schrift, sie brannte nicht
Und niemand, niemand kannte mich!

Da tat wie Durst aus kühlem Krug
Ich einen tiefen Atemzug,
Sog rings das Schweigen, sanft und gut,
In mein hell miterwecktes Blut:
Oh Dank! Oh Glück! Oh Zuversicht!
Man kennt mich nicht! Man kennt mich nicht!
Mein Urgeheim, mein letztes Sein
Bleibt mir allein, bleibt mir allein:
Was diese Nacht in mir erhellt,
Weiß nur ein Traum und nicht die Welt.

Der Morgen draußen gütig stand,
Winkt' mich zu sich mit milder Hand. -
Noch hing ein Flaum von jenem Traum
Mir um die Stirn; ich wußte kaum,
Wie ich hinausfand in den Raum,
Dem alles glänzte rein und klar

Und ich doch nicht verraten war.
Da - lachte ich in mich hinein,
Tat an mein buntes Kleid von Schein,
Schloß Schweigen um mich als Gewand
Und trat, im tiefsten unerkannt,
Mein Tagwerk an, das wartend stand.


Letztes Gedicht

Der Sechzigjährige dankt

Linder schwebt der Stunden Reigen
Über schon ergrautem Haar,
Denn erst an des Bechers Neige
Wird der Grund, der gold'ne klar.

Vorgefühl des nahen Nachtens
Es verstört nicht - es entschwert!
Reine Lust des Weltbetrachtens
Kennt nur, wer nichts mehr begehrt,

Nicht mehr fragt, was er erreichte,
Nicht mehr klagt, was er gemißt,
Und dem Altern nur der leichte
Anfang seines Abschieds ist.

Niemals glänzt der Ausblick freier
Als im Glast des Scheidelichts,
Nie liebt man das Leben treuer
Als im Schatten des Verzichts.


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