Vier religiöse Gedichte - Gertrud Kolmar

V I E R   R E L I G I Ö S E   G E D I C H T  E

1937


Inhalt

 

Thamar und Juda

Mose im Kästchen

Dagon spricht zur Lade

Esther

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Thamar und Juda


Ich habe mich in Tränen schön gebadet:
O der Hure, die ich nun bin!
Granatfrucht, die geschmückt den Pflücker ladet;
Laubig lockend hängt Schleier über mich hin.

Der Mantel deckt mich, den die Nacht der Hirten
Über Lammweiden weht.
Und ich bin Thamar: Palme vor den Myrten.
Und wenn mein Herr mit seinem Knaben geht

Zur Schur gen Timnath, wo gedrängt die Schafe
Ihm wandeln, wellig wie ein Fluß,
Soll er mich schauen, daß er bei mir schlafe,
Der Zeugende, mit dem ich buhlen muß

Um diese Kinder, alle Kindeskinder,
Die schon in meiner Tiefe weinen nach Licht,
Die Helden, stark und ernst wie hörnige Rinder,
Und Könige mit meines Herrn Gesicht.

So sieh, ich will dich stillen. Mit den Lüsten,
Die, Datteln und dunkle Trauben, mein Wuchs dir bringt,
Mit meinem blauschwarzen Haar, dem Mund, den Brüsten,
Draus einst die weiße Quelle springt.

Es breite doch mein Herr über mich seinen Schatten,
Er lege bei mir nieder Stab und Ring. -
Und Juda zog zur Herde auf die Matten
Und kam und tat. Und sie empfing.


 

Mose im Kästchen


Wunder, heilige Schrecken waren keine.
Kein großer Stern schlug nächtens die Hirtensteppe,
Kein Lobpreis der Engel senkte strahlende Treppe;
Nicht sang ein Baum noch zitterten tote Steine

In den starken, dauernden Häusern der Pharaonen.
Nur eine arme weinende Mutter irrte im Schilfe,
Wiegte das rohrene Kästchen, schrie schweigend um Hilfe
Aus der schrecklichen Welt, da die Götzen wohnen.

Golden tönte Sonne vom gnadelos blauen Himmel,
Den nur Flamingos mildern mit rosenwolkigem Wehen.
Nilschlamm quatschte träge und fett unter nackten Zehen;
Spöttisch schlängelte bunter Nattern Gekrimmel.

Und mit grünbronzen gepanzertem krokodilenen Leibe
Deckte der Wassergott Sobk eine kleine Sandbank und
     gähnte,
Und der Mondgott Thot, den zerschlißnes Gefieder
     bemähnte,
Drehte den schwarzen Ibiskopf ernst nach dem Weibe,

Das sein Kind vom Herzen ans Ufer setzte.
Wohlig schlief es, wie rück in die Mutter versunken,
In seiner warmen, winzigen Nacht: gesättigt und trunken,
Milch noch atmend, die weiche Lippe ihm netzte.

In Geschülper von Fröschen horchte die Kummervolle,
Ach, und schaute nicht, was doch flüchtig sich zeigte:
Ein Papyrus, der leicht über ihr Kästchen sich neigte,
Bog seinen Blätterschopf, den schlaffen Wedel, zur Rolle.


 

Dagon spricht zur Lade


Liege und bete mich an! Liege!

Du hast keine Knie zum Beugen,
Du hast keine Augen zum Weinen.
Wo sind deine Träger und Zeugen ?
Wo ist das Winseln der Deinen ?
Vernimm meine blitzenden Siege
In Pauken und Zimbeln der Meinen.
Ich war die Hand, die sie säte,
Samen aus steinerner Weiche,
Ich bin der Arm, der dich mähte,
Schnitter der sieben Reiche,
Ich bin der Fürst der fünf Städte,
Zu Asdod der mächtige Gott.

Liege und bete mich an! Liege!

Ich bin vom Adler und Fische,
Den Flossenschwanz unter der Hüfte;
Er treibt mein Wort, daß es fliege,
Er peitscht das Meer, daß es zische,
Er geißelt die freien Lüfte
Und knäult sie in heulende Stürme.
Er schleudert Schlamm um die Türme,
Er träufelt Gischt in die Grüfte,
Er will im Wogenschoß schlafen -
Die bebenden Rudrer der Barken,
Sie wissen von Dagon dem Starken
Und sinken flehend zum Hafen
Auf abendpurpurner Flut.

Liege und bete mich an! Liege!

Zehn Priester im Tempeldüster,
Zehn Priester heben die Braue
Zu meiner heischenden Nüster
Und fächeln mir feurige Klaue
Und schlachten ihr milchweiße Ziege
Und bleiben blind, wo ich schaue.
Blind wie der heimlich Geschorne,
Der mit Fäusten Geborne,
Der mir den Eselskinnbacken
Schlug auf die tausend Knechte,
Dem meine Säulen knacken:
Du doch, ewig Geschwächte,
Du doch, immer Verlorne,
Bete du an! Brich den Nacken
Vor Mir! Vor Mir! Vor Mir!

                                           Die Lade: Nein.
Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs,
Vor Dir!

               Des Götzen Stirn fuhr nieder auf den Stein.


 

Esther


Das aber war nicht Liebe. Die in Abendländern spricht
Und scherzt, auf Wiesen summt, mit süßen Veilchen tändelt,
Die Lämmlein, Hündlein maiengrün und kirschenfarb
     bebändelt:
Von dieser wußte keins. Sie nicht, der König nicht.

Der König und das Mädchen lernten eines bloß:
Die Frauen waren dunkle Schalen,
Mit rotem Wein beschenkt zu einsam glühnden Mahlen.
Sie lockten, Rätsel, mit der Berge Porphyrschoß,

Sie standen, Harfen, voll verstummter, schwerer Melodie,
Die ihr Geheimnis nur in Düster tönte.
Und Balsam, Gold, Gestein und Purpur: was sie schönte,
Der ganze Osten stürzte schimmernd über sie;

Sie troffen, dufteten und glänzten sehr. -
Und Esther kam. Der Blick, der hart ergriff und prüfte,
Befand an Haar und Antlitz, Brüsten, Arm und Hüfte
Sie reicher nicht als jene, um die her

Ein Glimmen schwamm und schwand, vom Jauchzen noch,
     vom Sieg,
Vom Frühruf, vom Geleucht und Glück der Sonnentage.
Sie aber trug die Qual, die ewige Niederlage
Als Last, als Krone, und sie schwieg.

So fern den Andern, ihrem Prunk aus Funkeln, Klang und
     Macht
Begann sie und entdeckte langsam dem Beschauer
Die Lande Juda, Benjamin mit ihrer Völker Trauer
Und die gestirnte große Nacht.


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